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Feministische Positionen | APuZ 45/1981 | bpb.de

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APuZ 45/1981 Artikel 1 Gleichberechtigung von Männern und Frauen -Ist der Staat am Zuge? Von der Rechtsgleichheit zur Gleichberechtigung Feministische Positionen Das Modellprojekt „Frauenhaus Berlin". Hilfen für mißhandelte Frauen

Feministische Positionen

Renate Wiggershaus

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Seit es die Neue Frauenbewegung gibt, wird sie heftig bekämpft und immer wieder totgesagt Die feministische Bewegung ist aber lebendig und aktiv wie eh und je und hat Veränderungen in Gang gesetzt, die gewissermaßen zu Selbstläufern wurden. Ein solcher Selbst-läufer ist die Erringung eines neuen Selbstverständnisses durch den Rückblick auf die Rolle von Frauen in der Geschichte und durch die Etablierung einer Frauenliteratur und -kultur. Ferner gibt es eine ganze Reihe von praktischen Projekten, die Frauen helfen sollen, aus ihrer Isolation herauszutreten, Selbstbewußtsein zu gewinnen und Interesse und Mut zu solidarischem Handeln zu entwickeln. Die vollständige oder weitgehende Unabhängigkeit von staatlichen, kirchlichen und/oder Parteiorganisationen macht die Feministinnen autonom, absorbiert aber gleichzeitig oft ihre ganze Kraft. Sie haben ja Frauenzentren, Frauenhäuser für geschlagene Frauen, Notrufbüros für vergewaltigte Frauen, Frauenverlage, Frauenbuchläden, Frauenwerkstätten, Frauencafs usw. nicht nur geschaffen, sondern halten sie auch in Gang, Tag für Tag — seit Jahren. Mit den meisten dieser Projekte hatten und haben sie nicht nur gegen das Tabu anzukämpfen, das über der geschlechtsspezifischen Benachteiligung von Frauen liegt, sondern auch gegen das Tabu, das die Konflikte in den beiden wichtigsten Lebensbereichen — nämlich Familie und Betrieb — aus der öffentlichen Diskussion ausgrenzt. Die autonomen Frauen bilden aber keineswegs eine homogene Gruppe mit einer gemeinsamen Plattform. Differenzen bestehen beispielsweise in bezug auf die Befürwortung bzw. Ablehnung eines Antidiskriminierungsgesetzes, eines Hausfrauenlohns oder der Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr. Kontroversen gibt es auch bei der Frage des Bündnisses mit den sogenannten etablierten Frauen. Dabei ließe sich manches aus den Fehlern der Arbeiterbewegung lernen. Wie bei dieser geht es schließlich auch bei den Feministinnen darum, einen Beitrag zu leisten zur Verwirklichung der alten revolutionären Ziele: Freiheit, Gleichheit, Menschlichkeit

Seit es die Neue Frauenbewegung gibt, seit Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre also, wird sie entweder bekämpft — heftig, aggressiv oder brutal — oder aber immer wieder von neuem totgesagt, so in „das da" bereits im Juli 1976: „Der Markt für . Frauenkram'ist gesättigt, das Interesse der Öffentlichkeit erlahmt. Die Nation ... kriegt heute das große Gähnen angesichts von Feministenparolen ... In Groß-und Universitätsstädten haben sich diverse Feministengrüppchen eingeigelt und kochen im eigenen Saft.“ Die feministische Bewegung — so heißt es allerorten und alle Jahre wieder — sei gleichsam versickert, habe sich in bedeutungslose, miteinander verfeindete Gruppen aufgelöst.

Dieses — so muß man es wohl interpretieren — Wunschdenken steht in krassem Gegensatz zur Realität: Die feministische Frauenbewegung ist lebendig und aktiv wie eh und je. Es ist beeindruckend zu sehen, wie Feministinnen — unbeirrt durch Ignorierung, Zurückweisungen, Drohungen, verbale Angriffe und physische Gewalttätigkeiten durch Vertreterfinnen) des Patriarchats — für ein gleichberechtigtes Leben von Frauen kämpfen, das angstfrei und menschenwürdig werden soll; wie sie darüber hinaus ihre Möglichkeiten und Irrtümer offen diskutieren; wie sie Kritik an sich üben, Neuanfänge versuchen und reaktionäre Tendenzen in den eigenen Reihen bekämpfen.

Männerträume von der ewigen Verdrängung der Frauen aus der Geschichte Das ist um so erstaunlicher, als sie sogar ihrer beschichte, jenem Rückhalt, aus dem man soVie Kraft und Mut schöpfen kann, beraubt " urden. Nicht nur wurden ihre jahrhunderte-a te Unterdrückung und ihre Leiden verschwiegen, deren Kenntnisnahme zu Zorn und evolten hätten führen können, sondern auch 14 Ungehorsam, ihre Proteste, ihre Wider-d andshandlungen, die sie nicht selten mit pm Tod bezahlen mußten, blieben unerwähnt.

16 Geschichtsschreibung, die ja immer auch ein Beitrag zur Absicherung oder Infragestellung herrschender Zustände ist, sparte Frauen weitgehend aus. So ist bis in die jüngste Zeit hinein das Randgruppendasein der Frauen während der vergangenen Jahrhunderte durch ihre weitgehende Ignorierung bei den Historikern für das Bewußtsein der Spätergeborenen noch potenziert worden. In dieses Bild einseitiger Geschichtsinterpretation paßt auch, daß ein US-amerikanischer Wissenschaftler im Jahre 1981(1) entdeckt, daß die große Befreiungsheldin Jeanne d’Arc (1412— 1431) in Wirklichkeit, d. h. genetisch, ein Mann gewesen sei, der nur äußerlich wie eine Frau ausgesehen habe. Begründung: Vorliebe für männliche Kleidung; fehlendes Interesse am männlichen Geschlecht! Daß eine achtzehn-jährige Frau die entscheidende Wendung eines Krieges herbeigeführt haben soll, paßt einfach nicht ins herrschende Bild von der Rolle der Frau. Zuerst machte man eine Zauberin, eine Ketzerin aus ihr, man verbrannte sie, dann sprach man sie selig, schließlich heilig, und nun, da der Soziobiologismus Mode geworden ist, macht man sie zum Mann.

Es ist das Verdienst der Feministinnen, daß sie nicht nur die gesellschaftliche Situation der heutigen Frauen untersuchen und beschreiben, sondern auch die Rolle der Frauen in weiter zurückliegenden Zeiten zu klären suchen. Unbekannte und wenig bekannte Frauen früherer Jahrhunderte, die unter schwierigsten Umständen Großes vollbrachten, treten plötzlich ins Rampenlicht. JÄ intensiver sich heutige Frauen mit den „Heldinnen" ihrer Geschichte befassen, desto mutiger und zielstrebiger verfolgen sie ihr Ziel einer bedingungslosen Emanzipation. Denn was sie aus „ihrer" Geschichte lernen, ist vor allem eins: Zu allen Zeiten mußten Frauen sich alles selbst erkämpfen. Nichts wurde ihnen geschenkt.

Es war ein mühsamer, zäher, tapferer Kampf, dem sich nicht nur die jeweils herrschende (männerdominierte) Klasse im politischen, kirchlichen und sozialen Leben widersetzte, sondern — von Ausnahmen abgesehen — das männliche Geschlecht insgesamt. Ob es um das Recht auf Selbstbestimmung, auf politische Mitbestimmung, auf Bildung, auf Arbeit ging — Rechte, die Männer Jahrzehnte oder Jahrhunderte vor den Frauen besaßen —, immer mußten Frauen ihre Forderungen allein vertreten und auf mühselige Weise durchsetzen.

