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Der Nordirland-Konflikt | APuZ 23/1981 | bpb.de

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APuZ 23/1981 Artikel 1 Der Nordirland-Konflikt Krieg und Revolution in Afghanistan

Der Nordirland-Konflikt

Friedrich von Krosigk

/ 41 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die ungebrochene Kontinuität der Gewalt in Nordirland stärkt die weitverbreitete statische Perzeption der ihr zugrunde liegenden Konfliktstrukturen. Maßgebliche politische Forderungen zur Überwindung der Krise sind noch heute von Mythen getragen, die an den Konfliktkonstellationen vergangener Jahrhunderte orientiert sind, den dynamischen Veränderungen im anglo-irischen, inneririschen wie interund innerkonfessionellen Beziehungsgeflecht vergangener Jahrzehnte jedoch keine Rechnung tragen. So hat die weltweite berechtigte Entrüstung über die gewaltsame Unterdrückung der katholischen Minderheit nicht unerheblich dazu beigetragen, das Verständnis für die veränderte Position der protestantischen Majorität Nordirlands zu vernebeln; gerade aber diese Majorität ist es, die letztlich das Macht-und Gewaltzentrum Nordirlands bildet und den Schlüssel zur Über-windung der Krise in der Hand hat. Zum anderen fördert die starke politische und militärische Präsenz Großbritanniens in Ulster die Verdeckung der Tatsache, daß die Unruhen in der britischen Krisenprovinz längst europäische Dimensionen (und Verantwortlichkeit) gewonnen haben und nicht mehr abgelöst zu betrachten sind von den weitverbreiteten Krisenerscheinungen in den peripheren Regionen des EG-Raumes. Die jüngsten Bemühungen der Regierung Thatcher, eine Irlandisierung des Konflikts durch stärkeren Einbezug Dublins und Zugeständnisse an republikanische Ansprüche auf Nordirland zu forcieren, läßt eine erneute •— die gegenwärtigen Unruhen weit übersteigende — Welle protestantischen Widerstandes mit möglichen separatistischen Konsequenzen erwarten. Auf der Suche nach einem Ausweg aus der politischen Sackgasse, in der sich Nordirland befindet, sollte dieser potentielle protestantische Separatismus verstärkte Beachtung finden.

Dynamische Dimensionen einer politischen Dauerkrise

Eskalierende Gewalt im Zeichen der im Belfaster Maze-Gefängnis um ihre Anerkennung als politische Gefangene hungerstreikenden IRA-Häftlinge sowie neue Vorstöße Londons zur Eindämmung der nicht abreißenden Konflikte in ihrer Krisenprovinz haben Nordirland einmal wieder in den Brennpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit rücken lassen. Während die Erscheinung der Gewalt in Ulster eher ein vertrautes Bild bietet und abgesehen vom zuvor nicht so massiv praktizierten Einsatz des Hungerstreiks als Waffe in der Hand der IRA eher auf Kontinuität in Nordirland verweist, sind es die beim letzten anglo-irischen Gipfeltreffen von Dublin am 8. Dezember 1980 entwickelten Initiativen zur Lösung der Nordirland-Krise, die die eigentlich neuen Perspektiven eröffnen. Angesichts der immer noch drohenden Eruption eines erweiterten Bürgerkrieges in der einst semi-autonomen Provinz Großbritanniens hat sich ein Kurswechsel britischer Nordirland-Politik angebahnt, der zugleich erstmals die Öffentlichkeit mit dem Eingeständnis einer Bilanz des Scheiterns des nun schon über zehn Jahre währenden Krisenmanagements Westminsters konfrontiert. Die noch immer explosive Lage im Norden der „grünen Insel" ist in zunehmendem Maße ein Belastungsfaktor für die gesamte britische Gesellschaft geworden.

Der traditionelle Versuch Großbritanniens, einerseits durch Kooperation mit den verschiedenen gemäßigten Kräften innerhalb der katholischen Social Democratic Labour Party und der protestantischen Unionist Party in Nordirland die Basis zu legen für den Aufbau eines sektiererische Fronten überbrückenden Systems des „power-sharing", andererseits mit Hilfe militärischer Gewalt die radikalen Kräfte, bei besonderer Präferenz für die IRA, auszuschalten, hat sich als vergeblich erwiesen. Die schon so oft aufgerieben geglaubte IRA hat sich als hocherfahrene und effiziente Guerillastreitkraft mit weiter Unterstützung in den katholischen Ghettos Nordirlands behaupten können, so daß maßgebliche Kreise der britischen Armee ihr inzwischen militärische Unbesiegbarkeit bescheinigt haben Die sensationelle Wahl des IRA-Hungerstrei-kers und inzwischen verstorbenen Bobby Sands ins britische Unterhaus hat diese Kalkulationen des skeptischen Militärs untermalt. Der noch im vergangenen Jahr vom neuen Nordirlandminister Atkins eingeleitete Versuch, eine Neuauflage der Politik des powersharing zu inszenieren, scheiterte nach Monaten vergeblicher Verhandlungen, insbesondere an den kompromißlosen Machtansprüchen der protestantistischen, d. h. unionisti-schen Majorität. Mit dem gegenwärtigen Umschwenken der britischen Regierung auf einen engen Kooperationskurs mit Dublin deutet sich die neue Linie eines Konfrontationskurses gegenüber den Protestanten Nordirlands an. Die „Umarmungen" zwischen Margaret Thatcher und dem einst mit dem Waffenhandel der IRA verbundenen Charles Haughey, dem gegenwärtigen irischen Premierminister und Führer der Fianna Fail Party, sprechen für sich. Der Weg über Dublin mag zur momentanen Mäßigung der IRA führen, wie das abrupte Ende des Hungerstreiks im Dezember vergangenen Jahres nur wenige Tage nach dem anglo-irischen Gipfeltreffen suggeriert, zugleich aber wird er das Mißtrauen und den Widerstandswillen der Protestanten verschärfen, die nach wie vor jede konstitutionelle Verbindung Ulsters mit dem Süden Irlands, wie sie Haughey als Preis für seine Kooperationspolitik fordert, strikt ablehnen.

Die Aussicht auf eine politische Lösung der Nordirland-Krise erscheint weiterhin blokkiert. Die wachsende Militanz auf protestantischer und katholischer Seite verdeutlicht das Dilemma des britischen Kurswechsels. Ein Ende der blutigen Auseinandersetzungen, denen im vergangenen Jahrzehnt mehr als 2 000 Menschen zum Opfer fielen, ist noch immer nicht abzusehen.

Zum Problem der Konfliktanalyse

Eine Dauerkrise, wie sie in Nordirland an Profil gewonnen hat, bringt ihre besonderen Interpretationsschwierigkeiten mit sich. Die Permanenz der Konfliktmanifestation verführt zur statischen Betrachtung der Konflikt-ursachen. Wer beispielsweise die Geschichte der irischen Unruhen Revue passieren läßt, kann sich zunächst kaum des Eindrucks erwehren, mit einer ungeheuren historischen Statik, die in der Entfaltung dieses Konflikt-herdes am Werke erscheint, konfrontiert zu sein.

Mehr als 800 Jahre der Gewalt in Irland — 1171 eroberte der englische König Heinrich II. die drei historischen Provinzen Irlands: Ulster, Munster, Leinster — sprechen für sich. Noch heute bietet die Präsenz der britischen Truppen in Nordirland für den unbedachten Beobachter ein Bild der Permanenz britischer Herrschaft und anglo-irischer Polarität. Die augenscheinliche Statik dieser Konfliktsituation wird untermalt durch die traditionalistischen Elemente der irischen Gesellschaft, in der noch heute wie zur Zeit der Religionskriege soziale und politische Identität über konfessionelle Loyalität vermittelt erscheinen, in der Schlachten vergangener Jahrhunderte symbolträchtige Aktualität in Paraden und Feierlichkeiten alljährlich zurückgewinnen und in der der Mythos von „Unionism" und „Nationalism" die Zäsur zweier Weltkriege, die das Ende des britischen Empire erzwungen haben, ungebrochen überlebt zu haben scheinen.

Die Permanenz der politischen Krise Nordirlands und ihre traditionalistische Dekoration hat vielerorts zum Schluß auf eine Permanenz der sie tragenden Strukturen, unter Vernachlässigung einer Auseinandersetzung mit den veränderten Bedingungen der irischen Gesellschaft und ihrer internationalen Umgebung, geführt. Die beispielsweise in der marxistischen Diskussion weithin respektierte Anwendung der an der britischen Herrschaft orientierten Imperialismustheorie auf die irische Frage ist von dieser Schwäche charakteristisch gezeichnet und verdient nähere Beachtung schon aufgrund des weitgehenden Konsenses, der in der Bewertung der praktischen Konsequenzen dieser Theorie besteht. Der nordirische Konflikt erscheint in dieser Perspektive untrennbar verbunden mit dem alten irischen Kampf um nationale Einheit und Unabhängigkeit von der britischen Herrschaft und Ulster als Relikt einer auf Irland gerichteten britischen „Divide-et-impera-Strate. gie". Indem Großbritannien — so lautet die weitverbreitete Argumentation — dem Süden Irlands Unabhängigkeit gewährte, der so entstandenen Republik jedoch die Souveräni. tät über die sechs nördlichen Grafschaften, in denen die irische Industriemacht konzentriert lag, verwehrte, wurde die irische Hoffnung auf echte Unabhängigkeit und sozialistischen Wandel sabotiert. Mit Ulster als kolonialem Brückenkopf britischer Herrschaft ist die Re. publik Irland im Netzwerk neokolonialer Abhängigkeit verfangen geblieben. Gesellschaftliche Polarisierung in Ulster ebenso wie die damit eng verbundene verhängnisvolle Teilung Irlands werden zum Output des britischen Imperialismus deklariert. Nordirland avanciert zum anti-imperialistischen Schlachtfeld. Boserup hat diese Position wie folgt charakterisiert: „British domination is thus seen as the rootoi all the problems ofIreland. In the socialist ide-ology British domination becomes British im-perialism. In this way everything lits nicely into place in what appears to be a consistent socialist theory. The severing ol the links with the British oppressor becomes the precondi-tion for socialism in Ireland. The Orange oli-garchy in the North (as well as the Green Tories in the South) become the middlemen the neo-colonialist agents of British imperialism, and the Unionist workers, lured bypettyPrivilegs, its helpless tools. Most important: the existence ofthe common enemy, British impe-rialism, fuses Catholics and Protestants into one people in so far as their objective inter-ests are concerned. National differences con-veniently recede into the background. Divi-sions among the people are the result of, false consciousness', itself the consequence of the divide-and-rule policies ofimperialism and its local executioners.“ („Die britische Herrschaft erscheint aus dieser Sicht als die Wurzel aller Probleme Irlands. In der Perspektive der sozialistischen Ideologie wird die britische Herrschaft zum britischen Imperialismus. Auf diese Weise wird alles fein säuberlich zurechtgerückt, zu dem, was dann als eine konsistente sozialistische Theorie erscheint. Die Zerstörung der Bindungen zum britischen Unterdrücker wird zur Voraussetzung für Sozialismus in Irland. Die , Oranier‘-Oligarchie im Norden (als auch die . grünen Tories im Süden) werden zu Mittelsmännern, zu neo-kolonialistischen Agenten des britischen Imperialismus, und die Unionistischen Arbeiter, geködert durch kleine Privilegien, zu deren hilflosen Werkzeugen. Und besonders wichtig: Die Existenz des gemeinsamen Feindes, der britische Imperialismus, läßt Katholiken und Protestanten in ein . Volk’ verschmelzen, was ihre objektiven Interessen betrifft. Nationale Differenzen treten päßlich in den Hintergrund zurück. Kluften zwischen den Menschen sind das Ergebnis . falschen Bewußtseins', letzteres wiederum wird zum Ergebnis der Teile-und Herrsche-Politik der Imperialisten und ihrer lokalen Gehilfen deklariert.")

