Nicht viel mehr als ein Postulat
Bei der Erörterung der Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten bewegt man sich hinsichtlich einschlägiger Rechtstexte auf unsicherem Boden. Vergeblich wird man sowohl in den Römischen Verträgen als auch in der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments selbst nach Bestimmungen suchen, die etwas darüber aussagen. Es gibt eine Bestimmung über die Verbindung der Gemeinschaft mit dem Europarat: Art. 230 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft setzt fest, daß „die Gemeinschaft jede zweckdienliche Zusammenarbeit mit dem Europarat herbeiführt". Dieser Artikel ist aus Gründen, die hier unerörtert bleiben können, lange Zeit Papier geblieben, erfuhr aber in letzter Zeit gewisse Realisierungen auf der mehr technischen Ebene. Auf der politischen Ebene waren viele Jahre hindurch die gemeinsamen Tagungen des Europäischen Parlaments und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Höhepunkte des europäischen Lebens in Straßburg, besonders in den sechziger Jahren, als der relativ schnelle Erfolg der EG, der sich unter anderem in der Abkürzung von Übergangszeiten ausdrückte, seine Attraktion auf die nicht der Gemeinschaft angehörenden Mitgliedsstaaten und deren Parlamentarier ausübte. Die Bedeutung dieser Tagungen ging dann schrittweise zurück. Ob sie tatsächlich, wie Grabitz/Läufer fordern, abgeschafft werden sollten, ist eine Frage, mit der sich die be-teiligten Versammlungen noch werden auseinandersetzen müssen.
Bei allen Versuchen, ein Beziehungsgefüge zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament zu schaffen, ist man über die Ebene der Postulate noch nicht weit hinausgekommen. Auch die einschlägige Literatur hat sich mit diesem Thema bisher nicht sehr eingehend befaßt. Selbst in dem erwähnten 700seitigen Standardwerk Grabitz/Läufer über das Europäische Parlament ist nur auf zwei oder drei Seiten von diesen Beziehungen die Rede, und im wesentlichen wird dort über die Bemühungen der Präsidenten der Europäischen Versammlungen auf diesem Gebiet berichtet
Das Thema der transnationalen Verbindung wird schon seit vielen Jahren diskutiert. Als die Direktwahl in das Bewußtsein der europäischen Öffentlichkeit rückte, erhielt es eine neue Aktualität, da sich die Möglichkeit der Auflösung der durch das Doppelmandat gegebenen unmittelbaren Verbindung abzeichnete. Das Europäische Parlament hat — in größeren Abständen — immer wieder einen Anlauf genommen und sich mit dem Problem auseinanderzusetzen versucht: Konkrete Lösungsvorschläge sind aber erst in allerneuester Zeit gemacht worden, nachdem sich vor allem die Parlamentspräsidentenkonferenzen mehrfach in Form detaillierter Stellungnahmen geäußert hatten.
Gesamtverantwortung für die europäische Einheit
Wenn weder in den Römischen Verträgen noch in der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments von irgendwelchen Formen der Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten die Rede ist, drängt sich die Frage auf, ob denn überhaupt politische Verbindungen zwischen den Gremien anzustreben sind. Sie sind ganz zweifellos unter mehreren Gesichtspunkten erforderlich.
Den allgemeinsten Grund, der für enge trans-nationale Beziehungen spricht, hat einer der Architekten der europäischen Einigung, Hans Furier (CDU/CSU), Präsident der Gemeinsa-men Versammlung (1966— 1968) und des Europäischen Parlaments (1970— 1972), in einem schon im Jahre 1963 erstatteten Bericht über die Zuständigkeiten und Befugnisse des Europäischen Parlaments folgendermaßen formuliert „Zunächst liegt eine gemeinschaftliche Verantwortung der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments für die Weiterentwicklung der europäischen Einheit vor, die zu beachten ist."
Das heißt also, daß die nationalen Parlamente — auch seit der Konstituierung des neuen Europäischen Parlaments — keineswegs aus ihrer europäischen Verantwortung entlassen sind, sondern im Rahmen ihrer nationalen Aufgabenstellung weiter an der Verwirkli. chung des europäischen Einigungswerks mitwirken müssen, eben in enger Kooperation mit dem Europäischen Parlament. Die nationalen Parlamente sind ja auch weiterhin ex officio mit den großen europäischen Fragen befaßt wie z. B.dem Beitritt weiterer Staaten zur Gemeinschaft (Ratifizierung der Verträge), mit den in Zukunft zu treffenden Entscheidungen über die der Gemeinschaft zufließenden Mittel oder über künftig zu treffende Entscheidungen über die geplante Europäische Währungsunion.
