Im Vergleich zur Beschäftigung mit der Geschichte des Nationalsozialismus in den fünfziger und sechziger Jahren gibt es heute eine weitaus intensivere Auseinandersetzung, die nicht erst mit der Ausstrahlung der „Holocaust" -Serie begonnen hat Sie ist durch diese Serie zwar verstärkt worden, aber schon in den Jahren vorher fand das Thema sowohl in Jugendgruppen als auch in der Erwachsenenbildung zunehmend Aufmerksamkeit -Ein besonderes Interesse gilt dabei der Geschichte der eigenen Region. Jugendliche wollen sich vergegenwärtigen, wie in ihrer Stadt, ihrer Gemeinde die nationalsozialistische Herrschaft Fuß faßte, wie Menschen in ihrer Nähe damals verfolgt und verschleppt wurden und welche Konsequenzen aus diesen Erfahrungen nach 1945 gezogen wurden.
Der Themenkomplex „Widerstand und Verfolgung“ nimmt hierbei einen wichtigen Platz ein. So rekonstruierten geschichtswissenschaftliche „Laien“ die unmittelbare Vorgeschichte ihrer Gemeinden und machten der Erinnerung, dem Andenken und dem Lernen für uns wieder zugänglich, was Historiker und Verantwortliche in der politischen Bildung aufzudekken oft nicht energisch genug betrieben hatten: Wo stand die Synagoge in unserem Ort, wieviel Juden gab es hier und wo leben sie heute, leben sie überhaupt noch? Wo war der Sammelplatz für die Deportationstransporte, an dem die Leute morgens auf dem Weg zu ihren Arbeitsstätten vorbeigingen? Wo sind die überwachsenen Gräber der von den Sonderge. richten Verurteilten; sprechen deren Richter heute noch Recht, und war Recht, was sie damals sprachen? Wer wurde in den Monaten nach der Machtergreifung verhaftet? War hier nicht ganz in der Nähe ein Lager; ist dieser Platz bebaut, vergessen, verwildert?
Bei solchen Nachforschungen wurde z. B. offenbar, daß einer der ersten und 1933 größten Lagerkomplexe — die sogenannten Emslandlager bei Papenburg — heute zum Teil wieder als Strafgefangenenlager dient. Die vorhandenen Gedenktafeln geben keinen Eindruck von dem Ausmaß der bis 1945 dauernden Verfolgung, Erniedrigung und dem Versuch der Gegenwehr. Die Anschauung, die dieser Ort mit seinen z. T. noch erhaltenen Lagereinrichtungen vermitteln könnte, wird nicht genutzt, um begreifbar zu machen, was 1933 geschah. Vergessen zählt mancherorts mehr als Erinnern. Dabei ist dieses Lager nur ein Beispiel. Hamburg-Neuengamme, Ulm-Kuhberg, Walldorf bei Frankfurt, Niederhagen-Wewelsburg ließen sich ebenso nennen, wo ehemals Verfolgte und geschichtlich interessierte Laien herausgefunden haben, daß wichtige Bestandteile unserer jüngsten Geschichte, die bis in die Alltagsdebatten heutiger politischer Diskussionen nachwirkt, zu rekonstruieren sind. Oft haben sie sogar erfahren, daß der Versuch, ihre Feststellungen öffentlich zu machen, selbst Gegenstand einer Auseinandersetzung wurde — einer Auseinandersetzung, die zeigt, daß die Beurteilung des Nationalsozialismus und sein „Erinnerungswert" für uns immer noch kontrovers ist
I. Die Herausforderung, sich zu erinnern
Die Geschichte des Nationalsozialismus ist Zeitgeschichte im eigentlichen Sinne des Wortes: Geschichte der Zeitgenossen. Wer die Erforschung dieser Geschichte konkret in seinem eigenen Lebensumkreis betreibt, stößt auf Kontinuitäten. Er entdeckt, daß der nationalsozialistische Alltag bis in die Schule, den Sportverein, in die Gespräche der Familie hineinreichte; daß Entscheidungen bei Verhaltensweisen erzwungen wurden, die zuvor Selbstverständlichkeiten schienen: Hitler-Gruß oder „Guten Morgen"? Er erfährt, wie schwer es war, sich den neuen Gewohnheiten und Forderungen zu entziehen; wie Personen und Institutionen von ihnen geprägt wurden, die heute wieder zu Ansehen gelangt sind und sich durch die Fragen und Forschungen der Jüngeren verunsichert fühlen; sie versuchen, sich den Kontinuitäten zu entziehen und antworten ausweichend oder rechtfertigen sich. Damit beginnt die Kontroverse, denn nicht Rechtfertigung wird gesucht, sondern Verstehen. Hierfür ein Beispiel:
In einer Stadt des Lipper Landes, die eine lange historische Tradition hat, beginnt eine Jugendgruppe, die im Umgang mit historischen Akten nicht geübt oder ausgebildet ist, aus dem Interesse heraus, die Leitbilder ihrer Eltern besser zu verstehen, die Geschichte eines ehemaligen Bürgermeisters zu erforschen. Dieser war nach 1945 posthum zum Ehrenbürgermeister ernannt worden, da er wegen seines Versuches, die Stadt kampflos den amerikanischen Truppen zu übergeben und damit die Bürger vor weiteren Opfern und wertvolle Gebäude vor der Zerstörung zu bewahren, von der SS ermordet worden war. Sie erfahren, daß er im Vollzug seines Amtes als Bürgermeister in der Zeit von 1933 bis 1945 oft im Sinne nationalsozialistischer Politik gehandelt hatte. So war er als Leiter der Ortspolizeibehörde für Deportationen jüdischer Bürger mitverantwortlich. Ist dieser Bürgermeister nun das „richtige“ Leitbild?
Alte Bürger sprechen sich engagiert dagegen aus, die Erinnerung an ihren „Heldenbürgermeister“ zu trüben. Was er getan hat, hätte er tun müssen. In ihrer Erinnerung hat er keine Gewalttaten der Nationalsozialisten unterstützt, sondern eher mäßigend gewirkt. Aber die Frage der Jugendlichen bleibt, ob eine Schule weiterhin seinen Namen tragen soll und warum die Schüler bisher nicht die ganze Geschichte, sondern nur ihren letzten, dramatischen Teil gehört hätten. Bisher ist der Streit noch unentschieden, die Geschichte der Stadt unter dem Nationalsozialismus noch nicht erarbeitet
Hier soll es nun darum gehen, wie ein besseres Verständnis für solche Vorgänge während der Naziherrschaft gefördert werden kann. Ich will die vorhandenen Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen machen und fragen, wie weit sie in ihrer bestehenden Form geeignet sind, hierzu beizutragen. Daher werde ich einen Überblick über bestehende Gedenkstätten geben und zum Schluß Vorschläge zu deren weiteren Ausbau entwickeln. Dabei sollen besonders diejenigen Aufgaben berücksichtigt werden, welche die Gedenkstätten für die Jugend-und Erwachsenenbildung haben könnten.
Die Beschäftigung mit diesem Thema ist auch 35 Jahre nach der Niederlage des Nationalsozialismus noch notwendig: Erstens wissen wir, daß die Kenntnisse über den Nationalsozialismus bei vielen Jugendlichen unzureichend sind; wenn aber die jüngere Generation durch eigene Forschungen ihre Kenntnisse verbessern will, stößt sie z. T. auf Unverständnis. Zweitens haben sich die Fragestellungen und die Interpretationsmuster für die Behandlung des Nationalsozialismus in der politischen Bildung geändert. Die Konzeptionen in der Bildungsarbeit über den Nationalsozialismus sind keineswegs festgelegt, obwohl das Thema in der Jugendbildung (weniger in der Erwachsenenbildung) stets eine wichtige Rolle gespielt hat. Sie müssen gerade angesichts neonazistischer Anschläge und der erwähnten Unsicherheit in der Beschäftigung mit der eigenen (Vor-) Geschichte neu überdacht werden. Ich werde daher auch auf den Wandel eingehen, dem Fragestellungen und Methoden bei der Erforschung und Vermittlung unserer Kenntnisse über den Nationalsozialismus unterworfen sind. Hierfür wähle ich das Beispiel des Widerstandes, weil es umstritten ist, inwieweit die Erinnerung an die Aktivitäten aller Widerstandsgruppen von öffentlichen Institutionen gepflegt werden soll.
