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Die Dauerkrise der Europäischen Gemeinschaft. Vor der Alternative von Integrationsverfall oder geänderter Integrationspolitik | APuZ 29-30/1981 | bpb.de

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APuZ 29-30/1981 Die Dauerkrise der Europäischen Gemeinschaft. Vor der Alternative von Integrationsverfall oder geänderter Integrationspolitik Keine Angst, Marianne! Die französische Präsidentschaftswahl 1981 Artikel 1

Die Dauerkrise der Europäischen Gemeinschaft. Vor der Alternative von Integrationsverfall oder geänderter Integrationspolitik

Hans Vorländer

/ 49 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Es wird immer wieder davon gesprochen, daß sich die europäische Integration in einer Krise befindet. Schenkt man diesen Diagnosen Glauben, so steckt die Europäische Gemeinschaft als der historische Versuch, Europa wirtschaftlich und politisch zu einigen, in einer Dauerkrise. Aber mit dieser Beschreibung ist analytisch noch nichts gewonnen. Die im Augenblick als besonders krisenhaft empfundene Situation der Europäischen Gemeinschaft erfordert eine Analyse derjenigen Faktoren, die die europäische Integration zur Stagnation und möglicherweise zum Verfall zwingen. Nur so können auch Möglichkeiten einer geänderten Integrationspolitik erörtert und entwickelt werden. Als Faktoren, die außerhalb des europäischen Einigungsprozesses liegen, aber doch auf ihn einwirken, werden die Entwicklungen des Weltwirtschaftssystems genannt, die sich in der Europäischen Gemeinschaft in den Veränderungen der ökonomischen Wachstumsbedingungen, dem Anstieg von Arbeitslosigkeit und Inflation sowie in den Verschlechterungen der Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten niedergeschlagen und damit die wirtschaftlichen Kraftlinien der europäischen Integration getroffen haben. Mit dem Ende der wirtschaftlichen Zuwachsraten sind aber auch die inneren Spannungen der Europäischen Gemeinschaft gewachsen. Das gleichzeitige Auftreten der weltwirtschaftlichen Entwicklungen mit den agrar-, haushalts-und finanzpolitischen Strukturproblemen greift die Substanz der EG an. Diese Problemverflechtung kann auf Grund ihrer Komplexität nur schwer gemeinschaftlich bewältigt werden, weshalb die Mitgliedstaaten jetzt Zuflucht zu nationalstaatlichen Problemlösungsverfahren nehmen. Als weiteres Problembündel stellt sich die schon eingeleitete Süderweiterung der Gemeinschaft um Griechenland, Spanien und Portugal dar. Der Charakter der Gemeinschaft wandelt sich damit fundamental: Aus der Gemeinschaft von hochentwickelten Industriestaaten wird eine Gemeinschaft von Industrieländern und Schwellenländern mit großen nationalen und regionalen Disparitäten. Die Süderweiterung macht deshalb ein integrationspolitisches Konzept des regionalen und sozialen Ausgleichs notwendig. So werden abschließend die Bedingungen und Möglichkeiten einer Integrationspolitik als Entwicklungspolitik diskutiert. Angesichts der ökonomisch-sozialen Probleme der Mitgliedstaaten und dem unzureichenden politischen Problemlösungsinstrumentarium der Gemeinschaft ist wegen der Widerstände der Zahlerländer, der Unvereinbarkeiten der Prioritätenkataloge und dem ordnungspolitischen Zielkonflikt zwischen regional ausgeglichenem Wachstum und forcierter industrieller Entwicklung eher mit einem Interessenblockadesystem der reichen Länder als mit einer Solidaritätsgemeinschaft zugunsten der schwächeren Länder zu rechnen.

I. Europa und die „Krise"

Abbildung 1

„Es ist ein traditioneller Trick in Brüssel, um Mitternacht die Uhr anzuhalten, um den festgelegten Zeitplan der Europäischen Gemeinschaft einzuhalten. Dieses Verhalten breitet sich aus... Wir sind nun in der Gefahr, den Kalender zu stoppen. Europa stirbt den langsamen Tod der Trägheit. Die Mörder sind ein bunter Haufen: Nationalismus, Bürokratie, Dogmatismus und Eigensucht Und Regisseure in verschiedenen Hauptstädten teilen sich in diese unterschiedlichen Rollen." Diese nicht ungewöhnliche, jedoch sehr pointierte Zustandsdiagnose benennt Zielverfehlung, Nationalegoismus, Eurokratie und Integrationsideologismus als symptomatischen Ausdruck einer . Gemeinschaft', deren Agonie sinnfällig zu sein scheint. Nun ist es sicherlich noch zu früh, die Europäische Gemeinschaft (EG) als Leiche zu etikettieren, der nur noch der Nekrolog nachzuschicken wäre. Einfacher wäre es, zunächst einmal von einer „Krise“ zu reden, von einer der zahlreichen Krisen der EG und der europäischen Integration in den letzten dreißig Jahren. „Europa" und „Krise" sind austauschbare Synonyme Der inflationär verwandte Krisenbegriff aber eignet sich nur sehr bedingt für eine zureichende Beschreibung, geschweige denn für eine treffende Analyse der unbestreitbar vorliegenden Probleme der EG.

Es gibt nicht nur einen spezifischen . europäischen'Krisenbegriff, überhaupt scheint der Krisenbegriff der kleinste gemeinsame Nenner geworden zu sein, um etwas zu „benennen", das so nicht mehr ist, wie es vordem war. Immer dann, wenn sich Strukturen und/oder Werte und Einstellungen ändern, ist zunächst, in einem ersten approach sozusagen, von „Krise" die Rede. Die Krisenhaftigkeit der Welt, die „Menschheitskrise", ist, so generell konstatiert, sicherlich nicht zu leugnen. Doch ist hiermit — wie auch mit den wissenschaftlichen Varianten, den „Krisenpolitologien" — analytisch wie handlungspraktisch noch nichts gewonnen

Was unter dem Tatbestand „Krise" oder „Dauerkrise" nur unzureichend erfaßt, wenn nicht gar verschleiert wird, ist in der Sache ein Amalgam von EG-exogenen und -endogenen wirtschaftlichen, sozialen und regionalen Strukturproblemen, deren politische Auswirkungen auf die EG und ihren Integrationsprozeß auf Grund der undurchsichtigen Komplexität als „Dauerkrise" oder als „Turbulenz" aufgefaßt wird und deren substantielles und zeitliches Zusammentreffen das gesamte Projekt der Europäischen Integration ernsthaft gefährdet.

So sollen hier die schnellen Etikettierungen zunächst einmal beiseite gelassen und nach den Problemen gefragt werden, denen die EG als der historische Versuch, Europa durch eine freiwillige, politische wie wirtschaftliche Einigung demokratisch und ökonomisch zu stabilisieren, derzeit gegenübersteht.

Zunächst werden die Bedingungsfaktoren des als Krise empfundenen derzeitigen Stagnationszustandes der EG erörtert, dabei zwischen solchen endogener (EG-System einschließlich der Mitgliedstaaten) und exogener Natur (Bedingungen des internationalen Systems) analytisch unterschieden. Daran anknüpfend wird der bisher in seiner integrationspolitischen Tragweite politisch noch nicht be-und überdachte Wandel der EG aufgezeigt, der durch die Süderweiterung der EG um Griechenland (seit 1. 1. 1981 Vollmitglied), Spanien und Portugal (Beitritt voraussichtlich 1984) die Gemeinschaft in ihren bisherigen politischen und wirtschaftlichen Optionen trifft und eine Integrationspolitik des regionalen und sozialen Ausgleichs nach dem Zielwert einer „Europäischen Sozialgemeinschaft" zur conditio sine qua non fortschreitender Integration macht. Grundthese also ist, daß sich die EG vor die Alternative von Verfall oder geänderter Integrationspolitik gestellt sieht. Noch können die Probleme analysiert und die Finalitäten diskutiert werden, ehe die Verschärfung der Gesamtprobleme zu einem dann in der Tat krisenhaften „Entscheidungsprozeß unter Zeitdruck" führt, der einen Aktionszwang statuiert. Die Frage ist: Wer soll wie in welche Richtung zu welchem Ziel mit welchen Mitteln integrieren?

II. Der Niederschlag von Entwicklungen des internationalen (Wirtschafts-) Systems in der EG — Exogene Faktoren europäischer Integrationsstagnation

Als Faktoren, die außerhalb des eigentlichen europäischen Integrationsprozesses liegen und doch wiederum auf ihn einwirken, lassen sich die Bedingungen des internationalen Systems angeben. Zum einen ist die EG in ihrer mitgliedstaatlichen wie gemeinschaftlichen Entwicklung als Teil des kooperativen Antagonismus zwischen Ost und West unmittelbar von den Entwicklungen des internationalen Kräftesystems und des Verhältnisses der beiden Supermächte zueinander betroffen. Gelangen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion beispielsweise nicht zu wirksamen rüstungskontrollpolitischen Maßnahmen auch und vor allem in dem europäischen Mittelstreckenwaffen-Bereich, so werden nicht nur weitere öffentliche Mittel sicherheits-und verteidigungspolitisch gebunden und für sonstige nationale oder gemeinschaftliche Ausgaben absorbiert werden, sondern es können auch sicherheitspolitische Differenzen zwischen den und innerhalb der Mitgliedstaaten — beispielsweise um die Stationierung weiterer atomarer Trägersysteme — auf den politischen Zusammenhalt in der EG durchschlagen. Zum anderen ist die EG auf Grund ihrer wirtschaftlichen Potenz ein sowohl — für die Staaten der Dritten Welt — lebenswichtiger wie auch selbst — wegen der Rohstoffabhängigkeit — äußerst anfälliger Partner im Nord-Süd-Konflikt. Seit 1973 sind die ökonomischen Auswirkungen der Rohstoffabhängigkeit für die bis dato wirtschaftlich prosperierenden Mitgliedstaaten der EG in den Veränderungen der ökonomischen Wachstumsbedingungen, dem rapiden Anstieg von Arbeitslosen und Inflation sowie in den Verschlechterungen der Zahlungsbilanzen manifest geworden. Dieser wiederum als krisenhaft empfundene Wandel der weltwirtschaftlichen Randdaten, der seinen Anfang mit dem Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods nahm der Dollar verlor seine Funktion als Leitwährung, in der EG bildeten sich daraufhin währungspolitische „Schlangen" von Block-und Solofloatern —, mußte vor allem ein Integrationsprojekt treffen, das die Integration vornehmlich auf wirtschaftlichem Gebiet mittels der vertraglich abgestützten Methode der „beständigen und ausgewogenen Wirtschaftsausweitung" und im Zielwert der Sicherung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts betrieb

Schließlich müssen zu den integrationsexogenen — wenngleich den einzelnen Mitgliedstaaten doch wieder struktureigenen — Faktoren auch die Konsequenzen der allgemeinen sozioökonomischen Wandlungen der westeuropäischen Industriestaaten gerechnet werden. Die Steuerungsschwäche der Regierungen bei sozioökonomischen Prozessen hat im Zeichen sozial-und wohlfahrtsstaatlicher Politikgestaltung eine Regierbarkeits-und Legitimationskrise zur Folge: Dem gesellschaftlichen Anspruchsvolumen an staatlichen Leistungen, formuliert von Parteien, Verbänden und Massenmedien, stehen die Knappheit öffentlicher Mittel und die nur beschränkten staatlichen Lenkungsmöglichkeiten von sozialen und wirtschaftlichen Abläufen gegenüber. Aus Erwartungsüberlastung und Mittelknappheit ergibt sich die Gefahr chronischen oder akuten Staatsversagens

Die Stellung der EG in diesem Legitimationskontext ist doppelt schlecht: Einerseits tut sich für die Regierungen der Mitgliedstaaten die sie selbst entlastende Möglichkeit auf, nationale Unzufriedenheiten auf das System der EG umzulenken (Sündenbockfunktion der EG), andererseits kann die EG dem hohen Erwartungsdruck auch wieder nicht gerecht werden, die sich europäisierenden Probleme lösen zu können. Denn die Steuerungsschwäche der Regierungen bei europäischen sozioökonomischen Prozessen dürfte sich noch intensivieren

Wenn in den Jahren erfolgreicher Integrationsschritte, der fortschreitenden Institutionalisierung der Europapolitik und der Stärkung des supranationalen Prinzips in der Zeit von der Gründung der OEEC 1948 über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1957 bis zur Krise von 1965/661 der Eindruck entstanden war, nationale Innenpolitik und europäische Integrationspolitik folgten eigenen Entwicklungsprozessen, wie es auch manche Integrationstheorien wie die der Föderalisten oder Funktionalisten suggerierten, so haben die siebziger Jahre um so stärker an die Abhängigkeiten nationaler und europäischer Innenpolitik von den Bedingungen des internationalen (Weltwirtschafts-) Systems erinnert. Die weltpolitischen Interdependenzen nationaler, internationaler, supranationaler und transnationaler Politik haben sich in ihren Krisenaspekten gerade auf dem eigentlichen Integrationsgebiet der EG, der wirtschaftlichen Integration, am deutlichsten niedergeschlagen.

