Als im Jahre 1979 nach dreißig Jahren die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in der zweiten deutschen Republik bilanziert wurde, geschah dies fast durchgängig mit einer gewissen Selbstzufriedenheit über das, was erreicht wurde, aber auch in einiger Ratlosigkeit über die Probleme der Gegenwart und vor allem mit beträchtlicher Unsicherheit, welche Wege aus der Krise führen könnten. Eine umfassende, kritische und selbstkritische Standortbestimmung der Bundesrepublik Deutschland blieb die Ausnahme. Weil die Rückblicke oberflächlich blieben, kamen auch die eigentlichen Ursachen für die bisher erfolgreiche Entwicklung nicht in den Blick. Ebensowenig konnte vorurteilsfrei gefragt werden, ob nicht neue Strategien einzuschlagen seien, um in einer veränderten Welt, deren Probleme vielfach eine neuartige Qualität aufweisen, die alten Ziele zu erreichen.
I. Veränderte Problemlagen in Wirtschaft und Gesellschaft
Vor über dreißig Jahren fiel in der Bundesrepublik Deutschland die Entscheidung für die Soziale Marktwirtschaft. Die theoretische Grundlegung dieses wirtschaftspolitischen Leitbildes reichte mehrere Jahre, ja Jahrzehnte zurück. Namen wie Alexander Rüstow, Friedrich August von Hayek, Wilhelm Röpke, Walter Eucken, Franz Böhm, Alfred Müller-Armack, Ludwig Erhard stehen für eine geglückte Symbiose von Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, für ein mutiges und originelles Denken, das analytische Disziplin mit ethischem Engagement zu verbinden wußte, das eingefahrene Geleise verließ, falsche Alternativen überwand und so den Grund für eine gute Entwicklung legte. Als Wissenschaftler und engagierte Zeitgenossen haben sie ihrem Gemeinwesen, der jungen Bundesrepublik Deutschland, einen Dienst geleistet nicht durch liebevolle Pflege klassischer Autoritäten, sondern durch Mut und eine konstruktive Phantasie, die den damals neuen Herausforderungen angemessen war. Heute verfügen wir über dreißig Jahre Erfahrungen in einer prinzipiell marktgesteuerten, aber durch Bürokratien, politischen Wettbewerb und Verbände überlagerten Gesellschaft.
In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich vieles verändert. Die Problemlage ist heute eine andere als in den fünfziger und sechziger Jahren, und wir wissen heute auch mehr als früher über soziale und ökonomische Zusammenhänge — und über die Grenzen unseres Wissens. Nicht nur der Problemhorizont hat sich erweitert, sondern auch der Kompetenzbereich und das analytische Instrumentarium der Sozialwissenschaften. So banal dies klingt, so wenig konsequent haben sich Politik und Wissenschaft, Ordnungstheorie und Ordnungspolitik bisher auf diese neue Situation eingestellt. Sowohl die reale Entwicklung der Gesellschaft als auch die theoretische Entwicklung der Wissenschaften haben zu einer neuen Situation geführt, aber letztere wurde nicht benutzt, um erstere analytisch zu durchdringen und politisch zu gestalten. Stichworte müssen hier genügen
Die zentralen Probleme, die die aktuelle Diskussion beherrschen, stellen sich gegenwärtig und künftig nicht mehr wie früher im industriellen, d. h.sekundären Sektor der Wirtschaft, der durch den Marktwettbewerb geordnet und theoretisch auch hinreichend untersucht ist, sondern im Dienstleistungs-(tertiären) Sektor der Gesellschaft (Gesundheits-, Bildungs-, Sozialwesen) und im primären Sektor Energieversorgung, Umweltschonung.
Der Ausbau des Wohlfahrtsstaates, überhaupt des staatlichen Leistungsangebots, wurde von den „Klassikern" der Sozialen Marktwirtschaft so nicht vorausgesehen und nicht gewollt. Die Hälfte dessen, was die Gesellschaft erwirtschaftet, geht durch die Hände des Staates. Die Steuerung durch Bürokratien umfaßt heute bereits die Hälfte des Bruttosozialprodukts. Die Expansion des bürokratischen Sektors läßt sich messen nicht nur an der sichtba-ren, sondern vor allem auch an der unsichtbaren Staatsquote
Zwischen die individuelle (Markt-) Ebene und die politische (Staats-) Ebene schoben sich mit wachsendem Erfolg und steigender Macht die Verbände: Weitreichende Steuerungsprozesse verlaufen heute nicht (mehr) über den Markt oder über den Staat, sondern über Gruppenverhandlungen.