II. Der Wandel der Erinnerung am Beispiel von Widerstand und Verfolgung
Zu den Trägern des Widerstandes gehörten vor allem illegale Gruppierungen und einzelne Menschen aus der Arbeiterbewegung, den Kirchen und dem Militär. Gruppen aus der Arbeiterbewegung, also Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, zählten von Anfang an zu den Gegnern des Nationalsozialismus. Der Widerstand aus kirchlichen Kreisen blieb in den ersten Jahren noch vereinzelt. Erst seit den späten dreißiger Jahren und vor allem seit Kriegsbeginn läßt sich auch von einem organisierten kirchlichen Widerstand sprechen, über verschiedene Stadien mit einem ersten Schwerpunkt 1938 entwikkelte sich der militärische Widerstand, der im Attentat vom 20. Juli 1944 kulminierte.
Im Krieg erweiterte sich der Widerstand aus der Arbeiterbewegung auf Gruppierungen, in denen auch bürgerliche Kräfte zu finden waren. Auch unter den zahlreichen Zwangsarbeitern aus den besetzten Gebieten entstanden Widerstandsgruppen, deren Hauptziel die Sabotage von Produktionseinrichtungen war. Neben diesen relativ fest umrissenen, bewußten Widerstandskreisen bildete sich ein weiterer Bereich von weniger entschiedenen Gegnern heraus, deren Verhalten vor allem dadurch gekennzeichnet ist, daß sie sich in bestimmten Bereichen nationalsozialistischen Herrschaftsansprüchen — zumeist auf individuellem Weg — entzogen (Verstöße gegen das Heimtücke-Gesetz, Nachlassen der Arbeitsdisziplin u. ä.)
Die Geschichte des Widerstandes ist in der Bundesrepublik zeitlich im Gegensatz zu seiner historischen Entwicklung behandelt worden: Bis in die sechziger Jahre hinein bildete der militärische und bürgerliche Widerstand um Beck, Stauffenberg, Gördeler und den Kreisauer Kreis den Schwerpunkt der historischen Forschung; ihm wurden die meisten Publikationen gewidmet, die Geschichtskenntnisse und -bewußtsein prägten. Führende Historiker sahen in diesen Gruppen die bedeutendsten Träger des Widerstandes Dann gründeten die Kirchen eigene Kommissionen die umfangreiche Buchreihen über ihre Aus. einandersetzung mit dem Nationalsozialismus vorlegten Intellektuellengruppen wie die „Weiße Rose“ an der Münchener Universität wurden zum Schulbuchbeispiel des WiderStandes aus der Jugend. Erst 1969 veröffentlichte die Friedrich-Ebert-Stiftung die ersten umfangreichen Studien, die vor allem den Widerstand aus der Arbeiterbewegung in der Zeit von 1933— 1935 berücksichtigten
So standen zwei Jahrzehnte lang gerade solche Gruppen im Vordergrund, deren Angehörige 1933 oft noch zu den Förderern des nationalsozialistischen Systems gehört hatten. Ihr Widerstand wurde deshalb auch nicht als einer begriffen, der gegen zentrale Herrschaftsziele gerichtet war, wie z. B. die Ausschaltung der Organisationen der Arbeiterbewegung, sondern der eher „Übertreibungen“ des Systems (statt bei der Diskriminierung der Juden haltzumachen, sie tatsächlich zu vernichten; statt „erfüllbare“ Gebietsansprüche zu stellen, einen Mehrfrontenkrieg zu führen) und der dessen totalen Machtanspruch auf alle Gesellschaftsschichten bekämpfte.
Dieser Forschungsprozeß wirkte nachhaltig auf die Schulen wie auf die Institutionen der politischen Bildung. Der Arbeiterwiderstand blieb in Gedenkfeiern, Filmen und Publikationen weitgehend ausgeklammert.
Eine solche Entwicklung war durchaus nicht selbstverständlich, sondern liegt in der Ge-schichte unseres Staates begründet. Wie im folgenden kurz gezeigt wird, war man sich in den ersten Jahren des Wiederaufbaus nach dem Krieg des Arbeiterwiderstandes in der Öffentlichkeit durchaus noch bewußt und der Kreis um Stauffenberg galt keineswegs unangefochten als der Repräsentant deutschen Widerstandes. Ehemalige Widerstandskämpfer aus der Arbeiterbewegung hatten wichtige Funktionen bei der Wiedergründung der politischen Institutionen in den Besatzungszonen inne.
Als z. B. im Herbst 1946 Angehörige von Opfern des 20. Juli eine staatliche Unterstützung zu erlangen suchten, lehnte dies der Zonen-beirat — das damalige höchste deutsche Gremium in der englischen Besatzungszone — einstimmig ab, und zwar mit der Begründung, daß die Konspirateure meist lange Zeit mit den Nazis sympathisiert und sich erst gegen Hitler gerichtet hätten, als der Krieg als verloren angesehen werden mußte. Kein geringerer als Konrad Adenauer brachte diese Begründung vor
Erst mit der Wiederaufrüstung änderte sich diese Einschätzung, da nun der militärische Widerstand eine positive Traditionslihie für die entstehende Bundeswehr bildete. An diesem Wandel der Einschätzung des militärischen Widerstands wird deutlich, daß die offizielle Erinnerung an bestimmte historische Traditionen nicht nur wegen eines der Tat zugeschrieben moralischen Wertes gepflegt wird, sondern daß sie auch der Legitimation der jeweiligen Politik dient.
Auch die Zeithistoriker gehen nicht ausschließlich nach den „inneren" Kriterien ihres Gegenstandes vor, wenn sie ihre Forschungsinteressen bestimmen; sie selbst sind von herrschenden Ideologien nicht unbeeinflußt. Durch die Betonung des bürgerlichen Widerstandes rechtfertigten so führende Vertreter der westdeutschen Geschichtswissenschaft die bürgerliche Rekonstruktionsphase der Bundesrepublik. In der Zeit der Westintegration und der Wiederaufrüstung begründeten sie für die Führungsschichten der jungen Republik eine Tradition der NS-Gegnerschaft, die sich zudem von der Widerstandsforschung in der DDR und der dort besonders herausgehobenen „antifaschistischen" Tradition des Arbeiterwiderstandes abhob.
Der Wandel zu Beginn der siebziger Jahre ist mehrfach begründet. Als die Sozialdemokraten in die Bundesregierung eintraten, rückten neue Aspekte in den Vordergrund. Bundeskanzler (zuerst noch Vizekanzler) Brandt war selbst in der Emigration gewesen und deshalb — u. a. vom früheren Bundeskanzler Adenauer — angegriffen worden. Zweitens hatte die Studentenbewegung die antifaschistische Tradition aus der Nachkriegszeit wiederentdeckt und historische Forschungen hierzu angeregt, die nun auch die politische Bildung beeinflußten. Damit trat aber ein Konflikt verschärft zutage, der bis heute nicht gelöst ist. Je mehr der Beitrag zum Widerstand aus der Arbeiterbewegung in den Blickpunkt rückte, desto weniger konnte die umfang-und verlustreiche illegale Tätigkeit der Kommunisten verschwiegen werden. Die Erinnerung an ihren Widerstand stieß wiederum auf Legitimationsgrenzen. So konnte sich z. B. im letzten Jahr der Hamburger Senat nicht dazu entschließen, auf einer Gedenktafel die Opfer des Nationalsozialismus aus der Hamburger Bürgerschaft namentlich zu nennen: zu viele Kommunisten waren unter ihnen. Weil Sozialdemokraten und Kommunisten in der Weimarer Republik politische Gegner waren und auch heute noch unterschiedliche Zielvorstellungen über eine menschenwürdige Gesellschaft haben, darf nicht daran erinnert werden, daß sie — als die Menschenwürde nichts galt — einen gemeinsamen Gegner hatten und z. T. auch gemeinsam handelten. Mit der jetzigen Tafel im Hamburger Rathaus wird Geschichte eher entstellt als offengelegt. Den Zeitgenossen fehlt der Mut zur historischen Wahrheit.
Gerade der Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist aber denkbar ungeeignet, zur geschichtlichen Legitimation nur einer Gruppe zu dienen; denn weder Sozialdemokraten oder Kommunisten, noch Bischöfe, Pfarrer und Gemeindemitglieder, noch die „Offiziere gegen Hitler" allein konnten die nationalsozialistische Herrschaft stürzen. So erscheint mir eine wichtige Lehre aus dem Widerstand für uns heute, daß der gemeinsame Gegner von damals auch heute als ein gemeinsamer anerkannt werden muß — bei aller Un-17 terschiedlichkeit der politischen Motive damals wie heute.
