In der Möglichkeit, die Ausführungen von V. Fjodorow über „Nationale Ökonomien in der westlichen Weltwirtschaft" zu kommentieren, liegt deshalb ein großer Reiz, weil sie Gelegenheit gibt, nicht nur völlig korrekte Beobachtungen des Autors zu bestätigen, sondern auch auf Unvollständiges und Fehlendes hinzuweisen. Die folgenden kritischen Anmerkungen sollen dazu beitragen, weitere Denkanstöße zu geben und auch Fragen aufzuwerfen, die Fjodorow zu stellen leider versäu•mt. Fjodorows zentrale Beobachtung, daß in Zeiten sich intensivierender Internationalisierungsprozesse in Handel und Produktion der wirtschaftspolitische Handlungsspielraum von Nationalstaaten bzw. die nationale „staatliche Regulierung" eingeengt wird, ist von westlichen Ökonomen schon seit langem konstatiert worden. Dementsprechend gibt es eine mittlerweile kaum mehr zu übersehende wirtschafts-und politikwissenschaftliche Literatur zu diesem Thema im Westen, in der die wesentlichen Problembereiche umfassend abgehandelt werden Worauf Fjodorow nun zusätzlich hinweist, ist der Widerspruch zwischen Nationalstaat und internationaler Vergesellschaftung der Produktion, wobei Fjodorow uns den Eindruck vermittelt, daß dieser Widerspruch nicht zu lösen sei. Ob das nun lediglich daran liegt, daß die westliche wirtschaftswissenschaftliche Forschung zu sehr dem Keynes’schen System, das hauptsächlich von den „Bedingungen einer geschlossenen Wirtschaft" (S. 12) ausgeht, verhaftet ist, kann mit Fjodorow durchaus bezweifelt werden. Schließlich gilt für alle wirtschaftspolitisch relevanten Schulen unserer Zeit — sei es der Keynesianismus, der Monetarismus oder die supply-side-economics —, daß „auf dem Gebiet der Ökonomie gewöhnlich die Theorien entweder den Ereignissen hinterher-(hinken) oder sie überdauern"
Etwas anderes scheint mir aber sehr viel wichtiger zu sein. Und hier springt Fjodorows manchmal sehr pointierte Betrachtungsweise ins Auge. Schließlich ist es ja nicht einfach so, daß bei Internationalisierungsprozessen Nationalstaaten an Handlungsspielraum bei ihrer makroökonomischen Steuerung verlieren. Vielmehr ist hervorzuheben, daß dies in unterschiedlichem Ausmaß der Fall ist; diese Asymmetrie wird weitgehend bestimmt von der Offenheit der jeweils betrachteten Volkswirtschaft. Wenn die USA — vor allem aus binnenwirtschaftlichen Gründen — es z. B. für notwendig halten, ihr Zinsniveau hoch zu halten, dann sind die Möglichkeiten anderer Länder, die negativen Folgen dieser Politik für das eigene Land zu begrenzen, angesichts der weitgehenden Verflechtung der Industrieländer untereinander nur sehr gering.
Von dieser „gegenseitigen Verflechtung" der westlichen Industrieländer untereinander ist in dem Aufsatz von Fjodorow nur an einer Stelle (S. 5) die Rede, von gegenseitiger Abhängigkeit ebenfalls, und zwar im Zusammenhang mit dem Intergrationsprozeß der Europäischen Gemeinschaft (S. 11). Den Terminus Interdependenz vermeidet Fjodorow völlig, und zwar sicherlich deshalb, weil er — wie ein Autorenkollektiv aus der UdSSR und der DDR — der Meinung sein dürfte, daß „die These von einer Interdependenz dazu genutzt (wird), um gestützt auf sogenannte Abhängigkeitszwänge die objektive Notwendigkeit des Ab-
In diesen Beitrag sind Forschungsergebnisse eingeflossen, die derAutorim Rahmen von Projekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Deutschen Gesellschaft für Friedens-und Konflikt-forschung (DGFK) erarbeitet hat. baus nationaler Souveränität bei der Entscheidung von Wirtschaftsfragen in den imperialistischen Ländern zu propagieren, um ein möglichst freies Agieren der internationalen Monopole zu erreichen"