Ansprüche und Erwartungen der Menschen an Politik und Wirtschaft haben sich geändert (Wertwandel): sie sind umfassender und differenzierter geworden
Durch den inzwischen schärferen politischen Wettbwerb treten politische und ökonomische Rationalität tendentiell immer weiter auseinander. Der Glaube der Ordoliberalen, der Staat solle und könne den „ordnungspolitischen Rahmen" sichern, ist nicht falsch, aber problematisch, weil an sehr zerbrechliche Voraussetzungen gebunden. In einer Wettbewerbsdemokratie mag Ordnungspolitik ökonomisch, nicht aber politisch vernünftig sein. Alle diese Entwicklungen werfen Folgeprobleme auf, deren Auswirkungen zwar jedem sichtbar sind und Kanzler und Kanzleien in Atem halten, deren Ursachen aber allenfalls oberflächlich und deshalb unzureichend erkannt werden. Die Kurzfristigkeit politischer Orientierungen führt dazu, daß längerfristige Problemlagen vernachlässigt werden (Energieversorgung, Bevölkerungsrückgang). Kostenexplosionen vor allem im Bereich des tertiären Sektors schnüren den finanziellen Handlungspielraum des Staates ebenso ein wie die Macht der Verbände den politischen. Es ist eine prinzipiell offene Frage, ob, wie lan-ge, unter welchen Bedingungen die autonomen Entscheidungen der Tarifpartner mit den Gesamt-und Zukunftsinteressen verträglich sind. Strukturprobleme des Sozialstaates führen immer mehr zu kontraproduktiven Ergebnissen der Sozialpolitik: mit immer mehr Geld „erkaufen" wir immer weniger soziale Sicherheit. Die Verbürokratisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft führt zu einer Aufblähung der Staatshaushalte, macht den politischen Prozeß unbeweglich und fördert eine Erwartungshaltung an den Staat. Die im Gefolge des Wertwandels sich immer mehr öffnende Schere zwischen der politischen „Nachfrage" der Bürger und dem politischen „Angebot" von Regierung und Parlament könnte zu einer — vorläufig unsichtbaren, langfristig aber entstabilisierenden — Entfremdung zwischen Bürger und Staat führen.
Diese veränderten Problemlagen und ihre Fol-gen werden bisher in der Regel als finanzielle (Kostenexplosion, Staatsverschuldung) oder als Verhaltensprobleme (Verbände, Umwelt Energie) definiert, während doch die Ursachen tiefer liegen und die Folgen weiter reichen: Sie verweisen auf Steuerungsdefizite und da-mit auf das Fehlen einer Ordnungspolitik, und sie betreffen nicht nur Zahlenreihen im Staatsbudget, sondern das alltägliche Lebensgefühl der Menschen: ihre Entfaltungschancen, ihre Zufriedenheit, ihr Gefühl, in einer gerechten Gesellschaft zu leben.
Wer die tieferen Wurzeln für die gegenwärtigen Probleme nicht erkennt oder aus der Analyse ausblendet, ist bestenfalls zu Symptomkorrektur fähig. Diese Symptomkorrekturen beherrschen das gegenwärtige Bild des Krisenmanagements (Energiepolitik, Gesundheitswesen)
Wichtige und zukunftsträchtige Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft stehen noch immer außerhalb einer vernünftigen, und das heißt: liberalen und sozialen Ordnungspolitik, und dies ist der eigentliche Grund für eine gut organisierte kollektive Verantwortungslosigkeit, die über weite Strecken zum Zeichen der Zeit geworden ist. In dieser Situation besteht die Aufgabe darin, den Gegenstandsbereich der Ordnungspolitik und Ordnungstheorie so weit auszudehnen, daß er sich mit den Problemfeldern in Staat und Gesellschaft deckt Man muß den Schlüssel zur Lösung der Probleme dort suchen, wo er verloren wurde und nicht, wie jener Betrunkene, unter der Laterne, nur weil es dort so schön hell ist.
Das Licht der (ökonomischen) Erkenntnis, um im Bilde zu bleiben, fällt aber zum Glück längst nicht mehr nur auf den industriellen, durch Märkte geordneten Sektor der Wirtschaft. Erweitert haben sich nicht nur die Problemfelder der Gesellschaft, sondern auch der Kompetenzbereich der (Sozial-) Wissenschaften. Die jüngste Vergangenheit hat eine Verallgemeinerung der ökonomischen Theorie über den Markt im engen Sinne hinaus gebracht. Nicht nur in Deutschland, sondern vor allem auch in den USA ist eine Nicht-Markt-Okonomik entwickelt worden eine ökono-mische Theorie der Bürokratie, der Verbände, des politischen Wettbewerbs, mit deren Hilfe es möglich ist, Fehlentwicklungen plausibel zu erklären, Probleme zu identifizieren und ihre Ursachen zu diagnostizieren, Zusammenhänge aufzudecken und Vorschläge auf ihre Realisierbarkeit zu überprüfen.