Die Erkenntnis über die Verschiedenheit der Ziele und Vorgehensweisen der Gruppen, die am Widerstand beteiligt waren, hat in den letzten Jahren zwar zugenommen, das (zu) allgemeine Lernziel in der politischen Bildung, das diese Differenzierung nicht berücksichtigt, ist aber das gleiche geblieben: zu zeigen, daß man erkennen konnte, daß das nationalsozialistische Regime verbrecherisch war und daß sich deswegen Menschen diesem Regime widersetzten.
Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, warum dies einige erkannt, andere aber nicht erkannt bzw. nicht zum Widerstand gefunden haben. Erst wenn wir wissen, unter welchen Voraussetzungen z. B.der Gewerkschafter Leuschner, der Bischof Galen und der Offizier Stauffenberg zum Widerstand gekommen sind, können Gemeinsamkeiten wie Unterschiede in der Einschätzung des Nationalsozialismus und in den politischen Vorstellungen über den Neuaufbau nach dessen Über-windung gewichtet werden. Erst damit wird eine vollständige Beurteilung des Widerstandes erreicht.
Mußten sich schließlich sowohl die Wissenschaft wie politische Institutionen dazu durchringen, bei der Würdigung des Widerstandes nicht nur Teilwahrheiten zuzulassen, so geht es jetzt darum, bei der Befragung der Zeitzeugen und der Rekonstruktion der „Geschichte vor Ort" die Unterstützung der Verfolgtenorganisationen anzunehmen, über die noch Zeugen erreichbar sind und die sich vielfach selbst um die Erhaltung von Quellen zu Widerstand und Verfolgung bemüht haben. Zu den wichtigsten dieser Verbände gehört die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (WN), die 1947 von Verfolgten unterschiedlicher weltanschaulicher Lager gegründet wurde, aus der sich aber während des „Kalten Krieges" viele Bürgerliche und Sozialdemokraten zurückgezogen haben (bzw. durch Unvereinbarkeitsbeschlüsse ihrer Parteien dazu angehalten wurden).
Wer sich an die Verfolgtenverbände wendet, sei es die WN, die Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten oder andere, um mit den Kenntnissen der ehemals Verfolgten z. B. ein Stück Stadtgeschichte für eine Ausstellung zu rekonstruieren, der wird auf unterschiedliche Interpretationen und Schwerpunktsetzungen treffen. Ob die Zusammenarbeit gelingt, wird sich nicht von vornherein sagen lassen; daß sie gelingen kann, dafür gibt es bereits Beispiele wie die Ausstellung „Antifaschistischer Widerstand 1933— 1945 in Niedersachsen", in deren Kuratorium neben der WN u. a. die Evangelische Landeskirche Hannover vertreten ist. Diese Ausstellung wurde inzwischen in mehreren Städten Niedersachsens gezeigt. In Nordhorn wurde sie durch 45 weitere Tafeln ergänzt, die besonders dem kirchlichen Widerstand in dieser Region gewidmet waren. Ein örtlicher Initiativkreis, dem auch Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten angehörten, hatte diese zusätzliche Arbeit unternommen. Die Stadt hatte aber dennoch die ihr angebotene Trägerschaft über die Ausstellung abgelehnt, obwohl sogar die örtliche Presse „politische Neutralität" bescheinigte
Es scheint mir wichtig, auf diese Kontroversen aufmerksam zu machen. Wenn wir uns vor unserer eigenen Geschichte scheuen, kann das Vorhaben, uns und andere an die Opfer zu erinnern, die die nationalsozialistische Herrschaft gekostet hat, nicht gelingen.
Jede Kategoriesierung der Opfer des Nationalsozialismus erweist sich als unzureichend und problematisch, da die nationalsozialistische Herrschaft mit ihrem Terror soweit in die deutsche Gesellschaft und die der besetzten Länder eingriff, daß sich keine Schicht isolieren läßt, die gänzlich ohne Opfer geblieben ist. Dennoch gibt es Gruppen, die stärker als andere betroffen waren. Ihrer sollte auch besonders gedacht werden.
Bisher ist vom Widerstand gesprochen worden. Die meisten Opfer mußten aber nicht diejenigen tragen, die sich selbst als Gegner des Systems ansahen, sondern diejenigen, die vom System zum Gegner erklärt wurden, ohne daß sie diese Gegnerschaft von vornherein teilten. Dies sind vor allem die Opfer der pseudowissenschaftlichen Erb-und Rassenlehre: die jüdische Bevölkerung, die Zigeuner und die Behinderten. In der Erinnerung an ihr Schicksal und an das weiterer kleinerer Verfolgtengruppen wie den Homosexuellen oder den Nicht-seßhaften wird offenbar, wie umfassend der Zugriff nationalsozialistischer Organe auf einzelne 'Gesellschaftsgruppen und wie breit dementsprechend die Mittäterschaft gewesen ist Die Verfolgung der Nichtseßhaften fand Unterstützung im alten, aus der Weimarer Republik übernommenen Apparat der Kriminalpolizei; die Ermordung von geistig und körperlich Behinderten wurde von Ärzten befürwortet und mitgetragen Die Verfolgungsgeschichte gesellschaftlicher „Randgruppen" war oft nach dem Kriege noch nicht zu Ende, da Vorurteile und Diskriminierung anhielten. Die Geschichtswissenschaft hat sich diesen Gruppen bisher nur in wenigen Untersuchungen zugewendet, so daß Schwierigkeiten bestehen, ihren Verfolgungsweg hinreichend zu dokumentieren.
III. Aufgaben der Gedenkstätten
In vielfachen Formen erinnern Gedenkstätten heute an die Opfer des Nationalsozialismus. Bei der einfachsten Form einer Gedenkstätte wird allein auf die Tatsache hingewiesen, daß der Nationalsozialismus Opfer gefordert hat: So erinnert eine Gemeinde z. B. durch eine Schrifttafel oder mit einem Mahnmal an ihre deportierten jüdischen Mitbewohner. Namen der Opfer werden genannt, aber es wird keine weitere Erklärung für ihr Schicksal gegeben. Oft ist solch ein Mahnmal nur eine besonders bezeichnete Grabstätte, die vor allem den Angehörigen die Möglichkeit des Gedenkens geben soll. Deshalb wird hier auch versucht, an jeden Toten einzeln zu erinnern. Beim Betrachter wird entweder vorausgesetzt, daß er die Geschichte des Opfers kennt, oder daß er das Mahnmal zum Anlaß nimmt, sich nach der Geschichte der Verfolgten andernorts zu erkundigen. In sehr vielen Gemeinden, nahezu in jeder Region sind Einzel-oder Massengräber mit einfachen Gedenksteinen dieser Art zu finden. An den bedeutenderen veranstalten Verfolgtenverbände oder die Gemeinden Gedenkfeiern, um die Erinnerung an die Geschichte der Opfer wachzuhalten und deutlich zu machen, daß aus ihrer Geschichte gelernt werden soll. Damit erhält die Gedenkstätte eine politische Aufgabe.
Ich will mich im folgenden mit solchen Gedenkplätzen beschäftigen, in deren Gestaltung diese politische Aufgabe mit einbezogen wurde. Neben der Erinnerung an das Opfer soll die Gedenkstätte also auch dessen Geschichte darstellen und eine Erklärung dafür geben, warum es zu diesem Opfer kam.
Eine Gedenkstätte in diesem Sinne wird also drei Funktionen berücksichtigen: — an die einzelnen Opfer zu erinnern, — Betroffenheit hervorzurufen, — sachliche Aufklärung zu leisten.
Der Gestalter einer Gedenkstätte verwendet, je nachdem, welche Funktion er hauptsächlich oder ausschließlich erfüllen will, unterschiedliche Darstellungs-und Ausdrucksmittel. Durch ein Grabkreuz oder eine Fotografie kann versucht werden, an das einzelne Opfer zu erinnern. Durch künstlerische Gestaltung und Wiederholung bestimmter Individualisierungen wird oft versucht, den Massentod zu verdeutlichen und Betroffenheit zu erregen. Die sachliche Aufklärung wird indessen ohne schriftliche Zeugnisse, Dokumente und ähnliches nicht auskommen. Es gibt heute — freilich zumeist im Ausland — bereits gute Beispiele, wie ein künstlerisch eindrucksvolles Mahnmal, welches die Gesamtheit der Opfer ehrt, mit einer Individualisierung und Dokumentation verbunden wird. Ich denke z. B. an Yad Vashem in Jerusalem, wo es innerhalb einer großen Gedenkstätte ein Archiv gibt, das sich bemüht, die Lebensdaten jedes einzelnen unter der nationalsozialistischen Herrschaft umgekommenen Juden zu dokumentieren. Das Archiv ist dabei auf die Mitarbeit der Angehörigen, aber auch der Gemeinden angewiesen, die durch ihre Informationen zur Vervollständigung der Gedenkstätte beitragen.
