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„Der unvergessene Krieg" Informationen -Analysen — Arbeitsvorschläge zu einer Fernsehserie | APuZ 34/1981 | bpb.de

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APuZ 34/1981 „holocaust" .Impulse — Reaktionen — Konsequenzen Das Fernsehereignis aus der Sicht politischer Bildung „Der unvergessene Krieg" Informationen -Analysen — Arbeitsvorschläge zu einer Fernsehserie Die Wehrmacht — stählerner Garant des NS-Systems? Zum Aufsatz „Das Verhältnis von Wehrmacht und NS-Staat und die Frage der Traditionsbildung" von Manfred Messerschmidt (B 17/81) Das Verhältnis von Wehrmacht und NS-Staat und die Frage der Traditionsbildung — Ein Nachwort

„Der unvergessene Krieg" Informationen -Analysen — Arbeitsvorschläge zu einer Fernsehserie

Michael Bartsch /Wilhelm Pagels

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Aufsatz setzt sich mit der Frage auseinander, auf welche antizipierbaren Einstellungen beim Publikum die Fernsehausstrahlung einer aus sowjetisch-amerikanischer Perspektive produzierten Dokumentation des deutsch-sowjetischen Krieges 1941— 1945 treffen wird. Bezug genommen wird dabei auf die ab September 1981 in fast allen 3. Programmen der ARD anlaufende Serie „Der unvergessene Krieg". Die Entstehungsgeschichte dieser sowjetisch-amerikanischen Koproduktion sowie die Umstände des Ankaufs durch den WDR und die geplante Sendekonzeption werden kurz dargestellt. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der „Holocaust" -Serie im Rahmen der politischen Bildung wird die Frage gestellt, inwieweit die im Vorfeld der Ausstrahlung des „Unvergessenen Kriegs" entstandenen Kontroversen allgemeine Rezeptionshaltungen beim Publikum widerspiegeln. Ausgewählte Stellungnahmen zum Film werden für die politische Bildung zugänglich gemacht. Die Verfasser gehen davon aus, daß ein Geschichtsverständnis des Zweiten Weltkriegs und besonders des Kriegs an der „Ostfront" wenn überhaupt bei der bundesrepublikanischen Bevölkerung nur in einer systematischen Brechung vorhanden ist. Der Krieg im Osten ist nach wie vor „unbewältigte Vergangenheit". . Die im soge-nannten Kalten Krieg wieder aufgenommenen alten Feindbilder verhindern Einsichten, die das Verhältnis der Deutschen zur Sowjetunion auf eine sich der historischen Verantwortung nicht entziehende Grundlage stellen könnten. Belegt wird diese These durch eine empirische Untersuchung zur Rezeption des Films vor allem bei Jugendlichen. Wo die Geschichtsdidaktik die Notwendigkeit der Aufarbeitung dieses systematisch gebrochenen Geschichtsbilds des Zweiten Weltkriegs akzeptiert, stellt sich die Frage, auf welche Weise dies im Rahmen der primären politischen Sozialisation erworbene Bild aufzubrechen ist. Das Problem liegt dabei darin, daß sich eine Kritik dieses Geschichtsbildes nicht nur in didaktisch-methodisch aufbereiteten Schulstunden, sondern durch die Produktion von „Gegenbildern" leisten läßt, die affektive und emotionale Angebote konträr zu jenen machen, die das zu kritisierende Geschichtsbild eingeschliffen haben. Die Verfasser gehen davon aus, daß der „Unvergessene Krieg" dies leisten könnte. Sie geben in diesem Sinne Hinweise für den Einsatz der Fernsehserie im Rahmen der politischen Bildung.

I. Entstehung der Serie

Wohl selten in der Geschichte des Deutschen Fernsehens — sieht man einmal von „Holocaust“ ab — ist eine Sendereihe schon im Vorfeld ihrer Ausstrahlung mit derart massiver Kritik versehen worden wie die vom WDR angekaufte sowjetisch-amerikanische Dokumentar-Koproduktion „The Unknown War" (WDR-Sendetitel: „Der unvergessene Krieg"). Mehr als zwei Jahre vor der Ausstrahlung hieß es beispielsweise in der Tageszeitung Die Welt: „The Unknown War — zwanzig Stunden Geschichtsverfälschung" Zwar ging „Die Welt“ richtigerweise von einer „sowjetisch-amerikanischen Koproduktion" aus, doch bewertete sie den amerikanischen Anteil zu gering, als sie schrieb, es handle sich um einen „Sowjetstreifen, der mit Hilfe einiger ausgewählter amerikanischer Berater und Air Time International'im Moskauer Zentralstudio für Dokumentarfilme produziert wurde“

Der WDR-Redakteur Michael Eickhoff hat die nicht ganz unkomplizierte Entstehungsgeschichte dieser in vieler Hinsicht bemerkenswerten Sendereihe bei den amerikanischen Beteiligten recherchiert Danach waren die beiden international renommierten und persönlich befreundeten Dokumentarfilm-Regisseure Isaac Kleinerman auf amerikanischer und Roman Karmen auf sowjetischer Seite gewissermaßen die „Väter“ des Projekts. Ihr Grundkonzept war die Zusammenstellung einer Dokumentarserie über den deutsch-sowjetischen Krieg 1941— 1945, die hauptsächlich aus im Westen bisher unbekanntem Material sowjetischer Archive zusammengestellt werden sollte. Als Drehbuchautor konnte Harrison E. Salisbury gewonnen werden. Mit ihm hatte man zweifellos einen kompetenten Fachmann gefunden. Salisbury war während des Krieges und lange Jahre danach als Korrespondent der Nachrichtenagentur UPI bzw.der New York Times in der Sowjetunion und kannte den Krieg daher aus eigener Anschauung. Er ist ferner als Autor einer Reihe von auflagenstarken Sachbüchern hervorgetreten, eines davon über die Belagerung Leningrads. Nach eigenen Aussagen war Salisbury sehr skeptisch, ob seine Drehbücher und Filmpläne von den Sowjets akzeptiert würden, da er aufgrund einer Reihe kritischer Artikel in der Sowjetunion scharf angegriffen worden war. Drehbuch und Serienkonzept wurden indes zu seiner Überraschung von den sowjetischen Partnern akzeptiert. Darüber hinaus einigte man sich darauf, die auf zwanzig Folgen konzipierte Serie in beiden Staaten in identischen Fassungen auszustrahlen. Moderator sollte der Schauspieler Burt Lancaster sein.

Nach umfangreichen Vertragsverhandlungen auf der Grundlage dieses Konzepts zwischen der staatlichen sowjetischen Filmgesellschaft SOVINFILM in Moskau und der amerikanischen „AIR TIME INTERNATIONAL" begann 1976/77 schließlich die Produktion. Wie kaum anders zu erwarten, entstand bei der konkreten Arbeit eine Reihe von Problemen. Sie resultierten im wesentlichen daraus, daß sich die amerikanische Seite sowohl die künstlerische Oberleitung als auch das Recht auf Auslassung aller Passagen, die als „Propaganda" interpretierbar gewesen wären, ausbedungen hatte. Diese in zahlreichen Einzelfragen auftauchenden Konflikte waren nach den Worten des amerikanischen Produzenten Kleinerman nur durch das gemeinsame Ziel, mit der Serie einen Beitrag zur Entspannung leisten zu wollen, überbrückbar. In der Tat kann die Koproduktion aus heutiger Sicht als Produkt der „Detente" bezeichnet werden. Sie wäre wohl zum gegenwärtigen Zeitpunkt ebensowenig möglich wie ein erneutes gemeinschaftliches Raumfahrtunternehmen. Auf amerikanischer Seite war man insgesamt gesehen mit dem Ergebnis zufrieden. Daß man entgegen den Absprachen in der sowjetischen Fassung den Titel änderte (in „Der Große Vaterländische Krieg") und die Szenen, in denen Stalin auftrat, kürzte, stieß zumindest nicht auf völliges Unverständnis bei den Amerikanern. Entstanden war nach zweijähriger Arbeit an den Schneidetischen eine zwanzigteilige Darstellung der Ereignisse an der deutsch-sowjetischen Front der Jahre 1941— 1945 aus der Sicht der damals Angegriffenen und aus der Sicht derjenigen, die sich gegen diesen Angriff verbündeten: der Anti-Hitler-Koalition.