Dennoch dürfte es aber mittlerweile kaum mehr möglich sein, das sich zuspitzende Spannungsverhältnis zwischen nationaler Wirtschaft und Weltwirtschaft — oder besser: Nationalstaat und internationalem System — ohne den Begriff Interdependenz erklären zu können. Dabei spreche ich von Interdependenz nicht als ideologisch verbrämter Leerformel, mit der wenig erklärt und vieles vernebelt werden kann, sondern meine mit einem interdependenten internationalen System das in der Regel asymmetrische Geflecht von Natio-nalstaaten und anderen transnationalen Akteuren staatlicher und nichtstaatlicher Art (internationale 'Organisationen, multinationale Unternehmen etc.), in dem zweifellos — und hier ist Fjodorow voll zuzustimmen — die Bedeutung von Nationalstaaten als Regulativ abgenommen hat
Folgt man Fjodorows Gedankengang, dann haben jedoch alle Versuche, internationale Regulative einzusetzen, keine Aussicht auf Erfolg; die Beispiele der EG und des GATT seien Beweis dafür. Vielmehr sei der „Widerspruch zwischen dem Grad der Vergesellschaftung der Produktion und der Form der Aneignung ... auf eine neue Stufe“ (S. 4) gehoben. Die Folgen dieses Leninschen Ansatzes sind klar, insbesondere dann, wenn man sich der Kritik Lenins an Kautskys Konzept vom „Ultraimperialismus", das „internationale Einrichtungen der Kontrolle oder auch der Entscheidung von Streitfragen zwischen Völkern und Staaten“ einschloß, erinnert: Das sei „eine Vertuschung, eine Abstumpfung der fundamentalsten Widersprüche des jüngsten Stadiums des Kapitalismus, statt einer Enthüllung ihrer Tiefe; das Resultat ist bürgerlicher Reformismus statt Marxismus."
Die — sei es auch nur indirekte — Berufung auf revolutionäre Thesen, die (1917 geschrieben) unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges entstanden, führt unter den heutigen Bedingungen jedoch nicht weiter. Zu sehr haben sich die sozioökonomischen Strukturen, die Akteure und auch die Bewegungen zwischen ihnen verändert. Fjodorows Ansatz, seine Analyse und somit auch seine Schlußfolgerungen werden dem Gegenstand nicht immer gerecht. Es ist keineswegs einsehbar, warum sich nicht wie im nationalen auch im internationalen Bereich bilaterale, regionale oder gar globale Regulierungsmechanismen von Zirkulations-und auch Produktionsprozessen herausbilden sollten. Und die jüngeren Entwicklungstendenzen weisen exakt in diese Richtung.
Verflechtung, Interdependenz und Protektionismus
Die „bürgerliche" Analyse jüngerer Entwicklungen in der Weltwirtschaft ignoriert gestiegene Konfliktpotentiale keineswegs. Deren Ursache sind mehrere Trends, die nicht nur nebeneinander existieren, sondern kumulativ wirken:
1. So war bereits während der sechziger Jahre deutlich geworden, daß der Welthandel im Vergleich zur Weltproduktion überproportionale Zuwächse aufwies — eine Entwicklung, die sich seit Anfang der siebziger Jahre sogar noch steigerte. Gerade für die Industrieländer nahm der Welthandel an Bedeutung zu: Fast ohne Ausnahme ist in allen wichtigen Industrieländern der Anteil der Exporte am Bruttoinlandsprodukt (BIP), also der Teil des im Inland Produzierten, der dem Ausland zur Verfügung gestellt wird, gestiegen (z. B. USA von 4 % (1960] auf 7 % [1978]; EG von 8 % [1960] auf 11 % [1978] ohne Intra-Handel); für die Importe gelten ähnliche, etwas höhere Quoten.
