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Haushaltsprobleme und Arbeitsmarktpolitik | APuZ 38/1981 | bpb.de

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APuZ 38/1981 Das Lächeln der Sphinx -— oder: Die Staatsverschuldung und die Krise der Globalsteuerung Haushaltsprobleme und Arbeitsmarktpolitik Chancen einer aktiven Arbeitsmarktpolitik Hinweise aus einem Sonderprogramm der Bundesanstalt für Arbeit

Haushaltsprobleme und Arbeitsmarktpolitik

Dieter Mertens

/ 16 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Obwohl die Arbeitslosigkeit gegenwärtig so hoch ist, wie sie seit Anfang der fünfziger Jahre nicht mehr war, und ein weiterer Anstieg unvermeidbar erscheint findet im politischen Raum kaum eine nennenswerte arbeitsmarktpolitische Debatte statt Diese ist vielmehr durch ausufernde Erörterungen über eine genauere statistische Beschreibung, eine ökonomischere Verwaltung der Arbeitslosigkeit und eine Bereinigung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums verdrängt worden. Eine solche Verlagerung der Debatte in Detailfragen scheint durch die wachsenden Budget-Defizite der Bundesanstalt für Arbeit, welche auch den Bundeshaushalt zunehmend belasten, erzwungen. Fiskalische Notwendigkeiten scheinen mit arbeitsmarktpolitischen Wünschbarkeiten im Konflikt zu liegen. Gerade unter budgetären Aspekten sollte aber das Hauptaugenmerk bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit selbst liegen; denn die Unterbeschäftigung ist es, welche ganz überwiegend die defizitäre Finanzlage verschuldet. Alle populären (und notwendigen) Erörterungen über „Mitnahme“ und „Mißbrauch“ von Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz oder auch von Möglichkeiten der Leistungseinschränkung dürfen nicht die Illusion erwecken, als ob die Unterdeckung des Haushalts der Bundesanstalt hiermit wesentlich und dauerhaft behoben werden könnte. Es ist auch nicht richtig, daß schon alle kostenneutralen arbeitsmarktpolitischen Möglichkeiten so ausgeschöpft und genügend durchdacht wären, um auf diesem Gebiet Resignation zu rechtfertigen. Zahlreiche Beispiele aus dem Ausland wie auch hiesige Ideenkataloge warten noch auf ihre politische Erörterung und Anwendung. Das fiskalische Dilemma offenbart im übrigen ein grundsätzliches Problem bei der Rechts-konstruktion der deutschen Arbeitsverwaltung: Der weitaus größte Teil ihrer Ausgaben ist „fremdbestimmt", sei es durch die Wirtschaftslage, sei es durch die Wirtschaftspolitik, sei es durch den Gesetzgeber. Auch die Einnahmenseite unterliegt nicht der Selbstbestimmung der Bundesanstalt für Arbeit (keine Beitragshoheit). Durch anstaltsinterne Bemühungen ist infolgedessen so gut wie kein Einfluß darauf zu nehmen, ob Überschüsse oder Defizite entstehen oder ob der Haushalt ausgeglichen ist

Eshandelt sich um einenpersönlichen, nur vom Autor zu verantwortenden Diskussionsbeitrag.

I. Vorbemerkung

1981 1982 1983 1984 1985 eigene Einnahmen 19, 9 20, 9 21, 8 22, 7 23, 7 Ausgaben ~ 28 30, 9 33, 8 36, 7 39, 7 Saldo ~ 8 — 10 — 12 — 14 — 16

Die Übersicht auf Seite 27 zeigt, daß ein enger Zusammenhang zwischen Wirtschaftsentwicklung, Beschäftigung, Beitragszahlerzahl in der Bundesanstalt für Arbeit (BA), Arbeitslosigkeit, Leistungsempfängerzahl, Arbeitslosengeldempfängern, Ausgaben für Arbeitslosengeld und damit auch den Gesamtausgaben der BA, dem Haushaltsabschluß und dem Zuschußbedarf aus Steuermitteln besteht Gegenüber diesem Zusammenhang zwischen — kurz gesagt — Unterbeschäftigung und Defizit verblassen alle anderen Komponenten, wie z. B.der Umfang und Ausbau anderer Aufgaben, aber auch Nebeneffekte bestehender Instrumente. Wenn man'bedenkt, daß auch ein großer Teil der anderen Aufgaben der BA nur Aufwendungen für Arbeitslosengeld substituiert, wird die Dominanz dieses Zusammenhangs noch deutlicher, wie später zu zeigen sein wird.

