Zur Politischen Ökonomie der Beziehungen zwischen dem RGW und der EWG
Heinrich Machowski
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Zusammenfassung
In den Grunddokumenten des RGW war — im deutlichen Gegensatz zum EWG-Vertrag — eine gemeinsame Handelspolitik gegenüber Drittländern ursprünglich nicht vorgesehen. Erst 1974 wurde dem RGW über eine Satzungsänderung das Recht übertragen, mit Einzelstaaten und mit anderen internationalen Organisationen Verträge abzuschließen und Beziehungen zu unterhalten. Auf dieser Grundlage hat der RGW der EWG im Frühjahr 1976 einen Abkommensentwurf zur Aufnahme beiderseitiger Beziehungen unterbreitet. Die EWG erkennt die handelspolitischen Kompetenzen des RGW jedoch nicht an und akzeptiert diesen nicht als einen gleichberechtigten Verhandlungspartner; dies ist ein Ausdruck der ost-und osthandelspolitischen Interessengegensätze innerhalb der westeuropäischen Gemeinschaft. Verhandlungen zwischen beiden europäischen Integrationssystemen, seither mehr oder weniger intensiv geführt, haben deshalb bis heute keine Annäherung dieser gegensätzlichen Positionen gebracht. Die Handelsbeziehungen zwischen Ost-und Westeuropa sind somit seit 1975 durch einen vertragslosen Zustand gekennzeichnet. Dieser wird durch die sogenannte autonome Handelspolitik der EWG, die in Wirklichkeit eine autonome Einfuhrkontingentierung ist, überbrückt. Damit haben die RGW-Staaten aber keinen vertraglichen Einfluß auf die Osthandelspolitik der EWG mehr. Dieser Nachteil macht sich vor allem für die kleineren RGW-Volkswirtschaften bemerkbar, deren Fertigwaren-Exporte davon behindert werden. Für die sowjetische Wirtschaft — sie liefert überwiegend Energie-und Rohstoffe — hat sich dieser Zustand demgegenüber nicht negativ bemerkbar gemacht.
Dieser Beitrag basiert auf einem Gutachten des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (West): RGW, EG und Ost-West-Handel - Möglichkeiten der gesamteuropäischen Zusamnenarbeit unter den Bedingungen der regionalen leuintegration. Bearbeitet von Jochen Bethkenhaken, Hans Martin Duseberg, Maria Lodahl, Heinrich Machowski, Berlin 1980; als Manuskript vervielfäl-
Im folgenden wird ein inzwischen zeitgeschichtliches Thema abgehandelt. Es geht um die vielfältigen Bemühungen in den letzten zehn Jahren, ein Rahmenabkommen über die Zusammenarbeit zwischen den beiden europäischen Wirtschaftsgemeinschaften, dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW, entstanden 1949) und der EWG (gegründet 1957), abzuschließen’). Diese Bemühungen waren nicht von Erfolg gekrönt. Im Gegenteil: Die Differenzen zwischen beiden - z. T. weitgehend unterschiedlichen - Integrationssystemen haben es verhindert, daß die beiderseitigen Beziehungen institutionell geregelt werden konnten. Selbst die alles in allem erfolgreiche Entspannungs-und KSZE-Politik der zweiten Hälfte der siebziger Jahre konnte hierfür keinen positiven Beitrag leisten. Auch die Gründe für dieses Scheitern werden im folgenden analysiert.
I. Die Vertragsbeziehungen zwischen RGW und EWG
Ausgangslage
In der Satzung und in den anderen Grunddokumenten des RGW war ursprünglich eine gemeinschaftliche Handelspolitik gegenüber Drittländern nicht vorgesehen. Seit Anfang der siebziger Jahre mehrten sich dennoch die Anzeichen für den Beginn eines gemeinschaftlichen Vorgehens gegenüber Nicht-Mitgliedstaaten So hatte der RGW im Mai 1973 mit Finnland — zum ersten Mal mit einem nicht-sozialistischen Land — ein Abkommen über die beiderseitige Zusammenarbeit geschlossen Es wurden allerdings keine konkreten Bestimmungen über Bereiche, Umfang und Wege der angestrebten Kooperation getroffen. Die Vereinbarung enthält — ein völkerrechtliches Novum — lediglich eine Entwicklungsklausel: Die Vertragspartner verpflichten sich, die wirtschaftlich-technische Zusammenarbeit auf Gebieten „von gegenseitigem Interesse" voranzutreiben, und sie setzen eine Gemischte Regierungskommission in Kraft, deren Aufgabe es ist, diese Gebiete abzustekken
Im Jahre 1974 wurde durch eine Satzungsänderung dem RGW das Recht übertragen, mit Einzelstaaten und mit anderen internationalen Organisationen Verträge abzuschließen und Beziehungen zu unterhalten Die Satzung legt allerdings den materiellen Inhalt dieses Mandats nicht fest; er muß von Fall zu Fall durch die Mitgliedstaaten bestimmt werden („enumerative Einzelermächtigung"). Auf dieser Grundlage hat der RGW im Oktober 1974 von der UN-Vollversammlung den Beobachterstatus zuerkannt bekommen.
Im Juli 1975 wurde zwischen dem RGW und der Republik Irak ein Vertrag über die wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit unterzeichnet. Dieses Abkommen — es ist das erste mit einem Entwicklungsland — verpflichtet die RGW-Staaten ganz allgemein, „die beschleunigte Entwicklung einer unabhängigen, vielseitigen nationalen Wirtschaft Iraks auf der Grundlage der Gleichheit, des gegenseitigen Vorteils und der Nichteinmischung in die inneren Angelegen-heiten zu unterstützen“. Gleichzeitig wurde eine gemischte Regierungskommission gebildet, deren Hauptaufgabe es sein soll, die gewünschte Kooperation voranzubringen.