Die Folgen dieses Prozesses sind deshalb von besonderer Bedeutung, weil diese Länder auf Veränderungen im internationalen Handel und auf Veränderungen in abnehmenden oder liefernden Partnerländern sehr viel empfindlicher reagieren und verwundbarer, d. h. abhängiger geworden sind. Die größere Verflochtenheit der Volkswirtschaften untereinander und die größere Sensitivität gegenüber externen Ereignissen ist besonders deutlich geworden bei der Übertragung internationaler wirtschaftlicher Störungen zwischen den Industrieländern, beispielsweise bei dem kombinierten Auftreten von Inflation und Rezession in den Jahren 1972 bis 1975 und auch jetzt wieder seit 1979. Zwar werden diese Störungen über die außenwirtschaftlichen Kanäle zwischen den Ländern vermittelt, die Effekte haben jedoch mittel-und unmittelbare Auswirkungen auf die nationalen Preise, auf Angebots-und Nachfragestrukturen, auf das Einkommen, die Beschäftigung usw. Die Übertragungsmechanismen (qua Preis-, Einkommens-und Finanzeffekte) wirtschaftlicher Störungen, die mit einer Zunahme der wirtschaftlichen Verflechtung entsprechend der nationalen wirtschaftlichen und innenpolitischen Flexibilität ihren Wirkungsgrad verändern, werden besonders virulent bei „nichttypischen", also primär politisch bewirkten Störungen. So hat das Beispiel der „Energiekrisen" seit 1973/74 gezeigt, daß alle Industrieländer, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, auf Störungen der Versorgungssicherung sensibel reagieren und in ihnen teilweise schmerzhafte — weil kosteninduzierende — wirtschaftspolitische Anpassungsprozesse bewirkt wurden. Denn mit der steigenden Bedeutung des Außenwirtschaftsbereichs verbreitern sich auch die Kanäle, durch die die Produktion, die Beschäftigung, das wirtschaftliche Wachstum, die Verteilung usw. eines Landes beeinflußt werden können und — im Extremfall — sogar sein wirtschaftlicher Zusammenbruch bewirkt werden kann. 2. Diese Überlegungen gelten nicht nur für den internationalen Handel, sondern auch für den Bereich des Kapitalverkehrs in Form etwa von Direktinvestitionen. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt einen weltweit rapiden Anstieg von wirtschaftlichen Transaktionen, die sich nicht nur auf das Gebiet des internationalen Austausches von Waren und Dienstleistungen beschränken, sondern sehr viel weiter gehen und Kapitalbewegungen in Form etwa der Verlagerung von Produktionsstätten, kurz eine allgemeine Internationalisierung der Produktion umfassen.
Als wirtschaftliche Ursache für diesen Internationalisierungsprozeß muß der rapide Anstieg der produktiven Kräfte in den industriell entwickelten Zentren angesehen werden: Rationalisierung und Automatisierung sowie eine ständige Erhöhung der Produktivität fördern vertikale und horizontale Konzentrationstendenzen in der Produktion. Die optimalen Betriebsgrößen und die Produktionsserien wachsen in beträchtlichem Ausmaß. Und in vielen, besonders den kleineren Industrieländern haben die produktiven Kräfte einen Punkt erreicht, wo der Rahmen und die Grenzen der einzelnen nationalen Wirtschaften zu klein geworden sind und hemmend wirken. Die notwendigen Investitionen sind von den einzelnen Unternehmen kaum mehr allein zu tragen, und die Entwicklung neuer Produktionen und Technologien erfordert einen exorbitant hohen Forschungsaufwand, der nur noch in multinationalen und/oder integrierten Systemen zu leisten ist. Hierdurch, nämlich durch eine den nationalen Rahmen überwindende Verklammerung von Unternehmens-einheiten in verschiedenen Ländern, verändern sich die Parameter für die Realisierungsmöglichkeiten nationaler wirtschaftspolitischer Postulate und schaffen strukturelle In-16 terdependenzen zwischen den betrachteten Ländern.
3. Mit den Veränderungen im Handels-und im Kapitalverkehrsbereich einher gingen grundlegende Veränderungen in den internationalen monetären Beziehungen. Zweifellos hat die Internationalisierung der Produktion die Internationalisierung des Banken-und Finanzwesens intensiviert. Schließlich verfügen die multinationalen Unternehmen für ihre internationalen Aktivitäten über immense kurzfristig verfügbare Mittel, die je nach konzerninternen Überlegungen zwischen den verschiedenen Ländern transferiert und natürlich auch verwendet werden, um beispielsweise Zinsdifferenzen zwischen den Ländern auszunutzen. Daß es deshalb in den sechziger Jahren zusätzlich zu verstärkten Aktivitäten von US-und europäischen Banken kam und zur Bildung internationaler Banken-Konsortien, kann nicht überraschen. Derartige multinationale Banken können ebenso wie multinationale Unternehmen enorme finanzielle Transfers vornehmen, und zwar nicht allein aus Investitionsgründen, sondern etwa auch, um für oder gegen Wechselkursveränderungen zu spekulieren. Aufgrund dieser Entwicklungen, die ihren sichtbarsten Ausdruck in der Entstehung der durch die Petrodollars zusätzlich aufgeblähten Eurogeldmärkte fanden (deren Volumen betrug Ende 1980 mehr als 1000 Mrd. US-Dollar), fand ein weiterer Verlust an makroökonomischen Steuerungsmöglichkeiten durch die nationalen Regierungen statt.