Trotz dieser dominierenden Zusammenhänge hat sich das arbeitsmarktpolitische Bewußtsein vielerorts zunehmend auf die Frage möglicher Leistungseinsparungen bei gegebener Arbeitslosigkeitsentwicklung verengt.

Man kann davon sprechen, daß an die Stelle von Arbeitsmarktpolitik in wichtigen Teilen der politischen Öffentlichkeit die Debatte getreten ist, wie die Arbeitslosigkeit mit geringerem Finanzaufwand verwaltet werden kann. Bei dieser an die Haushaltslage des Bundes und der BA anknüpfenden Diskussion besteht die Gefahr, daß Ursache und Wirkung verwechselt, Symptomkur statt Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik betrieben und Wichtiges von relativ Unwichtigerem verdrängt wird. Dies ist nicht nur generell im Hinblick auf die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Perspektiven, die mit wachsender Unterbeschäftigung verbunden sind, bedenklich, sondern auch ummittelbar finanzpolitisch irreführend. Auch die rigorosesten vorstellbaren rechtlichen Änderungen, die mit dem Ziel der Einsparung gegenwärtig erörtert werden, bringen die BA allein dauerhaft nicht aus dem Defizit heraus. Die Masse des Zuschußbedarfs resultiert eindeutig aus nichts anderem als aus der Unterbeschäftigungslage der Volkswirtschaft und des Erwerbspersonenpotentials. Solange dieser Ursache nicht entgegengewirkt wird, ist das Defizit auf Dauer nicht zu vermeiden.

Zu erwähnen ist, daß die BA — wie einige andere Institutionen auch — seit Jahren auf die bedrohliche Entwicklung der Beschäftigungsund Arbeitslosigkeitslage, wie sie sich aufgrund der demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung seit längerem abzeichnete und wie sie sich nun für die 80er Jahre angebahnt hat, und auch auf die damit verbunden Kosten warnend hingewiesen hat, ohne daß dies zu entsprechenden mittelfristigen politischen Erörterungen geführt hätte. Die nun dominierenden Diskussionen um „unechte Arbeitslosigkeit“, Statistikbereinigung, „Mißbrauch“ und Mitnahme von Leistungen oder „Wildwuchs" im sozialen Netz usw. sind ja, so notwendig sie in vielen Aspekten sein mögen, kein Ersatz für eine Strategie gegen die wachsende Massenarbeitslosigkeit. Dies weiß man in der Verwaltung und Selbstverwaltung der BA sehr wohl. Die Öffentlichkeit ist aber auf dem besten Wege, sie als einen solchen Ersatz anzusehen.

Gerade anläßlich der zu erwartenden Sparmaßnahmen ist auch eine simultane konstruktive Debatte und nach Möglichkeit ein simultanes konstruktives Maßnahmenbündel erforderlich, welches den politischen Willen nachweist, auch die Arbeitslosigkeit selbst energisch anzugehen. Die dabei in Betracht kommenden Strategievorstellungen müßten die instrumentellen Möglichkeiten des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) selbstverständlich weit übersteigen. Aber auch innerhalb des BA-Instrumentariums ist sicher immer noch mit Erfolg nach Möglichkeiten zu suchen, wie man die Sparanweisungen mit konstruktiven arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten koppeln kann, da andernfalls, wenn die gesamte aktive Arbeitsmarktpolitik sozusagen abgeschrieben scheint, unter den arbeitsmarktpolitisch engagierten Mitarbeitern der Arbeitsämter, bei den betroffenen Bürgern und in der Öffentlichkeit nur noch Frustrationen ausgelöst werden.

II. Zu den mittelfristigen Auswirkungen anhaltend schwachen Wachstums auf den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit

Zur Entwicklung von Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit

Es wird für eine Abschätzung der Haushalts-wirkungen der schwachen Wirtschaftsentwicklung hier einmal von folgenden Annahmen ausgegangen

1. Bis 1985 jährliches Wachstum des Bruttosozialprodukts um real 2 bis %. Dies ist die zur Zeit vorherrschende, eher als optimistisch anzusetzende Annahme.

2. Produktivitätswachstum wieder entsprechend dem mittelfristig möglichen und erwartbaren Trend, d. h. um jährlich 3 bis 3, 5 %. 3. Weiterhin schwache Arbeitszeitentwicklung, da wesentliche Eckdaten bis 1984 durch die meisten Rahmentarifverträge blockiert sind. i 4. Zuwachs des Erwerbspersonenpotentials um jährlich 180 000 (1982) bis 120'000 (1985). Darin sind Ausländer mit jährlich plus 50 000 enthalten.

