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Die wechselvolle Kontinuität. Zu den jugoslawisch-sowjetischen Beziehungen nach 1945 | APuZ 13/1981 | bpb.de

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APuZ 13/1981 Die wechselvolle Kontinuität. Zu den jugoslawisch-sowjetischen Beziehungen nach 1945 Jugoslawien am Scheideweg. Eine Bilanz jugoslawischer Politik nach Titos Tod Wolfgang Teckenberg Arbeitsbeziehungen und Produktivität in sowjetischen Betrieben

Die wechselvolle Kontinuität. Zu den jugoslawisch-sowjetischen Beziehungen nach 1945

Magarditsch Hatschikjan

/ 39 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Seit mehr als drei Jahrzehnten bestimmt eine erstaunliche Wechselhaftigkeit das Bild der jugoslawisch-sowjetischen Beziehungen. Von Beginn an ambivalent, bewegten sie sich in allen Phasen ihrer Entwicklung in einem permanenten Spannungsfeld von Übereinstimmung und Konflikt, deren Koexistenz eine eigentümliche Kontinuität im Wandel begründete. Prognosen unterschiedlicher Herkunft, die Gradlinigkeit suggerierten und eindeutige Lösungen im Rahmen bipolarer Ordnungsvorstellungen als unumgänglich nahelegten, haben sich auch in der Zeit nach Titos Tod als haltlos erwiesen. Realpolitische Notwendigkeiten und aktuelle Interessen diktieren beiderseitige Bemühungen um die Aufrechterhaltung der Balance ebenso wie die Grundlagen der Beziehungen ihre Konkfliktbeladenheit geradezu programmieren. Auf der einen Seite werden nationale Unabhängigkeit und Blockfreiheit auch weiterhin nicht mit den politischen und ideologischen Hegemonieansprüchen der KPdSU harmonisieren und sich nur schwerlich ausbalancieren lassen. Auf der anderen Seite haben Jugoslawiens Beharrlichkeit, sein inzwischen weitgehend anerkannter Status zwischen den Blöcken, seine Rolle in der Blockfreien-Bewegung und der Einfluß unter den Autonomisten innerhalb der kommunistischen Parteien ein historisch gewachsenes fait accompli geschaffen, das ohne unübersehbare weltweite Konsequenzen nicht angetastet werden kann. Fundamentale Änderungen dieser generellen Konstellation in den jugoslawisch-sowjetischen Beziehungen sind in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten. Dies schließt Gewichtsverlagerungen in der gegenwärtigen Balance keineswegs aus, die vor allem im Falle nachhaltiger Veränderungen im Ost-West-Verhältnis, im sowjetischen Vorgehen gegenüber Polen sowie in der inneren Entwicklung Jugoslawiens eintreten würden.

Vorbemerkung

Seit mehr als drei Jahrzehnten erregen die Beziehungen zwischen Jugoslawien und der Sowjetunion das öffentliche Interesse. Insbesondere im Gefolge internationaler Krisen, bei Abkühlungen im Ost-West-Klima oder — wie zuletzt vor Titos Tod — in Erwartung möglicher einschneidender Veränderungen sorgen sie immer wieder für Schlagzeilen wie auch für Spekulationen. Die Brisanz ist offensichtlich: zwei sozialistische Staaten, deren Führungen sich auf die gleichen geistigen Wurzeln berufen, die sich zuweilen ärgstens befeinden, um sich bald darauf brüderlich wieder zusammenzufinden. Kein anderes bilaterales Verhältnis in Nachkriegseuropa hat so viel Verwirrung gestiftet — in Ost wie in West.

Das erste Schisma des Weltkommunismus war zugleich der tiefste Einschnitt in den Beziehungen zwischen sozialistischen Staaten und kommunistischen Parteien. Seine Bedeutung wird bis zum heutigen Tag auch dadurch bestätigt, daß die wiederkehrenden Wandlungen von Konflikt und Übereinstimmung alle diejenigen Prognosen, die Gradlinigkeit suggerierten und Jugoslawien politisch bald hie, bald dort ansiedelten, über den Haufen geworfen haben. Steckt hinter der lange Jahre hindurch schier unglaubwürdigen Wechselhaftigkeit nicht doch eine Kontinuität?

Ein kurzer, konzentrierter Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Beziehungen nach 1945 soll Hinweise für die Antwort liefern, um auf dieser Grundlage einige zukünftige Perspektiven der beiderseitigen Beziehungen zu erörtern.

I. Ursachen und Ergebnisse des Konflikts von 1948

Am 28. Juni 1948 erschütterte die von Radio Prag ausgestrahlte Kominform-Resolution über Jugoslawien das junge und dennoch fest erscheinende Block-Gefüge -Zum ersten Mal in der Geschichte des Kommunismus war eine bis dahin anerkannte Bruderpartei mit dem öffentlichen Bannfluch belegt worden, zum ersten Mal rief das „eigene" Lager zum Sturz ei-ner regierenden KP auf. Was die in Ost und West gleichermaßen überraschten Beobachter besonders irritierte, war die Tatsache, daß der Adressat massivster Anwürfe bis dahin als der engste Verbündete Moskaus in Osteuropa angesehen worden war. Die ersten Reaktionen verdeutlichten lediglich, daß ausnahmslos alle Seiten über Ursachen und Tragweite des Konflikts im dunkeln tappten. Und bis zum heutigen Tage prallen kontroverse Auffassungen über die Frage aufeinander: „Kam es zum Bruch mit der Sowjetunion 1948 deshalb, weil Jugoslawien einen eigenen Weg beschritt, oder mußte Jugoslawien eine eigene Idee entwickeln, weil es zum Bruch zwischen Stalin und Tito gekommen war?" Die ideologischen Grundsätze, konzeptionellen Leitlinien sowie die innen-und außenpolitischen Maßnahmen der jugoslawischen KP-Führung in den ersten vier Nachkriegsjahren hatten in der Tat auf eine außergewöhnlich enge Orientierung und Anlehnung an Moskau hingedeutet

— Die Schaffung eines zentralistischen Staatswesens nach sowjetischer Prägung wurde ohne jede taktische Zurückhaltung forciert, die politische Opposition in wenigen Monaten ausgeschaltet; die am 31. Januar 1946 angenommene Verfassung, unverhüllt der sowjetischen aus dem Jahre 1936 entlehnt, verankerte auch de jure die wesensmäßige Analogie zum sowjetischen Staatstyp. Noch im Jahre 1949 spottete Kardelj über alle Auffassungen osteuropäischer KP-Führer, die die Volksdemokratie als „eigenen neuen Weg zum Sozialismus" und nicht — wie die Jugoslawen — als Nachzeichnung des sowjetischen Wegs interpretierten

— In der Wirtschaftspolitik setzte die jugoslawische KP auf eine auffallend einseitige Priorität der Industrie gegenüber der Landwirtschäft, legte bereits im August 1945 durch das Agrargesetz den Grundstein für eine Kollektivierung, verstaatlichte und zentralisierte die gesamte Wirtschaftsstruktur binnen kürzester Frist und entwarf bis 1947 den ersten Fünf-Jahres-Plan, der wie eine Kopie des sowjetischen aus dem Jahre 1928 wirkte.

— Dem Radikalismus im Innern entsprach ein militanter Konfrontationskurs gegenüber dem Westen in der Außenpolitik. Jugoslawien erhob vehement, wenngleich erfolglos, seine Ansprüche auf Triest und Kärnten, unterstützte vorbehaltlos den Aufstand der griechischen Partisanen und scheute 1946 nicht einmal vor der offenen Konfrontation mit den USA zurück, als US-Flugzeuge über jugoslawischem Territorium, abgeschossen wurden.

— Schließlich zeichneten sich die Jugoslawen auf ideologischem Gebiet ebenso durch ihre übertriebene Orthodoxie aus wie durch emphatische Äußerungen über ihre Beziehungen zur KPdSU und zur UdSSR. Tito drängte als erster bereits 1945 auf eine Nachfolgeorganisation der 1943 aufgelösten Komintern zur Stärkung der Konformität im kommunistischen Lager. Die erste Sitzung des 1947 gegründeten Kominform benutzten Djilas und Kardelj vor allem dazu, die kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens einer geharnischten Kritik wegen „Opportunismus" zu unterziehen und mit Stolz auf die großen Ähnlichkeiten in Inhalten und Methoden sowjetischer und jugoslawischer Politik hinzuweisen. Letzteres pflegten jugoslawische KP-Führer häufig zu unterstreichen — davon überzeugt, „daß Jugoslawien künftig einen Teil der UdSSR bilden wird"

„Ungeduldig und etwas doktrinär, waren die Jugoslawen zu jener Zeit auf ideologischem Gebiet stalinistischer als Stalin." Die auf den ersten Blick so schlüssig wirkende Zuordnung Jugoslawiens überlagerte alle Anzeichen von Trübungen und Rissen in den Beziehungen zur UdSSR, die — wie ex post offenbar wurde — schon seit 1941 alles andere als nur harmonisch verliefen Per autonom geführte Befreiungskrieg 19411945 brachte der jugoslawischen KP-Führung zwar einige Kritik seitens der KPdSU wegen vermeintlicher Linksabweichungen ein, aber auch eine Sonderrolle unter den kommunistischen Parteien Osteuropas. Als einzige nicht „an den Rockschößen der Roten Armee“ (Brzezinski) an die Macht gelangt, nutzte sie Ansehen und Einfluß im Lande wie auch in der kommunistischen Bewegung, um avantgardistische Zeichen zu setzen. Da sie dabei ebenso ihre Selbständigkeit wie Loyalität und Treue zur UdSSR wahrte, entwickelte sich von Beginn an ein ambivalentes Verhältnis von Übereinstimmung und latenter Spannung.