Zwiespältige Tradition der Frauenbewegung t Aber nicht nur, daß Frauen zur Durchsetzung ihrer Rechte von staatlicher oder kirchlicher Seite so gut wie keine Hilfe zu erwarten haben, ist heutigen Frauen klar. Die Geschichte der Frauenbewegung lehrt auch, daß viele Frauenrechtlerinnen, insbesondere die gemäßigten, noch doktrinärem, konservativem Denken verhaftet waren. So fiel z. B. die Naziideologie der Hochstilisierung der Frau als Mutter auf den fruchtbaren Nährboden jenes gefährlichen Mythos, der Weiblichkeit und Mütterlichkeit in eins setzte. Die Mißachtung von kinderlosen Ehefrauen, die im Dritten Reich als „bevölkerungspolitische Blindgänger" bezeichnet wurden, und die Überhöhung der Frau, die „in ewig geduldiger Hingabe, in ewig geduldigem Leid und Ertragen" eine „Schlacht" schlagen sollte für „das Sein oder Nichtsein ihres Volkes" (A. Hitler), nämlich massenhaft Kinder gebären, konnte auf den Vorstellungen jener Frauenrechtlerinnen aufbauen, die zur Zeit der Weimarer Republik in der Mutterschaft die vornehmste Pflicht ihres Geschlechts sahen und für unverheiratete Frauen allenfalls den Beruf der Lehrerin, Krankenschwester oder irgendeine dienende Funktion im sozialen Bereich forderten, in die sie die Tugenden der „seelischen Mütterlichkeit" einbringen konnten.

Die neue oder autonome Frauenbewegung ist erst ein Dutzend Jahre alt. Als junge Frauen Ende der sechziger Jahre begeistert feststellten: „Wir haben eine Frauenbewegung!", wußten sie nicht, daß es seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine aktive Frauenbewegung, daß es bürgerliche Frauenvereine, Arbeiterinnenvereine, radikale Frauenrechtlerinnen gegeben hatte und daß es auch in der Gegenwart mitgliederstarke Frauenverbände gibt, so z. B.den „Deutschen Frauenrat". Er existiert faktisch — zunächst unter anderem Namen — seit 1951 und repräsentierte 1979 als Dachorganisation aller etablierten Frauenverbände 26 Mitgliedsverbände und 68 angeschlossene Bundesverbände bzw. Gewerkschaften und Industriegewerkschaften. 1976 gab die Vorstandsvorsitzende des Deutschen Fraüenrats die Zahl der Mitglieder mit acht bis zehn Millionen an.

Aber ebenso wie sehrallgemein Strukturen die gefaßten, wenig frauenspezifischen Ziele und Aufgaben fast aller nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten bzw. neubegründeten etablierten Frauenverbände trugen dazu bei, daß sie jüngeren Frauen entweder nicht bekannt, gleichgültig oder suspekt waren. Man nehme nur einmal den „Deutschen Verband Frau und Kultur e. V.", dessen Aufgabe zur Zeit des Nationalsozialismus u. a. darin bestand, „verschiedene Musterkoffer mit vorbildlichem Ausstellungsmaterial über . gute und schlechte Stickereien', . guten und schlechten Hausrat” zu schaffen und der nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs neue Zusammenkünfte mit den „alten Mitgliedern“ organisierte. Was hatten während oder nach dem Krieg geborene Mädchen mit einem solchen Selbstverständnis zu tun!

Die Heldinnen der Frauengeschichte aber wurden verschwiegen. Namen wie der von Louise Otto Peters, der Begründerin der deutschen Frauenbewegung, oder Hedwig Dohm, die sich im neunzehnten Jahrhundert vehement und mit sprühendem Witz für die Selbständigkeit und Gleichstellung der Frauen einsetzte, oder Anita Augspurg und Gustava Heymann, die für den Frieden kämpften und Besitz und Heimat verloren, oder die Namen der zahllosen Frauen, wie z. B. Johanna Melzer und Frieda Funk aus Dortmund, die zur Zeit des Nationalsozialismus — ebenso wie ihre männlichen Mitkämpfer — Widerstand leisteten gegen den Faschismus und die Barbarei und vom sogenannten Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet oder in Konzentrationslagern vergast, erschossen, zu Tode mißhandelt, zu Tode experimentiert, zu Tode gehungert wurden oder durch Schwerstarbeit umkamen — solche Namen standen in keinem Geschichts-oder Lesebuch, fielen in kaum einem Elternhaus, waren auf Straßenschildern nicht zu lesen.

Von Neuanfang nach dem Krieg keine Spur Es ist im Nachhinein für viele jüngere Frauen erschreckend, mit welcher Ignoranz viele deutsche Frauen über die grauenhaften Ereignisse des Dritten Reichs und des Zweiten Weltkriegs hinweggingen. Gertrud Bäumer beispielsweise, vor der Zeit des Nationalsozid lismus langjährige Vorsitzende des „Bundes Deutscher Frauenvereine", schrieb unmittelbar nach Kriegsende: „Der Weg zu den . Müttern'im Sinne des Faust muß wieder freigelegt werden. Das wird zu einem großen Teil das Werk der Frauen sein müssen ... Es lohnt sich wirklich nicht, den geistigen Kampf mit dem Nationalsozialismus noch einmal wieder aufzunehmen ... Jetzt kommt es darauf an, eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Heilskräfte wirken können — die Jugend in einen sauberen geistigen Boden zu verpflanzen, in dem sich die Läuterung von selbst vollzieht.“

Wer die Geschichte verdrängt, wiederholt sie. Schon wieder sollte „Sauberkeit" zur Genesung führen. Und die Frauen der traditionellen Frauenbewegung übten fast keine Kritik an Gertrud Bäumer, erkannten sie vielmehr ohne Einschränkungen nach wie vor als eine ihrer Ahnfrauen an.

Die fünfziger und sechziger Jahre waren für viele Mädchen und junge Frauen — so sehen sie es im nachhinein — beklemmend. Es wurde ja nicht etwa an die aufbruchfreudigen zwanziger Jahre angeknüpft, sondern an wilhelminische Vorstellungen vom Weib als Hausfrau und Mutter und US-amerikanische Vorstellungen von sauberer Erotik. Viele Ältere, die Kriege, Elend, Hunger und Verzweiflung erlebt hatten, richteten sich dankbar im Wirtschaftswunderland ein. Für viele Jüngere bedeutete die Anschaffung eines Kühlschranks, eines Fernsehgerätes, eines Schallplattenapparates oder eines Autos jedoch noch lange kein Lebensglück.

Für die Mädchen war die Perspektive ihres zu-künftigen Lebens — Heirat, Kinder, Verbannung ins Haus — noch bedrückender als für Jungen. Die zurückgekämmten Haare, der utt, die grauen, das Knie bedeckenden Röke'die einengende Unterwäsche, das steife ackenkleid, die Lesebücher mit Texten von na Seidel und Gertrud von Le Fort — all das " ar ihnen zu eng, zu grau, zu kümmerlich, zu wi reiheit, Menschlichkeit, Schönheit, widheit, Tapferkeit — wovon immer junge enschen (auch Mädchen!) träumen —, sie ka-men nicht vor.

As sie den Kinderschuhen entwachsen waren, dssie ihren heimlichen Gefährten, dem Räu-

erhauptmann, dem Seefahrer und dem Win-ne ou ihrer Kinderbücher endgültig Adieu sa-8en mußten, als di Tanzstunde begann mit enimm-Unterricht, schwarzem Taftrock und e> er Perlonbluse, kurz: als die jungen Mäd-

en in die ihnen zugedachte kleine Rolle gezwängt wurden wie in zu enge Schuhe, die die Füße verkrüppeln — da fing für viele ein entsagungsvolles Leben an. Aber gegen die geballte Dreieinigkeit: Eltern, Kirche und Schule oder Lehrherr kamen sie nicht an.

