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Die ungarische Revolution — 25 Jahre danach | APuZ 44/1981 | bpb.de

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APuZ 44/1981 Artikel 1 Die ungarische Revolution — 25 Jahre danach Eine neue Moral für Deutschland? Die Bewegung für Moralische Aufrüstung und ihre Bedeutung beim Wiederaufbau 1947— 1952 „Viel Lärm um nichts" -oder: Wie ist es um die Politische Bildung bestellt?'

Die ungarische Revolution — 25 Jahre danach

Georg Brunner

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Am 23. Oktober 1956 brach in Budapest als Höhepunkt der Entstalinisierungskrise des Sowjetblocks die ungarische Revolution aus, die am 4. November von sowjetischen Truppen blutig niedergeschlagen wurde. Nach einem Überblick über die historischen Ereignisse, ihren politischen Hintergrund und die internationalen Zusammenhänge wird das „Programm“ der Revolution analysiert. Von einem in sich geschlossenen „Programm" konnte zwar keine Rede sein, aber aus einer Zusammenschau der Begleitumstände und der zahlreichen Einzelforderungen ergibt sich, daß der Volksaufstand antisowjetischer und antikommunistischer Natur war und die nationale Unabhängigkeit, Freiheit und Demokratie im klassisch-abendländischen Sinne erstrebte. Mit den revolutionären Forderungen wird dann das „Kdär-Modell" der Gegenwart konfrontiert, das sich durch eine vergleichsweise liberale und erfolgreiche Innenpolitik der begrenzten politischen und weitgehenden Wirtschaftsreformen auszeichnet, gegenüber Moskau aber durch das unanfechtbare Führungsmonopol der Partei und die Befblgung der außenpolitischen Generallinie der Sowjetunion abgesichert wird. Die Forderungen der Revolution von 1956 sind in wesentlichen Punkten zwar nicht erfüllt worden, aber Ungarn genießt heute eine nicht unbeträchtliche innere Autonomie, gewisse Freiheiten und einen bescheidenen Wohlstand. Obwohl die Bevölkerung das in den 25 Jahren Erreichte zu schätzen weiß und die politischen Führer nicht mit inneren Gefährdungen des Systems zu rechnen brauchen, ist die von einer apolitischen Konsummentalität geprägte Grundstimmung im Lande ambivalent.

I. Die ungarische Revolution von 1956

1, Skizze der Ereignisse Am frühen Nachmittag des 23. Oktober 1956 versammelten sich die Studenten von Budapest, um mit einem Demonstrationszug den Forderungen Ausdruck zu verleihen, die aus dem allgemeinen politischen Gärungsprozeß der letzten Monate allmählich erwachsen waren. Die halbherzigen Maßnahmen der Entstalinisierung, denen am 17. Juli auf einen Wink aus Moskau der stalinistische Diktator M. Rkosi zum Opfer gefallen war, vermochten den Wunsch der Bevölkerung nach substantiellen Veränderungen nicht zu befriedigen. Daß etwas geschehen mußte, das spürte jedermann; doch wie und was geschehen würde, das wußte niemand. Die allgemeine Unruhe nahm ständig zu, und die Unsicherheit der politischen Führung wurde immer offenkundiger. Es entstand etwas, was man gemeinhin eine „revolutionäre Situation“ zu nennen pflegt.

Trotzdem hätte sich aus dem friedlichen Demonstrationszug, dem sich Passanten und aus den Vororten herbeigeeilte Arbeiter anschlossen und der in wenigen Stunden zu einer Massenansammlüng von 200 000— 300 000 Menschen anschwoll, kein bewaffneter Volksaufstand entwickeln müssen, wenn die verhaßte Geheimpolizei AVH am Abend vor dem Rundlunkgebäude nicht in die unbewaffnete Menge geschossen hätte, die dort eine Verlesung der studentischen Forderungen im Rundfunk durchsetzen wollte. Nun besorgten sich Leute aus der aufgebrachten Menge Waffen, und es entbrannte ein regelrechtes Gefecht mit den Geheimpolizisten. Das Gefecht weitete sich zum Volksaufstand aus, als im Morgengrauen des 24. Oktober wild um sich schießende sowjetische Panzerkolonnen in Budapest einrückten. Die sowjetische Intervention wurde in der Nacht von der bedrängten ungarischen Partei-und Staatsführung unter ungeklärten Umständen erbeten, doch ergibt sich aus ihrem zeitlichen Ablauf und den vorangegangenen Truppenbewegungen, daß sie von den Sowjets zumindest eigenständig vorbereitet worden war.

In der Hauptstadt und teilweise auf dem Lande begann ein fünftägiger Krieg zwischen den überwiegend aus der Arbeiterschaft stammenden Aufständischen auf der einen und den sowjetischen Truppen sowie den Resten der in Auflösung begriffenen ungarischen Geheimpolizei auf der anderen Seite. Die reguläre Polizei und die ungarische Armee (wenn auch nicht die höchsten Offiziersränge, deren Befehle jedoch nicht befolgt wurden) sympathisierten mit den Freiheitskämpfern, gaben ihnen ihre Waffen und hielten sich aus den Kämpfen im allgemeinen heraus; nur vereinzelt griffen sie aktiv auf Seiten der Aufständischen ein. Der bedeutendste Einzelfall dieser Art war derjenige des Obersten Päl Malter, der am 25. Oktober vom Verteidigungsminister an der Spitze einer Panzereinheit zur Kiliän-Kaserne entsandt wurde, um dort die Disziplin wiederherzustellen. Unter dem Eindruck der Geschehnisse stellt er sich an Ort und Stelle auf die Seite der Aufständischen und leistete mit seinen Soldaten dem Sturm sowjetischer Truppen auf die Kaserne tagelang erfolgreichen Widerstand.