Politische Bedeutung der Kooperation
Schon dieser allgemeine Grund würde enge Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten rechtfertigen. Es gibt aber noch eine Reihe weiterer Gründe, die hierfür sprechen. Es kann dem Europäischen Parlament z. B. nicht gleichgültig sein, welche nationalen Politiken auf den verschiedenen Sachgebieten, für die es zuständig ist, getrieben werden. Es kann ihm etwa nicht gleichgültig sein, wie die nationale Verwirklichung von Richtlinien aussieht, bei deren Entstehung es sich im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens der Gemeinschaft stellungnehmend geäußert hat, oder was mit den von ihm den nationalen Parlamenten übermittelten Entschließungen geschieht. Es kann auch für die nationalen Parlamente von großer Bedeutung sein, über die Entwicklungen in der Gemeinschaft schnellstmöglich informiert zu werden. Der regelmäßige Austausch von entsprechenden Sachinformationen kann in seiner Bedeutung gar nicht überschätzt werden.
Dies hat der Gesetzgeber in der Bundesrepublik Deutschland schon im Jahre 1957 erkannt und im „Gesetz zu den Verträgen zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft" vom 25. März 1957 folgende grundsätzliche Regelung getroffen: „Die Bundesregierung hat Bundestag und Bundesrat über die Entwicklungen im Rat der Europäischen Wirt
Schaftsgemeinschaft und im Rat der Europäischen Atomgemeinschaft laufend zu unterrichten. Soweit durch den Beschluß eines Rates innerdeutsche Gesetze erforderlich werden oder in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar geltendes Recht geschaffen wird, soll die Unterrichtung vor der Beschlußfassung des Rates erfolgen."
über diesen Art. 2 des Einführungsgesetzes ist schon viel Papier beschrieben worden; es hat sich mittlerweile herausgestellt, daß diese Gesetzesvorschrift nicht so sehr dazu bestimmt sein kann, fehlende Befugnisse des Europäischen Parlaments auf dem nationalen Terrain zu ersetzen. Ihr Wert liegt vielmehr in einer umfassenden Information des Bundestages über die Entwicklung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Die ungesichtete und unterschiedslose Vorlage wichtiger und unwichtiger Vorgänge führte allerdings mit Recht im Laufe der Zeit zu Protesten, so daß sich der Gesetzgeber genötigt sah, der Papierflut zu steuern.
Im Jahre 1977 ist eine neue und vernünftige Regelung getroffen worden, die sich in § 93 der neuen Geschäftsordnung des Bundestages vom Juli 1980 folgendermaßen darstellt „EGVorlagen gemäß Artikel 2 des Gesetzes zu den Verträgen zur Gründung der EWG und EURATOM überweist der Präsident im Benehmen mit dem Ältestenrat an die zuständigen Ausschüsse. Ihre Titel werden in eine Sammelübersicht aufgenommen, die als Bundestagsdrucksache verteilt wird und aus der ersichtlich ist, welchen Ausschüssen die Vorlagen überwiesen wurden. Eine EG-Vorlage wird nur dann als Bundestagsdrucksache verteilt wenn der federführende Ausschuß dem Bundestag einen über die Kenntnisnahme hinausgehenden Beschluß empfiehlt.“ Damit ist sichergestellt, daß tatsächlich nur politisch relevante Vorlagen dem Hause zugeleitet werden. Dieses Verfahren hat sich bewährt. Seine Grenze liegt nach wie vor in der Tatsache, daß Vorlagen bereits vom Rat der Gemeinschaft verabschiedet sein können, ehe der Bundestag Stellung genommen hat. Dies ist besonders in Anbetracht dessen bedauerlich, daß das deutsche Ratsmitglied im Falle der rechtzeitig übermittelten Empfehlung des Bundestages über einen Rückhalt in seiner Verhandlungsposition verfügt.
Notwendigkeit enger interparlamentarischer Beziehungen
Ein Schulbeispiel für die Bedeutung der gegenseitigen Information ist das in der „Europäischen Zeitung“ vom Mai 1980 unter der Überschrift „Was der Müll an den Tag brachte“ behandelte Thema „Forschungs-und Entwicklungsprogramm der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Rückgewinnung von Industrie-und Hausmüll“. Im Laufe des langwierigen und sich über Jahre erstreckenden Entscheidungsprozesses in dieser Frage fand nämlich der Forschungs-und Technologieausschuß des Deutschen Bundestages heraus — er war im Rahmen des erwähnten Einführungsgesetzes unterrichtet worden —, daß die Zahl der in den Mitgliedsstaaten bereits existierenden Forschungsvorhaben ausreiche und ein europäisches Programm auf diesem Gebiet überflüssig sei. Er machte Vorschläge, wie das bereits vorhandene nationale Fachwissen im Sinne einer Kooperation innerhalb der Gemeinschaft in diese eingebracht werden könne. Der Vertreter der Bundesregierung vertrat — entsprechend einer Empfehlung des Deutschen Bundestages — im Ministerrat diese Linie, und das Programm besteht nun zum überwiegenden Teil aus einer konzertierten Aktion, bei der nationale Forschungsvorhaben auf Gemeinschaftsebene koordiniert werden. Die Einschaltung des Fachausschusses des Deutschen Bundestages brachte eine nicht unerhebliche finanzielle Ersparnis mit sich. Es ist erlaubt, diesem Beispiel eine gewisse Allgemeingültigkeit zuzuschreiben
Die Einschaltung der nationalen Parlamente kann, ganz allgemein gesprochen, das Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft verbessern, da das Einbringen des nationalen Fachwissens sehr oft zur Vermeidung von Doppel-arbeit und damit zu einer Senkung der Kosten führt.
