Einleitung
Wenn von dem „anderen Israel" im folgenden die Rede sein wird, so soll das heißen, sich nicht primär mit der gegenwärtigen israelischen Regierung und ihren Entscheidungen in innen-wie außenpolitischer Hinsicht zu befassen, auch nicht mit dem Verhalten der parlamentarischen Oppositionspartei, der Israelischen Arbeiterpartei. Das „andere Israel" umfaßt alle diejenigen politisch wirkenden Kräfte in Israel, die sich den neuen Herausforderungen mit neuen Konzepten stellen, die politische wie gesellschaftliche Veränderungen aufnehmen und zum Ziel ihres Handelns ma-chen. Eine parteipolitische Fixierung auf diese oder jene Gruppe innerhalb oder außerhalb des Parlamentes würde eine unzulässige Einschränkung der Thematik darstellen.
Wandel seit 1967
Seit dem Juni-Krieg von 1967, akzentuiert dann noch durch den Krieg vom Oktober 1973, hat sich in und um Israel ein deutlich wahrnehmbarer Wandel vollzogen. Hatte man in beiden Kriegen die militärische Herausforderung durch die arabischen Staaten glanzvoll bestanden, so zeigte sich jedoch bald, daß die Anforderungen an die politisch Handelnden nach ihren militärischen Siegen größer denn je sein würden.
über Nacht war Israel, in den Mai-Tagen 1967 noch von existentieller Lebensangst gekennzeichnet, zum eindeutigen militärischen Sieger, auch zum Besatzer weiter arabischer Territorien geworden.
Bemerkenswertes Ereignis war nach 1967 das Erscheinen des Buches Siach Lochamim das als Dokument israelischer Selbstprüfung klaren Aufschluß über die „skeptischen Sieger" und ihre Bewertung des militärischen Erfolges hinsichtlich der zukünftigen Gestaltung der Politik nach 1967 gibt.
Gershom Scholem nannte diese Gespräche mit Soldaten aus den Kibbuzim in einer Rede „weitaus das erhellendste Dokument unserer geistigen Existenz, das Israel bisher hervorgebracht hat" und meint, daß „die zahlreichen Symposien der jüdischen Intellektuellen, die in Jerusalem, Paris und New York stattgefunden haben, bei aller überartikuliertheit oft von gespenstischer Irrealität" gewesen seien, vergliche man sie mit den Aussagen der jun-gen Israelis nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967.
In diesem Band wird festgehalten, daß die solidarische Erinnerung an die Leiden des eigenen Volkes in der Geschichte ein Element der Stärkung dargestellt hätte, wodurch die Kampfentschlossenheit der Israelis entscheidend mitgeprägt worden sei. Im Zusammenprall mit der politischen Realität im Nahen Osten, wie sie sich nach diesem Krieg darstellte, werden die Reflexionen über die eigene Unsicherheit und die „Schuld" am Leiden der anderen artikuliert.
In der Zeit, die auf den Krieg von 1967 folgte, kam es zu keiner politischen Lösung des anstehenden arabisch-israelischen Konfliktes. Im Gegenteil: Die Zunahme von terroristischen Anschlägen durch palästinensische Organisationen verhärtete die politische Haltung Israels. Durch die Errichtung neuer Siedlungen in den besetzten arabischen Gebieten, durch die sich allmählich entwickelnde Tendenz in Teilen der israelischen Öffentlichkeit, . keinen Zollbreit'dieser besetzten Territorien zurückzugeben, wuchs die Gefahr einer internationalen politischen Isolierung von Monat zu Monat.
Nach dem Oktober-Krieg von 1973, der in seiner Anfangsphase durchaus erfolgreich von arabischer Seite geführt wurde, brach in Israel eine vehemente Kritik an der bisher geübten Haltung der politischen und militärischen Führung des Staates los. Auf die Zeit von 1967 bis 1973 zurückschauend, werden heute von anerkannten Persönlichkeiten des militärischen wie politischen Establishments in Israel Meinungen geäußert, die überwiegend die Feststellung enthalten, daß sich die israelische Politik seit dem grandiosen militärischen Erfolg von 1967 mehr von einem Wunschdenken hat leiten lassen als von politischer Rationalität und der Bereitschaft der zu einem friedlichen Ausgleich mit Welt. arabischen Einer der Hauptkritiker der israelischen Regierungspolitik während dieses Zeitraumes war Professor Harkabi, zugleich jedoch selbst mitverantwortlich für die Mythenund Legendenbildung, wie sie seit 1967 stattfand. Als General und ehemaliger Chef der militärischen Nachrichtenabteilung in den fünfziger Jahren, dann Professor für nahöstliche Zeitgeschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem, trug er in der Zeit nach 1967 wesentlich durch Publikationen, die häufig auch als Informationsschriften von den israelischen Botschaften im Ausland weitergegeben wurden, zu einem von kulturellen und psychologischen Determinanten bestimmten Bild über die Araber bei, demzufolge eine israelisch-arabische Koexistenz nicht gelingen könne.
Den politischen, ökonomischen und sozialen Interessen der betreffenden Völker maß er in seinen Schriften kaum Bedeutung bei. Seine Betrachtungsweise folgte der des amerikanischen Orientalisten Harold W. Glidden. Auch dieser ging von einem mehr oder weniger stark ausgeprägten kulturellen und psychologischen Determinismus aus, der in dem bedui-nischen Charakter der Araber den Grund sieht, der eine rationale Auseinandersetzung zwischen Israelis und Arabern unmöglich macht.
