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Die Zukunft von Landwirtschaft und Landschaft. Eine politikwissenschaftliche Sicht | APuZ 35-36/1981 | bpb.de

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APuZ 35-36/1981 Die Zukunft von Landwirtschaft und Landschaft. Eine politikwissenschaftliche Sicht EG-Agrarpolitik: Kurswechsel oder Bankrott. Die Probleme der europäischen Landwirtschaft drängen jetzt zur Entscheidung Stellungnahme zum Aufsatz von Horst-Albert Kukuck: „EG-Agrarpolitik: Kurswechsel oder Bankrott" Unzureichende Effizienz-und Erfolgskontrolle im UNO-System? Eine Stellungnahme zum Artikel von Otto Matzke in B 20/81 Unzureichende Effizienz-und Erfolgskontrolle im UNO-System. Das Beispiel der Welternährungsorganisation (FAO). Replik auf die Stellungnahme von D. Bommer, Ch. Bonte-Friedheim und Ch. Beringer (FAO, Rom)

Die Zukunft von Landwirtschaft und Landschaft. Eine politikwissenschaftliche Sicht

Peter Cornelius Mayer-Tasch

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Landwirtschaft war nie ausschließliche Angelegenheit des bäuerlichen Berufsstandes, denn sie hat vor allem durch die Versorgung der Bevölkerung, durch die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen sowie nicht zuletzt durch die Sicherung einer krisenfreien Existenz der sie Betreibenden gesamtgesellschaftliche Aufgaben zu erfüllen. Trotz oder gerade wegen dieser weitreichenden Bedeutung ist die Landwirtschaft ins Zwielicht kontroverser Bewertungen geraten. Ihre Grundfunktion der Bereitstellung einer zur Ernährung der Bevölkerung ausreichenden Menge an Nahrungsmitteln erfüllt die Landwirtschaft nurmehr unter den Voraussetzungen unbeschränkter Import-Möglichkeiten von Energie und Rohstoffen. Die Forderung nach Erzeugung gesundheitlich hochwertiger Nahrungsmittel wird ohnedies nur unzureichend erfüllt, was nicht zuletzt die steigende Nachfrage nach Produkten aus dem sogenannten ökologischen Landbau, der ohne Chemikalien auskommt, zur Folge hat. Die zweite Grundfunktion der Landwirtschaft, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, wird nur mangelhaft erfüllt Chemische Düngung, monokulturelle Anbaumethoden, Massentierhaltung und Maßnahmen der Flurbereinigung verwandeln die überkommene Kulturlandschaft in die Zivilisationslandschaft heutiger Prägung. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nimmt kontinuierlich ab; Ursache ist u. a. das unbestreitbare Phänomen der inneren Disparität der Einkommensentwicklung, die größere Betriebe begünstigt, kleinere entsprechend benachteiligt. Wie sehen demgegenüber die Alternativen für den aus, der Derartiges mit Unbehagen und Sorge registriert? Der Verfasser dieses Beitrages sieht als wichtigste Möglichkeit die Abkehr vom vorherrschenden Leitbild der para-industriellen Agrarproduktion und die Rückkehr zum Leitbild einer modifizierten bäuerlichen Landwirtschaft, d. h. weitgehender Verzicht auf Chemie, Abkehr von Massentierhaltung und Monokulturen, zurückhaltender Einsatz von Agrartechnik, dafür Rückkehr zu Produktionsvielfalt, wechselnder Fruchtfolge, natürlichen Methoden zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit u. a. Die dadurch zunächst zu erwartenden Produktionseinbußen können durch Einsparungen bei Chemie und Technik sowie Mehrerlöse für Produkte des ökologischen Landbaus ausgeglichen werden. Höhere Lebensmittelpreise scheinen dann legitimierbar, wenn sie einer Landwirtschaft zugute kommen, die ihrer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe in optimaler Weise gerecht wird. Es ist allerdings unwahrscheinlich, daß die skizzierte Wende durch die Agrarpolitik der EG herbeigeführt wird — sie wird wohl nur durch eine . grüne Gegenrevolution'möglich werden. Die Grundlage dafür ist vorhanden: der kritisch urteilende Verbraucher, der seiner Gesundheit wegen chemiefrei erzeugte pflanzliche und tierische Nahrungsmittel bevorzugt. Für die Landwirte kommt es also darauf an, den latent vorhandenen Bedarf durch die Umstellung ihrer Produktion nicht nur befriedigen, sondern durch alternative Vertriebs-wege auch an den Verbraucher heranbringen zu können. Der zur Umorientierung bereite Landwirt braucht in der heutigen Situation nicht einmal allzuviel Mut, einen Anfang zu machen, denn es werden sich immer neue Formen und Wege der Durchsetzung öffnen, in deren sich wechselweise verstärkenden Sog schrittweise auch die offizielle Agrarpolitik hineingezogen wird. Nicht zuletzt bietet die finanzielle Sackgasse der EG-Agrarpolitik einen Ausgangspunkt für die im Zeichen der grünen Gegenrevolution zu erwartende Umorientierung der Landwirtschaft, die im Prozeß ihres Gesundens zugleich auch die Heilung anderer zivilisatorischer Fehlentwicklungen fördern kann.

Beidiesem Beitrag handelt es sich um die leicht modifizierte Fassung eines Vortrags, den der Verfasser uf Einladung des t ereins für Agrarwirtschaft e. V. m 3. Juli 1980 auf dem Hesselberg gehalten hat.

I. Die sozialen Aufgaben der Landwirtschaft

1. Die erste und wohl auch wichtigste Aufgabe der Landwirtschaft ist die ausreichende und krisensichere Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln von befriedigender Qualität Es ist dies eine Aufgabe, die in dem seit Jahrhunderten andauernden und fortschreitenden Prozeß des Überganges von einer zu kleinräumiger Autarkie tendierenden, landwirtschaftlich geprägten Subsistenz-und Tauschwirtschaft zu einer extrem arbeitsteiligen, industriell geprägten Geldwirtschaft ständig an Bedeutung gewinnen mußte — eine Aufgabe zudem, die angesichts vielfältiger internationaler Interdependenzen auch nicht mehr nur im nationalen Rahmen gesehen werden kann. 2. Die zweite, kaum weniger bedeutsame soziale Aufgabe der Landwirtschaft besteht in der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen. Ging es dabei in unseren Breiten zumeist nur um die nachhaltige Sicherung der Boden-fruchtbarkeit und der Fruchtqualität, so tritt unter den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen unserer Zivilisation auch die Sicherung der Beschaffenheit von Wasser und Luft sowie die Erhaltung des Erholungsund Erbauungswertes der Kulturlandschaft ins Ziel-feld dieser gesamtgesellschaftlichen Funktion.

3. Drittens und letztens — wenn auch keineswegs zuletzt — hat die Landwirtschaft aber auch die Funktion, den sie Betreibenden eine menschenwürdige und krisensichere Existenz zu garantieren — eine Existenz, deren soziale Bedingungen im Zeichen der austeilenden und ausgleichenden Gerechtigkeit den sozialen Bedingungen der andere Wirtschaftszweige Betreibenden in etwa vergleichbar sein müssen. Eine Existenz freilich auch, die nicht zu einer fortwährenden Belastung und Gefährdung der Existenz anderer sozialer Gruppen oder gar der gesamten Gesellschaft führen darf.

Eine Landwirtschaft, die den drei genannten sozialen Funktionen gerecht wird, dient dem Gemeinwohl und formt mithin ein wertvolles Glied des sozialen Organismus. An ihrer Erfüllung oder Nichterfüllung wird daher auch ihre gegenwärtige und künftige gesellschaftliche Wertigkeit zu messen sein.