Dabei darf jedoch ein Risiko nicht übersehen werden: Die Befassung der nationalen Parlamente mit der Gesetzgebung der Gemeinschaft ist, in welcher Form auch immer, in den Römischen Verträgen nicht vorgesehen. Eine Mitwirkung der nationalen Parlamente, die über den Austausch des Fachwissens, wie oben erwähnt, hinausginge, könnte zu einer sozusagen zentrifugalen Wirkung auf die Gesetzgebung der Gemeinschaft führen, d. h„ der nationale Einfluß käme in einer von den Verträgen nicht vorgesehenen und daher nicht angemessenen Weise zum Tragen. Erforderlich wäre, daß dem Kontrollorgan, das über die entscheidenden Befugnisse noch nicht verfügt, diese Befugnisse übertragen werden, und dies ist eben das Europäische Parlament. Bei dem Versuch, dem Europäischen Parlament diese Gesetzgebungs-und Kontrollbefugnisse zuzuweisen, sind die nationalen Parlamente in einer ausschlaggebenden Position.
Damit sind wir bei einem weiteren Gesichtspunkt angelangt, der für die Entwicklung enger politischer Verbindungslinien zwischen dem Europäischen Parlament und seinen Kollegialparlamenten spricht. Niemand anders als der Rat der Europäischen Gemeinschaft kann, wie in der Vergangenheit mehrfach geschehen, dem Europäischen Parlament solche erweiterten Befugnisse zuerkennen. Im Rat sitzen die Vertreter der nationalen Regierungen, die bei uns in der Bundesrepublik Deutschland der unmittelbaren verfassungsmäßigen Kontrolle durch den Deutschen Bundestag unterliegen. Nur vom Bundestag aus kann auf die Regierung eingewirkt werden. In den anderen Mitgliedsländern der Gemeinschaft ist es ähnlich. Von daher besteht also das größte Interesse an einer engen politischen Kooperation zwischen dem Europäischen Parlament, das sich natürlich seinerseits und mit seinen Mitteln um die Erweiteung seiner Befugnisse bemühen wird — es ist dazu nach der Direktwahl in einer ungleich besseren Ausgangsposition als seine Vorgänger —, und den nationalen Parlamenten. Schließlich ist noch ein letzter Gesichtspunkt zu nennen, der für enge Beziehungen der Gremien spricht. Das Europäische Parlament übermittelt in regelmäßigen Abständen Entschließungen zu wichtigen politischen Tages-fragen an die nationalen Parlamente, in jüngster Zeit etwa über Afghanistan und die Iran-Frage. Diese Berichte werden allen Bundestagsmitgliedern in Form einer Bundestags-drucksache zugestellt. Im Gegensatz zu dem Verfahren, das in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und in der Versammlung der Westeuropäischen Union eingeführt worden ist, gibt es im Europäischen Parlament keine Beobachtung der Folgemaßnahmen, d. h., das Parlament kümmert sich nicht darum, welche Folgerungen die nationalen Parlamente aus den ihnen übersandten Texten ziehen. Wie schon festgestellt, sollte ihm dies nicht gleichgültig sein. Die laufende Versendung von deklamatorischen Stellungnahmen, die lediglich für die Schubladen der Archive bestimmt zu sein scheinen, bringt nicht viel. Die genannten beiden Gremien haben eigene Ausschüsse für die Verbindung zu den nationalen Parlamenten eingesetzt, die das Schicksal jeder einzelnen Empfehlung, die den Mitgliedsparlamenten zugeht, genau verfolgen und über die nationalen Sekretariate den Delegationen entsprechende Sachanregungen für die Weiterverfolgung zugehen lassen. Ein solcher Verbindungsausschuß hätte auch im Europäischen Parlament seinen orga. nischen Platz; es war bisher noch nicht mög. lieh, ihn zu schaffen.
Eine weitere interessante Initiative von Seiten des Europäischen Parlaments, die auf eine engere Kooperation mit den nationalen Parlamenten abzielt, ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Auch sie gibt über das Warum der Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und seinen Kollegialparlamenten beispielhaft Aufschluß. Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Europäischen Parl -ments, Horst Seefeld, teilte den Verkehrsausschüssen der Parlamente der Neun am 16. Januar 1980 mit, daß „Europa Einbußen an Produktivität und Entwicklungsmöglichkeiten, an Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt und Wohlstand für seine Bevölkerung hinnehmen müsse, wenn es mit seiner veralteten und teilweise widersinnigen Verkehrspolitik weitermachen werde wie bisher”. Der Vorsitzende erkundigte sich bei den Verkehrsausschüssen der Neun, „welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den Verkehrsausschüssen der nationalen Parlamente der Mitglieds-staaten und dem Verkehrsausschuß des Europäischen Parlaments gesehen werden", mit dem Ziel, die bisherige „teilweise widersinnige Verkehrspolitik durch eine den Forderungen der Gegenwart angepaßten Verkehrspolitik zu ersetzen". Tatsächlich sah der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Europäischen Parlaments keinen anderen Ausweg mehr, als auf dem Weg der Kooperation mit den nationalen Verkehrsausschüssen zu versuchen, einen Ausweg aus der Sackgasse, in der die europäische Verkehrspolitik offensichtlich steckt, zu finden.
