Das Lächeln der Sphinx -— oder: Die Staatsverschuldung und die Krise der Globalsteuerung
Thilo Sarrazin
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Zusammenfassung
Das an Keynes orientierte Konzept der antizyklischen Globalsteuerung der Volkswirtschaft durch Variationen der Staatsausgaben, insbesondere der staatlichen Kreditaufnahme, ist in den letzten Jahren ins Zwielicht geraten. Nirgendwo hat sich die Hoffnung erfüllt, es könne auf diese Weise gelingen, stetiges Wirtschaftswachstum, eine zumindest relative Preisstabilität und einen hohen Beschäftigungsstand dauerhaft zu verwirklichen. Aber auch die Theorien der Monetaristen, die auf staatliche Enthaltsamkeit bei der Konjunktursteuerung setzen und statt dessen die stabilisierende Wirkung einer stetigen kontrollierten Geldmengenentwicklung hervorheben, haben ihre Bewährungsprobe bislang nicht bestanden. In den Mittelpunkt der Kritik an keynesianischen Konzepten ist der mit dem Versuch fortgesetzter antizyklischer Gegensteuerung verbundene starke Anstieg der Staatsverschuldung getreten, dem eigenständige, von den Keynesianern unterschätzte Risiken zugeschrieben werden. Der vorliegende Beitrag zeigt, daß Keynesianer und Monetaristen beide auf recht schwankendem theoretischen Fundament stehen und daß die Unterschiede ihrer Theorien auf unterschiedlichen, empirisch kaum nachprüfbaren Grundannahmen beruhen. Aus diesem Grund sind zuverlässige Aussagen über die Wirkungen einer bestimmten Staatsverschuldung über qualitative Richtungsangaben hinaus nicht möglich. Darüber hinaus ist die erfolgreiche Durchführung einer antizyklischen Finanzpolitik mit großen praktischen Problemen von grundsätzlicher Bedeutung konfrontiert, wie die widersprüchlichen Erfahrungen der siebziger Jahre in der Bundesrepublik zeigen. Bei den „Grenzen der Staatsverschuldung", die in der politischen Diskussion eine große und zunehmende Rolle spielen, sind weniger die finanzwirtschaftlichen Grenzen besorgniserregend, als die allgemein wachsende Vorabbindung unsicherer künftiger Einahmen durch heutige Verpflichtungen. Die künftigen Zins-und Tilgungsverpflichtungen des Staates sind nur ein Teilaspekt dieses allgemeineren Problems.
Mit dem manchmal notwendigen Mut zu einem ungerechten Urteil läßt sich der gegen»artige Erkenntnisstand in der Konjunktur-und Beschäftigungspolitik wie folgt zusammenfassen: Monetaristen und Keynesianer sind weltweit frustriert ob der mangelnden empirischen Bewährung ihrer Theorien; die Ratlosigkeit der empirischen Wirtschaftsforscher wächst mit dem Quadrat der Zahl der Gleichungen ihrer gesamtwirtschaftlichen Modelle; und die Praktiker der Wirtschaftspolitik klammern sich an die Bruchstücke ihrer Schulbuchweisheiten wie der Schiffbrüchige an die rettende Planke — wenn sie es nicht vorziehen, verwirrt und verärgert über die Irrwege des theoretischen und empirischen Meinungsstreits, Opportunität und „gesunden Menschenverstand" zur einzigen Richtschnur ihres Handelns zu machen.
Vor dem Hintergrund der stabilitäts-und be-kchäftigungspolitischen Mißerfolge des letzten Jahrzehnts hat sich die Konjunkturpolitik in den meisten westlichen Industrieländern einer Kompromißlinie angenähert: Einerseits bleibt der Fiskalpolitik die Aufgabe zugewie-sen, durch die Ausgaben-und Schuldenpolitik größeren Nachfrageausfällen entgegenzuwirren. Der Versuch zu einem wirklich antizykli-schen Verhalten insbesondere im Abschwung wurde jedoch weitgehend aufgegeben, um Stabilisierungserfolge nicht zu gefährden und die Staatsverschuldung zu begrenzen Anderer-seits hat die Geldpolitik eine Renaissance erfahren. Zahlreiche Notenbanken bemühen sich heute mit mehr oder weniger Erfolg um ein verstetigtes Geldmengenwachstum entsprechend der Entwicklung der Produktionsmöglichkeiten. Milton Friedman hat die geldpolitische Praxis vielfach auch dort geprägt, wo die Verantwortlichen der Geldpolitik solch eine Verwandtschaft gar nicht so gern zugeben. Jedoch wird auch eine am Verstetigungsziel orientierte Geldmengenpolitik fast nirgendwo wirklich konsequent betrieben. Gesichtspunkte der Kurspflege des Außenwerts der jeweiligen Landeswährung, der Wunsch nach niedrigeren Zinsen, Uneinigkeit über das richtige Geldkonzept und in manchen Ländern auch das schiere Unvermögen zur Kontrolle der Geldbasis verwässern sowohl die Zielsetzungen der Verantwortlichen als auch ihr praktisches Handeln. , Im Ergebnis scheitert die praktische Wirtschaftspolitik aus der Sicht beider Orthodoxien, der keynesianischen wie der monetaristischen, an ihrem Mangel an Konsequenz: Die einen meinen, die öffentliche Hand entfalte nur unzureichende Nachfragewirkungen und verursache auf diese Weise leichtfertig Beschäftigungs-und Wachstumsverluste die anderen vermissen Konsequenz bei der Verfolgung des Geldmengenziels und machen Verdrängungseffekte der Staatsverschuldung für unzureichende private Nachfrage mitverantwortlich Tatsächlich ist der Vorwurf bei-der Seiten, nicht die Mängel ihrer gegensätzlichen Rezepturen, sondern die mangelhafte Konsequenz bei ihrer Befolgung seien schuld an den enttäuschenden praktischen Resultaten, empirisch streng nur schwer zu widerlegen. Man müßte zwei weitestgehend vergleichbare Volkswirtschaften auswählen (die es nicht gibt) und dann für einen mindestens zehnjährigen Zeitraum die eine nach streng keynesianischen und die andere nach monetaristischen Gesichtspunkten steuern
Dies ist unrealistisch, und so wird die Diskussion andauern und sich dabei weiter auf das Thema Staatsverschuldung konzentrieren. Es handelt sich dabei um ein Reizthema, bei dem es nicht nur um das Abwägen wissenschaftlicher Erkenntnisse geht. Vielmehr schwingen 'hier bei allen Beteiligten „volkswissenschaftliche''Leitbilder von der Rolle des Staates mit. Auch kreuzen sich im Teilaspekt Staatsverschuldung zahlreiche Diskussionslinien —-theoretische, fiskalische und ordnungspolitische:
Es soll im folgenden versucht werden, dieses Geflecht der unterschiedlichen Diskussionsfäden ein wenig zu ordnen, zu zeigen, daß die verschiedenen Elemente auf ganz wenige Grundsatzfragen zurückgeführt werden können, daß aber zuverlässige Antworten auf diese Grundsatzfragen nur schwer möglich sind. Das liegt an der Natur der Fragen und ebenso an den geringen Möglichkeiten der empirischen Kontrolle. Es wird dann erklärlich, weshalb ordnungspolitische Wertvorstellungen die Diskussion um die Staatsverschuldung stärker beeinflussen, als mit dem Selbstverständnis einer ökonomischen Wissenschaft vereinbar scheint.
Vor diesem Hintergrund war die zögernde Kompromißlinie in der Finanzpolitik der letzten Jahre, die aus keynesianischer Sicht nicht genug und aus neoklassisch-monetaristischer Sicht immer noch viel zu viel Staatsverschuldung mit sich brachte, vielleicht das geringste Übel, wenn schon nicht der große Wurf. Auch die empirische Wirtschaftsforschung folgt heute zumeist dieser Kompromißlinie
Theoretische Grundsatzpositionen
In keynesianischer Denktradition ist allein über die Anpassungskräfte des Marktes via Preismechanismus aus einer Unterbeschäftigungssituation die Rückkehr zur Vollbeschäf-tigung nicht oder nur in einem unzumutbar langen Zeitraum möglich, — weil Preise und Löhne nach unten gar nicht oder jedenfalls nicht in dem Maße flexibel sind, wie im klassischen Marktmodell unterstellt,
—weil bei zinsunelastischer Investitionsnachfrage selbst sinkende Preise und Löhne und damit sinkende Zinsen (Keynes-Effekt) sich nur unzureichend auf die Investitionsnachfrage auswirken, — weil Zinssenkungstendenzen durch verstärkte Kassenhaltung der Wirtschaftssubjekte (in keynesianischer Terminologie mehr Spekulationskasse) aufgefangen werden können, ehe sie die Investitionsneigung beeinflussen (Liquiditätsfalle).