Einen Monat später erfolgte die Unterzeichnung eines ähnlichen Abkommens zwischen dem RGW und Mexiko Seither hat eine ganze Reihe von Entwicklungsländern ihr Interesse an entsprechenden Beziehungen zum RGW bekundet (Pakistan, Indien, Jamaika, Guayana). Diese internationalen Abkommen des RGW sind ein Hinweis darauf, daß der RGW nach der Novellierung seiner Satzung eine gemeinschaftliche Vertragskompetenz besitzt Die geringe Zahl der Verträge, vor allem aber deren geringer materieller Gehalt, verdeutlicht die fehlende Bereitschaft der RGW-Staaten, ihrer Organisation weiterreichende Zuständigkeiten zu übertragen.
Der EWG-Vertrag von 1957 sah dagegen in Art. 113 von vornherein vor, daß die Kompetenz zum Abschluß handelspolitischer Abkommen nach einer Übergangszeit von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft zu übertragen ist. Die Regierungen der EWG-Staaten haben zwar — aus politischen und wirtschaftlichen Gründen — versucht, die Zuständigkeit für die Handelspolitik gegenüber den soge-nannten Staatshandelsländern so lange wie möglich zu behalten. Seit Anfang 1973 dürfen sie aber keine neuen Verträge mit osteuropäischen Ländern mehr aushandeln; dies ist allein der Gemeinschaft vorbehalten („treaty making power ). Durch ein Gutachten des Europäischen Gerichtshofs vom November 1975 ist klargestellt, daß diese Zuständigkeit auch ausschließlich gilt, „das heißt, eine parallele, konkurrierende Zuständigkeit der Mitgliedstaaten existiert nicht"
Die vor 1973 ausgehandelten bilateralen Handelsverträge zwischen den einzelnen EG-Staaten und den einzelnen RGW-Staaten sind Ende 1974 endgültig ausgelaufen. Eine stillschweigende Verlängerung oder Beibehaltung, in den Außenbeziehungen der EWG sonst gang und gäbe war nicht möglich, „da sich die RGW-Länder geweigert hatten, eine Klausel zur Überleitung in die Gemeinschaftskompetenz in die bilateralen Verträge aufzunehmen" Seit 1975 sind die Handelsbeziehungen zwischen Ost-und Westeuropa durch einen vertragslosen Zustand gekennzeichnet Alle Bemühungen, ihn durch eine vertraglich abgesicherte Handelspolitik zu beenden, sind bislang gescheitert
Das Verhältnis zwischen dem RGW und der EWG war lange Zeit durch die beiderseitige Nichtanerkennung bestimmt; diese Haltung wurde auf beiden Seiten in erster Linie mit politischen und ideologischen Argumenten gerechtfertigt Als Ausgangspunkt für erste Annäherungsversuche wird die Rede von Breshnew auf dem 15. Kongreß der sowjetischen Gewerkschaften am 20. März 1972 angesehen Er sagte damals: „Die Sowjetunion ignoriert keineswegs die reale Lage in Westeuropa, darunter auch die Existenz einer Wirtschaftsgruppierung kapitalistischer Länder wie des Gemeinsamen Marktes. Wir verfolgen aufmerksam seine Tätigkeit und seine Entwicklung. Unsere Beziehungen zu den Teilnehmern dieser Gruppierung werden selbstverständlich davon abhängen, in welchem Maße sie sich ihrerseits bereit finden werden, die im sozialistischen Teil Europas entstehenden Realitäten, darunter die Interessen der RGW-Länder, zu berücksichtigen. Wir sind für Gleichberechtigung in den Wirtschaftsbeziehungen und gegen die Diskriminierung.“ Eine Antwort auf diese Rede wurde auf dem EWG-Gipfeltreffen im Oktober 1972 gegeben. In der Schlußerklärung heißt es: „Zur Förderung der Entspannung in Europa bekräftigt die Gemeinschaft ihren Willen, ab 1. Januar 1973 gegenüber den Ländern des Ostens eine gemeinsame Handelspolitik zu betreiben; die Mitgliedstaaten erklären ihre Entschlossenheit, gegenüber diesen Ländern eine Politik der Zusammenarbeit, die auf Gegenseitigkeit gegründet ist, zu fördern." Mit dieser Erklärung wurde die Bereitschaft ausgesprochen, die Erweiterung der EWG nicht auf Kosten der gesamteuropäischen Zusammenarbeit durchzuführen. 2. Chronik der bisherigen Verhandlungen Die Chronik der auf diese Erklärungen folgenden Annäherungsschritte läßt sich wie folgt zusammenfassen
— Im August 1973 gab es ein erstes offiziöses Treffen zwischen dem RGW-Generalsekretär, Faddejew, und dem dänischen Außenminister, Nogaard, dem damaligen Präsidenten des EG-Ministerrats. — Ende 1974 hatte die EG den einzelnen RGW-Ländern den Abschluß bilateraler Handelsabkommen vorgeschlagen und dafür Ab-kommensentwürfe übermittelt. Danach sollten sich die Verhandlungen über ein nichtprä-ferenzielles Abkommen auf folgende Bereiche erstrecken zollrechtliche Meistbegünstigung, Importquoten, Liberalisierung bestimmter Agrareinfuhren, handelsrechtliche Schutzmaßnahmen sowie Zahlungs-und Finanzpro-bleme; außerdem wurde die Errichtung Gemischter Kommissionen vorgeschlagen. Die RGW-Länder haben — bis auf Rumänien (1977) — auf diesen Entwurf direkt nicht reagiert
— Im Februar 1975 kam es zu einem ersten Treffen hoher Beamter der exekutiven Organe beider Gemeinschaften; es blieb ohne Ergebnisse. — Ein Jahr später, im Februar 1976, unterbreitete die RGW-Seite den Entwurf eines . Abkommens zwischen dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Grundlagen der gegenseitigen Beziehungen" Ausgehend von der KSZE-Schlußakte enthält dieser Entwurf folgende Vorschläge: Verbesserungen im Waren-und Dienstleistungsverkehr, insbesondere im Agrarhandel; gegenseitige Ein-räumung der Meistbegünstigung und von Krediten zu besten Bedingungen; Gewährung der EG-Handelspräferenzen an interessierte RGW-Mitglieder; Errichtung von Schutzmaßnahmen gegen Marktstörungen; Gründung einer Gemischten Regierungskommission; Zusammenarbeit auf den Gebieten der Standardisierung, des Umweltschutzes und des Informationsaustausches. Dabei ist in Art. 11 vorgesehen, „daß bestimmte Fragen der Handels-und