Ankauf durch den WDR Beim ZDF gab es erhebliche Vorbehalte gegen „die Tendenz" des Films. Hinzu kam, daß eine zwanzigteilige Serie im Mainzer Programm-konzept kaum unterzubringen war. So entschied man sich schon im Juli 1979 gegen den Ankauf. Anders beim WDR. Im September 1979 stimmte der Verwaltungsrat des WDR der Vorlage von Fernsehprogrammdirektor Heinz Werner Hübner und Fernseh-Chefredakteur Theo M. Loch zu, die Serie anzukaufen. Die Diskussion um die im Januar 1979 ausgestrahlte Serie „Holocaust“ war gerade abgeklungen. Aufgrund der Resonanz, die die nun anstehende neue Serie bis dahin in den USA, der Sowjetunion und der DDR gefunden hatte, konnte man schon damals, besonders unter Berücksichtigung spezifisch deutscher Probleme, von einem großen Echo und zum Teil massiver Kritik bei der Ausstrahlung ausgehen.

Der zuständige Redakteur, Jürgen Rühle, der zusammen mit Programmdirektor Hübner schon den Ankauf von „Holocaust“ betrieben hatte, begründete die Entscheidung für den Ankauf von „Der unvergessene Krieg“: „Wir sind der Meinung, daß wir große Filmereignisse internationalen Ranges nicht ignorieren können. Ein solches internationales Filmereignis ist zunächst auch einmal diese Filmserie. Vor dieser Fragestellung standen wir auch schon bei . Holocaust'. Wir standen dabei auf dem Standpunkt: wir können nicht zeigen, was die Amerikaner mit den Negern gemacht haben, und verschweigen, was wir mit den Juden gemacht haben, wenn es sich dabei um ein internationales Filmereignis handelt (...) Wir versuchen, da wir Geschichte ohnehin nicht aktuell verstehen und verkaufen, geschichtliche Ereignisse nachzutragen, die für einen großen Teil des Publikums Vergangenheit sind, an die man sich erinnert, oder die für einen anderen Teil völlig neu sind. Dieser Krieg im Osten, mit seiner ganzen Ungeheuerlichkeit und seinem Schrecken, ist natürlich für eine heutige Generation schwer vorstellbar. Vietnam, das ist irgendwo Exotik. Aber man kann die Nachkriegsgeschichte, unsere ganze Politik nicht verstehen, man kann die Vertreibung, die Grenzen, die Ostverträge nicht verstehen, wenn man nicht weiß, daß so etwas hier bei uns stattgefunden hat. Das Fernsehen erscheint mir das Medium zu sein, das imstande ist, diese Fakten als Erlebnis zu vermitteln. Nicht nur als Information, sondern auch als Erlebnis. Was diesen Film geeignet macht, von uns gesendet zu werden, ist die Tatsache, daß er trotz seiner sowjetischen Sicht fair gegenüber den Deutschen ist. Er schildert die Schrecken für alle betroffenen Völker ohne Unterschied. Er zeigt nicht: die Russen leiden zu Unrecht, und die Deutschen leiden zu Recht Sein Hauptargument ist aufzuzeigen, welch ein Schrecken der Krieg für alle betroffenen Völker ist“

Zum damaligen Zeitpunkt handelte es sich beim Ankauf der Serie praktisch um einen Alleingang des WDR, da noch keine Zusagen von anderen ARD-Sendeanstalten vorlagen, die Ausstrahlung zu übernehmen. Erst seit einem gemeinsamen Sichtungstermin im Frühjahr 1981 erscheint es als gesichert, daß die übrigen Sendeanstalten der ARD zumindest Teile der Serie übernehmen.

Die Konzeption des WDR Der WDR zeichnet für die bundesrepublikanische Fassung verantwortlich. Die Redakteure des WDR trugen der zu erwartenden Kontroverse durch eine besondere Sendekonzeption und eine eigene Bearbeitung Rechnung. Eine Übernahme der DDR-Textfassung — wie es offensichtlich „Die Welt" in dem zitierten Artikel glauben machen wollte — stand bei den Verantwortlichen des WDR zu keinem Zeitpunkt zur Debatte. Michael Eickhoff besorgte eine neue Übersetzung der amerikanischen Fassung, in der die Bezeichnung „Nazis" oder „Faschisten" für Wehrmachtsangehörige durch weniger negativ besetzte Vokabeln ersetzt werden. Darüber hinaus produzierte der WDR zu jeder Folge ein sogenanntes „Historisches Stichwort“ von 15 Minuten Länge, welches jeweils an die 45minütige Folge der Sendereihe anschließt. Die „Historischen Stichwörter" enthalten persönliche Eindrücke von Augenzeugen, vertiefende Erläuterungen von Fachwissenschaftlern oder notwendige Ergänzungen bei offenkundiger Eindimensionalität der Darstellung von Ereignissen. So nimmt beispielsweise anläßlich der Folge „Die Schlacht um Moskau“ Graf von Kielmansegg rückblickend zu seiner Tätigkeit als Stabsoffizier in einer Division Stellung. Der Historiker Andreas Hillgruber beleuchtet die strategischen Planungen im Zusammenhang mit der Folge „Kaukasus". Der FDP-Ehrenvorsitzende William Borm berichtet anläßlich der Folge „Die Schlacht um Berlin" von seinen Erfahrungen mit der Roten Armee, und der englische Lord Bethell gibt im „Historischen Stichwort" zur Folge „Die Befreiung Polens und Warschaus" seinen Standpunkt zur Frage Katyn wieder. Da also eine Reihe von „Stichwörtern" eher persönliche Kommentare denn fachwissenschaftliche Begleitung sind, werden auch sie nicht von der zu erwartenden Kritik (von links und von rechts) ausgenommen werden. Immerhin wird den Fernsehzuschauern hiermit ein zusätzliches inhaltliches Angebot gemacht.

Die Sendereihe wurde vor allem aus zwei Gründen von zwanzig auf fünfzehn Folgen gekürzt. Einerseits, um zu einer Straffung zu kommen: dies gilt für die vier Folgen „Seekrieg", „Luftkrieg", „Krieg in Fernost", „Der unbekannte Soldat", die allesamt keine unver-zahlbaren neuen Informationen liefern. Andererseits wurde gekürzt, da dem WDR die Authentizität des Materials nicht gesichert schien: dies gilt für die Folge „Partisanen — Krieg im Hinterland des Feindes“.

Sowohl die Neuübersetzung des amerikanischen Textes als auch die Kürzungen haben sich eingedenk der bundesdeutschen Rezeptionsbedingungen positiv auf die Serie ausgewirkt. Dies gilt allerdings nicht für die Streichung der Filmfolge „Partisanen". Jürgen Rühle begründet die Entscheidung damit, daß einige Szenen nachgestellt seien. Dieses Argument erscheint nicht stichhaltig, da auch in anderen Folgen offensichtlich nachgestellte Szenen enthalten sind, so z. B. bei der Vereinigung der den Kessel von Stalingrad schließenden sowjetischen Truppen. Die wichtige Rolle der Partisanen sowohl im Hinblick auf die sowjetische Kriegsführung als auch ihr Zusammenhang mit barbarischen „Vergeltungsaktionen" auf der Grundlage des sogenannten „Barbarossa-Erlasses" hätten eine Ausstrahlung aber geradezu als geboten erscheinen lassen. Anknüpfend an die positiven Erfahrungen, die man bei der Ausstrahlung von „Holocaust" mit der Einbeziehung der Zuschauer im Rahmen der Aktionen „Anruf erwünscht" sammeln konnte, sind auch für die Ausstrahlung dieser Serie mehrere solcher Aktionen geplant, bei denen Zuschauer telefonisch Fragen stellen können, die im Fernsehstudio dann von einer Gesprächsrunde beantwortet oder erörtert werden. Geplant sind solche Gesprächsrunden jeweils im Anschluß an die Ausstrahlung der Folgen „Leningrad“ „überleben in Stalingrad" und „Berlin". Es bleibt jedoch abzuwarten, ob dieses Diskussionsangebot an die Zuschauer ausreichen wird.

Im Juli 1981 war in etwa folgender Ausstrahlungsmodus der ARD-Anstalten absehbar: Der WDR sendet 15 Folgen und „Historische Stichwörter", drei Sendungen . Anruf erwünscht". Vor-bzw. nachgestellt werden die Eigenproduktionen „Unternehmen Barbarossa“ und „Die Niederlage". Die Nordkette aus NDR, SFB und RB sendet 14 Folgen und „Hi-storische Stichwörter" sowie drei Sendungen „Anruf erwünscht". Der HR übernimmt vom WDR fünf bis sieben Folgen und wiederholt eine Eigenproduktion: „Faschismus" (fünf Fol-gen). Der SWF übernimmt alle 15 Folgen, wohingegen der BR keinen Teil der Serie in sein Programm übernehmen wird.

