Als „beliebtesten Nothelfer und Kinderbeglücker im Morgen-und Abendland" rühmt das Lexikon für Theologie und Kirche den Sankt Nikolaus. Und ein toller PR-Hecht muß er schon gewesen sein, der alte Niki aus Myra.
Hätte er es sonst geschafft, nicht nur mit eigenen Leistungen, sondern auch mit denen ganz anderer, zufällig namensgleicher Nikoläuse, in die Legenden einzugehen? Zeitströmungen richtig erkannt, im rechten Moment die passende Tat und schon kann sich kein Nikolaus mehr davor retten, in die Story mit eingbaut zu werden. Was hilft’s dem Abte N. vom Kloster Sion bei M„ Bischof von Pinara, daß er ganze 200 Jahre später lebt und ganz woanders seine guten Werke vollbringt? Er wird vereinnahmt.
Kommt in den Legendentopf der Nikoläuse.
Und was sind auch gewöhnliche gute Werke gegen des großen Nikolaus Großtat: Drei von ihrem Wirt geschlachtete und eingepökelte Schüler wiedererweckt, dem Leben und den staunenden Anverwandten wiedergegeben.
Das haut voll durch, da bleibt kein Auge trokken. Und das muß auch so sein, wenn man bedenkt: Keine Television damals, keine BildZeitung, kein STERN, nichts außer Mund-zu-Mund-Propaganda. Und trotzdem gekonnt ran an die Zielgruppen. Schon dazumalen orientierte man sich instiktiv an einem Marketing-konzept, das über alle Zeiten hinweg Bestand hat (Achtung, wir kommen jetzt zügig zum aktuellen Bezug): Information, Motivation, Identifikation — das Potential wird dann erst zur verläßlichen Stammanhängerschaft, wenn die Leitfigur nicht abstrakt bleibt, sondern sich zum Anfassen anbietet, wenn sie zum Schutzheiligen wird. Nikolaus als Beschützer der Schüler, Kinder und Mädchen — Zielgruppe Jugend fast komplett abgedeckt —, aber auch als Patron unzähliger Kirchen — Zielgruppen-arbeit vor Ort —, vieler Bruderschaften — das sind die Kader, die Fanclubs — und als Nothelfer der Schiffer, der Gefangenen, der Bäcker, der Kaufleute (Markenzeichen der Hanse), der Apotheker und Juristen.
Ein großer Retter vor dem Herrn, das Image des Gütigen, die Vaterfigur, zu der man vertrauensvoll aufblicken kann, gezielt aufgebaut: Nikolaus befreit drei zu Unrecht eingekerkerte Offiziere; Nikolaus, ermöglicht drei armen Mädchen durch heimliche Geldspende die Heirat; Nikolaus rettet drei unschuldig zum Tode verurteilte Jünglinge; er rettet ferner Schiffer aus Seenot und viele andere mehr. Kaum ein Stand bleibt übrig, von dem nicht wenigstens drei gerettet würden. Dem kann sich keiner entziehen, das kann auch die böswilligste Konkurrenz nicht mehr totschweigen. Im Kartell der Heiligen wird der Markt der Rettungen und Wunder in sorgfältiger Abstimmung aufgeteilt. Die Clearingstelle in Rom hat viel zu tun, um Marktsegmentüberschneidungen zu vermeiden. Auch Christophorus und andere pochen schließlich auf ihre Rechte.
Treffsicher wird der Marketing-Mix angesetzt. Kein Instrument bleibt ungenutzt, das die Mund-zu-Mund-Propaganda am laufen halten kann. Die Legende wird ausgebaut und zum Mirakelspiel dramatisiert. Der Name Nikolaus wird allüberall visualisiert: Tausende von Bildern, zunächst in einfacher bischöflicher Tracht, dann dem Zeitgeschmack folgend mit Mitra, mit drei goldenen Kugeln — es dürfen auch mal drei Äpfel oder drei Brote sein —, mit drei aus einer Kufe aufsteigenden Knaben, mit Ankern oder Schiffen. Fresken, Tafelbilder, Glasmalereien — die Story wird als Comic-Strip gekonnt dargestellt, fürs Volk zum Kapieren, kein unnötiger intellektueller Firlefanz. Der Erfolg der Öffentlichkeitsarbeit ist durchschlagend: Nikolaus wird zu einem der häufigsten Taufnamen. Wer Nikolaus heißt, wird schließlich nicht verfehlen, zum Ruhm des Meisters weiter beizutragen.