IV. Übersicht über die Gedenkstätten
Die größeren Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland wurden am Ort des Geschehens, an das sie erinnern, eingerichtet, also an ehemaligen Hinrichtungsstätten, Gefängnissen oder Konzentrationslagern. Daher beziehen sie sich auf einen bestimmten Kreis der Opfer, der im Mittelpunkt von Erinnerung und Dokumentation steht.
Nur zwei Gedenkstätten erfüllen die geforderten drei Funktionen. Es sind dies die Gedenkund Bildungsstätte Stauffenbergstraße in Berlin und die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau. Um dies zu erläutern, soll auf die Geschichte beider Anlagen eingegangen werden. Zuvor ist allerdings zu sagen, daß auch im Ausland unter günstigeren politischen Voraussetzungen erst in den sechziger Jahren Gedenkstätten mit einer umfassenden Dokumentation entstanden sind. Es bedurfte offenbar überall erst einer gewissen Zeit, um Dokumente über Verfolgung und Widerstand zu sammeln, aufzubereiten, materielle Mittel bereitzustellen und die Aufmerksamkeit von der unmittelbaren Rekonstruktion des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens, das in allen vom Krieg betroffenen Ländern stark zerstört worden war, auf die Rekonstruktion der Geschichte zu lenken.
Gedenk-und Bildungsstätte Stauffenbergstraße, Berlin Die Berliner Gedenkstätte ist im besonderen denjenigen gewidmet, die das Attentat am 20. Juli 1944 vorbereitet und durchgeführt haben oder mit dem Kreis der Verschwörer in Verbindung standen. (1952 wurde außerdem im Gefängnis Berlin-Plötzensee, wo zahlreiche der im Zusammenhang mit dem 20. Juli Verhafteten hingerichtet worden waren, ein Mahnmal errichtet.) 1954 wurde im Hof des ehemaligen Oberkommandos der Wehrmacht, das die Schaltstelle der Attentäter gewesen war und wo die Hauptbeteiligten unmittelbar nach dem Scheitern standrechtlich erschossen worden waren, ein Denkmal eingeweiht. Erst 1968 entstand eine Gedenkstätte im Sinne der genannten Anforderungen. Ihr Hauptbestandteil ist seitdem eine Dokumentation „Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus", in der der 20. Juli den zentralen Platz einnimmt. Schon der Name zeigt an, daß über das Gedenken hinaus Informationen über den Entstehungsgrund der Widerstandsbewegung gegeben und in die politische Bildung mit einbezogen werden. Die Ausstellung gibt einen kurzen Überblick über die kriegerische Expansion des Nationalsozialismus und führt in die Entwicklung und Motivation des militärischen Widerstandes ein. Ein Raum der Ausstellung ist dem Thema „Berlin im Widerstand" gewidmet, so daß hier neben der zentralen Bedeutung, die der 20. Juli für den gesamten Widerstand hatte, auch ein regionaler Bezug für die Berliner Besucher hergestellt wird.
Die Gedenkstätte verfügt über (freie) pädagogische und wissenschaftliche Mitarbeiter, so daß sie Führungen und Vorträge veranstalten kann. Die Mittel für die Ausstellung werden weitgehend vom Bund getragen -Es ist geplant, den wissenschaftlichen Stab zu erweitern, für den Planstellen geschaffen werden sollen, so daß kontinuierlich Seminare über den Widerstand angeboten werden können. Die Ausstellung soll ergänzt werden, um den Gesamtwiderstand umfassender darzustellen. Mit der Gedenkstätte Stauffenbergstraße ist die Gedenkstätte Plötzensee verbunden. Etwa 2 400 Gegner des Nationalsozialismus sind hier hingerichtet worden. Der Hinrichtungsraum ist erhalten. Einzelne Prozeßakten, die beispielhaft das Vorgehen der NS-Justiz aufzeigen, werden ausgestellt. Eine Begleitbroschüre dient zur weiteren Information der Besucher (1978 fast 350 000) Die Gedenkstätte bietet also schon heute eine Verbindung von Mahnmal, historischer Darstellung des Widerstandes und eine Würdigung individueller Träger, da der Kreis der Widerstandskämpfer um den 20. Juli überschaubar ist. Zu unterstüt-zen sind die Ausbaupläne, damit die Einordnung des 20. Juli in die allgemeine Geschichte des Widerstandes gemäß den heutigen Kenntnissen vorgenommen werden kann. Dabei sollte auch die Darstellung über Berlin, das ein Zentrum des Widerstandes war, erweitert werden, um den regionalen Bezug zu verstärken. Die wissenschaftliche und insbesondere die publizistische Arbeit der Gedenkstätte wird unterstützt von der „Forschungsgemeinschaft 20. Juli", einem 1973 gegründeten Verein, dessen Gründungsmitglieder zumeist persönliche Bindungen zum Widerstandskreis hatten. Die Forschungsgemeinschaft will Veröffentlichungen und Forschungen über den Widerstand unterstützen. Gerade für den Zweck einer Übersicht über die bestehenden Gedenkstätten wäre es nützlich, wenn die Forschungsgemeinschaft ihr Vorhaben fertigstellen könnte, eine Dokumentation über den „Widerstand im Spiegel der Politik" zu erarbeiten
Konzentrationslager-Gedenkstätte Dachau Die Konzentrationslager-Gedenkstätte Dachau wurde erst 1964 eingerichtet. Vorher sind die Bestrebungen, das ehemalige Lager-gelände als Gedenkstätte zu erhalten, staatlich nicht gefördert worden. Im Gegenteil: Offiziell wurde eher versucht, die Erinnerung an den Lagerort Dachau auszulöschen. In Dachau befand sich eines der ersten Konzentrationslager überhaupt und das einzige, das von 1933 bis 1945 bestand. Die Stadien von Verfolgung und Widerstand lassen sich an der Geschichte der Dachauer Häftlinge also umfassend darstellen. Dachau unterstand als erstes Lager dem SS-Reichsführer Himmler. Von hier aus baute er das reichseinheitliche System der Lager auf. Hier versuchte Himmler, die Häftlinge zum Nutzen der SS arbeiten zu lassen und den Kreis der KZ-Häftlinge über die politischen Gegner auch auf mehrfach Straffällige, Landstreicher und Bettler auszudehnen, wie dies später die Regel wurde. Viele der KZ-Kommandanten begannen hier ihre „Karriere". Dachau war ein Modell für viele der späteren Lager. Statt der 2 000 Häftlinge aus dem Jahre 1933 waren zur Zeit der Befreiung 1945 fast 70 000 Häftlinge dort untergebracht, davon mehr als die Hälfte in sogenannten Außen-kommandos,die während des Krieges gegründet worden waren. Hier arbeiteten die Häftlinge zumeist in der Rüstungsindustrie, darunter bei so bekannten Firmen wie BMW und den Zeppelinwerken.
Nach dem Krieg hielten die Amerikaner in Dachau kurzzeitig SS-Leute gefangen. Dann wurden in den Baracken des alten Lagers Flüchtlinge untergebracht. Daß das ehemalige Lager nicht überhaupt für andere Zwecke verwendet oder ganz abgerissen wurde, ist im wesentlichen ehemaligen Häftlingen zu verdanken, die sich 1955 zu einer internationalen Lagergemeinschaft zusammenschlossen (Comite International de Dachau) und sich die Erhaltung der Überreste zur Aufgabe setzten. Das ehemalige Krematorium richteten sie als Gedenkplatz her, denn bisher bestand noch nicht einmal für die Angehörigen oder die überlebenden eine Möglichkeit, der Toten zu gedenken. Das Komitee sorgte auch in weiterer Eigenarbeit dafür, daß diesem Gedenkplatz 1961 ein kleines Museum angegliedert wurde. Erst dann gelang es, die Unterstützung der Bayerischen Landesregierung zu erhalten, die nach den Plänen des Komitees das Lagergelände übernahm und als Gedenkstätte im umfassenden Sinn einrichtete. Der Träger ist nunmehr das Land Bayern (wahrgenommen durch die Bayerische Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen). Der Freistaat Bayern hat sich gegenüber dem Komitee verpflichtet, grundsätzliche Änderungen in der Ausgestaltung der Gedenkstätte nur bei gegenseitigem Einverständnis vorzunehmen. Hier stellt sich die Frage, wer an die Stelle des Komitees treten könnte, wenn von den ehemaligen Häftlingen keiner mehr lebt.
