Parteiordnungsmaßnahmen und innerparteiliche Demokratie
Karl-Heinrich Hasenritter
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Zusammenfassung
Auf eine Veränderung der Parteienlandschaft deuten auch Parteiordnungsmaßnahmen hin, wie sie zuletzt gegen den Friedensforscher Mechtersheimer und den Bundestagsabgeordneten Hansen ergangen sind. Die empirische Analyse zeigt: Parteiordnungsmaßnahmen werden als Mittel der innerparteilichen Konfliktaustragung zwar nur selten eingesetzt, haben aber gleichwohl eine erhebliche politische Bedeutung. Besonders exponierte Mitglieder werden stellvertretend für die hinter ihnen stehende politische Gruppierung „bestraft". Die verfassungsrechtliche Bewertung der Zulässigkeit von Parteiordnungsmaßnahmen weist auf Zielkonflikte hin. Vor allem das innerparteiliche Demokratiegebot eröffnet den Parteimitgliedern umfassende Möglichkeiten der Teilnahme und Teilhabe an politischen Diskussionsund Entscheidungsprozessen, die durch administrative Maßnahmen der Parteiorganisation nicht abgeschnitten werden dürfen. Den Parteien stellt sich aber auch die Aufgabe, den innerparteilichen Mehrheitswillen gegenüber den Bürgern zu verdeutlichen und in staatliches Entscheidungshandeln umzusetzen. Ein Mindestmaß an innerparteilicher Integration muß gewährleistet sein. Im Parteialltag steht die Forderung nach einer „Willensbildung von unten nach oben“ dem Führungsanspruch der Parteivorstände häufig unvermittelt gegenüber. Gerade angesichts der Legitimationsdefizite unseres Parteiensystems erscheint es unabdingbar, daß die Entscheidungen über die grundlegende politische Richtungsbestimmung einer Partei (Innovationsentscheidungen) nach einem breiten Diskussionsprozeß von unten nach oben fallen.
I. Die aktuellen Konflikte
Das Parteiensystem der Bundesrepublik ist in Bewegung geraten. Das belegen nicht nur Wahlerfolge „grüner" Parteien, sondern auch Aus-und Abgrenzungsprobleme, vor denen die Volksparteien im Zusammenhang mit diesen Veränderungen stehen.
Zwei prominente Kritiker des NATO-Nachrü-stungsbeschlusses, der Friedensforscher Alfred Mechtersheimer (CSU) und der Bundestagsabgeordnete Karl-Heinz Hansen (SPD), sind aus ihren Parteien ausgeschlossen worden. Diejenigen F. D. P. -Mitglieder im Berliner Abgeordnetenhaus, die gegen das Votum eines Parteitages den CDU-Minderheitensenat unterstützen, hat das Parteigericht der Berliner F. D. P. mit zeitlich begrenzten, innerparteilichen Funktionsverboten belegt.
Die Entscheidungsbegründung aus Berlin liegt noch nicht vor. Ich habe an anderer Stelle dargelegt, welches die tragenden Gründe für den Ausschluß von Hansen und Mechtersheimer gewesen sind, und versucht einzuschätzen, ob die Ausschlußbegründungen durch die Regelungen des Parteiengesetzes zum Parteiausschluß abgedeckt sind
Zwei knappe, kritische Anmerkungen seien an dieser Stelle erlaubt:
— Hansen hatte im Vorfeld des Parteiordnungsverfahrens immer wieder versucht, zu belegen, daß seine Vorwürfe gegenüber führenden Repräsentanten seiner Partei in der Sache berechtigt seien, und sich für seine Position vor allem auf Parteitagsbeschlüsse der SPD berufen. Die Bundesschiedskommission der SPD löst in ihrer Begründung den Fall wei-testgehend von diesem politischen Hintergrund ab und reduziert ihn auf eine Stil-und Umgangsfrage.
Ebenso bleibt die Entscheidungsbegründung im Falle Mechtersheimer weitgehend formalen Abgrenzungsprozeduren gegenüber außerparlamentarischen Gruppierungen verhaftet und vermeidet eine Auseinandersetzung mit Mechtersheimers Kritik am innerparteilichen Erscheinungsbild seiner Partei.
— In beiden Entscheidungsbegründungen mangelt es an einer fundierten rechtlichen Auseinandersetzung darüber, ob die Bestimmungen des Grundgesetzes (vor allem das innerparteiliche Demokratiegebot) und das Parteiengesetz (schwerer Verstoß gegen Grundsätze oder Ordnung einer Partei als Voraussetzung für den Parteiausschluß) einen Ausschluß rechtfertigen konnten.
Im folgenden möchte ich kurz auf die tatsächliche Bedeutung von Parteiordnungsmaßnahmen als Instrument innerparteilicher Konfliktaustragung eingehen sowie die verfassungsrechtliche Dimension von Parteiordnungsverfahren skizzieren.
Bei einer konkretisierenden Interpretation des innerparteilichen Demokratiegebots im Hinblick auf die beschriebene Konfliktlage versagen klassische rechtswissenschaftliche Methoden weitgehend. Ein derart komplexer Begriff läßt sich in seinem Bedeutungsgehalt nur unter Einbeziehung aktueller Problemstellungen der Parteiensoziologie und der politikwissenschaftlichen Demokratietheorie erfassen.
