Die Abhandlung „Zur Alternativen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland" des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit wird vom zuständigen Minister, Frau Huber, in jenem unsäglichen Bonner Polit-Jargon ein „Papier" genannt. Das sagt noch nichts über den Inhalt der Studie, aber eine Menge über ihren Stellenwert auf der Chefetage des Ministeriums. Das „Papier" hat einen schweren Nachteil: Es klappert nach, es hinkt hinter dem jedermann zugänglichen Erkenntnisstand fast zwei Jahre hinterher. Neue Erkenntnisse vermittelt es nicht allenfalls die Bestätigung dessen, was die Alternativkultur den Politikern und staatlichen Institutionen eben vorwirft: Worte, die keinem weh tun, Analysen, Beschreibungen, Wertungen, unverdächtige Schlußfolgerungen, aber nichts Konkretes.
Ein Papier für Politiker, die Vorlagen für ihre Reden brauchen, die mit „Durchblick" glänzen wollen, die ihre Meinungen aus Sekundärliteratur wie dieser beziehen. Verantwortliche Politiker, die „lesen lassen“, die Zusammen-schnitte verschiedenster Ausarbeitungen dem Lesen der Originaltexte oder gar dem persönlichen Gespräch mit denen, über die geschrieben wird, vorziehen.
Nun gut. Zeitmangel, Streß, ein Wust von Papieren entschuldigt vieles. Es ist sogar verständlich, daß man sich nicht ernsthaft mit neuen Lebensformen beschäftigen will, die vielleicht darauf hinauslaufen, einen selbst zusammen mit dem ganzen Wust überflüssig zu machen... Mit wachsender Unlust habe ich mich gefragt, was uns diese Studie des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit bringt. Vielleicht die freudige ErKenntnis, daß sich jetzt auch — schließlich und endlich — eine staatliche Institution, wie das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, mit der Alternativszene befaßt? Sogar ganz offiziell befaßt? Indem es den Hunderten von gleichartigen Ausarbeitungen eine weitere hinzufügt, sozusagen den Versuch ei-ner Zusammenfassung der verschiedenen vor-hegenden Erkenntnisse, aber keinesfalls weiErgehend oder informativer als diese?
Es ist doch bekannt: Spätestens seit dem verparkten Auftreten der Bürgerinitiativen (und das ist schon einige Jahre her) beschäftigen sich alle möglichen Leute und Institutionen mit den Tatbeständen, die dazu geführt haben.
Zuerst waren es die Wissenschaftler, die ein neues Forschungsobjekt gefunden hatten. Dann „forschten" die politischen Organisationen, wie Jugendverbände, Parteien, Gewerkschaften usw. Und dies aus naheliegenden Gründen: Sie bemerkten oder befürchteten, daß ihnen ihr Potential (Mitglieder, Wähler) davonzulaufen drohte. Dies galt es zu verhindern. Also wurden Meinungsforschungsinstitute und Wissenschaftler beauftragt, nach den Gründen zu suchen. Vor den Wahlen (wie spreche ich diese Aussteiger am besten an?), nach den Wahlen (warum wurde so und nicht anders gewählt?) und zu aktuellen Ereignissen (Nürnberg, Zürich, Hausbesetzungen) häuften sich die Papiere. Und sie wurden sich immer ähnlicher, bei allen Parteien. Kein Wunder, denn alle fußen auf denselben Daten und begnügen sich mit einer Situationsbeschreibung nebst Analyse.
Zur Abrundung und wegen des als wichtig erkannten „Dialogs" kamen noch Veranstaltungen, Seminare, Symposien, Tagungen usw. dazu. Demnächst sogar ein veritabler CDU-Parteitag. Und eine Enquete-Kommission des Bundestages sowieso. Mit dem Ergebnis: Wir wissen es jetzt. Wir kennen nun die Gründe, die tieferen Ursachen, die zum Ausstiegs-verhalten führen. Wir kennen bereits -zig Kategorien, Einteilungen und Klassifizierungen der verschiedenen Arten des Alternativseins. Wir haben gelernt, daß Drogensucht, Jugend-sekten, Jugendunruhen, Landkommunen, Netzwerk usw. Symptome derselben, tieferliegenden gesellschaftlichen Ursachen sind. Wir haben es erklärt bekommen:
— aus soziologischer Sicht, — aus psychologischer Sicht, — aus historischer Sicht, — aus politologischer Sicht, und was es der Sichtweisen sonst noch gibt. Wir sind argumentativ doch schon lange fit. Wir können wunderbar die Herkunft der verschiedenen Strömungen analysieren, die Fehler aufzeigen, allgemeinbleibende Lösungsvorschläge entwickeln.