II. Wirkungsmachanismen der Serie

Lehren aus „Holocaust" für „Der unvergessene Krieg"

Die Erfahrungen mit der Fernsehserie „Holocaust" haben für die politische Bildung in der Bundesrepublik neue Perspektiven eröffnet. Geschichte wurde als Medienereignis zum aktuellen Gesprächsanlaß im privaten wie öffentlichen Bereich. Was Mahnmale, Gedenktagsreden und ungezählte Schulstunden mühsam anstrebten, erreichte „Holocaust" an vier Fernsehabenden: Ob „unbewältigte Vergangenheit" für die älteren oder schon entrückte Vergangenheit für die jüngeren — für einige Zeit mindestens wurde jener so oft beschworene „geschichtslose Zustand" des öffentlichen Bewußtseins in der Bundesrepublik radikal aufgebrochen In einem kaum erwarteten Ausmaß wurde die ARD mit einer unter kommerziellen Gesichtspunkten in den USA gedrehten Fernsehserie zur Instanz politischer Bildung. 30 000 Fernsehzuschauer machten vom Diskussionsangebot „Anruf erwünscht Gebrauch; nach dem Hinweis, daß bei der Bundeszentrale für politische Bildung Materialien zur Sendung zu erhalten seien, gingen dort ca. 150 000 Zuschriften mit der Bitte um Begleitmaterial ein. Davon kamen 70 000 von Lehrern. Wer in irgendeiner Form an politischer Bildung interessiert oder beteiligt ist, der konnte anhand der „Holocaust" -Diskussion verfolgen, was das öffentliche Medium Fernsehen bewirken kann, wenn es versteht, „...den Zuschauer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen" In doppelter Hinsicht machten die Zuschauer-Reaktionen Ansatzpunkte für die politische Bildung deutlich. Zum einen wurde die Serie als Aufklärung über verdrängte oder vergessene, auf jeden Fall oftmals unbekannte geschichtliche Ereignisse aufgefaßt. Zum anderen als kontroverse Darstellung des sogenannten „Dritten Reichs", von dem vorher häufig in massenhaft verbreiteten Druckerzeugnissen ein eher euphemistisches Bild rezipiert worden war -Die Sprachlosigkeit des Zuschauers vor dem Bildschirm wurde wohl vor allem deshalb durchbrochen, weil er mit Ereignissen konfrontiert wurde, die in ihrer geschichtlichen Dimension den Rahmen individuellen Medienkonsums von vornherein sprengten. Die angesichts der Ungeheuerlichkeit der auf dem Bildschirm dargestellten Ereignisse von den Jüngeren gestellte Frage nach der kollektiven oder individuellen Mitschuld war der Auslöser von Gesprächen, in denen sich der durch die Sendung erzeugte „Bewältigungsdruck" entlud.

Tilman Ernst faßt die Wirkung der Serie treffend zusammen, wenn er feststellt: „Die Reaktionen der Zuschauer auf . Holocaust'decken Defizite auf, machen Ansatzpunkte analysierbar, die sowohl im Bereich des historischen Wissens als auch der sozialen Einstellung liegen. Nachdem die , Hitler-Welle'einen Markt für den Nationalsozialismus durch zum Teil heroisierende und verherrlichende Publika-tionen, Filme und Tondokumente geöffnet hat, der gerade auch Jugendliche in den Griff nimmt, ist es an der Zeit, einige der schlimmsten Ereignisse der Nazi-Herrschaft sinnlich erfahrbar zu machen und als Gegengewicht anzubieten."

Gegeninformation in einem ähnlichen Sinne wird auch „Der unvergessene Krieg" sein. Ließ jedoch „Holocaust" die Projektion unmittelbarer Schuld auf den abgrenzbaren Personenkreis der SS zu, so ist beim „Unvergessenen Krieg" und seinen Verbrechen die Frage nach der Mitschuld sehr viel allgemeiner gestellt. Der Bezug der beiden Themenkomplexe zueinander wird in der Erklärung des Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski, zum 40. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs deutlich, indem es u. a. heißt: „Mit dem Zweiten Weltkrieg untrennbar verbunden und für den Fall seines Ausbruchs von Hitler bereits am 30. Januar 1939 angekündigt, war die millionenfache Ermordung jüdischer Menschen aus fast allen europäischen Ländern. Sie war das furchtbarste, jedoch längst nicht das einzige Verbrechen, das die Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs begingen. Auf das Schuldkonto des nationalsozialistischen Regimes kommt all das Leid, das durch den Zweiten Weltkrieg Menschen vieler Nationen zugefügt wurde. Als am 8. Mai 1945 der Krieg in Europa sein Ende fand, lag ein ganzer Kontinent in Trümmern. Die Zahl der Toten entsprach in etwa der Bevölkerungszahl, die Länder wie Frankreich oder Großbritannien heute aufwei-sen."

Die meisten Opfer in diesem Krieg brachte die Sowjetunion. Der deutsche Angriff kostete 20 Millionen Sowjetbürgern das Leben. Sowohl „Holocaust" wie „Der unvergessene Krieg" widerspiegeln Verbrechen ungeheurer Dimension, die von Deutschen begangen wurden. Insofern wird die Wirkung beider Medienereignisse ähnlich sein. Die Serien selbst sind jedoch kaum miteinander vergleichbar. «Holocaust" war ein nach allen Regeln US-amerikanischer Fernsehproduktionen gedreh-ter Spielfilm, der die sogenannte „Endlösung der Judenfrage" auf eine Familiengeschichte in vier Folgen reduziert. Indem sich der Film selbst zur — allerdings historisch belegbaren — Fiktion erklärt, entlastet er den Zuschauer bei allen Identifikationsangeboten doch von der Realität. Das Schicksal der Figuren bleibt letztlich nur eine Spielhandlung, ihr Tod ist nur ein Bühnentod. Noch vor der Ausstrahlung der Serie in der Bundesrepublik fragte Sabina Lietzmann unter dem Eindruck der amerikanischen Fassung: „Wo hört die , Story'auf, wo fängt Geschichte an?“ und stellte fest: „Das Mißtrauen in die stille Kraft des reinen Dokuments ist der Fallstrick dieser Mini-Serie.

Der „Unvergessene Krieg" arbeitet dagegen fast ausschließlich mit dokumentarischem Filmmaterial. Die fünfzehnteilige Serie wird durch Stichworte und Zuschauer-Nachfragen ergänzt. Also auch von einer „Mini-Serie" kann hier nicht die Rede sein. Die unterschiedlichen Wirkungsmechanismen von „Holocaust" und dem „Unvergessenen Krieg" lassen sich jedoch mit dem allgemeinen Hinweis auf die Gestaltungskategorien „fiktiv" und „dokumentarisch" nicht ausreichend beschreiben. Notwendigerweise bleibt „Der unvergessene Krieg" als Dokumentarfilm hinter der zu dokumentierenden Wirklichkeit des Krieges zurück. Kaum eines der unzähligen Verbrechen des Krieges ist unmittelbar im Bild dokumentiert, selten nur wurde der Tod in der Schlacht gefilmt. Der gefilmte Krieg war auf beiden Seiten meist der Krieg unmittelbar hinter der Front. Nicht stürmende — und sterbende — Soldaten beherrschen die Dokumente militärischer Aktionen, sondern feuernde Artillerie und vorfahrende Panzer. Ebenso selbstverständlich erscheint diese Wirklichkeit in einer durch die Materialauswahl bestimmten Verkürzung. Zu dem authentischen Bildmaterial des „Unvergessenen Kriegs" tritt ein verbindender Kommentar und eine fast durchgängige musikalische Unterlegung. Die Zusammenstellung des Filmmaterials folgt erkennbar einer dramaturgischen Konzeption, die der deutschen Aggression die sowjetische Wider-* Standskraft entgegensetzt und jeweils die ungeheuren Opfer des Krieges hervorhebt. Einem gutgemachten Spielfilm gelingt es möglicherweise viel eindringlicher, dem Zuschauer ein Bild von Realität zu vermitteln, obwohl die Handlung letztlich „nur" gespielt ist. Der Dokumentarfilm weist für den Zuschauer durch seine Originalaufnahmen mehr Glaubwürdigkeit auf. Wenn er „echte" Leichen auf dem Bildschirm sieht, ist er eher geneigt, das scheinbar Unglaubliche als „Wahrheit" zu akzeptieren.

