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Das Verhältnis von Wehrmacht und NS-Staat und die Frage der Traditionsbildung — Ein Nachwort | APuZ 34/1981 | bpb.de

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APuZ 34/1981 „holocaust" .Impulse — Reaktionen — Konsequenzen Das Fernsehereignis aus der Sicht politischer Bildung „Der unvergessene Krieg" Informationen -Analysen — Arbeitsvorschläge zu einer Fernsehserie Die Wehrmacht — stählerner Garant des NS-Systems? Zum Aufsatz „Das Verhältnis von Wehrmacht und NS-Staat und die Frage der Traditionsbildung" von Manfred Messerschmidt (B 17/81) Das Verhältnis von Wehrmacht und NS-Staat und die Frage der Traditionsbildung — Ein Nachwort

Das Verhältnis von Wehrmacht und NS-Staat und die Frage der Traditionsbildung — Ein Nachwort

Manfred Messerschmidt

/ 8 Minuten zu lesen

Das Thema hat seit dem Erscheinen meines Beitrages „Kein gültiges Erbe“ in der Süddeutschen Zeitung im Februar d. J. zahlreiche Leser zu Stellungnahmen herausgefordert. Von den vielen zustimmenden soll hier nicht gesprochen werden. Der Interessierte wird aber vielleicht die Information zur Kenntnis nehmen, daß ich bei verschiedenen Gelegenheiten gerade bei jungen Offizieren Zustimmung gefunden habe, so in den beiden Bundeswehr-hochschulen und vor Lehrgangsteilnehmern der Führungsakademie während eines Seminars im Zentrum für Innere Führung.

Von jungen Offizieren wird akzeptiert, daß die Rezeption der Wehrmachtgeschichte unter dem Gesichtspunkt der soldatischen Tradition in der Bundeswehr noch zu leisten ist. Sie registrieren die teilweise schrillen Reaktionen ehemaliger Soldaten auf Kritik am Verhalten der Wehrmacht in der Sowjetunion teilweise mit Verwunderung, teilweise auch wohl mit Resignation. Derartige Reaktionen klassifizieren sich in ihrer Sicht weitgehend als Generationsproblem. Die mir zugegangenen Leserbriefe erhärten diesen Eindruck. Dennoch ist klar, daß das Phänomen damit nicht zureichend umschrieben werden kann. In ihm wird auch ein Informationsmangel sichtbar, der existiert, obwohl zahlreiche Veröffentlichungen zugänglich sind, die ein zureichendes Bild von der Rolle der Wehrmacht im Ostkrieg ermöglichen. Derartige Bücher gewähren keine angenehme Lektüre. Sie rütteln auf und provozieren nicht selten stimmungsgeladene Ablehnung, die mit nüchterner Verarbeitung und Kenntnisnahme nichts zu tun hat.

Ähnliche Reaktionen hat mein Beitrag in dieser Zeitschrift (B 17/81) provoziert. Meist wird der Vorwurf erhoben, die Kritik an der Wehrmacht bediene sich unzulässiger Generalisierungen. Ein sehr anschauliches Beispiel liefert die Stellungnahme von Oberst a. D. Dr. Elble. Er will den Nachweis führen, daß „die Wehrmacht" sich nicht an verbrecherischen Planungen beteiligt haben könne, weil eine Beteiligung „aller Divisionen oder gar Kompanien" nicht nachweisbar sei. Welcher verständige Leser geht aber davon aus, daß Kriegsplanungen auf der Ebene von Kompanien behandelt werden? Ist es nicht erlaubt, von „der Wehrmacht“ zu sprechen, wenn die Oberkommandos der Wehrmachtteile, das OKW und der Generalstabschef mit zahlreichen Offizieren der Stäbe an einer Planung beteiligt waren?