Wir — die Politiker — wissen sogar, daß wir selbst schuld an allem sind. Wir bekamen es oft genug gesagt, wir sagen es auch selbst. Und das schon seit Jahren.
Ich habe mir einmal die Argumentationshilfen, Redeentwürfe, Presseerklärungen, Aufsätze, Artikel, Kommentare, Bücher usw. angeseB hen, die in den letzten zwei bis drei Jahren zu diesem Thema allein in der F. D. P. gemacht worden sind. Die ersten unterscheiden sich von den letzten kaum. Das heißt, alle diese löblichen Erkenntnisse hatten wir schon vor Jahren. Vielleicht sind die Selbstanklagen etwas radikaler, leidenschaftlicher geworden. Was früher noch in mehr internen Papieren stand, wird jetzt auch öffentlich geäußert.
Und dies scheint bei allen Parteien, Jugendorganisationen, Gewerkschaften usw.der Fall zu sein. Da werden immer neue Thesen vorgelegt, zur Jugendpolitik, zu den Grünen, zu der Alternativen Liste, zu den Jugendunruhen usw. Immer mehr selbstkritische Bücher erscheinen auf dem Markt. Politiker und Mitarbeiter wissen kaum noch, wie sie es „noch anders ausdrücken" sollen. Mit geheimer Genugtuung stellt man dann fest, wo wieder jemand wörtlich von wem abgeschrieben hat. Die Wortvariationen guter Gedanken sind eben begrenzt. So legt die SPD ein brandneues Thesen-„Papier" vor, das Monate vorher schon als Aufsatz im „Vorwärts" zu lesen war. Und woher kommt das ganze, was zeigt dies?
Nur eines, nämlich, daß seit Jahren kein Fortschritt erzielt worden ist. Über Analysen und unverbindliche verbale Verbesserungsvorschläge sind wir nicht herausgekommen. Und das ist peinlich genug.
Zum Glück wird diese Peinlichkeit auch von manchen Politikern empfunden. So weigerte sich vor kurzem ein F. D. P. -Politiker, zur Jugendpolitik zu sprechen, weil er nicht wußte, was er Neues sagen sollte. „Ich kann doch nicht schon wieder dasselbe sagen", meinte er zu mir. Zwar kann man die Wahrheit nicht oft genug sagen, aber was nützt eine Wahrheit, wenn nichts auf sie folgt?
Im Moment ist es bei Politikern Mode, sich immer wieder tapfer zu den Widersprüchen in der Politik zu bekennen — als wenn wir daran total unbeteiligt wären. Wir haben mittlerweile eine Technik, politische Handlungen von den Personen, die sie ausführen, und erst recht von denen, die sie kritisieren, zu abstrahieren, die kaum noch übertroffen werden kann.
Nachdenkliche Nabelschau, leidenschaftliche Anklagen, lautes Wehklagen darüber, daß Politiker erst reagieren, wenn Steine fliegen. Wenn schon mal „wir" statt „die Politiker" gesagt werden würde, wenn sich der Redner wenigstens verbal dazurechnen würde, das wäre vielleicht ein kleiner Anfang.
Keine Diskussion über Jugend ohne dieselben abgelutschten Schlagworte: — Wir müssen nicht Symptombekämpfung, sondern Ursachenforschung betreiben. (Geforscht wurde eigentlich genug. Wann ziehen wir die Konsequenzen?)
— Es geht im Kern um Glaubwürdigkeit, sogar um Moral. (Man müßte einmal zählen, wie oft diese Worte in einer Rede zur Zeit vorkommen.) — Natürlich sind das gewisse Sachzwänge.., (Die offenbar ganz plötzlich da sind, die keiner geschaffen hat. Und die absolut sind, nämlich „absolut nicht veränderbar".) — Wir sind mit einem massiven Ausstiegsverhalten konfrontiert. (Thema Nr. 1 der Analysen, die zu nichts führen.)