Die neue Frauenbewegung als Teil des neuen Bedürfnisses nach aktiver Demokratie und Mündigkeit Erst der Austausch von Gedanken in Frauen-gruppen — wie sie sich sehr zahlreich in den siebziger Jahren bildeten —, die Erkenntnis, daß ihre Erfahrungen die gleichen waren, daß Wut über Repression und Benachteiligung fruchtbar gemacht werden kann in solidarischen Aktivitäten, führte dazu, daß Frauen begannen, selbstbewußt und selbständig zu werden. „Wir müssen alles neu überdenken!" — das war ihre Parole, und sie schufen und entfalteten eine nie dagewesene Fülle von Frauenkultur. Ihre Wurzeln hat die neue Frauenbewegung in der Studentenrevolte Ende der sechziger Jahre, als eine Politisierung des Bewußtseins einer breiteren Schicht von jungen Leuten stattfand. Sie wurde u. a. ausgelöst durch die Empörung über den Krieg der USA in Vietnam, durch Konflikte innerhalb der Universität, durch Proteste gegen die Springer-Presse wegen ihrer manipulativen, volksverhetzenden Berichterstattung und gegen Regierung und Parteien wegen der Verabschiedung der Notstandsgesetze. Studentinnen, die sich aktiv an den politischen Auseinandersetzungen beteiligt hatten, wurden schon bald gewahr, daß ihre frauenspezifischen Probleme bei dem Versuch, die gesamtgesellschaftlichen Unterdrückungsmechanismen aufzuzeigen und zu bekämpfen, unter den Tisch fielen, ja, daß die SDS-Genossen selber regressiv gegenüber Genossinnen waren. Bereits 1968 entstanden in Berlin der „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“, in Frankfurt der „Weiberrat".

Gegen die entwürdigende Vergesellschaftung der Gebärfähigkeit Zu einer beispiellosen Frauensolidarität kam es aber erst 1971, als Tausende von Frauen sich in Gruppen zusammenschlossen und für die ersatzlose Streichung des § 218 demonstrierten. Die Kampagne gegen den § 218 war wohl eine der größten Bürgerinitiativen in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt. SPD und FDP fühlten sich aufgrund zahlloser Frauenaktionen bemüßigt, zumindest für die sogenannte Fristenregelung einzutreten. 1974 stimmte der Bundestag gegen die meisten Stimmen der Unionsparteien der Fristenregelung zu; das Gesetz wurde von Bundespräsident Heinemann unterzeichnet, aber die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erhob Verfassungsklage — mit Erfolg. Die Frauen (ca. eine Million Frauen pro Jahr trieben illegal ab) sollten zum Gebären gezwungen werden — gestützt auf ein zynisches Argument: „Das Ja'zur Last der neun Monate, zur Geburt und zu tausend Diensten am Kind macht die Würde der Frau." (CDU-Abgeordneter Heck)

Diese, insbesondere von konservativen Politikern, von der Mehrzahl der Ärzte und Vertretern der Kirchen geteilte Einstellung, schließlich das 1976 verabschiedete, entmündigende Kompromißgesetz, das den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich unter Strafe stellt und nur bei bestimmten Ausnahmegenehmigungen für straffrei erklärt, schmiedete die Frauen noch fester zusammen und verstärkte das Bewußtsein, daß die Befreiung der Frauen nur durch sie selber geschehen könne. Feministinnen organisierten Busfahrten nach Holland, wo Frauen, die ungewollt schwanger waren, auf menschenwürdige und zumeist schmerzlose Weise einen Abbruch vornehmen lassen konnten; initiierten Beratungszentren über Verhütungsmittel und Abtreibung; klärten über Verhütungs-und Abtreibungsmethoden, über den weiblichen Körper, seinen Aufbau und seine Funktionen auf (z. B. Frauenhandbuch Nr. 1); gründeten Frauentherapie-Zentren, Frauengesundheitszentren; leisteten jenen Frauen Hilfe, die eine Schwangerschaft abbrechen wollten und den demütigenden Hürdenlauf durch die Instanzen und das arrogante Verhalten vieler Ärzte nur schwer ertragen konnten; suchten Frauen und Männern bewußt zu machen, daß die Bürde der Empfängnisverhütung nicht allein den Frauen aufgelastet werden darf (die Weltgesundheitsorganisation finanziert 14 Projekte, die sich mit Verhütung befassen, von denen nur ein einziges auf männliche Verhütungsmittel abzielt); und schafften es schließlich durch massiven Protest, daß das von Ärzten gern verwendete Sulprostan, das einen Schwangerschaftsabbruch unnötigerweise zu einer qualvollen Aktion werden läßt, nur sehr beschränkt angewandt werden darf.

Wesentlich für die Bewußtwerdung geschlechtspezifischer Unterdrückungsmechanismen waren auch die Selbsterfahrungsgrup-B pen, von denen es in der Bundesrepublik inzwischen Tausende gibt. Vier bis zehn Frauen diskutieren dort persönliche Erfahrungen und Probleme. Diese Gespräche haben sehr vielen Frauen geholfen, sich von der Ideologie, sie seien minderwertig, zu befreien und aus ihrer Vereinzelung herauszukommen und zu erkennen, daß ihre Probleme die Probleme vieler Frauen sind. Dadurch hatten die Emanzipationsgruppen auch therapeutische Wirkung: Der Leidensdruck wurde geringer, die Gesprächsbereitschaft größer, und es entwickelte sich — bei vielen Frauen erstmals — ein Gefühl von Verbundenheit und Solidarität mit anderen Frauen.

Vielen Frauen wurde klar, daß Schwierigkeiten, die sie mit ihren Partnern oder Kindern, zu Hause oder im Beruf hatten, ihren Grund weniger in der eigenen Unzulänglichkeit als vielmehr in gesellschaftlichen Mißständen hatten. Der politisierende und aufklärerische Effekt solcher Selbsterfahrungsgruppen trug sicherlich dazu bei, daß der Frankfurter Schulderzernent kürzlich ohne Angabe von Gründen neun der achtzehn stets gut besuchten Frauenforen der Volkshochschule trotz starker Proteste strich.

Frauenprojekte Die Vielfalt der Aktivitäten ergibt sich aus dem Bedürfnis nach Autonomie und der Untätigkeit und Bevormundungssucht administrativer oder parlamentarischer Instanzen.

Die meisten der in den letzten zehn Jahren gegründeten Frauenprojekte wurden von Frauen aus eigener Kraft geschaffen, d. h. ohne öffentliche Gelder und ohne ideelle Unterstützung durch diese Gesellschaft. Obgleich viele Frauen einen Großteil ihrer Zeit in die Projekte investieren, können nur wenige davon leben. Die meisten Initiatorinnen und Mitarbeiterinnen haben einen Beruf, der sie zum einen finanziell unabhängig macht, ihnen zum anderen erlaubt, die verschiedenen Frauenunternehmen mit zu finanzieren. Was nicht durch Geld geleistet wurde, schufen Frauen durch ihre eigene Arbeitskraft: Sie renovierten, propagierten, sie verfaßten Flugblätter, Broschüren, Zeitschriften, Bücher, sie demonstrierten usw.

Die entstandenen Frauenprojekte könnte man grob in drei große Gruppen unterteilen (ohne daß sieh die unterschiedlichen Funktionen gegenseitig ausschlössen): 1. Einrichtungen, die sich gegen „Gewalt gegen Frauen" richten, z. B. Frauenhäuser für geschlagene Frauen, Notruf-Büros für vergewaltigte Frauen;

2. Unternehmungen, die sich mit Aufklärung, Weiterbildung, Selbstverwirklichung, feministocher Gegenkultur und der Politisierung von Frauen befassen, z. B. Frauenzentren, Frauenbuchläden, Frauenverlage, Frauen-werkstätten, Frauenbands;

3. Örtlichkeiten, wo Frauen gemeinsam ihre Freizeit verbringen, ernst oder heiter, mit oder ohne Kinder, wie z. B. Frauencafs, Frauen-kneipen, Frauenferienhäuser.