Nicht allein diese Publikationen ließen ein deterministisches Konzept erkennen: auch die offizielle israelische Politik neigte immer mehr dazu, gemäßigte Stimmen aus der arabischen Welt zu unterschätzen, bzw. sie gar nicht erst ernst zu nehmen. Auf diese Weise lieferte Harkabi — wie manch anderer Wissenschaftler — eine „wissenschaftliche" Rechtfertigung für die Aufrechterhaltung des politischen Status quo in der Zeit von 1967 bis 1973
Erst die Veränderungen seit dem Besuch von Ägyptens Präsident Sadat in Jerusalem und der Abschluß eines ägyptisch-israelischen Friedensvertrages haben auch bei diesen Kräften, die über Jahre hinweg entscheidend den Immobilismus im Nahen Osten förderten, dazu beigetragen, sich den neuen Herausforderungen mit neuen Konzepten zu stellen. Heute zählt Harkabi zu denjenigen Kräften in Israel, Tatsachen den politischen die die von Irrationalismen streng zu trennen versuchen und sich für einen aktiven Friedensbeitrag Israels im Hinblick auf eine Verständigung mit den arabischen Nachbarn politisch engagieren. Er sieht heute in der „Frieden-jetzt" -Bewe-gung einen potentiellen Faktor zur Herstellung eines Dialoges zwischen Israelis und Ara-bern, der dem Ziel eines friedlichen Ausgleiches des Konfliktes dienen soll. In der „Frie-
den-jetzt" -Bewegung erblickt Harkabi „einen Katalysator zur gründlichen Selbsterforschung über den jüdisch-arabischen Konflikt" die der Mythen-und Legendenbildung, die nach Meinung Harkabis einen Höhepunkt mit der Machtübernahme des jetzigen Ministerpräsidenten erreicht habe entgegenwirken solle.
Der Wandel, hier kurz dargestellt am Beispiel des Generals und Hochschullehrers Harkabi, hat sich jedoch nicht nur in Richtung auf mehr Rationalität und größere Bereitschaft zu einem politischen Kompromiß mit der arabischen Welt vollzogen. Wer dies behauptet, verschließt vor einigen Entwicklungen in Israel seit 1967 bewußt die Augen. überblickt man die Zeitungsmeldungen aus Israel der vergangenen Jahre wie der Gegenwart, so wird deutlich, daß seit dem Amtsantritt der Regierung Begin ein deutlicher Schritt in Richtung ideologische Verhärtung getan wurde. Die vielen innenpolitischen Streitpunkte, über die die israelische Presse in extenso berichtet, machen deutlich, daß sich trotz aller positiven Veränderungen, z. B. im Verhältnis Israel-Ägypten, die man von einer Regierung Begin am wenigsten erwartet hatte, Binnenkonflikte anzusammeln beginnen, die in naher Zukunft entscheidend für die innere Verfassung des jüdischen Staates Israel sein werden.
Isolierung verstärkt Abwehrmechanismen
Die zunehmende internationale Isolierung, in die Israel aus verschiedenen Gründen, die hier nicht zu diskutieren sind, geriet, führte auch dazu, daß sich in Israel selbst Abwehrmechanismen entwickelten, um psychisch wie auch politisch mit dieser Situation fertig zu werden. Zum einen erhielt eine Gruppe starken Zulauf, die unter dem hebräischen Slogan „Ein brera“ (zu deutsch: wir haben keine andere Wahl) der israelischen Bevölkerung klarzumachen versuchte, daß die nicht-jüdische Umwelt — wie schon so oft in der Geschichte — den Juden keine andere Wahl ließe als das intransigente Beharren auf den jüdischen Ansprüchen — oder was als solche angesehen wurde. Gegen solche von einer zunehmend chauvinistischen Denkungsart geprägten Tendenzen versuchen Kräfte anzugehen, die sich bewußt für einen israelisch-arabischen, einen israelisch-palästinensischen Dialog einsetzen.
Diese Kräfte gruppieren sich vor allem um die israelische Monatszeitschrift New Outlook. Auf die verschiedenen Untergliederungen in beiden Gruppen wird noch zurückzukommen sein.
Zionismus oder Beginismus?
Im Februar 1973 erinnerte der damalige israelische Außenminister Abba Eban in einer Ansprache vor Absolventen der Universität Haifa daran, daß es eine Perversion des Zionismus, seiner politischen wie ethischen Werte sei, wenn man sage, daß man nicht von anderen beherrscht werden wolle, selbst aber andere — gegen ihren Willen — beherrsche. Er zitierte den Ausspruch von David Ben Gurion, der eine solche Moral eine „Hottentotten-Mentalität" genannt hatte.
Ebans Folgerungen waren eindeutig: „Wer Zionismus ausschließlich in Begriffen des Rechts, überall im Land Israel (d. h. zwischen Mittelmeer und Jordansenke) zu siedeln definiert, ohne dieses unveräußerliche Recht mit der Pflicht zum Frieden und mit dem jüdischen Charakter Israels in Einklang zu bringen — der verfälscht den Zionismus durch Verleugnung der zentralen und höchst zwingenden Imperative des Zionismus.“
Während heute die Anhänger der Gush Emu-nim-Bewegung (zu deutsch: Block der Getreu-en) vornehmlich auf das biblische Recht zur Siedlung in den seit 1967 besetzten arabischen Territorien pochen, die sie mehrheitlich als „befreite" und nicht als „besetzte" Gebiete begreifen, versuchen seit Jahren Politiker in allen Parteien und einige außerparlamentarische Gruppen den Bürgern Israels klarzumachen, daß die Bibel kein Katasteramts-Register für Juden sei.
Abba Eban schrieb in einem Beitrag für die Jerusalem Post den Propagandisten eines Groß-Israel deutliche Worte ins Stammbuch: „Die Gewohnheit, jeden Vers unserer Literatur heranzuziehen, aber jene außer acht zu lassen, die vom Frieden, von Demut und von der Brüderlichkeit aller Menschen sprechen, ist ein blasphemischer Mißbrauch der historischen und literarischen Integrität unserer Tradition.“
Hier wird deutlich, daß die ideologische Auseinandersetzung über den Zionismus und seine Bedeutung für die Ausgestaltung israelischer Politik in vollem Gange ist. Israelische Historiker sprechen denn auch bereits von einer Veränderung in Richtung „Neo-Zionismus" sehen in der Person des israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin den „letzten Mohikaner der großen alten Zioni-sten-Generation, die in der Diaspora geboren wurde"
Sein Konzept, vielfach in Israel mit dem Be-griff „Beginismus" versehen unterscheide sich in seinen strategischen, ideologischen wie politischen Zielsetzungen grundlegend von den Vorstellungen der Zionistengeneration, die in der israelischen Arbeiterpartei bis 1977 politisch aktiv gewesen sei. Hier — so meint der jüdisch-amerikanische Politologe Amos Perlmutter — liege ein fundamentaler Wan-del im zionistischen Konzept vor, denn seit Begins Amtsantritt hätten die Begriffe „Land", „Territorium" eine zentrale Bedeutung gewonnen, wohingegen die Kategorie „Mensch", bisheriger Zentralbegriff, sich diesen neuen Prioritäten unterzuordnen habe. Damit sei ein verspäteter Sieg des revisionistischen Flügels in der zionistischen Bewegung zu konstatieren, welcher „tiefgreifende Implikationen auf die Konfliktlösung nach Begin'schem Konzept“ habe.
