Japan ohne Illusionen Stand und Perspektive der Arbeitsbeziehungen
Wolfgang Lecher
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Zusammenfassung
In bewußter Absetzung von ökonomisch bestimmten Untersuchungen des „Modells Japan“, die sich auf Fragen der Produktivität, der technologischen Innovation, des Wachstums und der Lohnkosten konzentrieren, beschäftigt sich dieser Aufsatz mit der sozialen Seite der japanischen Arbeitsrealität. Basierend auf einer Analyse der Veränderungen der drei typischen Säulen des industriellen Systems — lebenslange Beschäftigung in einem Unternehmen, Senioritätsprinzip der Löhne und Betriebsgewerkschaften — werden die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf das soziale Klima Japans, genauer: auf die Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit eingeschätzt. Das im Ausland vorherrschende und mit kräftiger Unterstützung aus Japan zementierte Idealbild der Arbeitsbeziehungen muß relativiert werden. Steigende Arbeitslosigkeit, besonders im Bereich der jugendlichen und älteren Arbeitnehmer, Auflösungserscheinungen des Senioritätslohns, zunehmende horizontale Mobilität und Schwierigkeiten mit dem Betriebsgewerkschaftssystem markieren Perspektiven der japanischen Arbeitsbeziehungen, die zu Lasten der traditionell konsens-und gruppen-orientierten Verhaltensweisen der Arbeitnehmerschaft gehen. Diese objektiven und sich in der Krise verschärfenden Spannungen — etwa zwischen Stamm-und Randarbeitnehmerschaft, zwischen Tarifpolitik und neokorporativer Gremienpolitik auf dezentraler und zentraler Ebene und letztlich auch die ökonomisch exponierte Situation Japans — weisen auf die Belastungsgrenzen des gegenwärtigen Systems der Arbeitsbeziehungen hin.
I. Problemstellung
Die anhaltende Diskussion über die „japanische Herausforderung" und das „japanische Modell" hierzulande wird von den harten ökonomischen Tatsachen der Exportoffensive, dem technologischen Innovationspotential, den hohen Produktivitäts-und Wachstumsraten und den immer noch vergleichsweise geringen Lohnkosten in Japan geprägt Diese Diskussionsrichtung ist jedoch einseitig auf wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Fragestellungen zugeschnitten und blendet das Feld der japanischen Arbeitsbeziehungen zumindest insofern aus, als allenfalls ein idealtypisches und nicht weiter problematisiertes Verhältnis von Kapital und Arbeit in den Großbetrieben der Privatindustrie erwähnt wird.
Die Konzentration auf die volkswirtschaftlichen Aspekte und die Aussparung von arbeitsorganisatorischen und ordnungspolitischen Gesichtspunkten sollte erstens den Schluß nahelegen, daß auf dem Hintergrund der Weltmarktkrise die Zustimmung der Arbeitnehmer bzw. ihrer Gewerkschaften zur Erhöhung der Arbeitseffizienz bei gleichzeitiger Bereitschaft zu Abstrichen bei den heute erreichten sozialen Errungenschaften die deutsche Wirtschaft wieder konkurrenzfähiger machen könnte. Zweitens aber blendet die ökonomische (Diskussions-) Perspektive den japanischen historischen Kompromiß zwischen Kapital und Arbeit aus, nach dem für eine eng begrenzte Beschäftigungsgruppe (Stammarbeiter in den Großbetrieben) gegenüber westlichen Verhältnissen einzigartige Vergünstigungen der Arbeitsbedingungen geschaffen wurden.
Die vorliegende Arbeit versucht, die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise seit 1973/74 und die daraus resultierende Verschärfung des sozialen Klimas auch in Japan auf die Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit einzu-schätzen. Im Mittelpunkt steht dabei die Analyse der Veränderungen der drei typischen Säulen des industriellen japanischen Systems: lebenslange Beschäftigung, Senioritätslohnprinzip und Betriebsgewerkschaften. Untersucht wird, in welchem Maße das japanische System der Arbeitsbeziehungen seit Mitte der siebziger Jahre gezwungen ist, die national besondere Symbiose von traditionell harmonischen gesellschaftlichen Beziehungen und produktionsorientierter Effizienz zu relativieren. Der immer noch zunehmende Druck der Weltmarktkonkurrenz bei sektoral hoher Außenabhängigkeit Japans ändert die seit der Öffnung des Landes zum Westen um die Mitte des letzten Jahrhunderts erhaltenen und seither erfolgreich der kapitalistischen Rationalität angepaßten gesellschaftlichen Grundnormen und handlungsleitenden Verhaltensmuster. Zu nennen sind hier vor allem — die hohe Identifikation der Beschäftigten mit ihrem Unternehmen, dessen Produktionsprozessen und Produkten (basierend auf der traditionell-bäuerlichen Haus-und Dorfgemeinschaft) — der Grundwert der sozialen Harmonie (basierend auf der Betonung des Gruppenverhaltens und der weitgehenden Ablehnung individualistischer oder klassenantagonistischer Verhaltensmuster) — der hohe Stellenwert der persönlichen Identifikation mit dem nationalen Staat (basierend auf der insularen Lage und dem Gott-Kaisertum)
— und schließlich die sehr späte und faktisch vom Ausland (USA) erzwungene Öffnung Japans nach 250 Jahren nahezu vollständiger Abkapselung unter einem rigiden, sozial-konservativen Feudalsystem und das Fehlen eines selbstbewußten, sich in jahrhundertelangen Kämpfen gegen den Adel behaupteten und eigene Normen setzenden Bürgertums; auch die Öffnung zum Westen wurde über den Adel „von oben“ gesteuert
Der aktuelle Grund für die Auflösungserscheinungen des bisher relativ stabilen Zusammenhangs von unternehmensgebundenen fachlichen Fähigkeiten einerseits und dafür gewährten sozialen Sicherheiten in den japanischen Großbetrieben andererseits, wie sie in den westlichen Industriestaaten unbekannt sind, und der Leistungsbereitschaft der japanischen Arbeitnehmer bzw.der daraus resultierenden Leistungsfähigkeit der japanischen Wirtschaft liegt im Prozeß und der Logik der „Durchkapitalisierung“ aller Bereiche der Produktion. Dabei werden die Arbeitsbeziehungen immer mehr auch auf Kosten der privilegierten Stammbelegschaften rationalisiert und effektiviert und die Lebensbedingungen verschlechtern sich mit wachsender Umweltbelastung sowie äußerst mangelhaften unter-nehmensungebundenen, staatlichen sozialen Leistungen. Bei differenzierter kritischer Betrachtung kann daher keinesfalls von einem Vorbildcharakter des „Modells Japan" gesprochen werden; dies liegt nicht nur an den spezifischen, historisch verankerten Voraussetzungen des japanischen Systems der Arbeitsbeziehungen, sondern auch an den im internationalen Vergleich besonders anfälligen japanischen Wirtschaftsbedingungen. Diese sind den aktuellen Risiken des Weltmarkts — außerordentlich hohe Rohstoffabhängigkeit, hohe Exportabhängigkeit in Schlüsselbereichen der Wirtschaft und damit extreme Empfindlichkeit gegenüber offenen oder verdeckten protektionistischen Maßnahmen des Auslandes — massiver als die eines jeden anderen hochindustrialisierten Landes ausgesetzt Die nachfolgenden Analysen und Erklärungsansätze verfolgen daher drei Hauptziele:
— Relativierung des Stellenwerts des japanischen Beispiels für die internationale Krisen-diskussion der ökonomischen Lage und der Arbeitsbeziehungen aus weltmarktstrukturellen und historischen Gründen;
— empirisch gestützte und argumentativ belegte Einschätzung der Veränderungen im Verhältnis von traditionell-kulturellen Einflüssen und gegebener ökonomischer Rationalität in der Krise;
— konkrete, empirisch schon heute faßbare Veränderungen der drei tragenden Säulen des Systems japanischer Arbeitsbeziehungen: lebenslange Beschäftigungssicherheit, Entgelte und Gratifikationen sowie Gewerkschaftsorganisation als die für die Arbeitnehmer zentralen Bezugssysteme.
II. Geschichtliche Grundlagen der idealtypischen Arbeitsbeziehungen
Abbildung 3
Tabelle 2 Arbeitslosigkeitsraten in Japan und in der Bundesrepublik Deutschland (in vH) 1965 1970 1975 1976 1977 1978 1979 Jugendarbeitslosigkeit der 15-bis 24jährigen Japan in tausend Personen in vH Bundesrepublik Deutschland in tausend Personen Quellen: OECD, Labour Force Statistics 1960— 1974 OECD, Labour Force Statistics, Quarterly Supplement, January 1979 BMWi, Tn Nr. 8021, 16. 12. 1980 ') Daten für das jeweilige 3. Quartal des Jahres. in vH Japan Bundesrepublik Deutschland 1965 1970 1975 1976 1977 19熸ޖ?