Derselbe Autor, der in punkto Wehrmacht so sensibel ist, scheut sich nicht, generalisierend von der „zu schwachen Überzeugungskraft der demokratischen Parteien“ oder von der politischen Haltung „der Arbeiterschaft“ zu sprechen. Ein anderer häufig benutzter Versuch der Widerlegung besteht in dem Hinweis, daß nur die Äußerungen einiger weniger Generale, vielleicht „brauner Generale", angeführt würden. Damit sei die Mitwisserschaft der Wehrmacht nicht erwiesen, zumal laut „Führerbefehl Nr. 1“ nur jeder Soldat erfahren durfte, was er zur Erfüllung seiner Aufgabe wissen mußte. Nun mußte aber die Wehrmachtführung zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Osten eine ganze Menge wissen, ebenso die Oberkommandos der Wehrmachtteile. Hitler hat schon im März 1941 vor Hunderten von Offizieren klargestellt, welche Art Krieg er im Osten zu führen gedachte — und schon vor Beginn der Kampfhandlungen lieferten ihm OKW und OKH die einschlägigen völkerrechtswidrigen Befehls-entwürfe. Angesichts einer erdrückenden Fülle von Belegen, daß eine gar nicht mehr faßbare große Zahl von Soldaten wußte, worum es im Ost-krieg ging, ist der Hinweis auf den „Führerbefehl Nr. 1“ ein schwaches Argument. Reichenaus in der ganzen Armee bekanntgegebener Befehl vom 10. Oktober 1941 und die einschlägigen Befehle anderer Befehlshaber sorgten für die entsprechende Information. Dazu kam der Augenschein, zu dem viele Soldaten Gelegenheit hatten, oder dienstliche Besprechungen auf verschiedenen Kommando-und Stabs-ebenen. Was beweist der „Führerbefehl Nr. 1“ gegen solche Möglichkeiten der Kenntnisgewinnung? Als Beispiel sei etwa das Dokument PS-197 angeführt, das einen Vermerk vom 27. August 1941 über eine Besprechung im OKH wiedergibt, Neben Vertretern verschie-dener Verwaltungen und des Ostministeriums nahmen diverse Offiziere aus dem Bereich des Generalquartiermeisters sowie der Chef des Generalstabes beim Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebiets Süd und der Chef des Stabes beim Wehrmachtsbefehlshaber Ukraine teil. Sie alle hörten sich den Bericht eines Majors Wagner an, wonach der höhere SS-und Polizeiführer Jeckeln „hoffe", die Liquidation von 11 000 Juden bis zum 1. 9. 1941 durchgeführt zu haben — was bekanntlich auch ist. Einen geschehen Protest hat dieser Bericht in der Runde nicht hervorgerufen.

Beispiele für derartige Gelegenheiten zur Information gibt es in Hülle und Fülle. Sie ergeben zusammen ein in seiner Dichte kaum zu unterschätzendes Netz. Himmler selbst hat am 26. Januar 1944 in Posen vor höheren Frontoffizieren von der Vernichtung von Millionen Juden gesprochen und bei der großen Mehrheit Beifall geerntet, wie ein Teilnehmer — General Rudolf Freiherr v. Gersdorff — berichtet. Bei den Versammelten handelte es sich um Teilnehmer eines Lehrgangs für Generalstabschefs der Armeekorps, der von General Brennecke geleitet wurde. Anwesend war auch Manstein. General Dethleffsen hat mit seinem Beitrag in der FAZ im Februar 1951 wohl an diese Zusammenhänge gedacht, als er schrieb, das alte Offizierkorps sei zuletzt „ein Spiegelbild des Abstiegs aller zur Führung des Volkes berufenen Kreise" gewesen. Er war sich bewußt, daß „ganz von vorn" angefangen werden müßte -Welcher Grad von Sensibilität in den Nachkriegsjahren bei Soldaten in diesen Fragen noch vorhanden war, zeigt u. a.der Beitrag „Cholm-Schädelstätte" von Paul Herzog in der Zeitschrift „Die Wandlung"

Aber in der veröffentlichten Meinung hochrangiger Soldaten dominierte damals schon die Apologie und die nach der Katastrophe geradezu gespenstische Vorstellung von den „erprobten und bewährten geistigen und ethischen Werten des Soldatentums", die etwa der spätere Vorsitzende des VDS, Generaloberst Frießner, mit dem makabren Hinweis vertrat, daß die Kriegsopfer nach dem „ewigen Gesetz — Stirb und Werde —" als „Saatgut" für eine neue und bessere Zukunft angesehen werden sollten.