Die autonomen Frauen bilden keine homogene Gruppe mit einer gemeinsamen Plattform und einem gemeinsamen Programm. Es gibt aber zwei Faktoren, die für eine gewisse Einheit unter den aktiven Feministinnen sorgen. Der eine Faktor besteht in dem Versuch, auf Alltagsebene Formen eines unentfremdeten Umfangs miteinander zu praktizieren. Dazu gehört, daß die Arbeit in den verschiedenen Projekten nicht profitorientiert ist. Es gibt keine Privatgewinne. Dazu gehört ferner, daß die Trennung zwischen öffentlich und privat, zwischen beruflicher Funktion und persönlicher Hilfeleistung möglichst aufgehoben wird und gleichzeitig kollektive Arbeitsformen ausprobiert werden. Ebenso gibt es das Bemühen, offen miteinander zu reden, ohne in den verletzenden oder gar diffamierenden Ton zu verfallen, der Bundestagsdebatten so oft entstellt. Eine Zusammenarbeit mit Männern bzw.deren Gruppen oder Parteien wird oft abgelehnt, weil Männer auf viele Frauen bevormundend, einschüchternd, hemmend, entmutigend wirken. Dieser Ausschluß ist als Selbstschutz, keinesfalls als Rache dafür zu verstehen, daß Frauen jahrhundertelang von Männern aus dem politischen, ökonomischen, kulturellen heben ausgeschlossen wurden und auch heute noch vielfach ausgeschlossen werden. Auf einem Zeitungsfoto des Neujahrsempfangs der ndustrie-und Handelskammer (1981) beispielsweise waren Hunderte von Männern zu sehen, aber keine Frau. Bei den alljährlich stattfindenden Römerberggesprächen spra-pen zum Thema „Innerlichkeit — Flucht oder ettung" im Mai 1981 sechzehn Referenten, wer keine Referentin. Auf der monumentalen est-Kunst-Ausstellung in Köln im Sommer ksses Jahres wurden Exponate von 242 punstlern, aber nur von acht Künstlerinnen yorgestellt. Jede(r) weiß, daß diese Aufzählung n os fortgesetzt werden könnte.

Die Ablehnung gemischter Gruppen hängt eng mit dem anderen Faktor zusammen, der Feministinnen eint: nämlich die männliche Vorherrschaft und die daraus resultierende und dadurch geschützte Gewalt. Nicht, als ob Frauen verkennen würden, daß auch zahllose Männer Opfer schichtenspezifischer Benachteiligungen und politischer Entmündigung der Wählermassen, Opfer von Klassen-und Rassenherrschaft sind. Aber Frauen empfinden sich als Opfer dieser Opfer. Ob Frauen nun von ihrem eigenen oder einem unbekannten Mann zusammengeschlagen, vergewaltigt oder ermordet werden oder ob sie auf eher subtile Weise öffentlicher Triebbefriedigung dienen, wie etwa auf einer jüngst plakatierten Strumpfreklame, auf der ein Pulk von Soldaten (Assoziation: Gewalt) sich nicht von den Arwabestrumpften Beinen einer einzelnen Frau (Assoziation: Eroberungsobjekt) losreißen kann; ob ein Lehrherr sein Lehrmädchen vergewaltigt (wobei der in den letzten Jahren so sehr ausgedehnte Gewaltbegriff just in diesem Fall vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe im Juli 1981 eingeschränkt wurde) oder ob in Medien, in Illustrierten, in der Werbung „knackige" Popos und strotzende Busen dargeboten werden — immer herrscht bei Frauen das Gefühl vor, nicht Subjekt eigner Selbstentscheidung zu sein, sondern Objekt männlicher Bedürfnisse. (Für sein im August 1981 erschienenes Spiegel-Buch „Vergewaltigt" macht der Spiegel Reklame mit der Zeile: „Alle sieben Minuten wird in Deutschland eine Frau mißbraucht“)

Gegen das männliche Privileg privater Gewaltanwendung Feministinnen, die aufgrund ihrer Hilfe für mißhandelte Frauen um das Schwächersein, Eingeschüchtertsein, das mangelnde Selbstbewußtsein und allgegenwärtige Schuldbewußtsein vieler Frauen wissen, machten ihrem Zorn vielfach Luft: „Wir Frauen sagen, und wir sagen es zunehmend laut: Eure Gewalt ist allgegenwärtig. Sie fängt da an, wo eine, die nach einem netten Abend mitgekommen ist (. Trink doch noch mit ein Glas Wein bei mir) und sich nun, obwohl sie eigentlich nicht will, schämt, in dieser Situation nein zu sagen, mit ihm, der all das eigentlich weiß und ausnutzt, schläft! Gegen ihren Willen. Und sie hört da auf, wo ihr in Banden organisiert, zu mehreren eine Frau überfallt, sie zusammenschlagt, demütigt, vergewaltigt, ihr euren Penis reinjagt oder eine Colaflasche oder einen Pfahl, sie tötet. Gegen ihren Willen. Eure Gewalt ist allgegenwärtig. Auf der Straße. Am Arbeitsplatz. Im Schlafzimmer." (Emma, September 1981)

Ohne diese radikale Sprache der Feministinnen, ohne ihre konkreten Hilfen für die Opfer männlicher Gewalttätigkeiten gäbe es heute kein öffentliches Bewußtsein für die vielfältigen Arten von physischer und psychischer Männergewalt, keine Sensibilisierung dafür, wie ungeheuerlich es ist, Vergewaltigungen als „Kavaliersdelikte" abzutun oder als den Urtraum von Frauen zu bezeichnen oder — so der Polizistenjargon — von „Möbelrücken" zu sprechen, wenn ein Mann seine Frau vergewaltigt. Erst recht gäbe es nicht die (inzwischen 25) Notrufgruppen in 24 bundesdeutschen Städten, die vergewaltigten Frauen helfen und sie beraten, und auch nicht die Frauenhäuser für geschlagene Frauen.

Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, daß sich nicht etwa offizielle Stellen, die in zahllosen Fällen, oft Tag für Tag, mit dem Problem mißhandelter Frauen konfrontiert wurden und werden — wie z. B. Jugendämter, Sozialämter, Fürsorgeämter, die Kirchen, das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit —, zielstrebig für die Errichtung von Frauenhäusern einsetzten, sondern Frauen der neuen Frauenbewegung hier wahre Pionierarbeit leisteten. Nur wenige Frauenhäuser wurden oder werden aus öffentlichen Mitteln unterstützt, wofür „Frauen helfen Frauen" -Vereine monate-oder jahrelang kämpfen mußten. Einige Frauenhäuser wurden sogar in ihrer Arbeit von offizieller Seite massiv behindert. Sie sollen integriert oder kontrolliert werden.

Die Feindseligkeit gegenüber Feministinnen beruht nicht nur darauf, daß diese erst auf die weitverbreitete Tatsache aufmerksam machten, daß es in unserer Gesellschaft zigtausende mißhandelter Frauen gibt, sondern auch darauf, daß sie Grundsätzliches in Frage stellen, beispielsweise das Frauenbild zahlloser Männer, beispielsweise die Erziehung von Mädchen, beispielsweise das Bild von der heilen Familie und vom Mann als dem großen Beschützer. Die Frauenbewegung ist die erste politische Bewegung, die sich gezielt um den Privatbereich kümmert, in dem sich so viele tragische Familiendramen abspielen, und die damit die Probleme eines Bereichs öffentlich gemacht hat, der meist nur der Ideologie nach ein Hort sicheren häuslichen Glücks ist. Wie bei Kindesmißhandlungen, so zeigt sich auch bei Frauenmißhandlungen: Bevorzugter Austragungsort für Gewalttätigkeiten ist gerade der Bereich, der immer als Reservat der Sittlichkeit und Menschlichkeit empfohlen wird: die Familie — ein durch die Tatsache der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung längst ausgehöhlter und überlasteter, aber durch ideologische Tabus der öffentlichen Diskussion entzogener Bereich.

Aus der gemeinsamen Durchbrechung solcher Tabus ergeben sich einige Konsequenzen hinsichtlich notwendiger Veränderungen, über die ebenfalls weitgehend Einigkeit besteht „Im Gegensatz zur ersten Frauenbewegung“, heißt es in Herrad Schenks Buch „Die feministische Herausforderung", „im Gegensatz zu staatlichen Gleichberechtigungshilfen und sozialistischen Frauenförderungsprogrammen greift der Feminismus die Frauenunterdrükkung vor allem da an, wo ihre eigentlichen Wurzeln liegen: nicht im Beruf, sondern bei der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Familie, im Privatbereich ... Abbau der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Familie heißt konkret: Halbierung der Hausarbeit (keine erwachsene Person bedient eine andere; jede erwachsene Person ist im gleichen Ausmaß für die in der Lebensgemeinschaft anfallenden gemeinsamen Reproduktionsarbeiten verantwortlich), soziale Elternschaft (Abbau sozialer Mutterschaft zugunsten einer Intensivierung sozialer Vaterschaft), gleiche Verantwortung in der Beziehungsarbeit (jede erwachsene Person bringt den anderen im selben Ausmaß emotionale Unterstützung und Verständnis entgegen, wie sie dies von anderen erfährt; Männer und Frauen einer Lebensgemeinschaft bringen Kindern im gleichen Ausmaß Zuwendung und Interesse entgegen)."