Die ökonomische Theorie des Marktes hat eine sehr lange Tradition, die in den Schriften der Klassiker wurzelt. In den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts erfuhr sie eine wesentliche Ergänzung durch die Theorie des Marktversagens. Aus dem Nachweis des Marktversagens wurde vielfach der unberechtigte Schluß gezogen, daß Staatseingriffe überall dort zu rechtfertigen seien, wo der Markt versagt. Eine der Theorie des Marktversagens analoge Theorie des Staatsversagens wurde erst in der jüngsten Zeit erarbeitet. Dabei geht es nicht um die Rolle des Staates in einer Zentralverwaltungswirtschaft, sondern um die Rolle des Staates in einer Gesellschaft mit politischem und wirtschaftlichem Wettbewerb.
II. Eine Ordnung für den Menschen
Dies, in einer kurzen Skizze, die veränderte Problemlage in Wirtschaft und Gesellschaft. Soviel sollte deutlich sein: Eine Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, die sich noch immer im Banne der bipolaren Dialektik von Markt und Staat, von Macht und Wettbewerb bewegt, vermag die gegenwärtigen und künftigen Problemfelder nicht mehr (oder allenfalls höchst unzureichend) auf den Begriff zu bringen. In gleicher Weise greift eine Analyse zu kurz, die sich an den — gewiß schwerwiegenden — Problemen des Tages orientiert und nicht nach deren tieferen Ursachen fragt.
Um es etwas pauschal zu formulieren: Die Irrtümer der Ökonomen in Wissenschaft und Politik haben vor allem darin ihren Grund, daß sie den menschlichen Faktorvernachlässigen. Die Menschen verhalten sich nicht (mehr) so, wie es die Theorie axiomatisch postuliert und die Politik annimmt — und dies ist der Grund dafür, daß beide, obwohl mit hohem Aufwand betrieben, so oft ins Leere laufen. Und in der Tat: Die Neoliberalen und die Etatisten haben uns bislang nicht jene Erfolge gebracht, die sie uns immer wieder versprochen haben. Sie gehen von falschen Annahmen aus, und sie stellen die falschen Fragen. Weil sie den „menschlichen Faktor 11 übersehen, genauer: weil sie den Menschen eindimensional auf einen homo oeconomicus verkürzen, definieren sie die Krise als eine ökonomische, und indem sie dies tun, sind sie unfähig, auch nur die ökonomische Krise zu bewältigen.
Es müßte ja eigentlich betroffen machen, daß wir nunmehr seit Jahren mit unseren Krisen-interpretationen hinter der Krise herlaufen. Zuerst hielten wir sie für eine Konjunkturkrise, meinten dann, daß es eine Strukturkrise sei, und fangen jetzt an, mühselig zu lernen, daß es eine Gesellschaftskrise ist — und daß diese Gesellschaftskrise gleichzeitig in ihrem Kern eine Identitätskrise des Menschen in der Wirtschaftsgesellschaft ist.
Im Lichte dieser Interpretation bleiben — zunächst jedenfalls — dringende Detailfragen der Tagespolitik ausgeklammert. Eine Partei oder eine Regierung darf sich dies nicht leisten, gewiß; aber ob die Politik morgen die richtigen Antworten geben kann, hängt auch davon ab, daß wir heute die richtigen Fragen stellen, daß wir versuchen, aus Denkschablonen und Politikroutinen auszubrechen, die aus den Antworten von gestern die Fragen für morgen herleiten. Eine zukunftsorientierte Ordnungstheorie und -politik muß wieder an jene Tradition anknüpfen, die die Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik als „moral sciene" begriff und die die Anliegen der Menschen über die Imperative der Ökonomie stellte.
III. Jenseits der Markt-und Machtgesellschaft
Die traditionellen Ordnungsentwürfe waren Antworten auf ökonomische Mangellagen: Indem sie diese überwunden haben, haben sie aber zugleich neue Knappheiten geschaffen. Heute sind die Menschen — alles in allem — gut versorgt mit Gütern und Diensten, die sie sich auf dem Markte käuflich erwerben, die sie vom Staat qua Rechtsanspruch erhalten oder die sie sich mit Hilfe mächtiger Verbände erkämpfen können. Der (partiellen) Überversorgung auf diesen Gebieten stehen neue Mangelsituationen gegenüber — die auch zunehmend von den Menschen als solche empfunden werden —, und zwar bei all jenen Bedürfnissen, die durch die Maschen des Pluralismus, des Marktes und des Wohlfahrtsstaates hindurchfallen. Die Menschen haben heute vieles erreicht, was sie früher nicht hatten, und es fehlen ihnen heute Dinge, die sie früher hatten. Worüber Menschen verfügen und was ihnen fehlt, das ändert sich mit den sozialen Bedingungen, unter denen sie leben — und entsprechend ändern sich die sozialen Fragen und die politischen Aufgaben
Heute zeigen sich überall Spuren, die aus einer bloßen Wirtschaftsgesellschaft und aus einem bürokratischen Wohlfahrtsstaat hinauslaufen. Alternativ leben bedeutet für viele — weit über die „Alternativ-Szene" hinaus — ganz einfach: anders leben, nicht nur als Wirtschaftssubjekte und Wohlfahrtsempfänger, als Anbieter und Nachfrager, als Ausübende und Erleidende von Macht funktionieren. Die Frage ist, ob diese Sehnsucht zu einer Zerstörung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebensbedingungen führt oder ob es gelingt, die Gesellschaft so zu gestalten, daß sich die Menschen wieder mehr begegnen können, als dies ihnen bisher möglich schien. Und dies ohne den in einer geizigen Welt notwendigen Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung aufzulösen.