In die beschriebenen Internationalisierungstendenzen sind Ländern involviert, die — wie Joan Robinson es einmal formuliert hat — ihrem „Wesen nach protektionistisch und nationalistisch" sind. Nicht nur gibt es in jedem Land eine andere Form der Beziehung zwischen Regierung, Verwaltung und Unternehmen, auch die Einkommensverteilung ist unterschiedlich, die Gesetzgebung usw. In den Außenwirtschaftsbeziehungen ist das Beharren auf nationalegoistischen Interessen besonders deutlich: In den hochindustrialisierten Ländern übersteigt die Produktionskapazität in der Regel die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Exporte bewirken eine Ausdehnung der Gewinnchancen, Importe dagegen Verluste zuungunsten der einheimischen Produzenten. Und hierdurch werden Grundlagen geschaffen für neue und verfeinerte Importbeschränkungen, Exportförderungen usw.
Aus den einander widerstrebenden Entwicklungen läßt sich folgern, daß durch die größer gewordene Sensibilität der Industrieländer bei Veränderungen in der Weltwirtschaft einerseits und die sich verstärkenden protektionistischen Maßnahmen andererseits Konflikt-felder entstanden sind, die nicht nur das zukünftige wirtschaftliche Wohlergehen dieser Länder beeinflussen, sondern auf ihre gesellschaftliche Entwicklung einwirken. Deshalb ist keineswegs sicher, inwieweit Anstrengungen, die gestiegene wirtschaftliche Interdependenz der Industrieländer zu regulieren, dieses Spannungsverhältnis zwischen nationaler Wirtschaftspolitik und internationaler Verflechtung lösen können. Es gibt jedoch — und das dürfte eigentlich allen Regierungen deutlich sein — keine Alternative zu dem Versuch, effektive Formen der internationalen Regulierung zu finden. Ein Abbau der internationalen Verflechtung schadet schließlich allen Beteiligten.
Nationale Handlungsspielräume und wirtschaftliche Macht
Angesichts der beschriebenen Außenwirtschaftssensitivitäten und der größer gewordenen Verwundbarkeiten haben sich zunächst einmal binnenwirtschaftliche Mechanismen und Strategien herausgebildet, die die negativen Auswirkungen der Verflechtung, die potentiellen und tatsächlichen Abhängigkeiten mindern und die wirtschaftliche Sicherheit gewährleisten sollen. Abgesehen von den politischen Implikationen dieser Ziele sollen diese Strategien verhindern, daß die „außenwirtschaftlichen Umstände (Parameter) sich so verändern, daß das sozio-politische System einer Nation einem Druck ausgesetzt wird, unter dem es zusammenbricht" d. h. sie konzentrieren sich auf Bereiche, die die Verwundbarkeit des Landes (z. B. Rohstoff-und Energie-versorgung) betreffen. Unter dem Gesichtspunkt zunehmender Verflechtung wird dann das Verhalten der betroffenen Länder von der Maxime geprägt, solche internen wirtschaftlichen Strukturen zu entwickeln, die in der Lage sind, potentielle oder existierende Abhängigkeiten in relevanten Bereichen abzubauen.
Oftmals noch schwieriger als für dieses Problem sind nationale Antworten auf die gesunkene Autonomie der meisten Industrieländer zu finden, die keineswegs nur in der Formulierung von „Industriepolitiken''oder dem Erlaß anderer protektionistischer Maßnahmen bestehen müssen. So müssen beispielsweise die potentiellen Vorteile in Rechnung gestellt werden, die ein Land durch die Koordinierung seiner Wirtschaftspolitik mit einem anderen Land erzielen kann: Die gesunkene Effektivität einiger nationaler wirtschaftspolitischer Maßnahmen (hauptsächlich nachfrageorientierte Politik in kleineren Ländern) kann beispielsweise durch unterstützende Maßnahmen von Nachbarländern kompensiert werden. Überhaupt macht es die Interdependenz der wirtschaftspolitischen Maßnahmen selbst attraktiv für alle betroffenen Länder, kooperative Lösungen zu finden, wobei diese Kooperation vom schlichten Austausch von Informationen bis hin zu gemeinsamen wirtschaftspolitischen Aktionen gehen kann.