Während der ersten sowjetischen Intervention zerbrachen die überkommenen politischen Strukturen rasch. Noch in den Nacht vom 23. zum 24. Oktober wurde an der Spitze der Regierung der Stalinist A. Hegedüs durch den Nationalkommunisten Imre Nagy abgelöst, und nach dem von der Geheimpolizei angerichteten Blutbad auf dem Parlamentsplatz übernahm am 25. Oktober der unter Räkosi eingekerkerte und grausam gefolterte Jänos Kdr von dem Stalinisten E. Gero die Parteiführung. Die Wiedereinsetzung Imre Nagys als Ministerpräsident, der dieses Amt als Repräsentant des gescheiterten „Neuen Kurses" schon vom Juli 1953 bis April 1955 bekleidet hatte, entsprach zwar einer zentralen politischen Forderung der Reformkräfte, doch war dies eher als eine taktische Maßnahme gedacht. Trotz aller personellen Veränderungen blieb Nagy von Stalinisten und anderen reformfeindlichen Kräften „eingerahmt". Seiner Handlungsfreiheit waren enge Grenzen gesetzt, die auch eine tatkräftigere Persönlichkeit kaum hätte durchbrechen können. Regierung und Parteipräsidium bewegten sich in einem zunehmend luftleeren Raum.

Mit der Desintegration der Herrschaftsapparate ging die reale Macht auf eine Vielzahl spontan entstandener lokaler Gruppierungen über: die Straßen von Budapest wurden von den Gruppen der Aufständischen beherrscht; in den Betrieben bildeten sich Arbeiterräte; auf dem Lande übernahmen Reyolutionsräte die örtliche Verwaltungsmacht; Revolutionsräte wurden auch auf funktioneller Grundlage von Berufs-und Jugendgruppen, in Bildungseinrichtungen und Verwaltungen ins Leben gerufen.

Der militärische Eingriff der Sowjetunion schien mit einem Fiasko zu enden. Am 28. Oktober zogen sich die sowjetischen Truppen aus Budapest zurück, die Regierung proklamierte den Waffenstillstand mit den Aufständischen (gegen die Regierungstruppen niemals gekämpft hatten), erkannte in der Volkserhebung eine nationale und demokratische Bewegung und erklärte, daß Verhandlungen über den Abzug sowjetischer Truppen aus Ungarn eingeleitet worden seien.

Eine Woche der Freiheit begann! Was diese Woche für das ungarische Volk bedeutete, werden wohl nur diejenigen Leser ermessen können, die eine Diktatur am eigenen Leibe erlebt haben. Zur Chronik der politischen Fakten gehören die Abschaffung des Einparteisystems und die Bildung einer Koalitionsregierung aus den 1945er Parteien am 30. Oktober sowie die Neutralitätserklärung und der Aus tritt aus dem Warschauer Pakt am 1. Novern, ber. Zwei Tage später erfolgte eine erneute Regierungsumbildung: die letzte Regierung Nagy setzte sich aus drei Kommunisten, drei Sozialdemokraten, drei Vertretern der Klein-landwirtepartei, zwei Repräsentanten der Pe töfi(Bauern) -Partei und dem parteilosen Oberst Malter als Verteidigungsminister z sammen.

Am Abend des 3-November fuhr Verteidigungsminister Malter mit einer Regierungs delegation auf Einladung der Russen in dassowjetische Hauptquartier nach Tököl, um die Einzelheiten des bereits zugesagten Abzugs aller sowjetischen Truppen aus Ungarn auszuhandeln. Er fuhr in eine Falle. Die ganze Delegation wurde verhaftet, und wenige Stunden nach Mitternacht begann der zweite militärische Überfall der Roten Armee auf das seiner militärischen Führung beraubte Land.

Die niederträchtige Methode, die 1968 auch in der Tschechoslowakei praktiziert werden sollte, war erfolgreich: Vortäuschung von Verhandlungsbereitschaft, um den Gegner in Sicherheit zu wiegen und insgeheim die militärische Intervention vorzubereiten. Der bewaffnete Widerstand war nunmehr sinnlos geworden, aber in verschiedenen Landesteilen gab es noch bis in den Dezember hinein Gefechte. Im Auftrag der Sowjets übernahm eine kommunistische Partei-und Staatsführung die Macht, an deren Spitze Jänos Kädär stand, eit Mitglied der Regierung Nagy, der am l. No vember spurlos verschwunden und zu der Russen übergelaufen war. Ihm oblag die Liqui dierung der Ergebnisse der Revolution un vor allem die Verfolgung der Freiheitskämi fer. Hunderte von Todesurteilen wurden g fällt und vollstreckt, darunter nach zwei G heimprozessen im Juni 1958 auch gegen Inn Nagy und Päl Malter Nach groben Schä zungen forderte die Revolution 3 000 b 5 000 Todesopfer und über 15 000 Verwundet rund 200 000 Flüchtlinge verließen noch 19-das Land. 2. Der politische Hintergrund Die ungarische Revolution war der Höhepunkt der allgemeinen politischen Krise, die den sowjetischen Machtbereich nach Stalins Iod am 3. März 1953 erfaßt hatte und durch den XX. Parteikongreß der KPdSU vom Februar 1956 verschärft worden war, auf dem Chruschtschow seine berühmte Geheimrede über die stalinistischen Verbrechen gehalten hatte. Die Entstalinisierung rief in den Ländern Osteuropas schwere politische Erschütterungen hervor, die in Polen und Ungarn der Parteikontrolle zu entgleiten drohten.