Der von der Kommission der EG vorgelegte Bericht über die soziale Entwicklung im Jahre 1980 stellt dazu fest: „Die wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinschaft befand sich 1980 in einer tiefen Krise." Das wirtschaftliche Wachstum lag bei etwa 1, 3% gegenüber 1979, für 1981 ist ein Sinken gegen Null oder gar ein Schrumpfen prognostiziert. Die statistisch erfaßte Gesamtzahl der Arbeitslosen in der EG der Neun lag Ende 1980 mit 8, 0 Millionen bei insgesamt 7, 1 % der Erwerbspersonen und um 29% höher als Ende 1979. Die Inflationsrate lag Ende 1980 bei 11, 5%, für 1981 ist mit einem leichten Rückgang zu rechnen. Doch ist einerseits die Streuung zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten extrem hoch und zum an-deren ziehen die Politiken der Inflationsbekämpfung nachteilige Beschäftigungsauswirkungen nach sich, indem sie die Nachfrage-seite einschränken, den monetären Spielraum begrenzen und die Ausgaben im öffentlichen Bereich vermindern. Angesichts der Bandbreite von Inflationsraten und unterschiedlichen inflations-und arbeitslosigkeitsbekämpfenden Wirtschaftspolitiken ist eine gemeinschaftliche Wirtschafts-und Konjunkturpolitik der Mitgliedstaaten im Rahmen einer Wirtschafts-und Währungsunion (WWU) illusorisch. Nicht anders bestellt ist es um den finanziellen Spielraum der EG-Mitgliedstaaten zur Finanzierung notwendiger bestehender oder gar neuer (entwicklungs-und regionalpolitischer) Gemeinschaftsaufgaben. Das Finanzierungsdefizit der öffentlichen Haushalte betrug für alle Mitgliedstaaten im Jahre 1980 zusammen 180 Milliarden DM. Die Leistungsbilanzen aller Mitgliedstaaten außer Großbritannien sind defizitär. Die Bundesrepublik Deutschland stand 1980 mit 17, 25 Milliarden US-Dollar an der Spitze, auch Frankreich (7, 75 Mrd. US-Dollar), Italien (5, 25 Mrd. US-Dollar) und Belgien (6 Mrd. US-Dollar) hatten beträchtliche Defizite. Selbst wenn für 1981 mit geringeren Zahlen gerechnet wird, bleibt ein Leistungsbilanzdefizit für die Gesamtheit der Mitgliedstaaten in Höhe von 29, 5 Milliarden US-Dollar Die Finanzierungspielräume dürften sich noch weiter verengen.

III. Strukturprobleme in der EG — Endogene Faktoren europäischer Integrationsstagnation

Nur auf diesem strukturproblemorientierten Hintergrund der weltwirtschaftlichen Entwicklungen im internationalen System und ihrer Auswirkungen auf die Mitgliedstaaten der EG sind die wirtschafts-und sozialpolitischen, finanz-und haushaltspolitischen sowie institutionellen Probleme der EG der Zehn in ihrer Tragweite für den europäischen Integrationsprozeß abzuschätzen. Denn das Zusammentreffen der exogenen Faktoren mit den endogenen Integrationsproblemen ist das Dramatische an der jetzigen Situation der EG und das qualitativ Unterscheidende zu den bisherigen „Krisensituationen", denen zumeist eindimensionale Problempunkte (Scheitern einer Verteidigungsgemeinschaft [1954], Ausweitung supranationaler Befugnisse und Bewahrung nationalstaatlicher Souveränität [1965/66]) zugrunde lagen. Das additive Auftreten von Integrationsproblemen aber erhöht das Desintegrationspotential. Agrarpolitisch stellt die Gemeinschaft der Zehn ein technokratisches System öffentlich finanzierter Überschußproduktion dar. Zwar ist sowohl der hohe Selbstversorgungsgrad bei Produkten wie Getreide, Rindfleisch, Milch und Zucker wie auch die Stabilisierung von bäuerlichen Einkommen auf der Positivseite des integrierten Agrarmarktes zu verbuchen, doch stellen Überschußproduktion und der nicht mehr zu finanzierende überproportionierte 75-Prozent-Anteil der Agrarausgaben am EG-Haushalt das gesamte System des ohnehin nur noch künstlich — mittels Ausgleichsbeträgen als Brücke zwischen den „gemeinsamen“ Erzeugerpreisen — gestützten und erhaltenen Agrarmarktes der EG grundsätzlich in Frage Die Finanzierungspro-bleme des mit einer Verdopplungszeit von drei Jahren expandierenden EG-Haushalts sind zum großen Teil die Folge des Übergewichtes der Agrarausgaben. Da der jetzige Agrarmarkt eine landwirtschaftliche Einkommenspolitik über die Garantie und Stützung der Erzeugerpreise betreibt, damit auch den Anreiz zur Überproduktion zum System macht, treiben die Agrarausgaben den EG-Haushalt in die Höhe, ohne daß dieser ausreichende Mittel für entwicklungs-, Struktur-und regionalpolitische Maßnahmen enthielte. Die Gemeinschaft verfügt zwar seit 1975 über eigene Einnahmen in Form von Agrarabschöpfungen, Zöllen des gemeinsamen Zolltarifs und Finanzbeiträgen der Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Ein-Prozent-Mehrwertsteuer-Grenze, doch hat sich trotz dieses supranationalen Merkmals der Eigeneinnahmen das die Integration hemmende Problem der unterschiedlichen Belastung der einzelnen Mitgliedstaaten bei der Finanzierung der Gemeinschaft als Erinnerungstitel von Nationalismen herausgebildet. Der Vergleich von nationalem Input — in den Topf der Gemeinschaftseinnahmen — und nationalem Output — aus dem Topf der Gemeinschaftsausgaben — unter der Maxime des juste-retour-Prinzips hat zuletzt im Jahre 1979 zu einem Finanz-streit geführt, der bei nicht bald erfolgenden strukturellen Änderungen der EG-Ausgaben-politik ebenfalls systemischer Krisenbestandteil der EG zu werden droht. Großbritannien war 1979 der größte Nettozahler der Gemeinschaft; es zahlte bedeutend mehr ein, als es an Geldern wegen des relativ niedrigen Pro-Kopf-Einkommens und des verhältnismäßig geringen Anteils der Landwirtschaft am Sozialprodukt zurückerhielt Die aus innenpolitischen Gründen zwangsläufige Forderung Großbritanniens auf finanziellen Ausgleich führte zum Brüsseler Kompromiß vom 30. Mai 1980. Danach soll die finanzielle Nettobelastung Großbritanniens in den Jahren 1980 und 1981 um 2, 58 Milliarden ERE verringert werden, so daß der britische Netto-saldo 1980 nur noch 609 Millionen ERE und 1981 730 Millionen ERE beträgt. Die Netto-beiträge der anderen Mitgliedstaaten wurden dementsprechend angepaßt, was zur Folge hat, daß die Bundesrepublik Deutschland mit einem negativen Nettosaldo von 1, 72 Milliarden ERE im Jahr 1980 und 1, 97 Milliarden ERE im Jahr 1981 zum größten Nettozahler der Gemeinschaft wird.

Der Brüsseler Kompromiß ist symptomatisch für derzeitige EG-Verfahren des „policy-making“ Durch einen Verbalakt, eine Übereinkunft zwischen divergierenden nationalen Interessen nach dem Muster des „packagedeal" wird kurzfristig Entlastung verschafft, wobei die Realisierung selbst aber noch völlig unklar ist. Ungeachtet der jetzt erhöhten deutschen Zahlungsverpflichtungen, die innenpolitisch auch nur bis zu einer absehbaren Höhe vertretbar sind, setzt die tatsächliche Verringerung des britischen Nettosaldos eine grundlegende Reform der Ausgabenstruktur, d. h. vornehmlich eine Eindämmung der Agrarausgaben, voraus. Doch selbst wenn die Steigerungsrate der Agrarausgaben auf drei Prozent gegenüber 18 Prozent im Durchschnitt der siebziger Jahre verringert würde kletterte der britische Nettosaldo auf über 2 Milliarden ERE; das Ziel des Brüsseler Kompromisses wäre also verfehlt. Daß diese gemeinschaftliche Politik des Problemverschiebens im Zusammenhang mit der verzogenen Ausgabenstruktur, der Haushalts-finanzierung und der allgemeinen Knappheit öffentlicher Mittel letztlich bereits erreichte Integrationsstände destabilisiert, ist eine absehbare Folge. An die Stelle nicht möglichen gemeinschaftlichen Interessenausgleichs treten dann nationale Problemlösungsverfahren — wie sie auch zunehmend schon zur Bewältigung von Strukturproblemen sensibler Indu• striezweige wie Stahl, Textil und Schiffbau un-ter Anwendung nationaler Protektionismen praktiziert werden.

Im völligen Gegensatz zur wettbewerbspolitischen und marktwirtschaftlichen Zielsetzung der EG werden produktionsschwache Industriezweige national subventioniert, innenpolitisch aus Gründen der Arbeitsplatzerhaltung, was integrationspolitisch aber den Rückfall in die Renationalisierung von Industriesektoren bedeutet. Die Auseinandersetzungen um die freiwillige oder oktroyierte Quotierung der Produktion im Stahlbereich ist die Manifestierung der um sich greifenden industriestrukturellen „Krise" Absehen läßt sich auch, daß einzelne Mitgliedstaaten in zunehmendem Maß nach Schutz für ihre von der Konkurrenz aus Drittländern (Japan) bedrohten Industrien rufen werden, was im integrationspolitisch günstigsten Fall zu einem gemeinschaftlichen Außen-Protektionismus führt — sich aber mit der vielbeschworenen „Liberalisierung des Welthandels" nicht verträgt, vielmehr die geschlossene Handelsgemeinschaft fördert — und im integrationspolitisch mißlichsten Fall die Ersetzung gemeinschaftlicher Strukturmaßnahmen durch nationale Beihilfe-und Schutzpolitik bedeutet. In diesem Fall wäre die EG de facto selbst keine Freihandelszone mehr.

Bergen diese wirtschafts-, finanz-, haushalts-, agrar-und industriepolitischen Probleme je für sich genommen schon genug Konfliktstoff, so erreicht deren gleichzeitiges Auftreten als Problemverflechtung eine die Substanz der EG bedrohende, völlig neue Qualität mit einer nicht mehr zu übersehenden Gefahr der Desintegration. Wenn auf dieser Basis zudem noch das politisch motivierte Projekt der Süd-erweiterung der EG um Griechenland, Spanien und Portugal betrieben wird, so wird das „Krisensystem" der EG um weitere Probleme verschärft. Falsch wäre es jedoch, der Erweiterung der EG eine Schlüsselrolle für Stagnation oder mögliche Agonie des europäischen Integrationsprozesses zuzuschreiben. Die Süderweiterung macht die Integrationsprobleme nicht, sie spitzt sie aber zu.

IV. Die Süderweiterung: Der Strukturwa und seine integrationspolitische Auswirkung

1. Die politische Zielsetzung der Erweiterung Die Süderweiterung der EG ist eine politische Entscheidung, deren mögliche nachteiligen wirtschaftlichen und sozialen Folgen sowohl für einzelne Länder wie für das System der EG selbst nur von sekundärer Bedeutung zu sein scheinen. Primär verbinden Beitrittsländer und Mitgliedstaaten mit der Erweiterung die Erwartung, die demokratischen Strukturen in den Beitrittsländern nach dem Ende diktatorischer oder autoritärer Regime zu sichern, den Mittelmeerraum durch die Aufwertung der

südeuropäischen Randländer in der EG außen-und sicherheitspolitisch zu stabilisieren sowie die Entwicklung der für diese Stabilisierung erforderlichen gesellschaftlich-politischen und ökonomischen Basis zu fördern

Diese demokratie-und stabilitätsorientierte Zielsetzung der EG-Erweiterung entspricht den integrativen Leitbildern der Gründungsmitglieder der EG, die neben funktional-sektoralen Wirtschaftsvergemeinschaftungen die politischen Ziele der Friedenssicherung (durch Einbindung einer potentiellen deutschen Hegemonialmacht), der demokratischen Stabilisierung und der Behauptung der europäischen Nationalstaaten als dritter Macht in der internationalen Auseinandersetzung zwischen den Nachkriegsantagonisten USA und UdSSR verfolgten Insofern ist die Erweiterung des integrierten Europas um Griechenland, Spanien und Portugal eine logische Folge einer intendierten Festigung demokratischer Lebensformen in Europa. Nur ist es sehr zweifelhaft, ob nicht die durch die ökonomische Integration erzielten disruptiven Effekte für die Beitrittsländer so massiv sind, daß letztendlich die slabilitäts-und demokratieorientierte Absicht verfehlt wird Zu fragen bleibt auch, ob und inwieweit sich der Charakter der Gemeinschaft verändert und wie eine Integrationspolitik der dann zwölf Mitgliedstaaten überhaupt möglich ist.

Die Kommission der EG hat in ihren Studien zur Süderweiterung immer wieder betont, daß die Gemeinschaft infolge der allmählichen Verdopplung der Zahl ihrer Mitglieder viel von ihrer Homogenität verloren habe, was eine Verwässerung und Schwächung.der Gemeinschaft sowie die Infragestellung der grundlegenden Ziele bedeuten könne sie hat aber diese Erkenntnis nicht zu Ende-gedacht, vielmehr auf stetiges Wirtschaftswachstum als Problemlösungsmittel vertraut was sich mittlerweile mangels Wachstums als Fehlannahme herausgestellt hat. 2. Die ökonomische und soziale Struktur der Beitrittsländer Spanien, Griechenland und Portugal weisen bei aller unterschiedlichen Entwicklung im einzelnen (Spanien ist das entwickelste der drei Länder) doch wesentliche strukturelle Gemeinsamkeiten auf. Zu diesen Gemeinsamkeiten der drei Mittelmeerländer zählen

1. Ein Entwicklungsniveau, das sehr erheblich niedriger ist als das durchschnittliche Niveau in der Gemeinschaft.

2. Bedeutende regionale Ungleichgewichte, die sich mit Ausweitung der industriellen Kapazitäten verschärfen und zu einer Konzentration der Bevölkerung und der Tätigkeiten auf sehr wenige Regionen führen (Biskaya, Madrid, Guipuscoa, Barcelona in Spanien; Athen-Piräus in Griechenland; die drei nördlichsten Küstenregionen und Lissabon in Portugal). Die Folge sind ungleichgewichtige Einkommensverteilung und Verödung unproduktiver landwirtschaftlicher Regionen.