Die sowjetische Führung begegnete dem ambitiösen Revolutionarismus der Jugoslawen mit Zurückhaltung und Mißtrauen. Im Mai 1946 erzielte zwar Tito in Moskau eine generelle Übereinkunft mit Stalin über ein Wirtschaftsabkommen, ohne daß jedoch das entscheidende Anliegen der Jugoslawen erfüllt wurde — Kredite und technische Hilfe beim Aufbau einer selbständigen Schwerindustrie. Mit dem Hinweis auf die Rückständigkeit des Landes empfahlen die Sowjets den Jugoslawen, sich statt auf eine rasche Industrialisierung auf die rationellere Nutzung der Rohstoffe und Landwirtschaftsreserven zu konzentrieren. Die Gruppe um Tito setzte sich jedoch gegen den Widerstand der Sowjets und der von ihnen unterstützten ZK-Mitglieder Zujovi und Hebrang in der KP-Führung durch, legte den ambitiösen Fünf-Jahres-Plan im April 1947 vor und konnte die Sowjets sogar zur Unterzeichnung eines Handelsabkommens bewegen, in dem eine großzügige Industrie-Förderung in Höhe von 135 Mio. Dollar zugesichert wurde. Letzteres war allerdings erst nach zähem Widerstand der Jugoslawen gegen die Errichtung weiterer „gemischter Gesellschaften" möglich geworden, von denen zwei als Gegenleistung für das erste Wirtschaftsabkommen akzeptiert worden waren. Verwundert hatten die Jugoslawen dabei schon ihre ersten praktischen Erfahrungen gesammelt, wie die Sowjets einseitigen Nutzen aus solchen binationalen Gesellschaften zogen und die Kontrolle über die jugoslawische Wirtschaft anstrebten

Nachhaltiger als die Wirtschaftspolitik gab die jugoslawische Militär-und Sicherheitspolitik den Sowjets Anlaß zu „Sorgen". Die Umstellung der Streitkräfte erfolgte auf der Grundlage der jugoslawischen Erfahrungen aus dem Partisanenkrieg und nicht nach dem Vorbild der Roten Armee. Schlimmer noch: Die jugoslawischen Sicherheitsorgane hatten die Stirn, sowjetische Experten und Berater zu überwachen, die sich seit 1945 kontinuierlich als Anwerber für den NKWD betätigten. Mit diesen Maßnahmen hatten die Jugoslawen verhindert, daß die UdSSR — wie in den anderen osteuropäischen Ländern — einen eigenen Apparat innerhalb des Landes aufbaute

Die Verschärfung im Ost-West-Konflikt und die Umorientierung der sowjetischen Global-strategie, markiert vor allem durch die Ansprache Schdanows zum 29. Jahrestag der Oktoberrevolution drängten diese Reibungen kurzfristig in den Hintergrund. Die Gründung des Kominform und die Ergebnisse seiner ersten Tagung im September 1947 konnten durchweg als Erfolg der Jugoslawen gewertet werden Der Übergang der Sowjetunion von einer elastischen, dem Westen gegenüber aus Rücksicht auf das Bündnis moderaten und den jeweiligen inneren Bedingungen in den osteuropäischen Ländern angepaßten Politik zur außen-und innenpolitischen Versteifung bestätigte den von den Jugoslawen seit 1945 eingeschlagenen Kurs. Übereinstimmung herrschte auch darin, einen neuen, einheitlichen kommunistischen Block zu bilden. Belgrad, auf persönlichen Wunsch Stalins zum Sitz des Kominformbüros bestimmt, übernahm an der Seite Moskaus die Rolle des „glänzenden Zweiten"; Titos Ansehen im Osten erreichte im Herbst 1947 seinen Höhepunkt. Doch das gemeinsame Vorgehen hatte unterschiedliche Beweggründe: Während die Jugoslawen aus vorwiegend ideologischen Gründen auf koordinierte Aktionen des kommunistischen Blocks gegenüber dem Westen drängten, dabei aber auf Gleichberechtigung wie auf den eigenen Sonderstatus pochten, stellte die sowjetische Führung ein Junktim zwischen Vereinheitlichung des kommunistischen Blocks und führender Rolle der KPdSU her. Damit war der wenige Monate später offen ausbrechende Konflikt in seinem Kernstück vorprogrammiert. Die Chronologie der Auseinandersetzungen im Jahre 1948 ist zu oft dokumentiert und beschrieben worden, als daß sie an dieser Stelle detailliert erörtert werden müßte Unmittelbarer Anlaß waren Divergenzen über eine bulgarisch-jugoslawische Föderation und die von Dimitroff ins Spiel gebrachte Vorstellung einer weitergehenden Verbindung der osteuropäischen Donau-Länder unter Einschluß der CSR, Polens und sogar Griechenlands Die schroffen Reaktionen der sowjetischen Führung gaben Anlaß zur Annahme, daß sie sich unmittelbar zuvor entschieden hatte, die widerspenstigen Jugoslawen im Zuge der vollständigen Subordination Osteuropas zur Raison zu bringen. Auf den systematisch wachsenden Druck Moskaus reagierte die jugoslawische Führung erneut ambivalent. Sie wies die Anschuldigungen als ungerechtfertigt zurück, bekundete ihre Treue zur KPdSU und zur UdSSR und beeilte sich, mit einer Serie ultraradikaler Maßnahmen die „Argumente" der Sowjets zu entkräften Gleichzeitig schaltete sie mit sowjetisch anmutender Methodik die prosowjetische Opposition in Partei und Armee aus und weigerte sich, auf der An-klagebank des eilends zusammengerufenen Kominform zu erscheinen. Der Antagonismus zwischen der Kominform-Resolution und dem triumphalen Sieg der Tito-Gruppe auf dem V. Parteitag der KPJ einen Monat später offenbarte, daß der latente Gegensatz zwischen der Eigenständigkeit der jugoslawischen Revolution und den Hegemonialansprüchen der KPdSU in einen offenen Konflikt umgeschlagen war

Daß die jugoslawische Führung weiterhin auf eine Versöhnung mit der UdSSR ohne vorhergehende Kapitulation hoffte und ihr Widerstand nicht aus einer in sich geschlossenen Antithese zum sowjetischen System rührte, erwies sich für den Ausgang des Konflikts als sekundär. Vor die Alternative zwischen Kapitulation und Bruch mit der KPdSU und der kommunistischen Weltbewegung gestellt, entschied sich die jugoslawische KP-Führung für die Wahrung ihrer Unabhängigkeit und Eigenständigkeit: „Unabhängig davon, wie sehr jeder von uns das Land des Sozialismus liebt, er kann in keinem Fall sein eigenes Land weniger lieben.. . 17).

II. Phasen jugoslawisch-sowjetischer Beziehungen nach dem Bruch

Weit über die bilaterale Dimension hinausgehend, veränderte der erste Ausbruch eines kommunistischen Regimes aus der sowjetischen Einkreisung von Grund auf das bis dahin „allgemeingültige" Koordinatensystem kommunistischer Parteibeziehungen. In den Beziehungen der jugoslawischen und sowjetischen Partei wie der von ihnen geführten Staaten stellt der Sieg der KPJ in der Auseinandersetzung von 1948/49 den tiefsten und folgenschwersten Einschnitt dar. Der scheinhafte Monolithismus, begründet durch die per definitionem dekretierte Unterordnung nationaler Interessen unter die Bedürfnisse des „revolutionären Zentrums", wurde durch eine erstaunliche Wechselhaftigkeit abgelöst, die seitdem in allen Phasen das Bild der jugoslawisch-sowjetischen Beziehungen prägte 18). Kalter Krieg gegen Jugoslawien: 1948-1953

Während die innen-wie außenpolitischen Maßnahmen der jugoslawischen Führung im Verlauf des ersten Jahres nach der Kominform-Resolution zumindest in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckten, als habe die Gruppe um Tito die Hoffnung auf eine Versöhnung mit der KPdSU nicht aufgegeben begann in Osteuropa unmittelbar nach dem öffentlichen Bannfluch eine konzertierte antijugoslawische Kampagne. Innerhalb eines Jahres wurde eine nahezu totale Wirtschaftsblokkade über Jugoslawien verhängt, der Beitritt zum im Februar 1949 gegründeten Comecon selbstverständlich verwehrt. Im Juni 1949 gab die UdSSR offiziell zu verstehen, daß sie die jugoslawischen Ansprüche auf Kärnten und Triest nicht mehr zu unterstützen gedachte. Zwei Monate später begleitete eine unverhüllte sowjetische Invasionsdrohung massierte Truppenbewegungen in den ungarischen und rumänischen Grenzgebieten. Die ebenso monströsen wie grotesken Anschuldigungen steigerten sich bis hin zu der 2. Kominform-Resolution über Jugoslawien im November 1949, in der die KPJ-Führung als „Bande von Mördern und Spionen" tituliert wurde. Gleichzeitig eröffnete die Serie von Schauprozessen gegen führende Funktionäre osteuropäischer Parteien die Hexenjagd auf tatsächlich oder vermeintlich projugoslawische Kommunisten, die auf nationale Unabhängigkeit bestanden

Die von Moskau gesteuerte Kampagne konnte zwar in Osteuropa für einige Jahre den Partikularismus zügeln, wirkte zugleich aber auch als Katalysator einschneidender Veränderungen in Jugowlawien selbst, durch die Belgrads Position erheblich gestärkt wurde. Als im

Sommer 1949 an eine Versöhnung mit der KPdSU nicht im geringsten zu denken war, deutete Jugoslawien sein Interesse an einer Ausweitung der Handelsbeziehungen mit dem Westen an, wodurch zunächst die katastrophalen Auswirkungen der osteuropäischen Wirtschaftsblockade zumindest teilweise kompensiert werden konnten. Parallel zur Öffnung gegenüber dem Westen wurde eine Überprüfung und Veränderung des inneren Gefüges eingeleitet: Die gesetzliche Übertragung des Eigentums an den Industriebetrieben an die Arbeiter selbst, die ihr Recht mittels Arbeiterräten wahrnehmen sollten, begründete im Juni 1950 das jugoslawische Modell des Selbstverwaltungs-Sozialismus Da zugleich etappenweise die Kritik an der inneren Entwicklung der Sowjetunion aus marxistischer Sicht theoretisch fundiert wurde konnte Jugoslawien seine Forderung nach Unhängigkeit nunmehr auch durch eine system-bezogene Antithese zur sowjetischen Gesellschaft untermauern.

Die erste „Versöhnung": 1953-1956 Ähnlich wie vor dem Bruch 1948 leitete nach Stalins Tod eine Kursänderung des Kreml die zweite größere Wende in den jugoslawisch-sowjetischen Beziehungen ein. Mit außergewöhnlichem Engagement forcierte Chruschtschow gegen den Widerstand einer Fraktion um Molotow die Bemühungen um eine Normalisierung der Beziehungen und trat im Mai 1955 sogar den „Canossa-Gang" nach Belgrad an. Die Jugoslawen, anfänglich der sowjetischen Offensive gegenüber äußerst mißtrauisch, hatten dann aber allen Grund, die Belgrader Deklaration vom 2. Juni 1955, mit der die Normalisierung der staatlichen, und die Moskauer Deklaration vom 20. Juni 1956, mit der die Normalisierung der Parteibeziehungen besiegelt wurden, wie eine neue Charta des dezentralisierten Internationalismus zu proklamieren Die Nachfolger Stalins mußten sich auf die Prinzipien der Unabhängigkeit, Souveränität und Gleichheit unter den Staaten ebenso ausdrücklich verpflichten wie auf das Recht jedes Volkes auf einen eigenen sozialistischen Weg. Da die ZK-Mehrheit unter Chruschtschow nicht nur alle grundsätzlichen Auffassungen der jugoslawischen Führung mit den Deklarationen öffentlich legitimierte, sondern auch durch den XX. Parteitag und die Abrechnung mit Stalin ernsthafte Bemühungen um einen inneren Wandel demonstrierte, schien einer grundlegenden Verständigung nichts mehr im Wege zu stehen.