Kampf um Gleichberechtigung im Arbeitsleben Der Abbau der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Familie ist untrennbar verknüpft mit der gleichberechtigten Teilhabe beider Geschlechter am Erwerbsleben. Reak tionäre und konservative Regierungen plädierten seit jeher dafür, daß der Hauptberuf der Frau die Mutterschaft sein solle. Am unumwundensten gaben die Nationalsozialisten ihre sexistische Einstellung kund: „Die Frauen gehören heim in die Küche und Kammer, sie gehören heim und sollen ihre Kinder erziehen" (Hermann Esser, führender NSDAP-Mann, Parteimitglied Nr. 2). „Wir müssen — um der Zukunft unseres Volkes willen — geradezu einen Mutterkult treiben" (Martin Bormann, Reichsminister). Das hinderte die Herren allerdings nicht, den durch die Kriegsvorbereitungen entstandenen Arbeitskräftemangel durch Frauenarbeit zu beheben, ja, sogar einen weiblichen Pflichtarbeitsdienst und Dienstverpflichtungen in Rüstungsbetrieben einzuführen sowie Arbeitsschutzgesetze aufzuheben, damit Frauen im Bergbau und in der Industrie arbeiten konnten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Frauen wieder entlassen und unter das Joch der drei großen Ks (Küche, Kinder, Kirche) gestellt. Mädchen sollten von Anfang an „zum opfer-willigen und frohen Dienen im Beruf hinaufgeführt" werden („Frau und Beruf“, Köln 1947). Denn — so elf Jahre später — „die Menschheit (kann) auf die fraulich-mütterliche Opferbereitschaft, die dem weiblichen Leben einen höheren Sinn verleiht, nicht verzichten“ („Frauen zwischen Familie und Fabrik", München 1958).

Daß der Anteil der weiblichen Arbeitnehmerinnen in der Nachkriegszeit trotz offizieller Propagierung der Hausfrauenehe ständig stieg, hatte drei Gründe. Zum einen die große finanzielle Not vieler Frauen, deren Männer gefallen oder kriegsversehrt waren und die ihre Kinder zu versorgen hatten; zum anderen die durch den konjunkturellen Aufschwung in den sechziger Jahren verursachte Arbeitskräfteknappheit und die damit einhergehende Heranziehung aller Arbeitsmarktreserven; schließlich der zunächst vage Wunsch vieler Frauen, am öffentlichen Leben, an politischen, wirtschaftlichen und sozialen Prozessen teilzuhaben.

Da aber Frauen größtenteils keine oder eine schlechte Ausbildung hatten und haben, sie sich außerdem, bedingt durch Hausarbeit und 'ersorgung von Ehemann und Kindern, nicht so sehr in ihrem Beruf engagieren können wie ihre männlichen Kollegen, zudem weniger Aufstiegschancen haben, verteilen sie sich in der Regel auf die untersten Positionen des Be-

schäftigungssystems. Feministinnen haben mmer wieder darauf hingewiesen, daß Frauen n obgleich sie in der Bundesrepublik im urchschnitt 30% weniger verdienen als Män-ner — doch den größeren Teil der gesamtgesellschaftlichen Arbeit von ca. 100 Milliarden Arbeitsstunden im Jahr leisten. Den 52 Milliarden Arbeitsstunden in der Erwerbswirtschaft stehen 45 bis 50 Milliarden nicht ent-

ohnte Arbeitsstunden in privaten Haushalten gegenüber, die von Frauen weitgehend allein bewältigt werden.

Benachteiligt werden Frauen außerdem dadurch, daß sie für gleiche oder gleichwertige Arbeit oftmals weniger Entgelt erhalten als Männer. Dem häufig vorgebrachten Argument, es sei nur schwer festzustellen, ob Leistungen von Frauen und Männern wirklich „gleichwertig" seien, werden von feministischer Seite zwei gewichtige Aussagen entgegengesetzt. Erstens: Als minderwertig gelten oft die nur von Frauen ausgeführten Arbeiten. Akkordarbeit beispielsweise — in der untersten Lohn-gruppe eingestuft und vorwiegend von Frauen verrichtet — wird darum so schlecht bezahlt, weil Geschicklichkeit, Konzentration, hohe Sichtleistung, Fingerfertigkeit, Hetze und das Aushaltenkönnen von Monotonie wenig zählen im Vergleich zur (wesentlich besser bezahlten) Muskelkraft der Männer. Zweitens ist die Bezahlung von Frauen und Männern auch bei absolut gleicher Tätigkeit vielfach unterschiedlich — trotz des im Grundgesetz verankerten Gebots des Prinzips der Lohngleichheit. So wurde jüngst vom Bundesarbeitsgericht in Kassel der Kampf von 28 Laborhelferinnen der Gelsenkirchener Photofirma Heinze um gleichen Lohn für gleiche Arbeit nach über zwei Jahren zu ihren Gunsten entschieden. Zahlreiche Klagen von Arbeiterinnen anderer Betriebe um die Einstufung in eine höhere Lohngruppe sind bei den Arbeitsgerichten noch anhängig. Die Drohung mancher Arbeitgeber, nicht etwa die Frauen im Lohn heraufzusetzen, sondern die Männer herunterzustufen, treibt natürlich einen Keil zwischen die Geschlechter. So traten beispielsweise zehn Männer aus der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten aus, weil diese sich für Lohngleichheit beider Geschlechter im Langnese-Werk in Bargteheide einsetzte und damit die Ankündigung des Besitzers R. A. Oetker heraufbeschwor, den Männern künftig weniger zu zahlen.

Antidiskriminierungsgesetz — ja oder nein?

Zu den vorgeschlagenen Mitteln, Gleichbehandlung im Berufsleben durchzusetzen, gehört ein Antidiskriminierungsgesetz (das Diskriminierungsverbote und eine Überwachungskommission vorsieht), wie es seit 1978 aufgrund einer Anregung der Humanistischen Union in Bonn beraten wird. In der neuen Frauenbewegung gibt es dazu unterschiedliche Auffassungen. Ein Antidiskriminierungsgesetz, wie es in einigen westeuropäischen Ländern und in den Vereinigten Staaten bereits existiert, könnte — so meinen die einen — Frauen bei der Durchsetzung ihrer im Grundgesetz verbrieften Rechte auf Gleichbehandlung behilflich sein, indem „eine Aufsichtsbehörde für Gleichbehandlung im Arbeitsleben etabliert (wird), die selbständig Betriebe daraufhin überprüfen kann, ob sie die Grundsätze der Gleichbehandlung einhalten. Eine solche Behörde müßte das Recht zu Untersuchungen und Personalbefragungen und Anspruch auf Akteneinsicht haben. Die Behörde sollte Beschwerden entgegennehmen und ihnen innerhalb einer festgesetzten Frist nachgehen. Ist die Beschwerde gerechtfertigt, so sollte die Behörde ein Klageverfahren einleiten können, wenn der Arbeitgeber nicht'zu einer gütlichen Einigung bereit ist" (Marielouise Janssen-Jurreit, „Courage" 10/1978). Überwachungsinstanzen — so hoffen manche Frauen der neuen Frauenbewegung — würden also dafür sorgen, daß die trotz anders lautender Gesetzgebung üblichen geschlechtsspezifischen Benachteiligungen von Arbeitnehmerinnen endlich aufhören.