5. Jährliche Lohn-und Preissteigerungen um 5%.

6. Unveränderter Aufgabenkatalog nach dem Arbeitsförderungsgesetz.

7. Unverändertes Leistungs-und Beitrags-recht; unveränderte sonstige Einnahmen.

8. Nur 1982 kommt die volle Auswirkung des Anstiegs der Arbeitslosengeldempfänger nicht zum Ausdruck, weil die Ansätze für Kurzarbeitergeld und Schlechtwettergeld erheblich herabgesetzt wurden. Diese Gegenposten treten in den Folgejahren nicht mehr auf.

Bei den obigen Annahmen ist höchstens mit Stagnation der Beschäftigung und der Beitragszahlerzahl, aber auch mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit um jährlich etwa 100 000 Personen und der Arbeitslosengeldempfänger (Alg-Empfänger) um jährlich 70 000 (1983) bis 50 000 (1985) Personen zu rechnen.

Setzt man nun die Alg-Empfängerzahl entsprechend an (und ändert sonst nichts), so resultieren für den BA-Haushalt folgende Größenordnungen (Milliarden DM):

Wenn man nun — nur als mahnendes Gedankenexperiment 3) — den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit vollständig auf die klassischen Aufgaben der Arbeitslosenversicherung zurückfahren (also auf jegliche Aspekte aktiver Arbeitsmarktpolitik verzichten) will, so verbleiben neben den Aufwendungen für die Arbeitsvermittlung und die Berufsberatung alle Leistungen, die auf Ansprüchen nach dem Arbeitslosenversicherungsprinzip beruhen. Diese Ausgaben sind dann als rein unterbeschäftigungsbedingt anzusehen.

Dazu zählen:

— die Leistungen für Arbeitslosengeld (Alg), — das Schlechtwettergeld (SWG) (weil andernfalls im selben Umfang Alg-Ansprüche aufträten), — Kurzarbeitergeld (Kug) (weil andernfalls entsprechende Ansprüche auf Alg entstünden), — von den Unterhaltsgeld-(Uhg-) Leistungen (Vollzeitmaßnahmen der Fortbildung und Umschulung) ca. 50 % (weil ca. 55 % der Uhg-Empfänger mit etwas geringeren Leistungen Alg-Empfänger wären), —: von den Übergangsgeld-Leistungen (Rehabilitation) ca. 20 % (weil über ein Viertel der Betroffenen andernfalls mit entsprechend geringeren Leistungen Alg-Empfänger wären), — Ausbildungsgeld (Rehabilitation bei Jugendlichen) — zum Teil, — die Ausgaben für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) zu 55 %, weil nahezu 80 % der ABM-Teilnehmer andernfalls Alg-Empfänger wären (mit etwa 70 % der Kosten je Kopf). — Hinzurechnen müßte man wohl 90 bis 95 % der Ansätze für die Arbeitsämter, weil die Aufgaben der Arbeitsvermittlung, der Berufsberatung und die mit den Leistungen verbundenen Aufgaben und die Verwaltung erhalten blieben.

Diese Annahmen sind extrem vorsichtig, vor allem, weil für einen Teil der selbst nicht arbeitslosen Teilnehmer an Bildungsmaßnahmen andernfalls andere Arbeitskräfte arbeitslos und leistungsberechtigt wären, die gegenwärtig nur deshalb Beschäftigung haben, weil ihre Kollegen diese beruflichen Bildungsmaßnahmen durchlaufen. Entsprechendes gilt für das eigene Personal der BA: Auch Reduktionen hier (z. B. bei Zusatzkräften) würden im Saldo an anderer Stelle (Leistungen) wieder Ausgaben in der BA hervorrufen.

Für den so beschriebenen, in den Aufgaben wohl nicht weiter reduzierbaren „Kernhaushalt" (Leistungen wegen anhaltender Differenzen zwischen Angebot von und Nachfrage nach Arbeitskräften) ergäbe sich folgende Entwicklung:

Selbst wenn also die BA von allen Aufgaben, die nicht unmittelbar aus der Arbeitslosigkeit folgen, „befreit" würde (außer Arbeitsvermittlung und Berufsberatung) würde mit hohen und wachsenden Defiziten zu rechnen sein. Dies zeigt, daß es richtig ist, die Haushaltsmisere der BA ganz wesentlich auf die hohe Arbeitslosigkeit zurückzuführen und davon auszugehen, daß hier der Ansatzpunkt für eine dauerhafte Verbesserung liegen muß.

