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Für eine westeuropäische Mittelostpolitik | APuZ 26/1981 | bpb.de

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APuZ 26/1981 Artikel 1 Der Wandel der Rahmenbedingungen für Sicherheitsvereinbarungen in Europa Für eine westeuropäische Mittelostpolitik

Für eine westeuropäische Mittelostpolitik

Reinhardt Rummel

/ 19 Minuten zu lesen

Überlegungen zu einem Konzept westlicher Arbeitsteilung

Die Betroffenheit Westeuropas von Entwicklungen im Mittleren Osten ist durch die Ereignisse in Iran und Afghanistan in Verbindung mit dem Verhalten der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten zugleich vielfältiger und offensichtlicher geworden. Die Europäer haben in den vergangenen Monaten Anstrengungen unternommen, um den neuen Herausforderungen Rechnung zu tragen. Dabei ist in spezifischer Weise deutlich geworden, welche Möglichkeiten und Beschränkungen europäische Politiken aufweisen, wenn die Aufforderung ergeht, zusätzliche internationale Verantwortung zu übernehmen.

Bei der Reaktion auf die Vorgänge in Iran (Revolution, Geiselnahme) reichten weder Konsens noch Gewicht der Europäer aus, um ihnen eine direkte Einflußnahme zu ermöglichen, während der Versuch, unabhängig davon Verständigung mit der neuen iranischen Führung zu suchen, deren Ansprüchen nicht genügte und gleichzeitig dem Solidaritätserfordernis gegenüber Washington nur teilweise gerecht wurde. Auch bei der Reaktion auf die sowjetische Besetzung Afghanistans sind die Europäer auf Grenzen ihrer internationalen Handlungsmöglichkeit gestoßen. Einerseits schien unbestritten zu sein, daß die Bestrebungen der USA im Mittleren Osten unterstützt werden müssen, um so die Versorgungsinteressen zu schützen, die für Westeuropa bedeutender sein mögen als für die Vereinigten Staaten. Andererseits drängte sich auf, daß insbesondere das in Europa in den Ost-West-Beziehungen Erreichte nicht aufgegeben werden sollte, wenn Zweifel bestehen, ob anderswo wirklich nützlicheres Terrain gewonnen werden kann. Die Umstände des irakisch-iranischen Kriegs schienen den Europäern — mehr noch als den beiden Supermächten — die Position eines „neutralen Zuschau-

Der Beitrag ist das Resume einer Aufzeichnung mit gleichem Titel, die in Kürze im NOMOS-Verlag zusammen mit einer Studie von Heinz Kramer über die Stabilisierungsmöglichkeiten und -probleme der Türkei erscheint. Beide Arbeiten stehen unter dem Thema „Regionale sicherheitspolitische Herausforderung für Westeuropa". ers" zu verordnen, obwohl mit dieser Haltung weder der Vorwurf der Parteinahme noch die weitere Destabilisierung der Golfregion verhindert werden konnten.

Jenseits dieser Dilemmata und vor dem Hintergrund einer nach wie vor entschlossenen sowjetischen und einer zumindest wechselhaften amerikanischen Politik haben die Europäer indessen begonnen, selbst „Initiativen" zu ergreifen. Diese bisher punktuellen, begrenzten Aktivitäten können (wie etwa die vom Europäischen Rat in Venedig im Juni 1980 beschlossene Sondierungsmission der Neun) unter Umständen weitreichende Folgen haben, und zwar sowohl im Hinblick auf die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten wie im Kontext der atlantischen Beziehungen. Dabei könnte es für europäisches Bemühen charakteristisch sein, zwar „Lawinen" auslösen, sie aber nicht mehr aufhalten zu können. Insbesondere in Washington ist es in diesem Zusammenhang zu Unsicherheiten hinsichtlich der Rolle Westeuropas gekommen. Andererseits scheint die starke Abhängigkeit der westlichen Wirtschaftszentren (USA Westeuropa, Japan) von den Ollieferungen aus dem Persischen Golf in Verbindung mit den begrenzten Wirkungsmöglichkeiten einzelner Akteure dazu geführt zu haben, daß zunehmend Überlegungen für ein arbeitsteiliges, sicherheitspolitisch abgestimmtes Vorgehen der westlichen Industriestaaten angestellt werden, wobei die Inhalte einer solchen Politik und die einzelnen Verantwortlichkeiten noch ebenso unbestimmt sind wie die Art ihres Zusammenwirkens.

