Der Beitrag von Manfred Messerschmidt vermittelt Fakten, die bisher wenig bekannt waren. Er kann insofern des Interesses auch in Fachkreisen sicher sein.
Vom Inhalt her wird der Leser jedoch mit Behauptungen und Folgerungen konfrontiert, die ihn rasch mißtrauisch machen: Sollte alles das, was er bisher von der Weimarer Republik, von der NS-Zeit, von Wehrmacht und Krieg wußte, plötzlich so anders gewesen sein? Oder hatte er es hier etwa mit dem „letzten Stand der Forschung“ zu tun?
Im „Nachwort“ findet er die Aufklärung: Eine Kurzfassung dieses Artikels
Reichswehr und „Eliten"
Im vorliegenden Beitrag zeigt Messerschmidt zunächst, daß die 100 000 Soldaten der Reichs-wehr in ihrem Streben nach einem starken Staat, „beruhend auf einer schlagkräftigen Ar-mee und einer möglichst geschlossenen Ge-sellschaft", einig waren mit dem „nationalkonservativen Bürgertum", also mit Menschen „in der Wirtschaft, an den Universitäten, in Justiz und Beamtentum, bei den Agrariern, in den nationalen Verbänden... (S. 11). Im dritten Abschnitt erweitert er diese Kreise noch, wobei er mehrfach von „Eliten" spricht (mit Fischer: „Bündnis der Eliten"). Sicher wäre in jedem Staat ein Einvernehmen zwischen militärischer Führung und den besten Teilen des Volkes — wenn „Elite" auch hier so interpretiert werden darf — wünschenswert. Insofern ist die von Messerschmidt geradezu trauma-tisch und fast vorwurfsvoll wiederholte Darstellung dieses „Bündnisses" wenig verständlich. Seine Aussage entspricht auch nicht der sonst vielfach üblichen Kennzeichnung der Reichswehr als eines „Staates im Staate“.
Worum es Messerschmidt offensichtlich geht, ist das in der Weimarer Republik von Anfang an mangelnde Demokratieverständnis und eine innere Ablehnung des republikanischen Staates — gerade bei diesen „elitären" Kreisen. Wenn diese Denkweise bis in die dreißiger Jahre hinein nicht abgebaut werden konnte, sondern sogar zunahm, lag dies zum wesentlichen Teil wohl an einer zu schwachen Überzeugungskraft der demokratischen Parteien. Die Soldaten der Reichswehr hatten hierauf keinen Einfluß. Sie durften damals weder wählen noch Parteien angehören noch gar dafür werben. Es ist denkbar, daß viele von ihnen „konservativ" und „national" gedacht haben. Dies für alle zu behaupten, geht zu weit. Es ist auch nicht nachweisbar.
Man mag diesen Mangel an Demokratie-und Republikbegeisterung nachträglich bedauern. Tatsache ist, daß die Wählerschaft sich gegen Ende der Weimarer Republik mehr und mehr von den demokratischen Parteien abwandte. Ihre Gunst neigte sich den Parteien zu, die dieB sen parlamentarischen Staat ablehnten, also der NSDAP, der KPD und auch der DNVP. Die Mehrheit der Wähler entschied sich im November 1932 in freier Wahl gegen den Weimarer Staat Mit seiner Formulierung: „Wir können eine ungehemmte Artikulation antidemokratischer, antiparlamentarischer und antiliberaler Kräfte und Strömungen vor und nach 1933 konstatieren. Die Reichswehr gehörte ebenfalls zu diesen Kräften", drückt sich Messerschmidt nicht korrekt aus. So versagt er offensichtlich einer freien demokratischen Entscheidung der Mehrheit des deutschen Volkes den nötigen Respekt. Daneben unterstellt er — generalisierend — „der Reichswehr“ eine nicht beweisbare politische Einstellung.
Wenn zwischen der Reichswehrführung und den „Eliten" eine „Identität der Ziele“ bestand, wie Messerschmidt meint, sollte man die Gründe hierfür nicht verschweigen. Sie lagen weitgehend im Vertrag von Versailles
Mit dieser Methode: Verschweigen der Zusammenhänge, die tatsächlich die Masse des deutschen Volkes der Demokratie entfremdet haben, und Verallgemeinerungen wie „die Reichswehr" erreicht Messerschmidt bereits zu Beginn seines Beitrages die beabsichtigte Einseitigkeit der Darstellung. Darin fährt er fort, indem er mit einigen wenigen Äußerun-gen, die Generale von 1933 bis 1945 von sich gegeben haben, „nachweist", daß „die Wehrmacht" alles gewußt hat, sich also willentlich und bewußt an Verbrechen beteiligt hat. Wider besseres Wissen verschweigt er, daß gemäß „Führerbefehl Nr. 1" jeder Soldat nur das erfahren durfte, was er zur Erfüllung seiner Aufgabe wissen mußte, und daß die meisten der von ihm zitierten Äußerungen — wie viele andere — die Truppe nie erreichten!
Offiziere — Rechtsgelehrte?