Auch alle zum Zwecke der Einsparung oder der „Wildwuchsbeschneidung" gegenwärtig erörterten Vorschläge, die in das Leistungsrecht selbst massiv eingreifen würden, führen aus dem Dilemma nicht heraus. Alle zusätzlichen (also nicht schon oben berücksichtigten) Vorschläge des Bundesrechrungshofs hierzu addieren sich nach Schätzung des Bundesrechnungshofs zu 1, 1 Milliarden DM, Auch eine rigorose Herabsetzung der Leistungssätze, wie sie stellenweise schon erörtert wird, könnte für sich genommen das Defizit nicht

beseitigen. Erst wenn gleichzeitig alle arbeitsmarktpolitischen Aufgaben aus dem AFG gestrichen würden, sämtliche Vorschläge des Bundesrechnungshofs zur Leistungseinschränkung verwirklicht würden und die Leistungssätze im heute diskutierten Umfang herabgesetzt würden könnte der Haushalt

für 1982 mit Mühe ausgeglichen werden — aber nur für dieses eine Jahr. Schon ab 1983 würden erneut arbeitslosigkeitsbedingte Defizite auflaufen. Dagegen könnte nur schon die Reduktion der Arbeitslosigkeit auf nicht viel weniger als das (auch schon hohe) Niveau von 1979 das Defizit weitgehend beseitigen.

Dies alles bedeutet, daß die BA allein die Leistungen wegen Arbeitslosigkeit in den kommenden Jahren nicht aus eigenen Mitteln finanzieren kann und wachsende Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt erhalten muß, wenn — auf der Einnahmenseite keine Änderungen erfolgen und — auf aktive Beschäftigungspolitik (Wachstumsstimulierung und/oder Arbeitsumverteilung) verzichtet wird.

Es wird daraus deutlich, daß alle bisher angelaufenen Diskussionen, seien es Statistik-Erörterungen oder Debatten um Mißbräuche und Mitnahmen, seien es Anregungen in Richtung von Änderungen bei den Leistungsvoraussetzungen und Leistungssätzen, den Kern des mittelfristigen Problems auch unter dem Aspekt der Haushaltslage der BA nicht treffen (unter sozialen und politischen Aspekten sowieso nicht). Da Einsparungen keine Arbeitsplätze schaffen, die gesamte Spardiskussion aber geeignet ist, den Blick für das eigentlich Notwendige (nämlich ausgreifende beschäftigungspolitische Strategien für die Periode, in der die starken Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt drängen) zu verstellen, droht Jahr für Jahr bei Gelegenheit der jeweiligen Haushaltsvorbereitung eine erneute hektische Erörterung von immer weiteren Entscheidungen zur Verminderung des Leistungsaufwandes je Arbeitslosen und zur Beschneidung von Aufgaben der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Beides aber bewirkt eine Verschärfung der Arbeitslosigkeitssituation selbst, was wiederum ungünstig auf die Haushaltslage der BA zurück-schlägt All dies wird unabhängig davon gesagt, daß eine Effizienzprüfung von Leistungsund Maßnahmenkatalogen zweifelsfrei regelmäßig stattfinden muß.

Es ist aber nicht die BA alleine, deren Haushalt von dieser drohenden Entwicklung wie von einer nach unten weisenden Spirale negativ betroffen wird. Es ist ja darauf hinzuweisen, daß die ganze vorstehende Gedankenführung nur den BA-Haushalt beschreibt und damit noch in keiner Weise die Insgesamt-Belästung der öffentlichen Haushalte darstellt, wie sie aus der gegebenen Unterbeschäftigung folgt.

Schon die vom Bund finanzierte Arbeitslosen-hilfe, für welche die Aufwendungen ebenfalls nach Lage der Dinge wachsen müßten, wäre in ein gesamtfiskalisches Kalkül einzubeziehen. Hinzu kommen die Steuer-und Beitragsausfälle, die aus wachsender Unterbeschäftigung resultieren, -die kommunale Sozialhilfe usw. Definitorische „Lösungen“ verlagern ja nur die Kosten.

Es ist also notwendig, nicht nur, 'wie bisher schon, unter wirtschafts-und gesellschaftspolitischen, sondern auch zunehmend unter fiskalischen Aspekten auf die Illusionen und Gefahren hinzuweisen, die in der gegenwärtigen Verdrängung des Beschäftigungsproblems (und seiner Verlagerung auf „NebenkriegsSchauplätze“) liegen.