Die praktisch-politischen Konsequenzen dieser Position laufen auf eine enge Verflechtung des Rufs nach Überwindung des protestantisch-britischen Herrschaftsapparates mit dem Postulat der Einheit Irlands hinaus. Beide Forderungen zusammen sind nicht nur in die Pro-grammatik von Provisional und Official IRA, Sinn Fein, und anderen militanten irisch-nationalistischen Organisationen eingegangen oder ein Privileg „linker" Irlandpolitik geblieben, sie finden vielmehr zunehmende Resonanz auch auf Seiten irischer Regierungskreise und sind ein gewichtiger Faktor der laufenden Verhandlungen zwischen Dublin und London um eine Lösung der Nordirland-Frage geworden. Premier-Minister Charles Haughey hat im Gegensatz zur zumindest rhe-Wichtigste Parteien und paramilitärische Organisationen Ulster-Unionist Party (UP): 1905 in den Home-Rule-Unruhen zur Sicherung der Union mit England gegründete protestantische Einheitspartei. In den Auseinandersetzungen um die nordirische Reformpolitik der 60er und 70er Jahre zerbrach die UP in einen gemäßigten (Alliance Party, Unionist Party of Northern Ireland) und einen radikalen, sog. loyalistischen (d. h. loyal zu England stehenden) Flügel (Official Unionist, Democratic Unionist Party [Paisleyites], Vanguard).

Sinn Fein: 1907 in den Kämpfen um home-rule von Arthur Griffith gegründete Partei des irisch-katholischen Separatismus und Nationalismus, die seit 1930 als politisches Sprachrohr der IRA fungiert. Social Democratic Labour Party (SDLP): 1970 gegründet; aus der inzwischen zusammengebrochenen Nationalist Party Nordirlands hervorgegangene katholische Reformpartei.

Fianna Fail: Größte Partei der Republik Irland, die auch gegenwärtig die Regierung stellt. 1926 aus Sinn Fein unter De Valera abgespalten; heute in der EG mit den französischen Gaullisten kooperierend. Orange Order: (in Anlehnung an den protestantischen Befreier Wilhelm von Oranien genannte) politisch-religiöse Organisation zur Sicherung von protestantischer Vorherrschaft und nordirischer Union mit England. 1795 als Schutz-und Kampforganisation in den Auseinandersetzungen mit den militanten katholischen Pächtern Ulsters gegründet. Die eigentliche Bedeutung als Zentrum des protestantischen Herrschaftssystems kam dieser Organisation erst im Zuge der Home-Rule-Unruhen gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zu. Effektives Instrument protestantischer Massenmobilisierung, Diskriminierung und Patronage. Heute mit dem loyalistischen Flügel der Unionist Party verbunden. IRA (Irish Republican Army): Guerilla-Organisation, die aus dem irischen Unabhängigkeitskampf gegen England (1919— 21) hervorging und dessen radikaler Flügel — zunächst unter De Valera — auch nach dem anglo-irischen Vertrag (1921) den Kampf gegen England und die Teilung Irlands kontinuierlich fortsetzte. 1969 Spaltung in (militant-radikale) Provisional und (links-gemäßigte) Official IRA Die Provisional IRA bildet heute das militärische Zentrum des anti-britischen und anti-protestantischen Widerstandes in Nordirland.

Ulster Workers Council (UWC): Organisatorisches Zentrum des protestantischen Generalstreiks vom Mai 1974, der die power-sharing Exekutive unter Faulkner zu Fall brachte. Starke Basis in der protestantischen Facharbeiterschaft.

Ulster Defence Association (UDA): Paramilitärische, loyalistisch orientierte protestantische „Vertei-digungs'-Organisation, die wesentlichen Anteil am Erfolg des protestantischen Generalstreiks von 1974 hatte und noch heute eine der wichtigsten Zentren protestantischer Gewalt bildet mit starkem Rückhalt in der protestantischen Arbeiterschaft. torisch vorsichtiger taktierenden Nordirland-Politik seines Vorgängers Jack Lynch in seinem Regierungsprogramm dem Ziel der Verwirklichung der irischen Einheit „first political priority" zugeschrieben, unter Betonung, daß in der Überwindung der irischen Teilung der eigentliche Schlüssel zur Überwindung der „sectarian violence" in Nordirland zu sehen sei. Konservative Praktiker und sozialistisch inspirierte Interpreten der irischen Politik finden sich in dieser Auffassung harmonisch vereint.

Die Maxime, nach der Haughey Nordirland-Politik betreibt, gewinnt durch Greaves sozialistische Rückendeckung, wenn dieser von der Einheit Irlands schreibt: It (a United Ireland) is not only a means of liberating six county Catholics from Unionism it is a means ofliberating also the men of the Shankill Road (ein protestantisches Arbeiterviertel in Belfast), and the surest road to socialism, which is what their best representatives desire." („Es [ein vereinigtes Irland] ist nicht nur ein Mittel zur Befreiung der Katholiken der sechs Grafschaften vom Unionismus, sondern auch ein Mittel zur Befreiung der Menschen der Shankill Road und der sicherste Weg zum Sozialismus, den ihre besten Vertreter in Wirklichkeit er-wünschen.

Daß eine friedliche Lösung der Nordirland-Krise, solange sie unter dem Primat der irischen Einheit konzipiert ist, gegenwärtig kaum Realisierungschancen hat, bedarf keiner aufwendigen Illustration. Es genügt der Ver. weis auf die resolut ablehnenden Reaktionen der protestantischen Majorität Nordirlands auf derartige Ansinnen; von der Home-Rule. Krise unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges bis hin zum Generalstreik von 1974 hat diese Majorität bewiesen, daß sie ge. willt und effektiv imstande ist, ihre eigenen anti-republikanischen, d. h. gegen die Einbeziehung in die irische Republik gerichteten In-teressen notfalls auch gewaltsam zu verteidi. gen. Um so dringlicher stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die Prämissen dieser einfluß. reichen, am Primat der irischen Einheit L bzw.der Überwindung der britischen Herrschaftsansprüche — orientierten Linie der Nordirland-Politik überhaupt haltbar sind. Eine Analyse der Ursachen der Teilung Ir. lands ebenso wie eine Untersuchung des Verhältnisses Großbritanniens zu Irland erscheint als dringlicher erster Schritt auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage, mit der notwendig die oft übergangenen dynamischen Dimensionen der Nordirland-Krise in das Blickfeld treten. In einem weiteren letzten Schritt gilt es die Rückwirkungen dieser Veränderung auf die Stellung und Haltung der protestantischen Majorität in Ulster, an derem resoluten Widerstand eine Lösung der Nordirland-Krise bislang gescheitert ist, aufzuzeigen.

Zur Teilung Irlands: Historische und strukturelle Grundlagen

Jahrhunderte der anglo-irischen Konflikte haben ein differenziertes Betrachten der Situation Nordirlands erschwert. Nur gar zu nahe liegt der alte Verweis auf die ungelöste „irische Frage'1, um den heutigen Krisenherd in die Kontinuität des irischen Befreiungskampfes zu versetzen; Ulster, ein letzter Brückenkopf britischer Herrschaft in Irland, „the terri-tory the British were able to hold on after the Irish liberation war" („das Gebiet, das die Briten nach dem irischen Befreiungskrieg in ihrer Hand behalten konnten"), wie Turner 6) es formuliert hat. Nur gar zu leicht wird aus dieser Perspektive die Eigenheit der Entwicklung Nordirlands gegenüber dem restlichen Süden übergangen.

Die Sonderstellung Ulsters läßt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen Paradoxerweise war es jedoch ursprünglich gerade die beharrliche Resistenz dieser Region gegen anglo-normannische Eroberungsversuche und damit gegen kulturelle und politische Fremdbestimmung, die die Eigenheit des Nordosten Irlands ausmachte. Ulster war ein Zentrum gälischer Kultur und blieb bis in die Neuzeit hinein dem englischen Gesetz entzogen. Erst im 17. Jahrhundert sollte es der englischen Administration gelingen, diesen konservativsten und archaischsten Teil der Insel unter Kon-trolle zu bringen. Für das Schicksal Ulsters jedoch eigentlich bestimmend war nicht so sehr die späte Kolonisierung unter den Stuarts, sondern der eigene Charakter dieser Kolonisierung. Denn anders als das übrige Irland wurde Ulster nicht auf der Basis einer Eroberungsstrategie unterworfen, die sich wie im Süden zunächst darauf beschränkte, die Führungsschichten zu anglifizieren, sondern mit Hilfe einer Siedlungspolitik — getragen durch schottische Presbyterianer —, die die ökonomischen, politischen und kulturellen Strukturen zutiefst und frühzeitig veränderte. Die unter James I. gegründeten Ulster-Siedlungen (-„plantations"), vornehmlich konzentriert auf die Belfast umgebenden Grafschaften Antrim und Dows, schufen in vieler Hinsicht die Voraussetzungen für eine eigenständige Entwicklung im Nordosten und damit zugleich die Grundlagen für eine spezifisch nordirische Konfliktkonstellation. „Durch die Kolonisation im Rahmen der . Plantation'begann eine Entwicklung, die schließlich bis zur heute bestehenden engen Bindung Ulsters (genauer: Nordirlands) an Großbritannien führte. Das Problem der konfessionell gespaltenen Gesellschaft nahm hier seinen Anfang."