An anderer Stelle wirft Messerschmidt Offizieren eine unzureichende Auffassung vom Kriegsvölkerrecht vor (S. 18— 20), obwohl er selbst von einem Wandel in der herrschenden Rechtsmeinung schon für die Zeit vor 1933 spricht und obwohl er weiß, daß Offiziere, wenn sie überhaupt in diesen Fragen gehört wurden, sich nur auf „geltendes Recht" und die von Juristen entwickelten Ansichten berufen konnten. Es ist ihm auch bekannt, daß der „Primat der Politik" wohl kaum jemals in Deutschland härter durchgesetzt wurde als von Hitler — auch und gerade gegenüber dem Militär. Dennoch meint er: „Die Wehrmacht hat ihr Recht, ihre Aufbau-und Rüstungsanstrengungen, ihren Eid, ihre politische Erziehungsarbeit in den Dienst des Nationalsozialismus und Hitlers gestellt."
Wenn es Messerschmidt nicht konsequent um eine gewollte Einseitigkeit ginge, müßte man annehmen, er habe das Wesen dieser Diktatur nicht erfaßt. „Die Wehrmacht“
Ein paar Worte zur Verallgemeinerung des Begriffs „Wehrmacht". Die Uniform darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Wehrmacht, die während des Krieges über 11 Millionen Soldaten umfaßte, in sich ein durchaus heterogenes Gefüge war. Mit einer durch gemeinsame Ziele freiwillig zustande gekommenen Großgruppe ist die Wehrmacht nicht vergleichbar. Sie war eher ein Spiegelbild des gesamten Volkes. Zweifellos gehörten ihr in überwiegendem Maße Männer an, die zur Zeit ihrer Einberufung Mitglieder der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen waren. Die jungen Rekruten waren größtenteils durch die NS-ErZiehung in Schule und HJ gegangen. Daß andererseits der freiwillige Weg in die Wehrmacht vielfach auch als eine moderne Form der „inneren Emigration" (Gottfried Benn) gewählt wurde, ist ebenso bekannt wie die Tatsache, daß zahlreiche Männer ihre vaterländische Pflicht zum Wehrdienst auf sich genomB men haben, obwohl sie dem NS-System ablehnend oder gar feindlich gegenüberstanden
Wer also behauptet, „die Wehrmcht" habe Verbrechen begangen, „die Wehrmacht“ habe versagt, weil sie sich nicht gegen Hitler gewehrt habe usw., macht sich einer ebenso ungeheuerlichen wie primitiven Generalisierung schuldig. Hierzu ein Beispiel: „... ein noch engeres Zusammenwirken von Wehrmacht, Hitler und SS ... kulminierte in der Beteiligung der Wehrmacht an verbrecherischen Planungen und Aktionen“ (S. 12). „Die Wehrmacht" hat sich beteiligt? Alle Armeen? Alle Divisionen oder gar Kompanien? Alle Soldaten
Es mag sein, daß sich bei der Bekämpfung von Partisanen im rückwärtigen Gebiet Teile von Sicherungskräften des Heeres und Teile von Einsatzkommandos der SS gegenseitig unterstützten. Wenn — wie das wohl öfters der Fall war — die Sicherungskräfte nicht ausreichten, blieb wohl gar keine andere Wahl. Messer-schmidts offensichtlich ironisch gemeinter Hinweis auf die „bösen Partisanen" (S. 23) soll wohl den Grund für solche Aktionen verniedlichen. Soldaten der damals älteren Jahrgänge, die bei Versorgungseinheiten oder Sicherungsverbänden im Hinterland Dienst taten und aus dem Hinterhalt zu Krüppeln geschossen wurden, sehen das sicher anders als Herr Messerschmidt. Eine Beteiligung „der Wehrmacht“ an Verbrechen ist auch mit einer solchen temporären Zusammenarbeit nicht bewiesen.
Diktion Von der „Schokoladenseite der bloßen soldatischen Leistung“ (S. 23) sollte niemand sprechen, der noch einen Funken von Respekt vor Entbehrung, Mut, Tapferkeit, Kameradschaft, Opferbereitschaft und schließlich vor dem Opfer an Gesundheit und Leben hat! Der gute Glaube eines Soldaten an die Legitimität und Notwendigkeit des Kampfes für das Vaterland kann nicht dadurch nachträglich in Frage gestellt werden, daß Verbrechen des einen oder anderen Soldaten und Genozidverbrechen der Staatsführung bekannt geworden sind. Dies anzuerkennen, ist Messerschmidt allerdings nicht bereit
Auch sonst befleißigt sich Messerschmidt nicht gerade stets der ausgesuchten Formulierung des distanzierten Wissenschaftlers. So mögen wohl einige NS-Größen den Generaloberst Frhr. v. Fritsch als „abgehalftert" empfunden haben. Stand er doch offensichtlich Hitlers Ambitionen im Wege! — Wollte Messerschmidt sich einer solchen Denkweise anschließen? Oder ging es ihm nur darum, den Gefallenen zu verunglimpfen?