Offenbar. steht dem historischen Verständnis des Tiefpunkts nationaler und militärischer Geschichte bei vielen ehemaligen Soldaten die Vorstellung entgegen, die Erfüllung soldatischer Aufgaben sei eine unpolitische, in sich ethische Angelegenheit, für deren Bewertung sich die weitergehende Frage nach dem Wofür verbiete. Ein Oberst der Wehrmacht, in um dessen Brief das Bemühen historische Erkenntnis faßbar ist, schrieb den folgenden Satz nieder: „Soldaten-Tugenden, wenn man diese hochtrabende Vokabel bemühen will, ergeben sich funktionell aus der soldatischen Aufgabe. Sie waren und bleiben system-immanente Qualitäten in allen Armeen ... Hier, in diesem Punkt, werden wir uns nicht verständigen können, wenn Sie in Abrede stellen, daß der Soldat ein Wertsystem , sui generis'hat und haben muß, wenn er seine Funktion erfüllen will. Die Formel vom Staatsbürger in Uniform'— ein fehlkonzipierter Slogan — hat die Denkkategorien verwischt."

Aber die Frage nach dem Wofür hat es „in sich". Man kann es sich als Soldat leicht machen und die Verantwortung für Fehlentwicklungen auch im Zusammenhang der Traditionsfrage des Militärs bei der „freien demokratischen Entscheidung der Mehrheit des deutschen Volkes" suchen (Elble). Angebrachter ist, in diesen Fragen von der Reichswehr und Wehrmacht zu sprechen und vom Wofür des Einsatzes im Kriege. Daß der Krieg „für das Vaterland" geführt werde, haben die Deutschen 1939 eher skeptisch vernommen. Die Wehrmachtpropaganda und Tagesbefehle hoher militärischer Führer redeten die Sprache ihres Kriegsherrn. Brauchitsch sprach schon im August 1939 von „Einkreisung", obwohl er wußte, daß Hitler den Krieg planmäßig vorbereiten ließ — auch dies ist doch wohl eine frei übernommene politische Verantwortung gewesen. Hier sprach nicht irgendein General, sondern der Oberbefehlshaber des Heeres. Die „sui generis" -Denkweise steht in schroffem Widerspruch zum Ereignis des 20. Juli 1944. In der deutschen Militärgeschichte läßt sich kein größerer Gegensatz denken. Lange Zeit haben Soldaten die Tat des 20. Juli vorwiegend unter dem Gesichtspunkt des Eidbruchs gesehen. So verbauten sie sich selbst die Erkenntnis der geschichtlichen Dimension des Ereignisses Diese Erkenntnis ist wohl nur möglich, wenn gesehen wird, daß die Eidtreue gegenüber Hit-ler fragwürdig gewesen ist. Wer geht von den Kritikern der generalisierenden Betrachtungsweise denn noch von der Verbindlichkeit dieses Eides aus? Mit welcher Begründung? Wie kann sich jemand auf die Verbindlichkeit dieses dem Verderber von Reich und Nation geleisteten Eides berufen, wenn er zugleich seine Achtung vor den Männern des Widerstandes bekennt?

Der diesjährige Tagesbefehl des Generalinspekteurs zum 20. Juli 1944 kann bei der Einsicht in die Widersprüchlichkeit einer derartigen Position hilfreich sein: „Die Männer und Frauen, die damals ihr Leben aufs Spiel setzten, sind der Stimme ihres Gewissens gefolgt.

Sie waren einer sittlichen Grundhaltung verpflichtet, um deretwillen sie ihr Leben wagten.

Ihr Mut, ihre Tapferkeit und ihre Standfestigkeit in nahezu aussichtsloser Lage verdienen unseren Respekt. Sie haben uns gelehrt, daß diese Tugenden ihren Sinn von den Zielen gewinnen, auf die sie gerichtet sind.“ Den letzten Satz halte ich für den entscheidenden. Und deshalb ist und bleibt es richtig, daß die Bundeswehr bei ihrem Bemühen um Tradition die Frage nach dem Wofür stellen muß: in besonderem Maße, wenn sie sich mit der Geschichte der Wehrmacht beschäftigt. Ein naiver Soldat, der in den Trümmern Deutschlands und Europas zuletzt noch an seinen Führer glaubte, kann, bei aller Tapferkeit, für die Tradition der Bundeswehr nichts leisten.