Die noch heute wirksame und jetzt anachronistisch erscheinende Polarisierung Ulsters auf konfessioneller Basis hat ihre Wurzeln in der verhängnisvollen Kongruenz von Konfession und sozialem und ökonomischem Status, die diese Region im Zeichen der Eroberung und gewaltsamen Siedlung von Schottland her geprägt hat. „Settlers" und „Natives", Eroberer und Entrechtete, haben über die konfessionelle Zugehörigkeit — und nicht wie in anderen weißen Siedlerkolonien über die Hautfarbe — ihr erstes „äußeres" Unterscheidungsmerkmal gewonnen.

Im Hinblick auf die Sonderheiten der ökonomischen Entwicklung Ulsters mag es hier genügen, darauf zu verweisen, daß die schottischen Siedler nicht nur eine stärker profilierte handwerkliche Tradition mit sich brachten, sondern auch ein anderes Pachtsystem (es wurde später als Ulster-Custom bekannt) importierten, das den Vorzug langfristiger Verträge und größerer Berücksichtigung der eigenen Interessen der Pächter bot. Beides zusammen schuf die Voraussetzungen einer schon Ende des 17. Jahrhunderts einsetzenden prosperierenden ökonomischen Entwicklung des einst archaischen und rückständigen Nordosten Irlands. Sie sollte sich dann im 19. Jahr-hundert als besonders günstige Plattform für eine Entfaltung der industriellen Revolution erweisen.

Neuere Forschungen zur industriellen Entwicklung Irlands haben wichtige Einsichten in die strukturellen Grundlagen der irischen Teilung verschafft — Erkenntnisse, die solange verdeckt blieben, als sich das Interesse einseitig auf die Ereignisse um 1920 und die von Lloyd George eingeleitete Politik der Teilung Irlands konzentrierte. So hat Gibbon darauf aufmerksam gemacht, daß sich im Zuge der industriellen Revolution zwei unterschiedliche regionale Wirtschaftszonen mit -unterschiedli chen Produktionsformen in Irland herausgebildet haben. Während der Norden, aufbauend auf eine günstige handwerklich-städtische und auch agrarische Infrastruktur, zum neuen Zentrum einer mit Glasgow und Liverpool bzw.dem Lancashire eng verkoppelten Schiffsbauund Leinenindustrie avancieren konnte, wurde der Süden zunehmend auf die Rolle einer extensiven Agrarprovinz Englands fixiert. Der 1801 vollzogene Act of Union zwischen England und Irland, ausgelöst als Reaktion auf die von der amerikanischen und französischen Revolution inspirierten irischen Unabhängigkeitsrevolte — in ihr nahmen Elemente des presbyterianischen Bürgertums in Belfast eine führende Rolle als Verfechter eines gesamtirischen Separatismus ein —, hat Zusätzliches dazu beigetragen, um diese dualistische Entwicklung zu vertiefen: Mit der erzwungenen Auflösung des irischen Parlaments versank Dublin im Provinzialismus; die Durchsetzung des Freihandelsabkommens mit England dagegen erleichterte den Aufstieg Belfasts auf der Basis der Integration Nordirlands in das britische industrielle System, zerstörte aber zugleich die traditionellen Industrien des Südens um Dublin und Cork und besiegelte dort das auf die große Hungerkatastrophe (1845— 1851) weisende Schicksal der Landwirtschaft.

Belfasts Aufstieg zum industriellen Zentrum Irlands im 19. Jahrhundert vollzog sich auf Kosten eines sich vertiefenden inner-irischen ökonomischen Dualismus, dessen politisches Konfliktpotential im Aufkommen von Home-Rule-Bewegung im Süden und Unionism im Norden Irlands in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konsequenten Ausdruck gewonnen hat. Die Existenz zweier unterschiedlicher regionaler Ökonomien mit entsprechend differenzierenden sozialen Formatio-nen innerhalb Irlands muß als entscheidender Faktor gewertet werden auf dem Wege der Entstehung dieser divergierenden politischen Bewegungen: „Unionism" als Bewegung, in der die Interessenverknüpfung der protestantischen Majorität Ulsters mit Großbritannien, „Nationalism" als katholisch-gälische Bewegung des agrarischen Südens, in der die Revolte gegen die britische Vorherrschaft und später gegen deren „Potentate“ im Norden ihren Ausdruck fanden

Inwieweit die hier aufgezeigten strukturellen Grundlagen der irischen Teilung auf die ge. genwärtigen Verhältnisse Irlands übertragbar sind, wird noch zu klären sein. In diesem Zusammenhang mag es zunächst genügen, darauf zu verweisen, daß die entscheidenden politischen Bewegungen Irlands auf der Basis dieses strukturellen Dualismus ihre langfristigen und noch in die Gegenwart hineinreichenden politischen Orientierungslinien geformt haben.

Das Verhältnis Großbritanniens zu Irland

Politische Aspekte Eine der wesentlichen Schwächen vieler auf die britische Herrschaft fixierten Interpretationen des Nordirland-Konflikts liegt in der unzureichenden Beachtung der dynamischen Veränderung im anglo-irischen Verhältnis. Daß Großbritannien ursprünglich gewichtige politisch-strategische, aber auch ökomonische Interessen im Süden wie im Norden Irlands verfolgte, kann kaum bezweifelt werden. Der Act of Union von 1801, der Irland als Provinz Großbritanniens konstituierte, ist das Produkt solcher Interessen. Furcht vor der Entstehung eines französischen Brückenkopfes auf der von Unruhen erfaßten irischen Insel hat diesen letzten Zugriff auf die politische Autonomie Irlands entscheidend bestimmt. Aber das britische Herrschaftsinteresse an Irland, das im 17., 18. und noch im 19. Jahrhundert evident war, läßt sich nicht nahtlos in eine Linie mit dem Government of Ireland Act von 1920, der die verhängnisvolle Teilung Irlands politisch besiegelte, fügen.

Die schon angesprochene populäre Interpretation der Teilung Irlands als Ergebnis einer britischen „Divide-et-impera-Strategie" stützt sich vornehmlich auf das Argument der massiven Opposition, die der irischen Home-Rule-Bewegung aus Kreisen der Conservative Party und der britischen Armee entgegenschlug. IIlustre Tories wie Edward Carson als Führer des Ulster Unionist Council, Randolph Churchill, der aus wahltaktischen Gründen auf die Orange Card gesetzt hatte, oder gar Bonar Law, Führer der Tories zur Zeit der 3. Home-

Rule-Bill, haben die Ziele der auf Union mit England setzenden Protestanten — der Ulster Unionists — mit Nachdruck vertreten. Ihr Einsatz gegen Home Rule war jedoch weit weniger bestimmt von direkten Interessen an Irland bzw. Ulster selbst als von der Sorge um die Integrität des britischen Empire. Gewiß, die Anti-Home-Rule-Kampagne der Ulster Unionists fand zahlreiche Sympathisanten unter Tories, Landlords und Armee-Offizieren in England und vermochte starke Resonanz in Parlament und Öffentlichkeit Großbritanniens zu gewinnen. Diese höchst wirksam formierte Oppositionsgruppe hat jedoch nie eine dominierende Stellung in der britischen Politik beziehen können, und dies gilt insbesondere für den entscheidenden Zeitraum der parlamentarischen Diskussion der 3. Home-Rule-Bill, der 1911 begann. Selbst die militantesten Vertreter des Unionism in England sahen sich später unter dem Eindruck des sich hinziehenden Weltkrieges und angesichts der Notwendigkeit zur Sicherung des Sieges ein Arrangement mit Irland in der Home-Rule-Frage zu finden, gezwungen, ihre Unterstützung für Ulster zu revidieren. Wie Boyce in seiner Studie über die Haltung der Konservativen zur Ulster-Frage und zur irischen Teilung belegt, bestand gegen Ende des Ersten Weltkrieges allgemeiner Konsens in Westminster über die Notwendigkeit, Irland in der einen oder anderen Weise Home-Rule zu gewähren Der Government-of-Ireland-Act von 1920 sowie der anglo-irische Vertrag von 1921, die beide zusammen der irischen Frage auf der Ba-sis der Teilung ihre fragwürdige, explosive Lösung gegeben haben, trägt nicht die Schrift ei-nes britischen Herrschaftskomplotts, sondern eher die Zeichen eines Kompromisses, bei dem sich keine der betroffenen Parteien glücklich preisen konnte — eines Kompromisses, der auch nicht den Eindruck erweckt, als sei er unter Regie einer britischen Regierung zustande gekommen, die den Gang der Dinge voll unter Kontrolle hatte, geschweige denn darauf aus war, Nordirland unter allen Bedingungen der britischen Krone zu erhalten. Weder die nordirischen Unionists hatten die Teilung angestrebt, noch war dieses Ziel von der britischen Regierung selbst im Rahmen der verschiedenen Phasen der Home-Rule-Kampagne verfolgt worden. Zur Debatte stand lediglich das Ausmaß gesamtirischer Selbstverwaltung. Die Entscheidung für den Kompromiß der Teilung fiel unter den Zwängen des zweijährigen Guerillakrieges, den die irischen Nationalisten im Süden gegen die britische Verwaltung führten, sowie unter dem Eindruck des entschlossenen Anti-Home-Rule-Widerstandes der Protestanten Ulsters

Ökonomische Dimensionen Das gedämpfte Interesse Großbritanniens an Irland zum Zeitpunkt der durch den Government-of-Ireland-Act legalisierten Teilung gewinnt deutlichere Konturen unter Berücksichtigung der ökonomischen Dimensionen des anglo-irischen Verhältnisses.

Bereits im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sich das wirtschaftliche Interesse Großbritanniens an Irland drastisch reduziert. Im 18. Jahrhundert war Irland im wesentlichen als Lieferant von Rohstoffen, agrarischen Produkten und Pachtzinsen für England ökonomisch interessant geworden. Im 19. Jahrhundert bekam Irland im Zeichen der anglo-irischen Union erweiterte Bedeutung als Lieferant billiger Arbeitskräfte für die expandierende britische Industrie und williger Soldaten für das Empire sowie als zusätzliche Einnahmequelle von Steuergeldern.