Ende Juni 1956 kam es in Polen zu Protestkundgebungen der Arbeiter, die sich in Posen zu einem blutigen lokalen Aufstand entwikkelten, nachdem die Regierung den Einsatz regulärer Truppen angeordnet hatte. Dann aber kam die Regierung den Arbeitern mit den geforderten wirtschaftlichen Zugeständnissen entgegen. Die polnische Führung verstand es im übrigen, die politische Krise durch Reform-maßnahmen und eine personelle Erneuerung (am 20. Oktober bestimmte das Zentralkomitee W. Gomulka zum neuen Parteichef) aus eigener Kraft zu bewältigen und das Maß der Veränderungen zu bestimmen, mit dem sich die Sowjets gerade noch abfanden und das eigene Volk gerade noch zufrieden gab.

Die politische Führung in Ungarn war nicht so einsichtig. Sie mußte immer wieder von Moskau zu den unumgänglichen Maßnahmen bewegt werden, die aber hinter dem jeweiligen Stand des politischen Gärungsprozesses zurückblieben und den Unmut der Bevölkerung gerade im Hinblick auf die Entwicklung in Polen eigentlich nur vergrößerten. Es geschah zu wenig und zu spät; die stalinistischen Führer hatten im Grunde nur die Erhaltung ihrer Machtvor Augen und übersahen dabei die tatsächlichen Veränderungen in Volksstim-der mung. Die Eruption wurde auf diese Weise unvermeidlich. • Die internationale Lage er Ausbruch der ungarischen Revolution itand in keinem unmittelbaren Zusammen-lang mit der internationalen Lage, trotzdem wurde ihr Ausgang von dieser nachteilig be-influßt. Abgesehen von der vordergründigen ussöhnung mit Belgrad bewirkte das Entstanisierungsprogramm Chruschtschows keine 'gütlichen Veränderungen in der sowjeti-chen Außenpolitik. Zwar wurde am 15. Mai 1955 der österreichische Staatsvertrag unterzeichnet und kam im Juli desselben Jahres die Genfer Gipfelkonferenz der vier Mächte zustande, doch zeigten die folgenden Monate, daß die Sowjetunion in den Ost-West-Beziehungen zu keinerlei substantiellen Zugeständnissen bereit und die westliche Hoffnung auf eine Entspannung übertrieben war. Immerhin war der „Geist von Genf" zu Beginn des verhängnisvollen Jahres 1956 noch nicht vollständig verflogen und trug seinen Teil dazu bei, die Konfrontationsbereitschaft des Westens in den folgenden kritischen Monaten zu dämpfen. Die größere taktische Flexibilität Chruschtschows in den Außenbeziehungen bedeutete keinen Verzicht auf die stalinistische Expansionspolitik. Im Gegenteil, ihr Wirkungsbereich wurde über den bisherigen „Sicherheitsgürtel" hinaus erweitert, wobei sich als lohnendes Objekt namentlich der Nahe Osten anbot. In Ägypten bot die Machtübernahme des Obersten Nasser im November 1954 einen willkommenen Ansatzpunkt. Durch propagandistischen Beistand, wirtschaftliche Beziehungen und Waffenlieferungen baute die Sowjetunion in den Jahren 1955/56 dort ihren Einfluß rasch aus. Dergestalt ermutigt, erklärte Nasser am 26. Juli 1956 die Verstaatlichung des SuezKanals. Der dadurch heraufbeschworene Suez-Konflikt wuchs sich zu einem Krieg aus, als die israelische Armee am 29. /30. Oktober mit einem Präventivschlag die ägyptischen Stellungen überrannte, den Gaza-Streifen sowie die Sinai-Halbinsel besetzte und am nächsten Tag britische und französische Luftstreitkräfte in der Kanalzone Ägypten angriffen. Die Vereinigten Staaten waren über die israelisch-britisch-französische Sonderaktion nicht informiert und mißbilligten sie.

Es kann nicht behauptet werden, daß England und Frankreich sich die ungarische Revolution bewußt zunutze gemacht haben, aber sie ließen sich durch sie jedenfalls nicht von ihrem Vorhaben abbringen, eine weltpolitische Krisensituation zur Durchsetzung ihrer nationalen Sonderinteressen unter Hintanstellung der gemeinsamen Interessen der freien Welt zu nutzen. Das fatale Zusammentreffen der beiden Ereignisse und die durch das Suez-Abenteuer bewirkten Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten einerseits sowie England und Frankreich andererseits führten dazu, daß der Westen zur Zeit der zweiten sowjetischen Intervention in Ungarn gespalten und damit in seiner Handlungsfähigkeit beeinträchtigt war. Hinter den heftigen Protesten der Westmächte verbarg sich nichts anderes als die stillschweigende Anerkennung der sowjetischen Hegemonie über Osteuropa. Sie wurde 1968 im Falle der Tschechoslowakei bestätigt, während die Sowjetunion ihren Hegemonialanspruch durch die sog. „Breshnew-Doktrin" präzisierte, die der Sache nach freilich schot 1956 praktiziert worden war. Ob die mit den Streiks vom August 1980 eingeleitete Entwicklung in Polen zu einer Revision der jeweiligen Standpunkte der beiden Supermächte führen wird, bleibt einstweilen abzuwarten.