Tabelle 2 Arbeitslosigkeitsraten in Japan und in der Bundesrepublik Deutschland (in vH) 1965 1970 1975 1976 1977 1978 1979 Jugendarbeitslosigkeit der 15-bis 24jährigen Japan in tausend Personen in vH Bundesrepublik Deutschland in tausend Personen Quellen: OECD, Labour Force Statistics 1960— 1974 OECD, Labour Force Statistics, Quarterly Supplement, January 1979 BMWi, Tn Nr. 8021, 16. 12. 1980 ') Daten für das jeweilige 3. Quartal des Jahres. in vH Japan Bundesrepublik Deutschland 1965 1970 1975 1976 1977 19熸ޖ?
Im Vergleich zum westlich orientierten Kultur-und Wirtschaftsraum Europas, Nordamerikas und Australiens lassen sich drei entscheidende und diskutieren, Unterschiede die jeder für sich einen Teil der japa-nischen Auffassung der Arbeitsrealität erklären
Der erste Unterschied betrifft die Dominanz der Cruppenorientierung gegenüber der individuellen oder Klassenorientierung im Westen. Dieses Verhaltensmuster entstand historisch aus der großen Bedeutung, den die Gesellschaft der (bäuerlichen) Familie einräumte, der feudalen Zuordnung zu einem sozial fest-geschriebenen Status (meist bäuerliche Leibeigenschaft), dem animistischen Ahnenkult des Shintoismus mit seiner Betonung der gemeinsamen Verbindungen innerhalb der Großfamilie über die Generationen hinweg, der räumlich-geographischen Enge des besiedelbaren Landes mit der Folge einer hohen Bevölkerungsdichte in diesen Gebieten und vor allem der auf Gruppenarbeit angelegten Reisanbauwirtschaft und Fischfang an der Küste, die sowohl innerhalb der Familie als auch zwischen den Familien der Dorfgemeinschaft in den Arbeits-bzw. Bewässerungsmethoden unbedingte Einigkeit erforderte.
Dem aus diesen materiellen und sozialen Bedingungen entspringenden gruppenorientierten Verhalten lassen sich heute noch akzeptierte Wertvorstellungen im Betrieb zuordnen; dort zählt in erster Linie nicht die individuelle Leistung, sondern die Gruppenleistung der gesamten Belegschaft Die Willensbildung im Betrieb erfolgt durch einvernehmliche Entscheidung aller vom jeweiligen Problem Betroffenen. Die Streuung der Verantwortung und die Auffächerung des inhaltlichen Entscheidungsgefüges ersetzen in Japan Befehls-und Delegationssysteme westlicher Personalführung. Dies führt zu einer höheren Identifikationsbereitschaft mit Arbeitsorganisation und Betriebsziel, als sie in der Regel westliche Arbeitnehmer aufweisen. Zugleich aber wird es für die Betriebsgewerkschaften sehr schwierig, vom Unternehmensinteresse auch nur kurzfristig abweichende -Auffassun der unter gen Belegschaft mehrheitsfähig zu machen.
Für die Gewerkschaften bleiben daher nur die extremen Alternativen der totalen Zustimmung zum vorgegebenen Ziel einer optimalen Kapitalverwertung bei nur marginalen Versuchen der sozialen Steuerung dieses Prozesses oder der äußerst schwierige und daher nur sehr selten erfolgreiche Versuch einer Umpolung der Gruppenidentifikation zugunsten einer autonomen, vom Betriebsziel nicht determinierten Arbeitnehmer-und Gewerkschaftsperspektive. Die privilegierten Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaften, zu denen auch eine weitgehende Absicherung des Beschäftigungsrisikos bei betriebsinternen Rationalisierungen zählt, ermöglichen den Betriebsgewerkschaften in den Großbetrieben der Privatindustrie die meist vorbehaltlose Zustimmung zur ersten Alternative. Arbeitsplatzprobleme werden durch betriebsinterne Umsetzungen und Abwälzen der Folgen auf die unterprivilegierten Randbelegschaften gelöst.
Ob in der ökonomischen Krise bei eingeengtem Verteilungsspielraum dieser Verdrängungsprozeß weiterhin relativ spannungsfrei abläuft oder ob auf der betrieblichen Ebene ein Aufschwung autonomer Gewerkschaftsstärke infolge der nachlassenden Integrationsfähigkeit von Unternehmensideologie und -gratifikationen stattfindet, werden die nächsten Jahre zeigen. Sicher ist, daß dezentrale Gewerkschaftsstärke — und sie ist in Japan infolge der weitgehenden Unabhängigkeit der Betriebsgewerkschaften von den zentralen Organisationsebenen der Kern der potentiellen Gewerkschaftsmacht — in dem Maße ansteigt, wie der Gruppenzusammenhalt nach traditionellem Schema nachläßt.
Der zweite entscheidende Unterschied, für den gleichfalls eine enge Verbindung zwischen überlieferten Normvorstellungen und den heute gegebenen Arbeitsbeziehungen besteht, ist der zentrale Stellenwert des Unternehmens in der individuellen Lebensgestaltung und Lebensauffassung des japanischen Arbeitnehmers, denn „der japanische Arbeitnehmer durch die Zugehörigkeit zu gewinnt einem Unternehmen seine soziale Bestimmung“ Der japanische Arbeitnehmer erreicht seine soziale Position in der Gesellschaft durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Unternehmen und in dessen Rahmen zu einer bestimmten Arbeitsgruppe, der alle anderen privat-persönlichen Beziehungen ein-und untergeordnet werden, einschließlich Familie, Freizeitbekanntschaften und Freundschaftsbeziehungen, wobei die beiden letzteren ohnehin oft aus Gruppenkontakten am Arbeitsplatz entstehen. Diese soziale Ausrichtung auf das Unternehmen bedeutet aber auch, daß die Gesamtsozialisation des Individuums von der frühkindlichen Erziehung bis zur Beendigung des Ausbildungsganges idealtypisch auf die Eingliederung in ein Großunternehmen angelegt ist.
Im Unternehmen selbst wird dann relativ wenig Gewicht auf Konkurrenz und individuelle Leistung gelegt während im Außenverhält-nis zu allen anderen Unternehmen und natürlich besonders zu denjenigen der gleichen oder benachbarten Branchen ein enormes Konkurrenzverhältnis besteht, das als ständiger Anreiz für Arbeitsmotivation und Rationalisierung wirkt. Dieses Konkurrenzverhältnis führt aber andererseits zu großen Schwierigkeiten bei Vereinheitlichungsansätzen der Gewerkschaften auf Branchenebene und den Versuchen zu einer Angleichung der Arbeitsbedingungen. Bis in die jüngste Vergangenheit spielte dieser Aspekt aufgrund der lebenslangen Anstellung in einem Betrieb und dem Fehlen eines horizontalen Arbeitsmarktes für die qualifizierten Stammarbeitnehmer keine besondere Rolle, doch weisen neue Untersuchungen erste Auflösungserscheinungen dieser betriebsgebundenen Abschottung nach
Das vereinheitlichende Prinzip der Industrie-bzw. Branchengewerkschaft, wie es etwa in der Bundesrepublik den Kern der Gewerkschaftsorganisation bildet, ist in Japan seit 1945 der schwächste Teil der Gewerkschaftsstruktur; da dies analog auch für die Unternehmerverbände gilt, konzentriert sich bis heute die Tarifpolitik auf die betriebliche Ebene.
Die dritte Besonderheit schließlich liegt im spezifischen Verhältnis von persönlicher Abhängigkeit und Autorität. Sie gründet in der konfuzianischen Lebensphilosophie, eine möglichst vertrauensvolle, harmonische Beziehungsstruktur in allen Bereichen, auch den Kontakten am Arbeitsplatz, aufzubauen und erst in zweiter Linie solche Kontakte zu „funktionalisieren".
Im Unterschied zum westlichen Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis, das in der Regel stark hierarchiebezogen ist, sind die entsprechenden japanischen Beziehungen durch Pflichtgefühl und persönliche Loyalität »von unten“ und durch Verantwortung, gegenseitiges Vertrauen und dem Streben nach reibungsloser Harmonie bei Minimierung von Herrschaftsbewußtsein „von oben" bestimmt. Komplementär dazu zeichnet sich der Untergebene durch den Willen zur Anpassung und Gehorsam aus, während der Vorgesetzte Eigenschaften wie Nachsicht, Geduld und die Entwicklung von emotional-charismatischer Autorität in die Beziehungen einbringt
Dieses bis heute durchgehaltene Verhältnis erschwert es den Gewerkschaften, mit rationaler Argumentation die unterschiedlichen Interessenlagen von Arbeitgebern bzw. Management und abhängigen Arbeitnehmern plausibel zu machen. „Das minutiöse über-und Unterordnungssystem, das trotz der Abschaffung des Feudalsystems überlebt hat, beruht nicht auf , Herr-Knecht'-Beziehungen, bei denen Herr und Knecht in verschiedenen Welten leben und nur durch die Aktionen von Befehlen und Gehorchen verbunden sind, sondern auf Gefühlen gegenseitiger Abhängigkeit. Infolge der Wirksamkeit dieser sozialethischen Normen und ihrer Anwendung im Personalmanagement des Unternehmens wird dies zu einem durch enge affektive vertikale Beziehungen verwobenen Ganzen, und das Entstehen horizontaler, versachlichter Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern, wie sie für die Existenz echter Gewerkschaften Voraussetzung sind, wird sehr schwierig.“
Alle drei Besonderheiten beruhen auf den Lebensbedingungen der feudalen Epoche und tiefen kulturellen Traditionen. Sie können aufgrund der relativ geringen Zeitspanne seit der Öffnung des Landes zum Westen sowie der insularen Isolation und ihrer stabilen — weil nie massiv von außen in Frage gestellten — Verankerung auch heute noch als gesellschaftlich normsetzend und verhaltenssteuernd gelten. Andererseits stößt aber dieses letztlich aus der Feudaltradition gespeiste japanische Modell dann an seine Grenzen, wenn die den Arbeitnehmern gewährten prinzipiellen Sicherheiten und Gratifikationen aufgrund von nachlassendem wirtschaftlichen Wachstum, massiven Rationalisierungsprozessen und Automatisierung abgebaut werden müssen.