Wirtschaftsbeziehungen, die sich auf die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten des RGW und den Mitgliedstaaten der EWG beziehen, durch bilaterale und multilaterale Abkommen zwischen diesen Staaten geregelt werden. Bestimmte konkrete Fragen können geregelt werden auf der Basis der Grundsätze des vorliegenden Abkommens durch direkte Kontakte, Übereinkommen und Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten des RGW und den Organen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, zwischen den Mitgliedstaaten der EWG und den Organen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe ebenso wie zwischen ihren zuständigen Wirtschaftsorganen." — Die EWG hat ihrerseits im November 1976 mit der Vorlage eines eigenen Entwurfs für 18 ein Abkommen reagiert Sie schlägt darin die Herstellung von . Arbeitsbeziehungen''vor; diese sollen sich auf folgende Gebiete erstrekken: Informationsaustausch, insbesondere von Wirtschaftsprognosen und Wirtschaftsstatistiken; Standardisierung; Umweltschutz und Organisation von Tagungen „zu Fragen des gemeinsamen Interesses“. In Art. 5 wird festgestellt: „Die Parteien widmen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen der harmonischen Entwicklung des Handels auch künftig ganz besondere Aufmerksamkeit In dieser Hinsicht wird anerkannt, daß der Abschluß von Europäischen Abkommen zwischen der Wirtschaftsgemeinschaftund jedem einzelnen Mitgliedsland des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe zur Voraussetzungen günstiger für die Ausweitung des Außenhandels beitragen wird."
Somit stehen sich zwei gegensätzliche Entwürfe gegenüber, wobei der RGW-Vorschlag verfahrenstaktisch sicherlich ein „Maximalangebot''ist, während dem der EWG dagegen die Bedeutung eines „Minimal-“ oder sogar . Ablehnungsangebotes" zukommt Es überrascht daher nicht, daß dieser Vertragspräsentation eine Reihe unergiebiger Gesprächsrunden (1978 im Mai und November) zwischen Haferkamp und Faddejew folgte
— Erst auf dem Novembertreffen 1979 wurde ein kleiner Schritt vorwärts getan. Beide Seiten beschlossen die Bildung einer Expertengruppe, die mit der Formulierung eines gemeinsamen Entwurfs für ein Abkommen beauftragt wurde. Diese Experten haben sich 1980 dreimal in Genf getroffen, ohne daß jedoch irgendwelche greifbaren Fortschritte erzielt werden konnten.
Trotz dieses Stillstands in den Verhandlungen waren beide Seiten offensichtlich bereit, die Gespräche fortzusetzen. Im Kommuniqu der 97. Sitzung des RGW-Exekutivkomitees vom Oktober 1980 heißt es: „Das Exekutivkomitee behandelte eine Information über die Beratung von Experten des Ratssekretariats und der RGW-Länder sowie der EWG zur Vorbereitung eines gemeinsamen Abkommensentwurfs. Es wurde festgestellt, daß die konstruktiven Vorschläge des RGW kein entsprechendes Echo seitens der EWG gefunden haben. Es wurde die Absicht bekräftigt, auch weiterhin einen konstruktiven Dialog mit der EWG zum Abschluß eines Abkommens zu führen, das Voraussetzungen für die künftige Entwicklung des Handels und der ökonomischen Beziehungen der Abkommenspartner schaffen und zur Entspannung beitragen wird."
Um ihre Gesprächsbereitschaft zu manifestieren, hat die EWG Ende 1979 bestimmte Zugeständnisse offiziell angeboten, die Haferkamp z. T. schon Ende 1978 „in seinem eigenen Namen" formuliert hatte die sich allerdings auf zweitrangige Probleme beziehen und den Kern des Gegensatzes nicht berühren: Zum einen will die EWG nicht mehr von . Arbeitsbeziehungen'', sondern von „Beziehungen" zwischen beiden Organisationen sprechen; zum anderen ist sie bereit, das Thema Handel in einem Rahmenabkommen mit dem RGWwenigstens zu erwähnen, wenn auch nur in der allgemeinen Form der Befürwortung einer Handelsausweitung im Rahmen der — unterschiedlichen — Zuständigkeiten von EWG und RGW.
3. Die Interessenlage
Die beiden Abkommensentwürfe und der geschilderte Verlauf der bisherigen Verhandlungen erlauben die Schlußfolgerung, daß es offenbar auf beiden Seiten immer noch starke Widerstände gegen vertragliche Beziehungen zwischen dem RGW und der EWG gibt. Von den vielschichtigen Gründen für diese Haltung sind zunächst die politischen Interessen-gegensätze zwischen der Sowjetunion auf der einen und der EWG auf der anderen Seite hervorzuheben. Die UdSSR mußte im Zuge der KSZE-Verhandlungen erkennen und akzeptieren, daß die EWG-Staaten politisch mit „einer Stimme" sprechen; dies vollzog und vollzieht sich im Rahmen der sogenannten Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) die sich getrennt von den vertraglichen Organen in direkter Kooperation der Außenminister entwickelt hat.
Die UdSSR sah sich deswegen veranlaßt, den RGW ebenfalls als eine geschlossene Gemeinschaft auftreten zu lassen und ihn als ein Pen-dant zur EWG in die europäische Politik einzuführen Denn die Entwicklung der ökonomischen Integration in Osteuropa war immer auch eine politische Forderung der Sowjetunion, die aber erst nach dem gemeinsamen Auftreten der EWG-Staaten auf der KSZE auch auf der Ebene einer gemeinsamen RGW-Außenhandelspolitik demonstriert werden sollte. Zugleich wird von der UdSSR alles unterlassen, was auf eine völkerrechtliche Anerkennung der EWG hindeuten könnte. Im Gegenteil: Sie hofft offenbar immer noch, „daß die offen ausgetragenen Interessenkonflikte zwischen den EG-Ländern eines Tages zum Scheitern der Gemeinschaft führen"
Politisch motivierte Widerstände gibt es aber auch auf der EWG-Seite. Im wesentlichen geht es dabei darum, nichts zu tun, um die Position der UdSSR im RGW, ihre Dominanz über die kleineren osteuropäischen Länder zu stärken.