Zuletzt — als Krone der Aktion — wird ein simples Curriculum entwickelt. Das Mirakelspiel, so eindrucksvoll es ist, ist kompliziert. Also ran ans Beiwerk und die Story auf die imagebildende Substanz gebracht. Jeder muß es nachspielen können. Das große Werk gelingt: Das Bischofsspiel wird zunächst einmal vom 9. Mai auf den 6. Dezember verlegt. An langen Winterabenden ist den Leuten einfach langweilig und feierlicher zumute, die Sensibilität für Wunder steigt. Dann weg mit dem kühlen autoritären Bischofsgehabe, weg mit Mitra, Brokat und anderen steifen Äußerlichkeiten. Der Kinderbischof wird geschaffen. Er führt Einkehr, Befragung und Bescherung durch. Und wo das noch nicht reicht, helfen andere Figuren: Knecht Ruprecht ist volksnah, einer von uns, mit dem kann man umgehen. Weg auch mit dem steifen Zeremoniell und Brimborium: Sack und Rute und ordentlich mit der Kette gerasselt, da kann jeder mitmachen. Jedenfalls bis vor gar nicht langer Zeit. Erst in den letzten Jahren klemmt es irgendwie. Die Umstellung auf die multimedialen Jahre hat nicht so ganz hingehauen.
Soviel zum Marketing-Konzept. Nun möchten wir doch mal wissen, was die Liberalen aus politischer Sicht vom Nikolaus halten.
Da hilft ein Blick in die Programmatik der F. D. P. „Das Programm der Liberalen", heißt das Buch und berichtet auf 721 (in Worten: siebenhunderteinundzwanzig) Seiten dicht bedruckten Papiers über zehn Jahre Proprammarbeit der F. D. P. Kaum ein Problem, das nicht gelöst, kaum ein Stichwort, das nicht abgehandelt wäre. Aber kein einziges Wort zum Nikolaus. Weder die Nürnberger-Wahlplattform (1969) noch die Freiburger Thesen (1971) noch die Kieler Thesen (1977) noch das Wahlprogramm der F. D. P. zur Bundestagswahl '80 erwähnen ihn, nennen seinen Namen. Was schließen wir zunächst daraus: Jedenfalls hat die F. D. P. offensichtlich nichts gegen den Nikolaus. Wenn einer namentlich nicht direkt erwähnt wird, muß das ja noch nicht heißen, daß nicht an ihn gedacht worden sei. Denken wir an Schlüsselromane, die die eigentlich gemeinten Personen auch nie beim Namen nennen. Vielleicht haben die Liberalen Schlüsselprogramme geschrieben. Wer also könnte Nikolaus sein, wo verbirgt er sich? Ist es vielleich der oft erwähnte „mündige Bürger", die Figur also, die neben dem „Liberalen" im F. D. P. -Programm dauernd auftaucht? Könnte sein. Sein Lebenslauf jedenfalls läßt auf eine starke und eigenwillige Persönlichkeit schließen. Seinen ausgeprägten Hang zur Selbstdarstellung — Liberalen nicht gerade fremd — hatten wir weiter oben schon ausgiebig beleuchtet. Mit seiner Schwäche für soziale Großtaten ist er zwar nicht ausgesprochen typisch für die Liberalen, paßt aber doch noch einigermaßen in die Szene, sozusagen ein Liberaler nach den Freiburger Thesen und vor dem Sparprogramm des Kabinetts Schmidt/Genscher.
Sehr symphatisch macht unseren Nikolaus natürlich seine Vorliebe für die Zahl Drei. Wie war das noch: Drei Offiziere, drei Mädchen, drei Jünglinge gerettet. Da hätte die dritte Partei in der Bundesrepublik (die soge-nannte „Drei-Punkte-Partei") einen solchen Nothelfer schon oft gut gebrauchen können.
Ein Retter des Drei-Parteien-Systems. Parteisprecher würden ihn lobpreisen, und IN-FASund die Forschungsgruppe Wahlen würden's ihm zuschreiben. Das Jahr 1982 böte mit seinen vier Landtagswahlen ein reiches Betätigungsfeld, gilt es doch, die drei (noch) Etablierten vor der grünen und alternativen Gefahr zu retten.