Wirksamkeit und Ausmaß derartiger Maßnahmen und nicht zuletzt die Flexibilität, mit der sich ein Land gegen störende Einflüsse abschirmen oder sie durch eigene Initiativen gegenüber den „Störern“ kompensieren kann, sind äußerst komplex, zumal ein Land auf ökonomische Wirkungsmechanismen (z. B. bei importierter Inflation und internationaler Konjunkturübertragung) ebenso zu reagieren hat wie auf in politischen Bereichen angesiedelten Entscheidungen, die etwa seine wirtschaftliche Sicherheit (z. B. Energieversorgung) betreffen. Hiermit wird ein Punkt angesprochen, der in Fjodorows Analyse nicht behandelt wird, der aber das von ihm angesprochene Problem nationaler Regulierung eher noch brisanter macht. Es kann kaum bestritten werden, daß in den sechziger und insbesondere in den siebziger Jahren zwischen den Industrieländern eine „Politisierung der Ökonomie" stattgefunden hat. Nicht nur wurden Entscheidungen in nichtökonomischen zunehmend mit solchen in ökonomischen Bereichen verknüpft. Bei den existierenden langfristigen Trends in Richtung verstärkter staatlicher Interventionen in die nationalen Wirtschaftsabläufe forderte darüber hinaus die Herausbildung neuer transnationaler Akteure wie der multinationalen Unternehmen die Nationalstaaten immer mehr zu politischen Reaktionen und zur Formulierung politischer und wirtschaftspolitischer Verhaltensmaximen heraus. Aber auch von einer „Ökonomisierung der Politik“ könnte gesprochen werden, weil nämlich die Hauptprobleme, mit denen die Nationalstaaten als Hauptakteure des internationalen Systems konfrontiert werden, sich mehr und mehr auf wirtschaftliche Probleme konzentriert haben. Die Wirtschaftsgipfeltreffen der wichtigsten westlichen Industrieländer sind hierfür das beste Beispiel.
Eine Ausweitung des Gegenstandes der Diskussion — Analyse ökonomischer und politischer Bestimmungsfaktoren des internationalen Systems — setzt voraus, daß eine Fixierung von „issue areas", also von Sachbereichen, um die es bei zwischenstaatlichen Transaktionen geht, vorgenommen wird, innerhalb derer oder zwischen denen die Beziehungen der internationalen Akteure stattfinden.
Die Untersuchung der Beziehungen zwischen den industrialisierten Ländern läßt den allgemeinen Schluß zu, daß seit Anfang der siebziger Jahre die Akteure des internationalen Systems mehr und mehr dazu neigen, auftretende Konflikte nicht — wie es in den fünfziger und auch noch in den sechziger Jahren überwiegend der Fall war — innerhalb der jeweiligen „issues" einer Lösung zuzuführen, sondern die Regelung eines Problems von der Verknüpfung mit Problemen aus anderen „issue areas“ abhängig zu machen, wobei wirtschaftliche Problembereiche an Bedeutung zugenommen haben. Keohane/Nye beispielsweise führen diese verstärkt auftretende Veränderung auf das Erscheinen neuer Akteure und das Entstehen neuer Problemkreise zurück.
Als neue Akteure bezeichnen sie beispielsweise die multinationalen Unternehmen, die zu einer Komplizierung der Interaktionsmuster zwischen Staaten beitragen, ebenso wie internationale Organisationen, die — wie etwa die EG-Kommission — ein gewisses Maß an Autonomie gewonnen haben und selbst in der Lage sind, das internationale System mitzubeeinflussen. Zu den dringlicher werdenden Problemkreisen gehören nationale Grenzen überschreitende Fragen wie Umweltbelastung, Seerecht, internationale Geldmärkte usw. Als zweite Ursache für das veränderte Verhalten der Akteure wird das Ansteigen der Zahl ihrer ökonomischen und politischen Ziele bezeichnet, die aus der gestiegenen Zahl der Akteure und aus der gestiegenen Sensitivität gegenüber externen Einflüssen erwachsen. Drittens wird es aufgrund der komplexen Struktur des Systems immer schwieriger, daß die Akteure ihre politischen Ziele und jeweiligen Verhaltensweisen definieren und aufeinander abstimmen können. Hieraus schließlich ergibt sich, daß bei komplexen Interaktionsmustern und bei asymmetrischen Strukturen — zweifellos Ergebnis ungleichmäßiger Entwicklungen — die einzelnen Länder sich mehr und mehr veranlaßt sehen, „linkage" -Strategien zu entwickeln und anzuwenden, d. h. Probleme aus unterschiedlichen issue-areas, zwischen denen es ohnehin kaum mehr eine hierarchische Struktur gibt (im Sinne etwa der Unterscheidung zwischen „high" und „low politics"), beispielsweise aus dem wirtschaftlichen und dem sicherheitspolitischen Bereich, miteinander zu verknüpfen, um daraus Vorteile zu ziehen. Dieser Trend läßt den Schluß zu, daß die Wirksamkeit derartiger Strategien ganz erheblich von der Asymmetriestruktur der gegenseitigen Abhängigkeiten der Länder im internationalen System beeinflußt wird