Die Frage nach dem guten Leben ist alt. Unter dem Eindruck der Nebenwirkungen eines sich entfaltenden Kapitalismus hat sie Karl Marx zum Sprengsatz einer revolutionären Theorie gemacht Das Stichwort hieß Entfremdung. Hatte der Kapitalismus seine auch von Marx gerühmten Erfolge dadurch errungen, daß zwischen die Menschen die Ware getreten war, so bestand die Antwort von Karl Marx und seinen Epigonen auf dieses Elend in der Aufhebung des Konnexes zwischen Leistung und Gegenleistung. Das Ergebnis war negativ. Es war übersehen worden, daß die Menschlichkeit in einer Welt knapper Mittel auch daran gebunden ist, daß sich etwas leisten kann, wer etwas leistet, daß verdient, wer — aus welchen Motiven auch immer — den anderen dient. Mit anderen Worten: Karl Marx und seine heutigen Jünger hatten vergessen, was die Liberalen wußten.
Die Frage nach der Verbindung von Leistung und Gegenleistung stellt sich nur in einer arbeitsteiligen Wirtschaft, dort aber mit unausweichlicher Notwendigkeit. Wenn wir um der materiellen Wohlfahrt willen nicht auf diese Arbeitsteilung zu verzichten bereit sind, bleibt uns um des sozialen Friedens willen und um der individuellen Freiheit willen keine andere Möglichkeit, als den Konnex von Leistung und Gegenleistung möglichst eng zu halten. Daß dies unmenschlich sein kann, ja unmenschlich sein muß, hat seinen Grund darin, daß die von Marx inkriminierte Entfremdung auf diese Weise vorerst unausweichlich ist. Stehen wir wirklich vor der Wahl, im materiellem Wohlstand uns als Menschen abhanden zu kommen oder aber als Menschen in Elend verkommen zu müssen?
Entfremdung ist keine Eigenschaft und Folge des Kapitalismus, sondern einer arbeitsteiligen Industriegesellschaft. Arbeitsteilung führt zu Entfremdung, mehr Arbeitsteilung zu mehr Entfremdung — und niemand hat heute noch die Hoffnung, diese zu überwinden, wenn man jene zerstört. Das Dilemma stellt sich heute für viele auswegloser, und die Hoffnungen sind schwächer geworden. Die Gesellschaft bietet den Menschen viele Möglichkeiten der Auswahl, aber sie läßt ihnen, so scheint es, keine Wahl. Die Menschen sind heute reich, insofern sie auswählen können, was sie haben wollen. Sie sind arm insofern, als sie nur wenig Auswahl haben, wenn sie wählen wollen, wie sie leben und wie sie sein wollen. „Haben" können wir leicht; „sein“ wird uns schwer gemacht. Damit stellt sich die ordnungspolitische Aufgabe auf eine neue, umfassendere Weise: Reformen innerhalb der staatlichen und der wirtschaftlichen Ordnung sind notwendig, aber nicht hinreichend. Statt den Menschen auf einen homo oeconomicus und/oder homo politi-cus zu reduzieren, käme es darauf an, die Gesellschaft so zu gestalten, daß die Menschen sich auch jenseits einer bloßen Markt-und Machtgesellschaft entfalten können.
Es gibt ja, systematisch gesprochen, drei Möglichkeiten der menschlichen Begegnung:
— Menschen begegnen sich direkt, unmittelbar. Sie sind sich selbst Zweck, nicht Mittel. Auch dann, wenn sie Waren tauschen, so sind diese Epiphänomene einer menschlichen, nicht ökonomischen Beziehung. Schon aus primitiven Gesellschaften wissen wir, daß das Annehmen oder Geben von Geschenken ein Zeichen dafür ist, daß man sich als Mensch und Freund — und nicht als Fremder oder Feind — begegnen will; daran hat sich auch hier und heute nichts geändert.
— Menschen können sich begegnen, vermittelt durch das Medium des Geldes: Sie stellen eine Ware her und tauschen sie gegen Geld ein, für das sie dann wiederum eine andere Ware erwerben können. Es entstehen Tausch-beziehungen: Ware — Geld — Ware (Mensch — Markt — Mensch); die Beziehungen zwischen Menschen sind instrumentalisiert. — Menschen können sich begegnen, vermittelt durch das Medium der Macht, über Zustimmung oder Unterwerfung. Sie produzieren oder konsumieren Güter über einen politischen Prozeß. Es entsteht der Kreislauf Mensch — Macht (Staat) — Mensch; die Beziehungen zwischen Menschen sind politisiert.