Andere Frauen aus der Bewegung halten das Antidiskriminierungsgesetz für überflüssig, ja, für einen Rückschritt. Der Gleichheitsgrundsatz („Männer und Frauen sind gleichberechtigt"; GG Art. 3 Abs. 2) — so argumentieren sie — setze Bundesrepublikanerinnen im Gegensatz zu Frauen anderer Länder in die Lage, bis hin zum Verfassungsgericht zu klagen. Der Erfolg der Heinze-Frauen bei ihrer Klage um gleichen Lohn für gleiche Arbeit (nur dank Hilfe der IG Druck und Papier, aber für die Durchsetzung der Rechte der Arbeitnehmerinnen] sind die Gewerkschaften ja auch da) gibt ihnen recht. „Das Grundgesetz", so faßt Eva Marie v. Münch („Emma“ 11/1978) die Überlegungen der Feministinnen zusammen, die ein Antidiskriminierungsgesetz ablehnen, „ist... radikaler — und darum auch feministischer! — als jeder bisher genannte Vorschlag für ein weiteres Frauenschutzgesetz. Der Gleichberechtigungsgrundsatz ist bereits geltendes Recht, er bindet Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung — jede Frau kann sich darauf berufen ... Statt eines überflüssigen Gesetzes und einer Alibi-Behörde sollten Politiker lieber anfangen, in ihren eigenen Parteien, in Verbänden, Gewerkschaften und Industrie einflußreiche, gut bezahlte und attraktive Posten für Frauen frei zu machen. Das allerdings würde manchen Mann seine Pfründe kosten. Da stimmt er schon lieber für das Antidiskriminierungsgesetz und die dazu passende Behörde — damit kann man die Frauen wieder einmal für eine Weile vertrösten." Auf offensichtliche, aber juristisch schwer dingfest zu machende Weise benachteiligt sind berufstätige Frauen gegenüber berufstätigen Männern auch insofern, als sie zuerst und am stärksten Opfer der Reduzierung von Arbeitsplätzen sind. In Zeiten eines konjunkturellen Tiefs, wie es zur Zeit in der Bundesrepublik herrscht, wird — besonders von konservativer Seite — der Wunsch laut, Frauen weg vom Arbeitsmarkt und zurück ins familiäre Heim zu befördern. Christdemokraten reden wieder vom „Doppelverdienertum", und Mütter und ihre permanente Verfügbarkeit werden wieder aufgewertet. So meinte Norbert Blüm, der Vorsitzende der Sozialausschüsse der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft: „Die Mutter muß aufgewertet werden. Wer diese Forderung mit Heimchen-am-Herd-Zynismus abzuwehren sucht, argumentiert aus der Befangenheit, die Erwerbsarbeit als sozialen Platzanweiser akzeptiert hat... Mutterarbeit führt zur Selbstverwirklichung der Frau ... Den biologischen Ungleichheiten von Mann und Frau entsprechen unterschiedliche Verhaltensweisen."

Abbau der Geschlechtsrollendifferenzierung als umfassendes und langfristiges Projekt Der Degradierung der Frauen zur Manövriermasse, die je nach Bedarf mal in die Fabrik, mal in die Familie geschoben wird, mal die Arbeit der Männer mit übernehmen, mal sich Doppelverdienertum vorwerfen lassen muß —, setzen Feministinnen ihre Forderung nach Abschaffung von Rollendiktaten entgegen. „Wir wollen Brot und Rosen", sagen sie und meinen die materielle und psychische Autonomie. Sie wollen den Männern gleichgestellt sein, haben dabei aber eine langfristige Perspektive vor Augen. Sie wollen nämlich nicht in die durch Leistungs-, Erfolgs-und Konkurrenzdenken geprägte Rolle des Mannes schlüpfen. Vielmehr streben sie den Abbau der psychischen GeschlechtsrollendiHerenzierung und damit das Ideal der androgy nen Persönlichkeit an. „Die androgyne Persönlichkeit“, schreibt Herrad Schenk in ihrem bereits erwähnten Buch „Die feministische Herausforderung", „vereint in sich positiv bewer tete , weibliche’ Züge (z. B. soziale Sensibilität, emotionale Expressivität, Zärtlichkeit, Wärme) und positiv bewertete . männliche'Züge (z. B. Konfliktbereitschaft, Sachorientierung, Disziplin, Leistungswillen). Sie ist in der Lage, situationsspezifisch eher . weibliches'oder eher . männliches'Verhalten zu aktualisieren."

Erste Schritte zur Überwindung der herrschenden Rollenverteilung sehen die Feministinnen in den folgenden Bedingungen für häusliche und außerhäusliche Tätigkeiten: die Erziehungs-und Hausarbeit ist gleichmäßig zu teilen; der Bau von Kindertagesstätten, Kindergärten, Kinderplätzen usw. einerseits und die teilweise Vergesellschaftung der Hausarbeit andererseits sind zu intensivieren, damit Eltern weitgehend entlastet werden und bisher isoliert betriebene Tätigkeiten in stärkerem Maße gemeinsam durchgeführt werden; die Verquickung von biologischer und sozialer Mutterschaft ist aufzulösen; statt des jetzt geltenden Mütterurlaubs müßte ein Elternurlaub eingeführt werden; jede Frau und jeder Mann haben ein Recht auf Arbeit; geschlechtsspezifische Lohndifferenzen darf es selbstverständlich nicht mehr geben; die Humanisierung der Arbeitswelt muß endlich verwirklicht werden.

Fragwürdige Verbesserungsvorschläge Uneinigkeit herrscht bei Feministinnen angesichts der Frage, ob Hausarbeit gratis geleistet oder aber entlohnt werden soll. Diejenigen, die für einen „Lohn für Hausarbeit" plädieren, argumentieren, daß das hauptsächliche Hinder-

nisfürdie Befreiung der Frau ihre Doppelbelastung sei. Ihren Beruf aufzugeben, wäre für Viele Frauen aus finanziellen Gründen gar nicht möglich, machte sie außerdem von ihren themännern abhängig. Bezahlung der Hausarbeit— so sagen sie — würde viele Frauen aber nicht nur entlasten und von ihrem Ehemann unabhängig machen, sondern auch dazu fühTen, daß Hausarbeit als gesellschaftlich not" endige Arbeit auch einen Stellenwert erhiel-te der Hausfrauen, genau wie andere Arbeit-

nshmer, in die Lage versetzte, durch Arbeits-

niederlegung usw. gegen zu hohe Anforderungen zu streiken. Der Ruf nach einem Hausfrau-Gngehalt macht auf das Problem aufmerksam, d 5 Milliarden von Arbeitsstunden jährlich unentgeltlich fast ausschließlich von Frauen 'häufig neben ihrer Berufsarbeit — verrich-tet werden.

Allerdings würde ein Lohn für die Hausarbeit die Rollenverteilung, wonach die Frau für die häusliche, der Mann für die außerhäusliche Tätigkeit zuständig ist, zementieren und nicht — wie die radikalen Feministinnen anstreben — abbauen. Frauen wären dann auch jeglichen Arguments beraubt, Männer zur Hausarbeit heranzuziehen. Und das Gewissen der Männer wäre entlastet. Es ist nach den bisherigen Erfahrungen nämlich nicht anzunehmen, daß Männer in nennenswerter Zahl und für lange Zeit — insbesondere solche in führenden Positionen — ihren Beruf aufgeben würden, um die Rolle des Hausmanns zu übernehmen und Kleinkinder zu versorgen. „Hausmann, das ist in höchstem Maße unbefriedigend und idiotisch, ein wahnsinnig einsamer Job", so ein Sechsunddreißigjähriger nach acht Jahren Hausmannstätigkeit (Frankfurter Rundschau v. 7. 3. 1981).