Im Moment der Rezeption vermag er nicht zu erkennen, daß der Dokumentarfilm nicht die vergangene Geschichte selbst ist, „die unerreichbar ist, sondern allenfalls ein Vorzeigen von sichtbaren und hörbaren Hinterlassenschaften, Überresten. Er ist auch keine . neutrale', . objektive'Quellensammlung, die nur die Überreste selbst sprechen läßt. Vielmehr haben wir es mit einer . Darstellung'zu tun, die mit Bild-, Text-und Tonquellen unterlegt, gefüllt, veranschaulicht ist“

Der Film beansprucht nicht mehr und nicht weniger als die Authentizität einer parteilichen Geschichtsschreibung. Diese Parteilichkeit selber wird nun zum Wirkungsmechanismus, wie der sowjetische Titel der Serie „Der Große Vaterländische Krieg“ deutlich macht. Diese Parteilichkeit wird es auch sein, die auf der sachlich-inhaltlichen Ebene die Wirkung des Films in der Bundesrepublik bestimmen wird. Darüber hinaus ermöglicht die Serie dem Zuschauer jedoch durchaus einen emotionalen Einstieg in das Geschehen an der damaligen „Ostfront". Die Dokumentation realer Einzelschicksale wird in die übergreifende Darstellung der Kriegsereignisse eingebettet. Ein weiterer wichtiger Wirkungsmechanismus des Films dürfte in dieser systematischen Durchbrechung einer reinen Dokumentation militärischer Ereignisse liegen. Gleichwohl: „Der unvergessene Krieg" bietet über weite Strecken authentisches Filmmaterial aus dem Krieg. Angesichts dieser Tatsache liegt die Frage nahe, ob bei einer Reihe von Zuschauern nicht auch jene Wirkungsmechanismen zum Tragen kommen könnten, die vor vierzig Jahren in die Goebbelschen Wochenschauen bewußt eingeplant waren. Schnitt-und Montagetechnik, die Kombinationen von Bild, Ton und Musik vereinigten sich damals zu einer äußerst effizienten Kriegspropaganda Für das Genre der Kriegsberichterstattung wurden gerade durch die deutschen Wochen-schauen Rezeptionserwartungen installiert die bis heute wirksam sein dürften, zumal heroisierende, unkritische Darstellungen des Zweiten Weltkriegs wieder weitverbreitet sind. Eine solche Rezeptionsdisposition wird jedoch im „Unvergessenen Krieg" schnell aufgebrochen werden. Zwar wartet die sowjetisch-amerikanische Produktion auch mit der fragwürdigen Ästhetik feuernder Kanonen und vorwärtsstürmender Kriegsmaschinerie auf, jedoch zeigt sie immer wieder die Menschen, die diesen Krieg führen und vor allem durchleiden mußten.

Die Perspektive des Films Ein entscheidender Ausgangspunkt der Vielzahl von persönlichen Emotionen und der öffentlichen Kontroversen, die der Film auslösen wird, liegen in seiner für bundesdeutsche Zuschauer gänzlich neuen Perspektive. Konkret bedeutet dies nichts anderes, als daß ein Teilnehmer am Überfall auf die Sowjetunion vor 40 Jahren die Ereignisse jetzt auf dem Bildschirm mit den Augen seines damaligen Feindes sieht. Die Perspektive des Films weist die Feinde von damals als Opfer der deutschen Aggression aus. Die deutsche Niederlage vor Moskau wird zum Sieg über einen barbarischen Angreifer. Der Untergang der 6. Armee in Stalingrad zur siegreichen Wende des Krieges. Der Rückzug der Wehrmacht aus Osteuropa zur Befreiung der unterjochten Völker, der deutsche Zusammenbruch zur Befreiung vom Faschismus.

Auf diese Perspektive Bezug nehmend, wird die Kontroverse um den Film um so schärfer geführt werden, je mehr die Feststellung des „Zeitmagazins": „das Feinbild lebt fort" zutrifft Christian Streit verdeutlicht dies, indem er feststellt: „Das Bild, das sich vom damaligen Gegner ergab, ist in weiten Teilen der Öffentlichkeit, wenn auch abgeschwächt durch die zeitliche Distanz, noch heute wirksam. Eine Korrektur dieses Feinbildes ist aus mehreren Gründen unterblieben. Die sowjetische Expansion in Europa und der Kalte Krieg boten die Möglichkeit, die Sowjetunion in ungebrochener Kontinuität als Gegner zu sehen. Dies förderte die Überzeugung, der Krieg im Osten sei im Grunde gerechtfertigt, sogar notwendig gewesen und nur durch eine von der Wehrmacht ungewollte und bekämpfte Über-lagerung durch die Verbrechen der SS pervertiert worden. Der nationalsozialistische Antibolschewismus konnte so, seiner antisemitischen Komponente entkleidet, nahezu bruch-los in den Antibolschewismus des Kalten Krieges übergehen."

Die Analyse würde jedoch zu kurz greifen, wollte man die Perspektive des Films nur auf die notwendigerweise subjektive Sichtweise einer Seite reduzieren. Der Film konfrontiert den Zuschauer mit einer Reihe nicht zu leugnender Wahrheiten über den verbrecherischen Charakter der deutschen Kriegführung im Osten, die im öffentlichen Bewußtsein der Bundesrepublik bis heute geleugnet oder verdrängt werden. Es waren nicht nur die Einsatzgruppen des SD und die SS, die im Osten Verbrechen begingen. Gerade deshalb dürfte „Der unvergessene Krieg" mehr noch als „Holocaust" Anlaß dafür sein, die Beteiligten von damals nach ihrer Mitschuld am Tode von 20 Millionen sowjetischen Menschen zu fragen. Viele Kritiker werfen dem WDR vor, er habe mit dem „Unvergessenen Krieg" ein sowjetisches „Propagandamachwerk“ angekauft. Auf diese Einschätzung wird später noch einzugehen sein. Im Zusammenhang mit einer kurzen, knappen Analyse der Perspektive des Films bleibt nur festzustellen, daß die Serie zwar eindeutig Partei ergreift für die Seite der Angegriffenen, ohne dabei jedoch von vornherein antideutsche Propaganda zu betreiben. Weggelassen werden für die Sowjetunion belastende Fakten, wie z. B.der sowjetisch-finnische Krieg, die Kontroverse um das geheime Zusatzabkommen zum Hitler-Stalin-Pakt oder das Problem massenhafter Kollaborationen mit den Deutschen, etwa in der sogenannten „Wlassow-Armee". Andererseits wird aber auch das tatsächliche Ausmaß deutscher Kriegsverbrechen an sowjetischen Bürgern kaum dargestellt. Das grauenhafte Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen oder die massenhafte Verschleppung sowjetischer Zwangsarbeiter nach Deutschland werden nur am Rande angedeutet; auch der systematischen millionenfachen Ermordung sowjetischer Zivilisten in den besetzten Gebieten wird kein breiter Raum gegeben. Die schon angesprochene Parteilichkeit des Films ist also nicht mit dem einfachen Hinweis auf seine pro-sowjetische Tendenz ausreichend zu beschreiben. Parteilich ist der Film vielmehr in seiner eindeutigen Stellungnahme für einen „gerechten Verteidigungskrieg" gegen einen barbarischen Angriff und Vernichtungsfeldzug. Dieser Konzeption entspricht auch das teilweise in der Darstellung enthaltene Pathos, das allerdings für den bundesdeutschen Zuschauer eher befremdlich wirken könnte. Durch die ausführliche Darstellung der Leiden der Zivilbevölkerung wird die Serie zu einem Film gegen den Krieg, ohne dabei im engeren Sinne für sich einen pazifistischen Standpunkt reklamieren zu können.

III. Kontroverse Standpunkte zur Serie

Die Kontroverse um den Film wird sich voraussichtlich in einer doppelten Dimension ab-spielen. Auf der öffentlich-politischen Ebene scheinen einige Positionen bereits abgesteckt. Militärische Traditionsverbände, aber auch Stimmen aus der CDU/CSU haben bereits eine deutliche kritische Stellungnahme zum Sendeprojekt des WDR abgegeben. Ein wesentlicher Aspekt der öffentlichen Diskussion dürfte die Frage sein, ob sich durch die Ausstrahlung der Serie beim Zuschauer eine Verunsicherung gegenüber der bisherigen Einstellung zur Sowjetunion ergibt. Für solche Einstellungsveränderungen hat die Ebene der privaten Auseinandersetzung entscheidende Bedeutung. Es ist dabei der Frage nachzugehen, auf welche Einstellungen und Vorkenntnisse der Film beim deutschen Publikum stößt.