Wirkliche, real existierende Gesellschaften sind immer eine Kombination dieser Möglichkeiten. Es gibt nicht (oder kaum) eine rein politisierte Gesellschaft und auch nicht eine reine Marktgesellschaft. Aber es gibt Annäherungen, Erfolge und Krankheitsbilder und vor allem: es gibt die menschlichen Kosten einer mehr markt-oder mehr machtorientierten Gesellschaft. Die traditionellen Mechanismen sind, so scheint es, erschöpft: Ihr weiterer Ausbau läßt keine Zuwachsraten an Wohlfahrtssteigerung und mehr Menschlichkeit erwarten. Das gilt für die Steuerungsmittel des Wohlfahrtsstaates, aber auch für die Steigerung der industriellen Produktivität. Die Menschen haben ihr Markt-und ihr Sozialeinkommen auf eine Weise vermehrt, die jetzt an Grenzen stößt. Die Kosten werden spürbarer, während die Vorteile abnehmen — objektiv und subjektiv.
Ein Beispiel: Arbeitsteilung — Adam Smith hat sie besungen — war der Weg zum Reichtum der Nationen, aber auch der Weg vom eigenen zum fremden Stück, von persönlicher Beziehung zwischen Menschen zur Anonymität interdependenter Abläufe.
Jetzt ist es wohl so, daß die weitere Arbeitsteilung immer weniger Zuwachs an materiellem Wohlstand und immer größere Zuwächse an Entfremdung in Aussicht stellt. Damit wird die Bilanz der Erfolge der Arbeitsteilung zunehmend ungünstiger, ein weiterer Ausbau immer unattraktiver.
Was Karl Marx und andere für den Kapitalismus beschrieben haben, gilt in sehr ähnlicher Weise für den (Wohlfahrts-) Staat, der jenen überwinden oder wenigstens mildern, bezähmen sollte. Der Wohlfahrtsstaat hat seine eigene Entfremdung erzeugt, die der Entfremdung durch den Kapitalismus in vielerlei Hinsicht durchaus vergleichbar ist. Entsprechend läuft eine Flucht aus dem Markt in den Wohlfahrtsstaat darauf hinaus, daß eine Art der Entfremdung gegen eine andere eingetauscht wird. Gleichfalls bedeutet ein Abbau der Staatstätigkeit zugunsten einer Ausdehnung des Marktsektors eine Substitution der politischen Entfremdung durch die Entfremdung auf dem Markt. Dies übersehen jene, die — wie Frankreichs Linke — die Behausung des Menschen durch eine Ausdehnung des Staats-sektors suchen wollen; dies übersehen aber auch jene, die — wie Reagan und Thatcher — die Überwindung der Krise in einer einseitigen Stärkung der Marktkräfte erblicken. Beide Richtungen versuchen, der Entfremdung der Menschen beizukommen, indem sie die Art der Entfremdung wechseln.
Wenn es aber richtig ist, daß die Entfremdung darin besteht, daß der Mensch nicht zu sich und zu anderen finden kann, wenn darüber hinaus die so verstandene Entfremdung der Kern des gegenwärtigen Elends ist, dann ist das Scheitern beider Richtungen nur eine Frage der Zeit. Allerdings gilt dann auch, daß alle jene Versuche in und neben dem Markt und dem Staat Räume für die unmittelbare menschliche Begegnung zu schaffen, die Zukunft in sich tragen — dies auch dann, wenn diese Versuche zögernd und ungeschickt sind.
IV. Für eine Politik der aktiven Subsidiarität
Dies also sollte die Leitlinie für eine neue Ordnungspolitik sein: Freiwillige Initiativen und Bewegungen aller Art neben den Ordnungsblöcken der staatlichen und marktlichen Allokation verdienen aufmerksame Beobachtung; sie sollten sich stärker als bisher selbst darstellen können und keinesfalls von vornherein in eine Außenseiterposition gedrängt werden. Was nämlich Staat und Markt selbst angeht, so sind wir auf die von allen Ordnungspolitikern bereits empfohlenen Reformmaßnahmen angewiesen, die von der Neuregelung des Dienstrechts in der öffentlichen Verwaltung bis hin zu spezifischen Maßnahmen der Wettbewerbsintensivierung reichen. Sie beinhalten notwendige, aber im Prinzip konservative und unzureichende Strategien. So ist die Reagan-sehe Politik des Abbaus des Staatssektors zu verstehen als eine Flucht aus der Entfremdung im Kollektiv; allerdings mit der Folge einer zunehmenden Entfremdung auf dem Markt. Umgekehrt läßt sich das Experiment Mitterands interpretieren als die Flucht aus der Entfremdung des Marktes; allerdings mit der Folge einer wachsenden Entfremdung im Kollektiv. Beide Strategien sind konservativ; beide laufen auf einen wahrscheinlichen Mißerfolg hin-7 aus. Beide haben gemeinsam, zu wenig weit zu greifen.
