Der Nikolaus hatte immer noch seine alten Sprüche: Da kam er „von drauß'vom Walde" und wurde nach Hüttendörfern gefragt; da wollte er wissen, „sind's gute Kind, sind’s schlechte Kind" und m♦erkte nicht, daß sie, schweigend ins Lutschen vertieft, ihn längst unverbindlich am Bildschirm absolviert hatten.
Doch als pädagogisches Prinzip fühlte sich Nikolaus erfahren und geschichtlich bestätigt. Hatte er sich doch mit Zuckerbrot und Rute einen Ruf als guter Mann erkämpft und über Jahrhunderte immer das gewünschte Verhalten von Kindern erreicht. Leicht gekränkt über den Fernsehersatz seiner Person setzte er erfolgsverwöhnt nunmehr die Hoffnung auf seinen vollen Sack. Dieser curriculare Baustein seiner pädagogischen Entität mit unbekannter Füllung, der mußte ziehen. Und richtig, kaum angeboten, da umringten die Kinder den Sack. In ihren Augen glitzerte eine unstillbare Sehnsucht und Begehrlichkeit nach immer neuen Dingen, obwohl sie schon alles besaßen. Den Sack nur öffnen, schon allein das versprach Lust.
Dies beobachtete Nikolaus und meinte, mit seinem curricularen Geschenksack die pädagogische Falle gestellt zu haben. Ebenso hoffte er, damit seinen in Jahrhunderten gereiften Ruf auch bei dieser Jugend festigen zu können. Denn als gestandener konservativer und guter Mann hatte er sich ein Bild vom Menschen zurechtgelegt, das besagt, daß der Mensch mit Gaben oder Schlägen zu dem zu bringen ist, was Mächtigen, die Gehorsam fordern, nützt. Doch damit hatte er Pech! Kaum hatte er den Sack mit gütig aufforderndem Lächeln geöffnet — die wohlvorbereitete, salbungsvoll angsterzeugende Mahnpredigt im Kopf —, da rissen ihm die Kinder den Sack aus den Händen und plünderten ihn. Sein zunächst gütig gesprochenes „langsam, langsam" ging in comicartiger Turbulenz unter. Selbstsüchtiges Geraufe um längst bekanntes Spielzeug und Geräusche von Weltraumkriegen brachen aus. Dabei verschwanden die Welt und der Nikolaus in den angstfreien Abenteuern der Fernsehspiele; wie lustvoll waren für die Spieler die Zerstörungsgeräusche und die Befreiung von artfremden Lebewesen aus dem Weltall durch deren Ausrottung.
Dem Nikolaus war zum Dreinschlagen zumute. Doch weder zorniges Poltern noch die Androhung der Rute machten der Szene ein Ende, sondern allein die Schnellebigkeit der Gier, die nur auf die Öffnung des Sackes gerichtet war. Der Inhalt war bekannt, geübt das isolierte Spiel, geübt die kurze Lust an unverbindlich gefährlicher Aggression.
Es wurde still. Begehrlichkeiten schlichen sich bereits von neuem in das Lustvakuum. Doch Nikolaus sah eine Chance. Er wollte die Stille für einen Dialog nutzen und fragte: „Und sagt, wie ich's herinnen find?" — Zunächst blieb es still. Dann hörte er mit leiser Stimme sagen: „Du, weißt, das verstehst Du nicht, das ist irgenwie anders, ich weiß auch nicht wie, oder so." Das traf den guten Mann mit seiner gefestigten pädagogischen Auffassung und Werthaltung. Er wollte noch bittend einen Vorschlag machen, aber schon stülpten sich die Kinder die Kopfhörer über, nahmen einen kinderfrohen Gummibär zwischen die Zähne und übergaben ihr Bewußtsein dem Discosound.
Nikolaus trollte sich, und enttäuscht fragte er sich: „Sind's gute Kind, sind's böse Kind?".
Vergessen hatte er, als pädagogisches Prinzip autoritärer Prägung, daß man ein Gespräch leben muß und es weder als Anbiederung, noch als curriculare Planung oder für einen einmaligen Auftritt im Jahr organisieren kann.
Wie dem Nikolaus einmal der Oedipus verheimlicht wurde
Mama, die von des Nikolaus'Huld weiß, sagt dem Sohn tags zuvor voll Geduld leis': „ Wenn er fragt:, Warst Du brav?'verrat'nichts! Und jetzt schlaf!" Nachts im Bett wird dem Sohn schon vor Schuld heiß. D. Z