II. Das große Defizit

Wie wir alle wissen, steht die gegenwärtige Rolle der Landwirtschaft im Zwielicht sehr unterschiedlicher Bewertungen. Angesichts der Tatsache, daß sich diese kontroverse Bewertung der heutigen Landwirtschaft lückenlos in das Netz der ebenfalls kontroversen Bewertung unserer gesamten zivilisatorischen Entwicklung fügt und mithin in immer stärkerem Maße in den Bereich der soziopolitischen Virulenz drängt, gilt es mehr denn je, klare Stel-lung zu beziehen. Aus der Sicht des Autors ergibt die Konfrontation der Gemeinwohlaufgaben der Landwirtschaft mit der Erfüllung dieser Aufgaben eine weithin negative Bilanz: eine negative Bilanz freilich (auch das möchte ich gleich vorweg betonen), die nicht nur den in mancherlei Hinsicht auf den Landwirt angewiesenen Bürger, sondern auch den — auf das Prokrustesbett einer äußerst problematischen Agrarpolitik gespannten — Landwirt selbst eher als Objekt denn als Subjekt gemeinwohl-schädlicher Entwicklungen erscheinen läßt. Worin liegen die Ursachen dieser negativen Bilanz? Ich möchte sie in aller Kürze zusammenfassen: Zu Die Landwirtschaft als Nährstand Was zunächst ihre Rolle als Nährstand anbetrifft, so ist die einzige Funktion der Landwirtschaft, von der man in unserer Region uneingeschränkt sagen kann, daß sie voll erfüllt werde, die der Bereitstellung einer zur Ernährung der Bevölkerung ausreichenden Menge an Nahrungsmitteln. Im räumlichen Bereich der Europäischen Gemeinschaft besteht ein vergleichsweise hoher Grad an Selbstversorgung 1). Schon wenn man die Nachhaltigkeit und Krisensicherheit der Nahrungsmittelproduktion ins Auge faßt, ändert sich jedoch das Bild. Die gegenwärtige Abhängigkeit der Bundesrepublik, aber auch der Europäischen Gemeinschaft insgesamt vom Import von Speiseölen, pflanzlichen Fetten und Frischobst etwa mag in Zeiten der Normalität nicht nur unbedenklich, sondern unter außenpolitischen Aspekten sogar erwünscht sein. In Krisenzeiten jedoch — und wer könnte verkennen, daß wir möglicherweise solchen Krisenzeiten entgegengehen — kann sich eine derartige Abhängigkeit als verhängnisvoll erweisen, zumal sie nicht nur im Hinblick auf die Produkte, sondern auch auf die Produktionsmittel der Landwirtschaft besteht. Der im Zuge der wachsenden Industrialisierung und Konzentrierung der Landwirtschaft drastisch erhöhte Verbrauch von Energie für die Erzeugung und Anwendung von landwirtschaftlichen Maschinen, von Kunstdünger und chemischen Schädlings-und Unkrautvernichtungsmitteln gibt insoweit zu erheblicher Besorgnis Anlaß. Gemessen an der Vorkriegslandwirtschaft benötigt unsere heutige Agrarproduktion (einschl. Verpackung, Lagerung und Transport) einen — je nach Produkt — bis zu zwanzigfachen Energieaufwand, um eine Nahrungsmittelkalorie auf den Tisch des Verbrauchers zu bringen — ein Faktum, das angesichts der enormen ökonomischen und politischen Probleme, die die Energieversorgung heute aufwirft, niemanden froh stimmen kann Nicht nur, aber insbesondere auch im Hinblick auf Krisenzeiten bietet die politische Bemühung um eine weitgehende betriebliche, lokale, regionale und nationale Autarkie im Bereich der Energie-, Rohstoff-und Nahrungs-mittelversorgung einen bedeutsamen Sicherheitsfaktor. Wird er nicht in hinreichender Weise zur Geltung gebracht, so entwickelt sich das Gemeinwesen zu einem gegenüber allen politischen Witterungseinflüssen hochempfindlichen Gebilde. Angesichts ihrer gegenwärtigen Abhängigkeit von Futtermittel-, Dünger-und Energieimporten wäre die deutsche Landwirtschaft im Krisenfall selbst im Bereich der jetzigen Überschußproduktion nicht mehr in der Lage, die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten Hinsichtlich ihrer Einschläferungswirkung wird man sogar sagen müssen, daß die — in den gegenwärtigen Produktionsformen zustande gekommene — Überschußproduktion in Zeiten der Normalität die Unterversorgung der Bevölkerung in Krisenzeiten geradezu provoziert. An die in Krisenzeiten möglicherweise fatale Importabhängigkeit der Vorleistungen für die landwirtschaftliche Produktion wird dann einfach nicht mehr gedacht. Ich sage dies nicht zuletzt auch im Hinblick auf öffentliche Verlautbarungen von Vertretern der Bauernschaft, die unter Hinweis auf die Nützlichkeit der Selbstversorgung in Krisenzeiten die hohen Ausgaben für die gegenwärtige Agrarpolitik der EG zu rechtfertigen versuchen. An die Zeiten, in denen das mehr oder minder autarke Bauerndorf als letzte Zuflucht gelten konnte, wird man sich jedenfalls nurmehr mit einer — alles andere als sentimentalen — Wehmut zurück-erinnern können.

Durch eine Aufweichung des Autarkiezieles läßt sich im übrigen auch nur unter sehr restriktiven, genau abzugrenzenden Bedingungen ein konstruktiver Beitrag zur Verbesserung der Ernährungssituation in der Dritten Welt leisten. Während nämlich etwa in Afrika die landwirtschaftliche Produktion für den Eigenbedarf weithin stagniert, ist die weltmarkt-orientierte Produktion von Agrargütern vielfach alles andere als rückläufig — eine Paradoxie, die auf weit in die Geschichte der europäisch-afrikanischen Beziehungen zurückrei chenden strukturpolitischen Fehlentwicklun gen verweist Auf eine (zugegebenermaßen überspitzte) Formel gebracht, bedeutet der Import von Nahrungsmitteln aus den Entwicklungsländern unter diesen Voraussetzungen die Beschlagnahme von Böden, die diese Länder (eigentlich) zur Produktion von Grundnahrungsmitteln für ihre hungernde und teilweise auch verhungernde Bevölkerung benötigen würde. Und dies nicht selten auch noch gegen Leistungen, die ihre Ernährungssituation direkt oder indirekt weiter verschlechtern.

Ist schon die Grundfunktion der Landwirtschaft, eine quantitativ ausreichende Menge von Nahrungsmitteln zu erzeugen, im Hinblick auf potentielle Krisenzeiten fragwürdig geworden, so gilt dies in noch viel stärkerem Maße für ihre Funktion, qualitativ hochwertige Nahrungsmittel zu erzeugen. Die in einem bekannten Spiegel-Artikel polemisch gestellte Frage „Vergiften uns die Bauern?" wird jedenfalls in den westlichen Industrieländern von einer ständig wachsenden Anzahl von Menschen bejaht. Die steigende Nachfrage nach Produkten aus sogenanntem „ökologischen" (d. h. also organisch-biologischem, biologisch-dynamischem und sonstigem alternativen) Landbau ist außerdem ein untrügliches Indiz dafür. In den USA etwa konnte man eine Steigerung des Umsatzes solcher Produkte von 500 Mill. Dollar im Jahre 1972 auf ca. 3 Mrd. Dollar bis Ende 1980 verzeichnen In einer Zeit, in der die Diebe von gespritzten Blumenkohlköpfen in der Presse vor deren Verzehr gewarnt werden müssen, in der das Bundesgesundheitsamt empfehlen muß, nur noch einmal im Monat Innereien zu essen, in der Mütter nicht mehr wagen können, ihren Säuglingen (nitratgedüngten) Spinat zu bereiten und Wanderer durch den (zuweilen allerdings auch aus durchsichtigen Gründen fingierten) Hinweis auf die Einsprühung von Pflanzungen mit Insektiziden und Herbiziden vom Betreten von Waldungen abgehalten werden müssen, wird man es jedenfalls verstehen können, wenn das Mißtrauen des Verbrauchers gegen die Intensivierung (sprich Industrialisierung und Chemisierung) der Landwirtschaft wächst. Die in pflanzlichen und tierischen Produkten nachweisbaren Rückstände chemischer Produktionsmittel führen zu einer immer gravierenderen Belastung des sozialen Profils der Landwirtschaft. Daß die Schädlichkeit mancher Rückstandssubstanzen für die Gesundheit von Mensch und Tier nicht direkt nachweisbar ist, kann diese Belastung ebenso-wenig mildern wie der Hinweis darauf, daß auch in Produkten aus ökologischem Landbau immer wieder (wenn auch zumeist in erheblich geringerem Maße , unerwünschte Rückstände nachweisbar sind. Kritische Chemiker und Mediziner verweisen auf ihre experimentelle Hilflosigkeit angesichts von Zehntausenden von im Umlauf befindlichen Umweltchemikalien und der Fragwürdigkeit jeder Art'von Höchstmengenphilosophie, die weder synergetische Effekte noch die unterschiedliche Belastbarkeit des menschlichen Organismus berücksichtigt. Und die Tatsache, daß auch in organisch-biologisch oder biodynamisch gewonnenen Produkten ab und zu Rückstände nachweisbar sind, verweist lediglich auf die Allgegenwart dieser Umweltchemikalien und die von steter Überflutung bedrohte insulare Position des ökologischen Landbaus.