Israel — ein orientalisches Land Verschiedentlich wird von Israel immer noch als einem Vorposten Europas im Nahen Osten gesprochen Wer sich — aus welchen Gründen auch immer — diese ideologische Brille aufsetzt oder aufsetzen läßt, verstellt sich auf solche Weise einen realistischen Zugang zu den gesellschaftlichen Problemen des jüdischen Staates. Beobachter vor Ort haben in erfreulicher Deutlichkeit bereits vor Jahren vor einer solchen Sicht gewarnt.
Die orientalische Bevölkerung Israels macht heute etwa sechzig Prozent der jüdischen Gesamtbevölkerung aus. Ein großer Teil der als Sepharden bezeichneten jüdischen Orientalen hat bis auf den heutigen Tag nicht seinen Platz in der israelischen Gesellschaft gefunden.
Trotz aller Anstrengungen und vieler beachtlicher Erfolge im einzelnen, die beim Bemühen um soziale und gesellschaftliche Integration zu verzeichnen sind, konnte die soziale und gesellschaftliche Kluft zwischen Sepharden und Ashkenasen nicht überbrückt werden.
Mit dem Knesseth-Abgeordneten Amnon Rubinstein kann allgemein formuliert werden, daß „die Disproportionen das Bild bestimmen" „Schwarze Panther" verursachen Schock Die gesellschaftliche Distanz, die zwischen beiden ethnischen Gruppen besteht, führte Ende der sechziger Jahre in Israel zu einer Bewegung, die sich „Schwarze Panther" nannte. Sie entstand aus einem Zusammenschluß von Jugendlichen aus dem Musrara-Viertel von Jerusalem, einem Armutsviertel an der Grenze zu Ost-Jerusalem. In diesem Viertel lebten überwiegend Juden aus Nordafrika und arabischen Ländern. Gekennzeichnet war dieses Stadtviertel durch besonders viele Ar-muts-und Fürsorgefälle sowie durch eine besonders hohe Kriminalitätsrate. Das Niveau der sanitären Einrichtungen und Wohnbedingungen war hier am niedrigsten. Kurz: alles, was einen Slum kennzeichnet, traf auf Musrara zu.
Welches waren die Gründe, die zu einem Zusammenschluß eines Teiles der orientalischen Juden, vornehmlich von Jugendlichen unter ihnen, führte?
Nach ihren eigenen Angaben erklärte sich ihr plötzlicher Zusammenschluß und die daraus entstandene Organisation mit der Einwanderungswelle von Juden 'aus der Sowjetunion, die zu diesem Zeitpunkt besonders groß war, „Die außerordentlichen Anstrengungen von Seiten der zionistischen Bewegung und Israel für die Einwanderung von Juden aus der Sowjetunion, das allgemeine Wohlwollen von allen Seiten, die besonderen Aufnahmebedingungen für diese Einwanderer, die die der orientalischen bei weitem überragen, dies alles erweckte Neid und Zorn bei der Mehrheit der orientalischen Juden.“ Nach massiven Demonstrationen, nach spektakulären Aktionen gegen das Establishment des jüdischen Staates, d. h. vornehmlich gegen das aus Europa und Amerika stammende Establishment, fanden die „Schwarzen Panther" im April 1971 Gehör bei den damals Regierenden. Eine Delegation der „Schwarzen Panther“ wurde am 13. April 1971 von der damaligen israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir, dem damaligen Minister für Erziehungsfragen, Yigal Allen, und dem damaligen Minister für Soziales, Michael Hazani, im Amtssitz des Ministerpräsidenten zu einem Gespräch empfangen.
Aus dem inzwischen veröffentlichten stenographischen Protokoll über dieses Gespräch soll hier auszugsweise zitiert werden, um den Eindruck wiederzugeben, der die damalige Gesprächsatmosphäre bestimmte
R. Abergil, Vertreter der Schwarzen Panther: „Wir sind nicht hergekommen, um uns über unsere persönlichen Probleme zu unterhalten. Wenn es nur um mich ginge, dann wäre ja alles in Ordnung. Aber es handelt sich um ein Problem, das die gesamte sephardische Gemeinschaft betrifft, die mittlerweile 65 % der Gesamtbevölkerung dieses Landes ausmacht. Die Situation dieser Bevölkerung ist jämmerlich. Die Leute leben mit vierhundert israelischen Pfund im Monat, und das mit Familien, die zehn und mehr Kinder haben. Das reicht nicht aus. Ich bin durch die Vororte gegangen und habe es mit eigenen Augen gesehen ... Golda Meir, Ministerpräsidentin:
Wie sind Sie auf den Namen . Schwarze Panther'gekommen? Saadia Marciano, Vertreter der Schwarzen Panther:
Es gab eine Organisation, die sich Katamon für Katamon'(Katamon ist ebenfalls ein Slum-Viertel in Jerusalem, d. V.) nannte — auch noch andere Organisationen. Aber alle diese Gruppen sind inzwischen verschwunden oder dahingedämmert. Der Name, den wir uns gegeben haben, hat die Geister wachgerüttelt.
Golda Meir:
Haben Sie diesen Namen nicht woanders gehört?
S. Marciano:
Wir wissen, wer sie (d. h. die Black Panthers in den USA, d. V.) sind. Wir wissen, daß sie die Fatah unterstützen und gegen die Juden sind.
Golda Meir:
Warum haben Sie dennoch diesen Namen gewählt?
S. Marciano:
Weil wir so einen Schock ausüben konnten, der die Geister wachrüttelte. Wir haben ihn gewählt, um endlich Krach um uns herum zu schlagen, damit man endlich reagiert ..."