II. Das „Programm" der Revolution

Da die Revolution spontan ausgebrochen war, hatte sie keine „Ideologie" im Sinne eines theoretisch fundierten und systematisch geschlossenen Programms Es wäre insbesondere verfehlt, ihre Anliegen mit den nationalkommunistischen Reformvorstellungen eines Imre Nagy zu identifizieren, über die die Entwicklung — hätte sie sich ungehindert entfalten können — bald hinweggegangen wäre. Denn das ungarische Volk wollte nicht einen besseren Kommunismus, sondern das Ende eines jedweden Kommunismus. Es ist auch keineswegs sicher, daß sich Ungarn auf den „dritten Weg" zwischen den beiden Gesellschaftssystemen in Ost und West begeben hätte, den Istvän Bb, Staatsminister in der letzten Regierung I. Nagys und führender Theoretiker der Kleinlandwirtepartei, in den letzten Revolutionstagen skizziert hat Die anfechtbaren Gedanken dieser integren und integrierenden Persönlichkeit scheinen auf Teile der ungarischen Intelligenz in der Emigration wie in der Heimat heute eine größere Anziehungskraft auszuüben, als es 1956 der Fall war Unstreitig ist, daß die ungarische Revolution aus einem unerträglichen Gefühl der Unzufriedenheit und Unfreiheit entstand und sich gegen das bestehende Regime richtete. Da dieses Regime fremdbestimmt und kommunistisch war, trug der Volksaufstand naturgemäb stark antisowjetische und antikommunistische Züge. Ins Positive gewendet bedeutet dies, daß die Revolution nationale Unabhängigkeit Freiheit und Demokratie im klassisch-abendländischen Sinne des Wortes erringen wollte Sie machte eine Reihe sehr konkreter Einzel-forderungen geltend, die etwa an den „ 14 Punkten" der Studenten der Technischen Hochschule von Budapest abzulesen sind, die zur Plattform der Demonstration vom 23. Oktober wurden In der Reihenfolge ihrer quantitativen Gewichtung betrafen sie die Sicherung der nationalen Unabhängigkeit, politische und wirtschaftliche Reformen

Als Voraussetzung für die nationale Unabhängigkeit, mit der der Gedanke der Neutralität des Landes aufs engste verbunden war, wurden der Abzug aller sowjetischen Truppen und der Austritt aus dem Warschauer Pakt verlangt. Wie bereits erwähnt, hat sich die legal'Regierung am 1. November all diese Forde rungen zu eigen gemacht.

In politischer Hinsicht standen die Forderur gen nach Zerschlagung der Geheimpolizei, i beralen Freiheitsrechten, freien Wahlen und einem Mehrparteiensystem im Vordergrund. Diese Forderungen wurden, wenn auch teilweise widerwillig, auch von „Nationalkommunisten" um I. Nagy akzeptiert, die damit in Kauf nahmen, bei freien Wahlen in die Minderheit zu geraten. Am 30. Oktober wurde die Gründung politischer Parteien zugelassen und die kommunistische Einparteiregierung in eine Koalitionsregierung umgebildet.

Die Forderungen wirtschaftlicher Natur bezogen sich auf die Beseitigung der stalinistischen Zentralverwaltungswirtschaft und die Einführung der privaten Unternehmerfreiheit in Landwirtschaft und Kleingewerbe. Damit sollte die genossenschaftliche Organisation der Landwirtschaft nicht prinzipiell beseitigt, sondern auf eine freiwillige Grundlage gestellt werden. Allerdings zeigte die Entwicklung, daß die praktischen Unterschiede nicht allzu groß gewesen wären, da in den wenigen Tagen der Revolution über die Hälfte der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften von selbst zerfielen. Von einer Reprivatisierung der großen und mittleren Industriebetriebe war keine Rede, und es blieb unklar, inwiefern die zur Unterstützung des Volksaufstandes spontan entstandenen Arbeiterräte in einem künftigen Wirtschaftssystem Träger einer Arbeiterselbstverwaltung nach jugoslawischem Muster werden sollten Die erreichten sozialen Errungenschaften — bescheiden genug waren sie ja — sollten jedenfalls nicht-angetastet werden.

Aus diesen Einzelforderungen sind gewisse Konturen einer künftigen Gesellschaftsordnung erkennbar. Es wäre aber falsch, im nachhinein ein in sich geschlossenes „ungarisches Modell" konstruieren zu wollen. Dies würde der Wirklichkeit schon deshalb Gewalt antun, weil die Zeit vom 23. Oktober bis zum 4. November viel zu kurz war, um ein programmatisches Gesellschaftskonzept entwickeln zu können, und weil über die künftige Gesellschaftsform eine demokratisch gewählte, aus mehreren Parteien zusammengesetzte und folglich in pluralistischer Auseinandersetzung diskutierende Volksvertretung entscheiden sollte.

III. Das „Kdr-Modell" der Gegenwart

Mit der blutigen Niederwerfung der Revolution wurde die kommunistische Herrschaft von sowjetischen Truppen wiederhergestellt. Die von den Sowjets eingesetzte Partei-und Staatsführung unter Jänos Kädär betrachtete es als ihre vordringlichste Aufgabe, ihre Macht gewaltsam zu sichern und zu konsolidieren sowie die Erfolge der Revolution zu liquidieren. Die Wende zu einer neuen Politik wurde 1962 vollzogen; ihre Grundzüge wurden auf dem VIII. Parteitag der reorganisierten Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei verbindlich formuliert.