Weit im Vorfeld der Ausstrahlung haben sich verschiedene Gruppen gegenüber dem WDR z. T.sehr deutlich gegen eine Ausstrahlung ausgesprochen. Einwände wurden von unterschiedlichen Gruppen vorgetragen. So hieß es beispielsweise im „Informationsorgan der Aktion Funk und Fernsehen" u. a.:

„Eine Million DM für den Ankauf... plus Der Verwaltungsrat des WDR...

plus Zwei weitere Millionen DM an Programm-, Bearbeitungsund Kommentierungskosten ... plus Ein Kooperationsvertrag WDR — Sowjetischer Rundfunk plus Zwei Bundesverdienstkreuze Erster Klasse... ergeben auch 20 Stunden Geschichtsverfälschung“

Das Organ des „Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermißtenangehörigen Deutschlands" widmet dem „Unvergessenen Krieg“ eine ausführliche Berichterstattung, in der es u. a. heißt: „Wird der Generationskonflikt dadurch nicht erneut angeheizt mit der Frage der Jungen an Eltern und Großeltern . Habt ihr alle geschlafen?'Wie wollen die Verantwortlichen im Fernsehen die Zertrümmerung des deutschen Geschichtsund Traditionsbewußtseins einmal vor der Geschichte und auch vor einer sich wandelnden politischen Landschaft rechtfertigen?... Nach der Ausstrahlung der 17 sowjetisch-amerikanischen Folgen wird das Westdeutsche Fernsehen zwei weitere Dokumentationen über die deutsche Niederlage 1945 senden. — Zunächst aber werden die russischen Armeen von September 1981 bis Januar 1982 siegend,, diszipliniert, ohne jemals geschändet, geplündert, gefoltert und gemordet zu haben, über die westdeutschen Bildschirme ziehen, und eine deutsche Fernsehanstalt zahlt dafür noch mehr als 1 Million DM, gewissermaßen als Stoßtrupp sowjetrussischer Propaganda. Wenn Breschnew sich vor seinem im Septem-ber beabsichtigten erneuten Bonn-Besuch über die Lage in der Bundesrepublik Deutschland unterrichten läßt, kann er seine helle Freude daran haben.“

Darüber hinaus haben sich die militärischen Traditionsverbände zu Wort gemeldet. Der Präsident des „Ring Deutscher Soldatenverbände" (RDS), Generalmajor a. D. Niemack, schrieb schon im März 1980, er habe aus verschiedenen Veröffentlichungen Kenntnis davon erhalten, daß der WDR eine „Dokumentarsendung über den Einsatz der Roten Armeeim Zweiten Weltkrieg auszustrahlen beabsichtigt" Niemack schlug dem WDR vor, dem RDS folgende Möglichkeiten einzuräumen: „— Das zur Sendung anstehende Film-Material vorher zu sehen, — Ihnen auch von unserer Seite aus geeignete Kenner des Rußland-Krieges und der Roten Armee sowie Historiker namhaft zu machen, die bei der Aufbereitung der Kommentare mitwirken können.“

Nur so könnten bei der Ausstrahlung „Mißverständnisse, besonders bei der Jugend" ausgeschlossen werden.

Der WDR ging auf die Vorschläge ein, behielt sich aber die „letzte Auswahl" der Fachwissenschaftler selbst vor Am 12. August 1980 kam es schließlich zu einem Vorführtermin im WDR, an dem Vertreter verschiedener Traditionsverbände teilnahmen. Die Reaktion war eindeutig. So schrieb RDS-Präsident Niemack u. a.:

„Nach der Vorführung der von uns ausgewählten Filmstreifen kann ich es jedoch nicht mehr verantworten, das Ihnen als möglich zum Ausdruck gebrachte Angebot, einige unserer Auffassung nach geeignete Kommentatoren namhaft zu machen, aufrechtzuerhalten. Dieser in Rußland produzierte Film ist — wie jedes . Kunstwerk'der Sowjets — ein hochpolitischer Film, der vor allem der Werbung für das Regime und für die Rote Armee dienen soll... Dieser Film kann bei Menschen, die die ganze Härte des Krieges in Rußland nicht persönlich miterlebt haben, nur zu einem völlig falschen Bild führen und damit letztlich Wehr-willen und Verteidigungsbereitschaft auf das äußerste gefährden. Die Verteidigungsbereitschaft und der Wille, sich gegen jede Einschränkung der Freiheit oder Gefährdung des Friedens zur Wehr zu setzen, nach aber sind Auffassung aller im Bundestag vertretenen Parteien unabdingbare Voraussetzung für unsere Sicherheit und jede Form der Entspannungspolitik. Aus diesen Erwägungen heraus für stelle ich den Ring Deutscher Soldatenverbände erneut die Forderung, von einer Ausstrahlung dieser Dokumentationsserie Der unbekannte Krieg'Abstand zu nehmen."

Zum inhaltlich gleichen Ergebnis — wenn auch mit anderen Formulierungen — kommt der „Deutsche Bundeswehr-Verband E. V.", dessen Vorsitzender Volland u. a. feststellt:

. Nach interner Diskussion bin ich als Sprecher des gemeinsamen Ausschusses beauftragt, Ihnen die Bedenken aller darin zusammengeschlossenen Verbände gegen eine Ausstrahlung der Serie mitzuteilen.

Diese Bedenken bitte ich nicht als den Versuch zu werten, die Pressefreiheit in irgendeiner Weise einschränken zu wollen, die auch nach unserer übereinstimmenden Auffassung unantastbar sein und bleiben muß. Diese Pressefreiheit kann sich aber unseres Erachtens nur auf eine sachlich faire Berichterstattung erstrecken und nicht die Möglichkeit einschließen, Propaganda gegen das eigene Volk in den Medien zu veröffentlichen."

Bedenken gegenüber dem Film hatte auch der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Paul Röhner (CSU).

In einem Schreiben an den WDR-Intendanten Begründet er seine Vorbehalte ausführlich:

»Ich habe gegen die Ausstrahlung der Serie ernste Bedenken. Auch ohne Einzelheiten zu ------------kennen, wird man davon ausgehen müssen, daß der Film — bei allen historischen, künstlerischen und technischen Qualitäten — in erster Linie den Zielen der sowjetischen Propaganda dient, denn dafür ist er geschaffen worden. Ich kann deshalb auch die Rechtfertigung von Herrn Jürgen Rühle nicht verstehen, in der er sagt: , Wir strahlen die Serie aus, weil es unersetzliche Dokumente gegen den Krieg sind, die nicht nur die Russen, sondern auch uns Deutsche bewegen.'

Dienen wir mit der Ausstrahlung des Films nicht der Verherrlichung des Sowjetsystems und besonders der überwältigenden Stärke der Sowjetarmee als derjenigen, die in Afghanistan einen blutigen Unterdrückungskrieg führt? Werden nicht durch die Darstellung der Verteidigung nationaler Unabhängigkeit und echter Vaterlandsliebe, mit der die russischen Soldaten zweifellos gekämpft haben, nationale Unabhängigkeit und Vaterlandsliebe des afghanischen Volkes geradezu verhöhnt?

Ich befürchte eine schwere politische Des-orientierung und eine halb bewußte, halb unbewußte demoralisierende Wirkung für unsere Bevölkerung, besonders die Jugend, zumal sich die Sendung über viele Folgen erstrecken und damit eine psychologische Tiefenwirkung von langer Dauer erzielen wird. Sie wird besonders bei denjenigen eintreten, die wenig Möglichkeiten gedanklicher Ausbalancierung haben, weil sie sich mit historisch-politischen Themen der Sowjetunion wenig befassen. Gerade bei diesem Publikum werden auch die kurzen . historischen Stichworte'nur wenig Korrektur bewirken können.

Der Hinweis, unsere Bevölkerung könne die sowjetische Filmserie ebenso verkraften wie das amerikanische Fernsehpublikum, verfängt m. E. nicht, weil das amerikanische Volk als Sieger des 2. Weltkrieges, besonders aber als Träger der westlichen Führungsmacht sich in einer politisch-psychologisch weniger angreifbaren Position als das deutsche befindet. Wir würden deshalb mit der Ausstrahlung der Serie bei unserer Bevölkerung in geradezu aber-witziger Weise den Propagandaeffekt selbst herbeiführen, den die Sowjets mit ihrem Film erzielen wollen.