In einem Aufruf der „Schwarzen Panther“, ebenfalls aus dem Jahre 1971, wird der Versuch unternommen, die von großen Teilen der israelischen Gesellschaft vorgebrachten Einwände gegen diese Organisation zu entkräften. Es heißt dort u. a.: „Man sagt, wir seien ge-gen die Einwanderung. — Falsch! Wir wären glücklich, alle Juden, die kommen wollen, hier bei uns zu begrüßen. Aber unter der Bedingung, daß ihre Einwanderung nicht zu unseren Lasten geht.
Die Neueinwanderer haben doch Wohnungen nötig! — Sehr richtig! Gebt für jedes Appartement, das Neueinwanderern zur Verfügung gestellt wird, ein Appartement für unsere Familien, die zu viert, fünft, manchmal zu sechst in einem Raum leben — und gebt es in gleich guter Qualität wie den Neueinwanderern ... Wir haben nur Angst vor dem Krieg. Wir benötigen eine lange Periode ohne das Dröhnen von Kanonen. Nur ein Krieg gegen einen äußeren Feind kann uns daran hindern, die Schlacht um die Gerechtigkeit in diesem Staate zu gewinnen.“
Die Situation der sephardischen Mehrheit der israelischen Bevölkerung wird neben der ökonomischen, sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Unterprivilegierung auch noch dadurch erschwert, daß der orientalischen Bevölkerung ein besonders gestörtes Verhältnis zur arabischen Umwelt nachgesagt wird. Sie gelten „allgemein als die chauvinistischsten von allen Israelis, die kriegslüsternsten unter denjenigen, die eine Annexion der besetzten Gebiete vorhaben"
Die Tatsache, daß die Partei des israelischen Ministerpräsidenten Begin sich sowohl 1977 als auch 1981 bei den jeweiligen Knesseth-Wahlen mehrheitlich auf die Stimmen der orientalischen Bevölkerung stützen konnte, mag zunächst erstaunlich sein, da doch Begin mit seiner Person europäischen Traditionen nähersteht als dem orientalischen Judentum. Aber die Beobachter der innerisraelischen Szene sind sich einig darin, daß einer der Gründe für das Wahlverhalten der orientalischen Bevölkerungsmehrheit im intransigenten Verhalten Begins gegenüber der arabischen Welt zu suchen ist. Auch die betriebene „Argumentation“ mit Simplifikationen und Stereotypen, die der Komplexität der Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern nicht gerecht wird, ist als weiterer Grund anzusehen. „Die Rechte spricht über Sicherheit und Macht in sehr einfachen Begriffen — Gewehr und Land. Unser Konzept von Sicherheit ist viel komplexer und differenzierter. Es beruht auf Stärke und Gerechtigkeit unserer Gesellschaft und darauf, äußere Faktoren, die Konflikte hervorbringen können, auszuschließen. Ein solches Konzept ist aber viel schwieriger zu erklären", sagt ein Vertreter der „Frieden jetzt" -Bewegung
Nach einem Wahlkampf, der stellenweise die Dimension eines israelischen Kulturkampfes anzunehmen drohte, erhielt der Parteien-Block des LIKUD um Ministerpräsident Begin 1981 zwar nicht die absolute Mehrheit, aber auch dieses Mal gewann diese Gruppierung Stimmen hinzu. Auch 1981 gelang es dem Führer des LIKUD-Blocks, durch den Appell an die weit verbreiteten Ressentiments der orientalischen Juden gegen das sozialdemokratische Establishment Stimmen für sich zu mobilisieren. . Juden aus den arabischen Ländern, die — objektiv gesehen — zu den . Underdogs'der Gesellschaft gehören, zeigen sich für die nationalistische Rolle Begins empfänglich. Vermutlich kompensieren sie ihre niedrige so-ziale Stellung, indem sie auf die Araber herabblicken. Begins Haß gegen das sozialdemokratische Establishment — die Gewerkschaft, die Kibbuzim, die Arbeiterpartei — entspricht auch ihrer Gefühlswelt. Denn es war eben dies Establishment, mit dem sie sich, als sie ins Land kamen, während des Prozesses der politischen Sozialisation konfrontiert-sahen."
Orientalen: Brücke zu den Arabern?
Das politische Verhalten dieser Bevölkerungsmehrheit ausschließlich in einem Antagonismus zum europäisch-amerikanischen Establishment Israels begreifen zu wollen, hieße allerdings die Vereinfachung der politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse in Israel zur Maxime der Beurteilung zu machen. Gleiches gilt für das Verhältnis der Sepharden zur arabischen Bevölkerung.
An einigen Beispielen soll daher deutlich gemacht werden, daß die orientalische Bevölkerung des jüdischen Staates keineswegs nur in diese Stereotypen einzuordnen ist, wenn auch obige Beschreibung als vielfach zutreffend für den augenblicklichen Stand der Rolle der Juden orientalischer Herkunft angesehen werden kann.
Prozesse wie solche der Integration der Orientalen in die demokratische Gesellschaft Israels lassen sich kurzfristig nicht erreichen. Die Hoffnung vieler Israelis, schon die physische Präsenz der orientalischen Juden in Israel werde ein entscheidender Faktor bei ihrer gesellschaftlichen Integration darstellen, hat sich als Wunschdenken herausgestellt. Die „Schmelztiegel-Ideologie“ wurde bald zugunsten der autonomen kulturellen Mehrschichtigkeit in der israelischen Gesellschaft aufgegeben.
Hier liegen die Chancen für eine zukünftige Entwicklung friedlicher, auf Austausch und Komplementierung gerichteter Beziehungen zwischen dem arabischen Raum und Israel als jüdischem Staat in dieser Region. Ein Beispiel mag verdeutlichen, was sich als Entwicklung abzeichnet.