— Wir brauchen den Dialog; wir müssen zuhören lernen; nicht über, sondern mit den Alternativen (Jugendlichen, Ausländern, Behinderten, Alten ...) reden; aber selbstverständlich „ohne Anbiederung“. (Schon beim Schreiben dieser Worte sträubt sich mir die Feder.) — Hilfe zur Selbsthilfe — mehr wollen „die jungen Leute" nicht. (Viel beschworener Grundsatz, in der Praxis oft nicht wiederzufinden.) — Bürgernähe, Partizipation, innerparteiliche Demokratie — das ist gefordert! (Sehr „gefährliche" Prinzipien, weil Bürger und Basis doch die Komplexität und Sachzwänge der Strukturen nicht kennen, die den „Oberen" Macht und Stellung sichern. Zum Glück ist es bisher beim Reden geblieben.)
— Mehr Freiräume müssen geschaffen werden. (Man kann gut fordern, was andere sich bereits genommen haben.)
— Humanisierung, mehr Menschlichkeit, Solidarität und Zuwendung sind die neuen Werte. (Außer schwammigen Glücksvorstellungen weiß niemand genau, was das eigentlich ist und wie man so etwas nun konkret ausfüllen kann.) — Parteien und Verbände sind anonyme und verkrustete Apparate. (Wer wüßte das besser als diejenigen, die sich dies zu Nutze machen.) — Ecken und Kanten muß man zeigen, keine Angst vor Tabus haben. (Papier ist ja geduldig, ein progressives Image ist auch nicht schlecht.)
— Neue Werte, neue Sinngebung, nicht immer nur Wachstum und Leistung um jeden Preis. (Ein wunderschönes Thema zum Philosophieren, aber wir kennen ja alle die „Sachzwänge unseres Systems". Und wofür sind die Kirchen da?) Dieser Katalog könnte eine Stichwortsamm-Jung sein für eine beliebige Rede, die ganz sicher „prima ankommt", Beifall, gute Presse, gutes Image und damit das gute Weiterkommen in der politischen Karriere sichert.
Wir haben es gelernt, Forderungen zu entwikkeln und „offensiv zu vertreten", d. h. immer wieder in Reden und Aufsätzen zu wiederholen, ohne auf den Gedanken zu kommen, daß wir ja selbst die Adressaten sind. Wir setzen uns sozusagen an die Spitze der Bewegung, machen uns die Forderungen der Basis zu eigen (wenn wir ihr nicht noch schnell zuvor kommen), nur verschleiern wir damit, daß die Forderungen an uns selbst gerichtet sind und wir uns nicht aufgefordert fühlen. Wir beherrschen die Meinungsbildung von oben nach unten recht gut — wenden sie aber nur bei anderen Themen an.
Wirwollen dartun, wie ernst wir die Probleme nehmen, indem wir Kommissionen einsetzen und„Papiere" erarbeiten lassen. Ein gutes Alibi fürwahr. Und wundern uns, wenn auf die Ergebnisse niemand mehr warten will, weil sie jeder längst kennt.
Die Studie des Familienministers bringt auch nicht mehr als eine neu gegliederte Aufzählung von Ursachen und Hintergründen. Sie zeugt davon, wie schwer es politischen Institutionen fällt, etwas darzustellen, was ihnen wesensmäßig absolut fremd ist, zu dem sie von daher schon keinen Zugang haben.
Da sind offensichtlich Verständnisschwierigkeiten, wo andere Denkprozesse, andere Wertvorstellungen beleuchtet werden (zum Beispiel bei der Beschreibung von solidarischen Verhaltensweisen). Da wird eben in anderen Kategorien gedacht.
Distanz und Arroganz werden deutlich, wo immer nur von „vermeintlichen“ oder „angeblichen" Mißständen die Rede ist. Gerade in diesem Punkt ist die Ausarbeitung eher rückschrittlich, andere Arbeiten zum Thema offenbaren eine höhere Sensibilität.
Da werden Bewegungen nur kurz oder gar als unpolitisch beschrieben, die eine große politische Bedeutung haben: Friedensbewegung, Frauenbewegung, Homosexuelle usw. Projekten mit wirtschaftlicher Bedeutung (Alterna-typresse)
wird dagegen ein breiter Raum ge-Widmet.