Wie im folgenden gezeigt wird, weisen Auflösungserscheinungen des Prinzips lebenslanger Beschäftigungssicherheit sowohl an der Eingangsschwelle (Jugendarbeitslosigkeit) wie auch an der Pensionsgrenze (Abbau der Beschäftigungssicherheit älterer Arbeitnehmer), des Prinzips der Seniorität (Reduzierung der Entgeltzahlungen vor Erreichen der Altersgrenze und Ansteigen der Leistungslohn-bestandteile), der Funktionsfähigkeit des Prinzips der Betriebsgewerkschaft sowie einer rein unternehmensbezogenen Tarifpolitik auf einen möglicherweise grundsätzlichen Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitsorga-nisation in Japan hin. Es deutet sich an, daß unter ökonomischem und sozialem Druck die spezifische Rationalität des Wirtschaftssy-stems die besondere Tradition der gesellschaftlichen Beziehungen in Japan zu zerstören beginnt
III. Duale Struktur der Arbeitnehmerschaft — Die Relativierung des Idealtyps der Arbeitsbeziehungen
Abbildung 4
Tabelle 4 Mobilitätsraten nach Altersklassen in vH Quelle: Arbeitsministerium, Überblick 1978 über Beschäftigungstrends Jahr Total jünger als 20 20— 24 25— 29 30— 34 35— 39 40— 44 45— 54 55 und älter 1965 11, 3 14, 7 16, 3 11, 5 8, 4 6, 8 11, 0 1977 14, 9 18, 3 21 5 9, 9 21, 7 14, 9
Tabelle 4 Mobilitätsraten nach Altersklassen in vH Quelle: Arbeitsministerium, Überblick 1978 über Beschäftigungstrends Jahr Total jünger als 20 20— 24 25— 29 30— 34 35— 39 40— 44 45— 54 55 und älter 1965 11, 3 14, 7 16, 3 11, 5 8, 4 6, 8 11, 0 1977 14, 9 18, 3 21 5 9, 9 21, 7 14, 9
Wie erwähnt, zerfällt die japanische Industrie-arbeitnehmerschaft in zwei „Klassen", analog zur Doppelstruktur der Wirtschaft: Wenige kapitalintensive Großunternehmen und Handelshäuser mit einem Belegschaftskern privilegierter Stammarbeitnehmer stehen neben vielen arbeitsintensiven Klein-und Kleinstunternehmen — sehr oft Familienbetrieben — mit meist sehr schlechten Arbeitsbedingungen Diesen unterprivilegierten Arbeitnehmern in den Zulieferbetrieben, die völlig von der Auftragsvergabe der Großunternehmen abhängen und für sie außer Vorfabrikation auch die Ersatzteillieferungen und die Lagerhaltung betreiben, müssen noch die Randbelegschaften in diesen Konzernen selbst hinzu-gezählt werden. Für diese Hilfskräfte, die oft nur für wenige, konjunkturell bedingt günstige Arbeitsmonate oder -Wochen eingestellt werden und unqualifizierte Arbeit verrichten, gelten weder Anstellungssicherheit noch die Senioritätsregel bei der Entlohnung, noch werden sie in die Betriebsgewerkschaften aufgenommen. Die Vergünstigungen gelten außer für die im westlichen Vergleich relativ kleine Gruppe der Staatsbediensteten nur für die Stammarbeitnehmer der Großunternehmen. Der Anteil dieser Unternehmen an allen japanischen Unternehmen liegt bei 0, 5 Prozent, der Anteil der Stammbelegschaften an der Gesamtbeschäftigtenzahl beträgt 20— 25 Prozent
Von besonderer Bedeutung für die Arbeitnehmerposition ist, daß Belegschaftsteile außerhalb der Stammbelegschaft, d. h. sporadisch eingestellte Hilfskräfte, weibliche Beschäftigte, die aus der Stammbelegschaft aus Altersgründen Ausgeschiedenen (aber gleichwohl im Betrieb noch Weiterarbeitenden), sowie die auf den Großbetrieb angewiesenen Arbeitnehmer der Zulieferbetriebe nicht Mitglied der Betriebsgewerkschaft werden können; sie stehen damit außerhalb der betriebs-/unternehmensintern ausgehandelten Kollektivvereinbarungen. Zudem ist die gewerkschaftliche Organisationsquote um so geringer, je weniger Beschäftigte ein Betrieb hat Dies führt dazu, daß die Gewerkschaften aufgrund ihres dezentralen und einzelbetriebsbezogenen Systems nicht ausgleichend zwischen den Arbeitsbedingungen von Groß-und Kleinbetrieben bzw. Stamm-und Randarbeitnehmern vermitteln, sondern im Gegenteil objektiv die Unterschiede noch verschärfen. Zugespitzt könnte man formulieren, daß die Masse der Arbeitnehmer die sozialen Kosten des japanischen Wirtschaftsmodells in doppelter Hinsicht bezahlt: bezüglich ihrer materiellen Ausbeutung und bezüglich ihres sehr eingeschränkten Zugangs zu betrieblichen und darüber hinaus auch gesellschaftlichen Beteiligungsmöglichkeiten. Weiterhin galt auch schon für den Vorkrisenarbeitsmarkt und gilt heute verstärkt, daß besonders Frauen und ältere Arbeitnehmer (nach ihrem Ausscheiden aus dem Beschäftigtenverhältnis bei einem Alter von durchschnittlich 35— 40 bzw. 55 Jahren) mit erheblichen finanziellen und sozialen Nachteilen zu rechnen haben. So wird von der berufstätigen japanischen Frau erwartet, daß sie höchstens bis zum vierzigsten Lebensjahr in einem Beschäftigungsverhältnis steht und so auf die Vorteile von Senioritätsregelungen verzichtet, die gerade im höheren Alter exponentiell anwachsen, und daß sie sich zudem bei gleich qualifizierter Arbeit mit nur 70 Prozent des Lohns ihrer männlichen Kollegen beschei-det Mit dem Erreichen der im westlichen Vergleich mit 55 Jahren niedrigen Alters-grenze drohen auch den männlichen Arbeitnehmern finanzielle Einbußen und in vielen Fällen sogar krasse Altersarmut, da die — sehr niedrigen — staatlichen Renten erst vom 60. Lebensjahr an gewährt werden; Angebote zur Weiterbeschäftigung von dem betreffenden Stammunternehmen oder dessen Zulieferern erfolgen — falls überhaupt — nur bei ganz erheblichen Lohnkürzungen.
Ein letztes Problem, das in der Selbstdarstellung Japans nach außen gerne „vergessen" wird, besteht darin, daß die japanische Arbeitslosenstatistik ein sehr günstiges Verhältnis von Arbeitssuchenden und Arbeitsangeboten vortäuscht. Zunächst bestehen systematische Fehler in den Berechnungs-und Erfassungsbögen der verschiedenen Arbeitslosenstatistiken; so werden solche Arbeitnehmer nicht ausgewiesen, die in der ersten Woche eines statistisch erfaßten Monats mehr als eine Stunde gearbeitet haben, jedoch keiner Dauerbeschäftigung nachgehen. Damit wird ein Teil der oft nur stundenweise beschäftigten Rand-arbeitnehmer als voll arbeitend ausgewiesen, obwohl im Extremfall die Monatsarbeitszeit nur wenige Stunden beträgt Daneben werden besonders in Großbetrieben mit ihrem lebenslang angestellten Stammpersonal, deren Kapazität in Krisenzeiten nicht ausgelastet ist, rund eine halbe Million faktisch Nicht-Beschäftigter vermutet, die zwar (noch) von den Betrieben und Betriebsgewerkschaften gehalten werden, aber gleichwohl unter dem dreifachen Druck der existentiellen Bedrohung, der Gruppenverachtung der voll Arbeitenden und der Gewißheit stehen, beim Wechsel in einen anderen Betrieb den erreichten Senioritätsstatus und die entsprechenden Gratifikationen zu verlieren
Schließlich vor zuerst und wird Entlassungen gegenüber westlicher Praxis viel konsequenter versucht, durch Abbau von Überstunden und Zunahme von Kurzarbeit den Beschäftigungsstand zunächst einmal zu halten. Insgesamt muß für Japan bei Berücksichtigung dieser Fehlerquellen eine rund doppelt so hohe als die amtlich ausgewiesene Arbeitslosenquote von 1980 mit durchschnittlich 2, 1 Prozent angenommen werden. Damit lag sie 1980/81 durchaus vergleichbar zur jahresdurchschnittlichen Arbeitslosenquote etwa der Bundesrepublik, der Niederlande oder skandinavischer Länder
Der eingangs skizzierte Idealtyp der Arbeitsbeziehungen muß also auf der Basis der dualen Struktur der Arbeitnehmerschaft ganz erheblich relativiert werden. Nicht fest angestellte Hilfskräfte, Frauen und ältere Arbeitnehmer in den Großbetrieben, die Beschäftigten der Zulieferbetriebe und der sehr hohe Anteil statistisch verdeckter Arbeitslosigkeit belegen, daß die im Ausland vielbeschworene Harmonie der Arbeitsbeziehungen schon vor der Wirtschaftskrise für die Beschäftigtengruppen außerhalb der Stammarbeitnehmer nur sehr eingeschränkt galt.