Daraus ergibt sich die Forderung, durch öffentliche Nachfrage für eine stetigere Entwicklung der Gesamtnachfrage zu sorgen und so die in den unzureichenden Anpassungsmechanismen liegenden Instabilitäten des privaten Sektors auszugleichen
Nach keynesianischer Auffassung führen die Instabilitäten des privaten Sektors aus den oben genannten Gründen immer wieder zu Unterbeschäftigungsgleichgewichten. Arbeitslosigkeit und Investitionsschwäche werden in erster Linie als Ergebnis globaler Unternachfrage verstanden. Der Staat hat die Möglichkeit — und aus diesem Grunde auch die moralische Pflicht —, diese Unternachfrage durch staatliche Mehrnachfrage zu beseitigen bzw. durch geschicktes Gegensteuern gar nicht erst entstehen zu lassen.
Diesen hohen Anspruch hat der nach keynesianischen Maßstäben steuernde Staat bisher nirgendwo über längere Zeit eingelöst. Die hierdurch hervorgerufene Enttäuschung — teils mit den theoretischen Grundlagen, teils mit der Praxis der Politik — führte schon in den fünfziger Jahren zu Gegenkonzepten, und es „mangelt seitdem nicht an Versuchen, die sogenannte Globalsteuerung schlechthin als
Illusion zu . enttarnen’ bzw. ihre Unwirksamkeit empirisch zu belegen”
Nach neoklassischer bzw. monetaristischer Auffassung ist der private Sektor grundsätzlich stabil Das heißt: Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität führen in angemessener Frist zu einem neuen Gleichgewicht zurück, dieses allerdings schließt eine „natürliche” Unterbeschäftigungsrate der Produktionsfaktoren mit ein.
Wenn, wie die Monetaristen meinen, die Wirtschaftssubjekte ihr Ausgabeverhalten eher an ihren mittelfristigen Einkommenserwartungen orientieren als an ihren aktuellen Einkommen (Dauereinkommenshypothese), dann sind die Einkommenswirkungen zusätzlicher Staatsausgaben kleiner als nach keynesschen Multiplikatormodellen zu erwarten.
Erläuterung: Der Staat erhöht in einer Situation in der Unterbeschäftigungseine Nachfrage. Dadurch haben Unternehmen und private Haushalte mehr Einkommen. Nun kommt es darauf an, wie die Reaktion auf dieses Mehr-einkommen ist. Falls alle Mehreinkommensbezieher dieses (abzüglich ihrer üblichen Sparquote) auch ihrerseits wieder ausgeben, dann schaffen sie Mehreinkommen bei Dritten. Und wenn diese sich genauso verhalten, dann pflanzt sich dieser Prozeß im ganzen volkswirtschaftlichen Kreislauffort. Die vorhandenen Produktionsmöglichkeiten werden besser genutzt. Das Sozialprodukt hat sich erhöht und vielleicht den Anstoß zu einem dauerhaften Wachstumsschub erhalten.
Wenn jedoch die Unternehmen und privaten Haushalte ihre mittelfristigen Absatz-und Einkommenserwartungen nicht korrigieren, dann kann es sein, daß die vermehrte Staats-nachfrage nicht in vollem Umfang zu dem erhofften fnvestitions-, Restruktions-und Einkommensschub führt; ein Teil der erhofften Wirkungen wäre verpufft.
Wenn die Wirtschaftssubjekte außerdem in ihren Erwartungen und darauf basierenden wirtschaftlichen Entscheidungen Preissteigerungen antizipieren, dann besteht die Gefahr, daß die fortgesetzten fiskal-und/oder geldpolitischen Anreize die realen Größen immer weniger beeinflussen und sich immer mehr lediglich preissteigernd auswirken.
Erläuterung: Jeder Nachfrageschub erleichtert die Durchsetzung von Preis-und Lohnerhöhungen. Ein bestimmter Nachfrageimpuls bewirkt darum immer nur zu einem Teil reale Steigerungen von Produktion und Einkommen, der andere schlägt sich in höheren Preisen und nur nominal — nicht nach der Kaufkraft — höheren Löhnen nieder. Unternehmen undPrivatehaben aber das natürliche Bestreben, ihre reale Position zu halten und zu verbessern. Sie versuchen also immer, mindestens die erwartete Preissteigerungsrate bei ihren Lohn-und Preisforderungen durchzusetzen. Vor allem bei geringen Wachstumsmöglichkeiten kann dies dann zu einem Prozeß führen, bei dem sich Löhne und Preise mehr und mehr gegeneinander aufschaukeln. Die herkömmliche, aber sehr teure Kur auch für dieses Leiden war die Wirtschaftskrise. Wenn aber keynesianische Wirtschaftspolitik alles daran setzt, durch mehr Staatsnachfrage Wirtschaftskrisen zu verhindern oder abzumildern, denn wird die Inflation auch nie völlig beseitigt. Die fnflationsrate schwankt zwar zyklisch mit der Konjunktur, aber mit jedem Konjunkturzyklus auf einem höheren Niveau, weil die Preissteigerungserwartungen nie auf das Ausgangsniveau zurückgeführt werden. Genau dies war die Erfahrung der westlichen Industriestaaten mit 30 Jahren keynesianischer Politik. Die vielfach unerträglich hohen Inflationsraten seitAnfang dersiebzigerJahre machten dann doch scharfe Bremsmanöver mit entsprechend krisenhaften Folgen unvermeidlich (die Ölkrise 1973 war hier eher Auslöser als Ursache). Die Inflation, wurde hierdurch zwar vorübergehend gedämpft, nicht aber entscheidend gesenkt. Die staatliche Nachfragestimulierung macht vor diesem Hintergrund immer größere Kosten in Form steigender Preise, der gleiche reale Nachfrageimpuls erfordert mehr staatliche Mittel.
Wenn schließlich die antizyklische Global-steuerung aufgrund von Prognoseunsicherheiten und wegen der Natur politischer Entscheidungsabläufe ihre Nachfragesignale zum falschen Zeitpunkt und/oder in falscher Dosierung setzt, dann kann in Grenzfällen keynesianische Politik das Stagnationsübel nicht nur nicht heilen, sondern noch verschlimmern.
Die Hypothese, daß die Wirtschaftssubjekte . ihr Ausgabeverhalten eher an ihren mittelfristigen Erwartungen orientieren (in monetaristischer Terminologie die Theorie des permanenten Einkommens), macht die Nachfrage unabhängiger von aktuellen Einkommensschwankungen , als es keynesianischer Analyse entspricht. Gleichzeitig reagiert nach der gleichen Theorie das kurzfristige Ausgabeverhalten stärker auf Geldmengenänderungen als es keynesianischer Analyse entspricht Das permanente Einkommen wird ja definiert als der erwartete Ertragswert des individuellen Gesamtvermögens (zu dem nicht nur klassische Vermögeenswerte, sondern z.B. auch der Vermögenswert der eigenen Arbeitsleistunggezählt werden). Weil Geld ein Bestandteil dieses Gesamtvermögens ist, beeinflussen Geldmengenänderungen den Ertragswert des Gesamtvermögens bzw. das permanente Ein kommen und damit das Ausgabenverhalter unmittelbar Dies hat jedoch nur kurzfristig Einfluß auf die realen Größen: Führen Geld mengenveränderungen zu Preissteigerunger und werden diese in den wirtschaftlichen Dis Positionen mitberücksichtigt, dann sind im mer stärkere geldpolitische Anstöße zur Erzie lung eines gleichen realen Effektes notwen dig.
Die fehlenden langfristigen und die übergro ßen . kurzfristigen Einflüsse geldpolitischer Kursänderungen auf die realen Größen liefert zusammen mit der unsicheren und variablen Zeitverzögerung der Wirkung einzelner geldpolitischer Maßnahmen die Begründung für die monetarische Forderung nach konjunkturpolitischer Enthaltsamkeit der Geldpolitik.
Die im Lichte der Theorie des permanenter Einkommens zu grobe Beschreibung des pri vaten Ausgabeverhaltens liefert die Begrün düng für die skeptische Haltung der Monetär! sten gegenüber der Fiskalpolitik.
Die Monetaristen glauben also nicht, mit Hilf« der Geldpolitik die wirtschaftlichen Abläufe steuern zu können, sie meinen vielmehr, daß ein solcher Versuch fehlschlagen muß. Sie glauben allerdings, daß eine stetige Entwicklung der Geldbasis auf die Dauer auch auf di Erwartungen und das Marktverhalten de Wirtschaftssubjekte verstetigend wirkt. Die beiden Grundsatzpositionen — die keyne sehe — führen in ihrer reinen Form auchgegensätzlichen Therapien: Der Keynesianer ist a priori geneigt, Arbeitslosigkeit und Investitionsschwäche auf einen Mangel an Gesamtnachfrage zurückzuführen. Therapie: Mehr Staatsnachfrage.
Der Neoklassiker/Monetarist interpretiert Arbeitslosigkeit und Investitionsschwäche je nach Einzelfall:
— als strukturbedingten Mangel an rentablen Produktionsmöglichkeiten infolge einer zu weit getriebenen Umverteilung, administrativer Hemmnisse, politischer und sozialer Instabilitäten etc., — als kurzfristig unvermeidliche Stabilisierungskrise, wenn keynesianische Vollbeschäftigungspolitik an die Grenze der politisch tolerierten Inflationsrate geführt hat, — als Resultat einer falschen, das Geldmengenwachstum übermäßig begrenzenden Geld-politik.