Der Autor dieser Überlegungen ist weder Chemiker noch Mediziner, kann also auch aus eigener Fachkompetenz keine Aussage über die Gesundheitsschädlichkeit der von der wandten Chemikalien (in einem so kleinen Land wie der Schweiz werden heute pro Jahr mehr als 3 000 Tonnen Pestizide in den Boden gebracht, in der Bundesrepublik sind es gar ca. 25 000 Tonnen) machen Auch ein Nicht-Naturwissenschaftler muß jedoch keine Skrupel haben, wenn er von seinen eigenen Erfahrungen, vom Geschmack und individueller Bekömmlichkeit etwa oder sonstigen Beobachtungen, die ihn an mehr als einen nur „psychologischen Wert" von biologisch erzeugten Produkten glauben lassen, ausgeht, wie etwa jener Müller, der angesichts des langjährigen Ausbleibens von Mehlwürmern in seiner Mühle entschied, daß er, was jene verschmähten, fortan auch nicht mehr essen wolle Wenn ich die unaufhörlich anwachsende Fülle kritischer Kommentare wirtschaftlich unabhängiger Wissenschaftler mit den — dierekt oder indirekt lancierten — Besänftigungen der an einer intensiv betriebenen Landwirtschaft vital interessierten chemischen Industrie, der im Vertrauen auf die Werbeslogans der Industrie, jedoch insoweit mit gänzlich unzureichendem Sachverstand, handelnden Landwirte und der unter industriellem Lobbydruck stehenden Agrarbürokratie konfrontiere, so fällt es mir jedenfalls nicht schwer, Position zu beziehen: Die Fähigkeit der intensiv betriebenen Landwirtschaft, die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln von hoher gesundheitlicher Qualität zu versorgen, wird m. E. mit gutem Recht in Frage gestellt

Zu 2: Die Landwirtschaft als Erhalterin und Gestalterin von Land und Landschaft In wachsendem Maße fühlbar, sichtbar, meßbar wird aber auch die mangelhafte Erfüllung der zweiten sozialen Grundfunktion der Landwirtschaft — der Funktion der Erhaltung der natürlichen Lebengrundlagen einschließlich des Erholungsund Erbauungswertes der Kulturlandschaft also. Dieselben chemischen Substanzen (samt ihren Abbau-und Umbauprodukten), die sich in der mit der „chemischen Sense" mähenden und mordenden sowie Kunstdünger verwendenden Landwirtschaft in den Nahrungsmitteln festsetzen, gelangen auch in die Erde und das Wasser, wobei in den Oberflächengewässern nicht zuletzt die Phosphat-und im Grundwasser vor allem die Nitratausschwemmungen zum Problem geworden sind Über das zur Weiterverarbeitung und Zubereitung von Nahrungsmitteln benötigte Wasser belasten sie so die Nahrung noch weiter. Und im Verein mit monokulturellen Anbaumethoden gefährdet ihre Ablagerung in der Erde die Bodenfruchtbarkeit in erheblicher Weise. Zudem erhöht sie auch die Gefahr der Bodenabwehung und -abschwemmung — ein Phänomen, das im Rahmen des weltweit rapide fortschreitenden Prozesses der Ausdehnung der Wüsten eine besonders unheilvolle Rolle spielt. Durch die sich immer rascher ausbreitende Massentierhaltung wird aber neuerdings neben der Belastung des Wassers auch die Belastung der Lull durch entsprechende Emissionen in wachsendem Maße zu einem Umweltproblem.

Am auffälligsten jedoch ist die in einem atemberaubenden Crescendo fortschreitende Veränderung der überkommenen Kulturlandschaft zur Zivilisationslandschaft heutiger Prägung. Während jene dem Auge ein vielfältig buntes Nutzungsmosaik zeigte, in dem Waldränder, Hecken, Flurgehölze, Feuchtwie sen und auwaldbegleitete Bäche im Mäander lauf eine arten-und konturenreiche Szeneri darboten und grün umrandete Siedlungen sic an Berghänge und in Talsenken schmiegten tendiert diese in immer stärkerem Maße zu sichtlich verödenden, großräumigen, profil armen und überdies auch durch landschafts fremde (Zer-) Siedlungsformen belastete) agrarischen Produktionsfläche Der mit den Mitteln der Landschaftsplanung, insbesondere im Rahmen einer — nach schrecklichen Anfangssünden etwas vorsichtiger gewordenen — Flurbereinigungspolitik erfolgende Versuch, diesen Verödungsprozeß aufzuhalten, wird solange zum Scheitern verurteilt sein, solange die von der gegenwärtigen Agrarpolitik geförderten para-industriellen und monokulturellen Produktionsformen vorherrschend bleiben.

Das im Ansatz durchaus berechtigte Wort vom Landwirt als Landschaftspfleger ist an angebbare Maßstäbe gebunden. Unter den Vorzeichen der gegenwärtigen Agrarpolitik erscheint der Landwirt in vielen Gebieten weniger als Landschaftspfleger denn als Landschaftsschänder. Die in immer stärkerem Maße beobachtbare emotionale Abwendung des im ländlichen Raum Erholung und Erquik-kung suchenden Bewohners unserer Ballungsräume von derartigen agrarischen Zivilisationsgeländen und ihre — an Binnenwanderungen und Preisentwicklungen auf dem Immobilienmarkt ablesbare — Hinwendung zu jenen Regionen unseres Landes, in denen dieser Verödungsprozeß noch nicht oder noch nicht im selben Umfang vollzogen ist, spricht jedenfalls eine sehr deutliche Sprache. Die ausgeräumte und planierte Agrar, landschaff gehört ebensowenig zu den Zukunftsträumen unserer Bürger wie die von der chemischen Industrie mitgedeckte Tafel.

Zu 3: Die Landwirtschaft als wirtschaftliche Basis für den Landwirt Wenn nach dem Gesagten unabweisbar wird, daß die sozialen Kosten der skizzierten Entwicklung der Allgemeinheit zur Last fallen, so erhebt sich sofort die Frage, ob wenigstens der Landwirt als Vollstrecker der vorherrschenden Agrarpolitik auf seine individuellen Kosten kommt. Auch das ist jedoch keineswegs durchweg der Fall. Ganz abgesehen davon, daß die Abwälzung der sozialen Kosten auf die Allgemeinheit nicht nur den Bürger im allgeKeinen, sondern direkt und indirekt auch den Landwirt im besonderen trifft, steht seine Einkommenssituation im Zeichen der äußeren und inneren Disparität.

Auf die geradezu groteske Dimensionen annehmende Divergenz in der Beurteilung der äußeren Disparität bzw. Parität der Einkommensentwicklung der Landwirtschaft im Vergleich zu der Einkommensentwicklung bei anderen Bevölkerungsgruppen durch die Bauernverbände einerseits und die Agrarbürokratie andererseits möchte ich mich vor allem deshalb nicht einlassen, weil sie nicht zuletzt auf das unbestreitbare Phänomen der inneren Disparität der Einkommensentwicklung zurückzuführen ist. Die unter dem Vorzeichen der EG stehende Agrarpolitik führt zu einer Begünstigung der größeren und zu einer Benachteiligung der kleineren Betriebe. Wenn auch der auf eine extreme Konzentration in der Landwirtschaft ausgerichtete Mansholt-Plan (nicht zuletzt aufgrund entsprechender bayerischer Initiativen) längst seinen Platz im Horrorkabinett der agrarpolitischen Vergangenheit gefunden hat, ist die in mancherlei Hinsicht falsch konzipierte EG-Agrarpolitik der ersten Stunde noch immer unbestreitbar konzentrationsfördernd. Die Subventions-und Preispolitik der EG drängt den um die Sicherung seines Einkommens bemühten Landwirt zu einer ständigen Steigerung der Produktion und damit zu einer stärkeren Konzentrierung und Intensivierung. Lag die Durchschnittsgröße eines landwirtschaftlichen Betriebes um 1950 noch bei ca. 7 ha, so sind es heute ca. 15 ha Die notwendige Kehrseite dieser Medaille ist, daß die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe mit einer Betriebsgröße ab 1 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche im Durchschnitt der letzten zehn Jahre um 3, 4 % im Jahr abnahm während die Abnahme in den vorhergehenden beiden Jahrzehnten noch sehr viel dramatischer war. Tatsache ist jedenfalls, daß in den letzten drei Jahrzehnten in der Bundesrepublik mehr als 3 Mill. Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft ausgeschieden sind Im Bundesdurchschnitt sind nurmehr ca. 6 % Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig Ein gut Teil von ihnen sah und sieht sich nicht nur genötigt, den angestammten Arbeitsplatz, sondern auch den angestammten Lebensraum zu verlassen. Daß sie dann wiederum zu einem Teil Arbeitsplätze in jenen Industrien fanden, die vom Schrumpfungsprozeß der Landwirtschaft profitieren und ihn deshalb auch nach Kräften fördern, wird kaum jemanden trösten können, der nicht gerade sein Selbstbewußtsein aus dem Besitz von Chemie-oder Autoaktien bezieht. Unter den Vorzeichen der weltweit erkennbar werdenden ökologischen Krise muß eine in jeder Hinsicht gesunde Landwirtschaft jedenfalls dem Gemeinwohl sehr viel zuträglicher erscheinen als eine florierende chemische Industrie. In der heutigen Situation einer Strukturellen Arbeitslosigkeit belasten die aus der Landwirtschaft Abwandernden nicht nur die sozioökologische Situation der ohnedies unerträglich belasteten Ballungsgebiete, sondern auch den Arbeitsmarkt: Zum Verlust des angestammten Lebens-und Arbeitsraumes für die einen gesellt sich noch die Inbeschlagnahme potentieller Arbeitsplätze für die anderen. Ein Teufelskreis also, aus dem die gegenwärtige Agrarpolitik keinen Ausweg weiß.

Das Ergebnis der hier vorgetragenen Überlegungen liegt mithin auf der Hand: Würde man den agrarpolitischen Status quo weiterhin akzeptieren oder auch nur tolerieren, so wäre es um die Zukunft von Landwirtschaft und Landschaft und damit auch um die Zukunft allerauf Landwirtschaft und Landschaft Angewiesenen düster bestellt Die Folge wäre die Bewirtschaftung von ca. 83 % unseres Landes durch eine immer kleiner werdende Gruppe von intensiv (d. h. also unter massivem Einsatz von Chemie und Technik) arbeitenden Agraringenieuren und agrarischen Facharbeitern, die ständig fortschreitende Durchdringung der Nahrungsmittel und der sonstigen natürlichen Lebensgrundlagen mit chemischen Rückständen, die wachsende Profilarmut einer chemie-und maschinengerechten Agrarsteppe, die weitere Reduzierung der — nicht zuletzt durch die Methoden der heutigen Landwirtschaft ohnedies schon erheblich reduzierte — Vielfalt der Tier-und Pflanzenarten, die Verwahrlosung von ländlichen Gebieten, die der Sozialbrache anheimgefallen sind, und paradoxerweise auch die Fortschreibung der sozioökonomischen Situation der heutigen Landwirtschaft mitsamt den skizzierten negativen Konsequenzen für die sozioökonomische Situation der nunmehr auf andere Wirtschaftszweige Angewiesenen.