Angeregt von diesen Entwicklungen und unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus den siebziger Jahren erscheint es notwendig, die in jüngerer Zeit erwogenen Vorschläge für eine künftige europäische Mittelostpolitik in ihrer Breite und Verknüpfung aufzuzeigen und das besondere Augenmerk auf die spezifischen Beiträge zu lenken, die die europäischen Staaten im Rahmen einer Abstimmung der westlichen Politik zur Geltung bringen könnten. Dabei ist eine Parallelität der west29 europäischen und der japanischen Lageanalyse unübersehbar, was es rechtfertigen würde, die vorliegende Untersuchung um einen japanischen Beitrag zum gleichen Thema zu erweitern. Auch müßten in angemessener Weise jene Erwartungen berücksichtigt werden, die in der gegebenen Situation sowohl von Seiten der Mitteloststaaten wie von den USA an die Europäer gerichtet werden. Da dies hier nur in beschränktem Umfang geschehen kann, haben die angestellten Überlegungen — gemessen an der bevorstehenden konzeptionellen Aufgabe — einen noch vorkonzeptionellen Charakter.

I. Regionale sicherheitspolitische Herausforderung und Versuche einer europäischen Antwort

Die Verstärkung der Empfindlichkeit, die im Hinblick auf die Mittelostregion bei den westlichen Industriestaaten eingetreten ist, beruht auf der Kombination aus einer Gefährdung der Rohölversorgung und expansiver sowjetischer Destabilisierungsfaktoren (israelisch-arabischer Konflikt, innerarabische Rivalitäten, Modernisierung/Reislamisierung). Die europäischen Regierungen, die sich in den siebziger Jahren noch mit einer wenig profilierten Politik gegenüber der Mittelostregion begnügen konnten, sehen sich zu Beginn der achtziger Jahre zu mehrfacher Exponierung und substantieller Mitverantwortung für die politische Ordnung in diesem Raum herausgefordert. Die USA erscheinen — bei zunehmender europäischer Abhängigkeit vom amerikanischen Schutz — nicht mehr in der Lage, wie bisher die Stabilität im Mittleren Osten zu sichern. Die Europäer fühlen sich gedrängt, eigene Antworten auf die Veränderungen und Erwartungen der Staaten des Mittleren Ostens zu geben; sie müssen darauf reagieren, daß Moskau Westeuropa und den Mittleren Osten nicht in getrennten strategischen Zusammenhängen sieht, und sie stehen Washington gegenüber vor der Frage, wie eigenständige europäische Politik konstruktiv mit den amerikanischen Interessen verbunden werden kann.

Für die inhaltliche Gestaltung und das Management dieser neuen Aufgabenstellung können die Staaten Westeuropas zwar auf Erfahrungen und Instrumente zurückgreifen, die sie im Rahmen bisheriger Regionalpolitik entwikkelt haben, indessen scheint dieser Fundus nicht weit genug zu reichen. Die Mittelmeer-politik der EG/EPZ steht zu sehr unter Eigen-belastungen (Süderweiterung), als daß sie hilfreich eingesetzt werden könnte. Die bisherige Nahostpolitik, der euro-arabische Dialog sowie die Reihe bilateraler Beziehungen haben zwar einige Zeichen europäischer Politik für diesen Raum gesetzt, jedoch in den Kernfragen kaum etwas zu bewegen vermocht und geben — schon wegen der sicherheitspolitischen „Unterentwicklung''dieser Aktivitäten — für die heutigen Dimensionen der Mittelostprobleme kein tragfähiges Fundament ab. Die ersten europäischen Reaktionen auf die Mittelostkrisen der letzten achtzehn Monate weisen zwar auf ein der gestellten Aufgabe angemessenes Verhalten hin (Fortsetzung des Dialogs mit Moskau, Unterstützung der Blockfreiheit Afghanistans, Sanktionen gegenüber Iran, Lieferung von Militärgut an Staaten der Region), decken aber gleichzeitig auf, wie wenig die konzeptionellen Fragen geklärt sind, die bei einem Versuch Westeuropas auftreten, mit eigenem außen-und sicherheitspolitischem Gewicht zu agieren.

Die konzeptionelle Unklarheit ist mit einer politischen Diskussion gepaart, die an der Oberfläche der Probleme bleibt. Sobald nämlich erste öffentliche Gedankenübungen in Richtung Mitverantwortung (vgl. das extreme Beispiel „deutsche Soldaten am Golf") oder konkrete Schritte zur qualitativen Mitgestaltung der Beziehungen zum Mittleren Osten eingeleitet werden (Leopard II für Saudi-Arabien), wird schlagartig sichtbar, wie groß das Defizit an politischer Debatte in der Bevölkerung ist, wie wenig die ebenso grundlegenden wie neuartigen Erfahrungen regionaler sicherheitspolitischer Bedrohung bisher in den Schatz an Ausgangstatsachen eingedrungen sind, von dem aus die lebenswichtigen Entscheidungen in der Außenpolitik beeinflußt werden. Dieser Mangel, der in den Staaten Westeuropas sehr unterschiedlich ausgeprägt ist, hat viele Ursachen. Tiefgehende Neueinschätzungen erfordern mitunter lange Lehrzeiten. Vorübergehende Ereignisse (siehe die derzeitige ölschwemme) bremsen die konsequente Verfolgung des grundlegenden Trends. Aktuelle Schwerpunktfragen militärischer Sicherheit (. Doppelbeschluß'der NATO vom Dezember 1979) absorbieren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Dabei wird der Zusammen-hang von zentraleuropäischer Sicherheitslage und Sicherheitsbedrohungen, die außerhalb Europas auftreten, möglicherweise unterbewertet.