In der Krise verschärfen sich diese bereits systematisch angelegten Widersprüche und ergreifen nun auch das bisher stabile und geschützte Zentrum der privilegierten Arbeitnehmerschaft. Dies wiederum rührt an den Lebensnerv des Betriebsgewerkschaftssystems, dessen konsensorientierte, kooperative Haltung nur auf dem Hintergrund der besonders günstigen Arbeitsbedingungen seiner Klientel verstanden werden kann. Soziale Spannungen verschärfen sich, Versuche zur Stärkung der Gewerkschaftsorganisation auf sektoraler und Dachverbandsebene nehmen zu, die Betriebs-gewerkschaften müssen sich mit neuen Reaktionsformen des Managements und staatlicher Instanzen auf die veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen auseinandersetzen.
In den folgenden Abschnitten stehen daher die Auflösungserscheinungen der tradierten Arbeitsbeziehungen in den -auch Großbetrie ben und gewerkschaftliche Organisationsversuche vor allem auf überbetrieblicher Ebene im Mittelpunkt der Diskussion. Zunächst aber sind einige Grundinformationen über das japanische Gewerkschaftssystem zum Verständnis der Veränderungen der Arbeitsbeziehungen unerläßlich.
IV. Grundzüge des japanischen Gewerkschaftssystems
Abbildung 5
Tabelle 3 Japanische Arbeislosigkeitsraten nach Altersklassen (männlich) in vH Quelle: Büro des Premierministers, Arbeitskräfteüberblick 1979 •) Die Unterschiede der Quoten gegenüber Tabelle 2 erklären sich weitgehend aus differierenden Erhebungs-und Berechnungsmethoden; vgl. dazu Kapitel III. Jahr Total 1) Alter 15— 19 20— 24 25— 29 30— 39 40— 54 55— 64 65 und älter 1965 1, 5 0, 8 0, 5 0, 5 0, 5 0, 5 0, 7 — 1970 1. 2 2, 7 1. 8 1, 2 1, 1 0, 7 1. 8 0, 6 1975 2, 0 4, 7 3, 1 2, 0 1, 4 1, 5 3. 1 1. 7 1976 2, 2熸ޖ?
Tabelle 3 Japanische Arbeislosigkeitsraten nach Altersklassen (männlich) in vH Quelle: Büro des Premierministers, Arbeitskräfteüberblick 1979 •) Die Unterschiede der Quoten gegenüber Tabelle 2 erklären sich weitgehend aus differierenden Erhebungs-und Berechnungsmethoden; vgl. dazu Kapitel III. Jahr Total 1) Alter 15— 19 20— 24 25— 29 30— 39 40— 54 55— 64 65 und älter 1965 1, 5 0, 8 0, 5 0, 5 0, 5 0, 5 0, 7 — 1970 1. 2 2, 7 1. 8 1, 2 1, 1 0, 7 1. 8 0, 6 1975 2, 0 4, 7 3, 1 2, 0 1, 4 1, 5 3. 1 1. 7 1976 2, 2熸ޖ?
Die Betriebsgewerkschaften sind in der Gesamtorganisation der Gewerkschaftsbewegung weitgehend autonom. Jede einzelne Betriebsgewerkschaft „hat ihre eigene Satzung und wird vertreten durch selbstgewählte eigene Funktionäre — auch diese sind auf Dauer eingestellte Arbeitnehmer des Betriebs. Ferner hat jede Betriebsgewerkschaft ihre eigenen Finanzmittel. Demzufolge besteht vollkommene Autonomie in bezug auf die Leitung (der Betriebsgewerkschaft), ihre politischen Willensentscheidungen, ihre Aktivität bei Tarifverhandlungen und Streiks" 21) -Diese deutliche Betonung der betrieblich-dezentralen Ebene der Gewerkschaftsorganisation hat einschneidende Konsequenzen für Aufgaben-zuweisung auf regionaler, sektoraler und Dachverbandsebene. Zunächst gehören nicht die einzelnen Gewerkschaftsmitglieder, sondern nur die Betriebsgewerkschaften als Einheiten solchen weiteren gewerkschaftlichen Organisationsebenen an. Zudem beschränkt sich der Vertretungsauftrag der übergeordneten Ebenen traditionell auf den Informationsaustausch, die Koordinierung von Aktivitäten bei politischen Aktionen und die Planung eines einheitlichen Vorgehens bei Kernfragen der Arbeitsbedingungen, der Entlohnung oder der Arbeitszeit. Sowohl die Arbeitgeber wie die Betriebsgewerkschaften bevorzugten bisher Verhandlungen auf dezentraler Ebene.
Zu beachten ist weiter, daß die Bildung der betriebsbezogenen Gewerkschaften im Zuge des Neuaufbaus der Gewerkschaftsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg letztlich nur die angemessene Reaktion auf das lebenslange Anstellungsverhältnis der Stammbelegschaften und den daraus resultierenden fehlenden horizontalen Arbeitsmarkt darstellt. Unter dieser Voraussetzung erübrigte sich für die Gewerkschaften, die Arbeitsbedingungen im weiten Sinn etwa auf Branchenebene vereinheitlichen zu wollen. Es verbot sich sogar, um evtl. Konkurrenzvorsprünge des eigenen Unternehmens nicht zu gefährden. Dieses Prinzip geriet allerdings schon ab Mitte der sechziger Jahre unter den Bedingungen anhaltend hohen Wirtschaftswachstums und erhöhter — freiwilliger — Arbeitsmobilität bei Arbeitskräfteknappheit unter Druck, der sich seit der Krise 1973/74 bei sinkendem Wachstum und erhöhter — erzwungener — Mobilität unter den Bedingungen drohender Arbeitslosigkeit weiter verschärft. In dem Maße, in dem sich ein horizontaler Arbeitsmarkt bildet, nimmt der Einfluß der zentralen und sektoralen gewerkschaftlichen Organisationsebenen besonders bei Tarifauseinandersetzungen um die Vereinheitlichung von Arbeitsbedingungen, Löhnen und Arbeitszeit zu.
Gegenüber der beherrschenden, autonomen Stellung der Betriebsgewerkschaften spielen aber auch heute noch die regionalen, branchenbezogenen und dachverbandlichen Organisationsebenen eine gewerkschaftspolitisch untergeordnete Rolle. Sie dienen hauptsächlich der Informationsvermittlung und der politischen Verbindung zu den richtungsgewerkschaftlich zugeordneten Parteien, wobei interessanterweise der integriert-sozialpartnerschaftlich agierende Dachverband Domei (mit Parteibezug zur bürgerlichen Demokratisch-Sozialistischen Partei Japans) den losen Zusammenschluß der privilegierten Betriebsgewerkschaften der Stammbelegschaften in der Privatindustrie bildet. Hingegen organisiert die eher kämpferische Sohyo (mit Verbindung zur Sozialistischen Partei) vorzugsweise Beamte, aber ansatzweise auch Randbelegschaften und Belegschaften von Zulieferbetrieben. Die Zweiteilung der Arbeitnehmer in Stamm-und Randbelegschaften sich tendenziell auch in der Gewerkschaftsorganisation wider.
Die zentral-nationale Organisationsebenexrmfaßt insgesamt vier Gewerkschaftsbünde, davon zwei politische Richtungsgewerkschaften mit traditionell weit ausgebauten Beziehungen zu verschiedenen politischen Parteien. Die beiden übrigen Bünde sind viel kleiner und haben nur sektorale Bedeutung. Eine zunehmende Rolle spielen auf der nationalen Ebene noch die Zusammenschlüsse von Branchenvertretungen zu konsultativen Räten. Die zentrale Organisationsebene läßt sich demnach differenzieren nach der jeweiligen politischen Grundrichtung, den sektoralen Organisationsschwerpunkten, dem Schwerpunkt nach Qualifikationsbereichen und Anstellungsstatus der Gewerkschaftsmitglieder, der internen organisatorischen und verwaltungsbezogenen Struktur und schließlich den unterschiedlichen internationalen Beziehungen und Mitgliedschaften. Im einzelnen sind folgende Unterschiede von Bedeutung:
— Der Dachverband Sohyo hat die meisten Mitglieder, ist der Sozialistischen Partei Ja-pans eng verbunden, hat seinen Schwerpunkt im öffentlichen Sektor, organisiert im Privat-sektor vor allem Randbelegschaften und Zeit-arbeitnehmer und zielt — zumindest verbal — mit seinen Aktivitäten auf die Veränderung der kapitalistischen Gesellschaft auf dem Weg des Klassenkampfes.