II. Zur tatsächlichen Bedeutung von Parteiordnungsverfahren
Von Ende 1976 bis Mitte 1978 habe ich eine schriftliche und zum Teil mündliche Befra-gung aller Parteischiedsgerichte von CDU, F. D. P. und SPD durchgeführt und ergänzend Parteiakten und Pressearchive analysiert. Setzt man die Gesamtzahl der Verfahren in den jeweiligen Parteigliederungsebenen in Beziehung zu den Mitgliederzahlen von CDU, F. D. P. und SPD, so ergeben sich Zahlenverhältnisse, aus denen auf die völlige Bedeutungslosigkeit der Schiedsgerichtsbarkeit als Instrument innerparteilicher Konfliktaustragung geschlossen werden könnte.
Dagegen spricht zum einen, daß die große Masse der inaktiven Parteimitglieder, sieht man von der Möglichkeit mangelnder Beitragszahlung einmal ab, von vornherein nicht in parteiinterne Konflikte verwickelt ist. Zum anderen wird die Parteischiedsgerichtsbarkeit als Instrument innerparteilicher Konfliktaustragung nach allen bisher vorliegenden Erfahrungen zumeist nur exemplarisch eingesetzt Besonders exponierte Mitglieder werden stellvertretend für die hinter ihnen stehende politische Gruppierung „bestraft“. Vergleicht man die tatsächliche bzw. hochgerechnete Anzahl der Verfahren pro Jahr in den in die Befragung miteinbezogenen Gliederungsebenen der Parteien, so zeigt sich, daß auf der Kreis-bzw. Unterbezirksebene die SPD mehr als doppelt so viele Parteiordnungsverfahren hat wie die CDU.
Auf der Landes-bzw. Bezirksebene kommt es in der SPD etwa neunmal so häufig zu Parteiordnungsverfahren wie in der CDU. Auf der Bundesebene wird die Bundesschiedskommission der SPD annähernd 20mal so häufig in Anspruch genommen wie das Bundesparteigericht der CDU.
Die Landesschiedsgerichte der F. D. P. werden geringfügig stärker in Anspruch genommen als die Landesparteigerichte der CDU, haben aber auch Konflikte mitzuentscheiden, die bei CDU und SPD ausschließlich auf Kreis-bzw. Unterbezirksebene anhängig werden. Da die F. D. P. insgesamt wesentlich weniger aktive Parteigliederungen und Parteimitglieder hat als die CDU, muß bei der F. D. P.dennoch von einer vergleichsweise stärkeren Inanspruchnahme des Instruments der Schiedsgerichtsbarkeit ausgegangen werden als bei der CDU.
Die ergänzende, qualitative Analyse der Entscheidungen der Bundesschiedskommission der SPD zeigt, daß auf Bundesebene in hohem Maße Konflikte ausgetragen werden, die in erster Linie Ausdruck grundlegender innerparteilicher Richtungsauseinandersetzung sind. Im Falle von grundlegenden politischen Richtungskonflikten, bei denen die Mehrheitslinie der Partei auf Bundesebene eindeutig ist, entscheidet die Bundesschiedskommission der SPD im schriftlichen Verfahren und wendet schematisch zumeist die härteste Ordnungsmaßnahme, den Ausschluß aus der Partei, an.
Bei neun anhängigen Verfahren vor dem Bundesparteigericht der CDU wurde hingegen in keinem einzigen Fall eine Sanktion verhängt, unter anderem deshalb, weil die CDU nicht mit grundlegenden politischen Richtungsdiskussionen konfrontiert wurde.
Insgesamt ergibt sich für die F. D. P. die Einschätzung, daß Parteiordnungsverfahren als Instrument innerparteilicher Konfliktaustragung nur selten eingesetzt wurden und daß die innerparteiliche Linksopposition über einen größeren Freiraum verfügte als in der SPD.
Dies mag zum Teil auch damit Zusammenhängen, daß für die F. D. P. als sehr kleiner Partei die Jungdemokraten eine unentbehrliche Rekrutierungsbasis für den Nachwuchs der Partei bildeten und daß deshalb eine Konfliktaustragung mit nicht kalkulierbaren Ergebnissen bis hin zur möglichen Abspaltung der Jungdemokraten vermieden werden sollte. Zudem erleichterte die relativ undogmatische politische Orientierung der Jungdemokraten ihre innerparteiliche Integration.
III. Zielkonflikte zwischen Partizipationsrechten des Parteimitgliedes und anderen normativen Funktionen der Partei
1. Partizipationsrechte des Mitgliedes Die verfassungsrechtliche Ausgestaltung der Rechtsstellung des Parteimitglieds gegenüber der Partei wird durch folgende Aspekte geprägt
— Die besondere Stellung der Parteien im Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft, das Gebot innerparteilicher Demokratie, das daraus ableitbare Prinzip einer Willensbildung von unten nach oben und die Notwendigkeit der Aktualisierung von Grundrechtspositionen gewährleisten den Parteimitgliedern umfassende Möglichkeiten der Teilnahme und Teilhabe an politischen Diskussionsund Entscheidungsprozessen, die durch administrative Maßnahmen der Parteiorganisation nicht behindert werden dürfen.