Therapie: kurzfristig keine; mittel-und langfristigverstetigtes Geldmengenwachstum, stabile institutioneile Rahmenbedingungen, Zurückhaltung bei der Umverteilung, Abbau administrativer Hemmnisse.
Die keynesianische Diagnose führt zu der Forderung nach kreditfinanzierten Staatsausgaben in einer solchen Höhe, daß zusammen mit den Multiplikator-und Akzeleratorwirkungen eine Gesamtnachfrage in Höhe des Vollbeschäftigungsgleichgewichts möglich wird.
Aus neoklassischer/monetaristischer Sicht kann dagegen (nicht muß) Staatsverschuldung erfolgreiche Erholung der Wirtschaft geradezu verhindern, weil sie nicht nur nicht an den Ursachen ansetzt, sondern auch jene Zins-und Preissenkungen (bzw. Verlangsamung des Preisanstiegs) verhindern kann, die zu einer Wiederbelebung der privaten Nachfrage (insbesondere Investitionsnachfrage) führen würden (Verdrängung der privaten durch die staatliche Kreditnachfrage, in der Literatur . crowding out" genannt.)
Nach überwiegender Auffassung in Wissenschaft und Praxis beschreiben beide Positionen Teilwahrheiten mit je nach Realität wechselnder Gewichtung Dies macht die Haltung zur Staatsverschuldung schwankend: Während Nachfragebelebung durch Staatsverschuldung einerseits nicht schlecht, in gewissem Umfang sogar notwendig ist, ist sie andererseits auch nicht gut, vielleicht sogar gefährlich für eine dauerhafte wirtschaftliche Entwicklung.
Auch die empirische Wirtschaftsforschung hatte bisher Schwierigkeiten, zuverlässige Antworten zu finden, aus denen sich bei gegebenen Präferenzen eindeutige Handlungsanweisungen für die wirtschaftspolitische Praxis ergeben.
Die Bewertung der Staatsverschuldung im konkreten Fall hängt also u. a. davon ab, inwieweit, bzw. ob überhaupt, zuverlässige Antworten auf die im folgenden behandelten drei Fragenkomplexe möglich sind:
— Welches sind die identifizierbaren Determinanten des Ausgabeverhaltens der Unternehmen und Verbraucher und des Angebots-verhaltens der Unternehmen und Arbeitnehmer (dazu zählt auch die Preispolitik)?
— Gibt es aussagefähige Meßkonzepte der Wirkungen und Erfolgskontrollen der antizyklischen Fiskalpolitik?
— Gibt es objektive und/oder psychologische Grenzen der Staatsverschuldung, und wo sind diese anzusetzen?
Determinanten des Ausgabe-und Angebotsverhaltens
Abbildung 2
Tabelle 2 Die Impulse der Finanzpolitik für die Konjunktur in Mrd. DM
Tabelle 2 Die Impulse der Finanzpolitik für die Konjunktur in Mrd. DM
Fiskalpolitische Maßnahmen sind um so er-folgversprechenderje mehr die Konsumausgaben und Investi-tionsentscheidungen von den aktuellen Einkommen und Gewinnen abhängen, je mehr die Nachfrageimpulse der Fiskalpoik auf den Arbeits-und Gütermärkten zu Mengenreaktionen und je weniger sie ledig-lieh zu höheren Preis-und Lohnforderungen führen, — je geringer die Tendenz der Anbieter auf den Güter-und Arbeitsmärkten ist, erwartete Preissteigerungen in ihren Lohn-und Preisforderungen zu antizipieren.
Durch alle wirtschaftlichen Schwankungen hindurch war in den letzten anderthalb Jahrzehnten in der Bundesrepublik die Entwicklung der verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte, der Sparquote und des privaten Verbrauchs von einer hohen Stetigkeit gekennzeichnet (Tabelle 1). Bis in die Mitte der siebziger Jahre stieg die Sparquote immer dann leicht an, wenn sich der Anstieg der verfügbaren Einkommen beschleunigte, und sank leicht, wenn er sich verlangsamte, entsprechend der Dauereinkommenshypothese. Lediglich der Anstieg der Sparquote von 14 % 1973 auf 15, 3 % in 1975 kann so nicht erklärt werden. Nach 1975 sank die Sparquote schnell ab (auf 12, 5% in 1978), um dann bis 1980 auf% 1973 auf3 % in 1975 kann so nicht erklärt werden. Nach 1975 sank die Sparquote schnell ab (auf 12, 5% in 1978), um dann bis 1980 auf 13, 5 % wieder anzusteigen.
Die Entwicklung der Konsumausgaben wird also fast ausschließlich von der Entwicklung [der verfübaren Einkommen bestimmt. Dabei zeigen die eher antizyklischen Schwankungen der Sparquote (mit Ausnahme der Krise 1974/75), daß neben den aktuellen Einnahmen auch die Ausgabegewohnheiten der Vergangenheit das Konsumverhalten bestimmen. Weder eine Beschleunigung noch eine Verlangsamung des Anstiegs der realen verfügbaren Einkommen schlägt sofort voll auf den privaten Verbrauch durch. Änderungen im Wachstums-tempo der realen verfügbaren Einkommen wirken sich vielmehr zunächst immer unter-proportional aus.
Während der siebziger Jahre waren in der Bundesrepublik die Schwankungen in der Entwicklung des privaten Verbrauchs durchweg kleiner als die Schwankungen des Sozialprodukts und aller anderen Nachfragekomponenten. Dies und die mittelfristig recht konstante Sparquote lassen alle Spielarten von Unterkonsumtionstheorien als Erklärung für unbefriedigende Resultate bei Wachstum und Beschäftigung wenig plausibel erscheinen
Dagegen hatten der Staatsverbrauch und die Staatsinvestitionen in den letzten anderthalb Jahrzehnten wesentlich stärkere und durchWeg prozyklische Schwankungen aufzuweisen. Der wichtigste — wenn nicht einzige — Beitrag des Staates zur Konjunkturverstetigung bestand in der antizyklischen Wirkung des großen Blocks der Transfereinkommen .
Die staatlichen Anlageinvestitionen wiesen in den letzten anderthalb Jahrzehnten noch stärkere Schwankungen auf als die Anlageinvestitionen der Unternehmen.
Ein Vergleich der Zeitreihen der realen Veränderungsraten der Unternehmensinvestitionen, der letzten Verwendung von Gütern (privater Verbrauch, Staatsverbrauch, Bruttoinvestitionen und Ausfuhr), der Nettorealeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen und des Auslastungsgrades (vgl. Tabelle 1) legt die Vermutung nahe, daß die aktuelle Entwicklung der Nachfrage oder des Auslastungsgrades allein zur Erklärung der Schwankungen der Investitionstätigkeit unzureichend ist; dagegen folgen auf stärkere Veränderungen des Nettorealeinkommens aus Unternehmertätigkeit und Vermögen mit etwa einjährigem Abstand entsprechende Veränderungen der Investitionstätigkeit . Dieser Zusammenhang konstituiert natürlich noch keine kausale Beziehung. Es könnte sein, daß dritte Faktoren sowohl Gewinne als auch Investitionen beeinflussen. Die empirische Evidenz gibt sowohl jenen, die meinen, Investitionen hingen vor allem von der Nachfrage ab, wie auch jenen, die Rentabilitätskriterien (und andere Angebotsbedingungen) als entscheidender ansehen, gleichermaßen genügend Interpretationsspielräume zur Erklärung der Investitionstätigkeit Neue Unternehmensbefragungen zeigen, daß neben der Auslastung auch das mittelfristig erwartete Marktwachstum sowie psychologische Faktoren („Investitionsklima") Einfluß auf die Investitionsentscheidungen haben Jede kurzfristige Kausalkette „mehr Staatsnachfrage — mehr Gesamtnachfrage — mehr Unternehmensinvestitionen''ist offenbar als Erklärungsansatz unzureichend Die Einschätzung der mittel-und längerfristigen Erwartungen scheint die Investitionsentscheidungen stark zu bestimmen. Die aktuelle Situation scheint in dem Maße Bedeutung für die Investitionsentscheidungen zu gewinnen, in dem sie die Erwartungen beeinflußt
Konjunkturtheoretische Modelle kommen bekanntlich zu dem Ergebnis, daß Investitionen um so stärker zu den Konjunkturschwankungen beitragen, je stärker die Investitionen selber mit dem Auslastungsgrad der Unternehmen schwanken. Zinsabhängige Investitionen dämpfen dagegen „bei kontinuierlich steigender Geldmenge und zinselastischer Geldnachfrage die zyklischen Schwankungen"
Bei kontinuierlich steigender Geldmenge und zinselastischer Geldnachfrage sind die Zinsen in einer Situation der allgemeinen Übernachfrage hoch und niedrig bei Nachfragemangel. Wenn nun niedrige Zinsen die Investitionen anreizen und hohe Zinsen die Investitionsneigung dämpfen, dann verstetigt ein verstetigte Geldmengenwachstum über den Zinsmecha nismus auch die Investitionen.