— Der Dachverband Domei organisiert zwar nur halb so viele Arbeitnehmer wie Sohyo, diese aber vor allem im Kernbereich der privilegierten Stammbelegschaften großer Unternehmen des Privatsektors; er steht richtungsgewerkschaftlich der Demokratisch-Sozialistischen Partei nahe und sieht seine Funktion in der Verbesserung des gemeinsamen Konsultationssystems von Arbeitnehmern und Unternehmervertretern, fördert die Teilhabe der Arbeitnehmer am betrieblichen/unternehmensbezogenen Management und unterstützt die Bildung von kooperativen Institutionen mit korporativer Tendenz. — Die beiden übrigen Dachverbände Churitsuroren und Shin-Sanbetsu sind politisch weniger exponiert, bemühen sich aber um eine Vereinheitlichung der Gewerkschaftsbewegung — so durch das Beispiel ihrer eigenen, losen Konföderation — auf der Basis einer Rücknahme der politisch motivierten Zusammenarbeit mit den politischen Parteien und der Entwicklung eines eher trade-unionistisehen Selbstverständnisses.
— Neben diesen Dachverbänden bestehen auf landesweiter Ebene noch Zusammenschlüsse gemeinsamer Räte mehrerer angrenzender Branchen, die als Zwischenglied von Branchenföderation und Dachverband betrachtet werden können. Sie sind einerseits als Reaktion auf die politische Zersplitterung in Richtungsbünde gegründet worden, nehmen aber darüber hinaus heute eine zunehmend wichtige Rolle bei der Durchsetzung von Tarifverhandlungspolitik auf zentraler Ebene — etwa im Rahmen der Frühjahrsoffensive und bei der tarifvertraglichen Aushandlung von Veränderungen der Arbeitsbedingungen (z. B. Senioritätslohnprobleme) im weiten Sinn zwischen Regierung, Unternehmen und Gewerkschaften — wahr. Auch üben diese Branchen-räte einen ständigen Druck zur Vereinheitlichung der Gewerkschaftsbewegung aus. Diese Tendenz zur Vereinheitlichung hat allerdings mehrere wichtige Auswirkungen auf das Selbstverständnis der großen Gewerkschaftsbünde. So scheint die Annäherung zwischen Sohyo und Domei auf Kosten der offensiv-kämpferischen Teile von Sohyo zu gehen. Es lockern sich die Beziehungen besonders zwischen der sozialistischen Partei Japans und Sohyo, was wiederum in dieser Partei zu einer Stärkung des rechten Flügels führt, der eine Wiedervereinigung mit der Domei-affilierten sozial-demokratischen Partei anstrebt. Im gleichen Maße erhöht sich die Bereitschaft zu integrativen, neokorporatistischen Beziehungsmustern auch in der Sohyo; dafür legt beispielsweise die ganz offensichtliche Zurückhaltung dieses Gewerkschaftsbundes in den zentralen Tarifverhandlungen (Shunto) seit Mitte der siebziger Jahre beredtes Zeugnis ab.
In diese gemeinsamen Konsultationsgremien von Staat, Unternehmer-und Gewerkschaftsverbänden werden von Regierungsseite auch Informationen der staatlich gestützten und in vielen Fällen auch direkt angeregten Innovations-, Investitions-und Strukturplanung eingebracht. Die Versuche von Staat und Großunternehmen zielen dabei auf einen korporativen Konsens mit den Gewerkschaften in Fragen der gesteuerten Strukturpolitik und der sektoralen Marktplanung. Im einzelnen bestehen heute
— die IndustryandLaborRound Table Conference(seit 1970), an der jeweils elf Kapital-und Gewerkschaftsvertreter der Spitzenebene sowie vier Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Regierungsvertreter unter Vorsitz des Premierministers teilnehmen; diese Konferenz tagt monatlich in festem Rhythmus und diskutiert über Löhne, Preise, Beschäftigung und den Stand der Arbeitsbeziehungen; sie soll vor allem der gegenseitigen Verständigung und dem Austausch der unterschiedlichen Problemsichten dienen;
— die Round Table Conference for Public Corporations and National Enterprises LaborProblems (seit 1978), die Arbeitgeber-und Arbeitnehmervertreter im öffentlichen Dienst und den staatlichen Unternehmen unter Beteiligung derselben Vertreter des öffentlichen Lebens umfaßt, wie der vorgenannten Industry and Labor Conference; dieses Gremium hat auch dieselben Aufgaben in denjenigen Bereichen, in denen der Staat als Arbeitgeber agiert;
— das Liaison Councilfor the Study of the Industrial Relations and the Multinational Enterprises(seit 1974), in dem wiederum drittelparitätisch über die Probleme japanischer Firmen im Ausland und die Multinationalisierung japanischer Unternehmen im Inland durch ausländisches Kapital gesprochen wird;
— eine große Anzahl von drittelparitätisch besetzten Beiräten, die fast jedem Ministerium für effiziente Politikplanung, teilweise auch zu Spezialproblemen wie Unfallsicherung oder Heimarbeit, aber auch zu so wichtigen Themen wie Mindestlöhne und Arbeitsbedingungen beigegeben sind. Gesetzesanträge und Politikrichtlinien werden erst nach der Diskussion in diesen Gremien beschlossen.
Im Unterschied zum Stand der Mitbestimmungsdiskussion in der Bundesrepublik die man als Vorstufe oder „weiche Variante" neokorporativer Beziehungsmuster einordnen könnte, dienen die Beteiligungsmöglichkeiten in Japan in erster Linie der optimalen Annäherung an das vorgegebene Betriebsziel. Den Unterschied zwischen den deutschen Mitbestimmungs- und den japanischen Beteiligungsmöglichkeiten könnte man auf die Formel bringen, daß das japanische System in seiner aktuellen Gestalt und mehr noch in seiner absehbaren Entwicklung zweifellos äußerst vorteilhaft für die Durchsetzung der Kapitalinteressen und der Interessen der privilegierten Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften ist Es dient aber keinesfalls der Entfaltung einer umfassenden Demokratisierung der Wirtschaft und Gesellschaft im westlichen Sinn. Das eigentliche Problem ist hierbei jedoch eine zutreffende Einschätzung der Bedeutung der Gruppenzufriedenheit in Japan, die mit westlichen Maßstäben sicher nur unzureichend erfaßt werden kann. Zudem wird der korporative Konsens prinzipiell zu Lasten der unterprivilegierten Randarbeitnehmerschaft erreicht, zu der aber rund zwei Drittel aller japanischen Arbeitnehmer zählen. Aufgrund der kulturspezifischen Tradition ist allerdings das Ideal des Konsensprinzips auch heute noch selbst unter diesen schlechtgestellten Arbeitnehmern in der Regel zu stark, als daß es zu Massenunruhen und neuen Perspektiven der eher kämpferischen Gewerkschaftsteile kommen könnte. Abzuwarten bleibt der Einfluß der Wirtschaftskrise, die in Japan härter als in jedem anderen Land gerade die Unterprivilegierten trifft Nur in Verbindung mit gesellschafts-und ordnungspolitischen Alternativvorstellungen der Gewerkschaften über die Kontrolle wirtschaftlicher Macht und die Demokratisierung gegebener kapitalistischer Herrschaftsbeziehungen läßt sich — das zeigt das japanische Beispiel — eine Entfunktionalisierung der autonomen, tarifpolitischen Möglichkeiten und ein weiterer Machtverlust auch der zentralen Ebenen der Gewerkschaftsorganisation vermeiden.
V. Aktuelle Veränderungen der japanischen Arbeitsbeziehungen
Abbildung 6
Häufigkeit von Grund-und Weiterbildung für unterschiedliche Qualifikationen in vH Quelle: Arbeitsministerium, Überblick über innerbetriebliche Berufsbildungsmaßnahmen, 1974 Tabelle 5 Firmengröße Betriebliche Grundausbildung — Schulabgänger — andere Neuzugänge Weiterbildung — Produktionsarbeitnehmer — Techniker — Angestellte — Management Total 64, 8 26, 0 22, 2 24, 5 10, 4 21, 1 1000 und mehr Beschäftigte 86, 6 61, 9 62, 5 58, 7 54, 0 60, 8 100— 299 Beschäftigte 57, 0 28, 0 24, 6 23, 6 21, 5 24, 0
Häufigkeit von Grund-und Weiterbildung für unterschiedliche Qualifikationen in vH Quelle: Arbeitsministerium, Überblick über innerbetriebliche Berufsbildungsmaßnahmen, 1974 Tabelle 5 Firmengröße Betriebliche Grundausbildung — Schulabgänger — andere Neuzugänge Weiterbildung — Produktionsarbeitnehmer — Techniker — Angestellte — Management Total 64, 8 26, 0 22, 2 24, 5 10, 4 21, 1 1000 und mehr Beschäftigte 86, 6 61, 9 62, 5 58, 7 54, 0 60, 8 100— 299 Beschäftigte 57, 0 28, 0 24, 6 23, 6 21, 5 24, 0
1. Jugendarbeitslosigkeit und betriebs-bezogene Berufsbildung Entgegen der idealtypischen Erwartung an die Funktionsfähigkeit der japanischen Arbeitsbeziehungen verändern sich diese zu Beginn der achtziger Jahre in bemerkenswerter Weise. Trotz tendenziell identischer Krisenerscheinungen, wie sie in den westlichen Industriestaaten anzutreffen sind — scharfer Nachfragerückgang, stark rückläufige Investitionstätigkeit und Stagnation des sekundären Sektors 24) —, verlief die Erhöhung der Arbeitslosenquote nicht in akzentuierten Sprüngen, sondern eher stetig, ohne sich — bei angemessener Berücksichtigung der statistischen Fehlerquellen — Ende der siebziger Jahre grundsätzlich positiv vom westlichen Bild zu unterscheiden. Dasselbe gilt für die Daten zur Jugendarbeitslosigkeit, deren Anteil — wie auch im Westen — signifikant höher als die Gesamtquote ist Ein diesbezüglicher Vergleich zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan ist auch besonders deswegen interessant, weil Gesamtarbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit vor der Krise in Japan sowohl absolut wie prozentual deutlich höher lagen, in der Krise aber nicht sprunghaft, sondern stetig anstiegen.