Es fehlt völlig eine Auseinanderset-Aung mit bereits praktizierten neuen Lebens-und Arbeitsformen, neuen Organisationsfor®en.
Pa sind seltsame politische Folgerungen wie Sachzwänge glaubhaft machen“, anstatt sie selbst in Frage zu stellen oder wenigstens in Frage stellen zu lassen. Da wird Wissen und Wissenschaftlichkeit wieder zum Dogma erhoben, obwohl vorher herausgestellt wurde, daß solches gerade nicht gefragt ist. Da ist wieder von Dialog die Rede, wo vorher so distanziert, quasi im Konjunktiv, die von den Alternativen angeprangerten Mißstände aufgezählt wurden.
Da werden „in der Jugendpolitik" Persönlichkeiten gesucht, die auch Fehlschläge in Kauf nehmen und offensive Modelle verantworten und unterstützen. Welche Persönlichkeiten brauchen wir demgegenüber in anderen Politikbereichen?! Ferner Forderungen, die bereits seit Jahren in den Wahlprogrammen aller Parteien stehen. Unverbindlicher und ausgewogener geht's nicht. Was ich mir gewünscht hätte, wäre eine inhaltliche Auseindersetzung mit der Alternativbewegung, ihren Zielen und ihren Projekten. Hierzu gibt es noch nicht so viel, als daß nicht noch erhebliche Informationslücken und Diskussionsdefizite offen geblieben wären. Nach dieser ganzen Kritik aber jetzt auch die Frage: Was tun? Die Antwort ist einfach: als erstes: genug der Worte — auch meiner. Keine Analysen mehr, keine weitere Ursachenforschung. Der klugen Worte sind genug geschrieben, sie füllen bereits Regale und sind fast nur noch unter dem Aspekt der Beschäftigungspolitik interessant.
Dann: Nicht mehr über Dialog reden, sondern damit anfangen. Ohne Presse, ohne Fernsehen. Hingehen. In die Projekte, in die Kneipen. Selbst Fragen stellen. Lieber tatsächlich Gespräche führen, als davon reden, daß sie geführt werden sollen. Mal am eigenen Leibe erfahren, wie es ist, wenn „absolute Sachzwänge" in Frage gestellt werden. Bei der Antwort Phantasie entwickeln.
Wenn schon geforscht werden muß, dann jetzt den zweiten Schritt tun: die alternativen Projekte, die neuen Formen von Zusammenleben, Arbeiten und Organisationen kritisch untersuchen und darüber reden, ob und wie diese gesamtgesellschaftlich umgesetzt werden könnten (Netzwerk, Genossenschaften etc.). Nicht alles ist gut und richtig, nur weil es alternativ ist oder sich gegen „Etabliertes" wendet. Da gibt es vieles, was man so nicht hinnehmen und akzeptieren muß, was zwar „emotional nachvollziehbar“ ist, aber allein deswegen nicht allen vernünftigen Überlegungen abhold sein muß. Solch kritisches Verständnis, eine solche ernsthafte Auseinandersetzung auf politischer Seite fehlt bisher.
Wo sind die Kommissionen, die sich ernsthaft neue Partizipationsmöglichkeiten z. B. in Parteien ausdenken? Dazu bestehen bisher noch nicht einmal Alibi-Kommissionen. Gerade hier haben die neuen Parteien andere Muster entwickelt, die ernsthaft diskutiert werden sollten.
Wo ist die politische Resonanz auf bereits stattgefundene Seminare und Tagungen zum Thema Bürgerbeteiligung, alternative Lebensformen, Global 2000 und vieles mehr auf oberster Ebene? Wir können sofort anfangen mit kleinen, zunächst „ungefährlichen“ Experimenten in unserem eigenen Bereich, den Parteien. Zum Beispiel die Mitteilungsblätter unserer Gliederungen umstrukturieren auf Selbstgestaltung durch die Mitglieder, auch wenn dafür vorgesehene Blätter zunächst leerbleiben. Leere Blätter können die Entwicklung der Kreativität sehr fördern.