3. Eine große Bedeutung des Agrarsektors für Produktion und Beschäftigung. Obwohl sich die Bedeutung der Landwirtschaft seit den sechziger Jahren schon vermindert hat, macht sie immer noch über 10 Prozent des Bruttoinlandproduktes aus, gegenüber 4, 5 Prozent in der Gemeinschaft der Neun. Gleichwohl ist die Produktivität gering. Und während in der EG weniger als 10 Prozent der Bevölkerung im landwirtschaftlichen Bereich tätig sind, arbeiten in den drei Erweiterungsländern zusammen noch über ein Fünftel der Beschäftigten (in Griechenland ein Drittel) in der Landwirtschaft. 4. Eine Struktur der Industrieproduktion mit starken Wachstumsraten in den Jahren von 1960 bis 1975. Alle drei Länder befinden sich aber dennoch in einem verhältnismäßig frühen Stadium der Industrialisierung, was sich in geringer Produktivität und einer Vielzahl von Kleinbetrieben mit nur geringer Mechanisierung niederschlägt. Diese unausgeglichene Betriebsstruktur wurde durch Schutzzölle gegen internationalen Wettbewerb abgeschirmt und durch besondere Förderungs-und Stützungsmaßnahmen am Leben gehalten. Die Produktionsprogramme sind wenig diversifiziert, hingegen konzentriert auf traditionelle Produkte wie Nahrungsmittel, Textilien, Bekleidung und Lederwaren. Zu den dynamischen Wirtschaftszweigen gehören Chemie, Metallverarbeitung, Maschinen-und Elektromaschinenbau. Doch auch den schon in der EG problembeladenen, sog. „empfindlichen" Sektoren wie Eisen-und Stahlindustrie (v. a. Spanien), Schiffbau und Reparatur, Textilwaren, Konfektion und Schuhe kommt in den drei Mittelmeerländern große Bedeutung zu.

5. Ein starkes Arbeitskräftereservoir bei strukturbedingter Unterbeschäftigung mit der Folge großer Wanderarbeitnehmerschaft.

Mitte der siebziger Jahre stellten Spanien, Griechenland und Portugal 22 Prozent aller „Wanderarbeitnehmer" in der EG.

6. Eine unzulängliche Entwicklung der Infrastruktur und ein geringer Anteil des Staats-sektors am Bruttoinlandsprodukt mit der Folge nur unzureichender Wahrnehmung öffentlicher und sozialer Aufgaben.

3. Auswirkungen auf das System der EG

Die Auswirkungen dieser strukturellen Faktoren auf das System der EG, ihren Integrationsprozeß und auf die dort bereits existenten Strukturprobleme lassen sich danach wie folgt angeben:

Zum einen verschärft sich das Entwicklungsgefälle in der Gemeinschaft. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf Spaniens und Griechenlands beträgt nur etwa die Hälfte des Durchschnittswertes in der Gemeinschaft der Neun, und Portugal liegt noch deutlich darunter. Griechenland und Spanien befinden sich damit ungefähr auf dem Niveau Irlands oder etwas unter dem Italiens Der Graben zwischen den „starken" Nordländern (mit Ausnahme Irlands) und den „schwachen" Südländern wird sich noch vertiefen. Der politischen Aufwertung der Beitrittsländer steht damit zunächst einmal eine faktische ökonomische Hegemonie der Nordländer gegenüber. Daneben nehmen auch die regionalen Disparitäten zu. Zur Verdeutlichung: Der Abstand zwischen der reichsten Region der Neun — Hamburg — und den zwei ärmsten Regionen — West-Irland und Kalabrien — beträgt, auf die Pro-Kopf-Einkommen übertragen, 6: 1 bzw. 5: 1. Derselbe Bezug zwischen Hamburg und der benachteiligsten Region der künftigen Zwölfergemeinschaft — Vila Real Branganca in Portugal — wird sich in einem Verhältnis von 12: 1 ausdrücken. Die Zunahme der Disparitäten zeigt sich auch darin, daß von der zusätzlichen Bevölkerung von ca. 53 Millionen Menschen der Beitrittsländer annähernd 34 Millionen in Gebieten leben, deren Entwicklungsniveau nur teilweise das Entwicklungsniveau des süditalienischen Mezzogiorno erreicht, häufig aber noch darunter liegt Ferner bedeutet das Dazustoßen dreier mediterraner Landwirtschaften mit den für diese Region charakteristischen Produkten (Wein, Olivenöl, Obst und Gemüse) eine zusätzliche Belastung für den Gemeinsamen Agrarmarkt. Die neuen Absatzmöglichkeiten werden die Produktion der Mittelmeererzeugnisse auf Grund der Garantiemechanismen und des höheren Preisniveaus in der Gemeinschaft stark ansteigen lassen. Überschüsse sind die Folge, und ihre Finanzierung belastet den Agrarhaushalt noch weiter. Darüber hinaus führt die Konkurrenz mit Mittelmeererzeugnissen Italiens und Frankreichs zu einem Verdrän-gungswettbewerb und in die Gefahr, daß Italien und Frankreich nunmehr die Marktordnungen mediterraner Agrarerzeugnisse dem Protektionsgrad z. B.der Milchmarktordnung angleichen wollen, was wiederum dem dringend notwendigen Abbau des Agrarprotektionismus in der EG entgegensteht.

Bei den bislang angeführten Auswirkungen handelt es sich noch um statische Befunde. Gravierender sind die Folgen für Gemeinschaft und Beitrittsländer unter Beachtung Wettbewerbs-und marktwirtschaftlicher Prinzipien der EG: Öffnung der Grenzen bedeutet für die wirtschaftlich starken Länder der EG zunächst einmal die Erschließung neuer Absatzmärkte, nämlich ein auf 316 Millionen Verbraucher angewachsener gemeinsamer Markt, für Spanien, Griechenland und Portugal aber Anpassungs-und Wettbewerbsdruck. Die sozialen und regionalen Folgekosten der agrar-und industriepolitischen Umstrukturierung der Süderweiterungsländer trägt die EG als ganzes.

In der Anpassung der Agrarstrukturen liegt für die Beitrittsländer das Zentralproblem Steigerung der Produktivität und Abbau der starken regionalen und sektoralen Einkommensdisparitäten werden mit einer massiven Landabwanderung einhergehen, ohne daß, wie seinerzeit in Italien, rasch expandierende Industriezonen die frei werdenden Arbeitskräfte absorbieren können. Denn auch die kleinbetrieblich strukturierte Industrie der Beitritts-länder gerät unter starken Rationalisierungsdruck mit entsprechenden Freisetzungswirkungen von Arbeitskräften. Denn die Aufhebung der Zollschranken in diesen Ländern und damit die Verwirklichung der binnenwirtschaftlichen Zollunion im Rahmen der Integration führt notwendig zur Eliminierung ineffizienter nationaler Produktionen. Dieser Produktivitätsgewinn durch industrielle Struktur-vereinigung entspricht einerseits der ökonomischen Zielsetzung der europäischen Integration, bedeutet andererseits aber die Vertiefung bestehender regionaler Disparitäten in der EG, weil die jeweils gefährdeten Produktionen ohnehin zu einem großen Teil in wirtschaftlich rückständigen Randzonen konzentriert sind. Was somit an ökonomischem Integrationsfortschritt durch die Aufhebung der Schutzzollsysteme zu verbuchen ist, ist an regionaler und sozialer Desintegration wieder abzubuchen.

Das gleiche gilt für die aus der Öffnung der Grenzen resultierende Intensivierung des gegenseitigen Warenaustausches, der Integration der Faktormärkte(der Integration der Kapital-und der Mobilität der Produktionsfaktoren) Nach den Modellvorstellungen neoklassischer Theorien über die marktregulierte optimale Raumnutzung müßten die Arbeitskräfte aus Gebieten der Unterbeschäftigung auswandern und müßte Kapital den unterentwickelten Regionen zufließen, da dort ein hoher Kapitalbedarf besteht und die Löhne niedrig sind. Tatsächlich aber ist die Abwanderung von Arbeitskräften mit den sozialen Folgeproblemen regionaler Entvölkerung, sozialer Entwurzelung und gesellschaftlicher Fremdintegration belastet. Das Kapital wird kaum in Problemregionen investiert, dafür wachsen die Ballungszentren, weil hier die notwendige Infrastruktur schon vorhanden ist, während Erschließungskosten für neue Infrastrukturmaßnahmen das betriebswirtschaftliche Kosten-Gewinn-Verhältnis verzerren und damit zum Hindernis der problemzonenorientierten Kapitalinvestition werden. Der Marktmechanismus kann also nicht die optimale räumliche Verteilung der wirtschaftlichen Ressourcen und Aktivitäten herbeiführen.

Auch das bislang niedrige Lohnniveau in den Südländern und ihren Problemregionen ist kein Korrektiv und kein Anreiz für die Auslagerung von Produktionen aus den hochentwickelten Industrieländern des Nordens. Zum einen ist das Lohnniveau in Drittländern noch weitaus geringer (Tunesien, Marokko und andere Mittelmeerländer sowie die AKP-Staaten), zum anderen ließe sich das niedrige Lohnniveau nur durch eine Politik des Lohn-drucks aufrechterhalten, was jedoch weder sozialpolitisch wünschbar ist noch der vertraglichen Zielvorstellung der EG entspräche, den sozialen Fortschritt zu befördern. Vielmehr wird die Integration der Arbeitsmärkte zu einer Vereinheitlichung gewerkschaftlicher Lohnpolitik und des tatsächlichen Lohn-niveaus führen mit der Folge überdurchschnittlicher Lohnerhöhungen in den weniger entwickelten Gebieten der Gemeinschaft Dies wiederum bedeutet, daß ein eventueller Wettbewerbsvorsprung gegenüber Drittländern aufgrund des bisher niedrigen Lohn-niveaus und eines überdurchschnittlichen Produktionsgewinnpotentials zunichte gemacht und in einen Wettbewerbsnachteil verkehrt wird.

Die regionalen Disparitäten vertiefen sich also noch, die strukturelle Arbeitslosigkeit in der Gemeinschaft nimmt weiter zu, und dies vor allem noch in den Problemregionen Damit ist nicht nur ein scharfer, politischen und sozialen Sprengstoff bergender Konflikt der Sozialpartner in den Süderweiterungsländern, sondern auch ein Sozialkonflikt zwischen Süd-

und Nordländern vorprogrammiert. Letztere besitzen aufgrund ihres ausgebauten Sozialversicherungssystems eine starke Attraktivität für Arbeitnehmer unterentwickelter Regionen. Die Massenarbeitslosigkeit von — statistisch erfaßten — acht Millionen Erwerbspersonen allein in der EG der Neun erlaubt jedoch kein Umleiten und Auffangen von regionaler Arbeitslosigkeit mehr durch Wanderungsströme in ehemals aufnahmestarke Nordländer.

Die Destabilisierungseffekte für die EG und damit für die Europäische Integration sind also prognostizierbar Die strukturellen, sozialen und regionalen Probleme, die durch Genügen der ökonomischen Imperative der Öffnung der Grenzen in den Erweiterungsländern entstehen, sind Lohndruck, dauerhaft hohe Arbeitslosigkeit, Reduzierung der Massenkaufkraft, Erhöhung der Einkommensdisparitäten, Vernichtung des kleinen und mittelständischen Gewerbes, schließlich Konzentrationsprozesse in Landwirtschaft und Industrie.

Wenn die demokratie-und stabilitätsorientierte Aufgabe der Süderweiterung darin besteht, ohne diktatorische oder autoritäre Lösungen demokratische Mehrheiten für eine demokratische Regierungsform und für die Eingliederung in die EG zu erhalten, dann stellt sich die Frage, inwieweit sich in den Südländern demokratische Mehrheiten für eine Politik finden lassen, die die Anhebung des sozialen Lebensstandards nur zu ihrem Programm hat, de facto aber infolge Anpassungsund Wettbewerbsdruck sozioökonomische Einbußen hinnehmen muß, um den Anforderungen des Gemeinsamen Marktes zu genügen

Eine auf bloßen Marktmechanismus setzende Wirtschaftsunion begünstigt die ohnehin prosperierenden Ballungsgebiete und wirtschaftlich stärkeren Länder und verschärft damit das regionale und nationale Gefälle in Europa. Es ist eine gesicherte Erkenntnis, daß allein durch die Öffnung der Märkte und die Liberalisierung des Handels die Entwicklung in den schwächeren Regionen der Gemeinschaft eher gehemmt denn gefördert wird, oder, um mit Gunnar Myrdal zu sprechen, daß die „spread" -Effekte erhöhter wirtschaftlicher Aktivität sich in den ärmeren Gebieten weniger auswirken als die „backwash" -Effekte, d. h.der Fluß von Ressourcen aus den armen Gebieten in jene reicheren Gebiete mit höherer wirtschaftlicher Effizienz Das „Europa der Regionen", ursprünglich die politische Zielvorstellung eines dezentralistisch organisierten, aber vereinigten Westeuropas, könnte damit die zutreffende Charakterisierung des Europas sein, dessen politisches Schicksal in den vernachlässigten Regionen entschieden wird.