Von den Lagerbauten ist nach der Auflösung des Flüchtlingslagers nur noch ein Teil erhalten, so daß die Anschaulichkeit relativ gering ist. Erhalten bzw. rekonstruiert sind u. a. die Mauer mit Stacheldraht, Eingang, Gebäude der SS-Verwaltung, zwei Häftlingsbaracken. Auf dem Gelände befinden sich künstlerisch gestaltete Mahnmale. Die zeitgeschichtliche Aufklärung wird vor allem durch die reichhaltige Dokumentationsausstellung geleistet, die einen Überblick über die Geschichte des Lagers, seine Einordnung in das Konzentrationslagersystem und die nationalsozialistische Herrschaft bietet. In den letzten Jahren ist neben der Ausstellung ein Archiv und eine Bibliothek aufgebaut worden, die zur Zeit über 5 000 Bände umfaßt. Im Archiv befinden sich vor allem Fotos, Dokumente und Berichte sowie Zeitungsausschnitte zur Geschichte des Dachauer Lagers, zunehmend auch zu der anderer Konzentrationslager. Besonders zu erwähnen ist eine Sammlung von Interviews mit ehemaligen Häftlingen. Es ist ein Film über das Lager vorhanden, ein Führer in verschiedenen Sprachen sowie ein Gesamtkatalog, von dem seit seinem Erscheinen 1978 bereits fast 50 000 Exemplare verkauft worden sind (deutsche Ausgabe 25 000, englische Ausgabe 23 000; eine französische und eine russische Ausgabe sind in Vorbereitung) In Diskus-sions-und Arbeitsräumen kann die Besichtigung vor-bzw. nachbereitet werden. Das Archiv steht für eigene Nachforschungen zur Verfügung. Die Besucherzahlen verzeichnen steigende Tendenz, dabei wächst ebenso wie in Berlin der Anteil der deutschen Besucher.
Trotz dieser relativ reichhaltigen Ausstattung gibt es Probleme: Die Gedenkstätte verfügt über keine wissenschaftlichen Mitarbeiter, so daß der Aufbau des Archivs nur unter großen Anstrengungen vorgenommen werden kann. Desto höher sind die hier erreichten Leistungen zu bewerten, die bereits eine wissenschaftliche Nutzung ermöglichen (so wurde das Archiv 1979 für fast 20 wissenschaftliche und künstlerische Arbeitsvorhaben benutzt). Durch eine solche Nutzung kann das Wissen über den Kreis der Besucher hinaus wesentlich erweitert werden. Die Rekonstruktion der Lagereinrichtungen ist zweifellos ungenügend, um einen Eindruck von der Lagerausstattung zu geben. Hier geben andere Gedenkstätten wie z. B. Mauthausen in Österreich oder Auschwitz in Polen mehr Informationen. Als besonders nützlich erweisen sich Führungen durch ehemalige Häftlinge. Hier ist die Gedenkstätte überfordert, da zur Zeit nur noch eine, bisweilen zwei Personen für solche Führungen zur Verfügung stehen. Exkursionen von Schulklassen nach Dachau werden vom Land bezuschußt und zeigen eine überdurchschnittlich steigende Tendenz. Es ist bedauerlich, daß für die Vorbereitung solcher Besuche keine pädagogischen Begleitmaterialien zur Verfügung stehen. Gegenwärtig erstellt zu dem Film über das Lager eine Projekt-gruppe im Auftrag der niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung Begleitmaterialien, die eine Bearbeitung des Themas „Konzentrationslager" ab Sekundarstufe I ermöglichen sollen Die Landesregierung hat jetzt drei Lehrer mit zwei Dritteln ihres Deputats für die Betreuung von Schulklassen abgeordnet.
Anders als in Berlin geht es in Dachau nicht um eine überschaubare Zahl von Verfolgten bzw. Widerstandskämpfern, deren individuelle Rolle sich unschwer herausheben läßt, sondern um große Gruppen, denn insgesamt wurden mehr als 200 000 Häftlinge nach Dachau eingeliefert Schautafeln in der Ausstellung machen das Schicksal verschiedener Gruppierungen deutlich, insbesondere auch der ausländischen und jüdischen Häftlinge; doch wäre es sicherlich wichtig, dies noch durch die Darstellung einzelner „Lebensläufe“ von Häftlingen zu ergänzen, um konkret verstehbar zu machen, wie schrecklich Leben und Sterben im Lager verbunden waren und wie sich dennoch Häftlinge gegen die SS auflehnten.
Weitere Gedenkstätten Alle weiteren Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland, die zur Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft angelegt sind, erfüllen das dritte und in umserem Zusammenhang wichtigste Kriterium der Information und Ursachenklärung nur ansatzweise oder nicht. Sie sind auch von den erhaltenen Überresten her so wenig anschaulich, daß m. E. nicht mehr von einer Gedenkstätte im definierten Sinn gesprochen werden kann. Das gilt auch für die weiteren Konzentrationslagergedenkstätten Neuengamme, Flossenbürg (im Bayerischen Wald) und Bergen-Belsen (in der Lüneburger Heide bei Celle). Hämburg-Neuengdmme Das am Rande der Millionenstadt Hamburg gelegene Neuengamme dürfte bis vor kurzem, seitdem der Ausbau des vorhandenen Mahnmals diskutiert wird, vielen Bürgern der Stadt unbekannt gewesen sein. Das Mahnmal, das sich auf einem Teil des ehemaligen Lagergeländes befindet, wird durch eine kleine Dokumentation mit einem Lagermodell ergänzt, die in einem Raum des Bergedorfer Schlosses untergebracht ist und vom Bezirksamt Hamburg-Bergedorf verwaltet wird. Die Ausstellung ist Anfahrtspunkt der „alternativen Stadtrundfahrt" des Landesjugendringes in Hamburg.
Schon durch die räumliche Trennung von Mahnmal und Ausstellung kann nicht von einer einheitlichen Gedenkstätte gesprochen werden. Es ist nicht möglich, das Leben eines einzelnen Häftlings im Lager nachzuvollziehen. Von einer Ursachenerklärung kann nur im beschränkten Maß die Rede sein. Inzwischen wird im Auftrag des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg auf dem Gelände der jetzigen Gedenkstätte ein Dokumenten-haus aufgebaut. Die Konzeption für die Ausstellung steht noch nicht endgültig fest, doch wird die ursprünglich angezielte Beteiligung der Verfolgtenverbände und der Hamburger GEW, die Unterrichtsmaterialien zum Neofaschismus und Nationalsozialismus vorgelegt hat, wohl nicht verwirklicht werden
Bergen-Belsen In Bergen-Belsen bestand von 1940 bis April 1943 ein Lager für sowjetische Kriegsgefangene, als der Komplex an die SS überging, die hier das sogenannte „Aufenthaltslager Bergen-Belsen" einrichtete, in dem Juden untergebracht wurden, die Himmler offenbar gegen im Ausland internierte Deutsche „austauschen" wollte. Doch seit 1944 wurden hierhin auch erschöpfte Häftlinge aus den Konzentrationslagern gebracht, die dort nicht mehr arbeiten konnten. Bergen-Belsen entwickelte sich damit zu einem Sterbelager, im Jargon der SS ein „Erholungslager". Im Dezember 1944 erhielt es die offizielle Bezeichnung „Konzentrationslager". Es mußte nun zahlreiche Evakuierungstransporte aus Lagern aufnehmen, die bereits in den Frontbereich gekommen waren, ohne in ausreichendem Maße über Versorgungsmöglichkeiten zu verfügen.
Die englischen Truppen, die das Lager am 15. April 1945 befreiten, wurden hier zum ersten Male mit dem furchtbaren Massensterben konfrontiert. Von 1943 bis 1945 kamen in Bergen-Belsen etwa 50 000 Häftlinge um. Die Briten haben über den Zustand des Lagers, die Bestattung der Toten und die Pflege der Überlebenden einen überaus eindrucksvollen Film gedreht, der allerdings in der heutigen Gedenkstätte nicht angeschaut werden kann, weil diese gar keine Möglichkeit zur Filmwiedergabe hat!
In Bergen-Belsen haben sich bald nach der Befreiung verschiedene Häftlingskomitees gebildet, die an der Ausgestaltung des Lagergeländes beteiligt waren. Die Engländer sahen sich allerdings gezwungen, das gesamte Lager abzubrennen, um der Seuchenverbreitung vorzubeugen, so daß bauliche Überreste heute nicht mehr vorzufinden sind. Bereits im November 1945 wurde ein jüdisches Mahnmal errichtet. Die englische Militärregierung ließ 1946 ein erstes allgemeines Mahnmal für die Opfer des Lagers aufstellen. 1952 übergab sie die Pflege der Gedenkstätte an das Land Niedersachsen. Häftlinge und Besatzungsmacht hatten hier also von Anfang an die Voraussetzung dafür geschaffen, daß zumindest das Gelände als Mahnmal erhalten blieb.