Vorsorglich darf ich darauf hinweisen, daß niemandem Unrecht geschieht, wenn die Filmse-rie nicht vom Fernsehen ausgestrahlt wird. Wer den Film zum Zwecke eigener Orientierung oder Forschung benutzen will, kann dies tun; dafür werden schon die Propagandastellen der sowjetischen Regierung sorgen. Daß wir eine — wie immer gelungene — Propaganda-Serie der Sowjetunion aber im eigenen Fernsehen verbreiten und dafür aus Fernsehbeiträgen und Steuermitteln stammende Millionenbeträge opfern, halte ich für politischen Irrsinn."

Stellungnahmen seitens der SPD und der F. D. P. lagen bei Abschluß des Manuskripts nicht vor.

Doch auch Verbände, die die Ausstrahlung des Films befürworten, meldeten Kritik an. Der „Bund demokratischer Wissenschaftler e. V." (BdWi) äußerte Bedenken gegen die Einrahmung der Serie durch Stichwörter und Begleitsendungen. Die Tendenz dieser Bedenken wird deutlich, wenn die Geschäftsführerin des BdWi, Frau Koppel, fragt, ob die in den Stichwörtern zum Ausdruck kommende deutsche Sicht „gleichbedeutend mit der Sicht des faschistischen Regimes" sei, oder ob die vom WDR befragten Historiker, militärischen Experten und Sachverständigen etwa diejenigen seien, „die damals als Repräsentanten des faschistischen Regimes, als Militärs und hohe Beamte mitgeholfen haben, die Kriegs-und Terrormaschinerie in Gang zu halten?"

All diese Vorbehalte gegen die Serie stammen aus der Diskussion vor der Ausstrahlung. Dabei fielen die Stellungnahmen aus dem Kreis der militärischen Traditionsverbände deutlich schärfer aus, nachdem sie Gelegenheit zur Sichtung des Materials hatten. Es ist anzunehmen, daß die Kontroverse um den Film, die sich bei der Ausstrahlung verstärkt ergeben dürfte, die hier abgesteckten Positionen wieder aufnehmen wird. Es gibt allerdings zwei weitere und mit Sicherheit weitergehende Aspekte, die in der zu erwartenden Diskussion ein entscheidendes Gewicht haben werden: Dies ist zum einen die aufgrund verschiedener Ursachen stark belebte Traditionsdebatte in der und um die Bundeswehr und zum anderen die sich ständig verstärkende Kontroverse um den „Nato-Doppelbeschluß". Ob die Einbeziehung der historischen Dimension in diese aktuellen Kontroversen zu ihrer Versachli-chung beitragen werden, bleibt abzuwarten.

Das Bild des Zweiten Weltkriegs beim Zuschauer „Der unvergessene Krieg" stößt in der Bundesrepublik bei den meisten Zuschauern auf ein Bild vom Krieg an der „Ostfront", das zumeist aus Quellen stammt, die Geschichte vor-und außerwissenschaftlich auf zufällige Ereignisse, z. B. Kriegserlebnisse von Verwandten, reduzieren oder Geschichte in einer systematisch gebrochenen Perspektive verkürzen. Horst Rumpf geht in einer Untersuchung zu den emotional-affektiven Angeboten in Geschichtsbüchern davon aus, daß bei Jugendlichen gegenüber der Vergangenheit ein Bedürfnis nach „Größe, Allmacht, Triumpf, Unschlagbarkeit, nach Höherspannung der Gefühle, nach extremen Situationen" vorliegt Die politische Bildung ist bei dem Versuch der Vermittlung von Geschichtsverständnis gerade im Hinblick auf den Nationalsozialismus und besonders den Zweiten Weltkrieg häufig mit einem Geschichtsbild konfrontiert, das Darstellungen entstammt, die diesen Bedürfnissen Rechnung tragen. In diesem Zusammenhang sind Kriegsfilme, Kriegsliteratur, pseudo-dokumentarische Zeitschriften und schließlich Erzählungen von Verwandten und Bekannten zu nennen, die außerhalb der institutionalisierten Bildungseinrichtungen als. Instanzen politischer Sozialisation wirken Ob als großartiger historischer Augenblick, an dem man teilhatte, oder alltägliches Fernsehabenteuer, ob als Plattform edler Mannestugenden oder interessante waffentechnische Meisterleistung: der Krieg ist zum Konsumar-tikel geworden. Es gab und gibt in der Bundesrepublik einen riesigen Markt für Kriegserinnerungsbücher, Kriegsfilme, Kriegsromane und -romanhefte, für waffentechnische Darstellungen und nicht zuletzt für Kriegsspielzeug. All das wurde nicht erst durch die soge-nannte „Hitler-Welle“ in die Verkaufsregale geschwemmt. Allein die Kriegsromanhefte (Landser-Hefte und vergleichbare) haben mittlerweile die kaum vorstellbare Gesamtauflage von ca. 300 Millionen Stück erreicht. Das in ihnen vermittelte Bild des Zweiten Weltkriegs entspricht im wesentlichen den oben mit H. Rumpf beschriebenen Rezeptionsbedürfnissen. Man muß davon ausgehen, daß die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und insbesondere die des sogenannten „Rußlandfeldzuges" für viele, vor allem jüngere Bundesbürger nach wie vor in der gebrochenen Perspektive der „Landser" -Hefte oder ähnlicher pseudo-dokumentarischer Darstellung erscheint. Dieses seit Jahrzehnten ungebrochen kolportierte Geschichtsbild wurzelt noch in der Goebbels-

sehen Propaganda: Die zwangsläufige deutsche Niederlage ist umgedeutet in Mansteins »Verlorene Siege", der deutsche „Landser" war der beste Soldat der Welt, die Wehrmacht wurde nicht von der Roten Armee, sondern von „General Winter" besiegt, und die deutsche Waffenehre ist von Kriegsverbrechen nie befleckt worden.

Im Frühjahr 1981 wurden in Hamburg über 2000 Personen mit ausgewählten Filmen aus der Serie konfrontiert. Durch einen Fragebogen wurde dabei der Stand und die Quellen des Vorwissens erhoben, auf das der „Unvergessene Krieg" treffen wird. Die Hauptmasse der Befragten stellten Schüler im Alter von 17— 19 Jahren. Es wurden aber auch Rentner (ca. 30 Personen) und eine Gruppe von 30— 55jährigen Berufstätigen befragt. Widerspiegeln die Ergebnisse der Befragung der letzten beiden Gruppen wohl nur allgemeine Trends,so bestätigte die Schülerbefragung die Annah-

me, daß gerade zum Zweiten Weltkrieg im Rahmen der primären politischen Sozialisa-tion, bevor politische Bildung im engeren Sinne überhaupt greift, ein spezifisches Geschichtsbild vermittelt wird Fast 90% der 30-bis 55jährigen geben an, daß in ihrer Familie Kriegserlebnisse erzählt wurden. Für die Hälfte der Jugendlichen trifft dies ebenfalls zu. Weit mehr als die Hälfte der Befragten hatten Sachbücher oder Romane über den Zweiten Weltkrieg gelesen. Um die 90 % hatten Filme über dieses Thema gesehen. Gut ein Drittel der 30-bis 55jährigen „hat schon mal ein 'Landser'-Heft gelesen". Mit der Ausnahme der von diesen Heftromanen scheinbar weniger erreichten Gymnasiasten gilt dies auch für die befragten Jugendlichen. Welche Defizite das auf diese Weise erworbene „Vorwissen" aufweist, zeigte jedoch die Tatsache, daß weniger als 10 % der Befragten den „entschiedenen Widerstand und Siegeswillen der sowjetischen Bevölkerung" oder „die sich bald zeigende Überlegenheit der Sowjetunion auf fast allen kriegswichtigen Gebieten" als Hauptgründe der Niederlage akzeptieren wollten. Statt dessen wählten fast alle Befragten die „Minderung der deutschen Kampfkraft durch Kälte oder andere Witterungsbedingungen" oder „schwere Fehlentscheidungen Hitlers" als entscheidende Gründe an.