III. Die alternative Zukunft von Landwirtschaft und Landschaft

Wer Zukunftsvisionen der skizzierten Art nur mit Unbehagen und Sorge entgegenzusehen vermag, wird über Alternativen nachdenken müssen. Vor allem aber wird er sich darüber Gedanken machen müssen, wie derartige Alternativen dann aus dem Bereich des Utopischen ins Hier und Jetzt überführt werden können.

1. Wie die Frage nach dem Status quo so hat sich auch die Frage nach den Alternativen an den gesamtgesellschaftlichen Funktionen der Landwirtschaft zu orientieren. Und im Blick auf diese Funktionen empfiehlt sich aus der Sicht des Autors die Abkehr vom heute vor-herrschenden Leitbild der para-industriellen Agrarproduktion und die Rückkehr nicht „in die Steinzeit" (wie die wohlbekannte polemische Formulierung lautet), wohl aber zum Leitbild einer modifizierten bäuerlichen Landwirtschaft als einzige Alternative, die eine hinreichende Erfüllung aller Zielfunktionen der Landwirtschaft verspricht Rückkehr zumLeitbild einer modifizierten bäuerlichen Landwirtschaft heißt also völliger Verzicht auf Massentierhaltung, zumindest weitgehenden Verzicht auf Chemie und einen zurückhaltenden bzw. rationelleren Einsatz von Agrartechnik durch verstärkten Anschluß an Maschinenringe und forcierte Entwicklung von „mittlerer“ Agrartechnologie. Rückkehr zum Leitbild einer modifizierten bäuerlichen Landwirtschaft bedeutet aber auch Abkehr von Monokulturen und Rückkehr zur Vielfalt der Produktion, Besinnung auf überkommene Methoden zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und der Schädlingsresistenz, zu vielfältiger Frucht-folge also, zur Wahl besonders resistenter Sorten, zu organischer Düngung, Kompostierung etc.

Die zumindest kurzfristig zu erwartenden Produktivitätseinbußen (man rechnet je nach konkreter betrieblicher Situation in den ersten Jahren nach der Betriebsumstellung mit 10 bis 30% können zum Teil durch einen Wegfall bzw. eine Kürzung der Ausgaben für Chemie und Technik ausgeglichen werden. Zum anderen Teil aber müssen sie durch höhere Lebensmittelpreise ausgeglichen werden, wie es heute schon für die Produkte aus ökologischem Landbau der Fall ist, die einen Mehrerlös von durchschnittlich 20— 30% erbringen Daß die Höhe der Lebensmittelpreise für die alternative Zukunft der Landwirtschaft eine zentrale Rolle spielen muß, liegt auf der Hand. Nach der Indexrechnung der Lebenshaltungskosten ist der relative Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel am Warenkorb in den vergangenen drei Jahrzehnten ständig zurückgegangen. Verfolgt man die Entwicklung der Lebensmittelpreise noch weiter zurück in die Vergangenheit, so kann man feststellen, daß die Bürger unseres Landes noch niemals einen geringeren Anteil ihres Einkommens für ihre Ernährung ausgeben mußten als in der Gegenwart. Während der Bürger der Goethe-Zeit im Durchschnitt noch ca. 40% seines Einkommens für Lebensmittel ausgeben mußte, sind es heute im Durchschnitt ca. 20%, die aufgewandt werden müssen

Die Reduktion der Durchschnittsausgaben für Nahrungsmittel kommt nicht zuletzt Produktionszweigen zugute, die unter dem Blickwinkel der Politischen Ökologie als äußerst problematisch bezeichnet werden müssen. Die Bereitstellung von Kaufkraft für die Produkte solcher Produktionszweige belastet die sozioökonomische Situation auf doppelte Weise: Zum einen, indem die sozialen Kosten dieser Produkte und ihres Konsums in Kauf genommen werden. Zum anderen aber auch deshalb, weil diese Bereitstellung von Kaufkraft durch Niederhaltung der Lebensmittelpreise die Landwirtschaft unter den gegenwärtigen agrarpolitischen Rahmenbedingungen zu Produktionsformen zwingt, die ihrerseits aus dem Blickwinkel der Politischen Ökologie ebenfalls nicht mehr annehmbar sind. Unter veränderten agrarpolitischen Rahmenbedingungen jedoch könnte die Erhöhung der Lebensmittel-preise einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der gesamtgesellschaftlichen Primär-ziele der Landwirtschaft leisten. Durch den Entzug potentiell sozialschädlicher Kaufkraft (z. B. umweltbelastender Konsum) würde damit en passant auch ein heilsamer Beitrag zur allgemeinen Entschlackung unserer Konsum-und Wegwerfgesellschaft geleistet.

Unter den Vorzeichen der gegenwärtigen EG-Politik würde eine bloße Erhöhung der Agrarpreise wohl lediglich zu einer weiteren Steigerung der Überschußproduktion und damit eher zu einer Verschlechterung als zu einer Verbesserung des Status quo führen. In einer Situation, in der es für den Landwirt vielfach attraktiver erscheint, für die staatliche Intervention als für den Markt zu produzieren und sich im übrigen auf mehr oder weniger geniale Weise mit dem staatlichen Prämiensystem zu arrangieren sind andere Erwartungen je-denfalls kaum gerechtfertigt, zumal die Divergenz zwischen 3%iger Produktionsund ca. 1 %iger Verbrauchssteigerung sich eher noch verstärken als abschwächen wird. Höhere Lebensmittelpreise wären für die Gesellschaft aber im übrigen wohl auch nur dann legitimierbar, wenn sie einer der skizzierten gesamtgesellschaftlichen Aufgaben auf optimale Weise genügenden, nicht aber einer zumindest partiell und tendenziell sozialschädlich wirtschaftenden Landwirtschaft zugute kämen. Im Zeichen einer sich im hier skizzierten Sinne reformierenden Landwirtschaft wäre eine vielleicht sogar dramatische Erhöhung der Lebensmittelpreise gesamtgesellschaftlich voll legitimierbar. Die Rahmenbedingungen der Reform lassen sich aber wohl nur bei einer (zumindest teilweisen) Abkehr von der — ohnedies kaum mehr finanzierbaren — staatlichen Preispolitik jetziger Prägung und einer stärkeren Öffnung des freien Marktes für Agrarprodukte schaffen.

Vor dem Hintergrund einer derartigen Umorientierung könnte die Verbindung von sozioökologischer Reformpolitik und landwirtschaftlicher Einkommens-und Sozialpolitik wohl am ehesten durch die Etablierung eines direkten Subventionssystems bewirkt werden, dessen Bedingungen sorgfältigster Überlegungen bedürften. Nicht mehr legitimierbar sind alle die überkommene Überschußproduktion steigernden Subventionen sowie auch alle jene Subventionen, die umweitund energiepolitisch bedenkliche Auswirkungen haben. Voll legitimierbar sind hingegen personen-oder flächengebundene Bewirtschaftungszuschüsse (insbesondere, aber nicht nur, für Problemgebiete), sofern sie an entsprechende ökologische Auflagen geknüpft sind Quantitative Förderschwellen müßten dabei unter umweit-und strukturpolitischen Vorzeichen nicht nach unten, sondern nach oben gesetzt werden, um dem weiteren Fortgang des sozial-schädlichen Konzentrationsprozesses entgegenzuwirken. Voll legitimierbar wäre unter denselben Aspekten die Subventionierung des An-bzw. Rückkaufs von Hofstellen durch ehemalige oder landlose Landwirte. Und voll legitimierbar wären auch zinslose Umstellungskredite für Landwirte, die von intensiven zu extensiven bzw. von konventionellen zu biologischen Wirtschaftsformen zurückkehren.