III. Ein Konstruktionsfehler

Abbildung 6

Die gegenwärtige Sackgassendiskussion legt einen prinzipiellen Konstruktionsfehler der BA offen: Die Selbstverwaltung der BA befin-det sich in der Lage eines Vereinsvorstandes, der keine eigene Beitragshoheit hat (die Einnahmen des Vereins werden also von anderer Seite festgesetzt) und dem auch seine Ausgaben zum weit überwiegenden Teil vorgeschrieben werden, und der nun dem Dilemma ausgesetzt wird, bei unzureichenden Einnahmen wachsende Ausgaben, also ein zunehmendes Defizit vertreten zu müssen, wobei er definitionsgemäß auf die Einnahmen überhaupt keinen und auf die Ausgaben nur marginalen Einfluß hat Zwar wird das Defizit von einem „Sponsor" gedeckt, mit den entsprechenden Folgen für die Abhängigkeit des Vereins, aber der Vorstand hat keinen Einfluß auf das, was er nach außen zu verantworten hat, auf Tatsache und Umfang des Defizits und damit auch nicht auf Tatsache und Umfang der damit verbundenen Zuschüsse, sprich Abhängigkeiten. Unter diesen Umständen müßte man sich fragen, was in solch einer Lage „Selbstverwaltung" noch bedeutet.

Tatsächlich gibt die im Arbeitsförderungsgesetz verankerte Konstruktion der BA nur Sinn vor dem Hintergrund des kurz davor verabschiedeten Stabilitätsgesetzes und der darin enthaltenen Verpflichtung der . Gesellschaft zur konsequenten Vollbeschäftigungspolitik. Bei konsequenter und erfolgreicher Vollbeschäftigungspolitik wären nämlich nur Friktions-und Saisonarbeitslosigkeit, aber keine nennenswerte Struktur-und Konjunkturarbeitslosigkeit (oder letztere nur sehr vorübergehend) und schon gar nicht Arbeitslosigkeit aus Gründen starker Nachwuchsjahrgänge und aus Gründen eines anhaltenden Wachstumsdefizits von der BA zu verwalten und zu bekämpfen gewesen, so daß tatsächlich der größere Teil der Einnahmen für die Aufgaben einer „aktiven" (vorsorgenden) Arbeitsmarkt-politik verwendet werden konnte. Wenn die Voraussetzung konsequenter und erfolgreicher Vollbeschäftigungspolitik entfällt, muß die Konstruktion versagen. (Insbesondere ist bei der Philosophie steuerbaren Wachstums, die sowohl dem Stabilitätsgesetz wie dem Arbeitsförderungsgesetz zugrunde liegt, nicht an den Fall gedacht worden, daß das Ziel hoher Beschäftigung längere Zeit gegenüber konkurrierenden Zielen zurückstehen könnte.)

Angesichts der anhaltenden Haushaltsmisere, wie sie trotz aller Bereinigungsbemühungen bei den gegebenen Rahmenbedingungen als vorläufig unausweichlich anzusehen ist, wäre es also erforderlich, — entweder der Selbstverwaltung der BA auch die Beitragshoheit zu geben, — und/oder der Arbeitsmarktpolitik wesentlich mehr Einfluß auf die unsere Beschäftigungslage bestimmende Wirtschaftspolitik einzuräumen, — oder, da beides wohl recht unrealistische Überlegungen sind, die Zahlungsverpflichtung der BA für Arbeitslosengeld zu plafondieren (beispielsweise bis 300 000 Bezugsberechtigte). Darüber hinausgehende Arbeitslosigkeit hätte dann in jedem Fall der allgemeine Fiskus, der auch die unsere Beschäftigungslage bestimmende Wirtschaftspolitik trägt, zu finanzieren. Diese letzte Lösung wäre auf jeden Fall weit besser als die allgemeine Zuschußverpflichtung zur Finanzierung der alljährlich fälligen Defizite der BA Diese Defizitfinanzierung wird nämlich stets, wie die Erfahrung zeigt (und im Gegensatz zu § 5 AFG, wo der Vorrang der aktiven Arbeitsmarktpolitik im Aufgaben-katalog der BA vor der Finanzierung der Arbeitslosigkeit postuliert wird), als eine Steuer-finanzierung von Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik definiert, so daß der Zuschußgeber vor allem in diesem Bereich Gestaltungsrechte beansprucht, die in die Durchführung hineinreichen und Einsparungen zum Ziele haben. Da aber der Grund für die Haushaltsdefizite in der hohen Arbeitslosigkeit liegt, da vor allem diese von der BA nicht gesteuert werden kann, und da sie den größten Unsicherheits-, Schwankungs-und Belastungsfaktor darstellt, sollten fällige Zuschüsse gedanklich auch vor allem diesem Aufgabenbereich zugeordnet werden. Nur bei einer solchen Plafondierung könnten wichtige Elemente der aktiven Arbeitsmarktpolitik (vor allem in ihren antizyklischen Aufgaben) und des Selbstverwaltungsprinzips über die schwierigen 80er Jahre hinweggerettet werden.