4. Folgerungen — Die Notwendigkeit einer Integrationspolitik als Entwicklungspolitik Was sind die Folgerungen aus dieser Analyse? Die europäische Integration ist an ihr Ende gekommen, wenn die innere Heterogenität von Ländern und Regionen, das starke Entwicklungsgefälle zwischen reichen und armen Gebieten innerhalb der Gemeinschaft nicht ausgeglichen wird. Mit der Integration der Süderweiterungsländer in die EG werden zugleich die Strukturprobleme dieser Länder in die ohnehin schon bestehenden Strukturprobleme der EG integriert. Mit dieser . Problemintegration'wird der Nord-Süd-Konflikt integraler Bestandteil der europäischen Staatengemeinschaft. Aus der Gemeinschaft hochentwickelter Industriestaaten mit problematischen Randgebieten (Irland, Mezzogiorno) wird eine Gemeinschaft von Industrienationen und industriellen Schwellenstaaten Der Wandel von einer Markt-Gemeinschaft zu einer Entwicklungs-Gemeinschaft ist nur schwer zu leugnen — wenngleich er bisher von der europäischen politischen Öffentlichkeit geflissentlich ignoriert wird.

Die Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik (Integrationspolitik als Entwicklungspolitik) des regionalen und sozialen Ausgleichs liegt auf der Hand: Zum einen ist es die normative Zielsetzung der EG-Politik, die „harmonische Entwicklung" der Volkswirtschaften zu fördern, indem der Abstand zwischen einzelnen Gebieten und dem Rückstand weniger begünstigter Gebiete verringert wird Zum anderen ist die Verringerung regionaler, ökonomischer und sozialer Disparitäten conditio sine qua non wirtschaftlicher und politischer Integration. Das Maß an Symmetrie, an wirtschaftlicher Gleichgewichtigkeit der einzelnen Einheiten eines Integrationssystems, ist nicht beliebig verzerrbar, ohne daß der Grad an Integration beeinträchtigt wird. Integrationssysteme entwickelter Regionen (hierzu ist die EG in ihrer Gesamtheit zu zählen) können eine relativ hohe wirtschaftliche, nicht notwendig politische Integration erreichen, wenn das Verhältnis des Bruttoinlandsproduktes zwischen den reichsten und ärmsten Gebieten nicht stärker als im Verhältnis von 5 : 1 streut Mit der Süd-erweiterung wird dieses Verhältnis extrem strapaziert und bis zu einer Relation von 12: 1 überstiegen. Das starke Entwicklungsgefälle ist nicht die Ausnahme sonstiger Symmetrie, sondern die Asymmetrie ist die Regel in der Zwölfergemeinschaft.

Über die Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen regionalen, sozialen und ökonomischen Struktur-und Entwicklungspolitik kann es daher keinen Zweifel geben — vorausgesetzt, man will das integrierte Europa der Zwölf politisch wirklich. Immerhin sind auch Formen „abgestufter" Integration im Anschluß an den Tindemans-Bericht diskutiert, aber bisher — zu Recht — nicht weiterverfolgt worden Integration unterschiedlicher („abgestufter") Intensität bedeutete die faktische Abkoppelung der reichen Länder und eine getrennte Integrationsentwicklung. Dieses Konzept würde das Direktorialsystem der konzertierten Interessen der großen Mitgliedstaaten institutionell absegnen, die regionalen und nationalen Ungleichgewichte und Disparitäten institutionell verewigen und ökonomisch vertiefen. Den gleichen Effekt weiterer Komplizierung der institutioneilen Struktur in Westeuropa mit ungewissem Ausgang für Wirkungsgrad und Finalität des Einigungsprozesses hat ein „Europa ä la carte" das als Mittelding zwischen abgestufter und gemeinsamer Integration die Möglichkeit von Teilabkommen vorsieht, deren Beschlüsse nicht alle, sondern nur die jeweils mitwirkenden Mitglieder binden. Hält man hingegen an der Prämisse gemeinsamer Integration fest, so wird Integrationspolitik als Entwicklungspolitik zu betreiben sein, was aber heißt, den zukünftigen Schwerpunkt im Unterschied zum Zielwert des gemeinsamen, „freien" Marktes nicht auf die Liberalisierung von Handel und Markt, sondern auf die politischen Korrektur-und Interventionsmöglichkeiten durch Koordination bzw. Vergemeinschaftung von nationalen Politiken und Instrumenten zu legen. Die Frage stellt sich aber damit, ob die Gemeinschaft hierzu erstens von ihren Integrationsprinzipien und -instrumenten her in der Lage und politisch willens ist und zweitens angesichts schon bestehender Struktur-und Finanzprobleme so viel Integrationsmotivation und Interessenausgleich aufzubringen vermag.

Denn zum einen ist das ordnungspolitische Prinzip des Gemeinsamen Marktes geschaffen als marktwirtschaftliches Steuerungsinstrument zur Verbesserung des Wettbewerbs auf hochentwickelten Märkten, nicht aber als Interventionsmechanismus zur gezielten Anhebung der Wettbewerbsfähigkeit weniger entwickelter Volkswirtschaften und Regionen

Zudem fehlen bisher wirksame strukturverändernde und strukturangleichende Instrumente der EG. Die bisherigen instrumentellen Ansätze einer Entwicklungs-, Regional-, Sozial-und Strukturpolitik (Finanzmittel des EGKS-Vertrags, Agrarfonds, Sozialfonds, Europäische Investitionsbank) sind primär als regulative „Koppelprodukte" der jeweiligen Bereichspolitiken von Industrie-, Wettbewerbs-und Agrarpolitik eingesetzt und dementsprechend schwach finanziell ausgestattet, aber nicht als eigenes und generelles strukturpolitisches Instrumentarium ausgebaut worden Zum anderen erfordert eine neue Integrationspolitik als Entwicklungspolitik eine Freisetzung finanzieller Mittel, die schwerlich auf dem Wege zusätzlicher Belastungen nationaler Haushalte, vielmehr nur durch die Neudefinition gemeinsamer Aufgaben und Aufgabenübertragung sowie die dementsprechende Umstrukturierung bestehender Ausgaben aufgebracht werden können.

V. Bedingungen und Möglichkeiten eines integrationspolitischen Konzeptes des regionalen und sozialen Ausgleiches

Im folgenden sollen nun Bedingungen und Möglichkeiten einer gemeinschaftlichen Politik des regionalen und sozialen Ausgleiches in einer Zwölfergemeinschaft diskutiert werden. Der Aufweis der Notwendigkeit einer solchen Politik und eines darauf abgestimmten Konzeptes vermag alleine noch nicht die Realisierungschancen zu bestimmen. Hierzu ist eine Analyse der derzeitigen europäischen Integrationspolitik und Integrationsmethoden sowie der Ziel-und Interessenkonflikte erforderlich, die ein solches Konzept notwendig impliziert.

Da es sich hierbei um ein politisches Konzept der Problemlösung handelt, ist zunächst danach zu fragen, wie es sich in den bisherigen Fortgang der Integration einordnet.

Integrationsmethodische Einordnung Die EG war zunächst einmal der Versuch eines wirtschaftlichen Zusammenschlusses von Nationalstaaten. Der wirtschaftlichen Integration entsprach eine als „Funktionalismus" gekennzeichnete Methode der Integration, die die Bildung eines politischen Gesamtsystems als Funktion und Folge vorangegangener sektoraler und partieller (wirtschaftlicher) Inte-grationsschritte ansieht: „form follows function". Funktionalisten sehen die EG als Zweckverband funktioneller Integration ohne bundesstaatlichen oder präföderalen Charakter. Dem stand in der Gründungsphase eines vereinigten Europas ein föderaler Ansatz gegenüber, der in der Schaffung supranationaler Institutionen die Voraussetzung eines bundesstaatlich organisierten Europas sah.

Die Kontroverse zwischen Föderalisten und Funktionalisten wurde exemplarisch in der Ersten Beratenden Versammlung des Europa-rates 1949 ausgetragen und mit einem Kompromiß zugunsten einer „political authority with limited functions but real powers" entschieden Dieses Nebeneinander einer zwar nicht supranationalen Herrschaftsgewalt, aber doch institutioneilen Gemeinschaftsebene und einer bewahrten nationalstaatlichen Souveränität sollte dann auch bestimmend sein für die Gründung der einzelnen europäischen Gemeinschaften. Die Föderalisten konnten für sich die supranationalen Institutionen von Montanunion, Atomgemeinschaft und Wirt-schaftsgemeinschaft reklamieren, die Funktionalisten das Prinzip der praktischen Handhabung praktischer Fragen, das die Organisation eines „Vereinigten Europas" — so die Föderalisten — letztendlich offenließ.

In der Folge wurde Integrationspolitik jedoch weitgehend pragmatisch, d. h. von Schritt zu Schritt und nach der Zielsetzung eines „Gemeinsamen Marktes" betrieben, und dies weitgehend an den europäischen, vertraglich vorgesehenen Institutionen vorbei durch die Zunahme zwischenstaatlicher Vereinbarungsund Konsultationspolitik von Fall zu Fall Wenn auch die Integrationstheorie weitgehend der konkreten Integrationspolitik nachgeht und nicht diese durch jene bestimmt wird, so bildete sich doch, den politischen Integrationspragmatismus aufnehmend, so etwas wie ein funktionalistisches Credo heraus. Dieses erhoffte durch die Integration von sektoriellen Teilbereichen den qualitativen Sprung von der wirtschaftlichen zur politischen Integration („spillover-Effekt'j und vertraute dabei auf eine dem funktionalen Entwicklungsprozeß „inhärente expansive Logik". Funktionalistischer Inkrementalismus und Automatismus stützten sich in erster Linie auf den angeblichen technokratischen Selbstlauf, der neben und ohne die „große Politik" die europäische Integration bewerkstelligen sollte

Dieser Glaube wurde erstmals durch die Krise von 1965/66 erschüttert, mit dem versuchten Übergang von der . negativen'(Handels-und Zollhemmnisse beseitigenden) zur . positiven'(Wirtschafts-und Währungsunion sowie Europäische Union prospektierenden) Integration durch die Wiedereinschaltung „hoher" zwischenstaatlicher Konferenzpolitik methodisch widerlegt und vollends durch die jezige Entwicklung falsifiziert.

Heute führt die Integration nicht über einen nicht mehr funktionierenden wirtschaftlich-deterministischen Selbstlauf, sondern nur politisch über die Bewältigung von Strukturproblemen, die zu einem Teil als Folge funktionaler Integration entstanden sind. Die funktionalistische Markt-Konzeption zeigt im Agrarsektor ihre politischen Grenzen; der Gemeinsame Markt gewährleistet nicht die Verwirklichung des Zieles einer gleichgewichtigen wirtschaftlichen Entwicklung in den Mitgliedstaaten; und es sind gerade die Integrationsfortschritte gewesen, die dazu geführt haben, daß sich gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte in den Mitgliedsländern unmittelbar auf die Entwicklung der Gemeinschaft ausgewirkt haben Es ist damit nicht die " List der funktionalistischen Vernunft, sondern die Ironie des Funktionalismus, wenn nun die wirtschaftlichen Integrationsstände in Teilbereichen über ihren eigenen Problemcharakter ins Politische überschlagen.

Die Verflechtung von nationdlen und europäischen Problembewältigungsebenen führt heute zu einer extensiven Ausdehnung der nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch politischen Themenbereiche des Gemeinschaftssystems und der Unmöglichkeit der Trennung von Aufgaben zwischen nationaler und Ge-meinschaftsebene. Aus der Verflechtung mitgliedstaatlicher und gemeinschaftlicher Probleme erwächst eine interdependente trans-nationale Politikstruktur mit verschiedenen, nicht eindeutig identifizierbaren und zuzuordnenden Interessenkonflikten. Es sind Zielkonflikte zwischen reichen Nord-und armen Südländern, zwischen Kapital-und Arbeitseite innerhalb eines Mitgliedstaates und zwischen den Staaten auf europäischer Ebene, also mehrfach dimensionierte Verteilungskämpfe; ferner zwischen nationalprotektionistisch orientierten Industrien (Stahl, Textil, Schiffbau, auch Fischerei) und solchen, die auf offenem europäischen Binnenmarkt Absatzmärkte suchen; zwischen mediterraner Agrarund nördlicher Industriestruktur; zwischen den mediterranen Agrarwirtschaften selbst (Verdrängungswettbewerb); zwischen den Ordnungsvorstellungen politischer und sozialer Interessenträger der politischen Infrastruktur der Gemeinschaft usw. Die derzeitigen Probleme der EG und die schon vorhandenen und absehbaren Interessenkonflikte zeigen also, daß sich längst ein gemeinschaftliches politisches Beziehungsgeflecht herausgebildet hat, das die Gemeinschaft vor die Notwendigkeit gemeinsamer Problemlösungsverfahren stellt. Ob indes die politische Verknüpfung von Problemen und die Neudefinition von Aufgaben einer Integrationspolitik als Entwicklungspolitik auch tatsächlich zu einer Aufwertung gemeinsamer Verfahren führt, ist eine andere Frage Der „spill-back" erscheint nicht ausgeschlossen, wenn man sich die Zielkonflikte einer gemeinsamen europäischen Regional-, Entwicklungs-, Struktur-und Sozialpolitik vergegenwärtigt.