Während der ersten israelischen Journalisten-Reise nach Kairo im Rahmen des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages machte einer der teilnehmenden israelischen Journalisten, Shlomo Inbari, in Kairo folgende Äußerung: „Ich bin ein arabischer Jude. Hier, in Kairo, fühle ich mehr sehr wohl.“
Nach seiner Rückkehr nach Israel befragt, was er damit habe zum Ausdruck bringen wollen, erläuterte Inbari: „Ich wurde im Irak geboren, einen Teil meines Studiums absolvierte ich in Kairo. Ich bin tief in der arabischen Kultur verwurzelt. Ich spreche die Sprache, ich liebe arabische Musik. Es ist wahr: ich bin Israeli von der Nationalität her, Jude vom Glauben her. Aber es beengt mich in keinerlei Weise, von arabischer Kultur und Zivilisation zu sein." Es ist daher durchaus verständlich, wenn der Herausgeber der israelischen Tageszeitung Yedioth Aharonot angesichts des guten Zurechtkommens seiner sephardischen Journali-sten-Kollegen während des Kairo-Besuches im Dezember 1979 fragt: „Was wird mit der israelischen Gesellschaft geschehen, wenn wir mit den Arabern Frieden haben werden? Zu einem Zeitpunkt, in dem in unserem Land sich die Mehrheit der Israelis den Arabern näher fühlt als den ashkenasischen Juden? ” Trifft die Meinung eines jungen Kraftfahrzeug-Mechanikers aus Kiryat Gat zu, der über die Möglichkeiten eines friedlichen Zusammenlebens von Juden und Arabern in dieser Region der Welt sagt: „Wir kennen die Araber doch einigermaßen gut. Wir werden in der Lage sein, mit ihnen zusammenzuleben. Sogar besser als mit den Leuten, mit denen wir heute Zusammenleben."
Rolle der religiösen Orthodoxie Im gesellschaftlichen Leben hatte sich über Jahrzehnte hinweg ein spannungsreicher, labiler Kompromiß zwischen den Säkularisten und den Orthodoxen eingestellt. Erst in jüngster Zeit scheint dieser Kompromiß in Frage gestellt zu werden, nachdem die Kräfte des religiösen Fundamentalismus, die nur eine Minderheit darstellen, deutlich an politischem Einfluß gewonnen haben.
Betrachtet man die Wahlergebnisse der letzten Jahre, so mag eine solche Feststellung überraschen, ist doch bei den Wahlen zur letzten Knesseth am 30. Juni 1981 die Stimmen-zahl der religiösen Parteien zurückgegan-gen
Da die Mehrheitsfraktion des LIKUD jedoch auf eine Koalition mit den religiösen Parteien angewiesen ist, um die Regierung stellen zu können, haben die orthodox-religiösen Parteien ein überproportionales Gewicht in der neuen Koalitionsregierung erringen können. Seit Gründung des Staates Israel war’ ersichtlich, daß die kleinen religiösen Parteien durch Zugeständnisse im Bereich der Innenpolitik an die jeweilige Mehrheitsfraktion gebunden werden mußten. Die verschiedenen Regierungen der Arbeiterpartei seit Ben Gurion haben sich in dieser Hinsicht nicht anders verhalten als die jetzige Regierung Begin. Allerdings war die Stellung der religiösen Orthodoxie in Israel nie so stark wie in der Gegenwart, wo die Gefahr einer theokratischen Ausrichtung des Staatswesens nicht mehr geleugnet wird. Die weithin säkularisierte und zu einem großen Teil religiös indifferente Gesellschaft Israels sieht sich der Gefahr einer religionsgesetzlichen Majorisierung durch eine militante Minderheit ausgesetzt. Die Proteste dagegen werden denn auch immer vernehmlicher.
In einem Aufruf mit dem Titel „GENUG“ protestieren Vertreter der säkularisierten Mehrheit gegen eine solche Entwicklung. Sie weisen unter anderem darauf hin, daß die Respektierung der Wünsche der religiös-orthodoxen Gruppen den israelischen Steuerzahler teuer zu stehen kommt: „Wo immer eine kleine Gruppe von Orthodoxen heute einzieht, die Nachbarschaft hat sich religiös auszurichten. Am Schabbat gellen Schreie nach Schabbat-Ruhe durch die Straßen. Bald wird der Staat dafür zu zahlen haben, daß ein religiöser Kindergarten und eine religiöse Schule werden errichtet müssen — auf Kosten des israelischen Steuerzahlers, selbst wenn es nur ein paar Religiöse in der ganzen Nachbarschaft gibt.“
Unterstützung fanden diese religiösen Fundamentalisten vorwiegend bei Orthodoxen aus den USA die sich offen als Anti-Zionisten bekennen und die angebliche Unterdrückung ihrer Glaubensbrüder durch die israelische Regierung anprangern
Selbst die Gruppen der religiösen Orthodoxie, die sich zum Zionismus bekennen und den Staat Israel akzeptieren, begreifen den zionistischen Anspruch auf das Land Israel (hebräisch: Erez Israel) vornehmlich als Realisierung der göttlichen Verheißung. Ihre ideologische Nähe zu den revisionistischen Gruppierungen innerhalb der zionistischen Bewegung ist deutlich erkennbar.
So haben Gruppen von orthodoxen Juden, die sich im Gush Emunim zusammenfanden, nie Zweifel daran aufkommen lassen, daß die territorialen Veränderungen seit 1967 für sie niemals nur unter politischen und militärischen Gesichtspunkten betrachtet werden sollten, sondern vielmehr unter ideologischen Aspekten zu sehen seien.
Bereits kurz nach Ende des Krieges von 1967 konstituierte sich eine Gruppe unter der Bezeichnung „Bewegung für ein größeres Israel", welche die besetzten arabischen Territorien, vor allem die jordanische „West Bank“, zum integralen Bestandteil des Staates Israel erklärten. Sie begründeten — wie die Vertreter von Gush Emunim heute — ihren Anspruch mit dem Recht auf Rückkehr in die alte Heimat der Juden. Für sie bestand und besteht kein Zweifel daran, daß die Juden größere historische Rechte in Hebron besitzen als z. B. in Tel Aviv.
In welchem Maße sich die Anhänger einer sol-chen Konzeption politisch durchsetzen können, wird aus der Tatsache ersichtlich, daß seit 1967, also schon während der Regierungszeit der Arbeiterpartei, Entscheidungen getroffen wurden, die vielfach als ein Nachgeben gegenüber den nationalistischen Elementen der Orthodoxen gewertet werden müssen. Die jüngste Entscheidung der israelischen Regierung, den Terminus „West Bank“ für die besetzten jordanischen Territorien aus dem offiziellen Sprachgebrauch zu eliminieren und grundsätzlich durch Judäa und Samaria, den alten biblischen Bezeichnungen dieses Gebietes, zu ersetzen, zeigt an, daß die ideologische Ausrichtung des Gush Emunim durchaus nicht auf diese Gruppe beschränkt bleibt.