Form der strukturellen Verbindung
Die geschilderten Vorgänge zeigen die Notwendigkeit enger interparlamentarischer Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den Mitgliedsparlamenten. Die Frage ist nun, welche Form die strukturelle Verbindung des Europäischen Parlaments zu den nationalen Parlamenten annehmen und auf welcher Ebene sich diese Kooperation abspielen soll. Darüber hat das Europäische Parlament selbst in systematischer Form mehrfach nachgedacht. Eine wichtige Initiative auf diesem Gebiet ist dem Präsidenten des Europäischen Parlaments in den Jahren 1971 bis 1973, Walter Behrendt (SPD), zu danken. Er berief nämlich das bisher einzige europäische parlamentarische Kolloquium am 15. /16. März 1972 in Straßburg ein, an dem Mitglieder der nationalen Parlamente, die nicht Mitglieder des Europäischen Parlaments waren, teilnahmen, um im Gedankenaustausch mit ihnen über das Thema „Der Stand der europäischen Einigung und die Rolle der Parlamente" Überlegungen anzustellen, wie sich auf gewissen Gebieten komplementäre Beziehungen schaf-B fen ließen. Das Thema der Verbindung zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament nahm damals bei einer Reihe von Meinungsäußerungen von Teilnehmern an diesem Kolloquium breiten Raum ein.
Vor allem die Tatsache, daß Zuständigkeiten aus der nationalen Ebene in die Gemeinschaft transferiert wurden, ohne daß dafür entsprechende Kontrollmechanismen innerhalb der Gemeinschaft vorgesehen waren, veranlaßte manche Redner, so etwa Herbert Kriedemann (SPD), zu scharfen Kommentaren „Im Prinzip sind deshalb die vom Volk gewählten Deputierten hier und heute nicht besser dran als ihre ersten Vorgänger am Anfang des Parlamentarismus. Sie müssen selbst um ihre Rechte kämpfen. Das ist heute sicherlich nicht so lebensgefährlich wie es einmal war; aber es ist immerhin noch auf eine andere Weise eine sehr harte Aufgabe, der man nicht ohne Mut, Risiko und Opferbereitschaft gerecht werden kann. Hier sehen wir ein gleichgerichtetes Interesse aller Parlamentarier, der in den Hauptstädten und der im Europäischen Parlament." Durch die ganze Debatte zieht sich als Generalthema die Klage über die unzureichende Kommunikation zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament. Man halte sich vor Augen, daß dies in einer Zeit geschah, als sämtliche Mitglieder des Europäischen Parlaments durch das Doppelmandat eng mit ihren nationalen Parlamenten verbunden waren. Ohne Aufwand von allzu viel Phantasie läßt sich ermessen, wie sich die Situation darstellen wird, wenn im Europäischen Parlament nur noch sogenannte Einzelmandatare, d. h. also Träger des ausschließlich europäischen Mandats, sitzen.
Die Notwendigkeit enger Verbindungen wurde immer wieder unterstrichen. So führte der französische Abgeordnete Triboulet (Fraktion der Europäischen Demokratischen Union) aus „Wir glauben, daß es bei der gegenwärtigen Entwicklung nichts Wichtigeres gibt, als enge Beziehungen zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament zu gewährleisten. Das erscheint uns unerläßlich, weil wir in allen unseren Parteien, in allen unseren Ländern feststellen, daß politische Führer, Männer von großer Beredsam-keit, die in bezug auf Europa voll guten Willens sind, in Wirklichkeit die europäischen Probleme, die sich an jedem Tag der europäischen Versammlung stellen, sehr schlecht kennen und deren Entwicklung nur sehr oberflächlich verfolgen ... Ich glaube, daß man versuchen muß, diese Beziehungen zu vervollkommnen, weil wir nämlich wollen, daß der Aufbau Europas nach und nach vorankommt.“ Ähnlich äußerte sich der luxemburgische Abgeordnete Mosar „Haben wir nicht in den letzten Jahren und Monaten gesehen, wie sehr die Annahme europäischer Rechtsakte durch die nationalen Parlamente auf Schwierigkeiten stieß? Diese Schwierigkeiten hätten vermieden werden können, wenn Kontakte zwischen den Verantwortlichen der nationalen Parteifraktion und europäischen Kreisen stattgefunden hätten, wenn also, sagen wir es ruhig ganz offen, die Parlamentarier mit den Gemeinschaftsproblemen besser vertraut gemacht worden wären.“
Einer der großen alten Männer Europas, Carlo Schmid, berichtete über seine Erfahrungen mit dem Informationsverfahren nach Art. 2 des Einführungsgesetzes zu den Römischen Verträgen. Er teilte mit, daß er nur die Über-schriften jener Gemeinschaftsentscheidungen lese, weil er einfach zur Beurteilung des Inhalts des Textes nicht genug Sachverstand habe. „So kommt es, daß der Deutsche Bundestag ... gehorsam dem Europagedanken und voller Respekt vor dem Ministerrat und diesem Parlament diese Beschlüsse ratifiziert... Das ist aber noch kein Sich-Beteiligen und kein Sich-Hineinlegen in das Geschirr, um mit an dem Wagen zu ziehen.“ (Ein wenigstens gradueller Wandel auf diesem Gebiet ist in der Zwischenzeit durch die beschriebene Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages erfolgt; vgl. S. 18).