II. Elemente einer westeuropäischen Konzeption in der Mittelostpolitik

Die westeuropäischen Staaten haben bei der Entwicklung einer umfassenden Konzeption für ihre Mittelostpolitik von der Grundtatsache auszugehen, daß der Expansion und Projektion sowjetischer Macht im Mittleren Osten bisher keine ausgleichende lokale bzw. westliche (amerikanische) Kraft gegenübersteht. Solange dieser Zustand andauert, ist es von zentraler Bedeutung, daß ein bestimmtes Maß an Kontinuität in der Ölversorgung Westeuropas aus den arabischen Staaten für die Aufrechterhaltung wirtschaftlicher, sozialer und politischer Stabilität in westeuropäischen Ländern notwendig ist. Angesichts der offensichtlich geringen Einwirkungsmöglichkeiten bei destabilisierenden Entwicklungen im Mittleren Osten (iranische Revolution, irakisch-iranischer Krieg, Krisen in und um Libanon) stehen die europäischen Industriestaaten (auch unabhängig vom strategischen Un-gleichgewicht in der Region) vor der Entscheidung, ob sie wie bisher von Fall zu Fall auf unvorhergesehene wirtschafts-und sicherheitspolitische Entwicklungen in den Ländern des Mittleren Ostens reagieren oder aber versuchen wollen, in absehbarer Zeit die Abhängigkeit in der Energieversorgung auf einen erträglichen Grad zu senken. Ein solches „Unabhängigkeitsprogramm" ist zwar äußerst aufwendig, aber unerläßlich, denn die Alternative wäre, ein unabsehbares wirtschaftliches, politisches und militärisches Risiko in Kauf zu nehmen, wobei die Kosten bei tatsächlichem Eintritt des Ernstfalles ein Vielfaches der Aufwendungen für die Entkoppelung vom arabischen öl betragen könnten.

Weil jedoch — auch bei hohem Einsatz — eine hinreichende Minderung der Abhängigkeit vom öl aus dem Mittleren Osten erst in weiter Zukunft realisierbar erscheint, muß gleichzeitig in solche Politiken investiert werden, die geeignet sind, wechselnde Gefährdungen der Sicherheit in der Region zu senken. Demzufolge müßten die Europäer im politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bereich ein verstärktes Engagement erwägen und der Verknüpfung dieser drei Bereiche besondere Aufmerksamkeit widmen.

Militärisch-sicherheitspolitischer Bereich Die Voraussetzungen für einen vermehrten militärisch-sicherheitspolitischen Beitrag sind einerseits besser, als es sich die Europäer selbst eingestehen wollen, andererseits dürften sie doch auf einige wenige Ansätze beschränkt bleiben. Eine Möglichkeit, direkt auf Moskau einzuwirken, könnten die Europäer dennoch zu nutzen versuchen, indem sie Fortschritte im Ost-West-Verhältnis in Europa (Fortsetzung des politischen Dialogs und der vertrauensbildenden Maßnahmen, Ausweitung ökonomischer Kooperation) vom — nicht zuletzt militärischen — Verhalten der Sowjetunion in anderen Weltregionen abhängiger machen als bisher.

Ferner können die Europäer dazu beitragen, durch unbeirrbare Verteidigungsanstrengungen, mit Hilfe von Kompensationsleistungen in Europa (für amerikanische Aufgabenwahrnehmung im Mittleren Osten) und durch Unterstützung am Ort (französische und britische Präsenz) die Fähigkeit des Westens zu globaler Abwehr zu erweitern und das Gewicht der USA im Verhältnis zur Sowjetunion im Mittleren Osten zu erhöhen. Und schließlich könnten die Europäer durch gezielte Waffenexportpolitik und militärische Zusammenarbeit mit Mitteloststaaten, die dazu bereit sind, die Widerstandskraft in der Region selbst stärken. Jedoch werden im Falle verstärkter militärischer Kooperation zusätzliche politische Schwierigkeiten und Unsicherheiten in der Region nicht zu vermeiden sein. Um so mehr sollte in Rechnung gestellt werden, daß die NATO mit der Türkei einen Staat im Mittleren Osten als Mitglied hat. Insofern könnten sich Investitionen innerhalb des Bündnisses eher auszahlen als Anstrengungen gegenüber arabischen Staaten.