Im August vergangenen Jahres hat das neu gewählte Europäische Parlament in dem soge-nannten De Clercq-Bericht in diesem Zusammenhang festgestellt: „Trotz der großen Unterschiede zwischen beiden Wirtschaftsblöcken ist ein Abkommen zwischen der EG und dem RGW und seinen Mitgliedstaaten sowohl aus politischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen wünschenswert. Politisch gesehen — auch im Rahmen der Schlußakte von Helsinki — ist es absurd, daß die EG normale Handelsbeziehungen mit allen Ländern der Welt unterhält und mit einer großen Zahl dieser Länder spezielle Abkommen schließt, während gleichzeitig die Normalisierung der Beziehungen mit unseren unmittelbaren Nachbarn noch immer aussteht. Unter dem wirtschaftlichen Aspekt ist festzustellen, daß vielfältige Handelskontakte sich weiterentwickeln, so daß der Zeitpunkt gekommen ist, die wechselseitigen Wirtschaftsbeziehungen auf eine stabile rechtliche Grundlage zu stellen ... Außerdem darf die Gemeinschaft sich niemals damit einverstanden erklären, daß irgendein Abkommen mit dem RGW als Organisation Vorrang erhält vor Abkommen zwischen der Gemeinschaft und einzelnen RGW-Ländern. Eine solche Lösung ist für uns aus juristischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen nicht vertretbar. Juristisch ist es nicht möglich, weil der RGW keine supranationalen Befugnisse besitzt, was wir aus politischen Gründen auch nicht wünschen, denn politisch wäre eine solche Entwicklung von Übel, weil sie dazu beitragen würde, die sowjetische Umklammerung der osteuropäischen Länder zu verstärken, und das steht genau im Gegensatz zu unseren Absichten. Auf wirtschaftlichem Gebiet können wir eine solche Priorität angesichts der unterschiedlichen Strukturen sowie der unterschiedlichen Wirtschaftsbeziehungen der EG zu jedem der RGW-Länder ebensowenig akzeptieren."
Diese Haltung wird formal mit dem Hinweis begründet, der RGW besitze keine völkerrechtlichen, insbesondere aber keine handelspolitischen Kompetenzen. Hierbei handelt es sich jedoch primär um ein innergemeinschaftliches Problem des RGW. Die von ihm getroffenen Vereinbarungen mit Drittländern (Finnland, Irak, Mexiko) verdeutlichen die Unhaltbarkeit dieser Position. Hinsichtlich der befürchteten sowjetischen Dominanz stellt sich die Frage, ob diese nicht unabhängig von der Organisation der Beziehungen zur EWG — und zwar in erster Linie durch die einseitige Verteilung des ökonomischen Leistungspotentials in dieser Gemeinschaft — gegeben ist Unberücksichtigt bleiben auch die Integrationsfortschritte im RGW; denn der Schwerpunkt der Zusammenarbeit verlagert sich von der Koordinierung des gegenseitigen Handels nach und nach auf eine stärkere Abstimmung in der Investitions-und Strukturpolitik. Jeder integrationspolitische Fortschritt muß aber zwangsläufig die Abhängigkeit der kleineren RGW-Länder von der Sowjetwirtschaft erhöhen. Eine Minderung dieses Abhängigkeitsverhältnisses ließe sich auf dem Wege über intensivere Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen erreichen. Vertragliche Handelsbeziehungen könnten dafür Impulse verleihen. Dies sieht auch die EWG. Nur ist sie der Meinung, daß bilaterale Abkommen diesem Ziel besser dienen, und sie verkennt, daß diese ohne das EWG-RGW-Rahmenabkommen kaum zu haben sein werden. Nichts deutet darauf hin, daß die EWG ihre politische Einschätzung revidieren wird bzw. kann
Damit ist die ökonomische Interessenlage in den RGW-EWG-Beziehungen angesprochen. Zunächst ist festzuhalten, daß der vertragslose Zustand zwischen beiden Gemeinschaften den Handelsverkehr zwischen Ost-und Westeuropa erkennbar nicht gestört hat. In der Praxis bedeutete dies vielmehr, daß auf der EWG-Seite die sogenannte autonome Einfuhrpolitik zur Anwendung gelangte. Außerdem wurden in den Jahren 1976 bis 1978 zwischen der EWG und einigen RGW-Ländern (Rumänien, Polen, Ungarn und Bulgarien) sogenannte Sektorabkommen (Textil-und Stahlbereich) geschlossen. Ferner existieren im Bereich der Landwirtschaft sogenannte technische Vereinbarungen mit einigen RGW-Staaten über eine Reihe von Marktordnungsgütern Mangels einer handelsvertraglichen Grundlage haben die RGW-Staaten seit 1975 — und darin ist für sie der größte Nachteil dieses Zustands zu sehen — keinen Einfluß mehr auf die Osthandelspolitik der EWG-Länder. Dieser Nachteil ist offensichtlich für die sowjetische Wirtschaft nicht allzu gravierend: Der sowjetische Export, der überwiegend aus Energie-und Rohstoffen besteht, findet einen nahezu ungehinderten Zutritt auf westeuropäischen Märkten. Demgegenüber wird das Fertigwaren-Angebot der kleineren RGW-Volkswirtschaften — drei Viertel davon sind Güter verbrauchsnaher Industrien, vor allem Erzeugnisse der Bekleidungsindustrie — durch die Handelsschranken in Westeuropa (hohe Zollmauern und mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen) getroffen.