Die sich den Mitgliedern der nationalen Parlamente stellende Aufgabe erläuterte Carlo Schmid in folgender Weise „Es geht wiederum nicht ohne eine Art von contrat social. Wir werden kaum erleben können, daß unsere Regierungen als erste dazu bereit sein werden. Unsere Zeit ist nicht mehr die gleiche wie damals im Ballsaal zu Versailles, wo Mirabeau sagen konnte ..., allez dire ä votre maftr'... usw. Sie kennen seine Worte. Heute müssen die Parlamente antreten, um durch den con-trat social der Staaten, der Völker Europas die Möglichkeit zu schaffen, morgen oder übermorgen eine europäische volont gnrale zu bilden; er muß durch die Parlamente, und zwar durch die nationalen Parlamente, gebildet werden. Sie sind der Ort, an dem das geschehen kann, von dem aus man das Schiff weiter-treiben und ihm Orientierungen mitgeben kann, die seine Fahrt zu steuern erlauben. Nicht, daß damit schon die Nation Europa geschaffen wäre, aber es ist vielleicht ein Weg dahin. Vergessen wir nicht, daß in so gut wie allen europäischen Staaten das, was wir Nation oder Gemeinwillen oder Solidarität nennen, von den Parlamenten ausgegangen ist. Die Parlamente beginnen mit dem House of Commons, der Constituante in Paris usw. Sie sind es gewesen, die aus Untertanen eines Königs die Bürger einer Nation geschaffen haben. Ähnliches könnte auch bei uns in Europa geschehen."
Ein anderer großer Europäer, der französische Sozialist Francis Vals, machte folgende Schlußbemerkung „Dank Ihrer Anwesenheit, meine Herren Abgeordneten der nationalen Parlamente, weht in dieser Versammlung ein neuer Wind. Wir leben hier ein wenig in der Stubenluft eines abgeschlossenen Gehäuses. Ihre Anwesenheit und die Gedanken, die Sie vortrugen, ließen ein Gefühl der Erneuerung aufkommen, für das ich persönlich sehr empfänglich bin."
Es ist zu bedauern, daß dieser „neue Wind" nur einmal und dann nicht wieder wehte und daß die „Stubenluft des abgeschlossenen Gehäuses" nicht ein weiteres Mal oder weitere Male durch die Anwesenheit von Mitgliedern der nationalen Parlamente und den frischen Wind, den sie offensichtlich bei diesem Kolloquium mitbrachten, verbessert wurde. In der Veranstaltung eines solchen Kolloquiums mit Parlamentariern der nationalen Parlamente läge gerade nach der Direktwahl eine wichtige Aufgabe des neuen Europäischen Parlaments. Eine weitere Aktion des Europäischen Parlaments auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten verdient Erwähnung. Im Rahmen eines von der Generaldirektion Wissenschaft und Dokumentation des Generalsekretariats des Europäischen Parlaments einberufenen Symposiums „Europäische Integration und die Zukunft der Parlamente in Europa” vom 2. /3. Mai 1974 in Luxemburgs wurde das Problem der „Arbeitskontakte zwisehen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten" von einer Arbeitsgruppe diskutiert, deren Vorsitz die Abgeordnete Frau Colette Flesch (Luxemburg) inne-hatte und die sich sowohl aus Mitgliedern des Europäischen Parlaments wie aus leitenden Parlamentsbeamten aus den Mitgliedsländern der Gemeinschaft zusammensetzte.
Auch dieses Gremium hielt die Zusammenarbeit der Parlamente, insbesondere der nationalen Fachausschüsse mit denen des Europäischen Parlaments, für erforderlich. Ein niederländischer Teilnehmer — und Mitglied des Europäischen Parlaments — forderte sogar, die, wie er sich ausdrückte, „Geheimhaltung bei den Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments" aufzuheben und sie für Mitglieder der nationalen Parlamente zugänglich zu machen. Ein italienischer Parlamentsbeamter brachte eine Sitzung des Sozialausschusses des Europäischen Parlaments mit den entsprechenden Organen der sechs Mitgliedstaaten im April 1970 in Rom zur Sprache und bedauerte, daß diese Art von kombinierten Ausschußsitzungen nicht fortgesetzt worden sei. Bei ihrem abschließenden Bericht unterstrich die Vorsitzende der Arbeitsgruppe, daß die Arbeitskontakte zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten durch das Doppelmandat stark erschwert würden. Sie schlug vor, in den nationalen Parlamenten europäische Jahresberichte zu veröffentlichen und dort einen „Europäischen Tag" einzuführen, an dem die Mitglieder des Europäischen Parlaments über ihre europäische Arbeit berichteten.