Das seither „Kädär-ModelT zeichnet sich ganz allgemein durch eine vergleichsweise liberale Innenpolitk aus, die durch das unanfechtbare Führungsmonopol der Partei und die Befolgung der außenpolitischen Gene-rallinie der Sowjetunion abgesichert wird. Die kommunistische Herrschaft soll in erster Linie nicht durch Gewaltmaßnahmen, sondern ®rch Konzessionen an die Bevölkerung auf er Basis des Ausspruchs von Kädär „Wer nicht gegen uns ist, ist für uns" gesichert "'erden.

Konfrontiert man die gegenwärtigen Verhält-nSse in Ungarn mit den Bestrebungen des un-garischen Volkes vor 25 Jahren, so ergibt sich folgendes Bild: 1. Nationale Unabhängigkeit Von einer nationalen Unabhängigkeit im Sinne der Freiheitskämpfer von 1956 kann keine Rede sein. Auf ungarischem Boden befinden sich vier sowjetische Divisionen; eine Rechtsgrundlage dafür ist durch den Truppenstationierungsvertrag vom 27. Mai 1957 geschaffen worden. Zwar ist in diesem Vertrag nur von einer „vorübergehenden" Stationierung die Rede, doch nichts deutet darauf hin, daß nach sowjetischer Zeitrechnung schon ein* Vierteljahrhundert die Kriterien einer Übergangsperiode erfüllt. Die Zugehörigkeit Un-garns zum sowjetischen Hegemonialbereich und namentlich zum Warschauer Pakt steht außer Frage. Die ungarische Armee ist im August 1968, wenn auch widerstrebend, in die Tschechoslowakei einmarschiert, und man macht sich in Ungarn keine Illusionen darüber, daß sie es heute in Polen gegebenenfalls wieder tun müßte.

Stellt man an die nationale Unabhängigkeit bescheidenere Anforderungen, indem’ man sich mit einem gewissen Maß an innen-und außenpolitischer Handlungsfreiheit begnügt, so muß die Bilanz positiver ausfallen. Wie noch zu zeigen sein wird, genießt Ungarn im Rahmen der Breschnew-Doktrin (insb. Einparteidiktatur als politisches Strukturprinzip, Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als Systemideologie) eine beträchtliche innenpolitische Autonomie. Auf dem Gebiete der Außenpolitik sind die Grenzen wesentlich enger gezogen, doch auch hier ist es gelungen, gute Beziehungen zum Westen zu entwickeln, und Kdr hat es immer wieder versucht, in kritischen Angelegenheiten des Weltkommunismus (Eurokommunismus) und des Sowjet-blocks (Tschechoslowakei 1968, Polen seit 1980) einen mäßigenden Einfluß auszuüben. 2. Politische Reformen Unter Kädärs Führung ist eine Reihe politischer Reformmaßnahmen eingeleitet worden, die an die Forderungen von 1956 freilich bei weitem nicht herankommen, aber den Ungarn von heute doch persönliche Freiheitsräume und politische Partizipationsmöglichkeiten zusichern, die im sowjetischen Hegemonialbereich keine Parallele finden — wenn man von der offenen Lage in Polen absieht. Eine umfassende Analyse dieser Reformen ist an dieser Stelle nicht möglich Es seien nur unter den großen Stichworten „Ausbau der Rechtsstaatlichkeit'' und „Demokratisierung des politisehen Lebens" die wichtigsten Gesichtspunkte gestreift.

Voraussetzung für eine rechtsstaatliche Entwicklung war der Abbau der terroristischen Herrschaftsmethoden, der mit der Entmach. tung des Staatssicherheitsdienstes und seine Eingliederung in den allgemeinen Polizeien parat des Innenministeriums begann, durch die Generalamnestie vom März 1963, die die Vergeltungsperiode beendete, einen mächtigen Auftrieb erfuhr und sich über eine Liberalisierung des Strafrechts und der politische! Strafpraxis bis zum heutigen Tage mit gerin gen Schwankungen fortsetzt. Es wurden zahl reiche Rechtsreformen durchgeführt, unte denen in unserem Zusammenhang vor allen die Justizreform von 1972/73 und die prakti sehe Eliminierung der gesellschaftlichen Ge richtsbarkeit 1975 erwähnt zu werden verdie nen

Die für kommunistische Regime typische poli tisch-soziale Diskriminierung ist weitgehen beseitigt worden, was konkret insbesonder bedeutet, daß auch Nicht-Parteimitglieder relativ große Karrieremöglichkeiten offenste hen und die soziale Abstammung seit 196 kein Auslesekriterium mehr bei der Zula: sung zum Hochschulstudium ist. Was der ul garische Durchschnittsbürger aber am me sten schätzt, das sind die sog. „kleinen Freihe ten": dem privaten Wohlstandsstreben sin recht großzügige Grenzen gesetzt (dies hat a lerdings im Dienstleistungsbereich inw sehen zu einer Korruption beträchtlichen Au maßes geführt, die freilich weniger erfreuli ist); der Alltag ist weitgehend entideologisie worden, womit eine ansehnliche Meinung äußerungsfreiheit und ein Rückgang prop gandistischer Belästigungen korrespondiert die Grenzen zum Westen sind in beiden Ric tungen geöffnet worden, was z. B. bedeut daß ungarische Staatsbürger grundsätzli alle zwei bis drei Jahre eine Westreise unt nehmen dürfen und die im westlichen A’ land lebenden ungarischen Emigranten i Heimat, von wenigen Ausnahmen abgeseh ungehindert besuchen können.