Diese Länder versprechen sich vom Abschluß neuer Handelsverträge infolgedessen einen leichteren Zugang für ihre gewerblichen Waren zu den EWG-Märkten. Ein Rahmenabkommen zwischen dem RGW und der EWG, in dem die wichtigsten Grundsätze für die Entwicklung und Förderung des Handelsverkehrs zwischen beiden Gemeinschaften verankert wären, stellte nach ihrer Ansicht eine politisch akzeptable und ökonomisch wünschbare Grundlage für bilaterale Abkommen zwischen den RGW-Mitgliedstaaten und der EWG dar. »Rumänien befürwortet beharrlich die Aufnahme von Beziehungen zwischen dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (dem Gemeinsamen Markt) in den Grenzen der ihnen zufallenden Befugnisse sowie den Abschluß eines Rahmenabkommens, das die allgemeinen Grundsätze der Beziehungen zwischen diesen Organisationen verankern soll. Rumänien ist ferner der Ansicht, daß dadurch das Recht keines RGW-Mitglieds beeinträchtigt werden darf, seine Probleme der Zusammenarbeit und Handelsaustausche je nach eigenem Bedarf aufgrund direkter Verhandlungen mit dem Gemeinsamen Markt und dessen Mitgliedstaaten zu lösen.“
Ungarischerseits wird darauf hingewiesen, daß zwischen dem RGW und der EWG u. a. darüber Übereinstimmung erzielt werden konnte, „daß das Abkommen zwischen den Integrationen den Abkommen von einzelnen Ländern mit der anderen Integrationsorganisation vorausgehen soll.“
Die EG-Seite geht von anderen ökonomischen Interessen aus. Die klassischen Schwerpunkte internationaler Handelsverträge, nämlich Meistbegünstigungs-, andere Zoll-sowie Libe-ralisierungsfragen, sind im GATT multilateralisiert worden. Substantielle Möglichkeiten für bilaterale Lösungen mit den GATT-Mitgliedern des RGW (CSSR, Polen, Kuba, Rumänien, Ungarn) sind in dieser Hinsicht kaum mehr gegeben. Die EWG wäre wohl bereit, gegenüber den übrigen RGW-Ländern Zugeständnisse in diesen Fragen zu machen, aber — so wie vor 1973 ihre Mitgliedstaaten — nur in bilateralen Verträgen, dagegen nicht auf dem Umweg über ein RGW-EWG-Rahmenabkommen; denn: „außenwirtschaftspolitisch macht es aber einen bedeutenden Unterschied, ob die Meistbegünstigung in einem Rahmenvertrag mit einer internationalen Organisation deren Mitgliedstaaten zugebilligt wird oder in bilateralen Handelsabkommen. Denn im ersten Fall würde ein wesentliches Zugeständnis von vornherein festgeschrieben und stünde in den bilateralen Verhandlungen unabhängig von den individuellen Gegenzugeständnissen nicht mehr als . Verhandlungsmasse'zur Verfügung.“
Diese „Gegenzugeständnisse" sind bis heute ein ungelöstes Problem staatlicher Handelspolitik zwischen west-und osteuropäischen Staaten, zwischen marktwirtschaftlich orientierten Ländern und Ländern mit einer zentralen Planwirtschaft geblieben. Die Frage der Reziprozität von Leistungen und Gegenleistungen konnte weder beim Beitritt Polens (1967), Rumäniens (1971) und Ungarns (1973) in das GATT noch im Zuge der KSZE-Verhandlungen über den Korb 2 befriedigend beantwortet werden. Mit der großen Unsicherheit über gleichwertige östliche Gegenleistungen wird auch die Weigerung der EWG begründet, dem RGW in einem Rahmenabkommen eine generelle Nichtdiskriminierung bei den mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen zuzugestehen. Dies ist nicht nur auf die gegenwärtig anhaltende konjunkturelle Schwäche und auf die allenthalben wachsenden protektionistischen Neigungen in den EWG-Volkswirtschaften zurückzuführen. Ein solches generelles Versprechen würde außerdem die Möglichkeit der EWG einschränken, „zu bestimmten Ländern und Ländergruppen Sonderbeziehungen aufgrund historischer Bindungen oder geopolitischer Erwägungen zu entwickeln oder zu erhalten" Hinzu kommt schließlich, daß die EWG in der Vergangenheit gegenüber den RGW-Ländern auch ohne Handelsver-träge hohe Ausfuhrüberschüsse erzielen konnte.
Alles in allem ist zu folgern, daß weder die Sowjetunion noch die EWG an vertraglichen Beziehungen zwischen beiden Gemeinschaften sonderlich interessiert sind, wobei sich ökonomische und politische Überlegungen für diese Haltung überlappen. Demgegenüber besteht allein für die kleineren RGW-Volkswirtschaften sowohl ein ökonomisches als auch ein politisches Interesse am Zustandekommen neuer — und zwar multilateraler und bilateraler — Handelsvereinbarungen.
Es ist allerdings fraglich, ob die meisten Länder dieser Gruppe bereit wären, dem Beispiel der im Juli 1980 geschlossenen EWG-Rumänien-Abkommen zu folgen. Das . Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Sozialistischen Republik Rumänien über den Handel mit gewerblichen Waren" das für zunächst fünf Jahre gilt, enthält Regelungen für den verbesserten Zugang von rumänischen Industrieprodukten zum EWG-Markt. Für die westliche Seite von Interesse sind Rahmenvorschriften, die eine Steigerung und Diversifizierung der EWG-Exporte nach Rumänien erleichtern sollen, sowie eine Preis-und Schutzklausel; das Abkommen schließt Berlin (West) automatisch ein.