In der Auseinandersetzung mit der Arbeit eines sowjetischen Wirtschaftswissenschaftlers erübrigt sich vermutlich die Aussage, daß/der wirtschaftliche Bereich bei der Bestimmung des Asymmetriegehaltes gegenseitiger Abhängigkeiten von Nationalstaaten von ganz entscheidender Bedeutung ist. Daß wir diesen Hinweis dennoch für notwendig halten, resultiert aus der Tatsache, daß es oftmals versäumt worden ist, dem eigentlich relevanten Problem bei der Analyse des Spannungsverhältnisses von „Nationalstaat und internationalem System", nämlich dem der Macht, die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Das gilt nicht nur für die „bürgerliche“ Theorie, sieht man einmal von Autoren wie Böhm-Bawerk, Perroux, Hirschmann, Morgenstern, Myrdal und anderen Häretikern ab, sondern auch für die Marxsche Theorie, die es sich mit ihrer Fixierung auf den Produktionssektor und der daraus abgeleiteten eindimensionalen Kausalität, daß nämlich mit der Existenz ökonomischer die politische Macht weitgehend determiniert sei, etwas zu einfach gemacht hat. Regelungen des Verhältnisses von nationaler Wirtschaft und Weltwirtschaft verlaufen nicht entlang des von Fjodorow postulierten „Grundwiderspruchs zwischen internationaler Vergesellschaftung und privater Aneignung", sondern zunächst einmal entlang der Fragestellung, inwieweit bestimmte Nationalstaaten sich bei ihren wirtschaftlichen Zielen gegenüber anderen Nationalstaaten entweder schützen oder durchsetzen können, und inwieweit transnationale Regulierungen, deren Dringlichkeit zweifellos zunimmt, beispielsweise über internationale Organisationen dem Einfluß bestimmter dominierender Länder unterworfen sind. Dabei spielt die Verschiebung wirtschaftlicher Kräfteverhältnisse im Sinne von Asymmetrieveränderungen gegenseitiger Abhängigkeiten eine ganz erhebliche Rolle. Zusätzlich wird der Handlungsspielraum der Länder durch stärker werdende interdependente und komplexe Strukturen begrenzt. Diese Strukturen schaffen Handlungs-zwänge, denen sich auch so große und mächtige Staaten wie die USA immer weniger verschließen können — auch wenn die Reagan-Administration gegenwärtig versucht, diesen allgemeinen Trend zu ignorieren.
Dementsprechend wächst die Notwendigkeit zu transnationaler Regulierung. Und Fjodorow müßte eigentlich die Vielzahl von Ebenen erkennen, auf denen sich bereits entsprechende Entwicklungen ergeben und ergeben haben.
Die Regulierung internationaler Interdependenzen
In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren es — übrigens unter ursprünglicher Beteiligung der UdSSR — vor allem das Allgemeine Zoll-und Handelsabkommen (GATT) und der Internationale Währungsfonds (IWF), durch die die wirtschaftlichen Regeln des internationalen Wirtschaftssystems kodifiziert wurden; ihre Existenz hat ganz erheblich zur Ausweitung und zum Funktionieren des Welthandels beigetragen. Angesichts der angedeuteten allgemeinen Entwicklungen im Handels-, Kapitalverkehrs-und Finanzbereich sowie durch das Auftreten neuer Akteure und Problemfelder wurde jedoch mehr und mehr deutlich, daß das überkommene institutionelle System der Weltwirtschaft nicht mehr in der Lage war, den veränderten Bedingungen zu entsprechen und adäquat auf die Ziele und Interessen der Mitgliedsländer zu reagieren
Die strukturellen Veränderungen, von denen der immer schärfer werdende Nord-Süd-Konflikt zweifellos der bedeutendste war, führten beispielsweise zu Fraktionsbildungen innerhalb der existierenden Organisationen oder es wurden gar neue gebildet, innerhalb derer oder mit denen es besser möglich wurde, die eigenen Interessen zu vertreten und somit regulierend zu wirken, z. B. die Gruppe der 77, die UNCTAD, die OPEC etc. Auch die mehr informellen Wirtschaftsgipfel der westlichen Industrieländer seit Mitte der siebziger Jahre gehören in diesen Zusammenhang. Generell kann die gegenwärtige institutioneile Struktur der Weltwirtschaft beschrieben werden als ein gleichzeitiges Neben-und Miteinander, als ein Mixtum von globalen Institutionen, die ihre ursprünglichen Funktionen teilweise gewandelt oder gar an Bedeutung verloren haben, von offenbar zunehmend relevanter werdenden regionalen oder problembezogenen Institutionen (wie EG, OPEC, OECD) sowie von bi-und trilateralen und/oder regionalen Verhandlungen und Vereinbarungen, von wechselnden Koalitionen etc. Dieses äußerst komplexe Geflecht ist Spiegelbild einer sich wandelnden, sich internationalisierenden Weltwirtschaft, durch das den beteiligten Ländern ermöglicht werden soll, ihre Interessen einzubringen, akzeptable Lösungen zu finden, drohende Konflikte abzuwenden und wirtschaftliche Nachteile für alle zu vermeiden.