Ein verstetigtes Geldmengenwachstum wirk demnach verstetigend auf konjunkturell« Schwankungen, wenn und insoweit die Inve stitionen zinsabhängig sind Auch hierüber ist ein eindeutiges empirisches Urteil nicht möglich. Die zyklische Gleichläufigkeit versinkenden Kapitalmarktzinsen und steigen den Investitionen und umgekehrt währenc der letzten anderthalb Jahrzehnte (vgl. Tabelle 1) läßt jedoch den Schluß zu, daß unter den Investitionsmotiven auch die Verzinsung al ternativer Geldanlagen eine Rolle spielt. Damit würde ein verstetigtes Geldmengen Wachstum grundsätzlich einen eigenständigen positiven Einfluß auf die konjunkturelle Verstetigung ausüben. Gleichgültig, wie groß nundie Zinsabhängigkeit der Investitionen ein schätzt, in jedem Falle scheinen jene nicht folgerichtig zu argumentieren die einerseits dieZinsentwicklung einen Einfluß auf die Investi tionstätigkeit zusprechen, andererseits abe nicht glauben, daß ein verstetigtes Geldmen genwachstum einen Beitrag zur Konjunktur verstetigung leisten könne.
Die Determinanten der Konsumausgaben unc des Investitionsverhaltens sind also vielfältig Das aktuelle Einkommen und die aktuelli Nachfrage spielen eine wichtige, aber nich die einzige Rolle.
Weitgehende Unsicherheit herrscht über da Verhältnis von Preis-und Mengenreaktionei bei Nachfrageänderungen, ökonometrische Modelle unterstellen zumeist Mengenanpassungen, aber es gibt keine theoretisch fundierte Aufgliederung der Anpassungsreaktionen auf
Nachfrageänderungen in Preis-und Mengen anpassung Das erschwert im konkreten Fall die Beurteilung der konjunkturellen Wirkung fiskalischer Impulse erheblich. Das Verhältnis zwischen Preis-und Mengenreaktio auf einen gegebenen Impuls ist zudem keines wegs stabil, sondern schwankt je nach Situation und von Land zu Land.
Während einst die auf vielen Märkten zu beobachtende Preisträgheit, wenn es um die Anpassung an sinkende Nachfrage ging, eine Ursache für das Versagen klassischer Rezepturen und den Erfolg keynesianischer Therapien war, ist heute die Mengenträgheit bei der Reaktion auf fiskalische Nachfrageimpulse eine Ursache für die gewachsene Skepsis gegenüber keynesianischer Therapien. Beides läßt sich jedenfalls teilweise erklären mit unrealistischen wirtschaftlichen Erwartungen. Im Falle sinkender Nachfrage erscheint eine Mengenanpassung bei starren Preisen oft einzelwirtschaftlich sinnvoller, solange Ursachen, Dauer und Ausmaß des Nachfragerückgangs nicht voll überschaubar sind Im Falle steigender Nachfrage können Preis-(oder Lohn-) mehrforderungen anstelle von Mengenanpassungen dann einzelwirtschaftlich sinnvoll erscheinen, wenn man den Nachfrageanstieg als vorübergehend ansieht (so daß Kapazitätserweiterung nicht lohnt) und/oder wenn man (weiter) steigende Preise erwartet und sich um Absicherung der eigenen Realposition bemüht
Je größer der Einfluß der mittel-und langfristigen Erwartungen auf das Ausgabeverhalten und insbesondere je ausgeprägter dabei das Bemühen ist, die Reaktion auf künftige Preissteigerungen schon heute vorwegzunehmen, desto weniger erfolgversprechend kann eine Fiskal-und Wachstumspolitik sein, die vor allem auf eine Erhöhung der nominalen Nachfrage setzt — vor allem aber, desto weniger ist Stabilisierung ohne Stabilisierungskrise und Mohzhergehende Unterbeschäftigung möglich Die Wirtschaftssubjekte bleiben nämlich in diesem Fall von kurzfristigen Datenänderungen ziemlich unbeeindruckt. Sie ändern ihr Verhalten erst dann grundlegend, wenn die Datenänderungen so gravierend sind, daß sie die Überzeugung gewinnen, hier kündige sich eine mittel-und langfristig neue Entwicklung an. Das bekannteste Beispiel ist die soge-nannte Inflationsmentalität: Wenn die Beteiligten hartnäckig glauben, auch künftig werde es Inflationsraten in einer bestimmten Höhe geben und hierauf ihre Preis-und Lohnforderungen abstimmen, dann wird es bei einer scharfen Inflationsbekämpfung so lange zu Arbeitslosigkeit und Wachstumsverlusten kommen, bis die Beteiligten verstanden haben, daß ihre Lohn-und Preisforderungen zu hoch waren.
Seit den späten sechziger Jahren hat in allen westlichen Industriestaaten vor allem der Anstieg der Inflationserwartungen mit immer schnellerer Vorwegnahme künftig erwarteter Inflationsraten in heutigen Preis-und Lohnforderungen eine nachfrageorientierte Vollbeschäftigungspolitik ständig unwirksamer gemacht Wo diese inflationstreibende Erwartungsdynamik gebrochen oder mit mehr oder weniger Erfolg gebremst wurde, geschah dies ausnahmslos durch eine Stabilisierungskrise mit zunächst weiter steigenden Preisen und sinkender Beschäftigung. Diese historische Erfahrung, für die es plausible theoretische Erklärungen gibt legt die Schlußfolgerung nahe, daß Nachfragestimulierung als Dauertherapie von Konjunktur-und Wachstumsschmerzen dazu tendiert, sich abzunutzen. Ihr Nutzen als zeitlich begrenzte Überbrückungshilfe kann nur anhand des konkreten Falles beurteilt werden; er hängt ab von den spezifischen Preis-und Mengenelastizitäten in bezug auf einen spezifischen Nachfrageimpuls. An dieser Stelle löst sich der theoretische Streit zwischen den scheinbar unvereinbaren Grundsatzpositionen von Keynesianern und Monetaristen auf in „einen theoretisch banalen, nur empirisch entscheidbaren Streit über die Größenordnung von Elastizitäten" ). Für die Dauerhaftigkeit dieses Streits scheint gesorgt, denn mit den zugrunde liegenden konjunkturellen Faktoren ändern sich auch ständig die Preis-und Mengenelastizitäten. Der Prinzipienstreit zwischen Keynesianern und Neoklassikern/Monetaristen ist also prinzipiell kaum entscheidbar, denn die gegensätzlichen wirtschaftlichen Verhaltensweisen, auf die sich die Kontrahenten berufen, sind allesamt gleichzeitig in der Realität zu beobachten: Orientierung der Investitionen an der kurzfristigen Nachfrage und den längerfristigen Absatz-und Gewinnerwartungen, kurzfristiger Glaube an die Stabilität des Geldwertes (Geldillusion) in mehr oder minder starkem Umfang, gleichzeitig Vorwegnahme erwarte-ter Preissteigerungen in heutigen Angebots entscheidungen, Preis-und Lohnforderun gen.
Die Diskussion müßte also gehen um die in ei ner spezifischen Situation dominanten und weniger dominanten Einflußfaktoren - unddies ist mit Schwierigkeiten verbunden: Auf schwankendem theoretischen Fundament können ökonometrische Modelle zwar viele nützliche Informationen, aber keine eindeuti gen Kausalitätszuweisungen liefern. Die in dei empirischen Forschung bestätigte Konkur renz einer Vielfalt von Einflußfaktoren überläßt allen theoretischen Glaubensrichtungen und fast jedem Vorurteil den zum Überlebennotwendigen Entfaltungsspielraum. Eine em pirisch gehaltvolle allgemeine Theorie des Ausgabe-und Angebotsverhaltens im Kon junkturverlauf, die zuverlässige Prognosen den Wirkungen staatlicher Maßnahmen gestatten würde, gibt es bislang nicht also sind auch zuverlässige Aussagen über die Wirkungen einer bestimmten Staatsverschuldung über qualitative Richtungsangaben hinaus nicht möglich
Zur Praxis der antizyklischen Finanzpolitik
Abbildung 3
Tabelle 3 Nettoveränderung der Forderungen bzw. Verbindlichkeiten der nichtfinanziellen Sektoren 1970-1980
Quelle: Monatsberichte der deutschen Bundesbank und eigene Berechnungen
Tabelle 3 Nettoveränderung der Forderungen bzw. Verbindlichkeiten der nichtfinanziellen Sektoren 1970-1980
Quelle: Monatsberichte der deutschen Bundesbank und eigene Berechnungen
Die Schwierigkeiten in der Praxis der antizyklischen Politik beginnen in der Theorie, nämlich mit der Frage nach dem richtigen Meßkonzept der antizyklischen Wirkungen. Überschüsse und Defizite der öffentlichen Haushalte als solche sagen über Konjunktur-wirkungen noch nicht viel aus Es gibt zur Messung dieser Konjunkturwirkungen eine Menge unterschiedlicher Konzepte
Einige dieser Budgetkonzepte, wie das des Sachverständigenrates, stellen ab auf den Vergleich mit einer Basisperiode, in der die Finanzpolitik konjunkturneutral war, andere bevorzugen den Vorjahresvergleich Überein-stimmung besteht darin, daß Konjunkturneutralität dann gegeben sei, wenn der Staat für sich genommen den Auslastungsgrad des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotentials nicht verändert. Je nach gewähltem Konzept werden unterschiedliche konjunkturelle Impulse der Staatstätigkeit ausgewiesen, ja selbst die Umstellung des Konzepts des konjunktur-neutralen Haushalts des Sachverständigen-rats auf eine neue Basisperiode brachte, bezogen auf die einzelnen Haushaltsjahre, eine erhebliche Veränderung der ausgewiesenen konjunkturellen Impulse Thormählens grundsätzliche methodische Kritik am Konzept des konjunkturneutralen Haushalts des Sachverständigenrates gilt letztlich für alle Budgetkonzepte, die es unternehmen, den konjunkturellen Impuls des Staates isoliert anhand einer Saidogröße zu messen: „Weder der einfache Budgetsaldo noch der konjunkturbereinigte Budgetsaldo des Sachverständigenrates stellen einen aussagefähigen Maßstab für die Wirkungen der Finanzpolitik oder eine sinnvolle Leitlinie für eine auf Verstetigung der wirtschaftlichen Entwicklung ausgerichtete Budgetpolitik dar. Salden sind in ihrer Aussagefähigkeit begrenzt, weil sie letztlich das Ergebnis des Zusammenwirkens von privaten und staatlichen Entscheidungsträgern sind, weil sie Erwartungsparameter und keine Handlungsparameter darstellen und weil sie sich aus verschiedenen Komponenten mit verschiedenen Nachfrage-und Wachstumseffekten zusammensetzen."