Zwei Ereignisse trugen jedoch schon im selben Jahrhundert dazu bei, die wirtschaftliche Attraktivität Irlands für England erheblich zu mindern:

1. Die von Gladstone eingeleiteten Land-Acts, die den irischen Pächtern erhöhte Sicherheit gegenüber ihren anglo-irischen Landlords verschafften und deren Gewinnmargen reduzierten;

sie wurden später ergänzt durch die Land-Purchase-Acts, die den vollständigen Rückzug der Landlords bewirkten.

2. Die zunehmende Konkurrenz im Agrarbereich durch Überseeproduzenten wie Australien, Neuseeland und Kanada. Irlands ursprüngliche Monopolstellung für Milch-und

Fleischprodukte auf dem britischen Markt brach rasch zusammen unter der fortschreitenden Entwicklung der Dampfschiffahrt.

Wie Erich Strauss in seiner Untersuchung über das anglo-irische Verhältnis vor dem Ersten Weltkrieg aufzeigt, waren bis zum Jahr 1913 die Hauptquellen materieller Ausbeutung Irlands dried up or dwindJed, and calcula-

ted in terms of hard cash Ireland had, indeed, become a liability for the British Empire"'3)

(„ausgetrocknet oder dahingeschwunden, und kalkuliert in barem Geld war Irland in der Tat zu einer Belastung für das britische Empire geworden").

Auch als Absatzmarkt für englische Produkte verlor Irland im Zeichen des Kollapses seiner Landwirtschaft und der daraus resultierenden beschränkten Zahlungsfähigkeit im Außenhandel seine ursprüngliche Bedeutung.

Bleibt die Problematik der strukturellen Abhängigkeit Irlands, die insbesondere im ökonomischen Bereich auch nach der Erringung der politischen Unabhängigkeit des Südens das anglo-irische Verhältnis überschattete.

Schon Conolly warnte 1897: „IIyou remove the English army tomorrow and hoist the green flag over Dublin Castle, unless you set about the Organisation of the socialist republic your effort will be in vain. England would still rule you through her capitalists, through her land-

lords, through her financiers.. (, yNenn ihr die englische Armee morgen abzieht und die grüne Flagge über Dublin castle hißt, so wird dieses Mühen vergeblich sein, es sei denn, ihr geht an die Organisation der sozialistischen Republik. England würde euch noch beherrschen durch seine Kapitalisten, seine Land-lords und seine Finanziers Bekanntlich wurde die nationale Revolution Irlands von keiner sozialistischen Revolution begleitet; Irland blieb der Status eines Satellitenstaates in der europäischen Peripherie Vorbehalten. Der Versuch, eine autozentrische Wirtschaftsentwicklung mit Hilfe protektionistischer Han-delsund Investitionsschranken einzuleiten, führte ins Scheitern. Elf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem Irland noch beharrlich einen unabhängigen Neutralitätskurs gegenüber England verfolgt hatte, setzte im Rahmen des Programm of Economic Expansion die Phase der Öffnung der irischen Wirtschaft zunächst primär zum britischen Markt hin ein. Der Manufactures Act von 1964, der die Hindernisse für Ausländsbeteiligungen an irischen Unternehmen entfernte, sowie das anglo-irische Freihandelsabkommen von 1966 vollendeten diesen Prozeß, mit dem der Süden zumindest ökonomisch in den britischen Raum quasi reintegriert wurde.

Dennoch hat sich im Laufe dieser anglo-iri-schen Annäherung die Struktur der irischen Abhängigkeit nicht unbeträchtlich modifiziert. Mit der Öffnung zum britischen Raum vollzog sich Hand in Hand ein Prozeß der Öffnung zur EWG und zur internationalen Wirtschaft insgesamt. Der irische Versuch, mit Hilfe großzügiger Anreize ausländisches Kapital für den Aufbau einer exportorientierten Industrie anzusiedeln, hat nicht nur britisches Interesse erweckt. Zu den wichtigsten Auslandsinvestoren in Irland zählen heute neben britischen Unternehmen die der USA und der EWG (mit deutlich deutscher Präferenz). Abhängigkeit hat im Rahmen dieser auf ausländische Investoren orientierten Entwicklungsstrategie Irlands eine multipolare, europäisch-atlantische Struktur gegenüber dem traditionellen Einflußmonopol Großbritanniens gewonnen. Im Gegensatz zum Süden Irlands wurde für Ulster das Verhältnis zu Großbritannien ursprünglich sehr stark bestimmt von den objektiven Bedürfnissen der dort im 19. Jahrhundert entstandenen und das Wirtschaftsgeschehen dominierenden Industriezweige, der Leinenindustrie und dem Schiffbau. Gerade diese Industrien hatten im Falle eines gesamtirischen Home-Rule-Sieges alles zu verlieren. Ihre starke Exportorientierung machte sie abhängig von gesicherter Integration in das britische Wirtschaftssystem und dessen Absatzmärkte. Der schon im Rahmen der Diskussion der irischen Teilung aufgewiesene strukturelle Nord-Süd-Dualismus bestimmte auch das unterschiedliche Verhältnis zu Großbritannien. Der protestantische Widerstand gegen die Home-Rule-Bewegung und der daraus resultierende Unionismus war nicht das Produkt religiöser Hirngespinste, sondern konkreter wirtschaftlicher Interessen. „To ex-change their share in British trade forprospec- tive monopoly of the home trade of an im-poverished agrarian freland must have appea-red an unconceivable madness to the Ulster business men. It would have been the sale of theirproud birthright for the mere promise of a mess of very inferior pottage, and every at-tempt to force such a policy on them was bound to be resisted tooth and naiL“ („Ihre Teilhabe am britischen Handel auszutauschen gegen eine zu erwartende Monopolstellung auf dem Binnenmarkt eines verarmten agrari-sehen Irlands, muß jedem Ulster-Geschäfts-mann wie eine unbegreifliche Verrücktheit erschienen sein. Ein solcher Schritt wäre dem Verkauf ihrer stolzen Geburtsrechte gegen das vage Versprechen eines dürftigen Linsen-gerichts gleichgekommen, und jeder Versuch, ihnen ein solches Ansinnen aufzuerlegen, mußte ihren bedingungslosen Widerstand herausfordern.")

Allerdings muß vor dem häufig gezogenen Fehlschluß einer britisch-nordirischen Interessenidentität gewarnt werden. Die Ulster-Unionisten waren nicht, wie beispielsweise Turner behauptet, politischer Ausdruck britischer Wirtschaftsinteressen in Irland, ihre Existenz war vielmehr Ausdruck eigenständiger Interessen der Mehrheit der Bevölkerung der sechs nördlichen Grafschaften Irlands. Diese Tatsache erklärt, warum Gladstone schon 1886 bereit war, dem gesamten Irland Home-Rule zu gewähren, und läßt die Abwesenheit der Vertreter des britischen Kapitals in der Opposition gegen Home-Rule verstehen; sie macht zugleich die Unbedenklichkeit plausibel, mit der Winston Churchill später Nordirland als Preis für die Teilnahme des Südens am Zweiten Weltkrieg Dublin offerieren konnte.

Nordirland wurde nach der Teilung empfindlichen Veränderungen mit entsprechenden Rückwirkungen auf das Verhältnis zu Großbritannien unterworfen. Die große weltwirtschaftliche Depression der Zwischenkriegszeit hat selbst mächtige Industrien Ulsters wie den Schiffsbau und die Leinenfabrikation nicht verschont gelassen und einen wirtschaftlichen Verfallsprozeß mit verheerenden, bis heute noch spürbaren Konsequenzen für weite Teile der Bevölkerung eingeleitet — ein Verfall, in dem jedoch zugleich die erste Phase einer Nord-Süd-Konvergenz in Irland angelegt war. Ahnlich wie der Süden, der schon vor dem Ersten Weltkrieg den Status einer „liability" für das britische Empire erreicht hatte, wurde auch der Norden im Zuge dieses Umbruchs zunehmend zu einem politischen und wirtschaftlichen Belastungsfaktor für Großbritannien. Heute ist Nordirland trotz massiver Anwerbung ausländischen Kapitals eine Notstandsprovinz geworden, der die britische Administration jährlich 1. 2 Milliarden Pfund an Subventionen zukommen lassen muß, und die mit einer Arbeitslosenquote (14. 3%, 1980) belastet ist, die gewöhnlich doppelt so hoch liegt wie der britische Durchschnitt In zunehmendem Maße ist aus Ulster im Laufe der Nachkriegsentwicklung nicht nur ein politischer Störfaktor — bzw. „an unseemly Situation within what is recognized by all as Britains sphere of influence", wie Gibbon es faßt —. sondern auch ein ökonomisches Verlustgeschäft für Großbritannien geworden.

Das britische Verhältnis zum Norden wie zum Süden Irlands ist heute insgesamt von pragmatischen Erwägungen zur Erhaltung der Stabilität in dieser Region geprägt. Weder ökonomisch noch politisch-strategisch stehen hier empfindliche britische Interessen auf dem Spiel. Es bestehen keine Anzeichen dafür, daß Großbritannien an einer Aufrechterhaltung der irischen Teilung, geschweige denn an einer Vorherrschaft der Unionisten — bzw. an einer sektiererischen Spaltung der Gesellschaft im Norden — interessiert ist. Das britische Stabilitätsinteresse, das heute an die Stelle des traditionellen „benign neglect" (wohlwollenden Desinteresses) für die Vorgänge in Ulster getreten ist, ist weder mit der so häufig postulierten Einheit noch mit der Unabhängigkeit Irlands unvereinbar. Vor dem Hintergrund gemeinsamer anglo-irischer Mitgliedschaft in der EG haben Fragen politischer Jurisdiktion offensichtlich an Relevanz verloren. Im Laufe ihrer zahlreichen Verhandlungen zur Lösung der Nordirlandkrise zeigte die britische Regierung wiederholt ihre Bereitschaft, sich mit „Nationalisten" aller Couleurs, selbst mit Vertretern der Provisional und Offi-cial IRA — so Merly Rees 1975 als Nordirland-Minister der Labour Regierung —, an einen Tisch zu setzen; ebenso zeigte sie keine Skrupel, etwa das Angebot eines Abzugs britischer Truppen, die Bildung gesamtirischer Institutionen oder die Aufhebung von Internment (= Internierung) in ihr Verhandlungspaket aufzunehmen.