— Das Verhältnis der Parteien zum ständigen Prozeß der Willensbildung und -äußerung des Volkes muß in einer demokratischen, auf die politische Einflußnahme möglichst vieler Bürger gerichteten Gesamtverfassung ein Verhältnis der Offenheit und Aufnahmefähigkeit gegenüber allen, vielfältig artikulierten oder nicht artikulationsfähigen Interessen, Meinungen und Konflikten sein. Die Gewährleistung für die Mitglieder der Parteiorganisationen, die ja zugleich als Bürger Teil der die Partei umgebenden Umwelt sind, Interessen und Meinungen ungehindert in die parteiinterne Diskussion hineintragen zu können, ist ein wichtiger Ansatzpunkt, um Offenheit und Aufnahmefähigkeit in diesem Sinne zu erreichen. — Die herausgehobene Stellung der Parteien in der Gesamtverfassung des politischen Gemeinwesens, das innerparteiliche Demokratiegebot und das Gebot der ChancengleichheitS in den Einflußmöglichkeiten auf die Parteientscheidungen verlangen effektive Möglichkeiten öffentlicher Selbstdarstellung für die Parteimitglieder und für innerparteiliche Gruppen.
Diesen Aspekten kommt angesichts der realen Entwicklung des Parteiensystems in der Bundesrepublik, die hier nur angedeutet werden kann, eine verstärkte Bedeutung zu. Wahlerfolge von „grünen" Parteien und die teilweise Verschärfung von Konflikten zwischen Bürgerinitiativen und staatlichen Institutionen belegen Legitimationsdefizite des etablierten Parteiensystems zumindest in den Augen von Teilen der Wahlbevölkerung — Es besteht ein gestörtes Verhältnis zwischen den politischen Führungseliten der Bundesrepublik und Teilen der vor allem jüngeren Wahlbevölkerung, das sich in Vertrauensverlusten und massiven Formen des Pro-tests äußert. Es ist in diesem Zusammenhang kein Zufall, daß große Teile der Wahlbevölkerung die Parteien als eindeutig oligarchisch strukturiert empfinden und nicht an einen effektiven Einfluß auf politische Entscheidungen über die Mitwirkung in Parteien glauben.
— Es hat ein Wertewandel in Teilen der Gesellschaft stattgefunden, demgegenüber sich die Volksparteien mit ihrem vorrangig auf materielle Wohlstandsmehrung ausgerichteten Politikverständnis — im Bewußtsein ihrer Kritiker — nicht als aufnahmefähig erweisen. — Der klassische Links-Rechts-Konflikt der Industriegesellschaft (Verfügungsgewalt über Produktionsmittel, Verteilungskämpfe zwischen Lohnarbeit und Kapital) fand eine be-wußtseinsmäßige Entsprechung im etablierten Parteiensystem, obwohl das Volksparteikonzept eine Entideologisierung der Politik anstrebt. Dabei gelang der SPD eine erhebliche Integrationsleistung nach links. Dieser klassische Konflikt wird überlagert durch eine „postindustrielle" Bewußtseinslage von Bevölkerungsschichten, die von dem klassischen Konflikt scheinbar wenig betroffen sind und politisch heimatlos werden. Sie werfen dem etablierten Parteiensystem und den politischen Systemen in West und Ost Immobilismus gegenüber neuen Problemstellungen vor.
Administrative Grenzziehungen gegenüber innerparteilichen Minderheiten haben diese Legitimationskrise vor allem in der SPD, die in den letzten 15 Jahren stärker als die anderen Parteien mit diesen Problemen konfrontiert war, verschärft. Einschränkend ist allerdings hinzuzufügen, daß die SPD bei administrativen Grenzziehungen gegenüber „Grünen" einen sehr viel größeren Langmut hat walten lassen als in der Auseinandersetzung mit klassischen marxistischen Positionen, wie sie etwa von Benneter und Hansen repräsentiert werden Abspaltungen marxistischer Minderheiten endeten in der Geschichte der Sozialdemokratie zumeist im politischen Sektierertum und wurden deshalb — im Gegensatz zur Bewertung der Grünen — als politisch ungefährlich eingestuft
Wenn sich relevante Teile der Wahlbevölkerung nicht mehr durch die in den Parlamenten vertretenen Parteien repräsentiert fühlen, gleichzeitig aber eine materiale Legitimation durch neue Parteien unter den spezifischen Bedingungen der bundesrepublikanischen Parteienentwicklung stark erschwert ist, so ist der staatliche Integrationsprozeß, die Erhaltung eines Mindestmaßes an politischer Einheit des Staates auf der Basis eines Grundkonsenses über Grundwerte der politischen Gesamtverfassung in Frage gestellt.
Bürgerkriegszustände in anderen Teilen der Welt belegen eindringlich, daß es Grenzen politischer Entscheidungsfindung durch das Mehrheitsprinzip geben kann.
Ein gemeinsames Rechts-und politisches Überzeugungsminimum ist Voraussetzung für den Erhalt staatlicher Einheit.