Budgetkonzepte können also nur grobe Richtwerte liefern; zur „Feineinstellung" einer antizyklischen Politik und insbesondere einer konjunkturgerechten Verschuldung taugen sie nicht. Je nach Budgetkonzept kann vielmehr häufig ein-und derselbe öffentliche Haushalt als konjunkturell expansiv, neutral oder kontraktiv dargestellt werden Immerhin kommen auch die unterschiedlichen Konzepte bei der Beurteilung der Finanzpolitik der siebziger Jahre in einem wichtigen Punkt zu einem übereinstimmenden Ergebnis (vgl. Tabelle 2):
Während der gesamten siebziger Jahre, mit Ausnahme der Jahre 1974 und 1975, waren die Wirkungen der Finanzpolitik prozyklisch. Trotz Vollbeschäftigung wirkte die Finanzpolitik der Jahre 1970 bis 1973 expansiv, 1977 bei schwachem Wirtschaftswachstum kontraktiv, 1978 und 1979 bei einer voll in Gang befindlichen wirtschaftlichen Belebung wiederum expansiv. Von der Finanzpolitik der siebziger Jahre gingen also ebenso häufig destabilisierende wie stabilisierende Wirkungen aus. Sie hat zwar 1974/75 den Konjunktureinbruch entscheidend abgemildert, aber durch ihr pro zyklisches Verhalten zu Beginn der siebziger Jahre wahrscheinlich zur Schärfe der Stabilisierungskrise beigetragen 1976/77 hat sie die Entfaltung eines selbsttragenden Aufschwungs verhindert 1978/79 die im Aufschwung liegende Chance zur deutlichen Rückführung der Staatsverschuldung nicht ge nutzt. Diese Kritik gilt dann, wenn man sich auf den Boden einer keynesianischen Argumentationsweise stellt. Sie läßt weitergehende prinzipielle Zweifel der Angebotstheoretike außer acht.
Diese praktischen Fehlleistungen wären dann kein Grund zur Entmutigung, wenn sie das Ergebnis eindeutiger und künftig vermeidbare Fehlentscheidungen wegen der kon
junkturellen Diagnose-und Prognoseunsi cherheiten, wegen der föderativen Finanzver fassung, wegen der Irrationalität politischer Entscheidungsprozesse und der Umsetzungsdauer solcher . Entscheidungen unvermeidlich wären? Dann könnte es sein, daß die Finanzpolitik ihre Verstetigungsaufgabe durch ein trendorientiertes Wachstum der Staatsausgaben unter Verzicht auf antizyklische Einzel-maßnahmen besser erfüllen würde. Die Frage ist also, ob eine antizyklisch wirkende Politik im normalen Auf und Ab der Konjunktur überhaupt möglich ist, weniger dagegen ob sie, wenn sie möglich wäre, auch wirksam wäre.
Die hier allein mögliche empirische Entscheidung ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Die Unterschiede von Land zu Land erschweren die für ein begründetes Urteil notwendige Vergleichbarkeit und kaum je wird sich der Einwand entkräften lassen, daß ja alles besser wäre, wenn nur die Prognostiker, Beamten, besser Politiker wären.
Besonders folgende Einzelprobleme der antizyklischen Finanzpolitik haben sich bisher als ungelöst erwiesen:
— Unvermeidbare Wirkungsverzögerungen bewirken häufig, daß besonders aufgelegte Konjunkturprogramme (die allerdings nur einen Teil der konjunkturellen Gesamtwirkun-gen der Finanzpolitik ausmachen) nicht, wie beabsichtigt, antizyklisch, sondern prozyklisch wirken
— Beschäftigungsprobleme, die sich aus einem erhöhten Strukturanpassungsbedarf ergeben, können mit antizyklischer Nachfrage-steuerung zwar kurzfristig überdeckt, aber nicht gelöst werden
— Die Hoffnung, es sei ein zyklischer Ausgleich einer konjunkturbedingten Verschuldung durch ebenfalls konjunkturbedingte Überschüsse möglich, hat sich als Illusion erwiesen. Vielmehr hat die (durch die Erfahrung 1976/77 bestätigte) Scheu vor den rezessiven Wirkungen eines schnellen Abbaus der Neuverschuldung zum sogenannten „Sperrklinkeneffekt" geführt: Es geht mit der Verschuldung immer nur hoch; nicht einmal ein deutlicher Abbau der Neuverschuldung im Konjunkturaufschwung scheint möglich.
— Nur ein kleinerer Teil der gegenwärtigen Neuverschuldung läßt sich noch durch eine der Unterauslastung des Produktionspotentials entsprechende Antizyklik erklären. Die Neuverschuldung von 39,7 Mrd. DM im Jahre 1979 fand statt bei einer weitgehend wieder erreichten Normalauslastung des Produktionspotentials Ihr Anstieg auf 55, 1 Mrd. DM im Jahr 1980 war durch den beginnenden Konjunkturrückgang nicht gerechtfertigt. Es gab nämlich 1980 keine Nachfragelücke bei den Privaten. Im Gegenteil: Die Nettoneuverschuldung von Staat und Unternehmen überstieg die Nettosparleistung der privaten Haushalte erheblich (vgl. Tabelle 3). Die jährliche Neuverschuldung, einst geplant als Instrument der Antizyklik, ist weitgehend zur Dau-erfinanzierungsquelle normaler staatlicher Aufgaben geworden.
— Die meisten staatlichen Aktivitäten, auch die Bautätigkeit, sind, wenn sie Sinn haben sollen, auf Stetigkeit und Dauerhaftigkeit angelegt und darum zum antizyklischen Einsatz völlig ungeeignet, wenn man Wechselbäder von unvernünftiger Sparsamkeit und forcierter Verschwendung vermeiden will
Solange eine Lösung dieser Probleme nicht in Sicht ist, scheint die Forderung des Sachverständigenrates beherzigenswert, daß „die Rolle der Finanzpolitik im Konzept der Globalsten rung weniger anspruchsvoll formuliert we den sollte, diese Rolle dann aber konsequent als bisher auszufüllen wäre" Dies alles i laubt kein abschließendes Urteil über d Sinn und die Möglichkeiten einer antizyk sehen Finanzpolitik, aber „das grenzenk Vertrauen in die Möglichkeiten der Nach! gefeinsteuerung", das Landmann als i „Quintessenz einer sehr überspitzten Fo des Keynesianismus" bezeichnet scheint denfalls durch die Erfahrungen der siebzif Jahre_widerlegt.
Grenzen der Staatsverschuldung?
Bisher war von den theoretischen und praktischen Fundamenten der Staatsverschuldung als einem Instrument der Wirtschaftslenkung die Rede. Es hat sich dabei gezeigt:
— daß eine eindeutige Entscheidung zwischen keynesianischen und neoklassischen/monetaristischen Lenkungskonzepten weder theoretisch noch (bislang) empirisch möglich ist, — daß vielmehr die Bestimmungsgründe des Ausgabe-und Angebotsverhaltens der Wirt-schaftssubjekte vielschichtig und in ihrer C wichtung schwer bestimmbar bleiben, — daß jedoch eine Abnutzung keynesia scher Rezepturen bei fortgesetzter Anw« düng unverkennbar ist — daß die praktische Bewährung der antiz lischen Finanzpolitik mangelhaft war — und daß diese Mängel — zumindest teilweise — prinzipieller Natur sind.