Die veränderte politische wie ökonomische Interessenskonstellation, die das anglo-irische Verhältnis heute bestimmt, hat die britische Dimension der Nordirlandkrise nicht ausgelöscht, aber ihre Bedeutung erheblich reduziert. Gewiß, die alte Allianz zwischen konservativen bzw. nationalistischen Kräften und Ulster-Unionists bzw. Loyalists ist nicht völlig versiegt, wie die Existenz von Enoch Powel bestätigt. Aber letzterer ist kein Edward Carson noch ein James Craig oder Randolph Churchill. Der entscheidende Widerstand gegen eine allseitige akzeptable Lösung des Nordirland-Konflikts ist gegenwärtig nicht auf britischer Seite zu suchen; der zentrale Widerspruch in der Ulsterfrage ist nicht mehr anglo-irischer Natur, der bestimmende Faktor dieser Krise liegt vielmehr in der totalen Kompromißlosigkeit der protestantischen Majorität Ulsters, die — wie sie einst durch ihr Insistieren auf Union mit Großbritannien die Teilung Irlands erzwungen hat — heute jeden Versuch blockiert, die Ulsterfrage auf der Basis eines power-sharing mit der katholischen Minorität zu lösen. Das Verständnis der Position der Ulster-Protestanten gewinnt damit eine Schlüsselfunktion für ein Verständnis der Nordirlandkrise.

Protestantismus und Unionismus

Seit Beginn der gewaltsamen Auseinandersetzung in Nordirland stehen die Protestanten Ulsters im Rampenlicht weltweiter Aufmerksamkeit. Die vehemente Kritik, die ihnen als Trägern eines Systems zuteil geworden ist, in dem die Praxis der Unterdrückung und Diskri-* minierung der katholischen Minderheit gleichsam zur Institution werden konnte, hat allerdings wenig dazu beigetragen, ihre Position verständlich zu machen. Sie sind heute, wie Geoffry Bell mit Recht betont, „the most criticized and misunderstood community in Western Europe" („die am stärksten kriti19 sierte und mißverstandene Gemeinschaft Westeuropas"). Die Tragik ihrer Position läßt sich am treffendsten in der Spanne zweier Urteile über sie erfassen. Als im Ersten Weltkrieg in der Schlacht an der Somme mehr als 5 000 Protestanten Nordirlands im Einsatz für das britische Empire ihr Leben ließen, schrieb Sir William Spencer: „I am not an Ulsterman but yesterday the Ist of July as I followed their amazing attack on the Somme I feit I would rather be an Ulsterman than anything eise in the world." („Ich bin kein Ulstermann, aber gestern, am l. Juli, als ich ihren unglaublichen Angriff verfolgte, hatte ich das Gefühl, lieber ein Ulstermann als alles andere in der Welt sein zu wollen.")

Mehr als ein halbes Jahrhundert später, 1974, artikulierte der britische Premierminister Harold Wilson unter dem Eindruck des erfolgreichen Generalstreiks der protestantischen Arbeiter gegen das Sunningdale Agreement — jener Vereinbarungen zwischen London, Dublin und Belfast, nach denen die Nordirland-Frage im Rahmen eines power-sharing zwischen katholischer Minorität und protestantischer Majorität sowie gesamtirischer Kooperation im Council of Ireland gelöst werden sollte — ein anderes, diesmal vernichtendes Urteil. Protestanten — so Wilson — sind „people who spend their lives sponging on Westminster and British democracy" („Menschen, die ihr Leben damit verbringen, von Westminster und der britischen Demokratie zu schmarotzen . Der Fall der Ulster-Protestanten vom britischen Heldenpodest in die Tiefen des „Schmarotzertums" konnte kaum radikaler sein. Einst Speerspitze britischer imperialer Selbstbehauptung sind sie heute eine lästige Erbschaft geworden, deren man sich nur zu gerne entledigen würde. Die Veränderungen im anglo-irischen Verhältnis, die dieser Positionswandel reflektiert, wurden bereits diskutiert. Bleibt die Frage nach den Ursachen der Weigerung der protestantischen Majorität, sich diesen Veränderungen anzupassen; damit tritt das Phänomen des „Unionism", d. h. das noch heute aktuelle protestantische Verharren auf einer Position der Einheit mit Großbritannien, bzw. das Ablehnen jedweder gesamtirischer Integration in den Mittelpunkt der Reflexion.

Im Rahmen der vorausgegangenen Überlegungen zur Teilung Irlands wurde die Notwendigkeit einer strukturellen Interpretation der beiden polaren politischen Bewegungen Irlands, Unionism (im Norden) und Nationa-lism (im Süden Irlands), schon begründet. Alle Versuche, mit Hilfe von Psychologie, Ethnologie, Anthropologie oder gar Imperialismus, theorie den irischen Dualismus zu erfassen, versagen vor der Notwendigkeit, die Realität der unterschiedlich historisch gewachsenen Interessenkonstellation zwischen Norden und Süden Rechnung zu tragen, die sich im Schatten der Home-Rule-Krise schließlich in eine dauerhafte politische Konfliktformation verfestigen konnte.

Um den protestantischen Radikalismus und die Kompromißlosigkeit etwa in Fragen konstitutioneller Verbindungen mit dem Süden oder des „power-sharing" mit der katholischen Minderheit im Norden zu verstehen, muß jedoch zugleich das Milieu berücksichtigt werden, in dem sich die Eigenheiten der regionalen Sonderstellung Ulsters herausgebildet haben.

Der im 19. Jahrhundert einsetzende Aufschwung Ulsters zum industriellen Zentrum der irischen Insel mit der darin implizierten speziellen Orientierung des Nordens auf den britischen Wirtschafts-und Absatzraum hat nie vermocht, mehr als eine Enklave relativen Wohlstands in Irland zu bilden, d. h. Irland ist immer im Milieu der Knappheit verfangen geblieben. Der rasch aus dem Süden einsetzende Zustrom irischer (katholischer) Arbeitskräfte in den expandierenden industriellen Raum um Belfast hat das Seine dazu beigetragen, um eine permanente Konkurrenz um knappe Arbeitsplätze zu erzeugen und damit die Grundlagen für eine sektiererische Spaltung und ghettohafte Polarisierung auch der Arbeiterklasse in Ulster zu legen. Das so vielfach als ideologische Manipulation mißinterpretierte Phänomen der protestantischen „Einheit“ hat hier seine objektive Basis gefunden. Nur in diesem Milieu der Knappheit war es möglich, ein diskriminierendes Patronagesystem von der Wirksamkeit des Orange-Order — dem Kernstück des protestantischen Herrschaftsapparates in Ulster — aufzubauen.

Der protestantische Arbeiter, der sich in Belfast unter die Schirmherrschaft des Orange-Orders begab, konnte zwar damit keine finale Sicherung von Arbeitsplatz und allgemeinen Wohlstand erwerben, aber zumindest eine Sicherung seiner Bevorzugung gegenüber der katholischen Konkurrenz bewirken Dieser im Milieu der Knappheit stimulierte Mechanismus der Diskriminierung und Polarisierung, der im 19. Jahrhundert zu greifen begann, hat dann im 20. Jahrhundert verschärften Antrieb gefunden im Kontext der Auseinandersetzungen zunächst um die irische Unabhängigkeit und später, nach Erreichen dieses Zieles, im Kontext der republikanischen Forderung nach Aufhebung der irischen Teilung.

Nicht nur als Enklave relativen Wohlstandes, sondern auch als Enklave der politischen Union mit Großbritannien ist Ulster in die Position einer „belagerten" Gesellschaft versetzt worden, und in dieser Enklavenposition sind die Eigenheiten des nordirischen Protestantismus, sein Fundamentalismus, seine spezifischen militanten Züge, seine sektiererische Orientierung ebenso wie alle seine internen klassenspezifischen Divergenzen immer wieder überbrückende äußere Kohäsion zu lokalisieren. Eine Analyse der gegenwärtigen Krise in Nordirland, die die hieraus resultierende relative Autonomie des Protestantismus und d. h. die materielle Substanz von Unionism und Orange-Order ignoriert, muß unzureichend bleiben. Allerdings wäre es ebenso verfehlt, ausgehend vom Phänomen dieser relativen Autonomie des Protestantismus auf die Existenz eines undifferenzierten, einheitlichen protestantischen Blocks zu schließen.

Auch hier auf der Ebene des Protestantismus täuscht der äußere Rahmen der Permanenz, wie er in der Bewegung von Unionism und Loyalism in Erscheinung tritt Vielmehr zeigen sich die krisenhaften Entwicklungen der vergangenen zwei Jahrzehnte in ihrer Dynamik entscheidend bestimmt von der fragilen Natur der protestantischen Einheit und den starken innerprotestantischen Konflikten. Es mag genügen, auf den Zersplitterungsprozeß der alten protestantischen Einheitspartei — der Unionist Party — zu verweisen, der genau mit jenem Zeitpunkt einsetzte, als sich der nordirische Premierminister O'Neill Anfang der sechziger Jahre mit Unterstützung seines Kollegen Lemass anschickte, eine Normalisierung der inneririschen Beziehungen einzuleiten. Der Aufstieg des Pfarrers Paisley als Führer des radikalen loyalistischen Flügels der Unionist Party nahm hier im protestantischen Protest gegen eine Politik der Annäherung an den katholischen Süden seinen frühzeitigen Ausgangspunkt Und jeder weitere Ansatz unionistischer Reformpolitik sollte den innerprotestantischen Zersplitterungs-und Polarisierungsprozeß verschärfen. Die drei letzten nordirischen Premiers, O'Neill, Chichester-Clark und Faulkner, die, sei es unter dem Druck der Straße, wo gegen Ende der sechziger Jahre mit weltweiter Resonanz die Bürgerrechtsdemonstrationund damit die blutige Phase des Nordirland-Konflikts einsetzte, sei es auf Drängen von Westminster, Reformen gegenüber der katholischen Minderheit wie gegenüber Dublin einleiteten, fielen den innerprotestantischen Konflikten zum Opfer und wurden jeweils aus den eigenen Reihen der Unionist Party heraus gestürzt.