Erneut wurde jedoch schnell offenbar, daß sich die Interessensidentität aus unterschiedlicher Quelle speiste: Der Kreml hatte bereits bei der Gründung des Warschauer Pakts, mit dem die Unterordnung der osteuropäischen Streitkräfte unter ein sowjetisches Oberkommando legalisiert wurde, zu erkennen gegeben, daß er keineswegs gewillt war, sein Erbe zu verschleudern; bald darauf machte eine eigene Moskauer Auslegung der Belgrader Deklaration unmißverständlich deutlich, daß wohl den Jugoslawen, keineswegs aber den Satelliten ein „eigenständiger Weg“ zu konzedieren sei. Mit zunehmendem Mißmut registrierte die sowjetische Führung, daß der Ausgleich mit Jugoslawien den vorher schon latenten ideologischen Einfluß Belgrads noch verstärkt, dem Polyzentrismus den Weg geebnet und nationale Leidenschaften ebenso wie reformatorische Ideen entfacht hatte. Die dramatische Zuspitzung in Polen und Ungarn dokumentierte den Autoritätsverfall des Kreml, dessen Hegemonie sichtlich erschüttert war.

Obwohl Tito vor und nach dem zweiten Einmarsch der Roten Armee in Ungarn mit der Billigung der sowjetischen Intervention einen für Jugoslawien gefährlichen Präzedenzfall schuf leiteten die Ereignisse im Herbst 1956 eine neue Konfliktphase ein. Das Kalkül Chruschtschows: den Titoismus zu domestizieren und Jugoslawien unter Konzessionen an seinen Sonderstatus in das sozialistische Lager zurückzuführen, ohne dabei die Kontrolle über Osteuropa zu verlieren, erfüllte sich ebensowenig wie die Hoffnung Titos, es könnten sich vom jugoslawischen Modell in. spirierte Systeme im sowjetischen Herrschaftsbereich etablieren. Die Wende Moskaus von der vorsichtigen Lockerung zur Re. konsolidierung der sowjetischen Vorherrschaft in Osteuropa implizierte daher konsequenterweise erneut eine schrittweise Isolierung Jugoslawiens, dessen Einfluß in den anderen Volksdemokratien der Boden entzogen werden sollte. Die Abstempelung des Titoismus als den eigentlichen Schuldigen an den Auflösungserscheinungen eröffnete den neuerlichen Klimasturz.

Klimasturz nach Ungarn: 1957-1961

Auffallendstes Merkmal der jugoslawisch-sowjetischen Auseinandersetzungen in den Jahren 1957-1961 waren die beiderseitigen Bemühungen, den Konflikt in kontrollierbaren Grenzen zu halten. Die sowjetische Führung reaktivierte zwar zur Eindämmung der aufgebrochenen zentrifugalen Tendenzen antijugoslawische Formeln aus Kominform-Zeiten, hielt 1955 versprochene Kredite zurück, bestätigte sogar ausdrücklich die zu keiner Zeit zurückgenommene erste Kominform-Resolution, doch blieben Sanktionen, Pressionen und ideologische Anklagen deutlich unter der 1948 erreichten Schwelle. Frühzeitig signalisierte Chruschtschow, daß in dem Konflikt nicht Jugoslawiens Unabhängigkeit und eigenständiger Weg, sondern deren übergreifen auf andere osteuropäische Länder zur Disposition standen. Die Reaktion der jugoslawischen Führung war entsprechend zurückhaltend: Sie verteidigte den eigenen Standpunkt, verzichtete aber auf eine Gegenkampagne und forderte zur Kooperation trotz bestehender Meinungsverschiedenheiten auf.

Dennoch erlitten die Beziehungen einen erneuten Rückschlag, als die an der Macht befindlichen kommunistischen Parteien auf einer Konferenz am Rande der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution eine quasi verbindliche Generallinie verabschiede-ten, in der die führende Rolle der UdSSR an der Spitze des . sozialistischen Lagers festgeschrieben und als ideologisch vorrangig der Kampf gegen den „Revisionismus“ gefordert wurde, was vornehmlich — obwohl nicht ausdrücklich genannt — der KPJ galt. Die Jugoslawen verweigerten natürlich ihre Unterschrift und verabschiedeten im Gegenzug auf dem VII. Parteikongreß ein neues Programm, das die Quintessenz ihrer Sozialismus-Konzeption enthielt. Gleichzeitig intensivierten sie ihre Kontakte zum Westen und initiierten die Formierung der Blockfreien, mit der sich ihre außenpolitische Handlungsfähigkeit erheblich erweitern sollte

Der jugoslawischen Herausforderung folgte zwar eine eineinhalbjährige Polemik von Moskau gegen den „Revisionismus", doch wurden die Häretiker — anders als 1948 — nicht ex-kommuniziert. Hatte die Annäherung 1955 Chruschtschows Position im innerparteilichen Kampf gegen die Molotow-Fraktion stärken sollen, so dienten die späteren Angriffe nicht zuletzt der Wiederherstellung einer zeitgemäßen Form sowjetischer Dominanz über Osteuropa. Als beides erreicht war und zudem der sowjetisch-chinesische Konflikt offen ausbrach, waren auch sowjetischerseits die Voraussetzungen für einen erneuten Ausgleich gegeben.

Der zweite Honeymoon: 1962— 1968

Vor dem Hintergrund wachsender Spannungen in den Beziehungen zwischen Belgrad und Washington auf der einen, Moskau und Peking auf der anderen Seite beginnt die Phase der zweiten Annäherung, die vor allem durch weitgehendes Einvernehmen in der Beurteilung der internationalen Hauptfragen und durch eine Ausweitung und Intensivierung der wirtschaftlichen Kooperation gekennzeichnet war.

Die atmosphärische Veränderung machte sich vor allem zwischen 1962 und 1964 deutlich bemerkbar. Bei den ungewöhnlich häufigen Kontakten auf Spitzenebene hoben beide Seiten demonstrativ die Gemeinsamkeit der Standpunkte als Folge „der gemeinsamen Natur der sozialen Systeme" hervor. Die Sowjetunion kam den Wünschen der jugoslawischen Führung nach kräftiger Anhebung des Handelsvolumens ebenso entgegen wie sich Belgrad bereit erklärte, unter Wahrung eines Sonderstatus dem RGW beizutreten Erhärtet wurde der Eindruck eines zweiten . Honeymoons'dadurch, daß Tito das Verhalten Chruschtschows während der Kuba-Krise ausdrücklich pries, sich in der rapide steigernden Polemik zwischen Moskau und Peking eindeutig an die Seite der KPdSU stellte und nicht zuletzt engste persönliche Kontakte mit dem sowjetischen Parteichef pflegte.

Da nach dem Sturz Chruschtschows im Oktober 1964 die von Jugoslawien befürchtete Annäherung zwischen Moskau und Peking ausblieb, gestalteten sich die Beziehungen weiterhin betont freundschaftlich. Der Delegation des BdKJ auf dem XXII. Parteitag der KPdSU im März 1966 wurde zum ersten Mal nach 1948 der Status eines Mitglieds des sozialistischen Lagers eingeräumt, ein langfristiges Handelsabkommen für die Jahre 1966— 1970 sah eine Steigerung des Warenumsatzes gegenüber den vorangegangenen fünf Jahren um 260 % vor.

Die im Westen mit Unverständnis und wachsendem Mißtrauen konstatierte Kongruenz in internationalen Fragen erreichte beim Ausbruch des Nahost-Krieges im Juni 1967 ihren Höhepunkt. Tito flog unverzüglich nach Moskau, um die sowjetische Führung zu schnellem Eingreifen gegen Israel zu bewegen, räumte der sowjetischen Luftwaffe sogar das Recht zum überfliegen des jugoslawischen Luftraums und zur Zwischenlandung auf dem Weg nach Ägypten ein und brach am 11. Juli im Einvernehmen mit Moskau die diplomatischen Beziehungen mit Israel ab

Voreilige Befürchtungen einer Integration Jugoslawiens in das sozialistische Lager übersahen (oder unterschätzten) die selbst in der Phase engster Kooperation keineswegs verschwundenen Reibungspunkte und die Gegensätzlichkeit der Intentionen. Die Hinwendung zu Moskau, begünstigt durch eine prekäre innen-und wirtschaftspolitische Situation Anfang der sechziger Jahre in Jugosla-wien, hinderte Tito nicht daran, eine Einbindung in die Arbeitsteilung des RGW abzulehnen und eine enge Verbindung mit Rumänien einzufädeln, die vor allem auf dem gemeinsamen Standpunkt der Selbständigkeit gegenüber Moskau beruhte.

Die 1965 eingeleitete Wirtschafts-und Strukturreform, in deren Gefolge der prominenteste Vertreter ultrazentralistischer Auffassungen und potentielle Tito-Nachfolger Rankovi gestürzt wurde, ließ den unterschiedlichen Charakter der Systeme deutlicher hervortreten und erntete offenkundig Mißmut im Kreml.

Der nahezu vollständige außenpolitische Konsens schließlich gründete sich hauptsächlich auf der übereinstimmenden Mißbilligung der westlichen Politik an den Brennpunkten internationaler Entwicklung — Indochina, Zypern, Naher Osten, Putsch in Griechenland —, ohne daß sich dadurch Jugoslawien in Widerspruch zu den Grundideen und politischen Standpunkten der Blockfreien begeben mußte Diesem Konsens konnten die Reibungspunkte untergeordnet werden, solange sich beide Seiten an die elementaren Konzessionen hielten: Die sowjetische Führung tastete den unabhängigen Status Jugoslawiens nicht fundamental an, Belgrad seinerseits verzichtete auf den Anspruch der Verbindlichkeit seines Gesellschaftsmodells für die anderen osteuropäischen Länder.