Den Krieg gegen die Sowjetunion als ein „kriminelles Ereignis" zu bezeichnen (S. 18), blieb Messerschmidt Vorbehalten. Die gewiß nicht zimperlichen Richter des Nürnberger Tribunals haben sich zu einer ähnlichen Formulierung und den daraus zu ziehenden Folgen nicht bereit gefunden. Waren also damit alle deutschen Soldaten, die im Osten gefochten haben, Verbrecher?
Die vielfachen Vorhaltungen, „die Wehrmacht“ oder auch „die Offiziere” hätten nicht oder zu selten protestiert oder Widerstand geübt, mögen zum Teil berechtigt sein. Ob Messerschmidt freilich die Frage, welche Gefolgschaft wohl ein hoher General unter den Soldaten seiner Armee oder seines Korps bei einem Putsch gehabt haben würde, bis ins Letzte durchdacht hat, darf bezweifelt werden
Wissenschaft?
Die historische Forschung und die Darstellung historischer Abläufe sollte „veritati soli", also allein der Wahrheit dienen. Diesem Grundsatz wurde Messerschmidt nicht gerecht, da er sich für die Parteilichkeit entschieden hat. In diktatorischen Verhältnissen sind Historiker zur Parteilichkeit gezwungen. Professor Dr. Dr. M. S. Voslensky, der lange unter diesem Zwang gearbeitet hat, meinte kürzlich: „Ich habe große Erfahrung mit der Parteilichkeit der Wissenschaft Sie führt zur Unwissenschaft."
Messerschmidt hat ferner die Denkweise einiger weniger Offiziere generalisiert Aus einer allzu schmalen Quellenbasis hat er Kollektiv-beschuldigungen und Kollektivverurteilungen abgeleitet Ein bekannter Historiker unserer Zeit schreibt hierzu: „Streng genommen kann uns eine Quelle nie sagen, was wir sagen sollen. Wohl aber hindert sie uns, Aussagen zu machen, die wir aufgrund der Quellen nicht machen dürfen. Die Quellen haben ein Vetorecht. Sie verbieten uns, Deutungen zu wagen oder zuzulassen, die aufgrund eines Quellen-befundes schlichtweg als falsch oder als nicht zulässig durchschaut werden können."
Den zitierten Quellen kann also bestenfalls (— schlimmstenfalls —) entnommen werden, daß an einem bekannten Ort zu einer bestimmten Zeit von einem einigermaßen feststellbaren Personenkreis tatsächlich oder wahrscheinlich Verbrechen begangen wur-den. Jede darüber hinausgehende Mutmaßung oder gar Generalisierung ist nicht nur unwissenschaftlich, sondern Verleumdung von Nichtbetroffenen. Das ist dem Juristen Messerschmidt durchaus bekannt Der Vorwurf unredlicher historischer Arbeit mußte Messerschmidt nicht zum ersten Mal gemacht werden
Auf einer wissenschaftlich derart fragwürdigen Basis beruht also Messerschmidts wichtige Erkenntnis: „Die Wehrmacht hat das alles nicht nur erlitten, sie hat daran mitgewirkt Sie war tatsächlich neben der SS der stählerne Garant des Systems" (S. 21). (Daß Messerschmidt bei der SS nicht zwischen anständigen Soldaten der SS-Verfügungstruppe, später Waffen-SS, und verbrecherischen Einsatzgruppen differenziert, war nach seiner bisherigen Haltung zu erwarten!) über diese angeblich generelle Teilhabe an Verbrechen hinaus kann kein Soldat der Wehrmacht vor Messerschmidt bestehen, der bis zum endgültigen Zusammenbruch seinen Eid gehalten hat
Messerschmidt zieht die Folgerungen aus seinen (einseitigen) Erkenntnissen. Daß man aus falschen Prämissen keine richtigen Folgerungen ziehen kann, hat bereits Aristoteles nachgewiesen. Das konnte also auch Messer-schmidt nicht gelingen. Zu dem schwierigen Problem der Traditionspflege hätte man sich aus — beruflich eigentlich doch — kompetenter Feder einen sachlich zutreffenden und über den Dingen stehenden Beitrag gewünscht, der der Sache der Bundeswehr hätte dienen können! Mit dem „letzten Stand der Forschung“ hat diese Anhäufung von Verallgemeinerungen und Verleumdungen nichts zu tun. Der Geschichtswissenschaft hat Messerschmidt einen Bärendienst erwiesen. Ob es Kreise gibt, die sich durch eine solche Darstellung bestätigt fühlen, steht hier nicht zur Debatte. Die Bundeswehr und der Verteidigungsminister werden mit derartigen „Erkenntnissen" nichts anfangen können.
Sicher hat Messerschmidt den Versuch unternommen, die Soldaten der Wehrmacht zu diskriminieren. Es mußte beim Versuch bleiben, da das Volk, aus dessen Söhnen, Gatten, Brüdern und Vätern diese Wehrmacht ja einmal bestand, ein besseres Gespür für diese Dinge hat und ein treffenderes Urteil als manche Theoretiker, die in der Forschung nur eine Bestätigung für ihre Voreingenommenheit suchen.