Wenn Teile der Bevölkerung ihre Interessen durch die Parteien in den Parlamenten als den repräsentativen Organen im demokratischen Gesamtgefüge nicht vertreten sehen, ist Demokratie als Artikulation unterschiedlicher Interessen und Bewußtseinslagen, von der das Grundgesetz durch die Verankerung von Positionen des Minderheitenschutzes ausgeht, gefährdet. Als Konsequenz bietet sich unter anderem eine stärkere inhaltliche und partizipative Öffnung dominierenden Parteien an, um Legitimation wieder herzustellen. Aus der Sicht der Parteienorganisation ergeben sich aber auch Notwendigkeiten im Hinblick auf die Durchsetzung des innerparteilichen Mehrheitswillens und die innerparteiliche Integration, die in Widerspruch zu den Partizipationsbedürfnissen des Mitgliedes geraten können. 2. Die Durchsetzung des innerparteilichen Mehrheitswillens Jeder effektive innerparteiliche Diskussionsprozeß, in dem Meinung und Gegenmeinung in einem chancengleichen Verfahren Gelegenheit hatten, zur Geltung zu kommen, hat eine Beschlußfassung über den von der Partei in einer bestimmten Frage einzuschlagenden Kurs zum Endpunkt. In den nach demokratischen Formprinzipien aufgebauten Parteien ist der Mehrheitsentscheid die Form, in der solche Beschlüsse gefunden werden
Der Mehrheitswille soll sowohl gegenüber den Bürgern verdeutlicht werden, um über Wahlen im Wettbewerb mit anderen Parteien die Legitimation der Bürger für die in der Partei getroffenen Mehrheitsbeschlüsse zu erhalten, als auch in das staatliche Entscheidungshandeln eingehen, sofern die Partei die Möglichkeit hat, staatliches Entscheidungshandeln zu beeinflussen.
Die Durchsetzung der mehrheitlich beschlossenen politischen Linie kann auf beiden Ebenen beeinträchtigt werden, wenn sich innerparteiliche Minderheiten gegen die Umsetzung der Beschlüsse zur Wehr setzen oder deren Revision anstreben.
Zwischen dem Durchsetzungsanspruch der Parteimehrheit und dem Anspruch der Minderheit, auch nach dem vorläufigen Abschluß eines Diskussionsprozesses für ihren Stand-punkt nach innen und außen weiterhin zu werben, besteht ein zumeist nicht auflösbarer Zielkonflikt Es kann nur für den jeweiligen Einzelfall versucht werden, eine rational nachvollziehbare Ausbalancierung zwischen den beiderseits legitimen Interessen zu finden und damit den Rahmen für zulässige Ordnungsmaßnahmen abzustecken.
Anhaltspunkt für eine Bewertung kann unter anderem sein, — „ob nur einzelne Beschlüsse von Parteigremien angegriffen werden oder eine grundlegende Opposition gegen die gesamte Parteipolitik oder wesentliche Teile davon betrieben werden, — ob die Kritik sachlich oder in herabsetzender, verächtlich machender Form vorgetragen wird, — ob die Kritiker auf die Äußerung ihrer Meinung beschränkt sind oder ihnen die Ausführung der beschlossenen Kritik selbst aufgetragen ist ...
Die Möglichkeit, Sach-und Personalvorschläge der Partei in staatliches Entscheidungshandeln umsetzen zu können, wird in der Regel nur dann beeinträchtigt sein, wenn Mitglieder der Partei in parlamentarischen oder exekutiven Entscheidungsgremien gegen die Umsetzung der Parteivorschläge stimmen und damit die notwendigen Mehrheiten fehlen oder wenn von einem Koalitionspartner das ablehnende Votieren aus den eigenen Reihen erkennbar zur Abwertung des mehrheitlichen Parteistandpunktes im Zuge von Verhandlungen ausgenutzt wird. Ob eine derartige Beeinträchtigung vorliegt, ist in aller Regel empirisch leicht zu ermitteln.
Wesentlich schwieriger abzuschätzen sind die denkbaren negativen Auswirkungen, die ein Streit in der Partei über Sachund Personal-aussagen im Hinblick auf das Wählerpotential der Partei auslösen kann. Die mehrheitlich getroffenen Aussagen der Partei müssen gegenüber dem Wähler glaubhaft und durchsetzbar dargestellt werden, um für die potentiellen Wähler attraktiv zu sein.
Die Parteiführungen räumen der Geschlossenheit nach außen als Voraussetzung für das erfolgreiche Bestehen im Parteienwettbewerb einen zentralen Stellenwert ein. Wenn immer die Ursachen von Wahlniederlagen von den Parteiführungen analysiert werden, wird die fehlende Geschlossenheit nach außen mit an erster Stelle genannt Dies mag zutreffen, wenn aufgrund des Auseinanderstrebens der innerparteilichen Kräfte überhaupt nicht mehr erkennbar ist, welche politische Linie die Mehrheit der Partei verfolgt. Das kommt nur selten vor.