Nur die Hälfte der 30-bis 55jährigen konnte die Frage, von wann bis wann das „Dritte Reich" Krieg gegen die Sowjetunion geführt hatte, richtig beantworten. Ein gutes Drittel der Gymnasiasten zeigte sich hierzu in der Lage, aber nur 5 bis 6 % der Haupt-und Gewerbeschüler. Die Frage, an welchem Frontabschnitt die Wehrmacht am weitesten nach Osten vorgestoßen sei, überforderte über 90% der jugendlichen Befragten. 15% der 30-bis 55jährigen wußte, daß der Zweite Weltkrieg auf sowjetischer Seite 20 Millionen Menschenleben gekostet hatte. Bei den Jugendlichen nannten hier zwischen 15% (Haupt-und Gewerbeschüler) und 35% (Gymnasiasten) die richtige Zahl der Opfer. Trotz der Tatsache also, daß der Zweite Weltkrieg als Geschichte präsent ist oder vielmehr in der beschriebenen Weise präsentiert wird, ist ein tieferes Verständnis der geschichtlichen Tatbestände, die zu diesem Krieg führten, kaum vorhanden. Ebenso fehlt eine grundlegende bewußte Auseinandersetzung mit der Art und Weise, ’ wie Deutschland diesen Krieg im Osten führte. Aktuelle politische Feindbilder prägen die Einschätzung der Ereignisse von damals. Nur 10% der 30-bis 55jährigen und ein Viertel der Jugendlichen sehen im Vormarsch der Roten Armee durch die osteuropäischen Länder Ende des Krieges eine „Befreiung" von der deutschen Herrschaft. Angesichts der Ereignisse der Nachkriegsgeschichte eine verständliche Einschätzung, doch für die leidgeprüfte Bevölkerung Osteuropas kamen die sowjetischen Soldaten damals tatsächlich als Befreier von einem grauenhaften Okkupationsregime. Verallgemeinernd läßt sich feststellen, daß die Einstellungen und Wertvorstellungen, die hinter den hier referierten Ergebnissen der Umfrage stehen, Bestandteil der politischen Sozialisation in der Bundesrepublik sind. Elternhaus, Schule und Medien sind eher nur in Ausnahmefällen bereit oder in der Lage, gegenüber diesen Einstellungen eine kritische Distanz zu vermitteln und damit eine bewußte Aufarbeitung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs zu ermöglichen. Wo sie die Notwendigkeit einer solchen Aufarbeitung akzeptierte, stellte sich für die Geschichtsdidaktik in jüngster Vergangenheit wiederholt die Frage, auf welche Weise das beschriebene verkürzte Geschichtsbild aufzubrechen ist. Das Problem liegt dabei darin, daß sich eine Kritik dieses im Rahmen der politischen Sozialisation relativ ungebrochen vermittelten Geschichtsbilds wirksam nicht in wissenschaftlich-literarischer Form oder didaktisch-methodischen Konzepten installieren läßt, sondern nur durch die Produktion von „Gegenbildern", die affektive und emotionale Angebote konträr zu jenen machen, die das zu kritisierende Geschichtsbild im Rahmen der politischen Sozialisation eingeschliffen haben Genau dies tut „Der unvergessene Krieg“. Er vermittelt mit den Wirkungsmechanismen des beherrschenden Mediums Fernsehen ein alternatives Geschichtsbild. Konfrontiert mit den vorhandenen Vorurteilsstrukturen eröffnet die sowjetisch-amerikanische Produktion so den Zugriff auf noch zu bewältigende deutsche Geschichte. Hier liegt die Chance der poltischen Bildung, wenn sie das Medienereignis bewußt einsetzt.

IV. Zum Einsatz der Serie im Rahmen politischer Bildung

In der Schule, politischen und konfessionellen Jugendgruppen, allgemein in der Erwachsenenbildung vom Volkshochschulkurs bis hin zum Seniorenzirkel ist „Der unvergessene Krieg" zu thematisieren. Die Diskussion des Films wird dabei an die zu erwartende öffentliche Kontroverse ebenso anknüpfen können wie an die Auseinandersetzungen im Rahmen der Familien. Bei der Vorbereitung solcher Diskussionen sind allerdings altersgruppen-spezifische Reaktionsmuster auf den Film zu differenzieren

Ein besonders hoher Grad emotionaler Betroffenheit angesichts der eine teilweise leidvoll erfahrene Vergangenheit aktualisierenden Filmdokumente ist vor allem bei denjenigen vorauszusetzen, die den Krieg noch bewußt miterlebt haben. Es ist bei dieser Altersgruppe davon auszugehen, daß die Thematisierung verdrängter und unbewältigter Kriegserinnerungen durchaus einen Leidensdruck erzeugen kann, der im Rahmen institutionalisierter Bildungsveranstaltungen nicht aufgefangen werden kann. In diesem Fall sollten Einzelgespräche initiert werden. Der hier angesprochene Zusammenhang könnte im übrigen auch der Grund dafür sein, daß sich viele ältere Mitbürger den Film nicht ansehen werden. Die angesichts der Serie im privaten Familienkreis sich ergebenden Fragen der Jüngeren treffen in diesem Fall auf eine psychologische Disposition, die eine Diskussion ungeheuer erschwert.

Von der Gruppe der Kriegsteilnehmer deutlich unterscheidbar hinsichtlich ihrer Reaktionen auf den Film ist die Gruppe der 30-bis 55jährigen. Verallgemeinernd kann man davon ausgehen, daß sich die politische Sozialisation dieser Altersgruppe hauptsächlich in der geschichtlichen Periode des sogenannten «Kalten Krieges" vollzog. Stereotype Feindbilder, gegenüber denen der Film als dissonante Information erlebt werden muß, sind bei dieser Altersgruppe am deutlichsten ausgeprägt Autostereotype Identifikationsmuster („Wir Deutsche") bilden die hauptsächliche Barriere, die die Diskussion hier aufzubrechen hätte. Die Methodik einer Aufarbeitung der Serie wird sich sinnvoll an einer Gegenüberstellung solcher Stereotypen (Wir-Gefühl versus Feindbild) orientieren.

Zur dritten Rezipientengruppe sind die Jugendlichen zusammenzufassen. Ihre politische Sozialisation fällt in die Zeit der Entspannungspolitik. Feindbilder sind bei dieser Gruppe deutlich weniger virulent als bei den 30-bis 55jährigen. Im Gegensatz zu den Älteren fühlen sie sich in die im „Unbekannten Krieg" dargestellten Ereignisse nicht mehr eingebunden. Wo die Autostereotypen auf diese Weise nicht mehr greifen, stellt sich am ehesten eine emotionale Identifiaktion mit den im Film darstellten Opfern des deutschen Angriffs ein.

Es kann davon ausgegangen werden, daß bei allen Rezipienten die bewußte Auseinandersetzung mit der Serie als dissonanter Information strukturell ähnlich abläuft Am Anfang steht meist eine aus der „Einseitigkeit" des Films resultierende Ablehnung. In der Folge wird meist das Erschrecken über das eigene Unwissen artikuliert. Das Aufbrechen von Feindbildern geht schließlich einher mit einem zumindest teilweisen Verständnis der Perspektive der Serie und einer bewußten Auseinandersetzung mit dem verbrecherischen Charakter der deutschen Kriegführung.

Viele werden jedoch in der anfänglichen Ablehnung verharren.

Die spezifische Aufgabe der politischen Bil-

dungsarbeit besteht nun darin, eine tragfähige Auseinandersetzung mit dem filmischen Angebot im Sinne der übergeordneten Zielset-zung politischer Bildung einzuleiten, die durch zusätzliche Informationen zum „Zurechtfinden in der Gegenwart" führt. Es wäre nicht sinnvoll, in der politischen Bildung alle Filmfolgen zu diskutieren. Dies bedeutet keinesfalls, daß nicht alle Folgen sehenswert wären, doch sollte eine Auswahl entsprechend den jeweiligen didaktischen Intentionen erfolgen.

Der folgende Dreierschritt wäre eineMöglichkeit des Vorgehens: Als Einstieg — 1 — wird eine Folge gewählt, die den deutschen Über-fall auf die Sowjetunion als „Eroberungs-, Ver-sklavungsund Vernichtungskrieg" verdeutlicht Geeignet ist dazu besonders „Die Belagerung von Leningrad", ersatzweise auch „Die Schlacht um Moskau". Die zweite gemeinsam zu betrachtende Folge — 2 — sollte sowohl die sich abzeichnende Niederlage der Wehrmacht und die Konsequenzen der deutschen Besatzungspolitik zeigen. Geeignet ist hier in erster Linie „Die Befreiung der Ukraine", ersatzweise auch „überleben in Stalingrad" oder „Die Befreiung Weißrußlands". Als systematisierender dritter Schritt — 3 — bieten sich wahlweise die Folgen „Nach Osten" oder „Die Alliierten" an, da hier unabhängig vom Kampfgeschehen wirtschaftliche und geopolitische Hintergründe erhellt werden.