Ob unser Heiliger aus Kleinasien da ein Einsehen hat? Man möchte es fast bezweifeln. Wo er es doch immer mit den Unschuldigen, mit den Schwachen und Hilflosen gehalten hat. Aber ein Versuch kann nicht schaden. Stellen wir halt am 5. Dezember versuchsweise mal die Stiefel vor die Tür. Vielleicht findet sich am nächsten Morgen das Patentrezept, um den Frieden herbeizuführen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, die Freiheit zu vermehren und die Wahlen zu gewinnen. Wenn man doch noch so grün wie die Grünen sein und einfach schon das gelungene Wort für die Tat nehmen dürfte! Aber aus der Verantwortung in schweren Zeiten hilft auch kein Sankt Nikolaus. Wie gern würden ihm Kanzler und Vize ein Päckchen voller Probleme in seinen großen Sack stecken und sie weit weg in den tiefen Winter-wald tragen lassen. Oder, auch nicht schlecht: Erst mal mit der Rute in den Parteien für Ordnung sorgen, und wenn sie dann strammstehen, die Brüder, dann kriegen sie auch Äpfel (natürlich ungespritzte) und Nüsse und, wer weiß, vielleicht sogar Zinnsoldaten zum Um-schmeißen. „Seid ihr auch alle brav gewesen? ”, wird er dann fragen, und — man höre und staune — guten Gewissens dürfen alle „ja!" sagen. Lange haben die Kommentatoren gerätselt: Was treibt Abgeordneten von Freien und Sozialen Demokraten so sehr um, daß sie gläubig und geduldig die eigenen Reformvorhaben beiseite und sich selbst für immer neue Sachzwänge gewaltig ins Zeug legen? Jetzt wissen wir es: Es wird wohl die Angst vor Knecht Ruprecht sein. „Morgen Kinder, wird's was geben, morgen werden wir uns freun, welch ein Jubel, welch ein Leben wird in unserem Hause sein" — so könnte man sich ein Lied auf die Heimstätten der politischen Bildung einfallen lassen, sofern einem zur politischen Bildung überhaupt noch irgend etwas einfiele. Wenn Sankt Nikolaus irgendwo gebraucht wird, dann bestimmt hier am nötigsten. Wie würden die Augen leuchten, die Augen der Bildner, der Teamer, der Multiplikatoren und der Rezipienten, und vor allem der ungezählten im öffentlichen Dienst Angestellten, die schon lange auf den Retter aus der Not bzw. aus der Vergangenheit warten. Aus der Verlegenheit nämlich, ständig auf der Suche nach der eigenen Aufgabenstel19 lung zu sein, ständig das fatale Gefühl mit sich herumschleppen zu müssen, es könnte irgendeiner merken, wie wenig man doch bewirkt angesichts der Aura von Wichtigkeit und Geschäftigkeit, mit der man versucht, sein Gesicht zu wahren. Und wenn da einer fragt nach dem Stellenwert der politischen Bildung, so liegt doch klar auf der Hand: Sie ist uns viele Stellen wert.
Aber unser gütiger Heiliger läßt keinen im Regen stehen. Bestimmt bringt er eins von den silbernen Lichtlein mit, die im Walde so schön blitzen überall auf den Tannenspitzen, und leuchtet ihnen heim, unseren politischen Bildnern, damit sie getrost den Weg wiederfinden in ihre Akademien und Tagungsstätten, in ihre Seminare, Podiums-und Round-table-Diskussionen, in ihre gruppendynamisch bewegten Arbeitsgruppen, zu ihren Rollenspielen, Fortbildungsseminaren und Curriculaentwicklungen, zu ihren Thesenpapieren, Papers und Non-Papers, zu ihren Flip-Charts, Tageslicht-schreibern, Videoanlagen und Filzstiften. Wenn sie dann nachher wieder sitzen in ihren Arbeitsausschüssen und Partnertagungen und überlegen, wie ihre Weisheiten an den Mann zu bringen sind, wem die denn noch kein Buch geschenkt haben, dann mag so mancher Traum sich entspinnen vom heiligen Sankt Nikolaus und wie es denn wäre, mit ihm Schlitten zu fahren, abzuheben und mit Glöckchengeklingel auf Nimmerwiedersehn zu entschwinden. Ach, wie schön wäre es, er würde wirklich einmal mit dem ganzen Haufen Schlitten fahren — sein Stellenwert würde ins Ungeahnte gleiten. So aber schlurft er durch feuchtkalte Fußgängerzonen, ist vom Sankt Nikolaus zum Weihnachtsmann verkommen, steht vor Kaufhäusern herum und erregt allenfalls noch unser Mitleid. Wer hat ihm das nur angetan? Auch Nikoläuse sind Produkte ihrer Umwelt. Jede Gesellschaft hat den Nikolaus, den sie verdient. 366392 bzfpb d itz f 386392 bzfpb d itte 3 z. hd.frau zinke rtikel ggeneralsekretaer dr. stoiber fuer die bundeszentrate fuer olitische bildung in bonn t. nikoLaus oder der mut zur erziehung
er kennt nicht das gern gesungene Lied, das anfaengt ’Lasst uns froh und runter sein’’ und endet, bezogen uf den anlass des frohseins ‘‘bald ist nikoLausabend lie popularitaet von st. nikoLaus hat keineswegs abgeommen, abgesehen davon, dass er fuer-Werbezwecke strapaiiert und zur abwechsLung von seniorenc Lubs eingeladen ird.
m reigen der kindergartenf este ist er der star schlechthin nd auch die groesseren kinder Lassen sich trotz nachaLtiger aufklaerung durch ihre paedagogisch fortschrittichen eLtern die Lust ar nikoLaus nicht austreiben.