Wahlentscheidungen eines einzelnen und der Gesamtbevölkerung sind ansonsten von derart vielen Faktoren beeinflußt, daß sich das Gewicht eines einzelnen Faktors wie der Geschlossenheit nach außen mit den Methoden der empirischen Wahlforschung kaum ermitteln läßt. Frühere Wahluntersuchungen über die Rolle der Wechselwähler kennzeichnen diese weitgehend als eine Gruppe von politisch uninteressierten Wählern, die die Geschlossenheit einer Partei und die Einigkeit ihres Führungsteams sehr hoch bewerten Eine Untersuchung von Kaase über die Gruppe der Wechselwähler bei der Bundestagswahl 1961 kam zu differenzierten Ergebnissen Falter stellt in seiner empirischen Analyse der Landtagswahl 1970 im Saarland fest, daß „die Parteiwechsler ... tendenziell besser informiert und stärker an politischen Problemen interessiert (waren) als die Kon-stantwähler“ Dieser Befund spricht gegen eine allzu starke Betonung des Geschlossen-heitsaspekts jedenfalls für Wechselwähler, weil ein rationales Politikverhalten Widersprüche innerhalb einer Partei eher ertragen dürfte.
Historisch lassen sich viele Beispiele dafür finden, daß eine von den Wählern als zerstritten beurteilte Partei oder Parteigliederung gute oder schlechte Wahlergebnisse erzielte. Obwohl Ende 1975 in zwei voneinander unabhängigen Umfragen die Befragten die CDU/CSU zerstrittener als die SPD einschätzten schnitt die CDU/CSU bei den Landtagswahlen 1975 und der Bundestagswahl 1976 erfolgreich ab. Aber auch hier ist jederzeit der Einwand möglich, die CDU/CSU hätte bei mehr Geschlossenheit noch erfolgreicher abgeschnitten. Andererseits liegt etwa die Vermutung nahe, daß das im gesamtbayerischen Vergleich besonders schlechte Abschneiden der Münchener SPD bei den Kommunalwahlen 1978 in einem Zusammenhang mit dem öffentlichen Konfrontationskurs der Gruppierungen in der Münchener SPD steht.
Mit guten Gründen könnten aber auch bei einer monokausalen Betrachtungsweise weniger die Zerrissenheit der Partei als vielmehr der Linksruck in der Münchener SPD, die unqualifizierten Angriffe der Parteirechten auf die Parteimehrheit oder auch die negative Darstellungsweise des parteiinternen Konflikts in der veröffentlichten Meinung als Ursachen für die Wahlniederlage herausgearbeitet werden. Die Stärke einer innerparteilichen Opposition und die Härte der parteiinternen Auseinandersetzung muß nicht unbedingt mit der Einschätzung des Wählers über das Ausmaß der innerparteilichen Zerrissenheit übereinstimmen. Mit zu berücksichtigen sind — die Modalitäten der öffentlichen Darstellung des Konflikts durch die Kontrahenten selbst, — die Bewertung in der veröffentlichten Meinung, — das Verhalten des politischen Gegners, der auf einen solchen Konflikt mit unterschiedlicher Intensität reagieren kann.
Es kann nur vermutet und für wahrscheinlich gehalten werden, daß in einer sehr stark pragmatisch und weniger ideologisch ausgeprägten politischen Kultur wie in der Bundesrepublik innerparteiliche Richtungsgegensätze grundlegender Art, vor allem, wenn sie durch eine linke innerparteiliche Richtungsgruppe ausgelöst werden, im Bewußtsein von Teilen der Öffentlichkeit eine negative Bewertung erfahren Darauf deuten auch Umfragen hin, nach denen Teile der Anhänger der SPD innerparteiliche Zerrissenheit und den Einfluß der Jungsozialisten deutlich negativ beurteilen 8.
Die Massenmedien in der Bundesrepublik verschärfen diesen Mangel an demokratischer Kultur in unserem Land noch dadurch, daß sie ständig sachpolitische Kontroversen, die vor der verbindlichen Beschlußfassung auf Bundesparteitagen in den Untergliederungen entstehen, also den .demokratischen Normalfall, als Ausdruck tiefer Zerrissenheit von Parteien bewerten.