Prag und die Folgen: 1968— 1971 Die Intervention in der CSSR rief die kürzeste, aber nach 1953 heftigste Konfliktphase hervor. Titos frühzeitige Unterstützung für den Reformkurs Dubeks und Warnungen vor Versuchen gewaltsamer Lösungen der Probleme an die Adresse Moskaus hatten zu verstärkten Spannungen des seit Anfang 1968 ohnehin belasteten Verhältnisses geführt Auf den Einmarsch reagierte die offensichtlich überraschte jugoslawische Führung ebenso unver-züglich wie vehement. Die Regierungserklä. rung vom 22. August wie auch die ZK-Resolu. tion einen Tag später geißelten nicht nur den Einmarsch als „flagrante Verletzung der nationalen Souveränität", sondern stellten die prin. zipielle Ablehnung jeder Einmischung in die inneren Angelegenheiten fremder Länder in den Mittelpunkt — eine deutliche Akzentverschiebung gegenüber der Stellungnahme zum zweiten Einmarsch in Ungarn, die zugleich auch darauf schließen ließ, daß sich Ju-goslawien weitaus ernsthafter bedroht fühlte als zwölf Jahre zuvor.

Die Konzentration sowjetischer Truppen in der ungarischen Tiefebene und die Massierung sowjetischer Flotteneinheiten in der Adria ließen die Alarmsignale in Belgrad noch schriller erklingen. Tito begab sich drei Tage nach dem Einmarsch an die rumänische Grenze, um mit Ceaucescu Abwehrmaßnahmen zu koordinieren. Am gleichen Tag wurde eine stille Teilmobilisierung der jugoslawi.sehen Streitkräfte angeordnet, kurz darauf das Budget für Verteidigungsausgaben im Nachtragshaushalt demonstrativ erhöht. Massenversammlungen in Betrieben und Gemeinden, die verfassungsmäßige Absicherung der Konzeption der nationalen Verteidigung und das gesetzliche Verbot einer Zustimmung zur Kapitulation oder Okkupation Jugoslawiens ließen keine Zweifel daran, daß sich Führung und Bevölkerung in keinem Fall kampflos beugen würden.

Besonderen Anlaß zur Sorge bereitete Belgrad die im Anschluß an die Intervention schrittweise formulierte „Breschnew-Doktrin“ über die begrenzte Souveränität sozialistischer Staaten die den Jugoslawen eindringlich verdeutlichte, welche zweifelhafte Ehre ihnen mit dem von Moskau konzedierten Status eines sozialistischen Landes zuteil geworden war. Erst als zunächst Breschnew noch im November 1968 und zehn Monate später Gromyko zu verstehen gaben, daß sich der Wirkungsbereich der Doktrin „lediglich" auf die Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts erstreckte, ohne dabei den sozialistischen Charakter Jugoslawiens in Frage zu stellen, konnte die seit Ende 1968 moderater gewor-dene Tonlage in ernsthafte Schritte zur Normalisierung der Beziehungen münden.

Doch ungeachtet der Zusicherung Gromykos, die künftigen Beziehungen auf der Grundlage der Belgrader Deklaration zu intensivieren, suchte Tito den anhaltenden sowjetischen Pressionen auch durch eine außenpolitische Offensive zu begegnen. Die verärgerte Reaktion Moskaus auf den demonstrativen Freundschaftsbesuch des Außenministers TepavaC im Juni 1971 in China, der zeitlich mit einem Aufenthalt Ceaucescus in Peking zusammenfiel, und auf die fast gleichzeitige Ankündigung Titos, im November 1971 den Jugoslawien-Besuch Nixons vom Oktober 1970 zu erwidern, schürte erneut Invasionsängste, hervorgerufen durch Manöver in Ungarn und Bulgarien sowie durch eine wieder aufflackernde Presse-kampagne. Moskaus Druck zielte aber offensichtlich in erster Linie auf das WPO-Mitglied Rumänien, wohingegen Breschnew bei seinem Besuch im September 1971 den Jugoslawen das Recht auf den eigenen Weg ausdrücklich garantierte und, augenscheinlich um zusätzliche Besänftigung zu schaffen, seine Doktrin als Erfindung des Westens apostrophierte.

Die Visite Breschnews markierte den Wendepunkt zu der bisher längsten Phase der „Normalisierung" der Beziehungen. Der dritte Konflikt endete auf ähnlicher gegenseitiger Grundlage, wie sie unmittelbar vor seinem Ausbruch bestanden hatte, wenngleich mit deutlichen Gewichtsverlagerungen. Jugoslawiens Position war zwar durch den Widerstand gegen die sowjetischen Pressionen erneut gefestigt worden, doch erschütterte ab Ende 1971 die schwerste innenpolitische Nachkriegskrise das Land und wirkte sich nachhaltig auch auf die Beziehungen zur UdSSR aus. „Normalisierung“ der Beziehungen nach 1971

Wie 1962 fiel die Annäherung zwischen Moskau und Belgrad zu Beginn der siebziger Jahre zeitlich zusammen mit einem ultrazentralistischen Kurswechsel der jugoslawischen Innenpolitik. Die von der Wirtschafts-und Struktur-reform geförderten und sich Anfang des Jahrzehnts besonders in Kroatien und Serbien ausbreitenden zentrifugalen, pluralistischen und separatistischen Tendenzen beantwortete Tito mit einer Serie von Kampagnen gegen die „Abweichler“ und mit deren Ausschaltung aus Partei-und Regierungsämtern Wenngleich die mit außerordentlicher Härte durchgeführten Maßnahmen eher der Furcht vor Auflösungserscheinungen in der Föderation denn unmittelbarem sowjetischen Druck entsprangen, wurden sie in Moskau wohlwollend zur Kenntnis genommen und trugen dazu bei, daß sich die Beziehungen in der ersten Hälfte des Jahrzehnts enger gestalteten.

Die Intensivierung wirkte sich zunächst vor allem in den Wirtschaftsbeziehungen aus, an deren Erweiterung Jugoslawien angesichts der Krisenerscheinungen 1970 und 1972 besonderes Interesse zeigte. Im November 1972 gewährte die Sowjetunion einen langfristigen Kredit in Höhe von 1, 3 Milliarden Dollar zu außergewöhnlich günstigen Konditionen; ein Jahr später erhielten die Jugoslawen eine zusätzliche Kreditspritze von 45 Millionen Dollar für illiquide Firmen; das für 1971— 1976 geplante Handelsvolumen von 3, 6 Milliarden Dollar wurde um 2 Milliarden übertroffen.

Für einen neuerlichen . Honeymoon'sprachen auch Ton und Ergebnisse der nach 1971 wieder regen Kontakte auf höchster Ebene sowie die weitgehende Übereinstimmung bei der Beurteilung internationaler Probleme. Wie 1967 führte ein Nahost-Krieg zu einem Höhepunkt gegenseitiger Abstimmung, als die Jugoslawen der Sowjetunion zum zweiten Mal Über-flug-und Landerechte auf ihrem Territorium einräumten Bereits zu diesem Zeitpunkt aber kündigten sich Konflikte an, die in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts für einen spürbaren Umschwung sorgten. Die Auseinandersetzungen um die Kominformisten, den europäischen KP-Gipfel, Breschnews Forderungen bei seiner Visite 1976 in Belgrad und das Verhältnis der Blockfreien zur Sowjetunion prägten die Phase kontrollierter Abgrenzung. Der seit 1948 schwelende Unmut der jugoslawischen Führung über die sowjetische Unterstützung exilierter Stalin-Anhänger und Neo-Kominformisten entlud sich in einer scharfen öffentlichen Kampagne, nachdem im April 1974 ein „Kongreß der neuen Kommunistischen Partei" ausgehoben, 32 Mitglieder der illegalen, prosowjetischen KP verhaftet und dabei aus der UdSSR stammende Materialien beschlagnahmt worden waren. Trotz zahlreicher Dementis und Distanzierungen aus Moskau machte Belgrad kein Hehl aus seiner Überzeugung, wer als Urheber anzusehen sei, und leitete eine Prozeßwelle gegen „Kominformisten" ein, gegen die nach fragwürdigen Verfahren äußerst harte Strafen verhängt wurden. Nicht zufällig entbrannte im Zusammenhang damit erneut der Konflikt um die Geschichtsschreibung, der durch eine neue (die fünfte) Ausgabe der „Geschichte der KPdSU" zusätzlichen Zündstoff erhielt. Die ungerührt im Licht der ersten Kominform-Resolution gehaltene sowjetische Version über die Auseinandersetzung von 1948 und die scharfen jugoslawischen Repliken dokumentierten ein weiteres Mal die Gegensätze der Geschichtsdeutung und ihre weitreichenden politischen Implikationen. Wenig nachgiebig zeigte sich die Führung des BdKJ auch in der Vorbereitung und Durchführung des europäischen KP-Gipfels, der im Juni 1976 nach 16 Vorbereitungstreffen zustande kam Versuche der KPdSU, das sowjetische Modell als Vorbild und sich selbst als Avantgarde bestätigen zu lassen, scheiterten am gemeinsamen Widerstand der Eurokommunisten, der Rumänen und Jugoslawen, die auch dem Abschlußdokument ihren Stempel aufdrückten. Darin wurde das Recht jeder kommunistischen Partei auf einen eigenen Weg ausdrücklich verankert; der Begriff des „proletarischen Internationalismus" — Synonym Moskaus für den eigenen internationalen Führungsanspruch — blieb ausgeklammert.

Viereinhalb Monate später unternahm Breschnew bei seinem Besuch in Belgrad einen erneuten Vorstoß Wie erst ein Monat nach dem Besuch durch gezielte Indiskretion jugoslawischer Kreise bekannt wurde, hatte Breschnew einen imposanten Forderungskatalog vorgelegt. Danach sollte Belgrad mehr Wartungsmöglichkeiten für sowjetische Schiffe in den adriatischen Häfen schaffen, der UdSSR Dauerflugrechte über jugoslawischem Territorium gewähren, sich stärker im RGW engagieren, ideologisch und außenpolitisch auf die Positionen der WPO einschwenken, ein sowjetisch-jugoslawisches Freundschaftsabkommen abschließen sowie eine sowjetisch-jugoslawische Freundschaftsgesellschaft gründen. Tito hatte — der gleichen Quelle zufolge — alle Forderungen entschieden zurückgewiesen. Das äußerst zurückhaltende Dementi wie vor allem Reaktionen hoher Funktionäre bestätigten, daß es zu ernsthaften Friktionen gekommen war.