IV. Konstruktive Arbeitsmarktpolitik bei Haushaltsengpässen

Um auch unter erschwerten Bedingungen Elemente einer Arbeitsmarktpolitik zu entwerfen, die diesen Namen noch verdient, ist es nicht unnütz, sich anzusehen, welche Instrumente sich in vergleichbaren Volkswirtschaften entwickelt haben, die schon länger unter ähnlichen Arbeitsmarkt-undHaushaltsproblemen zu operieren haben.

Interessant sind dabei die vielfältigen Formen, in denen ohne Verletzung der Tarifhoheit und der Kostenneutralität arbeitszeitpolitische Ideen Ausdruck gefunden haben. Abgesehen von staatlichen Appellen an die Tarifpartner zur Arbeitszeitverkürzung im arbeitsmarktpolitischen Interesse ist verschiedentlich auch der Staat unmittelbar in dieser Richtung aktiv geworden. So werden in Belgien sowohl schon seit längerem vorzeitige Verrentungen als auch neuerdings wöchentliche Arbeitszeitverkürzungen (auf 38 Stunden) vom Fiskus mit Renten-bzw. Lohnsubventionen dann gefördert, wenn diese Arbeitszeitverkürzungen mit Neueinstellungen von Arbeitslosen oder Jugendlichen verbunden werden. Dies hat dazu geführt, daß jetzt schon zwei Drittel der Beschäftigten in Belgien die 38-Stunden-Woche haben. In den Niederlanden wurde in einigen Bereichen die Einführung des Fünf-Schichten-Systems vereinbart. Auch dies hat zum Ziel, unter Verzicht auf Lohnerhöhungen zusätzliche Arbeitszeitverkürzungen zur Beschäftigung von mehr Arbeitnehmern zu nutzen. Die französische Plankommission hat (schon lange vor dem Regierungswechsel) im VIII. Plan für die Periode 1981— 1985 neben Maßnahmen zur Verstärkung des Wachstums Verringerungen der Arbeitszeit um jährlich zwischen einer halben und einer Wochenstunde vorgeschlagen, wobei auch hier die Beschäftigungswirkungen und die Kostenproblematik in die Überlegungen unmittelbar einbezogen sind. In Frankreich ist im übrigen bereits seit Jahren eine Art Übergangsrente für ältere Arbeitnehmer (ab 60 Jahren) eingerichtet worden, die in diesem Fall allein aus dem Arbeitslosenfonds finanziert wird. (In Belgien gilt eine Mischfinanzierung.) In Österreich wurde die „Frühverrentung" (mit 57 Jahren) in Teilbereichen (Stahlindustrie) ermöglicht Eine wichtige Rolle spielt in vielen Ländern die Überlegung, daß verbesserte Bedingungen für Teilzeitarbeit und ein erhöhtes Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen für die daran interessierten Vollzeitarbeitnehmer Raum für Umverteilungseffekte zugunsten von Arbeitslosen schafft. Deshalb sind sowohl öffentliche Subventionsprogramme für die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen (Niederlande) wie vor allem auch Verbesserungen der arbeitsund sozialrechtlichen Bedingungen der Teilzeitarbeit (Schweden, Belgien) eingeführt worden, die im Falle Belgiens kürzlich zu einem speziellen Teilzeitarbeitsgesetz führten.

Die Teilverrentung, wie sie bei uns nur aus Tarifvereinbarungen in der Genußmittelindustrie bekannt ist, existiert in verschiedenen Ländern in unterschiedlichen Formen. Die Finanzierung erfolgt teils durch die einzelnen Unternehmen (Großbritannien, Frankreich), teils durch einen unternehmensfinanzierten Branchenfonds (Niederlande) und in Schweden sogar aus einem gesamtwirtschaftlichen, durch Beiträge der Unternehmen finanzierten Fonds. Nach dem schwedischen Teilrentengesetz haben alle Beschäftigten zwischen 60 und 65 Jahren Anspruch auf eine Teilrente und eine entsprechende Arbeitszeitverkürzung, wenn sie mindestens fünf der letzten zwölf Monate und mindestens zehn Jahre über das Alter von 45 Jahren hinaus erwerbstätig waren. Der dänische Beschäftigungsplan von Anfang 1981 sieht eine Überstundenbeschränkung vor.