Natürlich fällt es den Regierungen der in die westliche Weltwirtschaft verwobenen Länder schwer, nationale Souveränitätsrechte zur Regulierung ihrer eigenen Wirtschaft zugunsten internationaler Organisationen einzuschränken oder gar zugunsten supranationaler Institutionen aufzugeben. Und es würde von Naivität zeugen, wollte man ernsthaft behaupten, dieser bereits begonnene Prozeß verliefe ohne Konflikte und Machtkämpfe. Der regionale Integrationsprozeß im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft ist hierfür ein besonders gutes Beispiel. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Konflikte, sei es im Agrar-, im Stahl-, im Energie-, im Währungsbereich usw. zwischen den Mitgliedsländern aufbrechen. Angesichts dessen mag die Behauptung von Fjodorow, daß die Verabschiedung von gemeinsamen Wirtschaftsprogrammen „den Teilnehmern keine Erleichterung ihrer wirtschaftlichen Probleme beschert“ (S. 12) habe, im konkreten Fall durchaus zutreffen. Nichtsdestoweniger hat der Integrationsprozeß generell im Zusammenwirken der nationalen Regierungen und der EG-Kommission (der ja im Außenhandelsbereich eigene Kompetenzen zugestanden wurden) die wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Potenzen der integrierten Länder vergrößert und die Effektivität ihrer Wirtschaft erhöht bzw. — um es anders zu formulieren — zu einer Entwicklung geführt, die — im hypothetischen Vergleich mit einer Situation ohne Integration — ganz erhebliche Wohlstandzuwächse in den Mitgliedsländern bewirkte (eine ungleiche Verteilung der Integrationsgewinne durchaus in Rechnung gestellt). Zweifellos, fehlen direkte Einflußnahmen auf die Produktion (sie sind in marktwirtschaftlich organisierten Systemen ohnehin sehr selten), aber qua Regionalfonds, Bestimmungen über Binnenhandel und -kapitalverkehr, Migration von Arbeitskräften usw. sind indirekte Einflußnahmen durchaus gegeben.
Daß die internationalen Regulierungsversuche der oben beschriebenen neu entstandenen Probleme erst seit kurzer Zeit so richtig beginnen, sei zugestanden; daraus jedoch die prinzipielle Unfähigkeit der westlichen Länder zur überstaatlichen Regulierung abzuleiten, erscheint nicht gerechtfertigt. Wenn wir uns auf den rein wirtschaftlichen Bereich beschränken, dann können wir eine Vielzahl von Maßnahmen und Vorschlägen feststellen, die zu einer internationalen Regulierung, zu einem „Management der Interdependenz" führen sollen. Erinnert sei beispielsweise an die Vorschläge der „Trilateralen Kommission an die Empfehlungen der „Brandt-Kommission“ an die Überlegung von Bergsten Camps usw., die hier im einzelnen allerdings nicht diskutiert werden können.
Natürlich bleiben derartige Vorschläge oftmals abstrakt oder sie dienen gar spezifischen politischen oder ökonomischen Interessen. Auch werden die Realisierungsmöglichkeiten neuer Formen internationaler Regulierung ganz erheblich von den Möglichkeiten einzelner Länder zur Beeinflussung der Regeln in ihrem Sinne (über das Ausspielen wirtschaftlicher oder politischer Macht, 'durch linkageBildung usw.) geprägt — hierauf ist bereits eingegangen worden. Hier liegt das eigentliche Problem der Regulierung, nicht in der Regulierung selbst.