Die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der einzelnen europäischen Staaten in den angesprochenen Fragen und ihre teilweise Konkurrenz bei den Beziehungen zu Staaten der Mittelostregion sollten kein Hinderungsgrund für koordiniertes Vorgehen sein.

Wirtschafts-und entwicklungspolitischer Bereich Während es im militärisch-sicherheitspolitischen Bereich darum geht, ob die Europäer (im Vergleich zu den USA) neben Symbolik auch Substanz in die Waagschale legen können, ist bei wirtschaftsund entwicklungspolitischen Fragen zwar Masse vorhanden; das Problem ist hier aber, ob dem angestrebten Ziel, mehr Stabilität in der Mittelostregion zu erreichen, mit Hilfe neuer Kooperationsformen entsprochen werden kann. Aus Mangel an Alternativen muß der Versuch einer Vertiefung und vertraglichen Verfestigung der Beziehungen der EG/Zehn mit den Staaten des Persischen Golfs und der arabischen Halbinsel fortgesetzt werden, ohne ein zu hohes Ziel anzuvisieren (das heißt kein Vergleich mit den Beziehungen der EG/EPZ zu ASEAN) und ohne Polarisierung in die „arabische Nation" hineinzutragen.

Deshalb wäre die kooperative Beziehung zu den Golfstaaten mit der Intensivierung des europäisch-arabischen Dialogs zu synchronisieren. Der Dialog hat bisher Ideen, Erfahrungen, „feasibility studies" auf Vorrat produziert; was ihm fehlt, ist ein politischer Impuls zur Implementierung (Außenministertreffen). Die Erweiterung des Dialogs — dem französischen Vorschlag folgend — zu einem Trialog mit afrikanischen Staaten böte den Europäern größere Chancen, sich als technologisch potente Partner in eine Kooperation von energie-und finanzkapitalreichen Staaten mit in dieser Hinsicht armen Mitteloststaaten einzuschalten. Anstrengungen in einer derartigen Richtung könnten neben wirtschaftlichen nicht zuletzt auch politische Früchte tragen und sich in zusätzlicher Versorgungs-und Absatzsicherheit auszahlen. Jenseits multilateraler Kooperationsansätze bleiben die bilateralen Beziehungen mit ihren spezifischen Aufgaben außerordentlich wichtig. (Siehe die Mittelostreisen des französischen Staatspräsidenten im Sommer 1980, den Besuch des Bundeskanzlers und den Aufenthalt der britischen Premierministerin im Frühjahr 1981.) Es wird zu den gestalterischen Aufgaben der Europäer gehören, die auf verschiedenen Handlungsebenen zu intensivierenden Beziehungen zwischen westeuropäischen und mittelöstlichen Staaten in sinnvollen Zusammenhang zu bringen und als komplementäre Anstrengung im Sinne einer Nord-Süd-Verständigung zu betreiben.

Außenpolitisch-diplomatischer Bereich Aus der Sicht einiger Mitteloststaaten ist in Westeuropa nicht nur Potential gegeben, das die technologischen und ökonomischen Bedürfnisse der regionalen Entwicklungsprozesse befriedigen könnte, sondern Europa hat sich auch zu einer gewissen politischen Kraft entwickelt, die die Rolle eines Partners der Mitteloststaaten und eines eigenständigen Akteurs in bestimmten Fragen der internationalen Politik spielen kann. Aus diesem Grund sollten die Europäer die Länder des Mittleren Ostens ihrerseits als eigenständige Faktoren in der Weltpolitik, mit eigenen Interessen, Werten und Zielen, fördern. Die Respektierung der mittelöstlichen Position der Block-freiheit, die den Europäern vermeintlich leichter fällt als den USA (denkt man an die Notwendigkeit amerikanischer Gegenpräsenz zur Sowjetunion), muß als Chance weiterentwikkelt werden, um ein ideologisches Gefälle zuungunsten der Sowjetunion herzustellen.

Für das politische Anlehnungsbedürfnis einiger Staaten der Region kämen die Europäer in dem Maße als Adressat in Frage, in dem ihr Einfluß die gewünschte Modernisierung des Staates fördert, ohne bei autonomen Prozessen religiöser oder gesellschaftspolitischer Art zu intervenieren. Bei den gegebenen Voraussetzungen wird man aber realistisch genug sein müssen und nicht allein auf die Unvereinbarkeit von Islam und Kommunismus setzen können, denn auch die Grundwerte des Westens sind mit islamischer Lebensgestaltung nicht gerade kompatibel. Wichtiger als der krampfhafte Versuch einer an den Leitlinien westlicher Demokratie orientierten Dritte-Welt-Politik scheint daher zu sein, den Kontakt zu einem möglichst breiten Spektrum relevanter Gruppen zu pflegen, bei gleichzeitiger Konzentration auf die jeweiligen „lebendigen Kräfte".