All dies stellt den Sinn einer forcierten Staatsverschuldung im Dienste der Nachfragestützung in Frage, ohne zu klaren Antworten zu führen. Damit ist noch nichts gesagt, ob und unter welchen Bedingungen die Staatsverschuldung als solche spezifische eigenständige Gefährdungen der wirtschaftlichen Entwicklung mit sich bringt. Auf diese Frage konzentriert sich zunehmend die öffentliche Diskussion, und ihr ist der folgende Abschnitt gewidmet
Das ökonomische Kernproblem ist die Frage, ob nicht der Staat einen übermäßig hohen Teil der Geldkapitalbildung beanspruche und dadurch indirekt — durch die Beeinflussung des Anlageverhaltens, durch zinssteigernde Effekte und im Extremfall auch durch preissteigernde Effekte — private Aktivitäten zurückdrängt (crowding out) und hierdurch letztlich selbst den konjunktur-und beschäftigungspolitischen Handlungsbedarf erzeugt, den er doch durch kreditfinanzierte Staatsausgaben gerade beseitigen möchte.
Solche Befürchtungen gründen, implizit oder explizit, auf der Quellen-oder Kreditfondstheorie des Kapitalmarktes, die davon ausgeht, daß das volkswirtschaftliche Kapitalaufkommen im wesentlichen eine vorgegebene Größe sei, so daß jede Kreditmark, die der Staat ausgebe, ganz unvermeidlich einer alternativen privaten Verwendung entzogen sei
Gegen die Quellentheorie des Kapitalmarkts sind eine Reihe grundsätzlicher Einwände geltend gemacht worden, die die Elastizität des Geldsystems und des Bankenapparates betonen und darauf hinweisen, daß die Staatsverschuldung dem Kapitalmarkt ja keinerlei Mittel dauerhaft entziehe Diese Argumentationslinie gipfelt in Stützels Fontänentheorie, wonach der Kapitalmarkt einer Fontäne vergleichbar sei, der durch den Rückfluß eben jener Mittel immer wieder neu gespeist werde, die ihm durch die Kreditaufnahme entzogen würden Nach der Fontänentheorie wirkt die Staatsverschuldung nicht kapitalverknappend und also auch nicht zinssteigernd. Ein finanzierungstechnisches crowding out privater Aktivitäten kann es praktisch nicht, geben, lediglich ein volkswirtschaftliches crowding out, wenn der Staat bei Vollbeschäftigung mit den Privaten um knappe Ressourcen konkurriert Der empirische Befünd stützt weder Quellen-noch Fontänentheorie in ihrer extremen Form Einerseits vernachlässigt eine Argumentation, die in der Quellentheorie das Kapitalaufkommen als vorgegebene Größe ansieht, über dessen Aufteilung auf verschiedene Schuldner in einer Art „Nullsummenspiel" entschieden werde, die vielfältigen Interaktionen zwischen Kapitalaufkommen und Kapitalverwendung. Es kann grundsätzlich nicht bestritten werden, daß ein Teil der Kreditmittel im volkswirtschaftlichen Kreislauf wieder auf den Kapitalmarkt zurückfließt und dort erneut zur Verfügung steht Das Fontänenbild stimmt sicherlich teilweise. Andererseits beweist die Tatsache, daß Finanzierungslücken am Kapitalmarkt definitorisch geschlossen werden (es gibt keinen Schuldner ohne Gläubiger), überhaupt nichts zur Frage der Verdrängung privater Kreditnehmer durch den Staat. Wenn Verdrängung stattfindet dann durch die Konkurrenz bei den Kreditkonditionen. Selbst eine scheinbar problemlose, inflationsfreie Finanzierung der Staatsdefizite kann — logisch gesehen — mit einem crowding out vereinbar sein, solange nicht genau festgestellt ist, wie sich die staatliche Kreditaufnahme auf die ge-plante Neuverschuldung und sonstige wirtschaftliche Aktivitäten ausgewirkt hat
Stützel untermauert die Notwendigkeit einer Staatsverschuldung in der Bundesrepublik mit dem Hinweis, daß sonst bei gleichem Sparaufkommen der privaten Haushalte die Unternehmensverschuldung hätte höher sin müssen — mit der Folge einer Verstärkung von Konjunkturschwankungen Ehrlicher wendet sich gegen das damit implizierte Argument der „Verschuldungslücke", in die der Staat zur Vermeidung von Nachfrageausfällen einspringen müsse: Es erscheine wenig überzeugend, daß die „Geldvermögensbildung tendenziell über die Nachfrage der privaten Wirtschaftseinheiten nach Geldkapital hinausgeht und der Staat deshalb in wachsendem Umfang Kredite aufnehmen kann ... Auch wenn man eine Zinsabhängigkeit der realen Investitionstätigkeit in gewissem Umfang in Frage stellt, funktioniert die Zinsmechanik in der Steuerung der Kreditmärkte soweit, daß jedes Kapitalangebot absorbiert wird"
Eine Analyse der Finanzierungssalden von Staat, Unternehmen und privaten Haushalten (vgl. Tabelle 3) kann zwar keine Aufschlüsse über kausale Zusammenhänge bringen, weil sie ja unvermeidlich eine Ex-post-Betrachtung ist. Aber sie liefert doch einige Hinweise, die nicht eben die Fontänentheorie stützen: Es ist zum Beispiel nicht so, daß die Notwendigkeit höherer Staatsverschuldung in der notwendigen Absorption einer erhöhten Spartätigkeit der privaten Haushalte begründet läge: Vielmehr ist der Finanzierungsüberschuß der privaten Haushalte, der zu Beginn der siebziger Jahre bei rund 8 % des BSP lag, nach einem kurzfristigen Anstieg auf über 9 % 1975 in den letzten Jahren auf rund 7 % abgesunken.
Die seit 1974 durchgehend hohe Nettokreditaufnahme des Staates hat also nicht die private Netto-Geldkapitalbildung angeregt, wie es der Fontänentheorie entspricht. Nur im Jahre 1974 war der Finanzierungsüberschuß (oder das Netto-Sparen) der privaten Haushalte wesentlich höher als die Finanzierungsdefizite (oder die Netto-Verschuldung) von Staat und Unternehmen zusammen. Aber dies dürfte vor allem durch die exorbitant hohen Zinsen des Jahres 1974 (die zu einem Zusammenbruch der Kreditnachfrage im Wohnungsbau führten) und mit dem Beginn des Angstsparens zu erklären sein. Eine echte „Verschuldungslücke" war dies nicht. Während sich in den Folgejahren der Finanzierungsüberschuß der privaten Haushalte und Finanzierungsdefizite von Staat und Unternehmen ungefähr entsprachen, war 1979 die Neuverschuldung des Staates und der Unternehmen erstmals wesentlich höher als die Netto-Geldkapitalbildung der privaten Haushalte. Dieser Prozeß hat sich 1980 verschärft fortgesetzt. Ein erheblicher Zinsanstieg war die bei einem am Wachstum des Produktionspotentials orientierten Geldmengenwachstum unvermeidliche Begleiterscheinung. Dieser Befund entspricht der Quellentheorie eher als der Fontänentheorie. Ganz offenbar haben die privaten Haushalte ihre Geldkapitalbildung nicht in dem Maße gesteigert, in dem die Verschuldung des Staates und der Unternehmen zunahm. Dazu paßt die Feststellung von Duwendag, daß nur etwa 40 % aus den laufenden Rückflüssen von verausgabten Staatskrediten als Wiederanlagepotential zur Verfügung stehen. Um im Bild der Fontäne zu bleiben: Durch natürliche Verdunstung und Versickerung sinkt der Wasservorrat und damit auch die Fontänenleistung
Seit 1972 ist übrigens im Unternehmenssektor die Neuverschuldung zur Finanzierung von Wohnbauten wesentlich höher als die Netto-kreditaufnahme aller übrigen Produktionsunternehmen. 1978 entfiel das gesamte und 1979 zwei Drittel des Finanzierungsdefizits des Unternehmenssektors auf die Finanzierung von Wohnbauten. Die in den letzten Jahren relativ niedrige Nettokreditaufnahme der übrigen Produktionsunternehmen ohne Wohnungsbau läßt Befürchtungen vor einer Verstärkung des Leverage-Effektes (Fußnote 48) bei niedrigerer Staatsverschuldung als wenig begründet erscheinen. Dagegen erscheint die Befürchtung begründet, daß der Wohnungsbau das Hauptopfer der Konkurrenz von Staat und Unternehmen um knappe Finanzierungsmittel ist. Wenn mögliche Veränderungswirkungen privater Aktivitäten durch die Staatsverschuldung nicht ausgeschlossen werden können, gewinnt die Diskussion um Art und Umfang möglicher crbwding-out-Effekte an Bedeutung. Solange Staatsdefizite nicht durch Geldschöpfung finanziert werden, ist es wenig sinnvoll, Zinswirkungen von Staatsdefiziten generell zu bestreiten. Solche Zinswirkungen ergeben sich auch im Rahmen einer streng keynesianischen Analyse Mackscheidt weist darauf hin, daß in den Analysen der frühen Keynesianer die Wirkungen der Fiskalpolitik nie isoliert untersucht wurden: „Die Frage nach der Leistungsfähigkeit der Fiskalpolitik war ... identisch mit der Überprüfung einer Effizienz bestimmter Kombinationen von budget-und geldpolitischen Effekten."