Weiterhin kann vermutet werden, daß innerparteiliche Konflikte um so eher von den Wählern als Ausdruck der Zerrissenheit bewertet werden, je mehr sich die politischen Richtungsgegensätze zwischen den dominierenden Parteien verwischen und je mehr Imagepflege oder bloßes taktisches Kalkül an die Stelle politischer Richtungsdiskussion tritt. Die letzte Hypothese macht sehr deutlich, daß die Berufung auf einen möglichen Vertrauensverlust beim Wähler allein niemals hinreichenden Grund für die Ausschaltung einer unbequemen innerparteilichen Opposition sein kann. Das Parteiensystem kann die ihm zugedachten Aufgaben nur dann sinnvoll erfüllen, wenn es die in der Gesellschaft vorhandenen Konflikte fruchtbar verarbeiten kann Werden Konflikte unterdrückt und als Störung abgetan, gerät das Parteiensystem in die Gefahr der Legitimationskrise und ist nicht mehr auf das Leitbild des mündigen Bürgers orientiert 3. Innerparteiliche Integration Neben der Einschränkung des Minderheitenschutzes, die sich aus der Notwendigkeit ergibt, den in einem demokratischen Verfahren gefundenen Mehrheitswillen auch durchzusetzen, sind zumindest dem destruktiven, des-integrativen Opponieren von Minderheiten oder Einzelpersonen noch aus einem anderen Grund Grenzen gesetzt. Parteien sind die Zusammenfassung von Bürgern zu politischen Handlungseinheiten, die aus der Vielfalt von Interessen und Meinungen aktionsfähige Sach-und Personalaussagen herausdestillieren müssen. Dazu bedarf es eines Mindestmaßes an innerparteilichem Zusammenhalt, an Integrationskraft einer Partei Die Integrationskraft einer Partei wird gefährdet, wenn die in einem geordneten Verfahren gefundenen Diskussionsergebnisse nicht auch der Handlungsmaßstab für die Umsetzung der Diskussionsergebnisse sind. 4. Willensbildung von unten nach oben und Führungsanspruch der Parteivorstände Empirisch weit häufiger als der Versuch, die Umsetzung der Mehrheitsbeschlüsse von Parteitagen zu verhindern, sind Konflikte, bei denen sich Parteimitglieder gegen die Politik von Parteivorständen in solchen Fragen wenden, die nicht oder noch nicht Gegenstand der Beschlußfassung auf Mitglieder-oder Delegiertenversammlungen der Partei gewesen sind. Die Mehrzahl der Parteiordnungsmaßnahmen wird mit einem Verstoß gegen Vorstandsbeschlüsse, nur eine geringe Zahl mit dem Verstoß gegen Parteitagsbeschlüsse begründet. Die Forderung nach einer „Willensbildung von unten nach oben" steht hier dem durch Wahlen legitimierten Führungsanspruch von Parteivorständen häufig unvermittelt gegenüber.
Wenn das Postulat einer „Willensbildung von unten nach oben" normativer Ausgangspunkt für die Einschätzung des Willensbildungs-und Entscheidungsprozesses in den Parteien ist so hat das erhebliche Auswirkungen auf die Beurteilung von Konflikten, die sich zwischen einzelnen Mitgliedern bzw. Gruppen und den gewählten Vorständen auf lokaler, regionaler und gesamtstaatlicher Ebene ergeben. Die Freiheit von einzelnen Mitgliedern bzw. Grup-pen, politische Positionen auch in Abweichung zu mehrheitlichen Vorstandsmeinungen zu vertreten, ist dann zumindest bis zum Abschluß des Diskussionsprozesses durch Mehrheitsentscheid der jeweils zuständigen Mitglieder-bzw. Delegiertenversammlung unbeschränkt zu gewährleisten.
Die Möglichkeit, abweichende Positionen nach innen und außen zu vertreten, muß im zeitlichen Rahmen unbeschränkt, also auch nach Vorliegen entsprechender Vorstandsbeschlüsse, gegeben sein, wenn das Erfordernis breiter Diskussionen in der Mitgliedschaft gar nicht beachtet und die politischen Aussagen der Partei lediglich von oben herab getroffen würden. Gegen den normativen Ausgangspunkt einer Willensbildung von unten nach oben werden aber erhebliche Einwände formuliert, die regelmäßig auf die Verfassungswirklichkeit abzielen. Treffen diese faktischen Einwände zu und sind sie normativ zu berücksichtigen, so wären Parteivorstände eher legitimiert, das Ausmaß der in der Partei zulässigen Richtungsabweichung selbst zu definieren. „Willensbildung von unten nach oben“ wird von Kritikern überwiegend als tatsächlich unmöglich dargestellt Zum Teil wird das Postulat auch als dysfunktional im Hinblick auf die Steuerungsfähigkeit hochkomplexer politischer Systeme eingeschätzt Tatsächlich ist die behauptete Handlungsfreiheit der politischen Entscheidungsträger zwischen den Wahlen gar nicht gegeben. Es besteht ein erheblicher Einfluß organisierter, insbesondere ökonomischer dominierender Interessen auf die Entscheidungsträger, der sich in der Form des Lobbyismus äußert. Die Forderung nach größerer Autonomie der Entscheidungsträger hat dort, wo sie gegen Demokratisierungsstrategien gerichtet ist, die Funktion einer ideologischen Verschleierung dieses Einflusses und ist gegen diejenigen Interessen gerichtet, die nicht effektiv organisiert oder nicht ohne weiteres organisierbar sind Es bleiben trotzdem objektive Schranken für eine umfassende individuelle Partizipation bestehen. Das gilt jedenfalls solange, wie das erreichte Ausmaß der Zentralisierung politischer Entscheidungsgewalt beibehalten wird
Die objektiven Schranken für eine umfassende Partizipation zwingen aber nicht dazu, das Postulat einer „Willensbildung von unten nach oben" in den Parteien grundsätzlich fallenzulassen. Durch eine Ausdifferenzierung von Entscheidungstypen können diejenigen Bereiche herausgearbeitet werden, die für eine „Willensbildung von unten nach oben" nach wie vor zugänglich bleiben.