Dieser Zugang gilt in besonderem Maße auch für die Behandlung des israelisch-arabischen Konflikts. Was die Europäer hier einbringen können, wäre die Fortsetzung der Ausgewogenheit ihrer bisherigen Nahostpolitik bei gleichzeitiger Ergänzung und Erweiterung des Camp-David-Ansatzes sowie die Aussicht auf eine gedeihliche Verflechtung des europäischen mit dem mittelöstlichen Raum, insbesondere in ökonomisch-technologischer Hinsicht (siehe oben). Soweit diese Fähigkeit wirksam werden kann, ist eine westeuropäische Beteiligung am Friedensprozeß im Nahen Osten zu verantworten und geboten — nicht zuletzt mit Blick auf die Sicherung der Ölversorgung aus dem Mittleren Osten.

Die einzelnen oben erörterten Vorstellungen sollten eine „Masse" bilden, der Anregungen für eine westeuropäische Mittelostpolitik entnommen werden können. Dazu müßte das ausgebreitete Tableau an Vorschlägen auf seine Konsistenz hin geprüft werden, denn nicht alles davon wird nebeneinander bzw. nacheinander zu verwirklichen sein. Beispielsweise könnte eine zu starke Betonung des militärisch-strategischen Aspekts seitens der Europäer dazu führen, daß sie ihre relative Attraktivität in nicht-militärischen Bereichen einbüßen. Auch ist eine Politik der Achtung der Blockfreiheit wenig glaubwürdig, wenn gleichzeitig befürwortet und unterstützt wird, daß die westliche (insbesondere die amerikanische) Militärpräsenz in der Mittelostregion verstärkt wird. Andererseits wird sich „echte" Blockfreiheit nur entwickeln bzw. erhalten lassen, wenn ein gewisses militärisches Gleichgewicht zwischen den Supermächten in der Region hergestellt ist. Ferner ist nicht zu übersehen, daß die selektive militärische sowie ökonomische Kooperation — entgegen den europäischen Absichten — zur Polarisierung unter den Staaten des Mittleren Ostens beitragen könnte, und daß Hilfeleistungen, die zur Selbstverteidigung und zur regionalen Ausgewogenheit führen sollten, Konflikte zusätzlich anheizen, ökonomische Kooperation — als Beitrag zur politischen Stabilisierung gedacht — könnte durch ihre Auswirkungen auf den sozialen Wandel zu einer Destabilisierung der entsprechenden Regime führen.

Diese Reihe von Widersprüchen, Unvereinbarkeiten und gegenseitigen Begrenzungen einzelner Ansätze ließe sich fortsetzen. Deshalb erscheint eine kritische Zusammenschau der einzelnen Bereiche unerläßlich, bevor konzeptionelle Festlegungen erfolgen können. Insbesondere müßten die militärisch-sicherheitspolitischen und die nicht-militärischen Ansätze in ihren wechselseitigen Bezügen und Auswirkungen eingehender untersucht werden, als dies im Rahmen dieser Aufzeichnung geschehen kann. Bei dem vorkonzeptionellen Charakter der Überlegungen muß somit auch offen bleiben, wo das Schwergewicht europäischer Anstrengungen zu liegen hätte: im außenpolitisch-diplomatischen, im wirtschafts-und entwicklungspolitischen oder im militärisch-sicherheitspolitischen Bereich. Um hierzu genauere Aussagen machen zu können, müßten noch Überlegungen in mehrfacher Hinsicht angestellt werden. Zum einen zu der Frage, mit welchen Problemen und Hindernissen unter den Mitgliedsstaaten der EG zu rechnen ist, wenn eine umfassende Mittelostpolitik entwickelt werden soll. Denn jenseits der von außerhalb der Gemeinschaft vorgegebenen Schwierigkeiten werden EG-interne Interpretations-und Interessenunterschiede sowie innenpolitische Rücksichten und Abhängigkeiten zu erwägen bzw. zu überwinden sein. Zum anderen müßten mehr Kenntnisse über die Wirkung europäischer Initiativen im Mittleren Osten eingeholt werden, gewissermaßen eine Ausweitung der Thorn-und van der Klaauw-Sondierungen. Die von europäischer Seite denkbare Politik müßte den Staaten des Mittleren Ostens angeboten und — wo nötig — mit ihnen abgesprochen werden, so daß die Erwartungen auf der anderen Seite berücksichtigt werden können. Des weiteren müßte eine Abstimmung mit den Partnerländern im Westen, insbesondere den USA und Japan, erfolgen, um den europäischen Beitrag in Relation zur Gesamtaufgabe bemessen zu können.