2. Ziel des Konzeptes „Europäische Sozialgemeinschaft"

Ziel eines Konzeptes des regionalen und sozialen Ausgleiches in der EG ist es, einen integrationspolitischen Orientierungsrahmen für die Bewältigung der Strukturprobleme der EG der Zwölf zu geben. Dieses Konzept soll die Politik des „muddling through 1'durch einen prospektiv-finalen Richtungswert zukünftiger Integration und Integrationspolitik ersetzen. Es soll aufzeigen, daß nur die soziale, zwischen sogenannten „reichen" und „armen" Ländern regional ausgleichende Stoßrichtung die — zugleich auch einzige — Entwicklungsmöglichkeit eines „integrierten", d. h.demokrati-sehen, sozialen und deshalb stabilen und befriedeten Westeuropas sein wird. Begrifflich könnte dieses Konzept „Europäische Sozialgemeinschaft" genannt werden, wobei dieser Begriff dann als ein umfassender, nicht Politische, Wirtschafts-und Sozialgemeinschaft analytisch trennender Begriff intendiert ist. Er soll die notwendige soziale und regionale Schwerpunktverlagerung von bislang hauptsächlich ökonomisch-marktwirtschaftlich ausgerichteter Integrationspolitik und Integrationsmethoden kennzeichnen. Gemeint ist schließlich damit ein konzeptionell-struktureller Zielwert für eine gemeinschaftliche, solidarische Entwicklungspolitik, deren Kernpunkte Regional-, Sozial-und Strukturpolitik und die Methode des Ressourcentransfers sind; gemeint ist kein institutionelles Zielmodell der Gemeinschaft

Ein solches Konzept hat ordnungspolitische und instrumentelle Implikationen, deren Auswirkungen und Konflikthaftigkeit in den Kernpunkten umrissen werden sollen. 3. Der ordnungspolitische Ziel-und Interessenkonflikt Ordnungspolitisch bedeutet die Korrektur des marktwirtschaftlichen Integrationsprinzips

die Inkompatibilität zwischen den ökonomischen Interessen der hochentwickelten Industrieländer (wie der Bundesrepublik Deutschland) und denen der südlichen Schwellenländer. Zielt doch die Bundesrepublik ähnlich wie andere hochentwickelte Industriestaaten gerade unter dem Eindruck ökonomischer Problementwicklungen in ihrer wirtschaftspolitischen Grundorientierung auf einen Ausgleich der Handels-und Leistungsbilanz sowie auf Offenheit der Grenzen und freien Markt, um die Exporttätigkeit zu stärken und Auslandsmärkte für moderne Technologie-und komplexe Engeneering-Leistungen zu erschließen Diesem Interesse an der Sicherung eines großen offenen Marktes für Industrieproduktionen und der unbehinderten Durchsetzung der ökonomischen und technologischen Überlegenheit steht das Interesse einer ökonomischen und sozialen Stabilisierungspolitik nach Etablierung eines kaufkräftigen Binnenmarktes in den Süderweiterungsländern entgegen. Besondere Schutzmechanismen, regional gelenkte Struktur-und Entwicklungspolitik mit ihren zahlreichen Interventions-und Korrekturinstrumenten, aber auch innereuropäische Produktions-und Investitionslenkung im von den Industrieländern formulierten Interesse einer innergemeinschaftlichen Arbeitsteilung passen nur schwer in eine Wettbewerbs-und Marktpolitik mit ihren über den Markt vermittelten Steuerungseffekten. So läuft nicht nur die Bundesrepublik Deutschland als größte Industrie-und Finanzmacht des Kontinents Gefahr, bei gegebener liberalistischer Wirtschaftsphilosophie kontraproduktiv im Hinblick auf die politisch-sozioökonomischen Stabilisierungsziele der Süderweiterungsländer zu wirken. Es scheint, als müßte die Diskussion um Markt und Plan auf europäischer Ebene noch einmal geführt werden. Dabei sollte in Rechnung gestellt werden, daß europäische Markt-und Wettbewerbspolitik mehr einem Mythos nachhinkt, als daß sie der Realität entspricht: der Agrarmarkt ist ein gemeinschaftliches System nationaler Protektionismen; Stahl, Textil und Schiffbau erfreuen sich nationaler Subventions-und Beihilfepolitiken und nichttarifäre Handelshemmnisse treten zu einem großen Teil an die Stelle alter Zollschranken. So ist die EG auch heute noch weit von einer Wirtschaftsgemeinschaft mit binnenmarktähnlichen Verhältnissen entfernt — nicht zuletzt deshalb, weil keine politisch verantwortliche Instanz die „ungebrochene Wirkung von Marktkräften akzeptieren kann, solange die Kosten der durch die Integration erzwungenen strukturellen Anpassungen regional und sozial unterschiedlich ausfallen"

4. Die Disharmonie von transnationaler Politikverflechtung und nationalstaatlicher Politiklegitimation und die Notwendigkeit einer kohärenten Integrationspolitik Transnationale Politikverflechtung und nationalstaatliche Politiklegitimation führen zu Spannungen zwischen Gemeinschaftsebene und Mitgliedstaaten und zeigen einen weiteren Zielkonflikt eines europäischen Konzeptes regionalen und sozialen Ausgleichs an. Er betrifft die notwendige Kohärenz eines solchen Konzepts.

Kohärenz heißt, das bestehende Beziehungs‘geflecht der Einzel-und Teilpolitiken (Wirtschafts-, Industrie-, Wettbewerbs-, Agrar-, Sozial-, Regional-, Arbeitsmarkt-, Energie-und Umweltpolitik) zu einem politischen Gesamtkonzept der Entwicklungs-und Strukturreformen zu verbinden. Es wurde schon gezeigt, daß Lösungsmöglichkeiten für die . integrierten'Strukturprobleme von Süderweiterungsländern und Gemeinschaft nicht allein im Rahmen von Wettbewerbs-, Agrar-oder Strukturanpassungspolitiken gesucht werden können, ohne daß die regionalen Disparitäten und sozialen Friktionen weiter anwachsen. Jeweilig nur sektorielle Strukturpolitik — Förderung von Wachstum, Konzentration der industriellen Fertigung, Umstellung agrarischer Produktionen — ohne entsprechende arbeitsmarktpolitische, sozialpolitische und regional-politische Abstimmung führt in ein, salopp formuliert, integratives Chaos, zur vollständigen Restauration nationaler Problemlösungsverfahren auf Kosten der ökonomisch schwächeren Länder.

Zudem können entwicklungs-und regionalpolitische Strukturreformen nicht ohne Berücksichtigung gemeinschaftlicher Instrumentarien und Finanzierungsmöglichkeiten formuliert werden. So wurde schon angeführt, daß eine Freisetzung von Finanzierungsmitteln für weitere Aufgaben der Gemeinschaft wohl nur über die Umverteilung jetziger Ausgaben (v. a. im Agrarsektor), aber kaum über die noch stär-kere Belastung nationaler Haushalte und die Erhöhung der Eigeneinnahmen der EG möglich sein wird. Wenn ein solches Gesamtkonzept die horizontale Bündelung von Teilpolitiken unter entwicklungspolitischem Aspekt und den kohärenten Einsatz entwicklungspolitischer Instrumente voraussetzt, um so die gemeinschaftlichen, einzelstaatlichen und regionalen Anstrengungen koordiniert und gesamtwirtschaftlich zu vereinbaren, so tut sich ein Dilemma auf: Das Konzept „Europäische Sozial-gemeinschaft" erfordert Institutionen, die verantwortlich die Wirtschafts-, Konjunktur-, Geld-, Kredit-, Finanz-, Regional-und Sozialpolitik lenken können, um die Unterschiede zwischen den Regionen und die sozialen Probleme der Gemeinschaft beheben zu können. Umgekehrt sind es aber gerade diese Struktur-unterschiede und -probleme, die es den nationalen Akteuren so schwer und nahezu unmöglich machen, sich ihrer wirtschafts-und sozialpolitischen Verantwortung ohne Risiko und Legitimationsverlust zu entäußern. Aber ohne wirtschafts-und sozialpolitisch verantwortliche Organe wiederum kommt es kaum zur Milderung oder Behebung der Strukturunterschiede und -probleme, noch zu weitreichenden Integrationsfortschritten An dieser Quadratur des Kreises ist bislang die schon lange prospektierte Wirtschafts-und Währungsunion gescheitert — und wird das Vorhaben der Europäischen Union erst recht scheitern Dieses Dilemma ist darauf zurückzuführen, daß dem Beziehungsgeflecht von Problemen und Politiken keine politisch und demokratisch legitimierte Gemeinschaftsinstanz entspricht, die eine EG-Binnenpolitik formulieren, durchsetzen und verantworten könnte Gemeinschaftspolitik wird immer noch national legitimiert (durch Wahlen), promoviert (durch Verbandsinteressen) und verantwortet (durch die nationalen Regierungen). Diese Ungleichgewichtigkeit von transnationalen Politikproblemen und nationalerLegitimationszuständigkeit hat ihre Entsprechung in der dualen Politik-und Institutionenstruktur, im Nebeneinander von vertragsbegründeter, gemeinschaftlicher und außervertraglicher, intergouvernemental-kooperativer Politikebene Die integrierten , Kernbereiche sind Agrar-, Handels-und Wettbewerbspolitik. Daneben aber, und zwar vorherrschend und institutionalisiert durch den vertraglich nicht vorgesehenen Europäischen Rat werden nationale Politiken in kooperativer Form und nach dem Prinzip der Konvergenz nationaler Interessen mehr oder weniger dicht koordiniert.

Die Intergouvernementalität trifft sowohl für den Bereich der allgemeinen Wirtschafts-, Konjunktur-und Währungspolitik als auch für die Bereiche von Regional-, Energie-, Industrie-, Umwelt-, nichtnuklearer Forschungs-, Bildungspolitik und für die gemeinsame Außenpolitik (EPZ) zu. Zweifellos gewinnt damit die Staatenzusammenarbeit auf EG-Ebene schon auf Grund bestehender Interdependenzen an Regelungsumfang. Aber zum einen wird der Gewinn an Integrationsbreite durch einen Mangel an Integrationstiefe erkauft und zum anderen führt die Verflechtung von gemeinschaftlicher und nationaler Zuständigkeit für institutionell nicht abgesicherte Politik zu permanenten Spannungen zwischen nationaler und gemeinschaftlicher Politik. Zudem wird die Disharmonie zwischen integrierten Kernbereichen und den Bemühungen um intergouvernementale Koordinierung sicherlich vertieft werden, weil es kaum gelingen dürfte, das integrierte Vorgehen durch Befugnisübertragungen auf weitere Gebiete auszudehnen, es sei denn, materielle oder ideelle Vorteile wögen den Nachteil autonomen Handlungsverlustes der nationalen Regierungen auf

Dementsprechend unrealistisch und illusorisch wäre es, Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit eines entwicklungspolitischen Konzeptes allein an die Trägerschaft gemeinschaftlicher Institutionen binden zu wollen. Ein System abgestufter politischer Handlungsformen, in dem gemeinschaftliche, koordinierte und nationale Politikzuständigkeiten begründet wer-den entspricht dem derzeitigen und absehbaren Stand der inneren Verfassung der EG am ehesten und bietet damit dem Konzept des regionalen und sozialen Ausgleichs überhaupt erst eine Chance: Regional-, Entwicklungsund Strukturpolitik könnten gemeinschaftlich konzipiert, mit den Erfordernissen anderer Politiken abgestimmt, finanziert und kontrolliert werden; koordiniert könnten die Mittelvergabekriterien erarbeitet und Instrumente ausgewählt und national die Mittel eingesetzt und abgestimmt werden.

5. Teilpolitiken, Mittel und Instrumente Schließlich sollen noch die Grundsätze angegeben werden, nach denen gemeinschaftliche Mittel und Instrumente eingesetzt werden sollten. Dabei wird auf die einzelnen Politiken abgestellt, die dem Gesamtkonzept eingepaßt und auf die entwicklungspolitische Priorität hin abgestimmt werden müssen. Sektorale Politik hat sich am final-strukturellen Zielwert der „Europäischen Sozialgemeinschaft" auszurichten. Den Vorrang der Gemeinschaftspolitiken, die sich an diesem Zielwert orientieren, erhalten RegionalundSozialpolitik. In der Regionalpolitik geht es angesichts der Vergrößerung interregionaler Disparitäten um den Abbau des Wohlstandsgefälles und die Sicherung eines wanderungshemmenden Lebensstandards; in der Sozialpolitik geht es nicht nur um die soziale Abfederung regionaler Disparitäten und verschärfter Beitrittsfolgen, sondern um den Ausbau eines generellen Struktur-und beschäftigungspolitischen Instrumentariums, das vom sozialen Korrektur-zum Vorbeugeprinzip übergeht. Wichtigste Mittel für beide, ineinander zu verzahnende Politiken sind Regional-und Sozialfonds. Wesentliche Änderungen werden jedoch erforderlich sein Für Regionalpolitik und Regionalfonds müssen gelten: 1. Konzentration der finanziellen Mittel auf die armen Regionen (z. B. Mezzogiorno, Andalusien, Alentejo);

2. Exklusivität für wirklich bedürftige Länder, d. h. Veränderung des Quotensystems zugunsten der ärmsten Mitgliedstaaten 3. Aufstockung des Regionalfonds, damit die Zuschüsse der Gemeinschaft in Ergänzung zu nationaler Regionalpolitik entwicklungspolitisch relevante Effekte erzielen 4. Längerfristig: Innergemeinschaftliche Umverteilung von Ressourcen zu regional-und strukturpolitischen Zwecken, d. h. die Aufgabe des Quotensystems zugunsten eines inter-regional wirksamen innergemeinschaftlichen Finanzausgleichssystems zwischen den reichen und den armen Mitgliedstaaten; 5. Entwicklung von integrierten regionalen Konzeptionen durch die Gemeinschaft. Bisher wird die Gemeinschaft nur komplementär und subsidiär zu nationaler Regionalpolitik tätig; 6. Aufhebung des Tabus der gemeinschaftlichen (und mitgliedstaatlichen) Durchführung und Kontrolle Die Gemeinschaft benötigt zur effektiven Abstimmung entwicklungspolitischer Maßnahmen ein gemeinschaftseigenes Statistik-und Informationssystem, und, solange nicht effektive Regionalentwicklungsinstitutionen wie die „Cassa per il Mezzogiorno“ geschaffen sind, Instrumente strikter Verwendungskontrolle von abgeflossenen Mitteln. Die peinliche Wahrung nationalstaatlicher Souveränität für Projektdurchführung und Erfolgskontrolle bei gleichzeitiger Inanspruchnahme gemeinschaftlicher Mittel ist ein Anachronismus, der die Bereitwilligkeit der reichen Länder, Transferleistungen zu erbringen, zusätzlich hindert Für Sozialpolitik und Sozialfonds sind die Forderungen ebenso zu formulieren, wobei neben der Erhöhung der Mittel des Sozialfonds hier Einführung und Umverteilung von Länderquoten dem Ziel des Ressourcentransfers die-ten von der Förderung Zudem wird die Schaffung von Institutionen zur Durchführung von förderungswürdigen Programmen (Ausbau von Schul-und Berufsbildungssystemen in unterentwickelten Regionen) erforderlich sein. Dies hat auch beschäftigungspolitisch vorbeugende Wirkung, wie Sozialpolitik in zunehmendem Maße ohnehin Beschäftigungsund Arbeitsmarktpolitik wird.