In der Sphäre politischer Partizipation ist c Gedanke eines Mehrparteiensystems u freier Wahlen natürlich niemals erwogen W den, aber die Partei handhabt ihr unbestreit res Führungsmonopol recht zurückhalte und die staatliche Organisation, die auf dit Weise insgesamt an Bedeutung gewonnen hat, ist in mancher Hinsicht „demokratisiert" worden. Drei Reformmaßnahmen seien besonders genannt: Die Wahlrechtsreformen von 1966 und 1970 haben es bewirkt, daß bei Parlaments-wie Kommunalwahlen in einigen Wahlkreisen zwei Kandidaten nominiert werden, wobei die zweite Nominierung zum Teil nicht auf die Patriotische Volksfront, die die Wahlen im Parteiauftrag organisiert, sondern auf Wählerversammlungen zurückzuführen ist. Die Anzahl der Mehrfachkandidaturen ist allerdings bescheiden und zudem rückläufig, aber gelegentlich hat der Wähler, wenn auch keine politische, so doch eine echte personelle Alternative Verschiedene Parlamentsreformen haben zu einer Belebung der parlamentarischen Aktivitäten geführt. Dies äußert sich namentlich in einer lebendigeren Interpellationspraxis, die in Angelegenheiten der Leistungsverwaltung durchaus kritische Akzente aufweisen kann, in einem Bedeutungszuwachs der Ausschüsse und in einer gewissen Verbesserung des legislatorischen Mißverhältnisses, das zwischen den wenigen parlamentarischen Gesetzen und den zahlreicheren Gesetzesverordnungen des Präsidialrats als eines Ersatzparlaments besteht. Schließlich ist 1971 eine Reform der örtlichen Verwaltung durchgeführt worden, die neben organisatorischen und technischen Verbesserungen auch eine nennenswerte Dezentralisierung zur Folge hatte. Im Ergebnis der Funktionalreform hat sich das Volumen der örtlichen Verwaltungsangelegenheiten verdoppelt. 3. Wirtschaftsreformen Auf ökonomischem Gebiet waren die Vorstellungen von 1956 am wenigsten greifbar. Immerhin wurde eine radikale Abkehr von der stalinistischen Zentralverwaltungswirtschaft gefordert, und insofern muß man feststellen, daß Kdr diese Forderung sich zu eigen gemacht hat. Mit Wirkung vom 1. Januar 1968 — inder Landwirtschaft schon ab 1966— ist eine Neuer Wirtschaftsmechanismus''genannte Wirtschaftsreform eingeführt worden, die bei allen Mängeln und zwischenzeitlichen Rückschlägen wesentlich radikaler und erfolgreicher war als die zaghafteren Reformbemühungen in allen anderen osteuropäischen Ländern In der neuen Ordnung einer „sozialistischen Marktwirtschaft" ist die traditionell imperative durch eine indikative Zentralplanung abgelöst worden. Die Betriebe planen ihre Tätigkeit grundsätzlich selbst und verfügen über ihr Vermögen grundsätzlich selbständig. Die in den zentralen staatlichen Volkswirtschaftsplänen festgelegten Ziele sollen mit indirekten Mitteln der staatlichen Wirtschaftspolitik erreicht werden, indem die Betriebe durch Einsatz eines Lenkungsinstrumentariums „ökonomischer Regulatoren" und unter Nutzbarmachung der Marktkräfte zu einem plangerechten Wirtschaften veranlaßt werden. Die zuständigen Branchenministerien üben lediglich eine Aufsicht über die Betriebe aus und sind zu operativen Eigriffen nur ausnahmsweise berechtigt, namentlich dann, wenn Aufgaben der Landesverteidigung, internationale Vertragsverpflichtungen oder die Überwindung von Versorgungsschwierigkeiten dies dringend erfordern.

Parallel zu den Reformen im staatlichen und genossenschaftlichen Wirtschaftssektor sind der Privatinitiative in Landwirtschaft, Handel, Handwerk und bei Dienstleistungen wachsende Entfaltungsmöglichkeiten eingeräumt worden. Dank dieser Reformen hat Ungarn die weltweiten wirtschaftlichen Schwierigkeiten der siebziger Jahre relativ gut überstanden. Die Zukunftsperspektiven werden zwar auch offiziell nicht rosig eingeschätzt, aber es ist damit zu rechnen, daß — anders als in den übrigen Ostblockländern — auch künftig keine ernsthaften Versorgungsprobleme auftreten werden und das erreichte Niveau eines bescheidenen Wohlstandes gehalten werden kann.

Auf dem Gebiete der Betriebsverfassung sind die Veränderungen weit bescheidener ausge-fallen. Die während der Revolution entstandenen Arbeiterräte sind noch im Laufe des Jahres 1957 sukzessive und endgültig liquidiert worden. Die beherrschende Figur im Betrieb ist nach wie vor der vom Staat eingesetzte Direktor, und von einer substantiellen Mitbestimmung der Belegschaft kann nicht ernsthaft die Rede sein. Immerhin haben die Gewerkschaften seit der Wirtschaftsreform ein größeres Eigengewicht erhalten, und in einem gewissen Umfang betätigen sie sich heute tatsächlich als Interessenvertretungen der Arbeitnehmer. Gerade in jüngster Zeit wird viel von einer Weiterentwicklung der „Betriebsdemokratie" gesprochen, und es sind auch einige Schritte zur Demokratisierung der betrieblichen Gewerkschaftsorganisation unternommen worden

IV. Bilanz und Ausblick

Von den Forderungen der ungarischen Revolution von 1956 sind in den vergangenen 25 Jahren nur sehr wenige und jedenfalls nicht die vordringlichsten in Erfüllung gegangen. Trotzdem kann sich Ungarn einer Sonderstellung im sowjetischen Hegemonialbereich erfreuen, die u. a. auch als eine späte Frucht des Volksaufstandes angesehen werden kann. Es gibt mehr Freiheiten, größeren Wohlstand, weniger Reglementierungen und ideologische Belästigungen als in den „Bruderländern" gemeinhin üblich. Die Ungarn könnten also mit ihrem Schicksal im großen und ganzen zufrieden sein. Sind sie es auch?