Formal handelt es sich zwar um ein auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit beruhendes nichtpräferenzielles Handelsabkommen. Dennoch sind die wirtschaftlichen Zugeständnisse der EWG-Seite deutlich präziser formuliert worden als die des Vertragspartners. Denn die EWG hat sich verpflichtet, gegenüber Rumänien künftig die Liberalisierungsmaßnahmen anzuwenden, die sie gegenüber GATT-Mitgliedsländern generell ergreift; die noch bestehenden Einfuhrkontingente sollten bereits für 1981 gegenüber 1980 um durchschnittlich 20 vH oder um 43 Mio ERE angehoben werden (dieser Betrag entspricht allerdings nur 2, 5 vH der EWG-Einfuhr aus Rumänien im Jahr 1979). Demgegenüber hat sich Rumänien verpflichtet, die Einfuhren aus der Gemeinschaft zu entwickeln und zu diversifizieren. „Bei der Steigerung seiner Einfuhr werden insbesondere der in den Plänen für die wirtschaftliche Entwicklung Rumäniens festgelegte Expansionssatz, die Zunahme des rumänischen Außenhandels und die kommerzielle Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaftserzeugnisse berücksichtigt"; ferner liefert Rumänien „geeignete wirtschaftliche Informationen, damit die Gemeinschaft die Möglichkeiten der Ausfuhr nach diesem Land besser beurteilen kann". Dieses Beispiel zeigt, daß bei entsprechendem politischen Willen das Problem der Reziprozität für die Gemeinschaft offensichtlich kein unüberwindbares Hindernis ist. Daneben wurde ein . Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Sozialistischen Republik Rumänien über die Einsetzung des Gemischten Ausschusses" mit unbegrenzter Laufzeit geschlossen. Dieser Ausschuß soll auf höchster Ebene zusammentreten: Er soll den institutionellen Rahmen für die Prüfung der Handelsentwicklung und der Ausarbeitung von Empfehlungen für den Informationsaustausch über die strukturellen Ausrichtungen der Volkswirtschaften sowie für die Überwachung des ordnungsgemäßen Funktionierens der bestehenden Abkommen schaffen. In Brüssel wurde die Gründung dieses Ausschusses für noch wichtiger als die Bestimmungen über den Warenhandel angesehen, weil er ein „ständiges Bindeglied“ der EWG und Rumänien schafft
Im Westen wird gelegentlich die Meinung vertreten, Rumänien habe im Verhältnis zur EWG im Alleingang und gegen den Willen Moskaus die sowjetische Verhandlungsposition verlassen. Daraus wird der Schluß gezogen, daß die EWG dem RGW nur lange genug ein Rahmenabkommen verweigern müsse; denn dann würde „anschließend dominoartig ein Comecon-Staat nach dem anderen einlenken" Bei einer genauen Betrachtung der osteuropäischen Macht-und Interessenverhältnisse ist indes der Schluß zulässig, daß der rumänische Vorstoß, der zum Abschluß der beiden genannten Abkommen geführt hat, im Rahmen des von der Sowjetunion hingenommenen außenpolitischen Spielraums dieses Landes liegt. Rumänien genießt aus historischen und politischen Gründen in der osteuropäischen Staatengemeinschaft eine Sonderstellung; so ist es als einziger RGW-Staat (neben Vietnam) Mitglied des Internationalen Währungsfonds (IWF) (seit 1972) und es wurde bereits Anfang 1974 in das Allgemeine Präferenzsystem der EG aufgenommen
Für alle übrigen RGW-Staaten gilt, daß sie bilaterale Handelsverträge mit der Europäischen Gemeinschaft erst nach Unterzeichnung eines RGW-EWG-Rahmenabkommens abschließen werden. Will die EWG ihre Handelsbeziehungen mit den übrigen osteuropäischen Ländern auf eine vertraglich abgesicherte Basis stellen und damit einen konstruktiven Beitrag zur Weiterentwicklung der gesamteuropäischen Zusammenarbeit liefern, dann muß sie den RGW als einen gleichberechtigten Vertragspartner akzeptieren. „Wenn der Abschluß eines Rahmenabkommens einmal politisch reif werden sollte, werden diese protokollarischen Formfragen sicher keine Hindernisse mehr darstellen. Es gibt genug Beispiele für elastische Formeln."
II. Möglichkeiten einer Freihandelszone zwischen West-und Osteuropa
Die EWG hat im Rahmen ihrer internationalen Handelspolitik mit einer ganzen Reihe europäischer Staaten Verträge zur Herstellung bevorzugter Handelsbeziehungen geschlossen
— Den Assoziierungsvertrag von 1961 mit Griechenland, der die spätere Errichtung einer Zollunion mit der Gemeinschaft vorsieht. Griechenland hat auf dieser Grundlage 1975 den Beitritt zur EWG beantragt, der am 1. Januar 1981 mit allen Rechten und Pflichten Wirklichkeit wurde.
— Das Assoziierungsabkommen von 1963 mit der Türkei, das auch diesem Partnerland die Möglichkeit öffnet, den Beitritt zu der Gemeinschaft zu beantragen, wenn es wirtschaftlich dazu in der Lage ist.
— Die Freihandelsabkommen („präferenzielle Handelsabkommen zur Errichtung einer Freihandelszone") von 1972 mit den Rest-EFTA-Staaten (Österreich, Schweden, Schweiz, Norwegen. Finnland, Island und Portugal) im Zuge der ersten EWG-Erweiterung. Diese Abkommen, die nicht auf den späteren Beitritt der Partnerländer abzielen, haben nach mehreren -ollsenkungsetappen in Westeuropa eine ausgedehnte Freihandelszone für industrielle ErZeugnisse geschaffen — Das Kooperationsabkommen vom April 1980 mit Jugoslawien, das de. facto auf die Errichtung einer Freihandelszone hinausläuft.