Leider blieb auch dieses Kolloquium ein Einzelfall. Wir meinen, es könnte nützlich sein, wenn gerade in dieser Zeit des Neubeginns das gelungene Experiment des Jahres 1974 wiederholt werden könnte.
Vorschläge der Parlamentspräsidentenkonferenzen
Besondere Verdienste um die Aufhellung der mit der Verbindung zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parla-ment zusammenhängenden Fragen hat sich die Konferenz der Präsidenten der Parlamentarischen Versammlungen Westeuropas er-worben, die erstmals im Jahre 1963 in Rom tagte. Nach einer zwölfjährigen Pause folgten weitere Konferenzen in Paris (1975), Rom (1975), Bonn (1976), Wien (1977), Den Haag (1978) und Madrid (1980) Die nächste Konferenz wird voraussichtlich in London stattfinden.
Die Frage der Verbindung zu den nationalen Parlamenten lag diesem Gremium natürlich in besonderer Weise am Herzen, da insbesondere die Parlamente der Neun sich im Zuge der Verwirklichung der Römischen Verträge denselben Fragen gegenübergestellt sahen. Aber auch die Parlamentspräsidenten der Beitrittskandidaten zur EG sahen und sehen in diesem Gremium ein geeignetes Forum zur Diskussion der heiklen Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Beitritt zur EG stellen. Jene Länder, die der Gemeinschaft nicht angehören — etwa die Schweiz, Spanien, Österreich, Portugal —, sind ganz natürlich darum bemüht, die Möglichkeiten der Verbindung zur Gemeinschaft zu überprüfen. Bestimmt durch die verschiedenen Interessenrichtungen ergaben sich in der Vergangenheit lebhafte Diskussionen während der Beratungen der Präsidentenkonferenzen. Die Schlußkommuniquds konnten zwangsläufig wegen der völlig verschiedenen konstitutionellen Stellung der teilnehmenden Präsidenten nur in allgemeinster Form gehalten sein. Immerhin gelang es aber z. B.der Bonner Konferenz unter Vorsitz der damaligen Bundestagspräsidentin Annemarie Renger, einen dezidierten Appell zur Verabschiedung des Aktes zur Einführung der Direktwahl an die damals sich unmittelbar nach der Bonner Konferenz versammelnden Regierungschefs der Neun zu richten.
Die Bonner Konferenz des Jahres 1976 befaßte sich erstmals mit ins einzelne gehenden Vorschlägen für die Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten, die der damalige Präsident des Europäischen Parlaments, Spinale, vor-trug Seine Vorschläge, die aufgrund eines allen Mitgliederparlamenten zugegangenen Fragebogens ausgearbeitet wurden, seien in wenigen Sätzen wiedergegeben:
1. Die Möglichkeit des Doppelmandats soll nicht ausgeschlossen, sondern aufrechterhalten bleiben, „überraschend groß ist die Übereinstimmung, daß organisierte und persönliche Verbindungen zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament auf jeden Fall bestehen sollten."
2. Ausschüsse für europäische Fragen waren im Schlußkommuniqu 6 der Parlamentspräsidentenkonferenz von Rom gefordert worden. Mehr als die Hälfte der Parlamente der Neun verfügt über keinen besonderen Ausschuß für die Koordinierung europäischer Fragen. „Das Europäische Parlament will in einem Geiste der Verständigung die wechselseitigen Beziehungen zum Rat, der ihm als Einheit, Organ und Kollegium gegenübersteht, weiter ausbauen. Zu diesem Zwecke müßte zweifellos eine organische Verbindung zwischen den beiden Ebenen, der nationalen und der europäischen, insbesondere mit Hilfe der Parlamente, hergestellt werden .. "
3. Verbindung zwischen Fachausschüssen: Gemeinsame Fachausschußsitzungen sollten nur ad hoc zur Behandlung aktueller Themen und nicht regelmäßig stattfinden.
4. Zusammenarbeit im Gesetzgebungsverfahren: Bei vom Ministerrat zu erlassenden Verordnungen, die in der Gemeinschaft unmittelbar gelten, „ist die Stellung der nationalen Parlamente eindeutig schlechter als die des Europäischen Parlaments, das befugt ist, Stellungnahmen abzugeben und in wichtigen Fragen ein Konsultierungsrecht besitzt". Bei Richtlinien „könnte es von gemeinsamem Interesse sein, wenn die jeweiligen Ansichten, Vorschläge und Bedenken bekannt sind". Fachausschüsse der nationalen Parlamente könnten die Berichterstatter des Europäischen Parlaments anhören. Spönale teilt mit, die Auswertung der Fragebogen habe ergeben, daß sich die meisten Parlamente für die Übertragung von Gesetzgebungsbefugnissen vom Rat (der im Besitz all dieser Befugnisse ist und diese hinter verschlossenen Türen ausübt) auf das Parlament (dessen klassische Funktion dies ist und dessen Beratungen öffentlich sind) aussprachen. 5. Möglichkeiten zur parlamentarischen Kontrolle des Rates: Spinale sympathisiert mit dem vom Deutschen Bundestag gemachten Vorschlag, daß das Parlament Maßnahmen des Rates aufschieben und blockieren kann, solange es nicht über echte Gesetzgebungsbefugnisse verfügt. Im übrigen seien, wie er feststellt, die eingegangenen Antworten zu dieser Frage uneinheitlich.