1962 legte Eberhard Kolb eine Monographie über das Lager vor, die er im Auftrag der niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung angefertigt hatte. Sie bildete die Grundlage für den Aufbau einer — im Vergleich zum von Kolb erarbeiteten Material — sehr bescheidenen Ausstellung, die 1966 eröffnet wurde, und für einen einführenden Katalog
Obwohl das Land Niedersachsen Zuschüsse für Klassenfahrten gibt, ist für eine ständige Betreuung am Ort nicht gesorgt. Da auch eine eigene Vorstellung über das Lager für den unvorbereiteten Besucher in dem parkartig angelegten Heidegelände nicht möglich ist, kann eine Exkursion zu dem relativ abgelegenen Ort nur Anstoß oder Abschluß einer vor allem am jeweiligen Unterrichtsort zu leistenden Behandlung der Lagergeschichte sein. Die Landeszentrale für politische Bildung beabsichtigt allerdings, in nächster Zeit Begleitmaterialien für den Unterricht herauszugeben. Die Bezirksregierung in Lüneburg, die die Gedenkstätte betreut, gibt die Besucherzahl mit etwa 350 pro Tag an.
Flossenbürg Das Lager Flossenbürg in der Nähe von Weiden in der Oberpfalz wurde 1938 gegründet, um mit Hilfe der Häftlingsarbeit die dortigen Granitvorkommen abzubauen. Der Größe nach blieb es gegenüber anderen Lagern eher unbedeutend; es herrschten hier aber mit die härtesten Haftbedingungen. In das Lager wurden vor allem sogenannte „kriminelle" und „asoziale" Häftlinge verschleppt. Ab 1943 wurden die Häftlinge zunehmend in der Rüstungsindustrie eingesetzt. Im Herbst 1944 arbeiteten hier z. B. mehr als 5 000 Häftlinge an der Produktion von Rüstungsgütern wie den Tragflächen und Rümpfen der Me 109
In den Jahren 1946— 1948 wurde aus der Asche, die sich noch im Krematorium befand, eine Erdpyramide aufgeworfen und eine Kapelle aus den Steinen der Lagerbauten errichtet. 1957 richtete das Land Bayern einen Ehrenfriedhof ein, der später durch eine kleine Ausstellung ergänzt wurde. Die Lagereinrichtungen sind weitgehend zerstört oder dienen jetzt anderen Zwecken. Siedlungshäuser und Industrieanlagen liegen zum Teil auf dem ehemaligen Lagergelände. Noch erhalten ist ein Teil der Bewachungsanlagen, eine Gefängnis-baracke, in der die Ausstellung untergebracht ist, und das ehemalige Krematorium. Die Besucher werden nicht betreut, allerdings kann man im Archiv der Dachauer Gedenkstätte Dokumente über Flossenbürg einsehen.
Ansätze zu einer Dokumentation und Ursachenerklärung fehlen in den weiteren, noch zu besprechenden Gedenkstätten, soweit sie mir bekannt geworden sind Die Gestaltung dieser Gedenkstätten variiert sehr stark, vom künstlerisch durchgestalteten Monument bis zu einer einfachen Gedenktafel. Die Bedeutung solcher Mahnmale für das historische Bewußtsein in einer Region ist unterschiedlich. An manchen Orten sind die Denkmäler der Bevölkerung unbekannt, an anderen finden jährlich zentrale Feiern statt. Um hinreichend Anknüpfungspunkte für die Entwicklung weiterer pädagogischer Maßnahmen gerade im regionalen Rahmen zu gewinnen, seien wenigstens einige Beispiele gegeben, wobei die Konzentrationslager wiederum besonders beachtet werden.
In der Wewelsburg\ie\ Paderborn ist ein Raum als Gedächtnisraum gekennzeichnet. Die Wewelsburg ließ Himmler im Dritten Reich als SS-Ordensburg herrichten. Häftlinge mußten die Burg nach den Plänen der SS ausbauen. Für sie wurde in der Nähe der Burg ein eigenes Konzentrationslager („Niederhagen") errichtet. Der Kreis Paderborn hat sich lange geweigert, darauf aufmerksam zu machen. Die Burgführer sind für diesen Teil der Geschichte offenbar nicht sachkundig, denn Besucher berichten sogar, daß die NS-Zeit mitunter verherrlicht würde. Der Ausbau des Gedächtnis-raumes mit einem weiteren Dokumentationsraum ist geplant, allerdings bestehen auch heute noch politische Differenzen über die Konzeption.
Im Emslandmoor, in der Nähe von Papenburg, befanden sich die Konzentrationslager Esterwegen/Börgermoor und verschiedene Justizstrafgefangenenlager, die KZ-ähnlichen Charakter hatten. Noch erhaltene Teile des Lager-komplexes werden heute nicht als Gedenkstätte, sondern von der Bundeswehr genutzt oder sind wieder in eine Justizstrafvollzugsanstalt eingegliedert. Schon um die Aufstellung von Schildern mit Hinweisen auf den Lager-komplex beim KZ-Friedhof Esterwegen hatte es Auseinandersetzungen mit der Bezirksregierung in Oldenburg gegeben. Die Bundeswehr hat jetzt auf Anregung eines Osnabrükker Schülers einen Gedenkstein für Carl von Ossietzky, der Häftling in Esterwegen war, und für im Lager verstorbene bzw. ermordete Sozialdemokraten aufstellen lassen. Die Universität Oldenburg, der DGB und die Jungsozialisten haben sich in einem Arbeitskreis zusammengetan, um sich für den Aufbau einer umfassenden Gedenkstätte einzusetzen. Bezirks-und Landesregierung scheinen bisher nur bereit, ein Konzept zu genehmigen, das etwa der jetzigen, unzureichenden Ausstattung von Bergen-Belsen entsprechen würde. Dies ist um so bedauerlicher, als der Initiativkreis bereit ist, längerfristig an der Gestaltung einer Gedenkstätte und der Entwicklung von Arbeitsmaterialien mitzuwirken
Durch eine „Stern" -Serie ist auf ein Verbrechen hingewiesen worden, das Angehörige des SS-Stabes des Neuengammer Lagers in der Hamburger Schule „Bullenhuser Damm" verübten Dort wurden kurz vor Kriegsende Kinder aus dem Lager ermordet. Angehörige und weitere interessierte Bürger statteten den Keller, in dem das Verbrechen ausgeführt worden war, zu einem kleinen Gedenkraum aus. Erst in diesem Jahr gab der Senat dafür seine offizielle Anerkennung und benannte die Schule in „Janusz-Korczak-Schule“ um Der Initiativkreis möchte gerne erreichen, daß die Schüler sich an der Pflege des Gedenkraumes beteiligen.
Der zahlreichen ausländischen Kriegsgefangenen, die während der NS-Herrschaft auf deutschem Boden umgekommen sind, wird m. W. in öffentlichen Feiern nur auf dem Gelände des ehemaligen Durchgangslagers Stukenbrock am Teuteburger Wald gedacht. Hier befinden sich Gräber und Mahnmale; jährlich wird von einem Arbeitskreis eine Gedenkfeier veranstaltet. Die Geschichte dieses Lagers, in dem wahrscheinlich mehr als 60 000 Gefangene umkamen, ist weitgehend unbekannt.
In einem Waldgelände der Bittermark hat die Stadt Dortmundern großes Mahnmal zur Erinnerung an die Erschießung von Widerstandskämpfern kurz vor Ende des Krieges errichtet. Hier findet in Zusammenarbeit mit Verfolgtenverbänden jährlich eine Gedenkfeier statt. Eine kleine Broschüre gibt Auskunft über Opfer und Täter. Im Rahmen einer Ausstellung über „Widerstand und Verfolgung in Dortmund von 1933 bis 1945", die Ende Januar 1981 eröffnet wurde, bietet die Stadt Rundfahrten zu den Gedenkstätten des Widerstandes in der Umgebung an.
Eine so bekannte, auch in den Schulbüchern erwähnte Widerstandsgruppe wie der Kreis um die Geschwister Scholl hat am Ort ihres Wirkens nur eine einfache Gedenktafel in der Münchner Universität erhalten. Auch hier finden Gedenkfeiern statt. An eine weitere Ausgestaltung des Platzes ist gedacht.