Diese deutliche Abkühlung der Beziehungen nach dem Besuch Breschnews hielt bis zum Tode Titos an. Zusätzliche Reibungspunkte am Ende des Jahrzehnts ergaben sich aus intensivierten Bemühungen Moskaus, der Blockfreien-Bewegung — mit pointierter Unterstützung Kubas und Vietnams — eine ausschließlich gegen den Westen gerichtete Orientierung aufzudrängen und sie als „die natürlichen Verbündeten der sozialistischen Gemeinschaft" zu instrumentalisieren. Demgegenüber bestanden die Jugoslawen auf dem allseitigen, „gegen alle Formen von Hegemonie" gerichteten Charakter der Bewegung Die exponierte Opposition Titos gegen die von Castro auf dem Blockfreien-Gipfel in Havanna unzweideutig nahegelegte Allianz der Blockfreien mit der UdSSR und die scharfen jugoslawischen Reaktionen auf den vietnamesischen Einmarsch in Kambodscha und den sowjetischen in Afghanistan ließen keinen Zweifel am Willen Belgrads, sich den Pressions-und Spaltungsversuchen zu widersetzen.

Titos letzter Besuch in Moskau im Mai 1979 bestätigte die Abkühlung, aber auch das beiderseitige Interesse, die Konflikte nicht über eine irreparable Schwelle geraten zu lassen. Tito konnte schwerlich daran gelegen sein, seinen Nachfolgern die unkalkulierbaren Risiken einer offenen Konfrontation mit der UdSSR zu hinterlassen, die ihrerseits behut-sam jedes Anzeichen vermied, das erneut hätte Invasionsängste schüren und eine gegen sie gerichtete Front mobilisieren können.

Nach Titos Tod Bereits im Verlauf von Titos langer Krankheit hatten westliche, jugoslawische und sowjetische Quellen übereinstimmend die häufiger geäußerte Befürchtung einer „nach Titos Ausscheiden aus der aktiven Politik durchaus möglichen Generalabrechnung der UdSSR mit Jugoslawien" als „völlig unrealistisch" zurückgewiesen und demgegenüber eine Phase beiderseitiger Zurückhaltung prognostiziert, mit der in der Zeit nach Titos Tod tatsächlich die Kontinuität der Wechselhaftigkeit gewahrt wurde.

Die neue kollektive Führung Jugoslawiens setzte in der Außenpolitik die eingeschlagene Grundrichtung fort und bemühte sich, bei Aufrechterhaltung ihrer eigenen Standpunkte unnötige Kalamitäten in den Beziehungen zur UdSSR nicht heraufzubeschwören. Außenminister Vrhove erinnerte in einem grundlegenden Expos zur Außenpolitik am 26. Juni 1980 an die Belgrader Deklaration von 1955, die unmittelbar zuvor nach erneuten offenkundigen Mißinterpretationen durch die „Prawda" Gegenstand eines Disputs über die Bewertung der inhaltlichen Grundlagen der Beziehungen geworden war, doch enthielten sich beide Seiten übermäßiger Polemik und Phonstärken

Ebenso zeigte sich das Interesse der neuen jugoslawischen Führung an konfliktarmen Beziehungen an den Äußerungen zu den Ereignissen in Polen Im Tenor warnten die bemerkenswert offene und ausführliche Presse-berichterstattung wie auch die Regierungserklärung vom 5. Dezember 1980 vor allem vor den unübersehbaren Konsequenzen einer Verschärfung der Lage, sei es durch „Einmischung oder Druck von außen unter einem beliebigen Vorwand", sei es durch „Anheizen der Atmosphäre". In der Presse trat nach anfänglicher Zurückhaltung eine nahezu unverhohlene Sympathie für die Streikenden zutage, wobei ihr Kampf als Folge der „Diskrepanz zwischen dem Regieren im Namen der Arbeiterklasse und den tatsächlichen Interessen der Arbeiterklasse", die Erschütterungen als Beweis für die „Unumgänglichkeit spezifischer und eigenständiger Wege" gewertet und die sowjetische Informationspolitik über Polen offen kritisiert wurden. Gleichzeitig ließ Belgrads Genugtuung über die Danziger Abmachungen den Wunsch der jugoslawischen Führung nach demokratischer Öffnung in Polen ohne Gefährdung der gegebenen inneren und äußeren Bedingungen für die Stabilität des Landes erkennen. Als unantastbare Faktoren dieser Bedingungen wurden die führende Rolle der Partei sowie der „Rahmen des Sozialismus“ ausdrücklich und die Bündnisverpflichtungen Polens in eindeutigen Hinweisen genannt.

Am gravierendsten erwiesen sich die anhaltenden Meinungsverschiedenheiten in der Beurteilung internationaler Konflikte und der Rolle der Blockfreien-Bewegung. Das jugoslawische Beharren auf den Abzug sowjetischer Truppen aus Afghanistan und der vietnamesischen aus Kambodscha veranlaßte Verbündete Moskaus in der Blockfreien-Bewegung mehrfach zu ungewöhnlich scharfen Ausfällen gegen die jugoslawische Außenpolitik, welche kommentarlos in der sowjetischen Presse wiedergegeben, in der jugoslawischen entsprechend erzürnt zurückgewiesen wurden Die jüngste Gipfelkonferenz der Blockfreien in Neu Delhi, in deren Abschlußdokument nach hitzigen Debatten beide Forderungen nicht zuletzt auf jugoslawisches Drängen hin Eingang fanden (wenngleich die Sowjetunion nicht, wie von den Jugoslawen gewünscht, namentlich erwähnt wurde), sowie das Moskauer Echo bestätigten erneut die Gegensätze

Wesentliches Indiz für das beiderseitige Ziel, zumindestens den Status quo zu erhalten, blieben die Wirtschafts-und Handelsbeziehungen, die sich sprunghaft ausweiterten Die Rolle der UdSSR als wichtigster Handelspartner Jugoslawiens erhielt durch eine ungewöhnliche Steigerung im Handelsverkehr im Jahre 1980 (die jugoslawischen Exporte kletterten um 64 % gegenüber dem Vorjahr, die Importe um 56 %, während die Exporte in OECD-Länder lediglich um 13 % zunahmen) zusätzliches Gewicht, zumal als Ergebnis dessen der RGW-Anteil an jugoslawischen Exporten erneut den Anteil der OECD-Länder überrundete. Gleichzeitig erwuchs Jugosla-wien, das fast die Hälfte seiner Erdöleinfuhren aus der Sowjetunion bezieht, trotz des traditionellen Surplus ein Handelsdefizit von einer Milliarde Devisenrubel gegenüber der SowjetUnion, die im Handel mit Jugoslawien anders als bei den RGW-Mitgliedern Opec-Preise zugrunde legt. Von einer einseitigen Anbindung

III. Perspektiven

Auch in den ersten zehn Monaten nach Titos Tod haben sich die häufig wiederkehrenden Prognosen einer ungestümen sowjetischen Roll-Back-Strategie zur gewaltsamen Heimholung Jugoslawiens oder gar einer freiwilligen Rückkehr der Abtrünnigen als haltlos erwiesen. Wenngleich die Beziehungen seit 1976 wieder ernsthaft, aber nicht unwiderruflich getrübt sind, kristallisieren sich Konturen eines möglichen modus vivendi auf folgender Basis gegenseitiger Konzessionen heraus Die UdSSR gesteht Jugoslawien seinen „eigenständigen Weg" zu, die Pflege guter Beziehungen zum Westen, die Proklamierung der essentiellen Bedeutung der Blockfreiheit für seine Außenpolitik sowie das propagandistische Eintreten für die Gleichberechtigung zwischen sozialistischen Staaten entsprechend den Vereinbarungen beim Ost-Berliner KP-Gipfel. Die Jugoslawen ihrerseits sollen nicht auf die Verbindlichkeit ihres Gesellschaftsmodells für sozialistische Länder bestehen, auf aktive Propaganda für die nationale Unabhängigkeit unter den Mitgliedern des Warschauer Pakts verzichten und ihr Konzept von Blockfreiheit nicht gegen fundamentale sowjetische Interessen richten.

Die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Status wird dadurch erleichtert, daß die bilateralen Beziehungen für beide Seiten nicht im Brennpunkt der jeweiligen außenpolitischen Prioritäten stehen. Die Sowjetunion, durch Afghanistan, Polen, die Blockfreien und den amerikanischen Regierungswechsel mit ernsthafteren Problemen befrachtet, beschränkt sich darauf, Jugoslawien durch den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen enger an den RGW zu binden und ideologischen Einfluß auf die Blockfreien geltend zu machen. Die Bemühungen der neuen jugoslawischen Führung um eine stabile Basis in der schwierigen Übergangsphase nach Titos Tod konzentrieren sich in der Außenpolitik auf eine Festigung der krisen-und spaltungsbedrohten Blockfreien-Bewegung einerseits und die Verbreiterung des oder gar ökonomischen Abhängigkeit kann aber kaum die Rede sein, zumal das am 2. April 1980 abgeschlossene Wirtschaftsabkommen mit der EG und die Verstärkung bilateraler wirtschaftlicher Kontakte mit westeuropäisehen Ländern dem offenkundig entgegen-steuerten.

Handlungsspielraums durch Stärkung bilateraler Kontakte zum Westen wie zu RGW-Ländern andererseits.

Inwieweit sich die gegenwärtig getrübte Balance in den Beziehungen verlagern wird, dürfte daher in hohem Maße von der internationalen Großwetterlage im allgemeinen und dem sowjetischen Vorgehen gegenüber Osteuropa und den Blockfreien im besonderen abhängen. Eine schärfere amerikanische Gangart gegenüber Europa und der Dritten Welt würde eine engere außenpolitische Kooperation Belgrads mit Moskau ebenso begünstigen wie eine massive sowjetische Einmischung in Polen einen tiefen Klimasturz zur Folge hätte. Jugoslawien, das vitales Interesse an guten Beziehungen zu beiden Blöcken hat wie auch an einer konfliktarmen Balance zwischen ihnen, wird sich jeder einseitigen Veränderung entgegenstellen, sei es in Abstimmung oder im Konflikt mit der UdSSR. Beides wird nicht als Hinwendung zu einem der beiden Blöcke zu werten sein. Es entspricht dem auf die jeweiligen internationalen Gegebenheiten reagierenden Lavieren zwischen den Fronten, das durch alle Wandlungen hindurch eine erstaunliche Kontinuität und Beharrlichkeit zur Aufrechterhaltung des unabhängigen und blockfreien Status des Landes aufweist.