Die Verzweiflung über das 1956 vergeblich erbrachte Blutopfer und die unterbliebene westliche Hilfe sowie die bittere Erkenntnis der Unmöglichkeit, am kommunistischen Herrschaftssystem und an der Zugehörigkeit zum sowjetischen Hegemonialbereich auf absehbare Zeit etwas zu ändern, bewirkten zunächst eine Resignation, die allmählich einem politischen Desinteresse und dem privaten Wohlstandsstreben gewichen ist. Diese Tendenz ist durch das von Kdr angebotene und von der Bevölkerung angenommene „Stillhalteabkommen" gefördert worden. Da ein politisches Engagement nicht unbedingt verlangt wird und ein Rückzug ins rein Private möglich ist, haben sich die meisten Ungarn mit den Verhältnissen arrangiert. Das politische System wird passiv hingenommen, eine nennenswerte Dissidentenbewegung gibt es nicht, und der ursprünglich als Verräter verachtete Kdr genießt sogar eine gewisse Popularität, da er zu Recht als Garant der „kleinen Freiheiten" angesehen wird. Es hat sich eine Konsummentalität ausgebreitet, die der westlichen nicht unähnlich ist. Man weiß, was man hat, und man möchte das Erreichte nicht gefährdet sehen. Aus diesem Grunde blickt man bei allen historisch gewachsenen Sympathien mit einer gewissen Beklemmung und Ängstlichkeit auf Polen, da man sich sehr wohl bewußt ist, daß einen Teil der polnischen Zeche Ungarn bezahlen muß und daß sich dieser Anteil wesentlich vergrößern würde, sollte es zu einer militärischen Intervention kommen. Abstrahiert man von den Gewitterwolken der Gegenwart, so ist der Himmel in Ungarn im allgemeinen heiter bis sonnig mit gelegentlichen Schauern. Trotzdem kann nicht behauptet werden, daß die Ungarn das freundliche Wetter aus vollem Herzen genießen und mit ihrem Schicksal zufrieden sind. Alle relevanten sozialen Indikatoren sprechen dagegen (hohe Selbstmord-und Scheidungsrate, niedrige Geburtenrate, verbreiteter Alkoholismus usw. und von vielen gesellschaftskritischen Kunst-und Literaturwerken geht eine Stimmung der Traurigkeit und Aussichtslosigkeit aus. Die ängstlich gehütete Gegenwart scheint wohl erträglich, die Zukunft jedoch verloren zu sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Das Schrifttum zur ungarischen Revolution ist sehr umfangreich; vgl. P. Gosztony, Die ungarische KeMolutionvon 1956, Jahresbibliographie — Biblio-sefür Zeitgeschichte — Weltkriegsbücherei 1969, 1604-633.

  2. Es gab deren vier; ihr bei den relativ freien Parlamentswahlen vom 4. 11. 1945 errungener Stimmanteil wird in Klammern angegeben: die bürgerlich-demokratisch ausgerichtete Kleinlandwirtepartei (57 %), die Sozialdemokraten (17, 4 %), die Kommunisten (17 %) und die linke agrarsozialistische Bauernpartei (7 %).

  3. Vgl. hierzu die von der Internationalen Juriste Kommission herausgegebenen drei Dokumen tionsberichte: Die ungarische Lage und die Rech Staatlichkeit, Den Haag 1957/58. Einen aufschlußr eben Einblick in die Regie der Geheimprozesse b ten die unlängst erschienenen Erinnerungen C damaligen Polizeipräsidenten von Budapest, der s ber zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt w de: Kopäcsi (Anm. 1 deutsch), S. 218 ff.

  4. Für eine Gesamtwürdigung ihres geistigen Gehalts vgl. L. Revesz, Das ungarische Oktoberprogramm, in: Der Europäische Osten 1958, S. 675 ff.: Vali (Anm. 1), S. 377 ff.; Zinner (Anm. 1), S. 361 f.; G. Stadtmüller, Die ideologische Diskussion der ungarischen Revolution von 1956, in: W. Frauendienst (Hrsg.), Ungarn — Zehn Jahre danach, Mainz 1966, S. 227 ff.: B. Kovrig, The Hungarian People’s Republic, Baltimore 1970, S. 121 ff.

  5. Sie können am besten dem Manuskript entnommen werden, das Nagy in der Zeit seiner politischen Isolierung nach dem gescheiterten „Neuen Kurs“ zwischen Sommer 1955 und Frühjahr 1956 in der Absicht verfaßte, es dem Zentralkomitee der kommunistischen Partei vorzulegen, um sich gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu verteidigen und seine politischen Ansichten darzulegen. Das Manuskript wurde in ungarischer Sprache 1957 in Paris unter dem Titel „A magyar np vdelmben" veröffentlicht. Zwei Jahre später ist eine deutsche Über-setzung erschienen: Imre Nagy, Politisches Testament, München 1959. Zur Persönlichkeit vgl. im übrigen M. Molnär — L. Nagy, Imre Nagy — Rformateur ou mvolutionnaire?, Genf 1959; Meray (Anm. 1, deutsch), S. 19 ff.