Für eine gewisse Übergangszeit könnte dabei ein breites Spektrum von Umstellungsmaß nahmen gefördert werden wie etwa die Abkehr von der Massentierhaltung, der Selbstan bau der für den Betrieb benötigten Futtermittel, der teilweise oder vollständige Verzicht auf Insektizide, Kunstdünger etc. ökologische Auflagen könnten aber auch-wenn nicht statt dessen, so doch daneben-mit einem modifizierten Garantieabnahme und Garantiepreissystem verbunden werden Zu Garantiepreisen abgenommen würden dann Produkte, die unter gewissen Bedingungen (die es im einzelnen festzulegen gälte) erzeugt wurden. Wenn man derartige Ansätze weiterführt, so wäre etwa daran zu denken, daß die derart angekauften Produkte in einer eigenen staatlichen Ladenkette vertrieben oder aber an leistungsfähige private Distributionssysteme angeschlossen würden. Nach dem Vorbild der schweizerischen Migros-Kette, die seit langem organisch-biologisch gezogenes Gemüse und Obst vertreibt, könnten hierzulande dann ebenfalls Großkaufhäuser interessiert werden — eine Lösung, die ich für eine Übergangszeit für vertretbar, langfristig jedoch für nicht erstrebenswert halte, da sie die allenthalben erfahrbare, sozialschädliche Konzentrationstendenz eher noch verschärft als mildert. Von alternativen Distributionsformen wird daher auch noch die Rede sein. Eine Umorientierung des Garantieabnahme-und Garantiepreissystems könnte aber — nebenbei bemerkt — auch einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der ökonomischen Parität innerhalb der Landwirtschaft leisten. Gegenwärtig werden von diesem System vor allem solche Produkte erfasst, bei deren Produktion die Produktionskraft ausgeklügelter Großmaschinen voll realisiert werden kann, was im Ergebnis vor allem den Großbetrieben zugute kommtnund so die innere Disparität werden verschärft. Zur Entschärfung dieser Problematik wäre daher eine Umorientierung der Abnahmegüter dringend erforderlich.

Ein krisensicher, gesunde Nahrungsmittel er zeugender und dabei eine unter sozioökologi sehen Aspekten hochwertige Kulturlandschaft pflegender Landwirt erfüllt eine Ge meinwohlaufgabe, die ihm den Respekt und die Unterstützung der Gemeinschaft sichern muß. Die optimale Erfüllung seiner Gemein wohlaufgabe durch den Einsatz von Steuergeldern abzusichern muß daher auch als politisches sehr viel sinnvoller erscheinen als die — untden Vorzeichen der gegenwärtigen EG Agrar politik — ebenfalls mit Einsatz von Steuerge dem betriebene Förderung einer nicht krisensicheren, Nahrungsmittel von eher fragwürdiger Qualität (in verschwenderischer Fülle, aber auch mit enormem Energieaufwand) produzierenden und die Landschaft vielfach eher gefährdenden oder gar zerstörenden als bewahrenden Landwirtschaft. Die volkswirtschaftliche Rationalität und — darüber hinaus auch — die gesamtgesellschaftliche Legitimität einer den hier skizzierten Leitlinien folgenden Subventionspolitik läge jedenfalls auf der Hand, zumal sie auch einen bedeutsamen Beitrag zur Abschwächung der inneren Disparitätsproblematik leisten könnte.

Die naheliegende und unabweisbare Frage nach den möglichen Auswirkungen einer derartigen Umorientierung auf die deutsche Europapolitik ist im Augenblick noch schwer zu beantworten. Da jedoch die negativen sozioökologischen Implikationen der gegenwärtigen Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft nicht nur für die Bundesrepublik Probleme schafft, wird man schon heute davon ausgehen können, daß bei Einsatz von Überzeugungskraft, politischer Phantasie und wechselseitiger Verständnis-und Ausgleichs-bereitschaft nicht minder integrationsfördernde Ersatzlösungen gefunden werden können, die einen geringeren Grad an Sozial-schädlichkeit aufweisen als die gegenwärtigen Lösungsversuche.

2. über die Notwendigkeit einer agrarpolitischen Wende der hier in sehr knappen Strichen gezeichneten Art wird sich unter den sozioökologisch und sozioökonomisch Bewußten und Vorausschauenden wahrscheinlich unschwer Übereinstimmung erzielen lassen. Zur — auch aus politikwissenschaftlicher Sicht — wohl bedeutsamsten Frage wird daher schließlich, wie sich derartige Ziele im soziopolitischen Raum mit einiger Erfolgsaussicht ansteuern lassem a) Daß die hier ins Blickfeld gerückte agrar-politische Wende in absehbarer Zeit durch eine grundstürzende Umorientierung der gegenwärtigen Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft bewirkt werden könnte, ist äu-berstunwahrscheinlich Und da die Brüsse-* ler Agrarpolitik geradezu das Herzstück der EG-Politik ausmacht und die Integration daher auch auf diesem Sektor besonders weit fortgeschritten ist, wäre auch ein potentieller Alleingang Bonns rechtlich und politisch so gut wie ausgeschlossen. Für entsprechende Initiativen fehlt es aber wohl auch an einer ausreichenden Bewußtseins-und damit auch Motivationsbasis. Das Hineinwirken des — nicht zuletzt auch vom Finanzminister getragenen — öffentlichen Unbehagens auch in die offizielle Aktionsrhetorik der Bundesregierung hält sich wohl im üblichen Rahmen reaktiver Politik. Selbst wenn die entsprechenden Vorstöße weitergeführt würden, würden sie wohl nicht das Zentrum der gegenwärtigen Agrarpolitik erreichen. Weder das Problembewußtsein der etablierten Parteien im allgemeinen und der an der Macht befindlichen Politikergeneration im besonderen noch das Problembewußtsein der — trotz aller Reformrhetorik im großen und ganzen — dem agrarpolitischen Status quo fest verbundenen — Bauernverbände würde derartige Erwartungen rechtfertigen. Wenn es in absehbarer Zeit tatsächlich zu einer — über letztlich periphere Reformen hinausgehenden — agrarpolitischen Wende kommen sollte, so wohl nur im Medium dessen, was ich die „grüne Gegenrevolution" nennen möchte.

b) Da sich die im Sog der allgemeinen zivilisatorischen Entwicklung der westlichen Industriegesellschaften vollziehende sogenannte „grüne Revolution" in ständig wachsendem Maße als eine dramatische Fehlentwicklung erwiesen hat, bedarf es dringlichst einer grünen Gegenrevolution. Diese grüne Gegenrevolution erscheint aber nicht nur als ein unter agrarpolitischen Aspekten zu forcierendes Postulat, sondern vor allem auch als eine in Ansätzen allenthalben erkennbare Tendenz — eine Tendenz, die von der sozialen Basis her in Bewegung gesetzt worden ist und aller Voraussicht nach auch nur dann in politisch bedeutsame Dimensionen hineinwachsen kann, wenn sie sich als solche verstärkt. Und dafür, daß sie sich in naher, nächster und allernächster Zukunft erheblich verstärken wird, sprechen viele Anzeichen: Wir befinden uns in diesem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in einer kulturellen Umbruchsituation, in deren Verlauf das Ethos der Leistung, der Konkur-renz und des Wachstums zumindest in den westlichen Industriegesellschaften Schritt um Schritt durch „das Ethos des sozialen Wohlbefindens, der immateriellen Lebensqualität und der humanen Zuträglichkeit“ ersetzt werden wird. In das Mosaik dieser Grundwerte der allem Anschein nach unsere Menschheitsstunde prägenden Kulturrevolution fügen sich die Grundwerte der hier ins Blickfeld gerückten grünen Gegenrevolution lückenlos ein.

Und von ihr beziehen sie auch ihre Motivation und ihre Dynamik.

Daß die Sorge um die Erhaltung einer arten-und formenreichen (Kultur-) Landschaft unzähligen Menschen in den westlichen Industrie-gesellschaften zu einem dringlichen Anliegen geworden ist, zeigt die bedeutsame Rolle, die landschafts-und naturschützerische Bestrebungen im Rahmen der ökologischen Bewegung seit geraumer Zeit spielen. Landschafts-und Naturschutz einerseits und Landwirtschaft bzw. Agrarbürokratie und Bauernverbände andererseits geraten dabei — etwa im Zusammenhang mit den Bemühungen um die Flurbereinigung, aber auch unter anderen Vorzeichen — immer wieder in Frontstellung zueinander. Es ist dies eine Erscheinung, die in einem unverkennbaren Widerspruch nicht nur zu der historischen, sondern auch zu der normativen Rolle oder doch wenigstens Nebenrolle des Landwirts als Natur-und Landschaftspfleger steht.

In Frontstellung zur inzwischen „konventionell“ gewordenen intensiven Landwirtschaft gerät aber auch der ihre Produkte zunehmend kritischer beurteilende Verbraucher. Von den — nicht zuletzt auf die gesteigerte Nachfrage zurückzuführenden — beträchtlichen Zuwachsraten des ökologischen Landbaues in den USA war bereits die Rede. Die im Jahr 1979 durchgeführte Erhebung von Scheer und Krammer hat ergeben, daß 70% der Österreicher bereit wären, für unverfälschte Produkte aus ökologischem Landbau einen deutlichen Mehrpreis zu entrichten Für die Schweiz hatte eine Migros-Erhebung schon im Jahre 1972 ähnliche Ergebnisse erbracht Und eine — m. W. noch ausstehende — Repräsentativ-erhebung für die Bundesrepublik würde wohl nicht sehr viel anders ausfallen. Wer sich umsieht und umhört, weiß, daß der latente Bedarf an chemiefrei erzeugten pflanzlichen und nicht in (von Ruth Harrison so genannten) „Tiermaschinen" erzeugten tierischen Produkten laufend ansteigt, während sich das in ca. 900 organisch-biologisch und biologisch-dynamisch wirtschaftenden Betrieben (auf ca. 0, 1% unserer landwirtschaftlichen Produktionsfläche) erzeugte Angebot entsprechender Produkte hierzulande noch sehr bescheiden ausnimmt. Es ist dies eine Situation, an welche die deutsche Landwirtschaft zu ihrem eigenen und des ganzen Volkes Nutzen Anschluß gewinnen könnte. Landwirtschaftliche Betriebe, die auf ökologischen Landbau umgestellt haben, hatten dies — wie u. a. auch in der Studie des baden-württembergischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Umweltbestätigt wurde — auch wirtschaftlich nicht zu bereuen. Die nicht immer, aber zumeist niedrigeren Erträge und höheren Arbeitskosten konnten in der Regel durch niedrigere Ausgaben für Energie und Chemie und höhere Erzeugerpreise wettgemacht werden.