Wir können kleinliche Verwaltungsvorschriften und Praktiken abbauen, die Eigeninitiativen behindern. Wir können alternative Projekte unterstützen. Weniger durch regelmäßige finanzielle Zahlungen, mit denen Mitspracherechte und Kontrollen verbunden werden, als zum Beispiel durch das Bereitstellen von Häusern. Ferner helfen bei alternativen Lebensformen, z. B. gemeinsames Sorgerecht für nichtverheiratete Eltern; Erleichterungen des Wohngeldbezuges für Wohngemeinschaften usw. Wahrscheinlich ist es für die F. D. P. leichter als für die anderen Parteien, hier vorzupreschen. Als kleinere Partei kann sie es sich eher leisten, für Minderheiten einzutreten, Tabuthemen aufzugreifen und flexibel zu reagieren. Sie ist keinen Ideologien verpflichtet und versteht sich als Anwalt des einzelnen, als Befürworter gerade der Individualität, die in der Alternativszene so gesucht wird. Ich sehe daher gerade in der F. D. P. die Chance, 'daß sie sich neuen Ideen und Lebensformen öffnet.
So versuchen wir, von neuen Initiativen zu lernen und aus ihren Erfahrungen Konsequenzen zu ziehen. Das gelingt nicht immer, manchmal erst mit erheblicher Zeitverzögerung. Aber wir haben mit dem „Dialog" oft genug als erste angefangen:
— Wir sind frühzeitig auf die Bürgerinitiativen eingegangen und haben nach einer gemeinsamen Basis gesucht, als andere noch eher verschreckt reagierten.
— Die liberale Friedrich-Naumann-Stiftung hat ein Hearing zu Global 2000 durchgeführt, obwohl die „verantwortlichen Politiker“ den Bericht anscheinend lieber totschweigen wollten.
— Die Friedrich-Naumann-Stiftung hat vor kurzem ein Seminar über alternative Lebensformen (hauptsächlich über das Netzwerk) durchgeführt, um so eine kritische inhaltliche Auseindersetzung in die Wege zu leiten. — Die F. D. P. hat als erste Partei ein offenes Jugendforum in der Hamburger „Fabrik" durchgeführt mit dem in der Politik so gefürchteten ungewissen Ausgang.
— Liberale Vorfeldorganisation arbeiten mit Alternativgruppen zusammen, vermitteln Gespräche zwischen Politikern und Aussteigern, zwischen Institutionen und Betroffenen.
Die Erfahrungen hieraus für unsere politische Arbeiten sind unersetzlich. Wir erfahren zum Beispiel aus erster Hand, wie in der Praxis — oft auch von eigenen Parteifreunden — gegen die Interessen von Betroffenen gearbeitet wird. Wie Vorurteile und sonstige Mechanismen oft schon ein Gespräch unmöglich machen. Wie Politiker und Betroffene erst eine gemeinsame Sprache finden müssen.
Aus diesen Erfahrungen müssen wir mehr machen. Denn leider blieb es oft genug bei dieser ersten Kontaktaufnahme, beim Anstoß. Es kann nicht dabei bleiben, daß wir nur etwas „auf den Wege bringen" und uns nachher nicht mehr darum kümmern. Daß es uns im Grunde reicht, unseren guten Willen durch eine einmalige Aktion öffentlichkeitswirksam kundgetan zu haben.
Wir mögen den Vorteil haben, schneller den ersten Schritt tun zu können. Nur dürfen wir uns darauf nicht ausruhen.
Hier müssen wir weiteremachen: Vor Ort, hauptsächlich in der Kommunalpolitik, in den Bereichen, die jeder unmittelbar erlebt. Die lokale Basis ist die entscheidende, sie hat noch die Berührungspunkte, die uns „da oben“ fehlen. Dies wird leider nur allzu oft vergessen. Es liegt jtzt an uns, ob die staatlichen Institutionen, auch die Parteien, auf lange Sicht ausgeblutet werden durch eine Gegengesellschaft, die sich ohne sie bildet. Ob wir mutig genug sind, die vermeintliche Sicherheit unseres bürokratischen und institutioneilen Korsetts einzutauschen gegen offenere und damit ungewissere, weniger vorausberechenbare und beeinflußbare Modelle. Wir müssen Farbe bekennen, ob uns Posten, Macht, Stellung und Einflußnahme wichtiger sind, oder ob wir bereit sind, mit zu experimentieren, notfalls unter Verlust eben dieser Stellung. Und wir müssen uns darüber klar werden, ob der Verlust dieser Stellung überhaupt ein „Verlust“ für uns sein muß.