So muß auch die Beschäftigungspolitikder Gemeinschaft eingebettet werden in das regional-und entwicklungspolitische Strukturprogramm Ziel ist die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort, also die Lenkung der Produktionsfaktoren in die problematischen Regionen. Dies entlastet die Investitions-und Arbeitsmarktbedingungen der Zentralregionen und die Wanderungsströme in die hochentwickelten Industriestaaten.

Hierzu sind 1. die veralteten industriellen Strukturen in den Problemregionen zu reformieren, 2. das Berufsbildungssystem und die beruflichen Qualifikationen zu verbessern, 3.

Programme des selektiven ökonomischen Wachstums und der Investitionsmöglichkeiten in Produktionssektoren mit hoher Arbeitsintensität und Wertschöpfung zu entwickeln, wobei aber ein durchgängiges, von den interessierten Industriestaaten formuliertes Programm der „innereuropäischen Arbeitsteilung" mit der Festlegung der Südländer auf technologisch minderwertige Produktionslinien auf politischen Widerstand stoßen und damit weder zumutbar noch realistisch erscheinen dürfte.

Worauf es also im wesentlichen bei der politischen Operationalisierung des Konzeptes „Eu-zierten regional-, sozial-und beschattigungspolitischen Imperativen. Dies kann erfolgen durch ein gesamtpolitisches Konzept und den daran orientierten abgestimmten Einsatz von Regionalfonds, Sozialfonds, der Abteilung Ausrichtung des Europäischen Ausrichtungsund Garantiefonds der Landwirtschaft sowie durch den verstärkten Einsatz der Europäischen Entwicklungsbank mit langfristigen Darlehen oder Bürgschaften für Investitionsvorhaben und das bewußte Einsetzen des neuen EG-Finanzierungsinstrumentes der Gemeinschaftsanleihen

Finanzierbar erscheinen diese Forderungen nur mittels eines an Entwicklungskriterien orientierten innereuropäischen Finanzausgleiches und Ressourcentransfers von den stärkeren in die schwächeren Mitgliedstaaten, wobei zur Vermeidung nationaler input-output-Aufrechnungen die Mittel nicht den Staaten, sondern den Regionen direkt gewidmet werden sollten. Diese Transferleistungen belasten die ohnehin in wirtschaftlichen Problemen befindlichen hochentwickelten Industriestaaten der Gemeinschaft zwar zusätzlich, was deren massiven politischen Widerstand hervorrufen wird, doch ist dies der Preis für die Verringerung der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Gemeinschaft und damit auch der politische Preis für die Möglichkeit weiterer politischer und wirtschaftlicher Integration. So sind alle leistungsstarken Mitgliedstaaten gleichmäßig zur Aufbringung der finanziellen Lasten aus den integrationspolitischen Verpflichtungen heranzuziehen. Voraussetzung für dieses finanzielle Engagement ist allerdings eine Proportionenkorrektur sowie eine Ausgabenumstrukturierung des EG-Haushaltes. Eine Reform der Haushaltspolitik, die der Lösung der dringlichen Beschäftigungs-und Strukturprobleme in den Gemeinschaftsländern oberste Priorität einräumt, die ärmeren Länder stärker vom innergemeinschaftlichen Finanzausgleich profitieren läßt und mehr investiven Charakter hat, setzt eine Reduktion des Übergewichtes der Agrarausgaben im EG-Haushalt voraus. So dürfte die wichtigste agrarpolitische Aufgabe in der Umschichtung der Mittelzuordnung von reinen Erhaltungssubventionen zu produktionsneutralem Einkommenstransfer und Maßnahmen aktiver Strukturpolitik liegen, d. h., die Abteilung Ausrichtung zu Lasten der Abteilung Garantie des EAGFL aufzuwerten.

Dies bedeutet einerseits, an die Stelle der produktionsanreizenden Einkommenspolitik über die Agrarpreise eine Politik direkter Einkommensübertragung zu setzen, die Beteiligung der Erzeuger an der Überschußproduktion auszudehnen und somit die nicht mehr zu verantwortende Überschußproduktion zu unterbinden. Dafür kann andererseits dem Verbund agrarpolitischer Maßnahmen und regionaler Strukturpolitik größeres Gewicht verliehen werden. Zu denken wäre auch an eine stärkere regionale, nicht mitgliedstaatliche Differenzierung der Agrarpolitik, an eine Regionalisierung von Förderschwellen und eine regionale Differenzierung von Richt-und Orientierungspreisen

VI. Chancen einer neuen Integrationspolitik

Der derzeitige Zustand der EG macht nicht viel Hoffnung für die Verwirklichung dieses hier skizzierten Konzeptes des regionalen und sozialen Ausgleiches in der Gemeinschaft der Zwölf. Die Inflation der Probleme, Aufgaben und „Krisen" steht in einem eklatanten Mißverhältnis zum Wachstum der gemeinschaftlichen Lösungsinstrumente. Der zunehmende Wandel des Charakters der EG von der industriell hochentwickelten zur auch-entwicklungspolitischen Gemeinschaft ist in seiner ganzen integrationspolitischen Tragweite von den Institutionen der EG bislang genausowenig erkannt worden wie die daraus folgende Notwendigkeit geänderter, mehr strukturund interventions-, denn markt-und wettbewerbsorientierter Integrationspolitik. Die Kommission hat in ihren mit unterschiedlichen EG-gesamtwirtschaftlichen Wachstumsannahmen versehenen Integrationsszenarien eine Wachstumshypothese von 3 bis 4 Prozent jährlich als notwendige Voraussetzung für die Lösung der wirtschafts-und sozialpolitischen Probleme der Süderweiterung bezeichnet Mit einem auf Null sinkenden Wirtschaftswachstum aber lassen sich weder bestehende Strukturprobleme der EG noch hinzukommende Strukturprobleme der Süderweiterungsländer durch das Allheilmittel steigender Produktions-und Wirtschaftsraten auffangen und damit ökonomisch umleiten.

Die Probleme zehren an der Substanz. Pro-gramme und Ansätze zu einer eigenständigen gemeinschaftlichen Entwicklungs-und Regionalpolitik, die mehr als das Annexprodukt von Bereichspolitiken des Marktes darstellen, aber sind genausowenig in Sicht wie ernsthafte Versuche, den Agrarmarkt zu reformieren, den Haushalt zu konsolidieren oder Nationalprotektionismen abzubauen. So gehören programmatische Absichtserklärungen eines „sozialpolitischen Aktionsprogramms" zur gleichen Kategorie der Verbalpolitik wie die ad calendas graecas verschobenen, aber dennoch vielbeschworenen Ziele von Wirtschafts-und Währungsunion oder Europäischer Union

An die Stelle dieser prospektierten Zielvorstellungen ist eine Politik der Interessensphären getreten, die nur in Fällen der Interessenkonvergenz zur Problemlösung, in der Regel aber auch nur zum dilatorischen Formelkompromiß gelangt. Da jetzt schon die wirtschaftlich und technologisch führenden Mitgliedstaaten eine Politik der einzelstaatlichen Krisenbewältigung unter Einschluß selektiver bilateraler Kooperationen betreiben, „die multilaterale Abstimmung vorzugsweise in mehr oder weniger exklusiven . Klubs'wechselnder Zusammensetzung" anstatt im EG-Rahmen suchen und damit das Ziel einer europäischen Wirtschafts-und Währungsunion illusionär bleibt, ist angesichts der „vested interests" (der wohlerworbenen Besitzstandsinteressen) der Zahlerländer, der Inkompatibilität der Prioritätenkataloge und dem Zielkonflikt zwischen regional ausgeglichenem Wachstum und forcierter industrieller Entwicklung eher mit einem Interessenblockadesystem der reichen Länder denn mit einer Solidaritätsgemeinschaft zugunsten der schwächeren Länder und der ärmeren Regionen zu rechnen Der langsame Tod der Trägheit wird nur schwer abzuwenden sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. So der Kommentar zum Zustand der EG nach dem Treffen der Staats-und Regierungschefs (Europäischer Rat) auf der Konferenz in Maastricht (23. /24. 3. 1981) des englischen „Observer" o. V. Spectre over Europe, in: The Observer, 12. 4. 1981, S. 12. Auf der Konferenz von Maastricht kam es nicht zu der erforderlichen Einigung über die Fischereipolitik der Gemeinschaft. Vgl. zu Verlauf und Bewertung auch Dieter Schröder, Europäischer Poker, in: Süddeutsche Zeitung, 26. 3. 1981, S. 4, und Heinz Stadlmann, Von Europa enttäuscht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. 3. 1981, S. 1. Schröder spricht von einem „traurigen Spektakel ..., dessen publizistischer Fallout nur dazu beitragen kann, die Verdrossenheit über ein Europa zu fördern, das sich von Krise zu Krise schleppt." Stadlmann stellt fest: „In der EG bewegt sich nichts mehr. Es fehlt an Solidaritat, an Bereitschaft, über die nationalen Interessen hinauszusehen, und überall wird die Gefahr des Auseinanderfallens der Zehnergemeinschaft beschworen“. (Hervorh. von mir, H. V.).

  2. „EG“ wird hier und im folgenden verwendet als Gemeinschaftsbezeichnung für die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS — Montanunion — Vertrag vom 18. 4. 1951), die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, 25. 3. 1957) und die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom, 25. 3.

  3. Aus der zahlreichen europäischen Krisenliteratur seien nur genannt: Sidjanski/Haas/Lindberg/Clapham/Schröder, Erfolge und Krisen der Integration, eingeleitet von Beate Kohler, Köln 1969; Klaus Köhler und Hans-Eckart Scharrer (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft in der Krise. Ursachen und Lösungsansätze, Hamburg 1974; Elke Thiel, Die Europäische Gemeinschaft zwischen Krise und Bewährung, München 1976; als übergreifende Darstellung: Karl Dietrich Bracher, Europa in der Krise. Innengeschichte und Weltpolitik seit 1917, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1979. — Ulrich Everling, Überlegungen zum Fortgang der europäischen Integration, in: Europa-Archiv 1979, S. 737, stellt zutreffend fest: ..... wenn Krisen permanent aus wechselnden Anlässen angenommen werden, muß bezweifelt werden, ob es sich noch um Krisen, also anomale Konfliktsituationen handelt. Es deutet vielmehr alles darauf hin, daß dauerhafte Spannungen bestehen, die dem Integrationsprozeß immanent sind."

  4. Kritisch zum Krisenbegriff auch Ralf Dahrendorf, Kulturpessimismus vs. Fortschrittshoffnung. Eine notwendige Abgrenzung, in: Jürgen Habermas (Hrsg.), Stichworte zur . Geistigen Situation der Zeit', 1. Bd., S. 213 ff.; zur politologischen Krisenforschung vgl. v. a. Martin Jänicke (Hrsg.), Politische Systemkrisen, Köln 1973, darin die Beiträge von Jänicke, Die Analyse des politischen Systems aus der Krisenperspektive (S. 14 ff.), Randolph Starn, Historische Aspekte des Krisenbegriffs (S. 52 ff.), Samuel P.

  5. Der Begriff der „Turbulenz" wurde von Ernst B. Haas, dem führenden (neo-) funktionalistsischen Integrationstheoretiker, eingeführt; vgl. Haas, Turbulent fields and the theory of regional Integration, in: International Organization, Nr. 2/1976. Unter „Turbulenz" versteht Walter L. Bühl, Transnationale Politik. Internationale Beziehungen zwischen Hegemonie und Interdependenz, Stuttgart 1978, S. 204f., die „zwingende Interdependenz mit jedoch verwirrenden Wahrnehmungen mit widersprüchlichen Zielsetzungen und unsicheren oder unbekannten Nebenfolgen auf den verschiedenen, voneinander nicht mehr säuberlich trennbaren Ebenen der subnationalen, der nationalen, regionalen, interregionalen, transnationalen und globalen Beziehungen. Turbulenz aber ist nicht verarbeitete Komplexität."

  6. Vgl. Anm. 4.

  7. Vgl. zu diesen Zielsetzungen die Präambel und Art. 2 des Vertrages zur Gründung der EWG.

  8. Zu den vieldiskutierten Thesen der Legitimationskrise und der Unregierbarkeit vgl. nur Jürgen Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt/M. 1973, sowie Wilhelm Hennis/Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit. Studien zu ihrer Problematisierung, 2 Bde., Stuttgart 1977, 1979. Daß im Kern das Regierbarkeitsproblem mit der Legitimationskrisenproblematik identisch ist, allein der theoretische, hier liberal-demokratische, dort marxistisch-materialistische Bezugsrahmen differiert, hat Claus Offe, . Unregierbarkeit". Zur Renaissance konservativer Krisentheorien, in: Habermas (Hrsg.), Stichworte zur . Geistigen Situation der Zeit", a. a. O., S. 294 ff., gezeigt.

  9. So auch Reinhardt Rummel, Soziale Politik für Europa. Ein integrationspolitisches Konzept, Bonn 1975, S. 118, der darauf hinweist, daß die Schere zwischen sozialem Anspruchsvolumen und dafür adäquaten Befriedigungskapazitäten vor allem in Phasen wirtschaftlicher Rezession weit geöffnet ist (ebd., S. 113).