Schon von der Häufigkeit der Entscheidungssituationen her sind „Innovationsentscheidungen" einer „Willensbildung von unten nach oben" prinzipiell zugänglich. Ihre gesamtgesellschaftliche Relevanz ist zudem ungleich höher als die von Routineentscheidungen oder Entscheidungen im Rahmen vorgegebener Zwecke. Die Partizipation an Innovationsentscheidungen ist parteistrategisch am wichtigsten. Ergänzend zu einer Differenzierung der Partizipationsmöglichkeiten und -er-fordernisse nach Entscheidungstypen könnte auch darauf abgestellt werden, ob politische Entscheidungen im Rahmen einer Partei von relevanten Gruppen grundlegend kontrovers beurteilt werden. Bei grundlegend kontrovers beurteilten Problemstellungen ist eine umfassende Partizipation der Mitglieder vor einer für die Partei verbindlichen Orientierung notwendig, um eine wirkliche Legitimation herzustellen.
Selbst Partizipation an Innovationsentscheidungen, die für Parteien auch als Entscheidungen der politischen Richtungsbestimmung gekennzeichnet werden können, ist individuell in einem umfassenden Sinne kaum möglich. Der zunehmende Umfang, die wachsende Komplexität politischer Problemstellungen, die Organisationskomplexität und die räumliche Ausdehnung der Parteiorganisation zwingen auch bei der Vorbereitung von Innovationsentscheidungen von unten nach oben zu vielfältigen Formen der Kooperation und Kommunikation zwischen den Mitgliedern und zu arbeitsteiliger Spezialisierung. Nur bei einem Gruppenzusammenhang, der ein bestimmtes Maß arbeitsteiliger Spezialisierung bei der Formulierung von Entscheidungsalternativen zuläßt, können Entscheidungsalternativen formuliert werden, die eine ausreichende Entscheidungsqualität sichern und sich mit der Qualität der von den Parteiführungs-und Regierungsstäben erarbeiteten Entscheidungsalternativen messen lassen können Auch die Verbreitung von Informationen innerhalb der Organisation können nur Gruppen gewährleisten. An die Stelle eines Konzepts der Partizipation, das vom einzelnen Parteimitglied ausgeht, tritt ein Modell, das die Partizipation des einzelnen über den Wettbewerb innerparteilich konkurrierender politischer Richtungsgruppen erreicht sehen will Innerparteilicher Gruppenwettbewerb bietet, wie der empirische Beleg zeigt günstige Möglichkeiten für eine begrenzte Partizipationsausweitung, Der innerparteiliche Gruppenwettbewerb läßt eine Willensbildung von unten nach oben, wenn auch vorrangig vermittelt über die Zugehörigkeit und die sich arbeitsteilig vollziehende Mitarbeit in einer innerparteilichen Richtungsgruppe, als realistisch erscheinen. Das Postulat einer „Willensbildung von unten nach oben" in den Parteien muß also nur insoweit relativiert werden, als es im wesentlichen auf den Typus der Innovationsentscheidungen oder der grundlegend kontroversen Entscheidungen beschränkt bleibt und die umfassende Formulierung nur durch die innerparteiliche Richtungs-oder Interessengruppe geschehen kann Die wichtige Bedeutung, die der innerparteiliche Gruppenwettbewerb für eine Demokratisierungsstrategie hat, ist zu berücksichtigen, wenn die Zulässigkeit von Parteiordnungsmaßnahmen beurteilt werden soll.
Gehen die Führer der Mehrheit in der Partei dazu über, den Ausschluß von Führern relevanter innerparteilicher Richtungsgruppen zu betreiben, kann die Gewährleistung des innerparteilichen Gruppenwettbewerbs im Kern bedroht sein. 5. Innerparteiliche Demokratie in Volksparteien Die Probleme innerparteilicher Demokratie stellen sich in der Bundesrepublik heute vorwiegend in Volksparteien. Die besonderen Merkmale, die diesen Parteityp kennzeichnen, sind zu berücksichtigen, wenn Aussagen über das zulässige Ausmaß innerparteilicher Richtungsabweichung getroffen werden sollen.
In einer mehrdimensionalen Betrachtung kann die Volkspartei in Anlehnung an Kaste und Raschke durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet werden:
— Die Mitglieder-und Wählerbasis ist von der Sozialstruktur her heterogen zusammengesetzt. — Die programmatischen Aussagen sind so abgefaßt, daß sie die Integration möglichstvieler Schichten und Gruppen in das Spektrum der Partei erleichtern, möglichst viele Gruppen ansprechen sollen.
— Ihre Funktionsträger im Partei-und noch mehr im Staatsapparat verfügen über ein hohes Maß an Unabhängigkeit in den politischen Entscheidungsprozessen gegenüber einem möglichen partizipativen Druck der Parteimitglieder und Wähler.
— Massenmobilisierungen sind nur als Element in Wahlkämpfen erwünscht, nicht aber im aktuellen politischen Entscheidungsprozeß zwischen den Wahlen.
— Auf Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse, insbesondere auf Veränderungen in den Produktionsverhältnissen, reagieren Volksparteien im Wege der Anpassungsreform, ohne die vorhandenen ökonomischen und politischen Strukturen grundlegend in Frage zu stellen.