Neue Lösungsmöglichkeiten — also auch Hoffnungen — ergeben sich erst dann, wenn mit der allgemeinen Weckung von Initiativen, die bei allen diesen Strategien im Vordergrund stehen, ein zweites Element verbunden wird: der gegenseitige Lernprozeß in Gruppen von jeweils überschaubarer Dimension für die in ihnen arbeitenden Menschen. Diese Initiativen sollen bewußt als praktizierte Gegenentwürfe zu den Formen staatlich-paternalistischer und marktlich-atomistischer Versorgung gesehen werden. Die Gruppengröße, in denen sich die Kommunikation zwischen den Beteiligten abspielt, ist nicht festgelegt. Aber es ist eindeutig, daß auch relativ kleine Gruppen zu fördern oder wenigstens nicht zu behindern wären. Zu ihnen würden sowohl autonome Selbsthilfeorganisationen wie auch genossenschaftsähnliche Assoziationen zu zählen sein. Auch hinsichtlich ihrer ökonomischen und gesellschaftlichen Ziele sollte es a priori keine Vorauswahl geben, so daß die Gruppen sowohl im normalen Produktionsbereich als auch im Bereich der sozialen Sicherung angesiedelt werden könnten.
Damit sind etwa der gesamte „voluntary-non-for-profit-sector" und die mittlerweile häufig genannten „kleinen Netze" in die Ordnungspolitik und -theorie zurückgeholt, aber auch Aktivitäten erfaßt, die heute von Minderheiten nicht immer verständlich, wenn nicht sogar unglücklich vorgetragen werden. Von diesen Minoritäten werden nicht nur die unbewußten Leiden der übrigen Gesellschaftsmitglieder getragen, sie gehen auch stellvertretend für die übrigen Gesellschaftsmitglieder die ersten Schritte auf neuen Wegen. Ihr Stolpern ist nicht notwendigerweise ein Verbrechen. Solange Initiativen dieser Art bestenfalls geduldet werden, ihnen administrativ lediglich keine Hemmnisse erwachsen, ist ein Konkurrenzverhältnis zu den marktlichen oder staatlichen Versorgungssystemen nicht gegeben; entsprechend bleiben dann die Impulse, die von ihnen ausgehen, auch relativ schwach. Es wäre eigentlich fair, ihnen einen ebenso fruchtbaren Boden für Start und Entwicklung zu geben wie es eine funktionierende Wettbewerbsordnung für den Unternehmer oder eine eingearbeitete Administration für ein öffentliches Versorgungswerk darstellt. Deshalb ist dafür zu plädieren, Selbsthilfeinitiativen und Gruppen mit kleinen Netzen zu unterstützen
Natürlich muß damit gerechnet werden, daß es schwerfällt, die Zustimmung staatlicher Verwaltungsstellen zu bekommen — nicht nur, weil der Hinweis auf Finanzierungsengpässe als Blockmittel benutzt werden kann, sondern weil schlicht Rivalität bei der Mittel-verwendung existiert und sogar der Erfolg alternativer Förderungswege von den Titelverwaltern befürchtet wird, zumindest aber der — durchaus nicht unbegründete — Argwohn geweckt wird, daß die Kompetenz der Administration auf diesem Feld bestritten wird.
Es ist deshalb wichtig, daß auf erfolgreiche Fälle wie das kanadische „Local Initiative Program" hingewiesen werden kann. Hier wurden im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bereits existierende lokale Initiativgruppen finanziell gefördert, die entweder selbst aus Arbeitslosen bestanden oder Arbeitslosen Arbeitsplätze unüblichen Zu-schnitts vermitteln wollten. Auf die Ziele und Willensbildung sowie die Organisationsform dieser Gruppen wurde — und dies ist von entscheidender Bedeutung — kein Einfluß ge-
nommen; gefordert wurde lediglich, daß die Gruppen Kollektivgüter im Bereich des gemeindlichen Umfeldes wie Altenhilfe, Kinder-betreuung, Arbeiten in öffentlichen Parks, im Bereich der Umweltvorsorge etc. anboten. Nach Schätzungen wurden nicht nur pro Jahr etwa 90 000 Arbeitsplätze vermittelt, sondern auch nennenswerte Einsparungen im Vergleich zu den üblichen Beschäftigungsprogrammen erzielt. Damit war das kanadische Experiment politisch durchsetzbar geworden, obgleich sein eigentlicher Fortschritt in dem erstaunlichen Anwachsen der Arbeitszufriedenheit zu sehen ist. Dies ist deshalb besonders hoch zu bewerten, weil viele sogenannte schwer zu vermittelnde Arbeitskräfte Mut zur eigenen Leistungsbereitschaft gefaßt und Vertrauen zur eigenen Leistungsfähigkeit gefunden hatten — eben weil es für sie keine Arbeit aus zweiter Hand, sondern das Ergebnis einer eigenen Suche nach Gestaltungsmöglichkeiten gewesen war.