Andere neuere kostenneutrale, arbeitsmarkt-politische Instrumente liegen häufig im Kooperationsbereich zwischen Staat und Wirtschaft, so mit einem neuen Typ staatlich bezuschußter gemeinsamer Projekte (Dänemark) oder durch Arbeitsvermittlungsverträge zwischen Unternehmen und Arbeitsverwaltung, in denen insbesondere Regeln und Größenordnungen für die Unterbringung von schwerer vermittelbaren Arbeitslosen vereinbart werden (Schweden).

überhaupt ist es bemerkenswert, daß in zahlreichen vergleichbaren Ländern neben der dort selbstverständlich auch gewichtigen Haushalts-und Einsparungsdiskussion simultan geschlossene arbeitsmarktpolitische Programme erörtert, verabschiedet und eingeleitet werden.

Auch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat sich vor wenigen Wochen in einer Arbeitsunterlage mit den arbeitsmarkt-politischen Herausforderungen unter neuen Rahmenbedingungen befaßt und eine breit angelegte mittelfristige Neuorientierung von Maßnahmen empfohlen, „damit sichergestellt wird, daß sich die Beschäftigungslage auch bei niedrigeren Wachstumsraten und veränderten sozialen Zielen erholt". Neben der Erinnerung an die Leitlinien des Rates der EG von 1979 zur Verkürzung der Arbeitszeit wird darin eine Reihe von Fragen angesprochen, die der Festigung der sozialen Solidarität, der Verringerung der finanziellen Hemmnisse bei Einstellungen von Arbeitskräften, der Erschließung neuer Bereiche für Beschäftigungswachstum und Innovation, der Steigerung der Bereitschaft zur Initiative und Mobilität und der Analyse der Auswirkungen öffentlicher Haushaltsgebarung auf die Beschäftigung dienen sollen. Ähnlich lauten die Entschließungen der Wirtschaftsministerkonferenz der OECD vom 22. Juni 1981.

Bei uns bieten vor allem nach wie vor die von der Bundesanstalt für Arbeit Ende der 70er Jahre erarbeiteten und vielverbreiteten „Über30 legungen II zu einer vorausschauenden Arbeitsmarktpolitik" eine Fülle von Anregungen zu einer instrumentell angereicherten und verfeinerten Arbeitsmarktpolitik. Insgesamt enthalten diese „Überlegungen" über hundert solcher Anregungen, von denen bisher nur wenige öffentlich diskutiert oder gar realisiert wurden. Die Anregungen reichen von Koordinierungsmöglichkeiten der örtlichen Verwaltungsausschüsse (nach holländischem Muster), Vorsorgeprogrammen, Modellversuchen für Beschäftigungsprogramme mit neuer Trägerschaft, Maßnahmen auf dem Immobilienmarkt zur Förderung der regionalen Mobilität, Eigenregieförderung für bedrohte Betriebe, Prioritätsempfehlungen in der beruflichen Weiterbildung, Kombinationsmaßnahmen (Kurzarbeit mit Bildungsmaßnahmen, Teilzeitarbeit mit Weiterbildung), Modellversuchen der Teilarbeit, Empfehlungen zur Rotation (vermittlerische Begünstigung von Langzeitarbeitslosigkeit), präzisen Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Mobilität bis zu organisatorischen Vorschlägen, die ebenfalls auf Erfahrungen in anderen Ländern zurückgehen (Anpassungsgruppen, Programmstäbe, Frühwarnsysteme, arbeitsmarktpolitische Jahresbilanzen, Ideenbörsen, Betriebsberatung), und budgetpolitischen Gedanken. Auch zur Förderung der Teilzeitarbeit enthalten die „Überlegungen II" ausführliche und detaillierte Konzepte.

Wenn sich also die öffentliche Debatte nicht durch Fragen, die aus der Not der Haushaltsentwicklung entspringen (Sparvorschläge, „Mißbrauch", Vorschriften-Änderungen zum Zwecke der Einschränkung des arbeitsmarkt-politischen Instrumentariums), blockieren läßt, sondern die Gelegenheit, ähnlich wie in anderen Ländern, nutzt, um simultan mit den haushaltsorientierten Vorstellungen — etwa in einer 7. Novelle zum AFG — auch Vorwärtsstrategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu entwickeln und zu gestalten, so liegen hierfür zahlreiche Vorleistungen auf dem Tisch, mit denen man eine solche Erörterung beginnen könnte. Ganz zweifellos wird aber, wenn eine solche konstruktive Debatte sich erst einmal entfaltet, auch aus vielen anderen Instanzen, angefangen bei den Dienststellen der BA selbst bis zu Verbänden, Parteien und Regierungen, neue arbeismarktpolitische Kreativität erwartet werden können. Besonders dazu berufen wären ihrer Konstruktion nach und auch nach ihrem neueren Anspruch die Verwaltungsausschüsse bei der Bundesanstalt.