Ein weiterer Indikator für das Verhältnis zwischen Moskau und Belgrad wird die innen-und wirtschaftspolitische Situation Jugoslawiens sein. Wenngleich die Annahme eines untrennbaren kausalen Zusammenhangs übertrieben erscheint, fällt doch auf, daß Phasen der „Versöhnung" und des „Honeymoons" stets mit einer innenpolitischen Versteifung und häufig mit wirtschaftspolitischen Krisen einhergingen — und umgekehrt. Moskaus Interesse an ultrazentralistischen, orthodoxen Strukturen und Methoden im Innern Jugoslawiens ist naheliegend und keinesfalls nur ideologischer Natur, da sie die Ausstrahlungskraft der jugoslawischen Sozialismus-Konzeption erheblich einschränken und zugleich partikularistische Tendenzen im Land durchaus fördern könnten. Die gegenwärtigen Diskus-sionen in Jugoslawien haben zwar Divergenzen innerhalb der Führung über den innenpolitisch einzuschiagenden Kurs erkennbar werden lassen, aber keine Anzeichen für eine unmittelbar bevorstehende Zentralisierung oder gar ein Auseinanderfallen der Föderation.

Unklar bleibt, auf welche endogenen Kräfte die UdSSR nach der weitgehenden Ausschaltung der Kominformisten setzt. Wenngleich ein scharfer, allseitiger Konflikt nicht unmittelbar bevorzustehen scheint, darf nicht übersehen werden, daß die Grundlagen der Beziehungen eine Kontinuität instabiler Ambivalenzen und Wechselfälle geradezu programmieren. Das Kernstück des Konflikts von 1948 existiert bis zum heutigen Tage fort, zum Teil sogar vertieft. Nationale Unabhängigkeit und Souveränität, Blockfreiheit, die langfristig gar auf Auflösung der Blöcke zielt, und Selbstverwaltung als systembezogener Beleg der Eigenständigkeit und Emanzipation werden sich auch weiterhin schwerlich mit den Implikationen eines vorrangig zu stärkenden sozialistischen Lagers, des „proletarischen Internationalismus" Moskaus und der Vorbildrolle des sowjetischen Systems ausbalancieren geschweige denn harmonisieren lassen. Das jugoslawische Beispiel — selbst wenn Belgrad auf eine aktive Propagierung seines Wegs als Modell verzichtet — wirkt nach wie vor als permanenter Katalysator zur Diversifikation im sowjetisch dominierten Block wie auch in der gesamten kommunistischen Bewegung. Die Übereinstimmung in der „Ideologie“, sofern überhaupt existent, erleichtert allenfalls punktuelle Identität, kann aber weder gravierende Differenzen politischer Konzeption verdrängen noch gar Jugoslawien im sowjetischen Sinne instrumentalisieren

Qualitativ geändert haben sich aber die Ausgangspositionen und Rahmenbedingungen. Wenn auch keine ernsthaften Anzeichen dafür zu finden sind, daß die UdSSR jemals von ihren maximalen Ambitionen abgerückt wäre dürfte auch der sowjetischen Führung nach mehr als dreißigjähriger Intransingenz der Jugoslawen deutlich geworden sein, daß deren Entschlossenheit zur Verteidigung ihrer Unabhängigkeit mit allen Mitteln keineswegs nur auf dem Papier steht. Zudem haben der inzwischen weitgehend anerkannte Status Jugoslawiens als europäische Besonderheit zwischen den Blöcken, seine Rolle in der Blockfreien-Bewegung und nicht zuletzt der Einfluß Jugoslawiens unter den Autonomisten in der kommunistischen Weltbewegung ein historisch gewachsenes fait accompli geschaffen, das ohne unübersehbare weltweite Konsequenzen nicht angetastet werden kann: Keine Garantie für dauerhaft konfliktarme Lösungen, aber wichtige Stütze für eine — aus jugoslawischer Sicht — annehmbare Balance.

Exkurs: Die Entwicklung der Beziehungen Jugoslawiens zu den Ländern des RGW

Mit der schrittweise erfolgten Orientierung der außenpolitischen Tätigkeit auf die Block-freiheit als Grundsäule veränderten sich auch Stellenwert und Zuordnung der bilateralen Beziehungen zu den Ländern des RGW im Rahmen der internationalen Lagebeurteilung und Zielvorstellung Jugoslawiens. Politik und Auffassungen der jugoslawischen Führung lassen keinen Zweifel daran, daß im Falle eines Zielkonflikts die Wahrung der Unabhängigkeit und Blockfreiheit des Landes Priorität gegenüber der Anerkennung als sozialistischer Staat und seiner Mitarbeit in der kommunistischen Weltbewegung genießt, Jugoslawien aber, solange beides miteinander vereinbar bleibt, starkes Interesse an guten und freundschaftlichen Beziehungen hat „Wir müssen in Rechnung stellen, wie sie sich uns gegenüber benehmen und welche Standpunkte diese Parteien (gemeint sind die kommunistischen Parteien in den RGW-Ländern — M. H.) zu den wichtigsten internationalen Problemen einnehmen."

Weil dieser Standpunkt — wenngleich zunächst unausgesprochen — seit 1949 vertreten und praktiziert wurde, entwickelten sich die Beziehungen bis zum Ende der fünfziger Jahre angesichts der weitgehenden Konformität im sozialistischen Lager nahezu analog zum jeweiligen Stand der jugoslawisch-sowjetischen Beziehungen. Lediglich in Nuancen deuteten sich Differenzierungen an. Auch in der ersten Versöhnungswelle 1956 blieben z. B. die Beziehungen zu Ost-Berlin kühl, zu Tirana ausgesprochen schlecht. Enver Hoxha war es auch vorbehalten, den Feldzug gegen Jugoslawien nach den Ereignissen in Ungarn zu eröffnen, dem sich besonders vehement die Führung der ÖSSR unter Novotny anschloß, wohingegen Rumänien und Ungarn zurückhaltend blieben

Erst nach dem zweiten Schisma in der kommunistischen Weltbewegung und dem damit einhergehenden Prozeß der Diversifikation im sozialistischen Lager kristallisierten sich Konturen differenzierter bilateraler Beziehungen heraus, zumal sich Jugoslawien nach 1956 weitgehende Enthaltsamkeit in der pointierten Beurteilung der inneren Strukturen im sozialistischen Lager auferlegte. Nach wie vor blieb die Interdependenz zu der jeweiligen Konstellation im sowjetisch dominierten Block erhalten, doch setzten die spezifisch bilateralen Interessen zunehmende Akzente. Das bis heute besonders enge Verhältnis mit Rumänien nahm Anfang der sechziger Jahre Konturen an, nachdem Bukarests Ablehnung einer supranationalen Autorität im RGW und die neutrale Haltung im sino-sowjetischen Konflikt zu einer nur mühsam im Zaum gehaltenen Konfrontation mit Moskau geführt hatte Tito versuchte zwar, zwischen Chruschtschow und Gheorghiu Dej zu vermitteln, ließ aber zugleich trotz Widerstand im RGW im Juni 1963 eine Vereinbarung über den gemeinsamen Ausbau des Eisernen Tores unterzeichnen, die ebenso wie der Besuch Gheorghiu Dejs fünf Monate später in Belgrad eine Beziehung allianz-ähnlicher Kooperation einleitete. Eine Trübung durch die unterschiedlieben Standpunkte zum Nahost-Krieg 1967 konnte den Ausbau der Sonderbeziehungen nicht wesentlich aufhalten, die aus Anlaß der Intervention in Prag demonstrativ verstärkt wurden.

Die gegenseitige Abstimmung auf ideologischem und außenpolitischem Gebiet erreichte in den letzten Jahren vor Titos Tod einen Höhepunkt, nachdem der Ost-Berliner KP-Gipfel, Rumäniens Teilnahme an Blockfreien-Aktivitäten als Beobachter, die Balkan-Visite Hua Guofengs und die scharfe Verurteilung der vietnamesischen Intervention in Kambodscha das hohe Maß an Übereinstimmung manifestiert und entsprechend verärgerte Reaktionen Moskaus hervorgerufen hatten Der Besuch Ceaucescus auf Partei-und Staatsebene vom 22. bis 24. Oktober 1980 dokumentierte erneut die außenpolitische Kongruenz und das beiderseitige Interesse, die Beziehungen nach Titos Tod zu festigen.

Auch die nach 1956 beinahe unmerklich, aber kontinuierlich konsolidierten Beziehungen zu Ungarn — die nach den Ereignissen in Prag nur geringe Reibungen erfuhren — sind im Laufe der siebziger Jahre ausgebaut worden. Seit 1970 verdoppelte sich der jugoslawisch-ungarische Warenverkehr alle fünf Jahre und überstieg im letzten Jahrfünft sogar das Plan-soll. Der für 1981— 1985 verabschiedete Rahmenplan sieht eine weitere Steigerung des Gesamtvolumens auf 4, 2 Milliarden Dollar vor, ebenso wurde beschlossen, beide Länder mit einer Adria-Öl-und Gaspipeline zu verbinden. Beim Besuch von Ministerpräsident Djuranoviö am 14. und 15. Juli in Ungarn wurde die Ursache für die weitgehend reibungslosen Beziehungen sehr offen genannt: „Die beiden Seiten beachten gegenseitig die Unterschiede der inneren Entwicklung und der internationalen Lage beider Länder." Problematischer gestalten sich die Beziehungen zur USSR und zur DDR. Obwohl nach dem Besuch des tschechoslowakischen Parteichefs Husak vom 23. bis 26. Oktober 1973 in Belgrad der nach dem Einmarsch erreichte Tiefpunkt in den Beziehungen überwunden und die wirtschaftliche Kooperation ausgeweitet wurde, blieben die Beziehungen bis zum Tode Titos kühl, zumal nach dem Ost-Berliner KP-Gipfel die weitestgehenden Vorstöße zur Nachbesserung der Ergebnisse aus Prag kamen. Der Besuch von Außenminister Vrhovec vom 30. Juni bis 3. Juli 1980 in der ÖSSR brachte ebensowenig nennenswerte Fortschritte wie die Visite Djuranovits wenige Monate vor Titos Tod in Ost-Berlin, wo zudem die Gegensätze über den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan nicht verdeckt wurden

Erstaunliche Akzente wurden in den historisch und politisch belasteten Beziehungen zu Bulgarien und Albanien gesetzt. Beim Vrhovec-Besuch in Sofia im November 1980 wurde die Makedonien-Frage — als schwelender und in Krisenzeiten stets eingesetzter Konfliktgegenstand zugleich wichtiger Indikator für die jugoslawisch-sowjetischen Beziehungen — von beiden Seiten gänzlich ausgeklammert. Bulgarien gewährte Kredite in

Höhe von 20 Millionen Dollar für den Ausbau von Transportwegen; über einen weiteren 40 Millionen Dollar-Kredit wurden Verhandlungen aufgenommen.