Das höhere japanische Niveau vor der Krise dürfte mit dem enormen wirtschaftlichen Wachstum in den sechziger Jahren zusam-
wobei besonders die Anteilsverschiebungen vom primären zum sekundären Sektor das Beschäftigungsgleichsgewicht erheblich belasteten.
Die Stetigkeit des Anstiegs in der Krise beruht dagegen auf den ausgleichenden Effekten des damals noch funktionierenden Prinzips der lebenslangen Anstellung und des traditionell unproblematischen Übergangs vom Schul-ins Erwerbsleben. Beide Prinzipien galten und gelten modifiziert ja noch heute als Ideal. Die eingangs formulierte Grundthese der allmählichen Auflösung der japanspezifischen Prinzipien der Arbeitsbeziehungen wird weiter belegt durch die Tatsache, daß die Jugendarbeitslosigkeit Ende der siebziger Jahre im Vergleich zur Arbeitslosigkeit anderer Altersklassen überraschend hoch liegt, offenbar also der bruchlose Übergang zur lebenslangen An-Stellung nicht mehr im gewohnten Sinne funktioniert. Dies markiert eine wichtige Belastungsgrenze des Beschäftigungssystems.
Die Arbeitslosigkeit in den beiden Altersgruppen von 14— 24 Jahren und 55— 64 Jahren, d. h. in den kritischen Zonen der Einstellung und der Pensionierung, liegt deutlich über der durchschnittlichen Rate und weist darüber hinaus die stärkste Wachstumstendenz im Altersklassenvergleich auf. Damit ist ein weiterer Hinweis auf die Grenzen der Belastungsfähigkeit des traditionellen japanischen Systems der lebenslangen Beschäftigung in einem Unternehmen gegeben. Dies wird auch durch einen Vergleich der Mobilitätsraten nach Altersklassen zwischen 1965 und 1977 belegt, der ein Anwachsen der Mobilität der jüngeren und älteren Arbeitnehmer ausweist und gleichfalls für die Aushöhlung des japanischen Beschäftigungsprinzips spricht.
Zwar ist das erwartete Gefälle von relativ hoher Mobilitätsrate bei kleinen Betrieben zu niedrigen Mobilitätsraten bei Großunternehmen nach wie vor signifikant, doch lag schon 1976 die Gesamtmobilität der männlichen Arbeitnehmer in Unternehmen mit mehr als 1 000 Beschäftigten bei 5, 9 Prozent und bei 300 bis 999 Beschäftigten bei 9, 6 Prozent bei einer Durchschnittsrate, die mit 11, 1 Prozent nur noch wenig über der Rate der mittleren bis großen Unternehmen lag
Dieser Befund widerspricht klar den Erwartungen an das tradierte System, nach denen die erste eingenommene Arbeitsstelle auch beibehalten wird, der jugendliche Schulabgänger ohne jede berufliche Qualifikation und daher auch ohne jeden spezifischen Arbeitsmarkt und entsprechenden individuellen Ausbildungswunsch eingestellt wird und seine berufliche Erst-und Weiterbildung im gleichen Unternehmen erhält. Demgegenüber zeigen die Daten, daß junge Arbeitnehmer ihre Arbeitsstelle öfter wechseln. In Japan bildet sich in den letzten Jahren zunehmend ein unternehmensexterner, horizontaler Arbeitsmarkt aus.
Diese Indizien für Auflösungserscheinungen werden weiter gestützt von Daten über Dauer und Intensität unternehmensinterner Aus-und Weiterbildung. Eine erfolgreiche Anpassung der lebenslangen, unternehmensgebundenen Beschäftigung an die ökonomischen, arbeitsorganisatorischen und vor allem technologischen Erfordernisse der Produktions-und Verwaltungsprozesse erfordert eine breite Grundqualifikation als Basis für die im Laufe des Arbeitslebens innerhalb des Unternehmens mehrmals erfolgenden Umsetzungen und darüber hinaus eine permanente beruflich-fachliche Weiterbildung, um die von neuen bzw. modifizierten technologischen Verfahren geforderten individuellen Arbeitsqualifikationen zu erhalten. Dazu vorliegende japanische Statistiken zeigen deutliche Differenzen sowohl in der Häufigkeitsverteilung zwischen betrieblicher Grundausbildung (Eingangsqualifikation) und Weiterbildung (Zusatzqualifikationen) wie auch in der Anzahl solcher Qualifikationsangebote zwischen Groß-und Kleinunternehmen. Auch hier konnte zwar die höhere Bildungsintensität in Großunternehmen erwartet werden, doch erstaunt das Gefälle zwischen beruflicher Erstausbildung und Weiterbildung. Die Daten lassen den Schluß zu, daß sich mit zunehmendem Alter bzw. raschem technischen Wandel der Wert der Arbeitskraft für das Unternehmen aufgrund der oftmals unzureichenden betrieblichen Weiterbildungsmöglichkeiten verringert. Auch wenn man berücksichtigt, daß in der japanischen Gruppenorganisation das informelle „learning-by-doing" -Prinzip einen höheren Stellenwert als im formalisierten westlichen Bildungssystem haben dürfte, scheint ein latenter Widerspruch zwischen Senioritätslohn und Leistungsfähigkeit zu bestehen, der in einem auf Verwertungseffizienz gerichteten Produktionsverhältnis nicht einfach ignoriert werden kann. Versuche zur Einführung einer Funktionslohnkomponente und die vorsichtige Auflösung des Senioritätsprinzips, die nachfolgend behandelt werden, deuten die Konfliktperspektive an. 2. Funktionslohn — die leistungsbezogene Durchbrechung des Alterslohnprinzips Das Gehalt des japanischen Arbeitnehmers setzt sich aus den beiden Bestandteilen Grundlohn und Zulagen zusammen. Die Zulagen verteilen sich auf Familienzulagen, Zulagen für leitende Angestellte, die zweimal jährlich gewährten Boni, die zum Ausscheiden gezahlten Abfindungen und die Funktionszulagen. Dabei wird der Grund-oder Ecklohn gemäß den jährlichen zentralen Tarifabkommen festgesetzt, während alle Zulagen betriebsintern ausgehandelt werden, also von Betriebsgröße, dem Verhältnis zwischen Management und Betriebsgewerkschaften und der jeweiligen sektoralen Konjunktur abhängig sind. Bemerkenswert ist nun, daß der Funktionslohnanteil auf der Basis von Funktionsstufenbeurteilungen in einigen Großbetrieben inzwischen schon einen prozentualen Anteil am Gesamtentgelt von knapp 80 Prozent einnimmt, während der Grundlohnbestandteil nur noch bei 16, 5 Prozent liegt 26a). Obwohl im gesamten Durchschnitt der Löhne und Gehälter der Grundlohn heute noch bei rund 80 Prozent liegt deuten solche Beispiele großer Einzelbetriebe offensichtlich einen Wandel der grundsätzlichen Auffassung des Verhältnisses von Senioritätslohn und Funktionslohn an. Berücksichtigt man weiter, daß allein dem Grundlohn eine betriebsübergreifende, egalitäre Komponente zukommt und daß auf der Basis des Grundlohns die Berechnung der Zulagen erfolgt, dann zeigen sich enorme Konsequenzen für Gewerkschaften und Arbeitnehmer, falls sich mittelfristig tatsächlich eine generelle Umstellung des japanischen Lohnsystems vom Alters-auf das Leistungsprinzip durchsetzen sollte; es muß mit einer weiteren Ausdifferenzierung der Lohnstruktur und mit einer noch größeren Einbindung der Gewerkschaften in die Betriebspolitik bzw. ihrer Abkapselung von den zentralen Organisationsebenen gerechnet werden. Das Beurteilungsverfahren zur Funktionseinstufung wird vom jeweiligen nächsten Vorgesetzten durchgeführt, indem die Kriterien — Zukunft des Mitarbeiters (Förderungsmöglichkeiten), — Bewußtsein und Können, — Sozialverhalten, — Arbeitstempo und — Arbeitsgüte gewichtet und addiert werden Je höher das Punktergebnis, desto höher die Einstufung und die entsprechende Funktionszulage. Der Kriterienkatalog zeigt, daß eine Mischung aus Arbeitsbewertung und Persönlichkeitsbewertung vorliegt; angesichts des wichtigen gruppenorientierten Sozialverhaltens am Arbeitsplatz kann das nicht weiter verwundern, doch scheint bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit persönliche Merkmale des psychischen und sozialen Verhaltens zur Grundlage der leistungsbezogenen Lohnkomponente gemacht werden. Der Verdacht liegt nahe, daß die gruppenorientierte Grundeinstellung der japanischen Arbeitnehmer mit Hilfe der persönlichkeitsbewertenden Einstufung (und Kontrolle) zum Zweck betriebsoptimaler Arbeitsmotivation manipuliert wird.