Es müßte den Befürworterinnen des Hausfrauengehalts auch zu denken geben, daß konservative Politiker mit ähnlichen Forderungen erreichen wollen, daß Frauen ihre Arbeitsplätze freimachen und sich auf ihre Hausfrauenrolle zurückziehen. Die hessische CDU forderte beispielsweise im Wahlkampf 1978 ein Erziehungsgeld von 700 Mark im Monat für alleinstehende Mütter und von 350 Mark für jedes Kind auf die Dauer von drei Jahren, sowie eine „eigenständige soziale Sicherung der Hausfrauen“. Für benachteiligte Frauen wäre das nur ein Tropfen auf den heißen Stein, für reiche Frauen ein dickes Taschengeld. Von der CDU stammt auch die diskriminierende sogenannte Drei-Phasen-Theorie, die das Leben der Frauen in drei Abschnitte unterteilt: Beruf und Geldverdienen — Heirat, Kinder-kriegen, Haushalt, Aufgabe des Berufs —-Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit neben der Haushaltstätigkeit. Damit werden Frauen natürlich von jeder qualifizierten Arbeit ausgeschlossen, und die Chancenungleichheit bleibt voll erhalten.

Auch die von konservativer Seite, insbesondere von Arbeitgebern, propagierte Teilzeitarbeit, das aus den USA kommende Job-sharing (zwei Arbeitnehmerinnen teilen sich einen Vollzeitarbeitsplatz) und die ebenfalls aus den USA importierte Kapovaz (kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit, d. h. Jahresarbeitsvertrag über eine bestimmte Stundenzahl, die eine Arbeitnehmerin im Laufe eines Jahres auf Abruf leisten muß) stoßen auf heftigen Protest in der Frauenbewegung, weil diese Teilzeitbeschäftigungen ganz zu Lasten von Frauen gehen: schlechte Arbeitsplätze, keine Aufstiegschancen, jederzeitige Abrufbarkeit und damit Verfügbarkeit von Arbeitnehmerinnen, hoher Ausbeutungsgrad in kurzen Arbeitszeiten. „Teilzeitbeschäftigte können in vier Stunden anteilmäßig mehr leisten als Vollzeitbeschäftigte. Die Folge: eine weitere Leistungsverdichtung, gekoppelt mit Produktionssteigerungen, und das führt zum Abbau von weiteren Arbeitsplätzen. Die Teilzeitbeschäftigten werden mit ihrer Arbeitsleistung zur Norm für die Vollzeitbeschäftigten. Das führt einmal zur Konkurrenzsituation und damit zu einer Entsolidarisierung der Arbeitnehmer." (Courage, Oktober 1981).

Wer die feministischen Forderungen nach im Prinzip gleicher Verteilung der Erziehungsund Hausarbeit und gleichberechtigter Teilhabe am Erwerbsleben für zu radikal oder unrealistisch hält, muß sich fragen lassen, woher er das weiß angesichts einer gesellschaftlichen Entwicklung, bei der es allein in den letzten hundert Jahren schon weitaus einschneidendere Veränderungen gab, und ob er nicht einfach das Unerwünschte kurzerhand als unrealistisch hinstellt

Skepsis gegenüber „etablierten" Frauen darf nicht zur Scheuklappe werden In ihrem Kampf, der sich primär gegen die Benachteiligungen von Frauen richtet, werden die außerparlamentarischen Frauen mittlerweile von einer ganzen Reihe von „offiziellen" oder „etablierten" Einrichtungen oder Personen unterstützt. So z. B. von Pro-Familia-Einrichtungen, insbesondere Beratungsstelle in Bremen, wo Beratung, Schwangerschaftsabbruch (sofern erforderlich) und die anschließende Betreuung in einer Hand liegen, was den Frauen ihre Ungewißheit und den Rechtfertigungsdruck nimmt; oder von der von Susanne v. Paczensky herausgegebenen Reihe „frauen aktuell", die davon ausgeht, „daß der Kampf um Menschenrechte notwendig auch ein Kampf um Frauenrechte sein muß" und „Hindernisse sichtbar zu machen, wo möglich abzubauen" sucht, die sich dem politischen Handeln von Frauen in den Weg stellen; oder von den Gleichstellungsstellen, z. B.der von Eva Rühmkorf geleiteten Hamburger „Leitstelle Gleichstellung der Frau", die sich für eine „tatsächliche Chancengleichheit“ von Frauen und Männern, für die „gemeinsame Verantwortung für Kindererziehung und Familienaufgaben" und eine „gezielte Förderung von Frauen in Bereichen“ einsetzt, „in denen

Frauen bislang benachteiligt und unterrepräsentiert sind".

Ohne gemeinsame Aktionen von Feministinnen einerseits und Frauen in den Medien, Parteien, Gewerkschaften usw. andererseits wäre der Kampf gegen Benachteiligung und Unterdrückung in dieser Gesellschaft auf die Dauer und jenseits begrenzter Bereiche aussichtslos. Zwar haben autonome Frauen sich selbst eine Öffentlichkeit durch eigene Zeitschriften, eigene Verlage, eigene Buchhandlungen usw, geschaffen, dennoch fehlt ihnen der Kontakt zu breiten Teilen der weiblichen Bevölkerung. Eine Gewerkschafterin weiß in der Regel mehr über die Bedürfnisse von Fließbandarbeiterinnen als eine Feministin. So ist es nur folgerichtig, wenn in feministischen Frauen-zeitschriften auch Frauen aus den Parteien, Rundfunkanstalten, Gewerkschaften usw. zu Wort kommen. Zum Beispiel ist die Ungleich-behandlung von Arbeiterinnen und Arbeitern, wie sie in der Reservierung von Nachtarbeit und damit verbundener Extra-Zulage für Männer zum Ausdruck kommt, nicht durch eine Aufhebung des Nachtarbeitsverbots für Frauen zu beheben. Dazu sagt Gisela Kessler von der IG Druck und Papier in der „Courage" (Oktober 1981): „Wir fordern die Ausdehnung des Nachtarbeitsverbots auf alle Arbeitnehmer, denn Nachtarbeit ist eindeutig gesundheitsgefährdend." Ähnliche Vorstellungen gibt es hinsichtlich des Wehrdienstes. Frauen sollten nun nicht auch noch — wie einzelne Feministinnen fordern —, die Möglichkeit haben, in der Bundeswehr zu dienen; vielmehr sollten Männer von den Wehrdienst zu ihrem Recht, verweigern, endlich ungehindert Gebrauch machen können.

Feministinnen und „etablierte" Frauen, die die Anpassung an die Spielregeln undemokratisch organisierter großer Organisationen mit deren Ausnutzung für die vernachlässigten Interessen von Frauen zu kombinieren suchen, könnten sich so gegenseitig als Korrektiv dienen. Allerdings enttäuschen gerade Partei-und Gewerkschaftsfrauen auch immer wieder die von ihren Geschlechtsgenossinnen in sie gesetzten Hoffnungen in krasser Weise — manchmal noch ausnahmsloser als ihre männlichen Pendants.

Geradezu schockierend und beleidigend war jedoch der vertrauliche Artikel des SPD-Pressedienstes ppp mit dem Titel „Alice Schwarzer, die Ziege als Gärtnerin". Darin wurde der kritischen, engagierten, oft geistvoll-witzigem manchmal frechen feministischen Zeitschrii EMMA unterstellt, ihre „Faustregel" sei Sex Verbrechen, Horror, Schaugeschäft, Humor, Jet Set, menschliche Rührstücke" usw.; wurde der Feminismus von EMMA in die Nähe der nationalsozialistischen Frauenbewegung gebracht; wurde Alice Schwarzer in geschmackloser, haßerfüllter Weise diffamiert. Dieser von Frauen verfaßte unqualifizierte Angriff des „Referats Frauenpolitik" im Vorstand der SPD stieß allerdings auf vehementen Protest zahlreicher Personen, Institutionen und vor allem auch SPD-Genossinnen. Letzteren wurde wieder einmal klar, wie wenig frauenspezifische Probleme in ihrer Partei verstanden, geschweige denn in Angriff genommen wurden. Dorothee Vorbeck, ehemals Bundesvorsitzende der AsF, äußerte sich kritisch dazu: „Der Frauenbereich wird eben ausgespart in der Partei. Zunächst mal mit dem Argument: das ist nicht politisch. Dann kommt das nächste: das schadet der Partei. Der wahre Grund ist natürlich, daß jeder einzelne von den Männern ganz elementar betroffen ist, persönlich -profi tiert von der Unterdrückung der Frauen."