an hoere und staune: in unserer frustbeLadenen zeit gibt 5 noch etwas, was Lust bzw.freude bereitet und das im ahmen ausgesprochen antiautoritaerer erziehungsmassnahmen.
rtschr it t Liehe paedagogen bekommen eine seeLische gaenseaut in gedarken daran, mit welchem ueberhoLten erziehgsmitteln der nikoLaus auftritt. nicht nur, dass er ruten verschenkt und unter umstaenden auch gleich an den kindern ausprobiert -er Lehrt den kindern das fuerchten mit seinem krampus, erneuert also den glauben an den verpoenten schwarzen mann, zudem hat dieser einen sack dabei, um boese kinder hineinzustecken und mitzunehmen und das mit elterlicher billigung. und dabei ist Liebesentzug doch die schlimmste Strafmassnahme schlechthin. ausserdem Liest der nikolaus das ’’suendenregister’’ des einzelnen kindes vor und dies auch. noch im beisein anderer, wo doch das blosstellen eines kindes nach neuerer paedagogik seelischer grausamkeit gleichkommt und dazu fuehrt, beim kind minderwertigkeitskomplexe auszuloesen. zudem erfolgt das verhalten der angeblich ueblen taten, womoeglich sogar die bestrafung, in einem viel zu grossen zeitlichen abstand zur untat. welch ein paedagogischer miss-griff. und falls ein kind sich gar zu rechtfertigen versuchen sollte, so wird sein einwand kraft hoechster himmlischer ordenanz glatt unterdrueckt, und dabei sollte man doch alle Probleme ausdiskutieren und ein kind nicht mit autoritaet ueberrumpe In. auch die motivation, die der nikolaus anzubieten hat, naemLich sein ‘‘ich sage es dem Christkind’’ ist paedagogisch natuerlich voellig unhaltbar, was hat das verpetzen durch einen hohen und voellig unzeitgemaessen , da Laengsit verstorbenen kirchlichen wuerdentraeger mit einer argumentation fuer eine bessere hand Lungsweise zu tun? haben wir es nicht Laengst aufgegeben, strafe als mittel der erziehung anzuwenden? und doch, den kindern gefaeLlt ganz augenscheinlich der auftritt des heiligen mannes, nicht nur, dass der maerchenglaeubigkeitder kleinen ein erlebnisfeld geboten wird, auch die grossen kinder Leben sich ganz in dieses spektakulum hinein . ein bisschen angst vor der clarage, ein wenig zittern vor der strafe, die spannungsvolle erwartung seiner gaben und das gefuehl der erloesung, wenn der urteilspruch von hoechster Instanz milde ausgefallen ist. das sind wohl die elemente der Sensation, doch welches motiv -um die sache paedagogisch anzusehen -steckt dahinter? selbst die ‘‘grossmaeuler’’ unter den kindern, die wochen vorher schon geprahlt haben, es diesmal dem nikolaus zu teigen, werden angesichts seiner person ganz kleinlaut, offensichtlich findet hier ein urerlebnis von autoritaet statt, la ist eine person, (persona: im griech. theater maske, durch die gesprochen wird), der sie vollen respekt zollen, obonl oder vielmehr weil sie sich auf keine lange diskussion inlaesst. das kind erlebt dabei persoenlich schuld und chuldiggewordensein, entgegen unserer modischen tendenz, alles enlverhalten als produkt der gesellschaft bzw, die kindichen unarten als produkt eines falschen erziehungsveraltens oder gar zu engstirniger elterlicher moralvorstelLung u deuten. r paedagoge oder der Politiker kann nun dem allen entgegenLten, ( dass die Wirksamkeit des nikolaus -so sie überhaupt zugegeben wird -aeusserst gering ist, denn allenfalls ind die kinder in den naechsten tagen ein quaentchen braver, oer Lange haelt meist ihr guter vorsatz nicht an. der eines darf man nicht vergessen: durch den akt der verebung und die bescherung der gaben, wird das seelische gleichewicht wieder hergestellt und dem kindlichen gerechtigitssinn genuege geleistet. r schuld entspricht die strafe, der anklage die Vergebung, r wachrend der nikolaus-straf predigt erlittenen seelenpein e troestenden gaben. • und dem prob Lem der kurzlebigen Wirkung dieser ereignisse damit abzuhelfen, wenn eitern und erziehen, die vielfach durch eine moderene paedagogik vorbelastet sind, wieder mehr mut zur gelegentlich massiven und vielleicht auch autoritaeren erziehung haetten. ende 5215357 csul do 836392 bzfpb d Manches Kind, das vorm Nikolaus bang tut, macht sich scheinbar vor Angst mit Gesang Mut. Doch die strengen Verhöre amüsieren die Göre — und ich frage mich: Geht das noch lang gut?
D. Z.