Auch heute ist weniger die Tatsache von Zins-wirkungen der Staatsverschuldung als solche als vielmehr ihr Umfang und ihr Einfluß umstritten: So gibt auch das Wirtschafts-und sozialwissenschaftliche Institut des DGB (WSI) zu, daß die Zinsen ohne Staatsverschuldung in den letzten Jahren niedriger gewesen wären, es bezweifelt jedoch, daß niedrigere Zinsen einen der Staatsverschuldung vergleichbaren Stimulationseffekt gehabt hätten Die Gegenposition beschreibt Willms wie folgt:
„Ohne die öffentliche Neuverschuldung wäre der Kreditzins auf ein Niveau abgesunken, wie es in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig gewesen wäre. Mit größter Wahrscheinlichkeit wäre sogar der langfristige Realzins, das heißt der um die Inflationserwartung bereinigte Zins, für langfristige Kredite negativ geworden. Ein starker Anreiz auf die private Investitionstätigkeit hätte nicht ausbleiben können."
Neben den Zinswirkungen ist auch eine Verdrängung privatwirtschaftlicher Aktivität durch Vermögenseffekte denkbar, indem die Wirtschaftssubjekte auf die höheren relativen Erträge ihrer monetären Aktiva (da ja der Geldzins aufgrund der staatlichen Neuverschuldung gestiegen ist) mit einer Einschränkung ihrer Ausgaben für Güter und Dienstleistungen reagieren. Auf diese Weise wird nach Meinung von Trapp durch einen kreditfinanzierten Nachfrageschub die nachfolgende Nachfrageschwäche geradezu vorprogrammiert. Das deficit spending produziere auf diese Weise den Handlungsbedarf, den es doch bekämpfen solle Wenn und soweit das deficit spending sparunabhängig durch echte Geldschöpfung geschieht, können zusätzliche xVerdrängungswirkungen durch preissteigernde Effekte der Staatstätigkeit ausgelöst werden
Da man ja nie weiß, welche privaten Investitionen durch eine bestimmte Staatsverschuldung verdrängt werden (gerade die verdrängten Investitionen können die besonders risikoreichen, aber auch zukunftsträchtigen sein), ist auch die pauschale Hoffnung nicht gerechtfer-tigt, die durch die Staatsverschuldung finanzierten öffentlichen Investitionen seien in jedem Falle produktiver als die verdrängten privaten Investitionen
Die empirische Überprüfung von crowdingout-Effekten bereitet große Schwierigkeiten -Auch überzeugte Monetaristen geben zu: „Wie stark der crowding-out-Effekt letztlich ist, läßt sich empirisch kaum ermitteln. Es kann lediglich postuliert werden, daß er um so intensiver ausfällt, je kürzer der Erwartungshorizont der Wirtschaftseinheiten ist und je schneller sie auf die staatliche Wirtschaftspolitik mit Lohn-, Zins-und Preissteigerungen reagieren" (und auf diese Weise die Finanzierung andernfalls möglicher privatwirtschaftlicher Aktivitäten erschweren). Mackscheidt weist darauf hin, daß es selbst dann, wenn die Staatsausgaben stärker als das Volkseinkommen wachsen, keineswegs zwingend ist, auf eine Verdrängung privater Wirtschaftsaktivitäten zu schließen. „Genausogut könnte interpretiert werden, daß der Staat immer stärker in das Preis-Mengen-Gerüst einer Volkswirtschaft eingreifen muß (drawing-inEffekt), damit das Wachstum des Volkseinkommens nicht noch weiter abnimmt."
Solche gegensätzlichen Interpretationen gleicher Fakten sind nach wie vor kennzeichnend für die konjunkturpolitische Diskussion
Auch hier scheint man bislang an eine Grenze der empirischen Überprüfbarkeit ökonomischer Theorien zu stoßen. Generalisierungen in die eine oder andere Richtung erscheinen jedenfalls unangebracht Sicher ist nur, daß es bei dem gegenwärtigen Erkenntnisstand sachlich verfehlt wäre, die Möglichkeit einer ernsthaften Beeinträchtigung fiskalpolitischer Impulse durch crowding-out-Effekte bei der Beurteilung der Staatsverschuldung einfach auszuklammern.
Diese Effekte bilden, wenn und wo sie gegeben sind, nicht nur eine Grenze der Staatsverschuldung, sie stellen vielmehr, falls sie in größerem Umfang auftreten, ihren Sinn überhaupt in Frage.
Grenzen der Staatsverschuldung ergeben sich auch aus den Möglichkeiten einer sinnvollen Kreditverwendung: So ist die Möglichkeit des Ausgleichs anderweitiger Nachfrageausfälle mittels mehr Staatsausgaben durch Unterschiede zwischen staatlicher und privater Nachfragestruktur und die Unmöglichkeit eines schnellen Herauf-und Herunterfahrens öffentlicher Haushalte begrenzt Dagegen sind die finanzwirtschaftlichen Grenzen der Staatsverschuldung, die im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion stehen, gegenwärtig noch von untergeordneter Bedeutung. Schwierigkeiten, sich Kreditmittel in Konkurrenz zu anderen Kreditnehmern zu beschaffen, hätte der zinsrobuste Staat erst dann, wenn das aufgrund der Staatsverschuldung sinkende Vertrauen in die eigene Währung zu unerträglich hohen Devisenabflüssen führen würde In die Nähe einer solchen Situation könnte die Bundesrepublik erst dann kommen, wenn das Leistungsbilanzdefizit und die Nettokreditaufnahme gleichzeitigauf dem gegenwärtigen hohen Niveau verharren würden.
Die Grenze einer finanzwirtschaftlich sinnvollen Staatsverschuldung ist dann erreicht, wenn die gesamtwirtschaftlich vertretbare Kreditquote (Neuverschuldung in % des BSP) nicht mehr höher ist als die Zinsbelastungsquote (Zinsbelastung in % des BSP), denn dann hat die Staatsverschuldung aufgehört, Einnahmequelle zu sein. Nach überschreiten der gesamtwirtschaftlich vertretbaren Kreditquote wird eine absolute Grenze der Staatsverschuldung dann erreicht, wenn die Absorption des gesamten Sparaufkommens durch den Staat nur zur Deckung der Zinsverpflichtungen ausreicht
Diese finanzwirtschaftlichen Grenzen der Staatsverschuldung haben für die finanzpolitische Realität der Bundesrepublik keine praktische Bedeutung. Jedoch ist die Furcht weit verbreitet, die-öffentlichen Haushalte würden durch die wachsende Zinsbelastung mit der Zeit manövrierunfähig. Bünning hat demgegenüber in Modellrechnungen gezeigt, daß bei konstanter Steuerquote und beliebigen — gleichfalls konstanten — nominalen Wachstumsraten des BSP und konstanten Neuver-schuldungsraten (in % des BSP) sich die Zinsbelastungsquote (Zinsausgaben in % der Steuereinnahmen) stets asymptotisch einem Grenzwert nähert. Nimmt man eine durchschnittliche nominale Wachstumsrate des BSP von 7 % und eine jährliche Nettokreditaufnahme in Höhe von 3 % des BSP an und legt man eine Verzinsung der Staatsschuld von 6 % zugrunde, so würde sich die Zinsbelastungsquote (gegenwärtig 7, 5%) langfristig einem Grenz-und Höchstwert von 13, 5 % nähern Finanzwirtschaftlich würde also selbst eine zeitlich unbegrenzte Fortsetzung der Verschuldungspolitik der letzten fünf Jahre tragbar sein. (Die extrem hohen Zinssätze der jüngsten Vergangenheit bleiben hierbei ausgeklammert.) Dies verdeutlicht die argumentative Kurzatmigkeit eines Teils der gegenwärtigen Diskussion über finanzwirtschaftliche Grenzen der Staatsverschuldung.
Ernst zu nehmen ist dagegen ein anderer Aspekt: Auch Zinszahlungen auf die Staats-schuld müssen durch Steuern aufgebracht werden: „Den Privaten wird vom Fiskus Geld aus unsicher schwankenden Einkommen, Umsätzen und Vermögen genommen und dafür vom Fiskus Geld als sicherer fester Zinsbetrag auf die Staatsschuldtitel geliefert."