Bedeutender noch fielen die Ergebnisse des Besuchs einer Staats-und Wirtschaftsdelegation Albaniens im Juli aus Das für den Zeitraum bis 1985 abgeschlossene Abkommen über Warenaustausch sieht eine Steigerung des Gesamtvolumens um 320 % auf 720 Millionen Dollar vor. Zum erstenmal nach langer Zeit waren durch den Besuch die Kontakte auf Regierungsebene gehoben worden, was zusätzliches Gewicht durch den Beschluß erlangte, gegenseitige Wirtschaftsvertretungen einzurichten.

Wenngleich die offenkundige Bewegung in den Beziehungen Belgrads zu Sofia und Tirana weder den latenten Konflikt um Makedonien noch die weiterhin gravierenden ideologischen Kontroversen mit Albanien beiseite schieben kann, so deutet sie doch im Verhältnis zu Sofia auf beiderseitiges Interesse an eine begrenzte Annäherung, im Verhältnis zu Tirana auf Möglichkeiten zur schrittweisen Normalisierung der Beziehungen hin, die aber angesichts der historisch gewachsenen Versteifung nicht in ungewöhnlich kurzer Frist zu bewerkstelligen sein wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Für den Wortlaut der Resolution wie auch des unmittelbar davor geführten Briefwechsels siehe: Tito contra Stalin. Der Streit der Diktatoren in ihrem Briefwechsel, Hamburg 1949. Die Kominform-Resolution enthält im wesentlichen die zuvor in den Briefen des ZK der KPdSU erhobenen Anschuldigungen. Der KPJ-Führung wurde vor allem vorgeworfen, sie weiche in ihrer Linie vom Marxismus-Leninismus ab, betreibe eine unfreundliche Politik gegenüber der KPdSU und der UdSSR, negiere die Notwendigkeit einer Verschärfung des Klassenkampfs und der führenden Rolle der Kommunistischen Partei, schaffe bürokratische und undemokratische Zustände innerhalb der Partei und sei nicht zur Selbstkritik fähig. Die Resolution gipfelte in dem Aufruf an die „gesunden Elemente" innerhalb der KPJ, die Führung zu stürzen.

  2. I. Ivanji, Der jugoslawische Sozialismus der Selbstverwaltung. Ein Modell?, in: C. Gneuss, K. -D. Grothusen (Hrsg.), Jugoslawien. Aspekte der Gegenwart — Perspektiven der Zukunft, Stuttgart 1979, S. 98 ff. Der Autor betont — in Übereinstimmung mit der offiziellen jugoslawischen Geschichtsschreibung — die Kontinuität der jugoslawischen Entwicklung seit 1941, wohingegen die meisten westlichen Publikationen die zweite These stützen. Siehe stellvertretend dafür: J. K. Hoensch, Sowjetische Osteuropa-Politik 1945- 1975, Düsseldorf 1977, S. 46 ff. überzeugender als beide Extreme fällt die These Leonhards aus, es habe eine Wechselwirkung zwischen realpolitischen Notwendigkeiten und Erkenntnissen auf der einen und eigenständigen Akzenten der jugoslawischen Revolution auf der anderen Seite bestanden. Siehe dazu Ch. Gneuss, K. -D. Grothusen, a. a. O., S. 134 ff.

  3. Aus der Fülle der Literatur über die Nachkriegs-entwicklung Jugoslawiens unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zur Sowjetunion siehe insbesondere H. F. Armstrong, Tito and Goliath, New York 1951; AB. Ulam, Titoism and the Cominform, Cambridge 1952; T. T. Hammond, Yugoslavia between East and West, New York 1952; L. Adamic, The Eagle and the Roots, New York 1952; F. Maclean, Eastern approaches, London 19572. Von der Memoirenliteratur insbesondere V. Dedijer, Stalins verlorene Schlacht Erinnerungen 1948 bis 1953, Wien 1970; S. Vukmanovic Tempo, Mein Weg mit Tito. Ein Revolutionär erinnert sich, München/Zürich 1972. Die wichtigsten Dokumente für die Zeit bis 1948 veröffentlichte das „Royal Institute of International Affairs" (The Soviet Yugoslav Dispute, London 1948). Für weitere Dokumentensammlungen siehe insbesondere R. Bass/E. Marburry (Hrsg.), The Soviet Yugoslav Controversy, 1948— 1958. A Documentary Record, New York 1959, und S. Clissold, Yugoslavia and the Soviet Union 1939— 1973. A Documentary Survey, London, New York, Toronto 1975. As Quellen siehe V. Dedijer, Prilozi za biografiju, Beograd 1952; ders., Tito. Autorisierte Biographie, Berlin 1953; V. Vinterhalter, Tito. Der Weg des Josip Broz, Wien/Frankfurt/Zürich 1969.

  4. E. Kardelj, On People's Democracy in Yugoslavia, New York o. J„ S. 4. Die Schrift wurde im Juli 1949 in Belgrad veröffentlicht.

  5. Diese Ansicht äußerte Kardelj durchaus in Übereinstimmung mit der jugoslawischen Führung in einem Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter in Jugoslawien am 5. Juni 1945, dessen Protokoll die sowjetische Führung in ihrem Brief vom 4. Mai 1948 veröffentlichte.

  6. Z. K. Brzezinski, Der Sowjetblock. Einheit und Konflikt, Köln/Berlin 1962, S. 59.

  7. Eine pointierte Zusammenfassung aus jugoslawischer Sicht gibt Mosa Pijade, Das Märchen von der sowjetischen Hilfe für den Volksaufstand in Jugoslawien, Belgrad 1950. Wenngleich in polemischer Absicht geschrieben, enthält die Broschüre viele vertrauliche Dokumente, an deren Echtheit kaum zu zweifeln ist. Ihre Quintessenz wird zudem durch die inzwischen veröffentlichten Dokumente (s. o.) bestätigt. Siehe auch W. Roberts, Tito, Mihailovic and the Allies, Rutgers 1973, und V. Dedijers Tito-Biographie, S. 176 ff.

  8. Eine detaillierte Beschreibung der Wirtschaftsbeziehungen enthalten Dedijers Erinnerungen, a. a. O„ S. 69 ff.

  9. über die Methoden sowjetischer Stellen in Jugoslawien vgl. Dedijers Tito-Biographie, a. a. O., S. 250 ff.

  10. Text in: Neue Welt, Nr. 13/1946, S. 3 ff.

  11. Vgl. F. Fejtö, Die Geschichte der Volksdemokratien, Bd. I, Graz/Wien/Köln 1972, S. 201 ff.

  12. Neben der in Anmerkung 3 genannten Literatur siehe auch A. B. Ulam, Expansion and Coexistence. The History of Soviet Foreign Policy 1917— 1967, New York 1968, S. 461 ff., der eine knappe Zusammenfassung bringt. Vgl. auch die Darstellung der Ereignisse durch W. Hildebrandt in: Osteuropa-Handbuch, Jugoslawien, Köln 1954, S. 137 ff.

  13. Dimitroffs Vorstoß wurde in ungewöhnlich scharfer Form von der „Pravda“ am 28. Januar kritisiert; über die Gespräche der nach Moskau beorderten Spitzen der jugoslawischen und bulgarischen KP berichtet M. Djilas, Gespräche mit Stalin, Frankfurt a. M. 1962, S. 217 ff.

  14. Am 22. Februar brach die Sowjetunion die Verhandlungen über die Wirtschaftsbeziehungen ab, am 18. März wurden die Militärexperten, einen Tag später die Zivilexperten in die UdSSR zurückberufen. Am 27. März begann der schriftliche Schlagabtausch.

  15. Nationalisierung der letzten Reste des Kleinhandels und der Dienstleistungen, Verschärfung der Politik gegenüber den Bauern, Säuberung der Volksfront von „bürgerlichen Elementen“.

  16. Diesen Passus enthält der Brief des ZK der KPJ vom 13. April 1948, zit. nach: S. Clissold, a. a. 0, S. 175. wisch-sowjetischen Beziehungen auch S. Clissold, a. a. O„ und F. Oldenburg, Konsens und Dissens in den jugoslawisch-sowjetischen Beziehungen, in: Beiträge zur Konfliktforschung, 3/1977, S. 77 ff. Oldenburgs Einteilung der historischen Entwicklung der Beziehungen in bislang vier Zyklen mit wechselndem Konsens und Dissens trägt zwar der Interdependenz zwischen Entwicklung des Weltkommunismus und jugoslawisch-sowjetischen Beziehungen Rechnung, stellt aber eine weitgehend einseitige Abhängigkeit her, die der spezifischen inneren Dynamik in den Beziehungen zu wenig Gewicht beimißt. Zudem betont die Einteilung in Zyklen den Phasenwechsel in Übereinstimmung und Konflikt, nicht aber in gleichem Maße ihre Ambivalenz.

  17. Auch hierüber sind die Auffassungen über die Beweggründe der öffentlich geäußerten Hoffnung auf eine Versöhnung geteilt. Die jugoslawische Führung erklärte es im Nachhinein zu einer rein taktischen Maßnahme, westliche Beobachter vermuten, „Titos Glauben an die tieferen Einsichten der Sowjetführung blieb ungebrochen" (J. K. Hoensch, a. a. O., S. 54). Über die Politik Jugoslawiens nach 1948 siehe auch B. Farell, Yugoslavia and the Soviet Union 1948— 1956, Hamden 1956.

  18. Zum Ablauf der Prozesse und der sie begleitenden Kampagnen vgl. F. Fejtö, a. a. O., S. 272 ff.; stellvertretend für die späteren Enthüllungen: J. Pelikan (Hrsg.), Das unterdrückte Dossier. Bericht der Kommission des ZK der KPTsch über politische Prozesse und Rehabilitierungen in der Tschechoslowakei 1949— 1968, Wien 1970.

  19. Für übergreifende Darstellungen der jugoslawischen Gesellschaftsstruktur siehe R. K. Furtak, Jugoslawien. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Hamburg 1975; K. -D. Grothusen (Hrsg.), Südosteuropa-Handbuch, Bd. I, Jugoslawien, Göttingen 1975; B. Horvat, Die jugoslawische Gesellschaft. Ein Essay, Frankfurt 1972.