6. Behandlung von Entschließungen und Dokumenten: Spnale schlägt vor, daß in nationalen Rechtsakten erwähnt wird, wenn sie auf europäische Initiativen zurückgehen. „Dies ist ein bescheidenes, aber nicht unwichtiges Mittel, dem einzelnen Bürger die europäische Integration nahezubringen."
7. Möglichkeiten und Systeme des Informationsaustauschs: „Der Nutzen solcher gegenseitigen Informationen ist evident." Allerdings müssen hierfür die verfügbaren neuen techni-.sehen Mittel — Datenträgersysteme — eingesetzt werden.
Spnales sehr sorgfältig ausgearbeitete Vorschläge fanden einige Jahre später eine eindrucksvolle Weiterführung. Einen ähnlich umfassenden Bericht nämlich gab während der Madrider Konferenz am 3O. /31. Mai 1980 der Präsident des französischen Senats und Europäer der ersten Stunde: Alain Poher Er gehört seit nahezu dreißig Jahren europäischen parlamentarischen Gremien an und darf als einer der erstrangigen Sachkenner auf diesem Gebiet gelten, so daß seinem Bericht besondere Bedeutung beizumessen ist. Einige wesentliche Auszüge seien kurz zitiert:
Poher geht davon aus, daß sich der Einfluß der nationalen Parlamentarier innerhalb des Europäischen Parlaments beträchtlich verringert habe und noch weiter abnehmen werde. — Von 434 Mitgliedern sind zur Zeit 104 Inhaber eines Doppelmandats. Von 81 deutschen Mitgliedern sind zur Zeit noch zwei Doppelmandatare. — Umgekehrt habe das Europäische Parlament jetzt zweimal weniger „Botschafter" in den nationalen Parlamenten. Das heißt, der direkte Einfluß der nationalen Parlamente hat sich innerhalb des Europäischen Parlaments sehr vermindert und der Einfluß der europäischen Parlamentarier innerhalb der nationalen Parlamente ist im allgemeinen geringer geworden.
Poher schlägt vor, Beziehungen auf der Ebene der Fraktionen, der Parlamentsausschüsse und der Verwaltungen zu entwickeln. Hinsichtlich der Verbindungen zwischen den Fraktionen führt Poher die Möglichkeit an, mit beratender Stimme an den Sitzungen der nationalen Fraktionen bzw. ihrer Gremien teilzunehmen (wie es bei den deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments der Fall ist).
Hinsichtlich der Zusammenarbeit der Ausschüsse konstatierte Poher folgenden augenblicklichen Stand der Überlegungen bei den nationalen Parlamenten: Das „Fehlen einer Zusammenarbeit (in Großbritannien), Erwägungen bezüglich einer eventuellen Zusammenarbeit (Bundesrepublik Deutschland, Niederlande, Irland), die Möglichkeit der Durchführung von Anhörungen (Frankreich), Dialog dank eines spezifischen Organs (Dänemark) Verbindungen zu gewissen Arbeiten der nicht spezialisierten Ausschüsse (Belgien, Italien)“. In Belgien sind die Überlegungen über die Zusammenarbeit am weistesten fortgeschritten: „Im Senat können die acht belgischen Mitglieder, die das europäische Einzelmandat innehaben, auf eigenen Antrag und in Übereinstimmung mit dem betreffenden Ausschuß zu Informationszwecken an den Ausschußsitzungen teilnehmen. Sie können auch durch einen der Auschüsse zur Teilnahme — mit beratender Stimme — an einer Sitzung aufgefordert werden oder auch zur Vorlage eines Berichts über Probleme, die für Belgien von besonderem Interesse sind und im Europäischen Parlament diskutiert werden. Im Abgeordnetenhaus wird auf experimenteller Basis das gleiche Verfahren angewandt... Ebenso wird in Betracht gezogen werden, den belgischen Mitgliedern mit Einzelmandat die Möglichkeit einzuräumen, auf schriftlichem Wege Fragen an die belgischen Minister zu stellen."
Die Schlußfolgerungen, die Poher aus seinem faktenreichen Bericht zieht, seien unverkürzt widergegeben. Die europäischen interparlamentarischen Beziehungen sollten auf der Grundlage folgender Prinzipien aufgebaut sein:
Herstellung von Verbindungen zwischen den nationalen Parlamenten und den Einzelmandataren: Die nationalen Parlamente sollten sich darum bemühen, aus den Kenntnissen und der Erfahrung der Einzelmandatare ihres Landes Nutzen zu ziehen.