  10. 1965 hatte die Kommission unter ihrem damaligen Präsidenten Walter Hallstein nach Aufforderung durch den Rat Vorschläge zur Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik gemacht, die zu einer Stärkung der Haushaltsbefugnisse geführt hätten. Diese Vorschläge zur in der Tendenz supranationalen Ausweitung der Machtbefugnisse der europäischen Institutionen wurden drei Monate später mit der de-Gaulle-Politik des „leeren Stuhls" beantwortet. Frankreich blieb den Ratssitzungen fern. Die Krise wurde im Januar 1966 mit dem „Luxemburger Kompromiß" — der auch die Aussetzung des Mehrheitsbeschluß-Verfahrens beinhaltete — beendet. Bis dahin verlief die wirtschaftliche Integration kontinuierlich. Politische Einigungsversuche im Rahmen einer „Politischen Union" scheiterten schon zuvor, so die Europäische Verteidigungsgemeinschaft 1954 sowie die Fouchet-Pläne 1961/62. Vgl. zu Integrationsphasen und -methode auch Kap. V 1.

  11. Unter „Interdependenz" wird in der Erforschung der internationalen Beziehungen die Tatsache verstanden, daß es zahlreiche Ebenen der zwischenstaatlichen Beziehungen gibt, die sich im Zuge technischer und wirtschaftlicher Modernisierung unterhalb der traditionellen und offiziellen außenpolitischen Beziehungen ausweiten. Diese Erkenntnis

  12. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht über die soziale Entwicklung, Jahr 1980, veröffentlicht im Zusammenhang mit dem „Vierzehnten Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaften“ nach Artikel 122 des EWG-Vertrages, Brüssel, Luxemburg 1981, S. 7; ebd, S. 7, 37 ff., die folgenden Zahlenangaben (daselbst auch Zahlen für die einzelnen Mitgliedstaaten). Hinzuweisen ist darauf, daß es sich hier um die statistisch erfaßte Zahl der Arbeitslosen handelt. Die reelle Zahl dürfte beträchtlich darüber liegen.

  13. Nach dem „Economic Outlook", Dezember 1980, der OECD sollen die zu erwartenden Inflationsraten für die einzelnen Mitgliedstaaten im Jahre 1981 wie folgt liegen: Bundesrepublik Deutschland mit 4 Prozent am unteren Ende der Skala, an der Spitze Frankreich 11, 75, Großbritannien 12, Irland 13, 5, Italien 15, 75 und Griechenland 23 Prozent. Zahlen hier nach Werner Ungerer, Probleme der Europäischen Gemeinschaft, in: Außenpolitik. Zeitschrift für internationale Fragen, 2/1981, S. 107.

  14. Zahlen bei Ungerer, Probleme der Europäischen Gemeinschaft, a. a. O., S. 108.

  15. Der gemeinsame Agrarmarkt der EG basiert auf den drei Prinzipien der Gemeinschaftspräferenz, der Einheit des Marktes und der finanziellen Solidarität der Mitgliedstaaten. De facto hat das erste Prinzip zu einem weit über dem Weltmarktpreis liegenden Erzeugerpreisniveau geführt, die Einheit des Marktes wird durch die Ausgleichsbeträge unterlaufen und die finanzielle Solidarität stößt sich an der Frage der Finanzierbarkeit. Für 1981 sind Agrarausgaben von 13, 5 Milliarden ERE bei einem EG-Gesamthaushalt von ca. 20 Milliarden ERE (= Europäische Rechnungseinheit, 1 ERE = 2, 51 DM) vorgesehen. Allein für die Gemeinschaftsfinanzierung der Agrarmärkte in der Abteilung (Preis-) Garantie sind 1979 10441 Millionen ERE aufgewandt worden. Die Überschüsse im Milchsektor betrugen Anfang 1979 722000 Tonnen, Ende 1979 noch 215000 Tonnen. Hier betrugen die Ausgaben für Garantie, Lagerung und Absatz im Jahr 1979 4527, 5 Millionen ERE — weitaus mehr als das Doppelte der Mittel von Sozial-und Regionalfonds zusammen. Für die Zahlen aus dem Agrarbereich vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Neunter Finanzbericht über den Europäischen Ausrichtungs-und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), Jahr 1979, Abteilung Garantie und finanzielle Durchführung der Nahrungsmittelhilfe, KOM (80) 685 endg. v. 14. 11. 1980.

  16. Vgl. die Darstellung bei Ungerer, Probleme der Europäischen Gemeinschaft, a. a. O., S. 112 ff.

  17. „Policy-making" ist eine wissenschaftlich eingeführte Kategorie zur Untersuchung von Entscheidungsverfahren in der EG. Vgl. Carole Webb, Introduction: Variations on a theoretical theme, in: Helen Wallace/William Wallace/Carole Webb (Hrsg.), Policy-making in the European Community, London 1977, S. 3: „The study of policy-making is an examination of processes associated with the formation of positions in anticipation of some observable Output.“

  18. Bei Verhandlungen des Minister-oder Europäischen Rates werden strittige Gegenstände zu einem Verhandlungspaket geschnürt und so einem Interessenausgleich zuzuführen versucht (nach dem Prinzip des do-ut-des). So beinhaltete der Brüsseler Kompromiß vom 30. Mai 1980 die von deutscher und britischer Seite gegebene Zusicherung, nicht nur die vereinbarte Neuregelung der britischen Zahlungen an die EG von deutscher Seite durch die Erhöhung des deutschen Nettobeitrages, sondern auch den von britischer Seite zugesagten Termin für die Einigung über die Fischereipolitik der Gemeinschaft einzuhalten. Dieses Gentleman-Agreement aber wurde von britischer Seite nicht eingehalten, was die Konferenz von Maastricht scheitern ließ (vgl. Anm. 1).

  19. Wovon kaum auszugehen ist, denn für 1981 beschloß der Rat der Landwirtschaftsminister eine durchschnittliche europäische Agrarpreiserhöhung von 9, 6 Prozent. Hingegen wurde eine Reform des Agrarsektors immer noch nicht in Angriff genommen. Vgl.den Bericht in: Der Spiegel, Nr. 15 v. 6. 4 1981, S. 26 ff.

  20. Art. 58 EGKS-Vertrag hat die „offensichtliche Krise als Voraussetzung für ein System von Erzeugungsquoten explizit normiert. Im Sommer 1980 brach das Kartell „Eurofer I“ zusammen, an seine teile trat am 1. 10. 1980 die Quotenregelung nach Art, 58 EGKSV. Eurofer ist der Verband der zwölf größten Stahlkonzerne der EG. Dieses Marktkartell sollte durch Verknappung des Angebots die Preise nach oben bringen und die Produktion im Sinne der Pierbereitschaft möglichst gerecht auf die Her-s eller verteilen. Zur Zeit verhandeln die zwölf Prouzenten über eine neue Regelung, Eurofer II, die son Stahlmarkt auf freiwilliger Basis neu „ordnen"

  21. Dies betont übereinstimmend die Literatur zu den Problemen der Süderweiterung und wird ebenso von politischer Seite (EG, Mitgliedstaaten, Erweiterungsländer) herausgestellt. Diese politische Zielsetzung erweist sich als richtig mit Blick auf die noch labilen demokratischen und politischen Strukturen in Spanien und Portugal. Aus der zahlreichen Literatur sei hier nur die genannt, auf die sich bei den folgenden Ausführungen im wesentlichen gestützt wird. Von Seiten der EG sind grundlegend die Stellungnahmen der Kommission zur „Erweiterung der Gemeinschaft", Bulletin der Europäischen Gemeinschaft, Beilage 1/78 („Umfassende Überlegungen"), Beilage 2/78 („Übergangszeit und institutioneile Folgen"), Beilage 3/78 („Wirtschaftliche und sektorale Aspekte“); wichtige Stellungnahmen von politischer, wissenschaftlicher und Verbändeseite beinhaltet das Protokoll der öffentlichen Informationssitzung des Auswärtigen Aus-

  22. Heinrich Schneider hat nachgewiesen, daß die Gründung der Montanunion mehr bezweckte als das bloße funktionale Zusammenführen von lothringischer Minette und Ruhrkohle zur Produktionssteigerung der Stahlherstellung. Die auch politischen Absichten (Ausgleich zwischen Frankreich und Deutschland, politische Kontrolle durch Integration, Gegengewicht gegen die amerikanische Aufwertung der Bundesrepublik auf Kosten Frankreichs, Stopp der Aufschaukelung der Ost-West-Spannung) werden deutlich im Monnet-Memorandum und im darauf beruhenden Schuman-Plan von 1950. Vgl. Heinrich Schneider, Leitbilder der Europapolitik, Bd. 1: Der Weg zur Integration, Bonn 1977, S. 349 ff„ sowie dersM Integration — ge-stern, heute und morgen, in: Integration 1/78.

  23. Vgl. zu dieser Fragestellung auch Deubner/Kramer/Roth/Rummel, Die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft, a. a. O., S. 3 ff.; ähnlich auch Beate Kohler, Die Süd-Erweiterung der Gemeinschaft Hintergründe, Motive und Konsequenzen, in: Hasenpflug/Kohler (Hrsg.), a. a. O., S. 39 ff.

  24. Vgl. etwa in Bulletin der Europäischen Gemeinschaft, Beilage 1/78, Umfassende Überlegungen, a. a. O., S. 6.

  25. So heißt es in Beilage 3/78, Wirtschaftliche und sektorale Aspekte, a. a. O., S. 50: «. .. ist die Rückkehr zu einem ausreichend raschen und dauerhaften Wachstum eine Hauptvoraussetzung für die Lösung der derzeitigen ernsten wirtschaftspolitischen Probleme."

  26. Im folgenden wird auf die in Anm. 21 angegebene Literatur zurückgegriffen, ohne daß dies im einzelnen vermerkt wird.

  27. Zahlen finden sich im Tabellenanhang der Beilage 3/78, Wirtschaftliche und sektorale Aspekte, a. a. O., S. 53 ff., bes. auf S. 59 die Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukte, korrigiert unter Zugrundelegung der Kaufkraftparitäten.

  28. Umfassende Angaben zur regionalen Disparität innerhalb der EG, aufgeschlüsselt nach wirtschaftlichen und infrastruktureilen Indikatoren, sowie zur methodischen und faktorenanalytischen Bestimmung des Entwicklungsstandes einer Region bei Fritz Franzmeyer/Bernhard Seidel, Überstaatlicher Finanzausgleich und europäische Integration. Quantitative und institutioneile Aspekte eines Systems regionaler Transferleistungen, Bonn 1976, S. 18 ff. (ebd., S. 44, weist Roskilde [Dänemark] bei rein wirtschaftlich indiziertem Entwicklungsstand als die reichste Region der EG aus); vgl. auch Klaus Boeck, Regionalpolitik. Eine Zukunftsaufgabe für die Gemeinschaft, in: Institut für Europäische Politik (Hrsg.), Europäische Wirtschaftspolitik. Programm und Realität, Bonn 1973, S. 213 f.

  29. Vgl. hierzu besonders die schriftliche Stellungnahme des Deutschen Institutes für Entwicklungspolitik, AA-Protokoll, Teil II, S. 790 ff., 801.

  30. Vgl. zum folgenden Klaus Boeck, Integrationspolitische Konsequenzen für die regionale Entwicklung in der Europäischen Gemeinschaft, in: Köhler/Scharrer (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft in der Krise, a. a. O., S. 105 ff. Boeck bezieht sich auf die Problemregionen des südlichen Italiens, des Südwestens Frankreichs und auf Irland.

  31. Hinzu kommt, daß das Assoziierungsabkommen mit der Türkei die volle Freizügigkeit für türkische Arbeitnehmer in der Gemeinschaft ab 1986 vorsieht und damit weitere ca. 4 Millionen Arbeitslose potentiell zum Arbeitsmarkt der EG gehören.

  32. Von erheblichen Auswirkungen wird die Süderweiterung auch für die Stellung der EG im internationalen System sein. Da die EG auf Grund des Expansionsbedürfnisses der Beitrittsländer ein nach außen erhöhtes Protektionsinteresse geltend ma-chen muß, dürfte die Drittländerdiskriminierung nicht auszuschließen sein. Dies trifft im agrarischen und industriellen Sektor für die Mittelmeeranrainer wie Israel, Tunesien, Marokko zu, die von ihrer eigenen Industrie-und Agrarstruktur zu den Konkurrenzländern der Erweiterungsstaaten gehören. Dies trifft auch für Länder der Dritten Welt zu, insbesondere für die AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) und die unter das System der allgemeinen Präferenzen fallenden Staaten. Da es hier zur Konkurrenz zwischen weltmarktorientierten Industrieentwicklungen in den Beitrittsländern und den AKP-Ländern kommt und die Kostenvorteile in der Dritten Welt liegen dürften, wird der Wunsch nach einem verstärkten Schutz vor dieser Konkurrenz wachsen. Für das System der Allgemeinen Präferenzen ergibt sich für die Gemeinschaft wegen des Vorrangs der Interessen der eigenen Produzenten womöglich die Notwendigkeit, die Abnahmegarantien einzufrieren oder zu reduzieren. Die EG steht also in der Gefahr, ihre „europäische Identität in der Welt“ — so die Erklärung der Staats-und Regierungschefs in Kopenhagen, 14. /15. 12. 1973 — in einer monolithischen wirtschaftlichen Machtstellung zu finden, die sich von Drittländern abschottet und Entwicklungshilfe nur noch als finanzielle Kompensation für entgangene Präferenzvorteile und höhere Handelsschranken gewähren würde. — Vgl. zu diesem, hier nicht weiter zu verfolgenden Problem Deubner/Kramer/Roth/Rummel, a. a. O. S. 12 ff.; Kohler, Die Süd-Erweiterung der Gemeinschaft, a. a. O., S. 39 ff.; schriftliche Stellungnahme der Europäischen Investitionsbank, AA-ProtokolI, Teil II, S. 898, sowie die schriftliche Stellungnahme des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, AA-Protokoll, Teil II, S. 796; Hans R. Krämer, Die Süderweiterung der Europäischen Gemeinschaft und ihre Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, in: Europa-Archiv 1979, S. 547 ff.