Als Ergebnis dieser Abkommen ist die EWG heute mit den meisten Staaten unseres Kontinents — abgesehen von Osteuropa und Spanien — durch ein Netz bevorzugter Handelsbeziehungen verbunden. Von osteuropäischer Seite wurde der EWG häufig der Vorwurf gemacht, in Europa eine weitverbreitete Präferenzzone für den Handel mit Industriewaren errichtet zu haben, aus der nur die sozialistischen Staaten — aus ideologischen und politischen Gründen — ausgeschlossen blieben Der Gegenvorwurf lautet: „Die Sowjetunion und die meisten ihrer Verbündeten sind die einzigen wichtigen Länder, die die Gemeinschaft noch nicht als Realität anerkennen...“
Damit stellt sich die Frage nach der Möglichkeit einer Freihandelszone auch zwischen West-und Osteuropa. Folgt man der Stufen-theorie von Balassa — er unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen der Freihandelszone (FHZ), der Zollunion (ZU), dem Gemeinsamen Markt (GM), der Wirtschaftsunion (WU) und der Vollständigen Wirtschaftsintegration (VWT) —, dann stellt die FHZ die Integrationsform dar. Ihre Teilnehmer bauen im Innenverhältnis ihre Handels-schranken ab, sie behalten aber gegenüber Drittstaaten ihren nationalen Importschutz. Verglichen mit einer ZU, die im Außenverhältnis einen gemeinsamen Zolltarif anwendet, behalten somit die Teilnehmer einer FHZ ihre handelspolitische Souveränität. Stankovsky hat darauf hingewiesen, daß die FHZ lange Zeit als praktisch nicht zu realisieren galt, weil sie technisch schwieriger zu handhaben ist als eine Zollunion (Notwendigkeit des Ursprungsnachweises); erst die Erfolge der EFTA hatten die Funktionsfähigkeit dieser Integrationsform nachgewiesen.
• Sollte eine gesamteuropäische Freihandelszone errichtet werden, dann müßten alle Hemmnisse im Handel zwischen Ost-und Westeuropa beseitigt werden. Damit wird jedoch ein altes Problem berührt: Der Westen müßte in diesem Zusammenhang Zölle und andere Einfuhrbeschränkungen abbauen; was aber der Osten aus seinem System heraus als Gegenleistung zu erbringen hätte, ist weitgehend ungeklärt.
Trotz dieser Problematik hat Finnland mit den osteuropäischen RGW-Staaten — allerdings nicht mit Rumänien — Freihandelsabkommen abgeschlossen Diese Abkommen entsprechen formal-inhaltlich dem genannten FHZ-Vertrag Finnlands mit der EWG. Die Zölle für gewerbliche und industrielle Waren wurden im allgemeinen schrittweise abgebaut; für sensible Waren ist eine längere Abbauphase vorgesehen (bis zum 1. 1. 1985). Die finnische Liste dieser Waren entspricht derjenigen des EG-Abkommens; die osteuropäischen Partner haben nur bei wenigen Positionen eine längere Frist für den Zollabbau verlangt. Anders als im FHZ-Abkommen zwischen Finnland und der EG wurden auch zahlreiche Agrarprodukte in diese präferenziellen Handelsverträge einbezogen. Neben dem Zollabbau sehen sie auch die Abschaffung nichttarifärer Beschränkungen vor. Ferner wurden Schutzklauseln für den Fall von Marktstörungen und Zahlungsbilanzschwierigkeiten vereinbart.
Die Zugangs Waren des finnischer der -zu den Märkten osteuropäischen Part nerländer wurde auf unterschiedliche Weise geregelt:
— Ungarn, Bulgarien und Polen, die auf ihre kommerziellen Einfuhren aus dem Westen Zölle erheben, gewähren Finnland im wesentlichen Zollerleichterungen. „Die finnische Seite hat somit den preisbildenden Charakter der in diesen Ländern angewandten Zölle anerkannt."
— Die CSSR wird, zusätzlich zum Zollabbau, die finnischen Importe durch systembedingte Mittel fördern, um eine volle Reziprozität herbeizuführen. Als solche importfördernden Maßnahmen werden u. a. genannt: Information finnischer Lieferanten über Importprioritäten und -projekte der CSSR; Gewährung interner Finanzierung an eigene Staatsunternehmungen, die finnische Produkte importieren; Schaffung bestmöglicher Bedingungen für die zweiseitige industrielle Kooperation. Es wurde eine gemischte Regierungskommission eingesetzt, die die Erfüllung dieser Versprechen überwachen soll.
— Die DDR, die keine Zölle auf kommerzielle Einfuhren aus dem Westen erhebt, hat sich vertraglich verpflichtet, mit Mitteln, die ihrem Wirtschaftssystem entsprechen, den finnischen Exporteuren den Marktzugang auf die gleiche Weise zu erleichtern, wie er den DDR-Waren auf den finnischen Märkten gewährt wird; diese Mittel wurden im Vertrag jedoch nicht spezifiziert, ihre Auswahl obliegt der DDR.
Stankovsky hat versucht, die Auswirkungen dieser FHZ-Abkommen zu quantifizieren. Er hat die Anteile der Einfuhr aus dem jeweils bevorzugten Partnerland an der Gesamteinfuhr der einzelnen Vertragsparteien in der Zeit von 1966 bis 1979 untersucht. Das Ergebnis seiner Berechnungen lautet: „Der empirische Test erlaubt meines Erachtens den Schluß, daß Finnland seit dem Abschluß der Freihandelsabkommen keine ins Gewicht fallende Vorteile auf den Ostmärkten gewinnen konnte; die Oststaaten dürften hingegen auf dem finnischen Markt durch die Freihandelsabkommen leichte Vorteile erzielt haben."
Diese Ergebnisse sind zwar nicht ohne weiteres auf die EWG-RGW-Beziehungen übertragbar; Finnland nimmt aus geopolitischen und ökonomischen Gründen im Ost-West-Verhältnis eine Sonderstellung ein. Sie bestätigen dennoch die a priori vermuteten Wirkungen einer Freihandelszone zwischen marktwirtschaftlich orientierten Ländern auf der einen und planwirtschaftlich ausgerichteten Ländern auf der anderen Seite:
— Dem handelspolitischen Entgegenkommen des westlichen Teilnehmers (Zollabbau und/oder Wegfall mengenmäßiger Beschränkungen) stehen keine gleichwertigen Gegenleistungen des östlichen Partners entgegen (Wie werden in einer zentralen Planwirtschaft Importentscheidungen getroffen? Wie kann man diese von außen kontrollieren?);
— die Erleichterungen für den Marktzugang sind auf westlicher Seite zwar größer als in umgekehrter Richtung. Wegen der fehlenden Flexibilität des Außenhandelssystems und der geringen Leistungsfähigkeit der Exportindustrie sind die tatsächlichen Erfolge des östlichen Partners gering einzuschätzen.