Die Ergebnisse der letzten in Nordirland abgehaltenen Wahl (1975) zur Constitutional Convention bieten ein plastisches Bild des unionistischen Zersplitterungsprozesses nach mehr als fünfjähriger Dauer der heißen Phase der Nordirland-Krise. Die protestantischen Stimmen zeigen sich jetzt im wesentlichen verteilt auf fünf Parteien, von denen drei — Official Unionists, Democratic Unionist Party und Vanguard — unter der Führung von Paisley, Craig und West die radikale, sektiererisch orientierte Loyalist Coalition gebildet haben, die als United Ulster Unionist Council (UUUC) in den Wahlkampf zog. Auf Seiten des protestantischen Reformflügels erscheinen zwei Parteien, die Alliance Party und die von Faulkner 1974 gegründete Unionist Party of Northern Ireland. Die Loyalist Coalition konnte 54, 8% der Stimmen, d. h. die absolute Mehrheit, gewinnen und damit jeden weiteren parlamentarisch legitimierten Reformkurs, wie er von Westminster im „Northern Ireland Act" (1974) konzipiert war, blockieren. Nach mehrmonatigen vergeblichen Verhandlungen sah sich die britische Regierung im März 1976 schließlich gezwungen, das Projekt einer Verfassungsreform in Nordirland unter Berücksichtigung gesicherter katholischer Partizipation und gesamtirischer institutioneller Verbindungen vorerst aufzugeben und auf der Basis von „direct rule" ihr Krisenmanagement in Ulster fortzusetzen.

Zersplitterung und Radikalisierung der protestantischen Kräfte haben sich bislang als interdependenter Prozeß erwiesen. Die interkonfessionelle reformfreudige Alliance-Party, die sich 1970 von der Unionist Party abspaltete, und in der viele Beobachter der irischen Szene ein kommendes, gemäßigtes, reformfreudiges Machtzentrum im nordirischen Parteiensystem zu erkennen glaubten ist über den Status einer Minoritätspartei mit einem Stimmenanteil vont 9, 8% (1975) nicht hinausgelangt. Allerdings muß berücksichtigt werden, daß Parteien in der gegenwärtigen Situation Nord-irlands nicht mehr als zuverlässiger Indikator des politischen Kräfteverhältnisses einzuschätzen sind. Die heftigen Auseinandersetzungen um die Reformpolitik haben frühzeitig zu einer Transformation von Konflikten in sektiererische Konfrontationen auf der Straße geführt, da die alte Führungsschicht der Unionisten sich außerstande sah, die wachsenden inneren Widersprüche zwischen Protagonisten und Opponenten von Reform aufzufangen, ohne dabei den unionistischen Staat zu zerstören. Angesichts der vergeblichen Mühen der letzten nordirischen Administrationen, einerseits die katholische Minorität mit Reformversprechungen zu pazifizieren und andererseits zugleich die protestantische Majorität davon zu überzeugen, daß diese Versprechungen die Substanz ihrer alten Privilegien unangetastet ließen, kam es zu massiver Entfremdung weiter Teile sowohl der katholisehen als auch der protestantischen Bevölkerung und damit zur Bildung eines breitgefächerten Spektrums paramilitärischer Organisationen, für die die konfliktreiche und blutige Geschichte Irlands ohnehin den Boden der Tradition bereitet hatte

Auf katholischer Seite war es die IRA, die im Schatten protestantischer Übergriffe auf katholische Ghettos, wie die Falls Road, seit dem Sommer 1969 zunehmend politisches Gewicht gewann als einzig wirksame Schutzmacht der Minorität, während auf protestantischer Seite im Zuge der Eskalation der Gewalt im Sommer 1971 die Ulster Defence Association (UDA), umringt von einer Vielzahl militanter, oft skrupellos mordender Splittergruppen, in das Zentrum der Macht vorrückte. Als schließ, lieh im Rahmen der Sunningdale Reformvereinbarung vom Dezember 1973 der Plan einer konstitutionellen Verbindung zwischen beiden Teilen Irlands über den zu bildenden Council of Ireland an Aktualität gewann, rückte eine andere militante Organisation, der Ulster Worker Council (UWC), in den Mittelpunkt des protestantischen Kräftespiels. Der UWC operierte als militantes Organ der radikalen loyalistischen Arbeiterschaft in enger Verbindung mit den loyalistischen Parteien sowie der UDA, zugleich jedoch zeigte er in der Organisation und Ausführung des Generalstreiks, unter dem im Mai 1974 das Reformprogramm von Sunningdale zusammenbrach, erhebliche Unabhängigkeiten gegenüber loyalistischen Führern wie Paisley, Craig oder Harry West.

Es wäre gewiß übereilt, in der fragilen loyalistischen Koalition oder in den konkurrierenden Organisationen der militanten protestantischen Arbeiterschaft einen Ersatz der traditionellen protestantischen Einheit identifizieren zu wollen. Schon drei Jahre nach dem Sunningdale-Desaster scheiterte der protestantische Versuch, eine Neuauflage des Generalstreiks zu inszenieren; das diesmal verfolgte Ziel, Großbritannien zu erhöhten Sicherheitsvorkehrungen und zur Wiederherstellung der „majority rule" in Nordirland zu zwingen, fand keine geschlossene Anhängerschaft. Der erfolgreiche Streik von 1974 hat jedoch die Bedingungen aufgezeigt, unter denen eine protestantische Einheit aller faktischen Zersplitterung zum Trotz wiederherstellbar ist. Alles spricht dafür, daß auch heute noch jeder Versuch, eine konstitutionelle Verbindung Ul-sters mit der Republik zu errichten, als Katalysator einer geschlossenen protestantischen Gegenreaktion wirksam würde. Auch in der Reduktion auf eine negative Einheit hat der Protestantismus seine politische Sprengkraft in Ulster nicht verloren.

Schluß

Pas ambivalente Erscheinungsbild der nord-irischen Gesellschaft mit ihrem verwirrenden Geflecht von traditionalistischem Beharrungsvermögen und strukturellem Wandel hat zu Fehlprognosen ihrer Entwicklungstendenzen herausgefordert. Die Überschätzung der Einheit des Protestantismus (bzw.der Stärke des Orange State"), der etwa Farrell anheim-fällt, ebenso wie die Unterschätzung des protestantischen Vermögens, sich auch einem reformkapitalistischen Strukturwandel gegenüber als „traditionalistische" Macht zu behaupten, der Boserup unterliegt sind charakteristische Ergebnisse dieser Schwierigkeiten.

Nordirland ist — allen traditionalistischen Bindungen zum Trotz — im Zuge der von Westminster auferlegten und von der Bürgerrechtsbewegung erkämpften sozialen Reformen ebenso wie als Ergebnis des über staatliche Subventionen und zunehmende Ansiedlung von Auslandskapital eingesetzten ökonomischen Strukturwandels zweifellos von erheblichen politischen und sozialen Veränderungen erfaßt worden. Auf struktureller Ebene ist an die Stelle der einseitigen Fixierung Ulsters auf den britischen Absatzraum eine zunehmende Peripherisierung Nordirlands im europäischen Kontext getreten.

Mit dem Niedergang seiner traditionellen industriellen Basis (Schiffsbau, Textil) geriet Ulster in den Zirkel abhängiger Entwicklung, der für den Süden Irlands, als ehemaliger britischer Agrarprovinz, schon immer bestimmend war. Britische Subventionen und durch vielfältige Vergünstigungen angeworbene Investitionen britischer, europäischer und amerikanischer multinationaler Unternehmen sind in den Mittelpunkt dieser neuen, von außen induzierten Wirtschaftsentwicklung, die für Ulster in den sechziger Jahren bestimmend wurde, gerückt. Nordirland wurde auf diese Weise Teil eines neuen Systems europäischer bzw. internationaler Wirtschaftsverflechtung und Arbeitsteilung, das nicht unerheblich dazu beitrug, das lokale, traditionelle Wirtschaftsgefüge und damit die Machtbasis des „Orange State" (d. h.des protestantischen Herrschaftssystems) zu unterminieren. Die Zersplitterung der Unionist Party sowie die kontinuierliche Auflösung des „Unionist State" geben Zeugnis von der politischen Wirksamkeit dieser Entwicklung.

Im Zuge dieser Veränderungen, die auch die materiellen Bindungen Ulsters an Großbritannien empfindlich berührten, haben die alten inneririschen strukturellen Disparitäten an Gewicht verloren. Norden und Süden Irlands haben gemeinsam den Status einer peripheren Region der EG bezogen und konvergieren in ihren britisch-europäischen Abhängigkeitsbeziehungen wie ihren auf Export und Tourismus orientierten Entwicklungsstrategien. Jedoch haben diese objektiven Veränderungen im Zeichen der britischen wie weltweiten ökonomischen Krisenerscheinungen der siebziger Jahre nicht jene Durchschlagskraft gewinnen können, die erforderlich gewesen wäre, um das traditionale, stagnierende soziale Ordnungsgefüge, dem „grüner" (d. h. republikanischer) Nationalismus im Süden und oranischer Unionismus im Norden, als komplementäre Stützen der sektiererischen Spaltung Ulsters, letztlich ihre Persistenz verdanken, nachhaltig zu zerschlagen.

Nicht zuletzt hat das Eingreifen der britischen Armee — abgekoppelt von der Durchsetzung eines dramatischen Reformprogramms — auf verhängnisvolle Weise dazu beigetragen, den ursprünglichen Kampf um Bürgerrechte und Reform des politischen Systems, der 1969 in Ulster einsetzte, umzulenken auf traditionelle Bahnen eines antibritischen Befreiungskampfes, von dem her die IRA — und damit zugleich die von ihr herausgeforderten protestantischen paramilitärischen Verbände — ihre Legitimität zurückgewinnen konnten. Mit dem Erscheinen der britischen Armee — so führt McCann aus: „the struggle against injustice'became in practice a struggle against British forces — a pattern of play which matched per-15 fectly the old Republican Idea of the way things really were and people were almost re-lieved gradually to discover that the guiltily discarded tradition on which the community was founded was, after all, meaningful and immediately relevant."

Daß angesichts der verfahrenen ideologischen Lage und des sich verschärfenden materiellen Verfalls Nordirlands die Aussichten auf eine Überwindung der Krisensituation in Ulster höchst begrenzt erscheinen müssen, liegt auf der Hand. Und mit entsprechendem Pessimismus sind die Realisierungschancen derzeitig kursierender Friedenspläne bzw. Konfliktlösungsstrategien einzuschätzen.