Eine ähnliche Transformation von unsicheren in sichere Einkommen vollzieht der Staat überall dort, wo staatliche Leistungen aus künftigen Steuereinnahmen heute schon in Art und Umfang rechtlich oder faktisch festgeschrieben sind. Diese Vorab-Festlegung des größten Teils der voraussichtlichen Abgaben auf unsichere, erst noch zu erwirtschaftende Einnahmen der Privaten ist die eigentlich riskante „Staatsverschuldung". Die Zinsbelastung künftiger öffentlicher Haushalte ist hiervon nur ein Teilaspekt, .der vorerst nicht einmal die Bedeutung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung erlangt hat -
über die Risiken dieser Art von Staatsverschuldung in einer unsicheren, sich schnell ändernden Welt gilt es nachzudenken. Die Gefahr staatlicher Handlungsunfähigkeit durch gegenseitige Blockade der vielfältigen Rechts-ansprüche an die öffentlichen Haushalte bei nur noch langsam wachsenden oder gar schrumpfenden Markteinkommen ist das eigentliche Zukunftsrisiko, auf das überzeugende und praktische Antworten bisher nicht gefunden wurden. In diesem Sinne geht es nicht um die Grenzen der Staatsverschuldung, sondern um die Grenzen der staatlichen Leistungsfähigkeit als gigantische Risikotransformations-und Umverteilungsmaschine in einer prinzipiell unsicheren Welt. Indem der Staat die Last zahlreicher Risiken von den Schultern der Privaten nahm, hat er sie nicht beseitigt, sondern zu kollektiven Risiken transformiert. Dieser Prozeß ist für die meisten nicht durchschaubar, daher vielleicht das wachsende Gefühl von Abhängigkeit und diffuser Zukunftsangst, das sich dann in der Öffentlichkeit an einem Reizthema wie der staatlichen Kredit-politik dankbar kristallisiert. Nicht 'weil die Belastung künftiger Staatshaushalte durch den Zinsendienst so ein besonderes, sondern weil sie ein so anschauliches und auch dem in Wirtschaftsdingen ungeschulten Hirn und Gemüt so eingängiges Risiko ist, hat die öffentliche Diskussion um die Staatsverschuldung so eine unerwartete Eigendynamik bekommen. Andererseits geht man auch teilweise am Problem vorbei, wenn man einseitig auf die richtige Erkenntnis abstellt, daß — volkswirtschaftlich gesehen — bei interner Staatsverschuldung eine Verlagerung von Lasten in die Zukunft gar nicht stattfinden könne und von daher gesehen jede Kritik, die auf Zukunftsbelastungen durch die Staatsverschuldung abstelle, vom Ansatz her verfehlt sei’ Staatsverschuldung im Ausland, wie 1980/81, macht darüber hinaus — im Unterschied zu interner Staatsverschuldung — für Zins und Tilgung zukünftige Übertragungen von Realeinkommen ans Ausland notwendig, und ist insofern eine tatsächliche Zukunftsbelastung der Volkswirtschaft Aber weniger eine volkswirtschaftliche Belastung zukünftiger Generationen ist das Zukunftsrisiko, als die durch die Staatsschuld bewirkte Vorab-Bindung eines zusätzlichen Teils unsicherer künftiger Einnahmen. Die Diskussion um die Grenzen der Staatsverschuldung mündet — so verstanden — in die allgemeine Frage, bis zu welchem Grade die heutige Bindung künftiger Einkommen für bestimmte Verwendungszwecke (ob es sich um Beamtengehälter, Zinsausgaben, Soziallei-stungen oder anderes handelt) notwendig, sinnvoll und zu verantworten ist.
Die internationalen Beispiele mehren sich, in denen die allzu unbekümmerte Anhäufung öffentlicher Leistungsverpflichtungen und damit die Konzentration vielfältiger wirtschaftlicher und sozialer Risiken beim Staat auch einst solide und führende Volkswirtschaften an den Rand des Ruins bringt und neue gesellschaftliche Spannungen schafft, anstatt sie zu beseitigen’
Wer die mittel-und langfristigen Risiken in der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung der westlichen Industrienationen für gering oder beherrschbar hält, wer an die Stabilität staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen glaubt und die Problemlösungskapazität des politischen Entscheidungsapparates hoch ansetzt, kurz, wer ein optimistisches Gemüt und einen festen Glauben an die menschliche Vernunft hat (wer sich also durch Zukunftsprobleme in der Gegenwart wenig beschwert fühlt), der wird in der zunehmenden Unbeweglichkeit öffentlicher Haushalte durch die Vorab-Bindung künftiger Einnahmen kein ernst zu nehmendes Problem sehen.
Auch jene werden hierin kein Problem sehen, die dazu neigen, in den meisten Fragen von gesellschaftlicher Bedeutung dem Staat eine höhere Problemlösungskapazität als den Privaten zuzusprechen und die häufig die Steigerung der Staatsausgaben-oder Sozialleistungsquote als Meßziffer des gesellschaftlichen Fortschritts interpretieren. Dagegen wird man die Tendenz zum „HinwegVersprechen" immer größerer Teile künftiger Volkseinkommen um so skeptischer beurteilen, je stärker man daran zweifelt, daß sich die wirtschaftlichen Trends der letzten dreißig Jahre ohne weiteres auch für die kommenden dreißig Jahre zugrunde legen lassen, und je weniger man an die Fähigkeit und den Willen des politischen Entscheidungsapparates glaubt, notfalls auch Besitzstände einflußreicher Empfängergruppen staatlicher Leistungen abzubauen. Aus solch einer Sicht würde es zu einer risikogerechten staatlichen Zukunftsvorsorge auch gehören, durch Verzicht auf perfekte, aber teure Lösungen für allerlei Probleme „zweiter Ordnung" heute die künftigt Problemlösungskapazität des Staates und der Gesellschaft zu stärken — nicht im Sinne ei-nes volkswirtschaftlich unmöglichen „Ansparens“ für . die Zukunft, sondern in dem. Sinne, daß die zukünftige Handlungs-und Reaktionsfähigkeit nicht durch die weitgehende Vorab-Bindung immer größerer Teile des Sozialprodukts gelähmt wird.
In diesem Rahmen auch sollte die zukünftige Rolle der Staatsverschuldung diskutiert werden — weniger als fragwürdiges Instrument zum antizyklischen Ausgleich eines jeden konjunkturpolitischen Wehwehchens, zur Finanzierung von Staatskonsum und von Sozial-transfers (dafür gibt es Steuern und Sozialabgaben), und stärker als Instrument, um die Volkswirtschaft risikofester zu machen durch mehr Investitionen für Energie-und Rohstoff-einsparung, für den Umweltschutz und für den technischen Fortschritt Hier und nicht in einer immer noch weitergehenden Entlastung von immer mehr Bürgern von immer mehr Risiken der unterschiedlichsten Art liegt die Antwort auf japanische und andere Herausforderungen. Es ist im Verlauf dieses Aufsatzes deutlich geworden, daß die Möglichkeiten der Fiskalpolitik, durch gezielte Variation der Staatsverschuldung die Konjunktur zu verstetigen sowie Wachstum und Beschäftigung zu fördern sowohl von den theoretischen Grundlagen wie vom empirischen Befund des letzten Jahrzehnts her eher skeptisch beurteilt werden müssen. Dies verstärkt bei der Beurteilung der Staatsverschuldung das Gewicht möglicher negativer Rück-und Nebenwirkungen.
Andererseits läßt sich nicht die Befürchtung von der Hand weisen, daß eine rigorose Begrenzung der Nettokreditaufnahme Wachstum und Beschäftigung noch stärker beeinträchtigt hätte. Mit dem vorhandenen theoretischen und empirischen Rüstzeug bleibt also bei der konkreten Beurteilung der Staatsverschuldung in einer bestimmten Situation ein erheblicher Unschärfebereich übrig, in dem eindeutige Aussagen nicht möglich sind.
Vor diesem Hintergrund wäre ein Kurs der Finanzpolitik diskussionswürdig, der sich darauf konzentriert, für ein verstetigtes Wachstum der Staatsausgaben entsprechend dem durchschnittlichen Zuwachs des Produktionspotentials und dem mittelfristig angestrebten Staatsanteil unter Verzicht auf betonte Antizyklik Sorge zu tragen. Der hierbei im Auf und Ab der Konjunktur entstehende Nettokreditbedarf wäre dann als unabweisbar zu finanzieren. Darüber hinaus gehende antizyklische Anstrengungen auf der Ausgabenseite sind dagegen — außer bei sehr schweren wirtschaftlichen Einbrüchen — wegen ihres ungewissen Erfolges eher skeptisch zu beurteilen. Wegen der weitgehend ungeklärten, aber jedenfalls nicht auszuschließenden anderweitigen Rückwirkungen und Entzugseffekte der Staatsverschuldung sollte darüber hinaus jede einzelne kreditfinanzierte Maßnahme einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen mit sich bringen, der sie auch unabhängig von konjunktur-politischen Erwägungen rechtfertigt.
Wesentliches wäre erreicht, wenn die Diskussion um die Staatsverschuldung die Sensibilität für das viel allgemeinere Problem der wachsenden Belastung zukünftiger Staatshaushalte durch heute schon eingegangene Verpflichtungen stärken würde.
Thilo Sarrazin, Dr. rer. pol., geb. 1945, Studium der Volkswirtschaft an der Universität Bonn, seit 1975 in wechselnden Funktionen. Tätigkeit im Bundesarbeitsministerium und Bundesfinanzministerium. Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Wissenschaftstheorie, der Wirtschafts-, Finanz-und Sozialpolitik.
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