Auch die Tatsache zum Beispiel, daß bei den hessischen Landtagswahlen 1978 nur vier SPD-Frauen sichere Plätze auf der Landesliste erhielten, unterstreicht, daß die AsF kein Machtfaktor im sozialdemokratischen Partei-gefüge ist, was von den außerparlamentarischen Bewegungsfrauen, die der SPD sicherlich näherstanden als der CDU oder FDP, mit Enttäuschung und Bitterkeit registriert wurde. Ihrer Meinung nach müssen Frauen „für die konkrete Situation der Frauen kämpfen, bevor der erträumte Sozialismus kommt" (Simone de Beauvoir).

Frust und Lust, Arbeit und Liebe Trotz der zahllosen Frauenprojekte haben sich in den letzten zwei Jahren Unmut, Enttäu-

schung, Resignation, Desillusionierung, Lust-

osigkeit oder auch einfach Müdigkeit breit gemacht — weil eine Reihe von Frauen ihre Mitarbeit abbrachen und andere doppelt kämpfen mußten; weil geschlagene Frauen im-mer wieder zu ihren Männern zurückkehrten; " ei Frauenzentren kein Ort allgemeiner Ver-Shwesterung waren und Meinungsverschieenheiten in zunehmendem Maße aggressiv ^getragen wurden; weil die unentgeltliche beit kraft-und nervenraubend und manch-ma vergeblich war; weil die schwesterliche deduld gegenüber immer neuen Frauen mit denselben alten Fragen überstrapaziert wure'weil von innerhalb der Frauenbewegung ie Fortschritte nicht mehr zu erkennen waren; weil die Kontakte zur außerfeministischen Welt immer dünner wurden; weil das Private privat blieb und nicht politisch wurde.

Es ist jedoch tröstlich zu sehen, wie feministische Frauen in dem Moment, in dem sie ein gewisses Erlahmen ihrer Aktivitäten registrierten, offen darüber diskutierten, sich aussprachen, ihre gegenseitigen Ansprüche reflektierten, Selbstkritik übten und sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf überwältigender Probleme und daraus resultierender Enttäuschungen zogen. Am Ende des ersten überregionalen Frauenzentrums-Treffen in Göttingen im Juni 1981, zu dem 150 Frauen aus 23 Frauenzentren erschienen waren, um Veränderungsmöglichkeiten zu diskutieren, formulierte eine Frau die Diskussionsergebnisse folgendermaßen:

Schwestern, FreundinneA „Liebe und Feindinnen, es steht schlecht um die Frauenzentren!

Eine Seuche rast durch sie hindurch und rafft sie massenhaft hinweg. Allenthalben zeigen sich die immer gleichen gräßlichen Symptome: Raumnot, Finanzmangelkrankheit, Organisationsbeklemmungen, Öffentlichkeitsarbeit-Unterdruck, Lesben-Hetero-Juckreiz, Dominanzdruckgefühle, Politik-Allergien, Wermacht-die-Dreckarbeit-Krätze, Wer-fühlt-sich-verantwortlich-Blutarmut usw. ... Aber wie Ihr seht: es gibt überlebende! Und mir scheint, sie haben alle das Gegenmittel geschluckt, dessen geheime Zusammensetzung sie im rastlosen Nachforschen herausgefunden haben. Es ist eine bittersüße Pille, eine Mischung aus Frust und Lust, aus ARBEIT und LIEBE. Und da auch diese Pille täglich eingenommen werden muß, arbeitet, Schwestern, arbeitet! Dann kommt die Liebe ganz von allein!" Es ist diese Mischung aus Ironie und Wärme, aus Selbstkritik und Tatendrang, die Mut macht zum Widerstand gegen Benachteiligung und Unterdrückung einerseits und zum Kampf für die Aufklärung, Politisierung und Solidarisierung von Frauen andererseits. Denn in der Frauenbewegung setzt sich auch die Erkenntnis durch, daß die Speerspitze sich nicht nur gegen das Patriarchat richten muß, um die durch Männerherrschaft verursachten Formen weiblicher Unfreiheit und Ungerechtigkeit aufzuheben, sondern auch und in zunehmendem Maße gegen jene Kollaborateurinnen der Macht, die sich Herrschaftsansprüchen fügen, sich mit den Mächtigen arrangieren — manchmal einfach resignativ, allzu oft provokativ und mit einer Geste der Verachtung für die, die um Frauenrechte kämpfen.

Natürlich können wir Frauen uns sagen: Wir haben es inzwischen schon recht weit gebracht. Wir brauchen nur die Biographien und Selbstdarstellungen von Frauen aus dem 19. Jahrhundert zu lesen, um unsere größere Freiheit und Gleichheit zu erkennen. Zum Beispiel die herzzerreißenden Worte der jungen Johanna Kinkel, die später als Musiklehrerin, Schriftstellerin und Liederkomponistin ihre vier Kinder ernährte, während ihr Mann im Kerker saß: „Ich fuhr fort, alle Zeit den offiziellen weiblichen Beschäftigungen zu stehlen und heimlich Entdeckungsreisen in die Klavierauszüge alter Opern zu unternehmen ... Um sich meiner gewiß zu machen, schickte man mich in eine Nähschule, wo kein Klavier nah und fern zu sehen war und wo ich unter der strengen Aufsicht von ein paar älteren Basen die schweren Kunstwerke, welche Saumnaht, Uberhandnaht und doppelte Naht benannt werden, in höchster Vollendung lernte. Ach, wie viel lieber und leichter hätte ich Generalbaß gelernt. Als ich aber in einem Singverein Händel, Bach und Beethoven kennenlernte, da war kein Zaum mehr stark genug, mich vom Klavier abzuhalten, und ich weinte die bittersten Tränen, wenn ich zu mechanischen Arbeiten angetrieben wurde. Man tat methodisch alles, um mich von dieser musikalischen Narrheit zu heilen.“

Allerdings: die heutigen Basen, Mütter und Großmütter zwingen zwar nicht mehr dazu, Überhandnähte in höchster Vollendung zu fabrizieren, aber immer noch schenken sie ihren Söhnen mehr Zuwendung und geben ihnen selbstverständlich eine bessere Bildung als ihren Töchtern. Immer noch lassen sich Frauen von ihren Männern kränken, unterdrücken, mißhandeln und ertragen es stumm und stehen nach außen hin wie ein Schild vor ihren Ehemännern und geben ihre Aggressionen, möglicherweise unbewußt, an die Schwächeren, die Kinder, weiter. Immer noch schenken Frauen ihre Achtung, Zuneigung, Liebe Männern, für die sie nichts weiter als ein Objekt, ein angenehmer Besitz sind, der ihrer Eitelkeit und Machtstellung als Familienoberhaupt schmeichelt. Immer noch besteht eine der Hauptaufgaben darin, genügend Frauen von der Notwendigkeit der Solidarität unter Frauen zu überzeugen. (Es war kein Ritual, sondern beschwörender Ernst, wenn Programme, Resolutionen und Berichte der Arbeiterbewegung mit der Aufforderung zu enden pflegten: Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!)

Damit die Frauenbewegung nicht leerläuft und verkommt, müssen die Frauen selbstkritisch und stolz sein, klare Trennungsstriche ziehen und Bündnisse eingehen. Sie müssen lernen, mit Widersprüchen zu leben und doch rebellisch zu sein. Wenn man sieht, mit wie-viel Fleiß und Liebe und Phantasie zahllose Frauenprojekte betrieben wurden und werden, in wie vielen Fällen Frauen bereits auf die Solidarität von Frauen rechnen können, dann erkennt man die praktische Bedeutung des Traums von einer gerechteren und glücklicheren Welt.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Renate Wiggershaus, geb. in Wuppertal, Studium in Frankfurt/M., freie Schriftstellerin. Buchveröffentlichungen: George Sand, Geschichte meines Lebens, 1978 (Hrsg.); Geschichte der Frauen und der Frauenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik nach 1945, 1979.