Mögen jene Kritiker, die sich so sehr an ihrer Meinung nach unberechtigten Generalisierungen reiben, ihre Bereitschaft zu einem deutlichen Wort der Betroffenheit wenigstens inden Einzelfällen zu erkennen geben, die ein eindeutiges Urteil ohne Schwierigkeit erlauben. Mögen sie sich mit dem Generalstabschef Halder beschäftigen, der ja zum Beispiel in Brägen der Strafrechtspflege im Feldheer und gegenüber der Bevölkerung der besetzten Gebiete im Osten direkter Vorgesetzter des „Ge-

nerals z. b. V. beim ObdH“ war. Allein in diesem Bereich ereignete sich Nachdenkenswertes.

Mögen sie sich mit Brauchitsch, Manstein, Rundstedt, Fritsch und Dönitz beschäftigen.

Das wäre ein Anfang. Andere Namen können nachgereicht werden. Mögen sie den jungen Soldaten der Bundeswehr erklären, was Fritsch gemeint hat, als er in einem Erlaß schon 1935 ein Thema wie „Der Kampf um die deutsche Rasse" für wichtig hielt, oder welche oppositionelle Potenz in Mansteins Brief an Beck vom 21. 7. 1938 steckte, in welchem er unterstrich, die Tschechoslowakei müsse von der Landkarte verschwinden.

Den „Antigeneralisten" bietet sich ein reiches Feld der Individualforschung. Vielleicht gelingt manchem von ihnen bei dem Generaloberst Freiherrn v. Fritsch der Einstieg nicht auf Anhieb. Möglicherweise ist dem hier besonders empfindsamen Oberst Dr. Elble gedient, wenn Hitlers rüdes Verfahren Anfang Februar 1938 nicht als „Abhalfterung" qualifiziert wird. Fritsch jedenfalls hat darin alles andere als eine ehrenvolle Entlassung erblickt Bisherige Fritsch-Historiker mögen sich über diesen neuen Akzent wundern. Ihnen sei gesagt, daß sie es hier mit Ergebnissen einer neuen Art der Quelleninterpretation zu tun haben. Sie läßt sich gut an der Geschichte des Hitler geleisteten Eides erläutern: Die Wehrmachtführung hat die neue Formel erfunden, die Soldaten haben geschworen. Da aber sicherlich der eine oder andere dies mit Vorbehalten tat, manche sich auch drücken konnten, ist der Historiker künftig nicht mehr berechtigt, die Wehrmacht mit dem neuen Eid in Verbindung zu bringen, abgesehen natürlich von der Frage der Eidtreue.

Zum Schluß: Was darf der Historiker? Er darf von Sozialisten, Liberalen, Kommunisten, Bolschewisten, Terroristen, von der UNO, der EWG, der Heiligen Allianz, der Einkreisung Deutschlands, der Roten Armee, der Royal Navy, der Währungsreform, der Ehre, von der Kirche, der Bundesrepublik, der Bundeswehr und von der Arbeiterschaft sprechen. Was darf er nicht? Er darf nicht von der Wehrmacht sprechen.

Den historischen Proseminaren ist dringend zu empfehlen, sich in der neuen Technik der Quelleninterpretation zu üben. Ein frischer Wind darf erwartet werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zitiert neuerdings im Beitrag von H. -J. Rautenberg zu dem demnächst erscheinenden 1. Band des vom MGFA begonnenen Werkes „Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik“.

  2. 1. Jg. 1945/46, S. 431— 447. Er wurde mir in einer Leserzuschrift übersandt.

  3. Vgl. Anmerkung 1.

  4. Zit. bei Rautenberg, vgl. Anmerkung 1.

Weitere Inhalte

Manfred Messerschmidt, Dr. phil., geb. 1926; Studium der Geschichte und der Rechtswissenschaft; Tätigkeit in der Wirtschaft; Professor; seit 1970 Leitender Historiker im Militärgeschichtlichen Forschungsamt Freiburg; Lehrauftrag Universität Freiburg. Veröffentlichungen zur deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts u. a.: Die Wehrmacht im NS-Staat, 1969; Militär und Politik in der Bismarckzeit und im Wilhelminischen Deutschland, 1975; Die politische Geschichte der preußisch-deutschen Armee, 1975; Außenpolitik und Kriegsvorbereitung, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, 1979; zahlreiche Aufsätze und Beiträge in Sammelwerken.