Auf gouvernementaler Ebene deutet sich nach dem jüngsten Scheitern der britischen Bemühungen um eine Neuauflage des Reformkonzepts von Sunningdale der schon eingangs erwähnte Versuch an, über eine möglichst enge anglo-irische Allianz einerseits die Position der radikalen Unionisten zu untergraben, d. h. die Basis ihres hartnäckigen Insistierens auf Union mit Großbritannien aufzulösen, und andererseits die IRA als Konfliktfaktor zu entschärfen. Schlüsselfigur in dieser auf dem letzten anglo-irischen Gipfeltreffen in Dublin eingeleiteten Initiative ist, wie schon erwähnt, der irische Premierminister Haughey, der sich jedoch von einer solchen Umarmungsstrategie in erster Linie die Erfüllung des alten republikanischen Wunsches erhofft, ein bindendes britisches Bekenntnis zur irischen Wiedervereinigung zu gewinnen

Wie auch immer die Realisierungschancen für noch engere anglo-irische Beziehungen unter zunehmenden ökonomischen Krisenbedingungen in beiden Ländern einzuschätzen sind, schon allein das republikanische Verharren auf dem Fernziel der irischen Einheit stellt die Möglichkeit, über eine anglo-irische Kooperation zur Lösung der Nordirlandkrise zu gelangen, in Frage. „Haughey kann uns das Blaue vom Himmel versprechen, wir wollen von der Wiedervereinigung nichts wissen", war die zu erwartende prompte Reaktion der Unionisten auf die neuesten föderativen Visionen des irischen Premiers. Alles deutet darauf hin, daß der protestantische Widerstand gegen gesamtirische konstitutionelle Bindungen auch im Schatten verstärkter anglo-irischer Kooperation keine Mäßigung erfahren wird.

So steht die britische Regierung gegenwärtig vor dem Dilemma der Erkenntnis, daß Zugeständnisse an Haughey und die IRA, sei es in Form von konstitutionellen Veränderungen Nordirlands oder in Form der politischen Anerkennung der IRA, gewaltsame protestantische Gegenreaktionen auslösen werden, umgekehrt aber die Verzögerung konkreter Zu-geständnisse die Kooperationsmöglichkeiten Haugheys, der im Wahljahr steht, und dessen mäßigendem Einfluß auf die IRA aufs Spiel stellt. Die seit dem letzten anglo-irischen Gip. feitreffen in Dublin eingeschlagene Taktik des Doppelspiels von Frau Thatcher, durch vage Versprechungen nach beiden Seiten — hier Andeutungen verbaler Zugeständnisse an eine mögliche zukünftige irische Einheit, dort Versicherung der Union mit Großbritannien — den Kooperationskurs mit Dublin politisch zu entschärfen, ist durch die bis zu seinem Tod kompromißlose Haltung des hungerstreikenden Boby Sands wirksam durchkreuzt worden.

Größere Beachtung als alternative Strategie zur Lösung der Nordirland-Krise hat in den vergangenen Jahren die in protestantischen Kreisen immer häufiger artikulierte Forderung nach Bildung eines eigenständigen nord-irischen Staates gefunden. William Craig und seine Vanguard Movement verkündeten schon 1972 ihre Sympathie für eine „Unilateral Declaration of Independence" nach Rhodesischem Muster, um mit der britischen „direct rule" zu brechen und das traditionelle Storment-System zu restituieren. Später, unter dem Eindruck der Sunningdale-Vereinbarun-gen, waren es militante protestantische Organisationen, wie die Ulster Defence Association und der Ulster Workers Council, die das separatistische Programm eines unabhängigen Ulsters in die Diskussion um die Lösung der Nordirland-Krise einbrachten. Während Paisley als radikaler Vertreter des Loyalismus gegenwärtig wieder auf „devolution" im britischen Staatsverband — „we are looking for the highest possible degree of devolution within the UK" (.. wir erstreben das größtmögliche Maß an Dezentralisation innerhalb der UK") — setzt, um Unionismus und protestantisches Eigeninteresse zu vereinbaren, geht Andy Tyrie als Supreme Commander der Ulster Defence Association einen Schritt weiter, indem er erklärt, „that there is no other alternative for Ulster but that of independence in the negotiates sense" Beobachter der nordirischen Szene wie Nairn und Boserup haben schon frühzeitig das autonomistische bzw.separatistische Potential des Unionismus erkannt: „Northern Irish nationalism — so schrieb Boserup 1972 — is no new phenomenon, but it has not been clearly visible hitherto because it took the form of Unionism as long as the Union with Britain was the best safeguard for Northern Ireland s independence from the South ... It was a reaction to Catholic nationalism and a self-assertive settler-ideology dressed up as Unionism." („Der nordirische Nationalismus ist kein neues Phänomen, aber er war bislang nicht klar sichtbar, weil er als Unionismus in Erscheinung trat, solange die Union mit Britain die beste Sicherung der Unabhängigkeit Nordirlands vom Süden gewährte... Er war eine Reaktion auf den katholischen Nationalismus und eine sich selbst behauptende Siedler-Ideologie, aufgemacht als Unionismus.")

So überzeugend aus protestantischer Sicht der Anspruch auf nationale Eigenständigkeit Ulsters heute im allgemeinen Aufwind regionali-stischer und separatistischer Bewegungen in Westeuropa vertreten werden kann und so deutlich der protestantische Separatismus als komplementäre Bewegung der wachsenden anglo-irischen Kooperation vorgezeichnet erscheint, so ungewiß bleibt doch die Frage, inwieweit das Postulat der Selbstbestimmung in Einklang zu bringen ist mit der Notwendigkeit, die fundamentale Polarisierung der nord-irischen Gesellschaft zu überwinden. Ist der um sich greifende Ulster-Nationalismus nur eine autonomistisch verbrämte Strategie der Sicherung protestantischer Vorherrschaft und Privilegien, oder weist er über die sektiererische Spaltung Ulsters hinaus und ist damit ernst zu nehmen als möglicher Weg zur Lösung der Nordirland-Krise?

Nimmt man die schon erwähnte Äußerung Andy Tyries (DS) ernst, so lassen sich durchaus Ansätze einer Verbindung zwischen Streben nach nationaler Unabhängigkeit in Ulster und Orientierung auf gesellschaftlichen Wandel aufzeigen. Als wichtigstes Indiz wäre hierfür die für nordirische Verhältnisse ungewöhnliche Absage an das etablierte Herrschaftsgefüge „oranischer" wie „grüner" (d. h. republikanischer) Couleur zu nennen: „I once feit — so argumentiert Tyrie im Namen der UDA — that the Orange order had a vital role to play in the'safeguarding of Ulsters heritage, but they, too, have let the people down. The sooner we remove the „orange" and „green" from Ulster politics ..., the sooner we will be on that long-awaited pass to peace.“ („Ich war einst davon überzeugt, daß der , Orange order'eine wichtige Rolle bei der Rettung des Erbes Ulsters zu spielen habe. Aber sie haben die Leute auch im Stich gelassen. Je eher wir das . orange'und , green'aus der Politik Ulsters entfernen, um so schneller werden wir auf dem lang erwarteten Pfad des Friedens sein.")

Bleibt die Frage, wie die postulierte Absage an „orange" und „green" in Einklang zu bringen ist mit der noch immer den nordirischen Alltag bestimmenden und von der UDA aktiv unterstützten Praxis sektiererischer Gewalttätigkeit. Letztlich ist es diese praktische Ebene, auf der die separatistische Strategie einer Überwindung der Nordirland-Krise den Test ihrer Glaubwürdigkeit abzulegen haben wird. Indem jedoch der mögliche protestantische Versuch, ein unabhängiges Ulster zu schaffen, nur realisierbar wäre bei einem Mindestmaß an Kooperation mit der katholischen Minorität — und schließlich auch mit der IRA —, könnte gerade das vielfach als irreal verspottete Projekt des nordirischen Separatismus jene Impulse zum Wandel Ulsters auslösen, die heute unter britischer Intervention und irischen Föderationsansprüchen verschüttet bleiben müssen. Der oben erörterte Strategie-wandel britischer Nordirland-Politik wird die Entfremdung zwischen den Protestanten Ulsters und Westminster zweifellos beschleunigen, zugleich aber auch — langfristig — das Verhältnis der Nationalisten zu Dublin erheb-lich belasten. Es bleibt zu sehen, ob auf dieser gemeinsamen Basis enttäuschter Erwartungen und Entfremdungen die heute noch utopisch erscheinenden Annäherungen zwischen IRA und UDA ihren Ausgang nehmen.