Für den breiten Kreis der Opfer gibt es also nur eine geringe Anzahl von Gedenkstätten, die Andenken und Aufklärung miteinander verbinden. Die vorhandenen großen Gedenkstätten liegen zwar an zentralen Orten (in der Nähe von München, in Berlin, demnächst in Hamburg), aber zugleich an der Peripherie der Bundesrepublik. Diese Lage der Gedenkstätten erschwert bzw. verteuert Exkursionen für Bildungseinrichtungen beträchtlich.
Im Vordergrund der Dokumentationen stehen Widerstandstätigkeit und Konzentrationslager. Beim Widerstand ist der Bereich des 20. Juli herausgehoben, andere Gruppierungen haben keine zentrale Gedenkstätte. Die Konzentrationslager sind zweifellos eines der umfassendsten Verfolgungsinstrumente des Nationalsozialismus gewesen, so daß in Dachau tatsächlich an einen weiten Kreis von Gegnern und Opfern erinnert wird. Allerdings wird hier vor allem die Verfolgungsgeschichte von Widerstandskämpfern dargestellt, nicht ihre eigentlichen Widerstandshandlungen, soweit sie sich nicht im Lager selbst entwickelten.
Der Widerstand aus der Arbeiterbewegung hat keine zentrale Gedenkstätte, gleiches gilt für die oppositionelle Arbeit der Kirchen. Der Widerstand unterhalb der organisierten Ebene wird kaum dokumentiert, was allerdings durch die schwierige Quellenlage mit-bedingt ist.
Der Massenmord an Juden und Zigeunern wird zwar in den Konzentrationslagergedenkstätten mit dokumentiert, ein eigenes Mahnmal für die Vernichtung der Zigeuner in Auschwitz besteht aber m. W. in der Bundesrepublik nirgends. Zigeuner haben in letzter Zeit versucht, durch einen Hungerstreik die Einrichtung eines Zigeuner-Kulturzentrums in Dachau zu erreichen. Nachdem der Dachauer Gemeinderat dies abgelehnt hatte, da er bestrebt sei, „der Welt den Unterschied zwischen der alten Stadt Dachau und dem von den Nazis eingerichteten KZ" deutlich zu machen, warten die Sinti, deren Organisation in dieser Frage besonders engagiert ist, auf ein Entgegenkommen der Landesregierung. Diese allerdings scheint nur dafür plädieren zu wollen, daß der Zigeunerverfolgung in der Gedenkstätte selbst ausführlicher Rechnung getragen wird
Auch die Euthanasieopfer haben bisher keine, ihre Verfolgung umfassend widerspiegelnde Gedenkstätte erhalten -Da die Verfolgungsgeschichte der Zigeuner, Behinderten, Asozialen und Homosexuellen als gesellschaftlichen „Randgruppen" bisher nur unvollkommen aufgearbeitet worden ist und der Opfer aus diesen Gruppen kaum öffentlich gedacht wird, haben sich falsche Einschätzungen über die historischen Gründe ihrer Verfolgung festsetzen können. Sie haben dazu geführt, daß ihnen oft nicht einmal der Status von NS-Verfolgten zugesprochen wird, so daß sie von materiellen Wiedergutmachungsansprüchen häufig ausgeschlossen sind. Eine Dokumentation und ein öffentliches Gedenken könnten in ihrem Falle eine ganz eminente politische Funktion erhalten, wenn dadurch aufgezeigt wird, daß sie aus rassischen oder ideologischen Gründen verfolgt wurden.
V. Anregungen für die weitere Arbeit
Gegenüber Museen sind Gedenkstätten, die an den Orten des historischen Geschehens selbst stehen, anschaulicher. Derjenige, der sich informieren will, kann sich vorstellen, daß z. B. in dieser Baracke, die er gerade betritt, zweihundert Menschen gelebt haben, daß die Leichenberge nicht irgendwo lagen, sondern hinter diesem Stacheldrahtzaun und von dem und dem Bauerngehöft oder von der und der Ortschaft einzusehen waren. Anhand der Überreste, die er findet, und den Dokumenten, die ausgestellt sind, kann er selbst zu rekonstruieren versuchen. Er kann sich in das Geschehen hineinversetzen. Diese Möglichkeit ergibt sich aber nicht von selbst, sie muß von den Gedenkstätten aufgegriffen und bei der Gestaltung beachtet werden Dieses ist oft nur durch relativ aufwendige Unterhalts-und Rekonstruktionsmaßnahmen möglich, für die u. U. eine zentrale Finanzierungshilfe gebildet werden könnte.
Die Erfahrungen in den Gedenkstätten sowohl des In-wie des Auslandes haben gezeigt, daß selbst unter optimalen Rekonstruktionsbedingungen nachhaltige Kenntnisse nur dann erzielt werden, wenn der Besuch vorbereitet wird und eine sachkundige Führung die Vor-informationenvervollständigt. Selbstverständlich darf die Führung nicht zu einem Zwang werden. Die Ausstellung muß so aufgebaut sein, daß sie jeder Besucher auch ohne Begleitung besichtigen kann. Die Dachauer Gedenkstätte ist bereits entsprechend eingerichtet. Bei ständigen Führungen besteht die Gefahr, daß sie allzu schematisch vorgenommen werden und so den Besucher eher absto-ßen als zu Fragen anregen. Aber eine Gedenkstätte ohne sachkundiges Führungspersonal wird ihre pädagogischen Aufgaben nicht erfüllen können, wie gut auch immer sie mit Sachmitteln ausgestattet ist. Erst durch Fragen und Antworten an der Gedenkstätte selbst können Abwehrreaktionen, wie sie immer wieder berichtet werden, aufgehoben und die Besucher zu ernsthaftem Nachdenken angeregt werden.
Führungen mit ehemaligen Zeugen haben sich als besonders eindrücklich erwiesen. Mit zunehmend zeitlichem Abstand werden jedoch die Möglichkeiten, Zeugen zu finden, immer geringer. In Zusammenarbeit mit örtlichen Forschungseinrichtungen und historischen Archiven sollten die Gedenkstätten daher in die Lage versetzt werden, Zeugenaussagen und zusammenhängende Interviews zu sammeln, damit sie über Film-und Tondokumente verfügen, wenn es keine Zeugen mehr gibt Diese Aufgabe ist dringend; sie sollte aber dennoch nicht aufgrund von Zeitdruck ausschließlich von Laien erledigt werden, die sich in der Sache nicht auskennen und den Wahrheitsgehalt von Zeugenaussagen nicht überprüfen können. Hier könnte wohl zuerst mit Personal-und Sachmitteln effektiv geholfen werden.
Ich habe bereits angemerkt, daß es anhand der bisherigen Dokumentationen kaum möglich ist, sich das Leben eines Häftlings im Lager vorzustellen. Der Besucher wird hier mit „unglaublichen" Zahlen konfrontiert: so starben von den ungefähr 206 000 Häftlingen, die nach Dachau eingeliefert wurden, mindestens 32 000. Man sollte versuchen, aus diesen Massenschicksalen beispielhaft einzelne Lebensläufe herauszulösen. Dies läßt sich anhand der Lagerkartei, erhalten gebliebenen Gestapoakten, Erlebnisberichten und Interviews tun.
In den kurzen Rückblicken auf die Entstehung der Gedenkstätten habe ich darauf hingewiesen, daß die Verfolgten selbst sich dafür eingesetzt haben, daß ihre Geschichte nicht in Vergessenheit gerät. Dieser Beitrag sollte stärker sichtbar gemacht werden, denn er zeigt an, daß es trotz der Millionen Toten Verfolgte gegeben hat, die zu überleben vermochten und sich die Kraft erhielten, hierüber zu berichten. Es* gibt viele unter den überlebenden, die das nach der Befreiung nicht mehr konnten und verzweifelt schwiegen Daher sollte die Anstrengung, derer es bedurfte, zu dokumentieren, was geschehen ist, gewürdigt und die Schwierigkeiten genannt werden, die zu überwinden waren und noch zu überwinden sind, um öffentliche Unterstützung für die Aufklärung über diesen Abschnitt unserer Zeitgeschichte zu erhalten.