  20. Nach 1950 faßten mehrere jugoslawische Führer, vor allem Pijade, Kardelj, Djilas und Dedijer, die Kritik an der inneren Entwicklung der UdSSR zu der These zusammen, das sowjetische System sei zum Staatskapita’ismus degeneriert, die Führung der KPdSU zu einer bürokratischen Clique. Vgl. dazu vor allem E. Kardelj, Socialistika demokratija, Beo-grad 1952, und M. Djilas, Die neue Klasse. Eine Analyse des kommunistischen Systems, Wien/München 19763. Der einzig wesentliche, aber äußerst folgenschwere Unterschied bestand darin, daß Djilas der jugoslawischen Führung eine ähnliche Entartung für den Fall prophezeite, daß sie kein Mehrparteiensystem zuließe. Nach der „Versöhnung“ mit Moskau und insbesondere nach dem XX. Parteitag wurde von offizieller Seite die These vertreten, die Sowjetunion habe „zahlreiche negative Folgen eines solchen Systems ziemlich radikal liquidiert" (E. Kardelj, Die Wege der Demokratie in der sozialistischen Gesellschaft, Köln, Frankfurt 1979, S. 65) und die öffentliche Diskussion über das Wesen der Sowjetunion eingedämmt

  21. Wortlaut der Deklarationen deutsch in: I. Reuter-Hendrichs, Jugoslawische Außenpolitik 1948 bis 1968. Außenpolitische Grundsätze und internationale Ordnungsvorstellungen, Köln/Berlin/Bonn/München 1976, S. 346 ff.

  22. Der erste Einmarsch der UdSSR wurde ausdrücklich verurteilt, die zweite Intervention aber billigte Tito mit dem Argument, das sowjetische Eingreifen habe einen Bürgerkrieg, den Untergang des Sozialismus in Ungarn und vielleicht sogar einen dritten Weltkrieg verhindert. Vgl. dazu I. Reuter-Hendrichs, a. a. O., S. 165, und die Wertung S. 334 f., die zu Recht auf den Widerspruch der Stellungnahme zu den jugoslawischen Prinzipien hinweist.

  23. Zur Entwicklung der außenpolitischen Konzeptionen siehe I. Reuter-Hendrichs, a. a. O., S. 131 ff. und S. 207 ff.; für übergreifende Darstellungen siehe LNord, Nonalignment and Socialism. Yugoslav Foreign Policy in Theory and Practice, Stockholm 1974, und L. Mates, Nonalignment. Theory and Current Policy, Belgrad 1972.

  24. Am 17. September 1964 trat ein Abkommen provisorisch in Kraft, das die Teilnahme Jugoslawiens an RGW-Aktivitäten regelte. Jugoslawien arbeitete Anfang der siebziger Jahre in 12 der insgesamt 24 RGW-Kommissionen mit, lehnte aber den Mitgliedsstatus ab.

  25. F. Oldenburg, a. a. O., S. 96, weist zu Recht darauf hin, daß Titos Engagement vor allem der Furcht vor einer Schwächung der blockfreien Länder und den Folgen einer ägyptischen Niederlage entsprang, die die Sowjets ihrer Militärbasen im Mittelmeerraum beraubt und auf Jugoslawien zurückgeworfen hätte.

  26. Vgl. zur Abgrenzung des Konzepts der Blockfreiheit von den Konzepten der „Neutralität" und der „Äquidistanz" V. Matthies, Die Bewegung der Blockfreien. Entwicklung — Probleme — Perspektiven, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 37/79, S. 35 ff. Ebenso wichtige Hinweise auf den Unterschied von Balance und Gleichgewicht gibt P. Bender, Jugoslawien zwischen den Blöcken, in: C. Gneuss/K. D. Grothusen (Hrsg.), a. a. O., S. 93: „Balance heißt dagegen, die Gewichte je nach Lage und Partner, also unterschiedlich und wechselnd, verteilen. Manche Irritation im Westen wie im Osten wäre den Betroffenen erspart geblieben, wenn sie diese simple Notwendigkeit verstanden und immer im Auge behalten hätten."

  27. Vgl. dazu J. G. Reißmüller, Jugoslawien und der sowjetische Kommunismus, in: Europa-Archiv 1969, S. 737 ff.

  28. Wortlaut der Resolutionen in: Yugoslav Survey, November 1968, und Review of International Alfairs, 5. September 1968, zit nach: S. Clissold, a. a. 0„ S. 295 ff.

  29. Vgl. dazu B. Meissner, Die „Breschnew-Doktrin", Köln 1969, ferner R. K. Furtak, Die Aktionskategorien der sowjetischen Außenpolitik im Lichte der „Breschnew-Doktrin“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 39/1970, S. 3 ff.

  30. Im Dezember 1971 wurde die kroatische Partei-spitze wegen „Nationalismus“, im Oktober 1972 die serbische wegen „Liberalismus“ abgesetzt; der slowenische Regierungschef wurde wegen „Technokratismus“, der mazedonische Parteisekretär wegen „personeller Bereicherung“ gestürzt — letzterer hatte Tito vor zu großer Annäherung an die UdSSR gewarnt. Außenminister Tepavac trat im November 1972 aus Protest gegen Titos Führungsstil zurück. 1973 folgten weitere Säuberungen in Montenegro, Slowenien und Mazedonien, im Januar 1974 das Lehrverbot für acht neomarxistische Professoren und Assistenten aus dem Kreis um die Zeitschrift „Praxis". Vgl. D. Rusinow, The Yugoslav Experiment 1948— 1974, London 1977, S. 309 ff.

  31. Tito leiteten dabei ähnliche Überlegungen wie schon 1967 (siehe Anmerkung 27). Nach Aviation Week & Space Technology vom 22. 10. 1973, zitiert nach: Sowjetunion 1973. Innenpolitik, Wirtschaft, Außenpolitik, München 1974, S. 142, räumte Jugoslawien der US-Luftwaffe die gleichen Überflugmöglichkeiten für Versorgungsflüge zwischen der Bundesrepublik und Israel ein.

  32. Vgl. dazu insbesondere M. Steinkühler, Einheit und Vielfalt des Kommunismus in Europa, in: Außenpolitik, 4/76, S. 379 ff., und H. Timmermann, Das Tauziehen um eine Konferenz der europäischen Kommunisten, in: Europa-Archiv, 2/1976, S. 35 ff. Für die jugoslawischen Positionen siehe A Grlitkovs Stellungnahmen in: Kommunist, 1. Dezember 1975, und Borba, 24. Februar 1977.

  33. Siehe zum Besuch Breschnews D. Schlegel, Jugoslawiens Unabhängigkeit von Moskau, in: Außenpolitik, 2/1977, S. 177 ff.

  34. Tanjug vom 16. 12. 1976 schilderte ausführlich die Polemik zwischen dem sowjetischen Parteiorgan „Kommunist" und der Belgrader „VeCerne Novosti" um den Begriff der Blockfreiheit, der seitdem regelmäßig Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen

  35. Vgl. Wissenschaftlicher Dienst 1/2, 1979, S. 12 ff.

  36. J. K. Hoensch, a. a. O„ S. 464.

  37. Vgl. Süddeutsche Zeitung, 3. Juni 1980.

  38. Vgl. zu den jugoslawischen Reaktionen auf die Ereignisse in Polen W. Erps, Jugoslawien: . Nicht schlecht für den Sozialismus — im Gegenteil', in: Osteuropa, 2/81, S. 155ff.

  39. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. März 1980.

  40. Vgl. ebda., 16. Februar 1981.

  41. Vgl. Financial Times, 12. Dezember 1980, und Handelsblatt, 24. November 1980.

  42. Vgl. D. Wilson, Tito s Yugoslavia, Cambridge 1979, S. 257.

  43. Vgl. die Abgrenzung der jugoslawischen Sozialismus-Konzeption vom sowjetischen Einparteiensystem in: E. Kardelj, a. a. O., S. 61 ff. Trotz der Abgrenzung bleibt die Auffassung Kardeljs über die innere Entwicklung der Sowjetunion offensichtlich bewußt verschwommen, zumindestens zwiespältig. Die Widersprüchlichkeit ist um so auffälliger, als verschiedene jugoslawische Autoren — darunter vor allem die oben bereits erwähnte Gruppe um die Zeitschrift „Praxis“ — aus marxistischer Sicht auf hohem theoretischem Niveau stehende Analysen der sowjetischen Gesellschaft vorgelegt haben. Siehe dazu insbesondere S. Stojanovic, Kritik und Zukunft des Sozialismus, München 19702, S. 41 ff. Der Autor weist alle Auffassungen zurück, die die sowjetische Gesellschaft als sozialistisch kennzeichnen, einschließlich der Theorie vom bürokratisierten Sozialismus, und entwickelt die These von der „Degeneration der Oktoberrevolution in ein neues, ausbeuterisches Klassensystem", das er in bewußter Gegenüberstellung zum Sozialismus und Kapitalismus; als Etatismus charakterisiert

  44. Im Oktober 1975 bestätigte Henry Kissinger auf Sulzbergers Anfrage hin, daß die Sowjetunion noch nie den USA gegenüber die Versicherung ausgesprochen habe, in keiner Weise nach Titos Tod gegen Jugoslawien vorzugehen. Vgl. dazu International Herold Tribune, 11. Juli 1980.

  45. Vgl. I. Reuter-Hendrichs, a. a. O„ S. 321; außerdem die Thesen von GrliCkov in Borba vom 24. Fetige Abhängigkeit her, die der spezifischen inneren Dynamik in den Beziehungen zu wenig Gewicht beimißt. Zudem betont die Einteilung in Zyklen den Phasenwechsel in Übereinstimmung und Konflikt, nicht aber in gleichem Maße ihre Ambivalenz.

  46. Kommunist, Mai 1963, zit. nach: S. Clissold, a. a. O., S. 291.

  47. Vgl. Fejtö, a. a. O„ Bd. II, S. 135 ff.

  48. Vgl. J. K. Hoensch, a. a. O., S. 234 ff.

  49. Vgl. Sowjetunion 1978/79, Ereignisse, Probleme, Perspektiven, München, Wien 1979; zu der rumänischen Reaktion auf den Einmarsch in Kambodscha siehe insbesondere Wissenschaftlicher Dienst Süd-osteuropa, 1/2, 1979, S. 15 ff.

  50. Internationale Politik, 728-9/1980, S. 24.

  51. Siehe zum Besuch in der ÖSSR ebda., S. 21; zum Besuch in der DDR vgl. Frankfurter Rundschau, 15. Februar 1980.

  52. Vgl. Süddeutsche Zeitung, 20. November 1980.

  53. Zur historischen Entwicklung siehe insbesondere E. Barker, Macedonia. Its Place in Balkan Power Politics, London 1950; J. Kuehl, Föderationspläne im Donauraum und in Ostmitteleuropa, München 1958; zur Bedeutung der Makedonien-Frage für Jugoslawiens Verhältnis zu den Nachbarländern siehe Macedonian Nationalism and the Communist Party of Yugoslavia, Washington 1954.

  54. Vgl. Internationale Politik, a. a. O.

Weitere Inhalte

Magarditsch Hatschikjan, M. A., geb. 1951 in Sofia; Studium der Germanistik und Osteuropäischen Geschichte an der Universität Düsseldorf; Lehrer.