Wichtige Daten zur irischen Geschichte

1171 Der englische König Heinrich II. unterwirft drei der vier historischen Provinzen Irlands: Munster, Leinster, Connaught. Widerstand gegen Anglisierung im gaelischen Norden Irlands, d. h. in Ulster, bis ins 17. Jahrhundert. 1607 beginnt die Besiedlung Ulsters vorwiegend mit schottischen Presbyterianern. Die „Ulster Plantations" entstehen und mit ihnen eine neue, die gaelischen Katholiken beherrschende protestantische Siedlergesellschaft. 1641 erster Aufstand der Katholiken Ulsters und Niederwerfung durch Cromwell (1649). 1689 Irland gerät in den Konflikt um die Restauration der Stuarts. Von April bis Juli 1689 Belagerung von Londonderry durch den aus England vertriebenen katholischen König Jakob II. Der erfolgreiche protestantische Widerstand wird noch heute jährlich mit der Parade der Apprentice Boys gefeiert. 1690 Schlacht am Boyne. Wilhelm von Oranien besiegt die unter Jakob II. gesammelten irischen und französischen Truppen. Auch dieser Tag wird jährlich als Orange-Day vom Oranier-Orden Nordirlands gefeiert 1798 Erste separatistische Rebellion Irlands unter Führung des Protestanten Wolf Tone und der interkonfessionellen geheimen Gesellschaft United Irishmen wird von England blutig niedergeschlagen. Formierung der Orange-Order in Ulster im Kampf gegen Bauernunruhen und Separatismus der United Irishmen. 1801 Erzwungene Union Irlands mit England. Auflösung des irischen Parlaments in Dublin. 1846— 1851 Große Hungerkatastrophe in Irland (ca. 1 Million Tote und 2 Millionen Emigranten). 1858 Gründung der Fenian Movement und damit Radikalisierung der von O'Connell zuvor ein-geleiteten Home-Rule-Bewegung. 1886 Die Liberalen unter Gladstone nehmen die Forderung nach „home rule" für Irland in ihr Programm auf, während die Konservativen unter Randolph Churchill sich mit dem protestantischen Widerstand gegen „home rule" in Ulster, d. h. mit dem Unionism, verbinden. 1886— 1914 Auseinandersetzung im britischen Parlament um die Home-Rule-Frage. Verschärfung der Konfrontation zwischen protestantischen Unionisten und katholischen Home-Rule-Nationalisten in Irland. 1916 Osteraufstand in Dublin. Der zweite irische Separatismus-Versuch wird blutig niedergeschlagen. 1920/21 Government of Ireland Act (1920) und anglo-irischer Vertrag (1921) besiegeln die Teilung Irlands in den südlichen Freistaat — mit Dominion-Status — und die autonome Provinz Nordirland. Irischer Bürgerkrieg um die Anerkennung des Vertrages bis 1923. 1939— 1945 Irland verpflichtet sich einer Neutralitätspolitik im Zweiten Weltkrieg. 1963 Terence O’Neill als neuer nordirischer Premierminister leitet erste Versuche einer Reformpolitik in Nordirland ein. 1965 Erstes Treffen zwischen O'Neill und dem süd-irischen Premier Lemass. Aufstieg des Pfarrers Paisley als Führer des radikalen Anti-Reform-Flügels der Unionist Party. Beginn des protestantischen Spaltungsprozesses. 1967 Bildung der Northern Ireland Civil Rights Association als Dachorganisation der wachsenden Bürgerrechtsbewegungen in Nordirland. 1968 Gewaltsame Zusammenstöße zwischen Bürgerrechtlern und militanten Protestanten in Derry am 5. Oktober lösen die heiße Phase des Nordirland-Konfliktes aus. 1969 Einsatz der britischen Armee in Nordirland; Beginn der Terroraktivität der Provisional IRA. 1971 Einführung von Internment als Maßnahme der nordirischen Administration zur effektiveren Bekämpfung der IRA. 1972 Bloody Sunday (30. 1.). 13 Katholiken werden bei Unruhen in Derry von der britischen Armee erschossen. 1972 Suspendierung des nordirischen Parlaments. „Direct Rule" Westminsters beginnt. 1974 (Januar) Einberufung der Konferenz von Sunningdale, auf der gemäßigte Protestanten und Katholiken unter britischer Regie ein Reformkonzept für Nordirland verabschieden, das die Bildung einer beide Konfessionen repräsentierenden Versammlung (power-sharing) sowie die Einberufung eines gesamtirischen beratenden Gremiums (Council of Ireland) vorsah. 1974 (Mai) Generalstreik der Ulster Workers Council gegen das Sunningdale Agreement zwingt die neue nordirische Reform-Regierung unter Faulkner zum Rücktritt. London übernimmt erneut „direct rule" in Nordirland. 1980 (8. Dezember) Gipfeltreffen von Dublin. Beschluß einer engeren anglo-irischen Kooperation zur Lösung der Nordirland-Krise.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. das vom militärischen Intelligence Service Großbritanniens erstellte und vom General James Glover unterzeichnete Memorandum „Northern Ireland: Future Terrorist Trends“, D/DINI/2003, 25. Dezember 1978. - Eine ausführliche Diskussion der neueren Entwicklungen innerhalb der IRA findet sich in dem in Le Monde Diplomatique (Februar 1981) erschienenen Artikel: „Nouvelle Donne dans la Crise de LUlster".

  2. So etwa bei: C. D. Greaves, The Irish Crisis, London 1972; Michael Farrell, Northern Ireland — an Anti-Imperialist Struggle, in: Socialist Register 1977; ders., The Orange State, London 1976; Mary Turner, Social Democracy and Northern Ireland, 1964— 70: The Origins of the Present Crisis, in: Monthly Review, Vol. 30, 1978.

  3. Anders Boserup, Contradictions and Struggles in Northern Ireland, in: Socialist Register 1972, S. 181.

  4. Unity with Ulster Pressed, in: New York Herald Tribune, 8. Juli 1980. Vgl. die vorsichtigeren Linien der Nordirland-Politik, die Jack Lynch in seinem Aufsatz „The Anglo-lrish Problem" in Foreign Affairs, Vol. 50, No. 4 1972, gezeichnet hat.

  5. C. D. Greaves, a. a. O„ S. 214.

  6. M. Turner, a. a. O., S. 31.

  7. Zur Geschichte Irlands bzw. Ulsters vgl. insbesondere: James C. Beckett, The Making of Modern Ire-land 1603— 1923, London 1969; Liam de Paor, Divi-ded Ulster, Pelican Books 1973.

  8. Klaus Stadler, Nordirland. Analyse eines Bürgerkrieges, München 1979, S. 8.

  9. Peter Gibbon, The Origins of Ulster Unionism, Manchester 1976.

  10. Ders., a. a. O., S. 9 f.

  11. D. G. Boyce, British Conservative Opinion, the Ulster Question and the Partition of Ireland, in: Irish Historical Studies 67, 1970— 71.

  12. 471414 Protestanten unterzeichneten am 28. September 1912 die berühmte Ulster Covenant gegen Home-rule.

  13. Erich Strauss, Irish Nationalism and British Democracy, London 1951, S. 202.

  14. Shan van Vocht, Januar 1897.

  15. E. Strauss, a. a. O., S. 232; vgl. auch Geoffrey Bell, The Protestants of Ulster, London 1976, S. 15 ff.

  16. Mary Turner, a. a. O., S. 33.

  17. Vgl. Neue Zürcher Zeitung v. 11. 12. 1980.

  18. Peter Gibbon, Some basic problems of the Contemporary Situation, in: Socialist Register 1977,

  19. G. Bell, The Protestants of Ulster, a. a. O„ Introduction.

  20. Zitiert bei G. Bell, a. a. O., S. 144.

  21. Zitiert bei G. Bell, a. a. O., S. 4.

  22. Vgl. G. Bell, S. 32 f: „The Protestants have suffered a great deal from the economic and social conditions of their . Ulster', but the fact that they have not suffered to the degree that others have has bred a politics amongst them which seeks to maintain the different levels of suffering. The Protestant worker may be called bigoted, but when he is Standing in a dole queue beside a Catholic worker and it is he who gets the job and not the Catholic, to blame him for taking the job or for developing a view that he has a prior right to the job, is to ignore the size of the dole queue.“

  23. Vgl. A Boserup, a. a. O., S. 167. Hier wird der Vergleich Ulsters mit dem Süden der USA sowie Südafrika unter dem Stichwort „settler" oder „frontier societies" gezogen.

  24. Vgl. G. Bell, a. a. O., S. 40 ff. Die Bürgerrechtsbewegung zwischen 1967 und 1969 entstand aus den Bestrebungen der — insbesondere von Belfaster Studenten unterstützten — katholischen Minderheit, Reformversprechungen, wie sie die Regierung O'Neill unter Druck Londons schon länger artikuliert hatte, in die Praxis umzusetzen. Schwerpunkte der Forderungen waren die Abschaffung diskriminierender Praktiken des „Orange System“ im Bereich von Wahlrecht, Wohnungswesen und Arbeitsbeschaffung. Der von Anhängern des Pfarrers Paisley organisierte protestantische Widerstand gegen die friedlichen Demonstrationen sowie der entsprechend parteiische und brutale Einsatz der nordirischen Polizei (RUC) lösten den Eskalationsprozeß der Gewalt aus, der schließlich zum Einsatz von IRA, paramilitärischen protestantischen Verbänden (B-Specials) und britischer Armee (ab Sommer 1969) führte.

  25. Zur Loyalist Coalition vgl. Belinde Probert, Bey-ond Orange and Green, London 1978, Kapitel 6: „The Loyalist Response“.

  26. So z. B. A. Boserup, a. a. O., S. 175, in seiner sonst sehr instruktiven Analyse der Nordirland-Krise: „Despite their current weakness, upper-middle-class political organizations such as the Alliance Party are therefore likely to gain rapidly in importance over the coming year".

  27. Zur Problematik der paramilitärischen Organisationen in Ulster vgl. B. Probert, a. a. O., Kapitel 7: „Politics in the Streets".

  28. The Orange State, a. a. O.

  29. A. Boserup, a. a. O., S. 179.Zur Problematik des ökonomischen Struktur-wandels in Irland im Zeichen der multinationalen Unternehmen vgl. F. v. Krosigk, Multinationale Unternehmen und die Krise in Europa. Eine Untersuchung zum ökonomischen Strukturwandel und seinen politischen Folgen im Rahmen des europäischen Regionalismus, Kapitel V, Königstein 1978.

  30. Eamon McCann, War and an Irish Town, Har-mondsworth 1974, S. 83.

  31. Zürcher Zeitung, 31. 5. 1980, „Zielvorstellungen in der Nordirlandfrage": vgl. The Guardian Weekly, 24. Februar 1980, „Mr. Haughey makes his move".

  32. Neue Zürcher Zeitung, 11. D Schon die ambivalenten Formulierungen hinsichtlich der Zukunft Nordirlands im Kommunique von Dublin sprechen für sich: „They considered that the best prospect of attaining these objectives (peace, reconciliation, stability) was the further development of the unique relationship between the two countries. They accordingly decidet to devote their next meeting in London during the Corning year to special consideration of the totality of relations within these islands. For this purpose they have commissioned joint studies, covering a ränge of issues, including possible new institutional structures, citizenship rights, security matters, economic Cooperation and measures to encourage mutual understanding." (Zitiert nach: The Guardien Weekly, 26. 4. 1981.) Eine genaue Klärung dessen, was hier gemeint ist, wurde nie unternommen. Haughey legte diese Formulierungen als erste Schritte auf dem Wege zur Aufhebung der irischen Teilung aus. Frau Thatcher dagegen hat gleich nach der Rückkehr aus Dublin dementiert, daß durch die erzielten Vereinbarungen die konstitutionellen Garantien der Einwohner Nordirlands in irgendeiner Weise berührt seien.

  33. The Guardian Weekly, 24. Februar 1980, „Ulster 80”.

  34. The Guardian Weekly, a. a. O.

  35. A. Boserup, a. a. O., S. 181.

  36. Vgl. F. v. Krosigk, Zwischen Folklore und Revolution. Regionalismus in Westeuropa, in: Dirk Gerdes (Hrsg.), Aufstand der Provinz, Regionalismus in Westeuropa, Frankfurt 1980.

  37. The Guardian Weekly, a. a. O.

Weitere Inhalte

Friedrich von Krosigk, geb. 1937; Studium der Politischen Wissenschaft, Philosophie und Geschichte in München, Paris und Seattle (USA); Forschungsund Lehraufenthalte in England, Australien und den USA; seit 1977 Professor für Internationale Beziehungen am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg. Veröffentlichungen u. a.: Philosophie und politische Aktion bei J. P. Sartre, 1969; Multinationale Unternehmen und die Krise in Europa. Eine Untersuchung zum ökonomischen Strukturwandel und seine politischen Folgen im Rahmen des europäischen Regionalismus, 1978. Zeitschriften-und Buchbeiträge zu verschiedenen Themenbereichen der Internationalen Politik.