Dies setzt allerdings voraus, daß der Landwirt — solange die Umstellung auf den ökologischen Landbau noch nicht zum gesamtgesellschaftlichen System geworden ist — den direkten oder aber einen genossenschaftlich vermittelten Kontakt zum Verbraucher sucht. Da eine wachsende Zahl von Konsumenten bereit ist, den giftfrei wirtschaftenden Produzenten auch im Wortsinne — d. h. also räumlich — entgegenzukommen, sehe ich für diesen Weg echte Entwicklungschancen. Die Milchprodukte — um ein Beispiel zu nennen —, die im Haushalt des Autors verbraucht werden, werden auf einem ca. 25 km von seinem Wohnort entfernt liegenden bio-dynamisch wirtschaftenden Hof erzeugt. Herbeigeschafft werden sie von einer Abholgemeinschaft, der inzwischen ca. zehn Familien angehören. Jede Familie hat so den weiten Weg nur ca. zwei-bis dreimal im Monat zurückzulegen. Mir sind zahlreiche solcher Abholgemeinschaften bekannt. Das Netz derartiger Distributionssysteme wird schon heute immel lichter geknüpft. Würden mehr alternativ roduzierende landwirtschaftliche Betriebe ereit stehen, könnte und würde es sich zweiellos in einer unaufhörlichen Kettenreaktion mmer weiter verdichten. An Distributionsmolelien fehlt es jedenfalls nicht Außer an das rwähnte Abholsystem wäre u. a. zu denken in die Rückkehr zu lokalen und regionalen Gemüsemärkten, an den Aufbau einer rollenlen Verkaufsorganisation (d. h. also an den verkauf vom Wagen) oder auch an den Aufbau einer Haus-zu-Haus-Verkaufsorganisation auf okaler und regionaler Basis. Das in der Ichweiz seit vielen Jahren praktizierte Verahren der Postversendung dürfte in Deutsch-and nur schwer durchsetzbar sein, obwohl es auch hierzulande gar nicht so wenig Haushaltungen gibt, die diesen Weg wählen. Als Verkaufsstätten bieten sich hierzulande in erster Linie die Reformhäuser und die Drogerien an. Gerade für die Drogerien eröffnet sich hier eine neue Chance, da sie durch den Lebensnittelhandel zunehmend in Bedrängnis gera-en sind. Ähnliches gilt übrigens auch für die sei vielen Menschen noch immer oder wieder sehr beliebten Tante-Emma-Läden, denen aus fern Vertrieb von biologisch gezogenen Agrarerzeugnissen eine neue Profilierungs-nöglichkeit erwachsen könnte. Als Faustregel pliebe nur zu beachten, daß der lokalen und egionalen Distribution aus sozioökologischen und damit letztlich auch volkswirtschaftli-: hen) Gründen der Vorrang vor der überregio-lalen Distribution gebührt. Daß dabei die sich weh meinen Informationen auf durchschnitt-ich 55% belaufende Preismarge, die heute die uphemistischerweise sogenannte Verede-ung, die Verpackung und der Vertrieb vom Erzeuger zum Verbraucher verursachen ielfach ganz oder doch weitgehend entfallen könnte, erhöht die wirtschaftliche Attraktivi-ät derartiger Distributionsformen und ist da'er auch darauf angelegt, die Dynamik ihrer Ausbreitung zu fördern.

He Abkehr von dem, was man im Zeichen der ortgeschrittenen Industriekultur als so etwas ie das soziale Grundgesetz unserer Gesell-haft bezeichnen könnte, vom tendenziell „totlitären" Anschlußzwang direkt und indikt immer weiter um sich greifenden Ver-und Entsorgungsstaatlichkeit nämlich, wird sich unter sozioökologischen Vorzeichen ohnedies in immer stärkerem Maße als soziale Notwendigkeit erweisen. Wenn wir den Zwängen der Energie-, Rohstoff-und Landzerstörung entrinnen wollen, werden wir uns in allen Lebensbereichen wieder in stärkerem Maße kleinräumig angelegte soziale und ökonomische Netze aufbauen müssen In der heutigen Situation, in der der geistige Boden für derartige Entwicklungen bereits zu einem gewissen Grade vorbereitet ist, gehört für einen zur Umorientierung bereiten Landwirt nicht einmal mehr übermäßig viel Mut dazu, einen Anfang zu machen. Und wenn dieser Anfang erst gemacht ist, werden sich immer neue Wege eröffnen. Je mehr Landwirte diesen Weg gehen, desto leichter wird sich auch die genossenschaftliche oder quasi-genossenschaftliche Organisation des Vertriebs gestalten lassen; desto leichter wird sich auch die Aufklärung über die individuellen und kollektiven Vorteile dieses alternativen Weges und desto leichter wird sich vor allem auch die in einem pluralistischen System unverzichtbare Organisation der Interessen des ökologischen Landbaus bewerkstelligen lassen. Sowohl die offiziellen Verbandsvertretungen der Landwirtschaft als auch die offizielle Agrarpolitik werden dann Schritt für Schritt in den Sog dieser heute erst auf leisen Sohlen . heranschleichenden'grünen Gegenrevolution geraten. Die dann mehr oder weniger zwangsläufig zu erwartende allmähliche Umstellung der gegenwärtig vorherrschenden, zu Überschußproduktion und ökologischer Mißwirtschaft tendierenden Preisstützungs-und Subventionspolitik auf eine andere Prioritäten setzende Förderungspolitik neuen Zuschnitts wird ihrerseits dazu beitragen, den auf die skizzierte Weise von der Basis her in Bewegung gesetzten Prozeß weiter zu fördern. Die Zwangsläufigkeit dieses Prozesses ist unabweisbar, wie u. a. auch ein Seitenblick auf die Bereiche der Energie-, Verkehrs-und Partizipationspolitik zeigt, wo derartige Erosionsprozesse längst in Gang und zum Teil sogar weit fortgeschritten sind.

Daß sich solche Prozesse wie schon bislang auch in der Zukunft wechselseitig verstärken werden, ist abzusehen. Nichts wirkt im sozialen und politischen Raum nachhaltiger als Parallelität und Vorbild. Systemtheoretisch gesprochen, kann der so erzeugte Rückkoppelungsdruck im Verein mit dem in demokratischen Systemen bestehenden Legitimations-zwang auch die offizielle Agrarpolitik schrittweise reformieren. Und dies um so mehr, als das Unbehagen über die gegenwärtige Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft auch unter anderen als den hier in erster Linie thematisierten sozioökologischen Aspekten zusehends wächst und so Freiräume für neue Gestaltungsimpulse eröffnet. Diese Freiräume dürfen freilich nicht den — an den Bedürfnissen der Tagespolitik orientierten — Wechsel-manövern agrarpolitischer Hilflosigkeit überlassen werden. In diese Freiräume muß vielmehr (und wird wohl auch) in immer stärkerem Maße die beispielgebende Tat.des einzelnen gestellt werden. Die Abkehr von dem aufklärerischen Fortschrittsbegriff, der die Eindimensionalität der zivilisatorischen Entwicklung der letzten drei Jahrhunderte bestimmt hat, erweist sich ohnedies in erster Linie als die Tat einzelner und kleiner Gruppen — bildlich gesprochen von Tropfen also, die sich zu Rinnsalen und Bächen verdichten, um schließlich (daran kann für den Autor kein Zweifel bestehen) zu gebieterischen Strömen anzuschwellen; die grüne Gegenrevolution als Prognose und Appell also unter den Vorzeichen einer tendenziell globalen Kulturrevolution; als Prognose im Hinblick auf die zumindest in den westlichen Industriegesellschaften bereits allenthalben in Gang befindlichen und aller Voraussicht nach auch weiter fortschreitenden sozialen Umwertungsprozesse; und als Appell nicht nur unter Berufung auf eine allgemeine agrarpolitische und volkswirtschaftliche Rationalität, sondern vor allem auch im Hinblick auf die Zielwerte unserer Verfassungsordnung, an der sich Politik wie Politikwissenschaft unabdingbar zu orientieren haben. Durch die konkreten Aktionen und Aktionsziele der heute noch vorherrschenden Agrarpolitik gefährdet sind sowohl Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit als auch Grundsätze der Sozialstaatlichkeit. Aus der Sicht des Autors kann etwa kein Zweifel daran bestehen, daß eine Agrarpolitik, die es nicht nur ermöglicht, sondern gar auf mannigfache Weise fördert, daß unaufhörlich und in ungeheuren Mengen chemische Gifte in unseren Nährboden eingebracht werden und die Substanz unserer Landschaften als Rekreationsraum laufend geschmälert wird, zumindest langfristig in den Kernbereich der Rechtsstaatlichkeit, in das durch Art. 2 des Grundgesetzes garantierte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nämlich, eingreift. Und da sie es tut, obwohl Alternativen realisierbar erscheinen, bin ich auch der Überzeugung, daß dieser Eingriff zumindest tendenziell einen Eingriff in den Wesensgehalt dieses Rechts darstellt, der re.

gelmäßig auf dem Weg einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ermittelt wird.