III. Gesamtverantwortung und Aufgabenteilung im Westen

Offenbar rechnen sowohl einige Staaten des Mittleren Ostens wie auch die USA mit einem stärkeren globalen Engagement der westeuropäischen Staaten, stellen aber den Mangel an politischem Konsens unter den Europäern und die Begrenztheit ihrer materiellen Kapazitäten nicht immer genügend in Rechnung. Selbst wenn in Westeuropa die Voraussetzungen für mehr weltpolitische Mitverantwortung gegeben wären, ist gerade in der Mittelostpolitik der Handlungsspielraum für eigenständige westeuropäische Politik gering. Das gilt sowohl gegenüber den arabischen Staaten wie hinsichtlich der USA.

Bei dem derzeitigen geringen Ansehen der Amerikaner im Mittleren Osten könnte jedoch der Einfluß der Westeuropäer in der Region unter Umständen besonders dann steigen, wenn sich in arabischer Sicht ihr Verhalten von dem der USA deutlich unterscheidet. Auf diese Weise mögen die Europäer zwar vordergründig „Punkte" bei den Mitteloststaaten machen und dies auch zugunsten der Stellung des Westens insgesamt verbuchen können, letztlich aber werden die Zusammenhänge zwischen amerikanischer und europäischer Sicherheitspolitik nicht zu übersehen sein. Das heißt, die Europäer können — schon aus Rücksicht auf die atlantische Sicherheitsgemeinschaft — den arabischen Staaten nur begrenzt entgegenkommen.

Auch im Verhältnis zu Washington kommt die Begrenztheit europäischer Einflußnahme zum Ausdruck. Wollen die Europäer versuchen, die USA zu einem konzeptionellen Ansatz im Mittleren Osten zu ermutigen, der — verkürzt gesagt — den Nord-Süd-Aspekt stärker betont als bisher und der Sowjetunion mehr Mitverantwortung aufbürdet, wird ihnen das nur in dem Maße gelingen, in dem sie selbst bereit sind, spezifisch amerikanische Positionen mitzutragen. Gerade weil der politische Freiraum der Europäer von diesen mehrseitigen Verhaltens-und Handlungsgrenzen bedrängt wird, kommt es darauf an, die komparativen Vorzüge europäischer Politik zur Geltung zu bringen und konzeptionell abzusichern.

Die unterschiedlichen Ansätze in der amerikanischen und europäischen Mittelostpolitik und die daraus resultierenden Gefahren für die Atlantische Gemeinschaft erfordern es also, konzeptionelle Verständigung bewußt zu betreiben und nach Möglichkeiten für ein konstruktives Zusammenwirken in der Mittelostpolitik des Westens zu suchen. Angesichts gleicher Betroffenheit und neuerdings wachsender Aufgeschlossenheit für eine derartige Politik müßte Japan in geeigneter Weise einbezogen werden. Die hierfür notwendigen materiellen und organisatorischen Vorkehrungen werden nicht mehr allein NATO-zentriert getroffen werden können.

Die Ereignisse im Mittleren Osten setzen eine -Serie von immer häufigeren und schwerwiegenderen Krisen fort, die in den letzten Jahren in Ländern und Regionen der Dritten Welt auftraten, also außerhalb des NATO-Territoriums, die jedoch die militärischen, ökonomischen und politischen Interessen der Bündnis-partner erheblich tangieren. Die traditionelle Orientierung des nordatlantischen Bündnisses scheint keine vollwertige konzeptionelle Option zur Handhabung solcher Krisen anzubieten. Seit der NATO-Erklärung von Ottawa und dem Gentlemen Agreement von Gymnich aus dem Jahr 1974 ist versäumt worden, die damaligen organisatorischen Ansätze zu einem tragfähigen Abstimmungsrahmen für westliches Krisenverhalten und auf einzelne Regionen bezogene Sicherheitspolitik fortzuentwickeln. Der Versuch eines Außenministertreffens vom Februar 1980, der schon deshalb scheiterte, weil die Ministerbegegnung in unglücklicher Form öffentlich angekündigt wurde, darf nicht das letzte Wort in diesen für den Westen lebenswichtigen Organisationsfragen sein.