Zum Verhältnis von Juden und Arabern in Israel
In der am 14. Mai 1948 verbreiteten Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel ist hinsichtlich der im Lande lebenden Araber formuliert worden: „Der Staat Israel ... wird all seinen Bürgern ohne Unterschied der Religion, der Rasse oder des Geschlechts soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen ... Wir wenden uns — selbst inmitten der mörderischen Angriffe, denen wir seit Monaten ausgesetzt sind — an die in Israel lebenden Araber mit dem Aufruf, den Frieden zu wahren und sich aufgrund voller bürgerlicher Gleichberechtigung und entsprechender Vertretung in allen provisorischen und permanenten Organen des Staates an seinem Aufbau zu beteiligen."
Die ideologische Grunddisposition des Staates Israel ist in dieser Unabhängigkeitserklärung eindeutig als jüdischer Staat beschrieben. Hieraus resultieren bis auf den heutigen Tag Konflikte und Probleme im Zusammenhang mit der arabischen Bevölkerung auf seinem Staatsgebiet, die trotz aller formalen staatsbürgerlichen Gleichberechtigung nicht gelöst werden konnten. Der ehemalige stellvertretende Minister für Gesundheitsfragen in Israel, Abdul Aziz Zuabi, gelegentlich als der „ranghöchste israelische Araber" bezeichnet, Mitglied von MAPAM, formulierte dieses tief-greifende Dilemma so: „Meine Zweifel (an einem friedlichen Zusammenleben von Juden und Arabern im Staat Israel, d. V.) als israelischer Araber rühren von der Situation her, in der sich mein Volk in einer Kriegssituation mit meinem Land, nämlich Israel, befindet.“
Es ist daher nicht verwunderlich, daß sich vor allem seit 1967 das Problem der nationalen Identität und der staatsbürgerlichen Loyalität für die in Israel lebenden Araber drängender stellt als vor Beginn des Krieges von 1967. Nach dem Waffenstillstand ergab sich für viele israelische Araber seit 1948 zum ersten Mal die Möglichkeit, mit Verwandten, Freunden, die das israelische Staatsgebiet verlassen hatten, zusammenzutreffen.
Die Entwicklung eines verstärkten palästinensischen Nationalbewußtseins ging mit dieser Entwicklung auch bei Teilen der im israelischen Staatsgebiet lebenden Araber Hand in Hand. Die Tatsache, daß weite Teile der arabischen Bevölkerung Israels sich loyal zum Staat und seinen Einrichtungen in der Zeit von 1948 bis 1967 verhalten hatten, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich in Israel von Beginn an zwei Gesellschaften entwickelt haben, die nur wenig Kontakte untereinander pflegen:
eine jüdische und eine palästinensisch-arabische. Aufgrund der ideologisch-politischen Festlegung Israels als jüdischer Staat sind gruppen-spezifischer Pluralismus und eine gleichberechtigte Partizipation an gesellschaftlicher wie politisch-institutioneller Macht zwar immer Forderungen von jüdisch-zionistischen wie auch arabischen Gruppen gewesen: gesellschaftliche Realität — wie in der Unabhängigkeitserklärung postuliert— wurden sie jedoch nicht.
In den letzten Jahren hat sich das Verhältnis zwischen Juden und Arabern in Israel eher verschlechtert als verbessert. Trotz einer unbestreitbaren materiellen Verbesserung des Lebensstandards der israelischen Araber in den Jahren seit der Staatsgründung Israels nehmen die Konflikt-und Problembereiche eher zu.
In verstärktem Maße sind die israelischen Araber in ihrer Rolle als nationale Minorität in den letzten Jahren sensibilisiert worden;
dies hängt sicherlich auch mit der in Gang befindlichen Diskussion um die Lösung des Palästinenser-Problems im Rahmen einer Lösung des nahöstlichen Konfliktes zusammen. Aber auch Pläne und ausgeführte Entscheidungen der israelischen Regierungen haben dazu beigetragen, daß sich das Verhältnis zwischen Juden und Arabern verschlechterte. So wurden vor Jahren zunächst Pläne zur soge-nannten Judaisierung Galiläas, wo über die Hälfte der israelischen Araber lebt, bekannt.
Für viele war dies gleichbedeutend mit Plänen für eine Enteignung von Boden. Als die arabische Bevölkerung sich in einem Protest gegen solche Maßnahmen zur Wehr setzte, kam es zu blutigen Zuammenstößen mit der Polizei. Auf Seiten der protestierenden und demon‘strierenden Araber gab es Tote
Maßnahmen gegen sogenannte „wilde Bebauung" riefen ebenfalls massive Protestaktionen hervor. Da aufgrund des Fehlens von Bauplänen zur Erweiterung bestehender arabischer Siedlungen die wilde Bebauung an den Siedlungsrändern begünstigt wurde, entstanden auf diese Weise mehr als tausend Häuser ohne behördliche Genehmigung. Viele sind inzwischen wieder abgerissen worden. In jüngster Zeit werden zunehmend Berichte über Spannungen zwischen jüdischen und arabischen Studenten an den israelischen Hochschulen bekannt
Auffallend sei, so ist Äußerungen jüdischer Studenten zu entnehmen, daß verschiedene rechtsgerichtete Gruppierungen wahllos auf zwei Gruppen unter den Studenten ein-schlagen: „auf die arabischen Studenten per se, und auf die Juden, die linke Parteien unter-stützen"
Bereits vor Jahren warnte der ehemalige Minister Moshe Kol vor den Gefahren einer zunehmenden Entfremdung zwischen den arabischen Studenten und der jüdisch-israelischen Gesellschaft. Er sah vor allem eine Gefahr darin, daß sich die mangelhafte Sensibilität diesem Problem gegenüber auf israelischer Seite als Verstärkungsmoment in der Hinwendung zu palästinensischen Organisationen wie der PLO erweisen könnte denn „palästinensisches Bewußtsein ist im Wachsen begriffen und die Enttäuschung über den Staat Israel ist ganz und gar offenkundig".