Die Gedenkstätten sollten eine räumliche und technische Ausstattung aufweisen, die es erlaubt, Bild-und Tonmaterialien vorzuführen. Außer dem eigentlichen Besichtigungsareal sollten zumindest in der Nähe Unterrichtsräume vorhanden sein. Die größeren Gedenkstätten sollten einführende Materialien zusammenstellen, die dem Lehrer in der Schule oder in der Erwachsenenbildung eine aufwendige Unterrichtsvorbereitung ersparen. Sowohl die Dachauer wie die Berliner Gedenkstätte, die bereits Zeugen in die Führungen miteinbeziehen bzw. Nach-und Vorbereitung in eigenen Unterrichtsräumen betreiben, betonen die Notwendigkeit, solche Einrichtungen auszubauen, da auf diese Weise eine ungleich intensivere Auseinandersetzung mit dem Gesehenen zu erreichen ist. Bei allen Neuplanungen und Erweiterungen sollte dies von vornherein bedacht werden.
Zudem sollte für interessierte Besucher eine Monographie in Taschenbuchform vorhanden sein, wie dies z. B. bei den Konzentrationslager-Gedenkstätten in der DDR seit langem der Fall ist. Eine solche Arbeit kann ohne eine minimale wissenschaftliche Ausstattung nicht geleistet werden. Auch hierfür geben die Gedenkstätten im Ausland, wie Mauthausen, Buchenwald oder Auschwitz, ein Beispiel. Die wissenschaftliche Betreuung kann auch durch die institutionalisierte Zusammenarbeit mit am Ort ansässigen Universitäten oder anderen Forschungseinrichtungen geschehen. In Oldenburg ist die Bereitschaft der Universität hierfür vorhanden. In Bergen-Belsen ist die wissenschaftliche Arbeit nur unzureichend genutzt worden, obwohl gerade an Hand der Arbeit von Kolb gezeigt werden könnte, wie nützlich geschichtswisschaftliche Forschung auf praktische Ziele ausgerichtet werden kann. Um so unverständlicher muß es erscheinen, daß bisher immer noch keine Monogra-phie zum Dachauer Lager vorliegt, die den hervorragend aufgebauten Katalog der Gedenkstätte ergänzen könnte. Aus den vorhandenen Arbeiten, den Dokumentenbeständen des Instituts für Zeitgeschichte und der Gedenkstätte selbst müßte sich bald eine leicht lesbare Darstellung zusammenstellen lassen. Da sich die vorhandenen größeren Gedenkstätten auf bestimmte Institutionen der Verfolgung oder bestimmte Gruppen der Opfer des Widerstandes konzentrieren, ist es zu überlegen, ob eine zentrale, alle Opfer des Nationalsozialismus umfassende Gedenkstätte eingerichtet werden soll. Die Schwierigkeit wird hierbei aber sein, ob sich eine Verbindung zwischen dem regionalen historischen Geschehen und einer allgemeinen Information finden läßt. Andernfalls besteht die Gefahr, daß eine solche Gedenkstätte etwas Künstliches hat, statt zu echter Auseinandersetzung anzuregen, sie ein „feierlicher Ort" bleibt, der als Alibi dienen könnte, daß nun genug getan worden sei und die regionalen Ansätze, die hier mehrfach erwähnt worden sind, nicht mehr unterstützt werden. Schon aus materiellen Gründen könnte eine zentrale Gedenkstätte — da für sie erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt werden müßten — leicht in Konkurrenz mit dem notwendigen Ausbau bestehender oder der Neueinrichtung von Gedenkstätten mit nur regionaler Bedeutung kommen. Nur wenn dies ausgeschlossen werden kann, erscheint es mir sinnvoll, an einem Konzept für eine solche zentrale Gedenkstätte zu arbeiten.
Bei den größeren Gedenkstätten sollte man davon ausgehen, daß dem Besucher ein möglichst umfassendes Bild von der Verfolgung und dem Widerstand vermittelt wird und detaillierte Vorinformationen gegeben werden. Gleiches für regionale Gedächtnisstätten anzustreben, würde wahrscheinlich nicht nur jeden finanziellen Rahmen sprengen, sondern auch pädagogische Möglichkeiten verschütten, die der regionale Bezug bietet. Für die Förderung regionaler Vorhaben muß deshalb ein anderer Ausgangspunkt gewählt werden.
In der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus haben sich Initiativen gebildet, die bereit sind, an der Gestaltung von regionalen Ausstellungen und Mahnmalen mitzuwirken. Gewerkschaften, Jugendverbände, einzelne Schulen und Verfolgtenverbände haben sich bisher schon als erfolgreiche Träger solcher Initiativen erwiesen, die Material sammeln, Zeugen aufsuchen und Dokumentationen zusammenstellen Zweifellos ist der pädagogische Erfolg solch eigener Forschungs-und Gestaltungsarbeit sehr viel höher zu bewerten als die bloße Aufnahme von noch so anschaulichen Informationen. Allerdings wird eine solche Arbeit auf die Dauer nur effektiv sein und über die beteiligten Gruppen hinaus Bedeutung haben, wenn sie fachkundig unterstützt wird.
Die Betreuung regionaler Initiativen könnte von großen Gedenkstätten aus, von einer zentralen Arbeitsgruppe z. B. in der Bundeszentrale für politische Bildung (falls der Kulturföderalismus dies nicht erlaubt, müßten die Landeszentralen eingeschaltet werden) oder aber von einer noch einzurichtenden zentralen Gedenkstätte geleistet werden. Hilfen, wie man Interviews führt, zum Aufbau einer Dokumentation, zur Benutzung eines Archivs, zur Einführung in die allgemeine Geschichte des Nationalsozialismus, sollten dabei entwickelt werden. Die Orte ehemaliger Konzentrationslageraußenstellen, Gestapogefängnisse, Akten der Stadtarchive oder lokale Zeitungen bieten Ausgangspunkte, um die eigene Vorgeschichte am jeweiligen Ort zu erforschen. Aus einer solchen Arbeit können ständige Ausstellungen hervorgehen, die entweder von den jeweiligen Arbeitsgruppen selber betreut oder schließlich dem Stadtarchiv übergeben werden, bis ein zusammenhängendes Bild vom Alltag unter dem Nationalsozialismus am Ort entsteht, zu dem auch Widerstand und Verfolgung gehörten
Ein solches Programm wird von Ort zu Ort mit unterschiedlicher Intensität betrieben werden und sich über mehrere Jahre erstrecken müssen. Die Unterstützung von außen müßte gewährleisten, daß das Produkt einer solchen Arbeit stets eine öffentlich zugängliche Dokumentation oder Erinnerungsstätte ist. Solch ein Vorgehen birgt zweifellos höhere politische Risiken, als wenn statt dessen nur der Gemeinderat oder die Landesregierung klar umgrenzte Auftragsarbeiten vergeben würden. Aber die Auseinandersetzungen um die Einrichtung der Gedenkstätte in Wewelsburg oder um die Gestaltung der Gedenktafel für die Opfer der Hamburger Bürgerschaft zeigen, daß auch durch einen öffentlichen Auftrag die Kontroverse darüber nicht vermieden werden kann, in welcher Form der Opfer des Nationalsozialismus gedacht werden soll
Viele der hier genannten Ansätze sind in die Konzeption der Ausstellung „Widerstand und Verfolgung in Essen 1933— 1945" bereits aufgenommen worden. Da die Ausstellung in der renovierten alten Synagoge in Essen erst im November 1980 eingeweiht worden ist, kann sie hier noch nicht ausführlich besprochen werden. Stadtverwaltung, Verfolgtenverbände und Universität haben hier mit vielen anderen zusammengewirkt, um eine „Ausstellung von Bürgern für Bürger", wie es im Katalog heißt, fertigzustellen. Die Bürger haben durch unerwartet zahlreichen Besuch gezeigt, daß sie dieses Konzept annehmen.
Um regionale Initiativen anzuregen und der Diskussion um deren Förderung Material zu geben, ist es sicherlich wünschenswert, einen detaillierten Überblick über die bestehenden Gedenkstätten sowie über die dringendsten Ausbauvorhaben zu erhalten. Dies könnte in Form einer Publikation geschehen, die eine Übersicht über die Informationsmöglichkeiten in den bisherigen Gedenkstätten enthält und am Beispiel einer Stadt, die genügend Material bietet (z. B. Köln, Hamburg oder Berlin), in einer Bestandsaufnahme aller dort vorhandenen Gedenkstätten, Mahnmale und Ausstellungen die vielfachen Formen der Erinnerung veranschaulicht. Ferner sollte die Publikation auf die wichtigsten Archive für die Geschichte des Nationalsozialismus und deren Zugänglichkeit hinweisen. Parallel hierzu könnte ein Rahmenkonzept für die Unterstützung örtlicher Initiativen und die weitere Entwicklung der bestehenden großen Gedenkstätten ausgearbeitet werden.