— Da zwischen den objektiven Interessen und auch im Bewußtsein der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Widersprüche vorhanden sind, die zum Teil einen antagonistischen Charakter haben, besteht ein permanenter Spannungszustand zwischen dem Anspruch der Volksparteien, möglichst vielen Interessen gleichzeitig Rechnung zu tragen, und ihrer wirklichen Interessenvertretungs-und Steuerungsfunktionen im politischen Entscheidungshandeln. Schon aus der Existenz und der Anerkennung widersprüchlicher objektiver Interessen und subjektiver Bewußtseinslagen und ihrer Vertretung durch spezifische Gruppen im Rahmen von Volksparteien ergibt sich zwangsläufig die Konsequenz, daß der Anspruch auf Geschlossenheit nach außen, der im Interesse des Wahlerfolges und der störungsfreien Umset-zung von Parteibeschlüssen in politische Entscheidungen erhoben wird, für die Volksparteien relativiert werden muß. „Je breiter eine Volkspartei wird, desto zwangsläufiger muß sie verschiedene geistige Strömungen, verschiedenartige Interessenfixierungen, verschiedenartige Interessengruppen in sich aufnehmen.“
Da auch die grundlegenden programmatischen Aussagen bewußt offengehalten werden für denkbare unterschiedliche Interpretationen in den Entscheidungssituationen, um ein breites Spektrum von Zielgruppen ansprechen zu können, müssen die vorhandenen Konflikte im Vorfeld politischer Entscheidungen ohne Repression ausgetragen werden können. Ausgehend von der Erkenntnis, daß in der Organisation der Umweltbeziehung die Möglichkeit des Setzens und Erreichens von Zielen innerhalb eines Systems, wie etwa der Partei, von den Rahmenbedingungen der Umwelt wesentlich beeinflußt wird ist jede Gruppierung, die unterschiedliche Interessen in einem Konflikt repräsentiert, innerhalb der Volkspartei legitimerweise auf den Außenkontakt, auf die Wechselbeziehung der Beeinflussung gesellschaftlicher Interessengruppen außerhalb der Partei einerseits und des Zurückwirkens (Feedback) aus den gesellschaftlichen Interessengruppen auf das Bargaining in der Partei andererseits angewiesen. Innerhalb der Volksparteien müssen Plattformen sein, von denen aus die Gruppenpositionen ausreichend dargestellt werden können
Die Chancengleichheit für die verschiedenen politischen Interessen und Gruppierungen innerhalb der Partei ist konstituierende Bedingung für ein Parteienkonzept, das verschiedene . Parteien'im Sinne von Partialinteressen in sich aufnimmt
Auch aus der Sicht des Bürgers, der nicht Parteimitglied ist, ist die Präsentation von politischen Alternativen, die nicht bereits Ergebnis von Kompromißfindungen und Machtkonstellationen in den Volksparteien selbst sind, für die eigene Beurteilungsfähigkeit von politischen Sachverhalten und die Herausbildung einer reflektierten Meinung elementare Voraussetzung
Eine kritische Grenze erreicht die aus den Wesensmerkmalen der Volkspartei abzuleitende Offenheit für unterschiedliche politische Positionen allerdings, wenn die Konzeption der Volkspartei an sich aus der Partei heraus im praktischen Handeln nach außen in Frage gestellt wird. Zwar muß eine Diskussion über eine Grundsatzprogrammrevision auch in Volksparteien im Interesse der Fortentwicklung und Flexibilität des Parteiensystems jederzeit möglich sein, zumal wenn sich die ökonomischen, gesellschaftlichen, politischen Rahmenbedingungen, die zur Herausbildung von Volksparteien geführt haben, verändern. Wenn das Grundsatzprogramm aber nicht als die verbindliche Grundlage für das Verhalten der Mitglieder in den aktuellen Meinungsbil-dungs-und Entscheidungssituationen anerkannt wird, werden wichtige normative Funktionen, die sich aus den Parteien allgemein und damit auch den Volksparteien stellen, gefährdet. Das gemeinsame Grundsatzprogramm gewährleistet ein Mindestmaß an Integration, das für die Zusammenfassung von Bürgern in den Parteien als politische Handlungseinheiten unabdingbar ist. Die Wettbewerbsfähigkeit der Partei bei der Umsetzung programmatischer Aussagen in aktuelles Entscheidungshandeln wird entscheidend geschwächt, wenn die Konturen der Gesamtpartei überhaupt nicht mehr erkennbar sind.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß in Volksparteien aus ihrem Selbstverständnis heraus die Integrationsund Legitimationsfunktion der Parteien zugunsten der Partizipations- und Publizitätsfunktion relativiert werden muß. Dies zwingt zu entsprechenden Schlußfolgerungen der Beurteilung innerparteilicher Konflikte in der SPD, der CDU und der CSU, aber auch in der F. D. P., die sich dem Typus der Volkspartei weitgehend angenähert hat.
Karl-Heinrich Hasenritter, Dr. jur., geb. 1948, Studium der Rechts-und Politikwissenschaft in Frankfurt und Marburg; 1975— 1977 Verwaltungsjurist an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg und an der Gesamthochschule Kassel, 1978— 1979 Referent des Kasseler Oberbürgermeisters und Geschäftsführer des Zweckverbandes Raum Kassel, seither Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen. Veröffentlichungen zum Parteienrecht und zur Kommunalpolitik.
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