Berücksichtigt man zur Einführungstendenz eines Funktionslohns zusätzlich, daß sich der Altersaufbau der japanischen Bevölkerung in den kommenden Jahren drastisch zuungunsten des Anteils Jüngerer verschiebt die Lebenszeiterwartung mit durchschnittlich 75 Jahren an der Weltspitze liegt das Senioritätsprinzip zu einem Mißverhältnis zwischen Wert der älteren Arbeitskraft für das Unternehmen und ihrem tatsächlichen Entgelt führt und infolge des relativ frühen Ausscheidens der Arbeitnehmer mit 55 Jahren aus dem gesicherten Arbeitsverhältnis diese für durchschnittlich 20 Jahre von ihrer Abfindungszahlung und einer sehr knapp bemessenen Rente leben müssen dann ist die Konfliktdimension zwischen Staat, Unternehmen und Gewerkschaften abzusehen.
Staat und Unternehmen haben ein Interesse daran, daß die Anpassungsfähigkeit der Belegschaft an den technologischen Wandel erhöht wird und befürworten daher einen Abbau des Senioritätslohns zugunsten des Leistungslohns und den Auf-und Ausbau eines horizontalen Arbeitsmarktes auch unter dem Aspekt des Angebotsstaus von jungen Arbeitskräften aufgrund der Beschäftigungsgarantie für ältere Arbeitnehmer bis zur Pensionierungsgrenze. Staat und Unternehmen beziehen aber gegensätzliche Positionen in der Frage der Finanzierung der aus dem Arbeitsleben aus Altersgründen Ausgeschiedenen.
Unternehmensvertreter (Management) und Betriebsgewerkschaften sind sich zwar (noch) grundsätzlich über die Vorteile von Senioritätslohn und lebenslanger Beschäftigung einig, erkennen aber gleichfalls die Notwendigkeit einer Auflockerung dieses Systems und seiner Anpassung an die betriebliche Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit besonders im internationalen Maßstab. Dieser Grund-konsens ist aber immer dann Belastungen ausgesetzt, wenn die als gewerkschaftliche Errungenschaft empfundene Beschäftigungssicherheit bei rückläufiger Nachfrage bzw. sinkendem Wachstum in der Krise in Frage gestellt wird. Tatsächlich „waren die Gewerkschaften bei der Beschäftigungssicherung älterer Arbeitnehmer nicht erfolgreich. Andererseits waren sie bezüglich der Unternehmensstrategie, Arbeitnehmer in anderen Unternehmens-zweigen unterzubringen, sehr kooperativ" Gewerkschaften und Staat schließlich stehen gleichfalls in einem doppelten Spannungsverhältnis, das sich aus der bilateralen Struktur der japanischen Gewerkschaftsorganisation ergibt. Auf globaler Ebene der richtungsgewerkschaftlichen Dachverbände und der intergewerkschaftlichen Branchenverbände wird verstärkt versucht, besonders Fragen der Beschäftigungssicherheit zu thematisieren und einen entsprechenden Mitteleinsatz des Staates zu fordern und durchzusetzen. Auf der Ebene der Betriebsgewerkschaft werden dagegen noch heute alle technologisch bedingten Rationalisierungsprozesse als für die Konkurrenzposition des eigenen Unternehmens unerläßlich toleriert und daraus sich ergebende Beschäftigungsprobleme hingenommen. 3. Lebenslange Anstellung — ein Finanzierungs-und Arbeitsmarktproblem Die Rollenverteilung zwischen Staat, Gewerkschaften und Unternehmen kann am Beispiel des Beschäftigungsproblems älterer Arbeitnehmer weiter differenziert werden. Es zeigt sich dabei ein japan-spezifisches Konfliktlösungsmuster, das Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Hauptakteuren beispielhaft klarlegt. Trotz der Tatsache, daß sich das Problem der Arbeitslosigkeit in der Krise für Japan in einem durchaus westlichen Dimensionen vergleichbaren Ausmaß stellt, verbietet sich aufgrund der besonderen Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen (in den Großbetrieben) eine „Problemlösung" nach westlichem Muster. Ein rigoroser, staatlich nur unzulänglich abgefederter oder gar geplanter Wirtschaft bei dezentral-privaten der Investitionsentscheidungen bzw. -restriktionen und schnelle Rationalisierungsprozesse mit der Konsequenz hoher, langfristiger, struktureller Arbeitslosigkeit liegen nicht in der Logik des japanischen Systems. Sowohl die im Vergleich zum Westen weit ausformulierte und von den Unternehmen akzeptierte Leitungsfunktion staatlicher Strukturplanung als auch das Ideal lebenslanger Beschäftigungssicherheit im Erstunternehmen verbieten krasses, kapitalorientiertes Krisenmanagement, obwohl Japan mit seiner Außenabhängigkeit in sensiblen Wachstums-sektoren und im Energiesektor den strukturellen Zwängen des Weltmarktes in hohem Maße unterliegt. Andererseits verschärfen sich die Probleme mit den Schwierigkeiten, die infolge des absehbar ungünstiger werdenden Altersaufbau der Bevölkerung und der Qualifikationsgrenzen älterer Arbeitnehmer bei raschem technischen Wandel entstehen. Als für die japanischen Arbeitsbeziehungen typisches Lösungsmuster in Absprache und Rollenverteilung zwischen Gewerkschaften, Staat und Unternehmen kristallisiert sich folgendes abgestimmte Vorgehen heraus:
Die Betriebsgewerkschaften (dezentrale Ebene) versuchen die Stammbelegschaft auf, Kosten der Randbelegschaften mittels arbeitsplatzgarantierender Tarifabschlüsse und infor-
meller Übereinkommen abzusichern. Dies bedeutet für die Randbelegschaften in den Großunternehmen und die Beschäftigten in den von ihnen abhängigen Zulieferbetrieben eine zusätzliche Erhöhung des Beschäftigungsrisikos über ihre traditionelle, konjunkturell bedingte Pufferfunktion hinaus. Die langfristige, strukturelle Arbeitslosigkeit in diesem Bereich, dem die überwiegende Anzahl der Arbeitnehmer zuzurechnen ist, nimmt zu. Die gewerkschaftlichen Dachverbände und intergewerkschaftlichen Tarifräte (zentrale Ebene) thematisierten Ende der siebziger Jahre den Beschäftigungskonflikt in ihrem jährlichen Forderungskatalog der Frühjahrsoffensive (Shunto), wo traditionell nur die auf den Grundlohn bezogenen quantitativen Richtlinien für die entscheidenden betrieblichen Tarifverhandlungen öffentlich vorgestellt und mit Signalwirkung abgeschlossen wurden. 1981 aber scheint die Position der zentralen Gewerkschaftsebene so wirtschaftsorientiert und/oder die Position der Betriebsgewerkschaften ihnen gegenüber so stark geworden zu sein, daß Reallohneinbußen und der Verzicht auf jede qualitative Forderung zur Stützung des japanischen Kapitals den beginnenden Zusammenbruch autonomer Gewerkschaftspolitik in der Krise andeuten
Die Großunternehmen versuchen einen Kompromiß in den drei Fragen der Anpassung der Qualifikationen der Belegschaft an den technischen Wandel (= Bevorzugung jüngerer Arbeitnehmer), des Abbaus von kostenintensiven Senioritätslöhnen und entsprechend hohen Abfindungssummen nach der Pensionierung mit 55 Jahren (= Erhöhung zwischen-betrieblicher Mobilität und Entkoppelung von Alter und Entgelt) und eine Sicherung der Beschäftigung zur Aufrechterhaltung der Basis-ideologie der Arbeitsbeziehungen zu erreichen. DerStaat hat ein Interesse an einem den internationalen Erfordernissen entsprechenden Strukturwandel der Wirtschaft und unterstützt direkt oder indirekt alle Maßnahmen der Unternehmen in dieser Richtung. Er versucht aber auch das Problem der Altersarmut aufgrund früherer Entlassung aus dem Beschäftigungsverhältnis und den sehr knapp bemessenen staatlichen Rentenzahlungen durch eine Ausweitung der Anstellungsdauer bei gleichzeitigem Abbau des Senioritätsprinzips zu lösen.