Schwierigkeiten als Ausrede Angesichts der bestehenden Konfliktsituation mit der Mehrzahl der arabischen Staaten und der ungelösten Palästinenser-Problematik fällt es vielen Israelis schwer, in der Verbesserung der Beziehungen zwischen Juden und Arabern im eigenen Land einen entscheidenden Schritt in Richtung auf eine Entschärfung des Konfliktes zu erkennen. Das Gefühl, die im Lande lebenden arabischen Mitbürger könnten sich letzten Endes doch noch als eine „fünfte Kolonne" erweisen, schwingt oft in Gesprächen mit, wenn es um die Integration von Arabern betreffende Fragen geht.
Vielfach wird das Argument vorgebracht, eine entscheidende Veränderung im Sinne einer Verbesserung sei erst dann denkbar, wenn der israelisch-arabische bzw.der israelisch-palästinensische Konflikt gelöst sei.
Gegen eine solche Vorstellung wendet sich vor allem der Kreis von Juden und Arabern, der sich um die Zeitschrift New Outlook gebildet hat. Verschiedene andere — lokal wie national ausgerichtete — Organisationen wie das im Dezember 1980 gegründete „Jüdisch-Arabische Komitee", in dem mehrere Parlamentsabgeordnete oppositioneller Minderheitsparteien, Mitglieder von MAPAM sowie eine Reihe von Hochschullehrern aktiv als Kern einer breiten Bewegung für die Aufhebung von Diskriminierungen gegen die arabische Minderheit mitarbeiten, sind Ausdruck eines israelischen Unbehagens über die allgemeine Situation der arabischen Mitbürger. David Shaham, einer der führenden Persönlichkeiten in dieser Gruppierung um New Outlook, schrieb in einer Rezension des in Israel viel beachteten Buches von Sabri Jiryis, einem israelischen Araber, der Israel verließ und heute aktiv in den Reihen der politischen Führungsschicht der PLO arbeitet: „Was viele Israelis nicht ertragen können, sind nicht die bekannten Tatsachen über die Behandlung der lokalen Araber, sondern ist vielmehr der Schluß daraus, daß mit Israel selbst etwas nicht in Ordnung ist ... Es sollte unsererseits endlich begriffen werden, daß dadurch, daß wir das Problem der israelischen Araber an die Lösung des israelisch-arabischen Konfliktes binden, wir nur nach einem guten Grund für eine Ausrede suchen, um nicht energisch genug an einer Lösung mitzuarbeiten. Auf diese Weise verlängern wir nur die Agonie." Shaham formuliert so eine der Grundeinsichten derjenigen in Israel, die sich als Alternative zur bisherigen Ausrichtung der Politik verstehen.
Kein Rückfall in den Mythos vom „nationalen Konsens"
Seit dem Besuch des ägyptischen Präsidenten Sadat in Israel im November 1977 haben sich die Kräfte, die auf einen politischen Ausgleich zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn als einzige Lösungsmöglichkeit setzen, verstärkt zu Wort gemeldet.
Mochte es zunächst so scheinen, als ob der „nationale Konsens" wieder zu einem Hauptcharakteristikum israelischer Demokratie werden könnte, um die Chance zu einem Friedensabkommen zwischen Israel und Ägypten in die politische Realität umzusetzen, so zeigte sich bald, daß diese vermeintliche israelische Tugend, die sich in den Augenblicken der existentiellen Bedrohung stets bewährt hatte, jetzt nicht erneut strapaziert werden konnte. Der Prozeß der „Entmythologisierung“, der in Israel seit dem Oktober-Krieg von 1973 begonnen hatte und der als eine notwendige Bedingung für eine auf Rationalität und politischem Interessenausgleich beruhende Lösung des Konfliktes angesehen werden muß, schuf in Israel selbst wieder die Möglichkeit, daß Gruppen unterschiedlicher Herkunft miteinander in einen Dialog traten.
Eine neue, nicht mehr vom Diaspora-Erlebnis und dem Holocaust geprägte Generation betrat die politische Bühne. „Sie ist vom Israelismus'geformt, ihr Umweltproblem ist nicht die Auseinandersetzung mit abendländischen oder orientalischen Judenverfolgungen, ihr Umweltproblem ist der Konflikt mit den Arabern ... Die neue Israel-Generation ... wird durch die Dauerspannung und die gerade durch diese Dauerrüstung entstandenen überdimensionalen persönlichen und volkswirtschaftlichen Belastungen der Kriege müde:
Man begibt sich auf den Weg zum Fernziel:
sich auf Dauer in der Nahost-Gesellschaft zu etablieren auf der Basis des Nebeneinander."
Als am 7. März 1978 zunächst zehn Offiziere der israelischen Armee einen Brief an Ministerpräsident Begin schrieben und darin die Sorge zum Ausdruck brachten, daß die von Sadat eröffnete Möglichkeit einer israelisch-arabischen Verständigung durch inadäquate israelische Reaktionen vertan werden könnte, schlossen sich dieser Aktion kurz darauf weitere 350 Offiziere an. In Tel Aviv demonstrierten wenige Tage später 40 000 Personen auf eindrucksvolle Weise für die Fortsetzung des israelisch-ägyptischen Dialoges.
Diejenigen Kräfte in der israelischen Gesellschaft, die sich seit Jahren für einen israelisch-palästinensischen Dialog eingesetzt hatten, sahen nun die Chance gekommen, diese Notwendigkeit in aller Öffentlichkeit vorzutragen. Hatten bisher Kontakte zu Vertretern der palästinensischen Bevölkerung und der palästinensischen Organisationen, mehr oder weniger im Verborgenen stattgefunden und waren bei der Mehrheit der israelischen Bevölkerung auch auf eindeutige Ablehnung, ja Empörung gestoßen, so begann nun ein Umdenken in dieser Frage einzusetzen.
Die Tatsache, daß sich eine Reihe prominenter Militärs, unter ihnen General Yariv, der israelische Verhandlungsführer beim Truppenentflechtungsabkommen am berühmt gewordenen Kilometerstein 101 im Sinai, Wissenschaftler, Schriftsteller und auch Politiker für Verhandlungen mit den Palästinensern aus-sprachen, machte deutlich, daß von einem nationalen Konsensus in dieser Frage keine Rede mehr sein konnte. Das „andere Israel“ begann schärfere Konturen anzunehmen. Bereits mehr als ein Jahr zuvor hatten sich Israelis auf Einladung der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden zu einer Art „nationaler Selbstbefragung" zusammengesetzt und nach Lösungsmöglichkeiten des Konfliktes zwischen Juden und Arabern Ausschau gehalten. In einem eindrucksvollen Dokument wurde 1977 das Protokoll vorgelegt, das in seiner Teilnehmerliste schon einige Namen aufführt, die heute in der israelischen Friedensbewegung für ein „anderes Israel“ auftauchen: Harkabi, Shaul Friedländer, Y. Porat, David Shaham, Shimon Shamir.