  6. Die Konzeption eines „dritten Weges“ legte Bibö vor seiner Verhaftung 1957 in einer Denkschrift nieder, die unter dem Titel „Harmadik üt“ 1960 in London veröffentlich wurde. In westliche Sprachen ist das Werk leider nicht übersetzt worden. In englischer Sprache liegt eine andere Schrift vor, die er nach seiner Freilassung zu Beginn der 70er Jahre verfaßt hat: The Paralysis of International Institutions and the Remedies, Sussex 1976.

  7. Im Mai 1980 wurde in Genf ein „Dies Acadenuc Hungaricus" veranstaltet, der dem Werk des 8 Jahr zuvor verstorbenen Bibö gewidmet * Gleichzeitig ist in Ungarn eine umfangreiche öl Gedächtnisschrift vorbereitet worden, deren ru i kation die Behörden bislang verhindert haben: 's H. -H. Paetzke in: FAZ v. 26. 6. 1981, S. 10.

  8. In deutscher Übersetzung abgedruckt u. d Ost-Probleme 1966, S. 711 f. . ,.

  9. Vgl. E. O. Stillman, Ideology of the Revolution,!'I. Koväcs (Hrsg.), Facts about Hungary, 2. Autl York 1966, S. 86 ff.

  10. Zu diesem Problem vgl. H. Arendt, Die Ungarische Revolution und der totalitäre Imperialismus, München 1958, S. 29 ff.; O. Anweiler, Die Räte in der ungarischen Revolution 1956, Osteuropa 1958, S. 393 ff.; E. Kiräly, Die Arbeiterselbstverwaltung in Ungarn, München 1961.

  11. Zu seiner Person vgl. P. Ignotus, Jänos Kädär — Hungary’s Quisling Redeemed, in: R. Swearingen (Hrsg.), Leaders of the Communist World, New York 1971, S. 317 ff.

  12. Näpszabadsäg v. 10. 12. 1961.

  13. Ein vollständiges Bild kann sich der Leser anhand der problemorientierten, aber etwas veralteten Monographie von W. F. Robinson, The Pattern of Reform in Hungary, New York 1973, und der systematischen (d. h. nach der Almond'schen Funktional-systematik aufgebauten, die das Auffinden der jeweils interessierenden Sachbereiche nicht gerade erleichtert) Darstellung von P. A. Toma — I. Volgyes, Politics in Hungary, San Francisco 1977, machen. Es sei auch auf meinen im Druck befindlichen größeren Aufsatz „Die Verfassungsentwicklung in Ungarn seit der Verfassungsrevision von 1972" hingewiesen, der in Bd. 30 des Jahrbuchs des öffentlichen Rechts erscheinen wird.

  14. Zu den Einzelheiten vgl. G. Brunner, Rechts] chung und Richterrecht in Ungarn, Osteurc Recht 1980, S. 1 ff.

  15. Bei den Parlamentswahlen haben sich die Mehr... Kandidaturen folgendermaßen entwickelt:

  16. Vgl. hierzu E. Schmidt-Papp, Die ökonomische Reformbewegung in Ungarn und der „Neue Wirtschaftsmechanismus", in: K. C. Thalheim — H. -H. Höhmann (Hrsg.), Wirtschaftsreformen in Osteuropa, Köln 1968, S. 188 ff.; Th. Vajna, Die Reform der ungarischen Wirtschaftspolitik, Diss. Köln 1969; B. Balassa, Der „Neue Wirtschaftsmechanismus" in Ungarn, in: H. -H. Höhmann — M. C. Kaser — K. C. Thalheim (Hrsg.), Die Wirtschaftsordnungen Osteuropas im Wandel, Freiburg 1972, Bd. I, S. 181 ff.; D. Granick, The Hungarian Economic Reform, Bloomington/Ind. 1972; E. Antal, Grundlagen und reform-politische Einordnung des ungarischen Wirtschaftssystems, Berlin 1978.

  17. Vgl. zu diesem Komplex Th. Vajna, Mitbestimmung im „Neuen ökonomischen Mechanismus Un-garns, in: H. -H. Höhmann (Hrsg.), Partizipation und Wirtschaftsplanung in Osteuropa und der VR China, Stuttgart 1980, S. 101 ff.; K. Sitzler, Die ungarischen Gewerkschaften, Wissenschaftlicher Dienst Südosteuropa 1980, S. 288 ff.; 1981, S. 3 ff.

  18. Allerdings muß einschränkend bemerkt werden, daß diese Indikatoren auch vor 1945 schlechter waren als der gesamteuropäische Durchschnitt und offenbar etwas mit der ungarischen Mentalität zu tun haben.

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Georg Brunner, Dr. jur., geb. 1936 in Budapest; seit 1971 o. Professor für öffentliches Recht, Ostrecht und Politikwissenschaft an der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg; Vorsitzender des Wissenschaftlichen Direktoriums des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln; Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Buchveröffentlichungen u. a.: Die Grundrechte im Sowjetsystem, Köln 1963; Das Parteistatut der KPdSU 1903— 1961, Köln 1965; Die Problematik der sozialen Grundrechte, Tübingen 1971; Kontrolle in Deutschland, Köln 1972 ; Einführung in das Recht der DDR, München 1975, 2. Aufl. 1979; Politische Soziologie der UdSSR, 2 Bde., Wiesbaden 1977; Vergleichende Regierungslehre, Bd. I, Paderborn 1979 (UTB 956).