Dieses Beispiel läßt sich verallgemeinern. Die traditionellen — ob neoliberalen oder dirigistischen — Arbeitsmarktstrategien laufen auch deshalb meist ins Leere, weil sie die Kluft zwischen Mensch und Arbeit nicht zu überbrücken vermögen. Die Menschen sind nach wie vor bereit, etwas zu arbeiten und zu leisten, wenn sie den Sinn ihrer Tätigkeit einse-hen und sich möglichst auch mit ihr identifizieren können; sie sind aber nicht mehr willens — und haben es, ökonomisch gesprochen, auch gar nicht mehr nötig — jede Arbeit anzunehmen. Darüber kann man klagen. Man kann aber auch nach Möglichkeiten suchen und sie ausschöpfen, um von fremdbestimmten zu möglichst selbstbestimmten Tätigkeiten im Arbeitsprozeß zu gelangen. Es ist ja kein Zufall, daß etwa in Berlin in den letzten Jahren nicht irgendein Großunternehmen, sondern das alternative Netzwerk e. V. die meisten neuen Arbeitsplätze geschaffen hat.
Auf Erfolge kann auch das amerikanische „Urban Homesteading Program" hinweisen. Bund und Länder gehen in dieser Politik der Wohnungsbauförderung und Stadterneuerung einen gemeinsamen Weg mit lokalen Selbsthilfegruppen, meist kleinen Kernen, denen sich mehr und mehr Nachbarn und Hinzuziehende anschließen. Die staatlichen Behörden stellen sanierungsbedürftige Wohnungen und Wohnungsviertel den Selbsthilfegruppen kostenlos zur Verfügung und überlassen Ausbau und Sanierung (mit den für Amerika allerdings typisch niedrigen Bauauflagen) der Aktivität der einzelnen. Wiederum ist die Gesamteffizienz höher als bei herkömmlichen Förderungsmaßnahmen der Wohnungsbaupolitik. Über den — wie wir vermuten — erheblichen Zusatzgewinn an Motivation, Arbeitsfreude und Selbstverwirklichung ist zwar nichts statistisch Exaktes bekannt; wenn man aber bedenkt, mit welcher Intensität deutsche Heimwerker ihr Haus in die ihnen als angenehm erscheinende Atmosphäre versetzen, so muß man geradezu an persönlichen Gewinn glauben. Zugegeben, ausgewählte Beispiele glücklich verlaufener Experimente werden noch keine allgemeine Bereitschaft für die Erprobung neuer Wege in der Ordnungspolitik auslösen. Angesichts finanzieller Engpässe finden Vorschläge, die zunächst auch Finanzierungsbeiträge fordern, keine gute Aufnahme. Die Mindestforderung könnte aber darin bestehen, die Entfaltung von kleineren Kollektiven im Umfeld zwischen staatlicher und marktlicher Allokation nicht administrativ zu behindern, allgemeine Vorurteile über sie abbauen zu helfen und ihnen etwas zuzutrauen. Gleichzeitig sollten die Großkollektive nicht weiter ausgebaut und ihrer schematisierenden Allzuständigkeit Einhalt geboten werden.
Damit deutet sich die Richtung einer Ordnungspolitik an, die über die Ordnung des Marktes und die Organisation des Staates hinausgeht. Man mag kritisierend feststellen, dies sei wenig; es muß jedoch befürchtet werden, daß es mehr ist, als wir derzeit in die Tat umzusetzen bereit und in der Lage sind.
V. Wohlfahrt der Menschen oder Wohlstand der Gesellschaft
Die mehr oder weniger enge Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung hat uns in der Vergangenheit einen beträchtlichen Fortschritt gebracht. Sie hat aber auch einen hohen Preis in Form von Entfremdung gefordert. Die Politik beschränkte sich in der Vergangenheit weitgehend darauf, im Namen der Menschlichkeit den Konnex zwischen Leistung und Gegenleistung ganz oder teilweise aufzugeben. Die Folge waren Wohlstandseinbußen und das Auftreten neuer Arten der Entfremdung: Wer aus den Zwängen des Marktes genommen wurde, verlor sich nicht selten in den Netzen der staatlichen Apparate. Diesen traditionellen bürgerlich-konservativen oder bürgerlich-sozialistischen Strategien stehen die „alternativen" Anläufe jener gegenüber, die meinen, man könne überhaupt auf Staat und Markt verzichten und so jeder Entfremdung entfliehen. Dieser Traum wird von der Wirklichkeit nicht honoriert werden, so wenig wie die bürgerlichen Strategien erfolgreich sein werden. Es ist illusionslos anzuerkennen und hinzunehmen, daß die arbeitsteilige Wirtschaft und der Staat unverzichtbar sind, daß damit aber auch der dort entstehenden Entfremdung nicht entgangen werden kann. Gleichfalls ist aber nicht die Hoffnung und vor allem der Versuch aufzugeben, daß es möglich ist, in und neben den sekundären Systemen des Staates und der Wirtschaft soziale Räume zu schaffen, wo der Mensch dem Menschen unmittelbar begegnen kann, er also nicht entfremdet ist, wo er die anderweitig von Entfremdung verursachten Wunden heilen kann.