So sieht der inzwischen von Gewerkschaften und Unternehmen grundsätzlich — trotz einer Reihe von Bedenken — akzeptierte Regierungsplan zur „Beschäftigungssituation und Maßnahmen von 1979— 1985 folgende konkreten Schritte vor, die teilweise schon in die betriebliche Praxis umgesetzt wurden:
— Branchenbezogene Aufklärungskampagnen von Regierungsbeamten in den besonders vom Strukturwandel betroffenen Unternehmen über eine Verlängerung der Anstellungsdauer bis zum 60. Lebensjahr. Im Jahre 1978 fanden solche Kooperationstreffen in der Eisen-und Stahl-Branche, bei Zement, Elektrizitätswerken, Banken und Versicherungsanstalten und den Zeitungsverlagen statt. Darauf basierende Tarifverhandlungen führten für die fünf größten japanischen Stahlgesellschaften zu Abkommen, das Pensionierungsalter für die Arbeitnehmer stufenweise ab 1981/82 bis zum Abschluß des Prozesses 1989 auf 60 Jahre zu erhöhen. Zugleich wurde ein Abbau des Senioritätsprinzips und damit indirekt eine Lokkerung des Anreizes lebenslanger Beschäftigung in einem Unternehmen beschlossen. Interessant ist darüber hinaus, daß zum ersten-mal in Japan die führenden Unternehmen einer Branche einheitlich vorgingen. Daher gewinnt die branchenbezogene koordinierte Perspektive auch für die Gewerkschaftsorganisation notwendig an Gewicht, will sie nicht Lösungsmöglichkeiten auf überbetrieblicher Ebene allein der Kapitalseite überlassen
— Die Regierung unterbreitet den Unternehmen in den Kooperationsgesprächen ausgearbeitete Vorschläge, wie eine finanzielle Höherbelastung der Unternehmen infolge der Anhebung der Altersgrenze vor allem durch die Ersetzung des Senioritätslohns durch eine stärker leistungsbezogene Lohnfindung vermieden werden kann.
— Die Regierung gewährt staatliche Subventionen für diejenigen Unternehmen, die die Altersgrenze anheben. Diese Unternehmen erhielten 1979 einen jährlichen Zuschuß vom
Staat von umgerechnet rund 3000 DM in Mittel-und Kleinunternehmen und von rund 2200 DM in Großunternehmen für jeden Beschäftigten, den sie länger als bis zur bisherigen, betriebsüblichen Altersgrenze von 55 Jahren beschäftigten. Dabei mußte es sich um eine ununterbrochene Weiterbeschäftigung handeln. Die traditionelle Praxis der Kündigung und Wiedereinstellung zu einem sehr viel geringeren Entgelt wird nicht honoriert.
— Für den Fall, daß die globale offizielle Arbeitslosenrate in den letzten sechs Monaten durchschnittlich über 2 Prozent und die Zahl der amtlich ausgewiesenen offenen Stellen unter 0, 7 Prozent lag, gewährt der Staat denjenigen Unternehmen einen Lohnkostenzuschuß von 60 Prozent (Großunternehmen) bzw. 80 Prozent (Klein-und Mittelbetriebe), die einen über 55 Jahre alten arbeitslosen Arbeitnehmer für ein Jahr einstellen. Für die darauf-folgenden 6 Monate werden vom Staat noch 50 Prozent (Großunternehmen) bzw. 66 Prozent (Klein-und Mittelbetriebe) der Lohnkosten subventioniert. Wird ein Arbeitsloser im Alter zwischen 45 und 54 Jahren eingestellt, werden die Subventionen für einen kürzeren Zeitraum gewährt.
— Die Mittel für diese finanziellen Anreize zur Einstellung älterer Arbeitnehmer werden nicht aus den im westlichen Vergleich geringen staatlichen Steuereinnahmen, sondern aus Beträgen bereitgestellt, die von den Unternehmen in einen Fonds eingezahlt und vom Staat verwaltet und vermittelt werden. Nach amtlichen Schätzungen sollen damit 1979 rund 100000 Arbeitsplätze geschaffen worden sein. Ob diese Maßnahmen tatsächlich längerfristig ausreichen, das Lebensarbeitsprinzip und damit den Grundkonsens zwischen Gewerkschaften und Unternehmen zu sichern, erscheint vor dem Hintergrund des Entwicklungstempos des technischen Wandels und der Weltmarktlage fraglich Fraglich ist aber auch, ob sich die seit Jahrzehnten in das System integrierten und kooperationswilligen Betriebsgewerkschaften zu wirksamer Gegenwehr aufraffen können und ob sie entspre-chende Aktionen durch gegenseitige Information und Koordination landesweit oder zumindest branchenbezogen wirksam machen können.
IV. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen — Thesen zur Veränderung der Arbeitsbeziehungen in der Krise
Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen ergibt sich in thesenhafter Verkürzung folgender Befund zu Stand und Entwicklungsrichtung der Arbeitsbeziehungen in Japan:
1. Unter krisenhaft verengten ökonomischen Rahmenbedingungen vertieft sich die Spaltung der Arbeitnehmerschaft in Stamm-und Randbelegschaften weiter.
2. Gleichzeitig aber werden auch Großunternehmen und ihre Stammbelegschaften vom raschen Strukturwandel erfaßt; dies führt zu einem überdenken der tradierten Prinzipien von lebenslanger Anstellung, Seniorität und Leistungslohn;
3. Unternehmen und Staat versuchen, das Prinzip der lebenslangen Anstellungssicherheit bei gleichzeitigem Abbau des Senioritätsprinzips zu halten; dies ermöglicht es den Unternehmen, den Leistungslohnbestandteil des Entgeltes aufzuwerten und dadurch sowohl Kostenbelastungen zu reduzieren wie Anreize zur Anpassung der Qualifikationen an den Technischen Wandel zu schaffen.
4. Die Betriebsgewerkschaften stützen dieses Lösungsmuster und konzentrieren sich zunehmend auf die Probleme der Stammbelegschaften. 5. Den Branchengewerkschaften und den integrierten Räten verwandter Branchen bietet sich die Chance der Aushandlung von einheitlichen Grundbedingungen für diese qualitativen Veränderungen von Arbeitsbeziehungen; dies könnte mittelfristig ihre Position in der Gewerkschaftsbewegung stärken, obwohl sie nur in Abstimmung und weitgehender Abhängigkeit von den Betriebsgewerkschaften handeln können.
6 Die gewerkschaftlichen Dachverbände müssen dagegen einen Funktionsverlust so-
" ohl innerhalb der Gewerkschaftsbewegung ms auch in ihrer Position gegenüber Staat und Unternehmensvertretern hinnehmen; innergewerkschaftlich verlieren sie an Einfluß in-sheichen Zeitraum in der Bundesrepublik „nur" um '(. Japan steht vor einer schwierigen beschäftiungspolitischen Situation mit noch unabsehbaren ogen für die Arbeitsbeziehungen. folge der abnehmenden Bedeutung der Frühjahrsoffensive, extern verlieren sie — infolge ihres internen Machtverlustes — letztlich aber auch für das ausgebaute neokorporative Konsultationssystem an Interesse.
7. Dieser Funktionsverlust könnte nur durch ernsthafte Ansätze der Vereinheitlichung der großen Richtungsbünde auf der Grundlage autonomer tarifpolitischer Funktionen kompensiert werden; andererseits nimmt gerade aufgrund des innergewerkschaftlich-tarifpolitischen Funktionsverlustes die Inkorporation in die Konsultationsgremien zu, ohne daß die zentralen Ebenen der Gewerkschaftsorganisationen imstande wären, dort Machtpositionen zu realisieren.
Die spezifische Struktur der japanischen Arbeitsbeziehungen bedingt einen vom westlichen Modell unterschiedlichen Handlungsansatz in der Krise. Gleichwohl lassen sich Auflösungserscheinungen der tradierten System-, komponenten zugunsten der Einführung und Stabilisierung von Systemkomponenten klassischer kapitalistischer Rationalität ausmachen. Die künftige Entwicklung wird zeigen, in welchem Ausmaß und mit welcher Schnelligkeit sich unter ökonomischem und sozialem Druck das japanische Modell dem Westen nähert und welche Besonderheiten auch weiterhin in diesen Anpassungsvorgang integriert werden können. Zumindest im Bereich neokorporativer Beziehungsmuster zwischen Staat, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden mutet das „japanische Beispiel“ schon fortgeschrittener an als viele westliche Kapital-Arbeit-Beziehungen. Dies allerdings birgt für das System der japanischen Arbeitsbeziehungen die Gefahr, daß die Grenzen des sozialen Konsens in der Krise früher erreicht werden als in Ländern mit erprobten konfliktorientierten Beziehungen. Die eingebauten, objektiven Spannungsmomente, wie etwa das Verhältnis von Stamm-und Randarbeitnehmern, von Tarifpolitik zu neokorporativer Gremienpolitik und nicht zuletzt die ökonomisch exponierte Situation Japans weisen auf die Belastungsgrenzen dieses Systems hin.
Wolfgang Lecher, Dr. rer. pol., geb. 1945; Wissenschaftlicher Referent im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes; Arbeitsgebiet: internationale Gewerkschafts-und Gesellschaftspolitik. Veröffentlichungen u. a. zu Gewerkschaftsstrukturen und Tarifpolitik in Europa, Neue Entwicklungen der Mitbestimmungsdiskussion im europäischen Vergleich, Korporatismus und internationale Gewerkschaftsbewegung, Arbeitsbeziehungen und Partizipation in Japan, zuletzt: Gewerkschaften im Europa der Krise — Zur Zentralisierung und Dezentralisierung gewerkschaftlicher Organisation und Politik in sechs Ländern der EG, Köln 1981.
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