Aus meiner Sicht kann aber auch kein Zweifel daran bestehen, daß die gegenwärtige Agrarpolitik den Gesetzmäßigkeiten einer wohlverstandenen Sozialstaatlichkeit widerspricht Die soziale Problematik weder der äußeren noch der inneren Disparität kann von ihr auf befriedigende Weise gelöst werden. Und auch t wenn man die Agrarpolitik nur als Steinchen im Mosaik des sozialstaatlichen Defizits unserer — im umfassendsten Sinne sozioökonomisch undsozioökologisch gesehenen—Sozialpolitik sieht, so fällt das Urteil nicht anders aus. Weit davon entfernt, die spezifischen Probleme der Landwirtschaft zu meistem, verstärkt sie auch noch die gesamtgesellschaftlich mehr als fragwürdigen Tendenzen der technologischen, ökologischen und sozialen Konzentration und Zentralisation mit all ihren verhängnisvollen Begleiterscheinungen von der strukturellen Krisenanfälligkeit über die sozioökologische Verelendung bis hin zur Etablierung der Arbeitslosigkeit als einer sich ständig verschärfenden ökonomischen Dauer-krise.

Wenn nicht alle Zeichen trügen, werden wirin Zukunft — wenn überhaupt — nur noch minimale Zuwachsraten haben. Und dies aus den verschiedensten Gründen, die aufzuzählen ich mir hier ersparen will. Von einem nennenswerten Zuwachs an gewerblichen Arbeitsplätzen wird man daher auch vernünftigerweise nicht mehr ausgehen können. Aller Voraussicht nach wird eher das Gegenteil der Fall sein. Daß unter solchen Auspizien von Land-wirtschaftsexperten noch immer das „zügige Ausscheiden" von in der Landwirtschaft Beschäftigten zur Grundlage künftiger Agrarpolitik erklärt wird, ist schwer verständlich.

Wir sollten viel eher davon ausgehen, daß die in der gewerblichen Wirtschaft aus den verschiedensten Gründen entfallenden Arbeitsplätze an anderer, makropolitisch bedeutsamerer Stelle wieder aufgebaut werden müssen.

Und hier bietet sich eben die Landwirtschaft an.

Die beispiellose Entvölkerung des ländlicher Raumes, die wir in den letzten drei Jahrzehn ten erfahren haben, hat weder der Landwirt schäft noch der Landschaft gut getan. Sie au zuhalten und nach Kräften rückgängig zu machen, muß daher im Zielhorizont der grünen Gegenrevolution einen sicheren Platz erhalten.

Die nicht zuletzt finanzpolitische Sackgasse, in die die EG-Agrarpolitik durch ihre beispiellose Fehlallokation von Kapital und Arbeit geschlittert ist bietet einen wohl nicht zu unterschätzenden Ausgangspunkt für die im Zei-chen einer grünen Gegenrevolution zu erhoffenden Basisimpulse für sozial, ökonomisch und ökologisch aufgeklärte und verantwortungsbewußte Landwirte.

Die aus dem Wechselspiel von Basisaktionen und agrarpolitischen Reaktionen zumindest langfristig zu erwartende Umorientierung der Agrarpolitik bietet jedenfalls aus der Sicht des Autors die einzige Chance, die Landwirtschaft wieder zu einem gesunden Glied des gesamtgesellschaftlichen Organismus werden zu lassen, das im Prozeß des Gesundens zugleich auch den Heilungsprozeß anderer von zivilisatorischen Fehlentwicklungen bedrohter und geschädigter Glieder fördern kann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. hierzu u. a. Egon Wöhlken, Nahrungsmittel-verbrauch in Wohlstandsgesellschaften und Nahrungsmittelversorgung in europäischen Ländern, in: Stiftung Ökologischer Landbau (Hrsg.), Ökologischer Landbau — eine europäische Aufgabe, Karlsruhe 1977, S. 21 ff. /28f„ sowie S. 37.

  2. Vgl. Wöhlken, a. a. O., S. 29, 37.

  3. Vgl. FAZ vom 24. 6. 1980.

  4. Vgl. hierzu Eberhard Rhein, Sichern die übet Schüsse wirklich unsere Versorgung mit Nahrungi mitteln?, in: EG-Magazin, Mai 1980, S. 6ff. Vgl. auc G. Weinschenck/F. Aldinger, Anpassungsmöglichkeiten an Versorgungskrisen - Konsequenzen in der Agrarpolitik in: Informationen für die Landwirt-

  5. Vgl. hierzu schon Michael F. Lofchie, Political an Economic Origins of African Hunger, in Journal of Modern African Studies, Bd. XI 1I/75, Nr. 4.

  6. Vgl. hierzu die sehr illustrative Fallstudie . Ghana zu den „Strukturprobleme(n) der Landwirtschaft als Ursachen für Ernährungsschwierigkeiten in der Dritten Welt" von Eva-Maria Kahler (Diplomarbeit Msder Hochschule für Politik, München • 1981,

  7. Der Spiegel, Jg. 1978, Heft 44, S. 86ff.

  8. Zum Sammelbegriff des „ökologischen" Landbaus und dem, wofür er steht, vgl. die „Selbstdarstellung" Von Gerhard Preuschen, in: Stiftung ökologischer Pp au (Hrsg.), Der ökologische Landbau: eine Realität, Karlsruhe 1979, S. 9ff. passim. Zum „organisch-biologischen" Landbau im besonderen vgl. u. a. Erich Siefert, Der organisch-biologische Landbau, m: Stiftung ökologischer Landbau (Hrsg.), Okologischer Landbau — eine europäische Aufgabe, Karlsruhe 1977, s. 39ff., und Wolfgang Schaumann, Der „ 1o/ogisch-dynamische Landbau, a. a. O., S. 53 ff.

  9. Vgl den Hinweis auf Hochrechnungen bei Hart-mut Vogtmann, Zum Beitrag: Konventioneller und d Iternativer Landbau — Vergleichende Untersuchungen über die Qualität der Ernteprodukte, in:

  10. Vgl. u. a. das Interview der Zeitschrift „Test" (Stiftung Warentest), 11. Jg. 1976, S. 82, mit Prof. W. Schuphan, der auf die 12jährigen Vergleichsversuche pflanzlicher Erzeugnisse in der Geisenheimer Bundesanstalt für Qualitätsforschung verweisen konnte. Zu den Qualitätsunterschieden zwischen gedüngten und ungedüngten Agrarprodukten vgl. auch Stefan M. Gergely, Zur Kontroverse um den „biologischen" Landbau, in: Agrarpolitische Rundschau, August 1980, S. 28 ff. (29L), und Hans A. Staub, Alternative Landwirtschaft. Der ökologische Weg aus der Sackgasse, Frankfurt 1980, S. 93ff. (107ff.). Zur Problematik der Qualitätsforschung vgl. allgemein: Eckard von Wistinghausen, Was ist Qualität? Wie entsteht sie und wie ist sie nachzuweisen? Versuche zur Qualitätsfindung im Feldgemüsebau, Darmstadt 1979.

  11. Zur Schweiz vgl. Hans Christoph Binswanger/Werner Geissenberger/Theo Ginsburg (Hrsg.), Der NAWU-Report: Wege aus der Wohlstandsfalle. Strategien gegen Arbeitslosigkeit und UmWeltkrise, Frankfurt/M. 1978, S. 287 ff. Zur Situation in der Bundesrepublik vgl. Egmont R. Koch/Fritz Vahrenholt, Seveso ist überall. Die tödlichen Risiken der Chemie, Köln 1978, S. 227 (mit weiteren Quellen-nachweisen).

  12. Vgl.den Bericht von Michael Frank „Die Kuh nicht immer auf Vollgas fahren" über den Wellenberghof im Chiemgau (SZ vom 17. 10. 1979).

  13. Besonders eindrucksvoll sind in diesem Zusammenhang die Untersuchungen von Prof. Gottschewski vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie in Freiburg i. Br. Vgl. G. H. M. Gottschewski, Neue Möglichkeiten zur größeren Effizienz der toxikologischen Prüfung von Pestiziden, Rückständen und Herbiziden, in: Qualitas Plantarum, Vol. 25 v. 15. 9. 1975, Issue 1, S. 21 ff. Vgl. hierzu auch Hans A. Staub, Alternative Landwirtschaft, a. a. O„ S. 93ff. passim.

  14. So Koch/Vahrenholt, a. a. O., S. 226.

  15. Hierzu und zum folgenden vgl. u. a.den A schnitt „Landwirtschaft und Nahrungsmittel , u Gerd Michelsen/Fritz Kaberlah/Qko-Instin (Hrsg.), Der Fischer Oko-Almanach, Frankfurt 19 S. 126 ff. (mit weiteren Quellennachweisen).