Wir machen uns nichts vor: auch dies wird nicht kostenlos sein. Wir werden vermutlich um der Wohlfahrt des Menschen willen auf Wohlstand verzichten müssen, jedenfalls werden wir nicht weiterhin gedankenlos jeder Wohlstandssteigerung nachjagen können. Wir werden auch auf Sicherheiten oder jedenfalls auf scheinbare Sicherheiten verzichten müssen, wenn wir der menschlichen Begegnung jenseits von Markt und Staat wieder eine Chance geben wollen. Dies mag wenig begei9 sternd klingen, doch stellt es gegenüber einer Politik einen Vorzug dar, die — wie bislang — blind und eindimensional Wohlstand und Sicherheit zu maximieren trachtete und jetzt ratlos vor dem Ergebnis steht, daß sie beides verfehlt hat, die auch um der Menschlichkeit willen auf Effizienzsteigerungen verzichtete, aber nur letzteres erreichte, die Begrenzung der Entfremdung aber verfehlte.
Deshalb ist der Ausgangspunkt für eine neue Politik die Anerkenntnis, daß alles seinen Preis hat: der Status quo und die Alternative. Die neue Politik verursacht Kosten — wie die alte, nur andere. Die einzig ehrliche Haltung ist ein Abwägen: eine Güterabwägung. Das bedeutet: Kein Bruch mit der Vergangenheit, wohl aber Abschied von einer eindimensionalen Politik, die entweder die soziale Sicherung — über den Staat — oder das Wohlergehen der Gesellschaft — über den Markt — maximiert. Daß es der Wirtschaft gut geht, mag wichtig sein. Daß es den Menschen gut geht, ist wichtiger. Beides muß kein Widerspruch sein, ist aber auch nicht deckungsgleich.
Vielleicht müssen wir wählen, was uns wichtiger ist: eine erfolgreiche Wirtschaft oder eine erfolgreiche Gesellschaft. Gegenwärtig jedenfalls funktioniert die Wirtschaft schlecht und die Gesellschaft auch; es kann sein, daß beides miteinander zusammenhängt. Erst wenn die Gesellschaft wieder mehr „leistet", weil soziale und menschliche Bezüge wieder tragfähig geworden sind, läßt sich ein Abbau kollektiver Leistungen (weniger Steuern und Abgaben) — und damit auch eine Entlastung der Wirtschaft —vertreten. Wachsende Arbeitsteilung und damit auch wachsende Entfremdung haben sicherlich zu einer Steigerung des Wirtschaftswohlstandes beigetragen. Inzwischen aber, so scheint es, haben Arbeitsteilung und Entfremdung ein Ausmaß erreicht, das sich auch in einem sehr engen ökonomischen Sinn dysfunktional auswirkt.
Wenn es uns gelingt, die menschlichen Beziehungen in der Gesellschaft befriedigend zu gestalten, so haben wir damit auch einen wichtigen Schritt auf dem Weg aus der gegenwärtigen Krise getan. Wohl nur langsam erkennen wir, was diese Krise ausmacht. Wir haben vergessen, was die Väter der Sozialen Marktwirtschaft noch wußten: daß es „unendlich viele Dinge gibt, die wichtiger sind als Wirtschaft“ (Rüstow), daß die vitalen Interessen der Menschen „jenseits von Angebot und Nachfrage“ (Röpke) beginnen. Die Soziale Marktwirtschaft war als eine Ordnung der Gesellschaft — und nicht nur der Wirtschaft — angelegt. Sie ist in den letzten Jahrzehnten verkümmert, in der Theorie wie in der Politik. Die Soziale Marktwirtschaft zu erneuern bedeutet deshalb vor allem, ihren konzeptionellen Reichtum voll zur Entfaltung zu bringen
Es kommt darauf an, die Gesellschaft so zu gestalten, daß möglichst viele Menschen sich auch unmittelbar — also nicht ausschließlich über die Vermittlung von Markt und Staat — begegnen und „austauschen" können. Es wäre dies dann eine Gesellschaft mit menschlich reicheren Möglichkeiten.