Die Rolle der israelischen Schriftsteller wie der Intelligentia verdiente es, in einem besonderen Beitrag gewürdigt zu werden. Wenn auch hier — wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen Israels — Heterogenität die allgemeine Zustandsbeschreibung ist, so kann doch mit Recht von einem deutlichen Trend in Richtung auf die Vorbereitung eines friedlichen Nebeneinanders von Juden und Arabern gesprochen werden.
In der jüngeren israelischen Literatur stehen die Namen von Amos B. Yehoshua und Amos Oz für diese Tendenzen: ihr Engagement, in der Theorie wie im Leben, bereitet geistig die neueste bedeutsame Entwicklung in Israel vor: die Aussicht auf eine friedliche Lösung des Konflikts. Seit dem Yom-Kippur-Krieg sind die verhärteten Fronten in Bewegung gekommen, und seit dem Sadat-Besuch in Jerusalem, im November 1977, scheint trotz aller Rückschläge diese Entwicklung unaufhaltsam geworden zu sein.“
So war es denn auch Amos Oz, der anläßlich eines israelisch-palästinensichen Symposiums in Tel Aviv seinen israelischen wie palästinensischen Mitstreitern für eine solche Entwicklung der friedlichen Koexistenz in aller Deutlichkeit vor Augen führte, daß guter Wille allein nicht ausreiche, um dieses Ziel zu erreichen. Entscheidend sei, daß beide Seiten Stereotypen, die sich vom jeweils anderen herausgebildet haben, durchbrechen müßten, um einen Zustand des gegenseitigen Vertrauens zu schaffen. Solange es noch auf beiden Seiten berechtigte Furcht vor dem anderen gebe, könne es in dieser lebenswichtigen Frage für beide Völker keine Lösung geben Ferner ist innerhalb dieser neuen Entwicklung zu beobachten, daß sich auch religiöse Kräfte innerhalb des Judentums in Israel in verstärktem Maße von den nationalistischen Kräften um den Gush Emunim distanzieren. Seit einiger Zeit ist zu erkennen, daß sich in der breitgefächerten Sammlungsbewegung des „anderen Zionismus" eine gegenläufige Tendenz zu Wort meldet, welche unter dem Signum „Oz Weschalom“ (zu deutsch: Kraft und Frieden) auf der Grundlage der jüdischen Tradition eine friedliche Koexistenz mit den palästinensischen Arabern anstrebt.
Ihr Sprecher, Professor Uriel Simon, formuliert den Gegensatz zu Gush Emunim so: „Das jüdische Volk ist erwählt worden, um mehr Verpflichtungen anstatt mehr Rechte zu übernehmen. Während ein Anhänger von , Gush Emunim'sagen wird, daß die Araber keine nationalen Rechte im Lande haben, erklären wir, daß es unsere Aufgabe ist, gegenüber den Arabern volle Gerechtigkeit zu üben ... Wir glauben, daß das jüdische Volk mit seinem schweren Schicksal als verfolgte Minderheit einen Staat aufbauen muß, der mit anderen ethnischen Minoritäten in Frieden lebt. Nicht die Größe des Landes bildet den Maßstab für den Erfolg oder den Mißerfolg des Zionismus, sondern seine Qualität entscheidet.“
Israel am Scheideweg
In den letzten Jahren häuften sich die besorgten Stimmen prominenter Israelis und zionistischer Führer, wenn sie über die zukünftige Entwicklung der israelischen Gesellschaft sprachen. Nicht erst seit dem Regierungswechsel im Jahre 1977 mehren sich kritische Äußerungen von Freunden Israels in aller Welt Vor schwere innen-wie außenpolitische Entscheidungen gestellt, braucht Israel, als junger Staat mehrfach zu seiner Existenzverteidigung in Kriege mit den arabischen Staaten gezwungen, zu seiner inneren Konsolidierung Frieden.
Bleibt dieser aus, so nimmt die Attraktivität des jüdischen Staates für seine Bürger ab. Die Zahl der Juden, die Israel verlassen, um in einem anderen Land unter besseren Bedingungen zu leben, hat 1981 eine Rekordmarke erreicht: Zum ersten Mal in der Geschichte des Staates Israel ist die Auswanderungsquote gleich groß wie die Zahl der Einwanderer. Reagierte ein Teil der israelischen Bevölkerung so, weil er keine Perspektive sah? Trifft zu, was Abba Eban vor Jahren so formulierte: „In Israel gibt es ein Übermaß an Problemen, leider jedoch einen Mangel, was ihre Lösungen anbelangt."?
Wer das demokratische Israel kennengelernt hat, wird mit Überzeugung die Meinung vertreten, daß diese Gesellschaft aus sich heraus die Kraft finden wird, die schweren Belastungen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft zu bestehen.
In Israel ist die Diskussion um die Zukunftsgestaltung des Staates und seiner Gesellschaft in vollem Gange. Ob schließlich ein „anderes Israel" am Ende dieser Entwicklung stehen wird, vermag heute niemand zu prophezeien. In der Vergangenheit haben das jüdische Volk und die zionistische Bewegung bewiesen, daß sie zu historischen Kompromissen fähig sind. Die Vitalität der israelischen Demokratie und seiner Institutionen läßt hoffen, daß nationalistische Tendenzen und eine Verfälschung der zionistischen Ideale nicht die bestimmenden Elemente dieses „anderen Israel" sein werden.
Auch die Rückbesinnung auf die Tradition und die Werte des politischen Zionismus können hilfreich bei der Formulierung einer realistischen Politik im Nahen Osten sein.
Chaim Weizmann umschrieb 1931 eine solche Politik mit diesen Worten: „Wirklichkeitspolitik ist, wie die Dinge der Mechanik, von einer goldenen Regel beherrscht: Man kann aus den Dingen nur das herausbekommen, was man ineintut.“
Um den Frieden herauszubekommen, müssen beide Seiten die Bereitschaft dazu „hinein-tun“.