  16. Zur sog. Desertifikationsproblematik vgl. U Werner Schädle, Die Behandlung der Umwet blematik im System der Vereinten Nationen Sa Studie: United Nations Conference on Desertinl tion vom 9. 8. bis 9. 9. 1977), Mag. Diss. Müncne 1979/80.

  17. Vgl. in diesem Zusammenhang u. a. Mayer-Tasch orsg.), Kulturlandschaft in Gefahr, München 1976, sowie Christoph Sening, Bedrohte Erholungslandschaft, München 1977.

  18. Nach Aussagen des Vorsitzenden des Deutschen Bauernverbandes, Freiherr v. Heereman, sind die Einkommen der Landwirte in den vergangenen fünf Jahren um ca. 9, 4% gefallen (vgl. SZ vom 18. 2. 1980). Die Landesversammlung des Bayerischen Bauernverbandes glaubte gar für denselben Zeitraum einen realen Einkommensrückgang von 19% konstatieren zu müssen (vgl. SZ vom 3. /4. 5. 1980).

  19. Nach Verlautbarungen des Staatssekretärs im Bundeslandwirtschaftsministerium, Gallus, stiegen die landwirtschaftlichen Einkommen in der Bundesrepublik von 1968/69 bis 1978/79 um durchschnittlich 7, 5% pro Jahr.

  20. In den Jahren 1969 bis 1978 erzielten die Betriebe im oberen Viertel der Einkommensskala zwischen 200% und 240% des durchschnittlichen Einkommens aller Betriebe, die Betriebe im unteren Viertel dagegen nur ca. 30— 35%. Hinzu kommt ein regionales Einkommensgefälle von Norddeutschland nach Süddeutschland (vgl. die Denkschrift des Vereins für Agrarwirtwchaft, Bussau 1980, S. 18). Vgl. auch den Agrarbericht der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 8/3635, S. 1 f.).

  21. Nach dem Agrarbericht 1980 der Bundesregierung (a. a. O., S. 8f.) betrug 1979 die durchschnittliche Betriebsgröße aller Betriebe ab 1 ha Fläche 15, 01 ha. Sie wurden zu 49% im Vollerwerb, zu 12% im Zuerwerb und zu 39% im Nebenerwerb bewirtschaftet. Bei den Vollerwerbsbetrieben betrug die durchschnittliche Betriebsgröße 23, 25 ha, bei den Zuerwerbsbetrieben 13, 45 ha, bei den Nebenerwerbsbetrieben 5, 07 ha.

  22. Vgl. Agrarbericht 1980 der Bundesregierung (a. a. O-, S. 1).

  23. Vgl. die Zahlenangaben in der Denkschrift des Vereins für Agrarwirtschaft e. V„ a. a. O., S. 16.

  24. Zur Situation auf Bundesebene vgl.den Agrarbericht 1980 der Bundesregierung, Materialband, Bun destagsdrucksache 8/3636, S. 10 (Tab. 2).

  25. Zu den möglichen Alternativen vgl. u. a. die in dem Sammelband von Christoph Binswange (Hrsg.), Die europäische Agrarpolitik vor neuen Alternativen, Bern und Stuttgart 1977, enthaltener Beiträge. Vgl. auch Binswanger/Geissberger/Gins bürg (Hrsg.), Der NAWU-Report: Wege aus de

  26. Diese Prozentzahlen entsprechen einer vielgenannten Faustregel. In manchen ökologischen Betrieben ist die Produktivität nicht niedriger und in manchen ist sie sogar höher als in konventionell geführten (Preuschen, Selbstdarstellung, a. a. O., S. 37, nennt als Beispiel das Schulgut Ebenrain/Sissach/Basel Land, und Alwin Seifert berichtete für die Kartoffelerträge seines Mustergütchens am Ammersee stets dasselbe). Vgl. auch die bei Straub aa. O., S. 57 ff. passim) genannten Beispiele. Zu den Schwierigkeiten, die sich einem repräsentativen Ertragsvergleich zwischen konventionellem und ökoogischem Landbau entgegenstellen, vgl. die Untersuchung des baden-württ. Ministeriums für Ernäh-Landwirtschaft und Umwelt (Stuttgart 1977,

  27. Auch diese Prozentzahlen entsprechen einer gängigen Faustregel, die Ausnahmen nach oben wie nach unten kennt. Diese Zahlen nennt auch Preuschen (Selbstdarstellung, a. a. O„ S. 37).

  28. Vgl. Landbau vom 11. 12. 1979.'Vgl. auch Staub, Alternative Landwirtschaft, a. a. O., S. 62ff., sowie die bei Wöhlken, Nahrungsmittelverbrauch in Wohlstandsgesellschaften und Nahrungsmittelversorgung in europäischen Ländern, a. a. O„ S. 22 L, genannten Vergleichszahlen.

  29. Vgl. hierzu die ebenso entlarvenden wie beschämenden „Bekenntnisse eines Landwirts“ (Heinz Blüthmann, Mein Sohn hält das für Betrug, in: Die Zeit vom 9. 9. 1980).

  30. Vgl. hierzu insbesondere H. C. Binswanger/K. Müller, Möglichkeiten zur Trennung von Preispolitik und Ausgleichszahlungen in Grünlandgebieten. Vorschlag für die Einführung von Flächenbeiträgen, in: Binswanger (Hrsg.), Die europäische Agrarpolitik vor neuen Alternativen, a. a. O., S. 17 ff. passim.

  31. Vgl. hierzu das Interview des Organs der Inter-national Federation of Organic Agriculture Move-ments „ifoam“ mit dem — gerade in der Agrarpolitik pom Saulus zum Paulus gewordenen — ehemaligen dedsidenten der EG-Kommission und früheren nieerländischen Landwirtschaftsminister Sicco MansdortEifoam-Sonderausgabe Januar 1979/80, S. 4): Auf le Frage, ob er ein rechtzeitiges Umdenken und »schwenken der EG-Agrarpolitik für möglich hal&, antwortete Mansholt: „Leider nicht. Ich finde den

  32. So zu Recht Bernd Guggenberger, Die Kulturrevolution der Bürgerinitiativen, in: FAZ vom 29. 9.

  33. Vgl. Vogtmann, a. a. O., S. 70.

  34. Vgl. a, a. O.

  35. Die englische Originalausgabe erschien 1965un ter dem Titel . Animal Machines“. Die Ubersetzuns ist seit 1965 im deutschen Buchhandel (Ruth Harn son, Tiermaschinen. Die neuen landwirtschaftlicher Fabrikbetriebe, München).

  36. Nach jüngsten Angaben der Stiftung ükologr scher Landbau, Kaiserslautern, ist die Anzahl der al ternativ wirtschaftenden Betriebe inzwischen au 900 angewachsen. Die Mehrzahl dieser „alternati ven" oder „ökologischen" Landbau betreibender Höfe liegt im Süden des Landes; sie haben ein durchschnittliche Größe von 15— 20 ha.

  37. Vgl. a. a. O„ S. 40f.

  38. Vgl. hierzu und zum folgenden auch Rudolf R. hreiber, Möglichkeiten eines Marketings für koprodukte, in: Landbau heute: Nahrung mit Gift, ’ankfurt 1977, S. 128 ff.

  39. Vgl. die Zahlenangaben bei Wöhlken, a. a. O„ 23 (mit weiteren Quellennachweisen).

  40. Vgl. dazu Mayer-Tasch, Ökologie und Grundge-h. Frankfurt 1980, S. 69ff. (77).

  41. Vgl. auch dazu ausführlich a. ä. O.

  42. Vgl. a. a. O., passim. .

  43. So W. Henrichsmeyer, in: Agrarwirtschal Heft 4 (1978).

  44. Vgl. neuerdings ausführlich Ernst Zurek, Die vorprogrammierte Misere, Bonn 1980. Vgl. auch Dieter Grosser/Beate Neuß, Europa zwischen Politik und Wirtschaft, Hildesheim 1981, sowie Winfried Münster, Die Klammer, die zum Keil wird, in: EG-Magazin, April 1980, S. 3 ff.

Weitere Inhalte

Peter Cornelius Mayer-Tasch, Dr. jur., geb. 1938 in Stuttgart; seit 1971 Professor für Politische Wissenschaft und Rechtstheorie an der Universität München, seit 1974 auch Mitglied des Lehrkörpers der Münchener Hochschule für Politik; Mitglied des Direktoriums des Geschwister-Scholl-Instituts für Politische Wissenschaft; 1975— 1979 Geschäftsführender Direktor des Geschwister-Scholl-Instituts. Veröffentlichungen u. a.: Korporativismus und Autoritarismus, Frankfurt 1971; Guerillakrieg und Völkerrecht, Baden-Baden 1972; Die Verfassungen Europas, München 1974 2; Hobbes und Rousseau, Aalen 1976 2; Kulturlandschaft in_Gefahr, München 1976; Die Bürgerinitiativbewegung, Reinbek 1976/814; Energiepolitik ohne Basis, Frankfurt 19782 (mit Carl Amry und K. M. Meyer-Abich); Umwelt-recht im Wandel, Opladen 1978; Ökologie und Grundgesetz, Frankfurt 1980; im Druck: Im Gewitter der Geraden. Deutsche Ökolyrik 1950— 1980 (Anthologie), München 1981.