Eine kritische Erörterung der politischen Perspektive der sowjetisch-amerikanischen Produktion läßt sich gut an der Behandlung der Folge „Die Befreiung Polens" aufhängen. Etwa anhand der Stichworte „Katyn” und „Warschauer Aufstand" wäre hier die Darstellung des Films mit kontroversen (westlichen) Darstellungen zu vergleichen.

Die an die hier vorgestellte Filmauswahl (oder denkbare Alternativen) anschließende Diskussion und Erarbeitung darf den Film nicht zum bloßen Aufhänger verkommen lassen, indem beispielsweise sogleich im Anschluß vertiefende Texte eingegeben werden. Die bisherigen Erfahrungen mit Probandengruppen legen nahe, der Primärrezeption breiten Raum zu lassen. In dieser Phase sollte der Gruppenleiter sich selbst äußerste Zurückhaltung auferlegen. Die Arbeit am Thema kann jedoch nicht bei der Filmrezeption stehenbleiben; Vertie-fungen sind an Hand der auftauchenden Fragestellungen anzuschließen und können von der unmittelbaren Parteilichkeit des Films weg zu übergreifenden Lernprozessen führen.

Folgende weiterführende Themen als Ergebnis der Rezeption wären denkbar:

— Vorgeschichte des Überfalls, Kriegszielplanung — Blitzkriegskonzeption und ihr Scheitern — Besatzungspolitik — Beteiligung der Wehrmacht an Kriegsverbrechen — Kriegsgefangene — Befreiung oder Niederlage Das oben zitierte Themenheft aus dem Adolf-Grimme-lnstitut bietet Möglichkeiten zur weiteren Vorbereitung dieses im Rahmen politischer Bildung wohl wichtigsten Fernsehereignisse des Jahres 1981

Fussnoten

Fußnoten

  1. . Die Welt" vom 30. 8. 1979

  2. Ebd.

  3. Vgl. hierzu auch: M. Eickhoff u. a„ Der unvergessene Krieg. Hitler-Deutschland gegen die Sowjetunion 1941— 1945. Köln 1981.

  4. Zit. nach: Weiterbildung und Medien (W & M Mediendidaktische Handreichungen, Heft 3/811 hrsg. vom Deutschen Volkshochschulverband e. V. Adolf-Grimme-Institut, S. V.

  5. Zur Genesis dieser Befehle vgl. auch: Ch. Streit, Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941— 1945, Stuttgart 1978, S. 28ff.

  6. Es handelt sich um die Folgen: 1.: 22. Juni 1941, 2.: Die Schlacht um Moskau, 3.: Die Belagerung Leningrads, 4.: Nach Osten, 5.: Die Verteidigung Stalingrads, 6.: Überleben in Stalingrad, 7.: Die Panzerschlacht bei Kursk, 8.: Die Schlacht um den Kaukasus, 9.: Krieg in der Arktis, 10.: Die Befreiung der Ukraine, 11.: Die Befreiung Weißrußlands, 12.: Vom Balkan nach Wien, 13.: Die Befreiung Polens, 14.: Die Alliierten, 15.: Die Schlacht um Berlin.

  7. Es fällt gegenüber der WDR-Sendefolge weg: Krieg in der Arktis.

  8. Vgl. Hierzu v. R. Thadden, Das schwierige Vaterland. Geschichte und Geschichtsbewußtsein der Deutschen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 45/

  9. Vgl. hierzu: T. Ernst, Anfragen an die Bundeszentrale für politische Bildung, in: Holocaust. Eine Nation ist betroffen, hrsg. von P. Märthesheimer, J. Frenzel, Frankfurt/M. 1979, S. 297 ff.

  10. B. Brecht, Radiotheorie, in: B. Brecht, Gesammelte Werke, Band 18, S. 129.

  11. Es sei hier nur auf die Veröffentlichungen von Gerhard Schneider u. a. in Aus Politik und Zeitgeschichte'verwiesen: Geschichte durch die Hintertür. Triviale und populärwissenschaftliche Literatur über den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg, (B 6/79), Mehr Affektivität im Geschichtsunterricht? Die Darstellung des Zweiten Weltkriegs in der trivialen und populärwissenschaftlichen Literatur und ihre Verwendung im Un-terricht (B 45/80).

  12. T. Ernst, Holocaust aus der Sicht der politischen bildung, in: Holocaust. Eine Nation ist betroffen, a, a. 0. S. 315.

  13. H. Galinski, Der Zweite Weltkrieg ist noch Teil der Gegenwart, in: Die Welt vom 31. 8. 1979.

  14. Vgl. auch S. Lietzmann, Die Judenvernichtung als Seifenoper. „Holocaust" — eine Serie im amerikanischen Fernsehen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. 4. 1978.

  15. B. v. Borries, Erschütterndes Dokument oder pathetische Propaganda? Versuch einer Fernsehanalyse zu „Der unvergessene Krieg, in: W & M, a. a. O.,

  16. Vgl. dazu: W. Wegmann, Der „authentische Krieg auf der Leinwand. Einige Aspekte zum Genre des Kriegsfilms, in: W & M, a. a. O„ S. XIII.

  17. Zeitmagazin Nr. 26 vom 19. 6. 1981, S. 3.

  18. Ch. Streit, a. a. O„ S. 10.

  19. Unsere Sendung, September 1979, 9. Jahrgang, Köln 1979, S. lf.

  20. Der Heimkehrer — Stimme der Kriegsgeneration vom 15. 5. 1981.

  21. Brief des „Ring Deutscher Soldatenverbände E. V.“ vom 5. 3. 1980 an den Intendanten des WDR," Sell.

  22. Ebd.

  23. Ebd.

  24. Antwortbrief des zuständigen WDR-Redakteurs Jürgen Rühle vom 25. 3. 1980.

  25. Brief des „Ring Deutscher Soldatenverbände m U vom 29. 8. 1980 an den WDR.

  26. Brief des „Deutschen Bundeswehr-Verband e. V." an den WDR vom 30. 9. 1980.

  27. Zit. nach: TV-Courier/Dokumentation Nr. 16-D/3. 7. 1980.

  28. Brief des „Bund demokratischer Wissenschaftler e. V.“ an den WDR vom 2. 1. 1980.

  29. Ebd.

  30. Vgl. hierzu auch: M. Messerschmidt, Das Verhältnis von Wehrmacht und NS-Staat und die Frage der Traditionsbildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 17/81. .

  31. Vgl. auch: H. Rumpf, Sprache und Affekt im Lehrbuch, über Geschichtsphantasien und, G schichtsbücher, in: Geschichtsdidaktik 4/19/91 S. 120. _ „

  32. Ausdrücklich sei hier auf die Untersuchung Gerhard Schneiders verwiesen, a. a. O. (Fußnote 11

  33. Vgl. hierzu auch: Projektgruppe Geschichte in Medien und Unterricht: Was passiert beim Zu-schauer? Erste empirische Daten zur Wirkungsweise der Fernseh-Serie, in: W & M, a. a. O„ S. XVff.

  34. Vgl. hierzu E. Schneider, Mehr Affektivität im Geschichtsunterricht? Die Darstellung des Zweiten Weltkriegs in der trivialen und populärwissenschaftlichen Literatur und ihre Verwendung im Unterricht, a. a. O., S. 16 ff.

  35. Vgl. auch: Projektgruppe Geschichte in Medien und Unterricht, a. a. O., S. XVff.

  36. Zur Bedeutung dissonanter Information bei der initiierung kognitiver Konflikte im Rahmen von sernprozessen vgl. insbesondere K. Joerger, Lernprozesse bei Schülern, Stuttgart 1971, S. 75— 83.

  37. E. Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche, München 1963, S. 463.

  38. Zu beziehen beim Verlag Volker Spiess, Großgörschenstr. 6, 1000 Berlin 62.

Weitere Inhalte

Michael Bartsch, geb. 1947; Studium der Soziologie, Philosophie, Germanistik und Geschichte an der Universität Hamburg; seit 1974 im Hamburger Schuldienst; Mitarbeit in der „Projektgruppe Geschichte in Medien und Unterricht". Wilhelm Pagels, Dr. rer. pol., geb. 1950; Studium der Politologie, Geschichte und Germanistik in Hamburg; seit 1979 im Hamburger Schuldienst: Mitarbeit in der „Projektgruppe Geschichte in Medien und Unterricht".