Es geht darum, für Washington und die westlichen Staaten — hier ist Japan unbedingt einzubeziehen — eine abgesprochene politische Bezugsebene für gemeinsame und getrennte Aktivitäten im Mittleren Osten zu haben. Es gibt einige Anzeichen dafür, daß eine amerikanisch-europäisch-japanische Kooperation in der Mittelostpolitik zustande kommen könnte und auch Aussicht böte, der komplexen Herausforderung besser zu begegnen. Im jüngsten Blaubuch des japanischen Außenministeriums wird ausdrücklich gefordert, daß Japan die ihm zufallende wachsende Verantwortung als Mitglied der westlichen Bündnisgemeinschaft erkennen und bereit sein müsse, in diesem Zusammenhang auch Opfer zu bringen.

In der Praxis hat sich Tokio jeweils an den europäischen Maßnahmen und politischen Erklärungen zu Iran, Afghanistan, den Konflikten am Golf und im Libanon orientiert. In der Tat sind auch die konzeptionellen -Ansätze für die künftige japanische Mittelostpolitik und die Einsicht in die Notwendigkeit, sich mit Washington abzustimmen, der europäischen Position äußerst verwandt. Andererseits besteht auch in Japan noch ein Defizit an landesweiter Diskussion neuer außen-und sicherheitspolitischer Orientierungen, wie die Ergebnisse der Reise Suzukis in die USA im Mai 1981 gezeigt haben. Selbst Paris scheint trotz Fortlebens alter Empfindlichkeiten nicht abgeneigt zu sein, sich mit einer Verdichtung der Absprache unter einigen wenigen „Großen" anzufreunden. Es hält sich ja zugute, sowohl die westlichen Wirtschaftsgipfel wie das Treffen von Guadeloupe angeregt zu haben. Auch tauchten während Giscards Amtszeit in der französischen Presse vermehrt Überlegungen zur Organisationsproblematik auf, wobei mit gewisser Genugtuung auf die diesbezüglichen Initiativen de Gaulles aus den fünfziger Jahren hingewiesen wird. Das Frankreich Mitterrands ist zwar sicherlich nicht bereit, sich auf verbindliche strategische Planungen einzulassen, würde aber möglicherweise etwas dafür tun wollen, daß die operationelle Zusammenarbeit mit den USA politisch abgesichert wird. Es würde ohne Zweifel mehr Probleme aufwerfen als lösen, wollte man den Versuch unternehmen, ein trilaterales Gremium, bestehend aus den USA, Japan und europäischen Staaten, zu institutionalisieren, das die konzeptionelle und organisatorische Arbeit für eine regionenbezogene westliche Sicherheitspolitik zu leisten hätte. Auch der Vorschlag, die Institution der westlichen Wirtschaftsgipfel auf Fragen der außen-und sicherheitspolitischen Koordinierung auszudehnen, dürfte wenig praktikabel sein, denn einerseits würde diese Institution damit überfordert, andererseits wäre eine niedrigere prozedurale Ebene angemessener. Am ehesten ließe sich wohl eine „task force" verwirklichen, die Ad-hoc-Charakter hätte, sich aus Vertrauten der „trilateralen" Regierungschefs zusammensetzt und mit der Aufgabe betraut würde, westliche Politiken gegenüber dem Mittleren Östen abzustimmen und gemeinsame Initiativen zu entwickeln.

Zu dieser Frage ist eine der jüngeren Einschätzungen auf japanischer Seite interessant: „A trilateral , division of labour'regarding the Security of the Gulf involves many problems. Yet I believe that this is the direction to which the Western industrialized democracies should move in the 1980's. What seems to be critically important at this stage is to foster common perception regarding the causes for and the modality of the trilateral , division of labour'among the United States, Western Europe and Japan, particularly between the latter two. Constant efforts to exchange views on a broad ränge of international affairs, the Situation of the Gulf in particular, are vitally important in this regard. Accordingly, the governments of the United States, Western European countries and Japan should organize a mechanism through which respective views on international situations are regularly exchanged. This can be done either by organizing the existing diplomatic channels or by establishing a sort of trilateral situation-review panel, which meets regularly. To do both would be most desirable. Such an approach might turn out to be painfully slow in the light of pressing needs to secure the interests of the industrialized democracies in the Gulf region. But this is most vital because difference in perception would result in serious discrepancy in policy." (Yukio Satoh, bisher Mitarbeiter des japanischen Außenministeriums und zur Zeit beim 1. 1. S. S. in London, auf dem Workshop des European-American Institute in Elvetham Hall, England [27. -29. Juni 1980]). („Eine trilaterale . Arbeitsteilung'in bezug auf die Sicherheit in der Golfregion stößt auf viele Probleme. Doch glaube ich, daß dies die Richtung ist, die die westlichen demokratischen Industrieländer in den achtziger Jahren einschlagen sollten. — In diesem Stadium dürfte von entscheidender Bedeutung sein, daß die Vereinigten Staaten, Westeuropa und Japan, besonders aber die beiden letzteren, zu einem übereinstimmenden Urteil über die Ursachen und die Ausgestaltung einer trilateralen . Arbeitsteilung gelangen. — Dauerhafte Bemühungen um einen breit angelegten Meinungsaustausch über die internationalen Vorgänge, insbesondere die Lage der Golfregion, sind hier von vitalem Gewicht. Dementsprechend sollten die Regierungen der Vereinigten Staaten, der westeuropäischen Länder und Japans einen Mechanismus schaffen, der einen regelmäßigen Austausch der verschiedenen Ansichten über die internationale Lage sicherstellt. Dies kann entweder durch eine entsprechende Organisation der schon bestehenden diplomatischen Kanäle geschehen oder durch die Einrichtung einer Art von trilateralem Ausschuß, der sich regelmäßig zu Lagebesprechungen trifft. Am besten wäre es, beide Wege zu beschreiten. — Ein solcher Versuch könnte sich als quälend langsam erweisen angesichts der drängenden Notwendigkeit, die Interessen der demokratischen Industrieländer in der Golfregion zu sichern, aber er ist lebenswichtig, weil Auffassungsunterschiede sich in ernsten Unstimmigkeiten in der Politik niederschlagen würden.)