Angesichts der unterschiedlichsten Regulierungsversuche, die es bereits gibt (verwiesen sei nur auf das GATT mit seiner zunehmenden Hinwendung auf nichttarifäre Hemmnisse der andauernden, aber sicher noch ungenügenden Reform des IWF, der Bildung von so unterschiedlichen Institutionen wie der International Energy Agency (IEA), des Europäischen Währungssystems (EWS) usw., lohnt das Eingehen auf die Behauptung von Fjodorow, die „Bestrebungen der Regierungen einzelner Länder, so etwas wie den Mechanismus der internationalen Regulierung zu schaffen, (können) keinen Erfolg haben»(S. 11). Er begründet das damit, daß „der bürgerliche Staat... als Anwalt der Interessen des nationalen Kapitals auf(tritt)" (S. 11). Jegliche internationale Regulierung gehe jedoch mit Einschränkungen einher, „weil die verschiedenen Fraktionen des nationalen Kapitals nicht nur Partner, sondern auch Konkurrenten sind". „Deshalb" (?) könne der Staat „dennoch seine entscheidenden Prärogative nicht an ein internationales Organ abgeben“. Dieser Ableitungszusammenhang ist, wenn nicht unverständlich, so doch wenig überzeugend: Fjodorow selbst hat viel Raum darauf verwendet darzulegen, daß der Nationalstaat angesichts tiefgreifender Internationalisierungstendenzen geschwächt ist und seine Instrumente immer weniger greifen. Aber das gilt doch gleichermaßen für andere Länder, und sie verfügen über kaum andere Alternativen als sich entweder abzuschotten (Stichworte: Protektionismus, z. B. in Form von Subventionen, „Industriepolitik" usw.) oder aber den Versuch zu unternehmen, mit anderen Regierungen Abkommen zu schließen oder überhaupt zu Vereinbarungen zu kommen. Dabei ist es ja nicht einmal notwendig, daß nationale Kompetenzen an ein supranationales Organ abgegeben werden. Vor dieser . intensivsten'Form internationaler Regulierung gibt es eine Reihe anderer Möglichkeiten, von der Konsultation über Kooperation bis hin zum Abschluß von Abkommen, Verträgen usw. Und diese werden weidlich geputzt Fjodorow hat den (allerdings nur vordergründigen) Vorteil, auf der Basis einer Weltanschauung argumentieren zu können, die schon seit ziemlich langer Zeit das Zunehmen von Widersprüchen im Kapitalismus konstatiert und seinen Zusammenbruch immer wieder postuliert hat — wenn sie angesichts des Aus-bleibens des Zusammenbruches auch schon gelegentlich Stabilisierungsphasen konzediert. Diese . Sicherheit'ist dann wohl auch der Grund dafür, wieder einmal von einer erneuten Verschärfung der Widersprüche im Kapitalismus zu reden, wobei in Fjodorows Analyse m. E. nicht deutlich wird, ob er das Problem, mit dem er sich beschäftigt, als . Grundwiderspruch'oder aber als lösbar durch Modifizierung des Systems begreift.
Der von Marx und Engels betonte Grundwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital bzw. — in der Form wie ihn Fjodorow verwendet — der zwischen Vergesellschaftung und privater Aneignung hat in den Industriegesellschaften des Westens nationalstaatliche Formen der Regulierung gefunden, die sich zwar krisenhaft durchgesetzt, aber unter prinzipieller Wahrung des kapitalistischen Systems (mehr oder weniger gut) funktioniert haben. Es ist beim besten Willen nicht einzusehen, warum der von Lenin so beschimpfte „bürgerliche Reformismus" nicht auch ein (mehr oder weniger gut) funktionierendes, auch unter Krisen entstandenes, internationales Regulierungssystem zustande bringen könnte. Das hat mit Weltregierung oder auch nur supranationalen Institutionen zunächst einmal nichts zu tun. Vielmehr läuft der Entwicklungstrend entsprechend der benannten strukturellen Veränderungen in der Weltwirtschaft in Richtung auf ein nach Problembereichen und Regionen differenziertes komplexes Netz internationaler Konsultationen, Vereinbarungen, Organisationsbildungen usw. In ihm werden asymmetrische gegenseitige Abhängigkeiten sowie Beziehungen zwischen ökonomischen und nichtökonomischen Bereichen eine sicher noch größere Rolle spielen, als das bisher bereits der Fall war.
Und dies ist eine Entwicklung, der sich letzten Endes auch die meisten sozialistischen Länder nicht werden entziehen können. Schließlich sind sie während der siebziger Jahre mehr und mehr in das Weltwirtschaftssystem integriert worden und können sich immer weniger den Einflüssen der westlichen Weltwirtschaft wie auch den weltweiten Problemen der Energie-und Rohstoffversorgung entziehen. So ist es sicherlich nicht überraschend, daß einige osteuropäische Länder des „Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe" (RGW) in ihrer Beteiligung an den westlichen Versuchen, zu internationalen Regulierungen zu kommen (z. B. im GATT, im IWF, aber auch durch Verhandlungen mit der EG), einen Ausweg sehen, um ihre eigenen Wirtschaftsprobleme zu bewältigen. — Aber diese ironische Pointe gehört in ein anderes Kapitel.