Diese theoretischen Überlegungen sind es dann auch, die es der EWG nahelegen könnten, mit den RGW-Volkswirtschaften Freihandelsabkommen abzuschließen und damit die handelspolitische Diskriminierung Osteuropas weitgehend zu reduzieren oder sogar vollständig zu beseitigen. Mit dem Abbau der Importschranken würde die EWG zumindest nach außen dokumentieren, daß sie bereit ist, cinen Beitrag zu einem ausgeglicheneren Handel zu leisten; und eine solche Konsolidierung liegt letztlich auch im Exportinteresse der EWG.
Um das Mißverhältnis zwischen EWG-Lei-
stung und RGW-Gegenleistung nicht allzu groß werden zu lassen, müßten alle Einzelzugeständnisse des Ostens — seien sie noch so gering — vertraglich festgelegt und ihre Erfüllung überwacht werden. Dies ließe sich nur in bilateralen Abkommen zwischen der EWG einerseits und den einzelnen RGW-Staaten andererseits und nicht in einem EWG-RGW-
Kahmenabkommen verwirklichen. Voraussetzung einer gesamteuropäischen FHZ — und auch in dieser Hinsicht gilt das finnische Beispiel — wäre eine stärkere Bilateralisierung des EWG-RGW-Verhältnisses. Gerade die EWG-Seite hat immer wieder betont, daß sie ihre Beziehungen zu Osteuropa auf zweiseitiger Grundlage entwickeln möchte. Es ist grundsätzlich fraglich, ob die anstehenden gravierenden weltwirtschaftlichen Probleme durch multilaterale Verhandlungen (GATT, IMF, OECD, UN) gelöst werden können. Ist es vielmehr nicht so — das zeigen auch die Verhandlungen EWG — Japan —, „that the modern economy, with its complex and imperfect market System, increasingly requires bilateral negotiations between governments in West as well as East“
Auf der Negativseite der ökonomischen Bilanzierung einer EWG-RGW-FHZ ist vor allem die Gefahr zu verbuchen, daß das höhere Angebot aus dem Osten gerade mit den struktur-schwachen heimischen Branchen konkurriert. In Zeiten konjunktureller Schwäche sowie hoher und noch steigender Arbeitslosigkeit ist dies sicherlich ein ernst zu nehmender Punkt. Andererseits darf aber nicht übersehen werden, daß die RGW-Staaten in aller Regel immer noch Anbieter von eher marginaler Bedeutung auf den EWG-Märkten sind -
Was die politische Seite einer gesamteuropäischen FHZ angeht, so würde sie de facto darauf hinauslaufen, daß die Weiterentwicklung der RGW-Zusammenarbeit ebenso wie alle weiteren Integrationsfortschritte in der EWG (einschl. ihrer Erweiterung) sich nicht negativ auf die Ost-West-Kooperation auswirken müßten. Hinzu kommt, daß „even if negotiations offer little prospects of economic gain for the Community, a growth of trade and a stable economic relationship with the East Europeans is of major political importance" Ähnliche Überlegungen hatten in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre dazu geführt, daß die meisten westeuropäischen Staaten ihre Osteinfuhren — bis auf einen harten Kern „sensibler" Waren — einseitig liberalisierten. Zu den — aus EWG-Sicht — negativen politischen Wirkungen einer Freihandelszone mit dem RGW würde vor allem die Tatsache zäh-len, daß dadurch die bestehenden Präferenzen für die Entwicklungsländer in hohem Maße unwirksam würden. Dies gilt allerdings nur für die wenigen sogenannten Schwellenländer, die auf den EWG-Märkten vielfach mit RGW-Anbietern konkurrieren und die auf eine Bevorzugung nicht so angewiesen sind wie alle übrigen Länder der Dritten Welt. Die zuletzt genannte Ländergruppe könnte die EWG indes durch ihr finanzwirtschaftliches Instrumentarium verstärkt unterstützen.
Die Reaktion der Reagan-Administration auf die Einführung des Kriegsrechts in Polen im Dezember vergangenen Jahres hat zu einer deutlichen Verschärfung des Ost-West-Verhältnisses — vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet — geführt. Die US-Regierung zielt auf eine restriktive Handelspolitik gegenüber Osteuropa ab. Unter diesen ungünstigen politischen Rahmenbedingungen werden die vertraglichen EWG-RGW-Beziehungen im Westen vorerst — und wahrscheinlich auf längere Zeit — als weiterhin unerledigt zu den Akten gelegt. Hinzu kommt, daß angesichts der Meinungsunterschiede innerhalb der EWG über ihre ostpolitischen Ziele es um vieles schwerer sein wird, ihre Ost-und Osthandelspolitik mit den USA abzustimmen.
Heinrich A Machowski, Dr. rer. pol., geb. 1936, seit 1969 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin (West). Arbeitsgebiete: Außenwirtschaftspolitik der RGW-Länder, Integration im RGW, Ost-West-Handel, Außen-wirtschaftsbeziehungen RGW-Staaten zur Dritten Welt sowie die Wirtschaftsentwicklung in Polen und in der UdSSR. Veröffentlichungen u. a.: Außenwirtschaftliche Reformen in den RGW-Staaten, 1970; Toward a socialist economic Integration in Eastern Europe, 1972; Integration im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe — Entwicklung, Organisation, Erfolge und Grenzen, 1976 (mit Jochen Bethkenhagen); Sowjetunion: Wachstumsfaktor Außenhandel, 1979; Die Verschuldung der Volksrepublik Polen gegenüber dem Westen: Gegenwärtiger Stand und Ausblick, 1980; RGW-Staaten und Dritte Welt: Wirtschaftsbeziehungen und Entwicklungshilfe, 1981 (mit Siegfried Schultz).
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