Bemühungen dieser Art sind auch in dringendem haushaltspolitischem Interesse. Allein die Rückführung der Arbeitslosigkeit auf das Niveau der späten 70er Jahre würde, wie schon erwähnt, den Zuschußbedarf der BA fast vollständig beseitigen und durch entsprechende Steuereinnahmen, welche bei Mehrbeschäftigung (beispielsweise bei Umverteilungserfolgen) anfallen, auch auf andere Weise die Haushalte der Gebietskörperschaften entlasten. Es darf ja nicht übersehen werden, daß der Ersatz von Arbeitslosigkeit durch Arbeitsverhältnisse auf mehrfache Weise fiskalisch entlastend wirkt: Beispielsweise beziehen freiwillig verkürzt Arbeitende nicht nur keine Leistungen mehr, sondern sie zahlen auch ihre Beiträge an Kranken-und Rentenversicherungen (und sie zahlen Beiträge an die BA) aus eigenem Arbeitseinkommen, und sie zahlen (direkte und indirekte) Steuern an Bund, Länder und Gemeinden. Zahlreiche Kosten-Äquivalenzrechnungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß Arbeitslosigkeit auch im Einzelfall oft fast ebenso teuer ist wie bessere Lösungen. Das einzige wirklich dauerhafte Mittel zur Verbesserung der Haushaltslage ist also eine kreative Politik zur Verbesserung der Beschäftigungslage.

Gerade haushaltspolitisch ist dagegen die Hinnahme der Massenarbeitslosigkeit und der Verzicht auf Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik (in manchen Bereichen werden sogar Einschränkungen erörtert!) in dieser Situation von ausschlaggebender Fatalität. Deshalb wird wohl — neben allen denkbaren neuartigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen — ohne eine größere beschäftigungspolitische Aktivität der Regierung(en) nicht auszukommen sein — wobei ein Programm des „langen Atems" kurzlebigen Sonderprogrammen vorzuziehen ist. Auch die der Bundesanstalt für Arbeit bereits nach dem AFG zur Verfügung stehenden Instrumente (vor allem der beruflichen Bildung und Arbeitsförderung) sollten in dieser Lage prinzipiell nicht eingeschränkt, sondern voll genutzt werden. Dies ist natürlich kein Votum gegen effizienzfördernde Änderungen. Die Frage muß aber nicht lauten: Wo kann überall gekürzt werden, um hohe Arbeitslosigkeit auf Dauer zu verwalten? Sondern: Bis zu welcher Höhe kann Arbeitslosigkeit über Jahre hinweg bei gegebenen Einnahmenbedingungen und unter Beachtung antizyklischer arbeitsmarktpolitischer Aufgaben versicherungsmäßig abgedeckt werden? Ab wann, bei welchem Schadensumfang, muß die Solidargemeinschaft aller Bürger als eine Art Rückversicherungsprinzip einsetzen?

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. z. B. Martin Koller, Die Kosten der Arbeitslosigkeit, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, Heft 2/1979.

  2. Diese Annahmen stellen also weder Prognosen noch Zielgrößen dar, sondern dienen nur der Ermöglichung eines plausiblen Rechenmodells.

  3. Und nicht etwa als Vorschlag oder Politikprognose! ,

  4. Wenn also jegliche Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung sowie die Eingliederungszuschüsse, Rehabilitation, Förderung der Arbeitsaufnahme, Lohnkostenzuschüsse für Ältere, Produktive Winterbauförderung, Berufsausbildungsbeihilfe, institutionelle Förderung von Bildungsstätten, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Einarbeitung, vorberufliche Bildungsmaßnahmen, Eingliederungsmaßnahmen für Ausländer usw. vollständig eingestellt würden!

  5. Was übrigens zum Teil nur zur Erhöhung der Sozialausgaben der Kommunen führen würde. Diese Verlagerung ist auch bisher schon erkennbar. Die Sozialausgaben der Kommunen sind bereits von rund 4 Mrd. DM (1970) auf 17 Mrd. DM (1981) gestiegen!

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Dieter Mertens, Dr. rer. pol., geboren 1931 in Krefeld; seit 1967 Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit; stellvertretender Vorsitzender der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel (1970— 1974); Honorarprofessor an der Gesamthochschule Kassel; Lehrbeauftragter an der Universität Erlangen-Nürnberg.