  33. Vgl. zu dieser Fragestellung Deubner/Kramer/Roth/Rummel, a. a. O., S. 9.

  34. Hier zit. nach Joseph S. Nye, Mechanismen und Voraussetzungen regionaler Wirtschaftsintegration, in: Daniel Frei (Hrsg.), Theorien der internationalen Beziehungen, S. 195 ff., hier S. 203.

  35. Vgl. Deubner/Kramer/Roth/Rummel, a. a. O., S. 5; Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, AA-Protokoll, Teil II, S. 793.

  36. So in Präambel und Art. 2 des EWG-Vertrages.

  37. Vgl. Nye, Mechanismen und Voraussetzungen regionaler Wirtschaftsintegration, a. a. O., S. 204.

  38. Der Vorschlag einer abgestuften Intergationspolitik stammt von Willy Brandt und ist von Tindemans in seinem Bericht von 1976 aufgenommen worden. Vgl. Jacques Vandamme, Die abgestufte Integration im Tindemans-Bericht, in: Integration 3/1978, S. 83ff.; zum Tindemans-Bericht vgl. auch Heinrich Schneider und Wolfgang Wessel (Hrsg.), Auf dem Weg zur Europäischen Union?, Bonn

  39. Als Frage formuliert vom Auswärtigen Ausschuß des Dt. Bundestages im Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Thema der „Erweiterung der EG nach Süden" (AA-Protokoll, Teil I, S. 5) und von Ralf Dahrendorf für „sinnvoller als alle anderen institutioneilen Vorschläge" gehalten (AA-Protokoll, Teil II, S. 757).

  40. So auch Kohler, Die Süd-Erweiterung der Euro-Paischen Gemeinschaft, a. a. O., S. 40.

  41. Vgl. Boeck, Integrationspolitische Konsequenzen für die regionale Entwicklung, a. a. O., S. 102.

  42. Siehe zu „federal approach“ und „functional approach“ in theoretischer und historischer Sicht Heinrich Schneider, Leitbilder der Europapolitik, a. a. O., S. 193 ff.

  43. Nach Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 gingen von der Kommission wichtige Impulse aus bis zum Scheitern der Ausweitung der Machtbefugnisse 1965 (vgl. Anm. 10). Von da an verlor die Kommission entscheidend an Bedeutung zugunsten der intergouvernementalen Zusammenarbeit.

  44. So explizit formuliert von Ernst B. Haas, The Uniting of Europe, Stanford 1968, S. 283— 317. Die Theorie des „spill-overs" entwickelte er in The Uniting of Europe. Political, Social and Economical Forces 1950— 1957, Stanford 1957. 1967, nach der Krise von 1965/66, revidierte er seine Theorie, indem er die Grenzen der „inhärent expansiven Logik des Funktionalismus" durch den Wiedereintritt der „hohen Politik" de Gaulles markierte. Vgl. Haas, Die Einigung Europas, in: Sidjanski u. a., Erfolge und Krisen der Integration, a. a. O., S. 39 (Zitat S. 48). 1975 erklärte er seine Theorie schließlich für obsolet; ders., The obsolescence of regional integration theory, Berkeley 1975.

  45. Unter . negativer'Integration werden die Einigungsbemühungen auf der Basis der bestehenden Verträge verstanden, wobei es tendenziell um die

  46. Vgl. Hans von der Groeben und Ernst-Joachim Mestmäcker, Ziele und Methoden der europäischen Integration, Frankfurt/M. 1972, S. 18ff.

  47. Vgl. Anm. 11.

  48. Vgl. Nye, Mechanismen und Voraussetzungen regionaler Wirtschaftsintegration, a. a. O„ S. 196.

  49. Die Forderung nach einer internen Entwicklungspolitik der EG für die Problemländer und -regionen ist in der wissenschaftlichen Literatur über die Folgeprobleme der Süderweiterung durchweg und einheitlich erhoben, in der europäischen politischen Öffentlichkeit aber überhaupt noch nicht zureichend zur Kenntnis genommen worden. Für eine interne Entwicklungspolitik als eine Voraussetzung zur Lösung der Beitrittsprobleme und zur europäischen Integration überhaupt vgl. etwa die in Anm. 28 genannten Arbeiten sowie Deubner/Kramer/Roth/Rummel, a. a. O., S. 16 ff.; Ulrich Ever-ling, Überlegungen zum Fortgang der europäischen Integration, in: Europa-Archiv 1979, S. 745; ders., Integrationspolitische Probleme der Erweiterung der EG, in: Kohler/Hasenpflug (Hrsg.), Die Süd-Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft, a. a. O., S. 61 ff. — Den wesentlichsten konzeptionellen Beitrag zu einer europäischen „Sozialunion" hat bisher Rum-mel, Soziale Politik für Europa, a. a. O., erarbeitet (vgl. auch ders., Sozialunion — Stimulans der westeuropäischen Gemeinschaftsbildung?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/74, S. 31 ff.). Anknüpfend an eine deutsche Initiative auf dem Pariser Gipfel 1972 für „eine europäische Sozial-und Gesellschaftspolitik''und an die EG-Leitlinien „für ein sozialpolitisches Aktionsprogramm" (Bull. d. EG, Beilage 4/73) diskutiert er Bedingungen und Möglichkeiten einer „Sozialunion", deren Aktivitäen sich über die traditionelle Sozialpolitik hinaus auf Regional-, Struktur-und Bildungspolitik erstrecken. An die Ausführungen von Rummel wird im folgenden des öfteren angeknüpft, der Schwerpunkt hier jedoch mehr in einer kohärenten Entwicklungspolitik unter dem Gesichtspunkt der gemeinschaftlichen Solidarität und Umverteilung gesehen.

  50. Vgl. Deubner/Kramer/Roth/Rummel, a. a. O., S. 11, die der Bundesrepublik eine weniger konflikthafte Rolle in der Gemeinschaft anempfehlen.

  51. Kohler, Die Süd-Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft, a. a. O., S. 33.

  52. Vgl. zu diesem Dilemma Ulrich Everling, Möglichkeiten und Grenzen der Europa-Politik. Zum Stand der europäischen Integration, in: Europa-Archiv 4/1978, S. 104f.

  53. Vgl. zu beiden Vorhaben schon Anm. 45.

  54. Dies trifft auch noch für das direktgewählte Europaparlament zu, das keine Gesetzgebungsbefugnisse hat, damit auch nicht am gemeinschaftlichen Entscheidungsverfahren beteiligt ist. Dem EP wird jedoch eine Hauptaufgabe zufallen, um die europäische politische Offenlichkeit auf die integrationspo-litische Notwendigkeit eines Konzeptes sozialen und regionalen Ausgleiches aufmerksam zu ma-chen. Hier ist es demokratisch legitimiert, seine „expressive“, „teaching" und „informing function“ offensiv wahrzunehmen.

  55. Vgl. dazu Deubner/Kramer/Roth/Rummel, a. a. O„ S. 17 ff.; Everling, Möglichkeiten und Grenzen der Europa-Politik, a. a. O., S. 102 ff.

  56. Dazu jetzt im einzelnen Wolfgang Wessels, Der Europäische Rat. Stabilisierung statt Integration? Geschichte, Entwicklung und Zukunft der EG-Gipfelkonferenzen, Bonn 1980.

  57. So auch Rummel, Soziale Politik, a. a. O„ S. 88.

  58. Rummel, Soziale Politik, a. a. O. S. 97, hat ein sol-ches Modell der Kompetenzaufteilung für eine „Sozialunion" entwickelt

  59. Vgl. im einzelnen zu den hier aufgestellten Forderungen auch die schriftliche Stellungnahme des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, AA-Protokoll, Teil II, S. 814ff„ sowie die Beiträge von Boeck (Anm. 28, 30) und von Franzmeyer/Seidel (Anm. 28) zur Finanzierbarkeit

  60. Die jetzige Quotenregelung sieht für Belgien 1, 39 v. H., Dänemark 1, 20 v. H„ Deutschland 6, 00 v. H., Frankreich 16, 86 v. H., Irland 6, 46 v. H., Italien 39, 39 v. H., Luxemburg 0, 09 v. H„ Niederlande 1, 58 v. H., Großbritannien 27, 03 v. H. vor.

  61. Der Fonds war 1979 mit ca. 965, 33 Millionen ERE dotiert; zu den Relationen vgl. Anm. 15. (vgl. Kommissionen der Europäischen Gemeinschaften, Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung, Fünfter Jahresbericht (1979], Brüssel, Luxemburg 1980, S. 18ff.)

  62. Zu den Kontroll-und Informationsdefiziten der Gemeinschaft vgl.den Bericht der Kommission (Anm. 61). Es ist kaum glaublich, daß der für die Kontrollen zuständigen Dienststelle der Kommission für die gesamte (!) finanzielle Verwaltung des Fonds, einschließlich der Kontrollen, nur zehn (!) Beamte zur Verfügung stehen!

  63. Der Europäische Sozialfonds leistete im Jahr 1980 Zahlungen in Höhe von 733 Millionen ERE (vgl. Kommissionen der Europäischen Gemeinschaft, Bericht über die soziale Entwicklung, Jahr 1980, Brüssel, Luxemburg 1981, S. 21 ff.) — Kurzfristig würde die Einführung von Länderquoten den fragwürdigen Wettlauf der nationalen Administrationen um Anteile am Sozialfonds beenden. Die Folge des bisherigen Erstattungsverfahrens ist, daß die am effektivsten arbeitenden Administrationen auch den größten Erstattungsbetrag erhalten, hochentwickelte Staaten mit guter Verwaltung also sehr viel mehr Sozialfondsmittel bekommen als die wirklich bedürftigen Länder.

  64. Ansätze dazu enthalten die Reform des Sozialfonds von 1971/72, wonach dieser auch für die Beseitigung von „schwerwiegenden und anhaltenden Beschäftigungsungleichgewichten" eingesetzt werden kann, sowie die Versuche der Konamission zu „integrierten Maßnahmen zur Regionalentwickung(vgl. Bericht über die regionale Entwicklung, b. 27f).

  65. Vgl. zu den bisherigen regionalpolitischen Maßnahmen und Aktivitäten der EG neben den vorangegangenen Anm. v. a. Boeck, Regionalpolitik, a. a. O., S. 230ff.

  66. Vgl. zu agrarpolitischen Reformvorschlägen auch Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, AA-Protokoll, Teil II, S. 802 f., 810 ff.

  67. Vgl. Anm. 25.

  68. In diesen „Leitlinien für ein sozialpolitisches Aktionsprogramm" (vgl. Anm. 49) wird ein „energisches Vorgehen im sozialpolitischen Bereich" und gleichbedeutend mit der Verwirklichung der Wirtschaftsund Währungsunion angekündigt mit dem Ziel, „die Unterschiede in den Lebensbedingungen abzubauen und die Lebensqualität und den Lebensstandard der Bevölkerung in der Gemeinschaft zu verbessern" (ebd., S. 5). Diesbezügliche Aktivitäten hat es bislang noch nicht gegeben. — Die vielbeachtete Rede von Hans-Dietrich Genscher auf dem Stuttgarter Dreikönigstreffen vom 6. 1. 1981 (vgl. dazu Niels Hansen, Plädoyer für eine Europäische Union, in; Europa-Archiv 5/1981, S. 142 ff.) kann zwar als politischer Impuls in einer Zeit des konzeptionslosen europäischen Krisenmanagements gewertet werden, doch sprechen die europäischen Realitäten eine andere Sprache (vgl. Anm. 1). Richtig, aber eben nicht sehr realistisch, ist Genschers Forderung nach einem Vertrag über die Europäischen Union, „um die schon vorhandene Verflechtung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und unter den zehn Mitgliedstaaten stärker in Richtung auf diese Union auszurichten“. Die Begründung selbst geht von einer zutreffenden Analyse der bestehenden transnationalen Politikverflechtung aus. Das Europäische Parlament könnte sich zum Anwalt eines Vertrages über die Europäische Union machen (vgl Anm. 54).

  69. So das schriftliche Gutachten des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, AA-Protokoll, Teil II, S. 806.

  70. Vgl. zu dieser Einschätzung auch Kohler, Süd-Erweiterung der Gemeinschaft, a. a. O., S. 40f.

Weitere Inhalte

Hans Vorländer, Dr. phil., geb. 1954; Studium der Politischen Wissenschaft, Philosophie und Rechtswissenschaften in Bonn und Genf, 1980 Promotion an der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn; z. Zt.freie wissenschaftliche Tätigkeit. Veröffentlichungen u. a.: Identität des Grundgesetzes nach 30 Jahren?, in: Juristische Schulung 5 (1979); Der Schutz der Grundrechte in der Europäischen Gemeinschaft. Bestandsaufnahme und Perspektive, in: Liberal 4 (1979); Europäisches Bürgerrecht? Zur Entwicklung des Grundrechtsschutzes in der Europäischen Gemeinschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 49/1979; Republik ohne Identität. Die Politische Kultur der Bundesrepublik im Generationsbruch, in: Liberal 2 (1980); Verfassung und Konsens. Der Streit um die Verfassung in der Grundlagenund Grundgesetz-Diskussion der Bundesrepublik Deutschland: Konsensfunktion und Konsenschance der Verfassung in der pluralistischen und sozialstaatlichen Demokratie, Berlin 1981 (Diss., i. E.).