Mit der zeitlichen, regionalen und funktionalen Beschränkung der Tätigkeit einer derartigen Mittelost-„task force“ ließe sich einerseits eine zu weitgehende Festlegung der „trilateralen" Mächte vermeiden, andererseits die westliche Arbeitsteilung und Koordination über den Status quo hinaus entwickeln, und zwar im Hinblick auf die Verantwortlichkeiten, welche bestimmte Staaten oder gemeinsame Institutionen des Westens übernehmen können und wollen. Damit wäre exemplarisch anhand der Mittelostpolitik jene Form informeller Zusammenarbeit im Westen zu entwikkeln, wie sie für weitere sicherheitsrelevante Regionen außerhalb des NATO-Territoriums in Zukunft notwendig zu werden scheint. Nach den deutschen, amerikanischen und französischen Wahlen könnte es nunmehr an der Zeit sein, einen organisatorischen Vorstoß im Hinblick auf die Mittelost-und andere Regionen zu unternehmen, d. h. eine Gruppe handlungsbereiter westlicher Staaten (USA, Großbritannien, Frankreich, Bundesrepublik Deutschland, Japan) zusammenzurufen, die unter pragmatischer Beteiligung weiterer westlicher Staaten Ziele und Methoden langfristiger Reaktion des Westens auf internationale Krisen erörtert. Die geringe institutioneile Verfestigung würde es auch notwendig machen, sich über den Rückbezug dieser Kerngruppe auf etablierte Institutionen sowie auf die Gemeinschaft westlicher Länder insgesamt Klarheit zu verschaffen. Vielleicht bietet sich hier eine Möglichkeit für eine informelle sicherheitspolitische Koordinierung nach dem EPZ-Modell an, die unter anderem auch den notwendigen Bezug zur außenpolitischen Zusammenarbeit der Zehn herstellen könnte.

Diese Art „konsultativer Infrastruktur" mag zwar etwas komplex erscheinen, sie könnte aber sowohl die Gemeinsamkeit in der Interessenlage der westlichen Staaten wie deren jeweilige unterschiedliche politische Ausgangslage berücksichtigen und damit eine Antwort auf Herausforderungen vom Typ der Mittelostkrisen bieten. Dabei ist klar, daß kein noch so entwickelter Kooperationsmechanismus mit einer automatischen Überbrückung unterschiedlicher Positionen gleichgesetzt werden kann. Letztlich können die organisatorischen Verbesserungen nur Ausdruck eines ständigen Prozesses sein, der darauf ausgerichtet wird, den politischen Konsens unter den westlichen Partnern immer von Neuem zu erarbeiten. Die Herausforderung im Nahen und Mittleren Osten geben dazu besonderen Anlaß.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Reinhardt Rummel, geb. 1944. Wiss. Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen, und Lehrbeauftragter an der Universität München. Veröffentlichungen u. a.: Soziale Politik für Europa, Bonn 1975; zus. mit H. Kramer: Gemeinschaftsbildung Westeuropas in der Außenpolitik, Baden-Baden 1978; Hrsg, mit W. Wessels: Die Europäische Politische Zusammenarbeit; Erwägungen für eine westeuropäische Mittelostpolitik im Rahmen westlicher Arbeitsteilung, Ebenhausen 1980. Westeuropa als internationaler Akteur. Stand und Stellenwert gemeinsamen Handelns in der europäischen Außen-und Sicherheitspolitik, Ebenhausen 1981.