Es könnten in folgender Weise Verbindungen geknüpft werden: _ durch die Fraktionen (Teilnahme ex officio an den Tätigkeiten der Arbeitsgruppen, Teilnahme mit beratender Stimme an den Arbeiten der nätionalen Fraktionen, Ernennung von Koordinatoren, Kooperation aufder Ebene der Sekretäre usw.);
_ durch die Parlamentsausschüsse, die nicht in den Angelegenheiten der Gemeinschaft spezialisiert sind (Anhörungen);
_ durch die parlamentarischen Ad-hoc-Organe (Europäische Ausschüsse, Delegationen für die Europäischen Gemeinschaften).
Die nationalen Parlamente sollten des weiteren bestrebt sein, den Einzelmandataren die Ausübung ihres europäischen Mandats zu erleichtern. In dieser Perspektive erscheint der Zugang zu den Diensten des nationalen Parlaments wünschenswert, vor allem was die Dokumentationsdienste betrifft. Organisation der Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten.
Austausch von fnformationen zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament:
Die nationalen Parlamente müssen in systematischer Weise über die Arbeiten des Parlaments auf dem laufenden gehalten werden. Dies setzt vor allem voraus:
— eine häufigere offizielle Übermittlung der Beschlüsse an die nationalen Parlamente;
— die Möglichkeit für alle nationalen Parlamentarier, eine zusammengefaßte fnformation über die Sitzungen des Parlaments zur Verfügung zu haben (aus den Diensten des Europäischen Parlaments stammende Informationen, kurzgefaßte, von den Beamten des Verbindungsbüros angefertigte Resümees, oder im Namen der Mitglieder des Europäischen Parlaments ausgearbeitete Informationsberichte); — die Möglichkeit für die Parlamentarier, sich auf ihren Antrag hin die Sitzungsdokumente des Parlaments zu verschaffen.
Zur Verstärkung des Austauschs von Informationen ist die Existenz einer Verwaltungsantenne der nationalen Parlamente an dem Ort erforderlich, wo die Sitzungen stattfinden.
Kooperation zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament:
In Anbetracht der bedeutenden Rolle, welche die nationalen Parlamente weiterhin, insbesondere bezüglich der Kontrolle der europäischen Politik der Regierungen, spielen werden, erweist sich eine enge Zusammenarbeit als unumgänglich.
Diese muß nicht nur auf der Ebene der Fraktionen, sondern auch auf dem Niveau der Parlamentsausschüsse vorgesehen werden.
Es wäre wünschenswert, daß bei einer Revision der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments ein neues Kapitel eingefügt würde, das die Beziehungen zu den nationalen Parlamenten behandelt.
In dieser Hinsicht kann folgendes in Betracht gezogen werden:
— Sitzungen der Ausschüsse des Europäischen Parlaments mit Delegationen der nationalen Parlamentsausschüsse nach dem Beispiel des vom Verkehrsausschuß des Europäischen Parlaments vorgeschlagenen Verfahrens; — Anhörungen von Mitgliedern der Ausschüsse des Europäischen Parlaments durch die Ausschüsse der nationalen Parlamente — und umgekehrt;
— die Bestimmung von Korrespondenten in den verschiedenen Ausschüssen auf europäischer und nationaler Ebene;
— die Einladung von Delegationen der nationalen Parlamentsausschüsse zur Teilnahme an bestimmten öffentlichen Sitzungen des Europäischen Parlaments;
— eventuell die Bildung einer Delegation innerhalb des Europäischen Parlaments, die mit den Beziehungen zu den nationalen Parlamenten beauftragt wäre.
Mit diesem Bericht ist nicht nur eine richtungweisende Orientierung für alle Beteiligten entstanden, sondern es ist die allgemeine Richtung angegeben, in der sich die weitere Entwicklung auf diesem Gebiet vollziehen sollte, wenn nicht das Europäische Parlament in eine Isolierung geraten soll, die allen künftigen Integrationsbemühungen schadet.
Bericht des House of Lords
Ein einziges nationales parlamentarisches Gremium, nämlich das britische Oberhaus, hat systematische Überlegungen über das Problem der Zusammenarbeit angestellt. Die Berichte des Unterhauses, so der „Second Report from the Select Committee on European Community Secondary Legislation" vom 25. Oktober 1973 behandelten zwar auch dieses Thema, waren jedoch von einer anderen Zielsetzung bestimmt. In diesen Berichten ging es in erster Linie darum, herauszufinden, wie das größtmögliche Maß an Souveränität in europäischen Angelegenheiten auch nach dem Beitritt Großbritanniens in die Europäische Gemeinschaft beim Unterhaus verbleiben könne. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus der Debatte des Unterhauses über diesen Bericht -Der am 25. Juli 1978 vom Oberhaus publizierte Bericht „Relations between the United Kingdom Parliament and the European Parliament after direct elections" handelt die Probleme, die sich infolge der erschwerten Verbindung zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten nach Aufhören des Doppelmandats stellen, in systematischer Weise ab.
Zur Überwindung dieser Schwierigkeiten werden konkrete Vorschläge gemacht: die zeitweilige Mitgliedschaft der EP-Mitglieder des Britischen Parlaments in Ober-und Unterhaus; Bildung eines Grand Committee, in dem Gemeinschaftsangelegenheiten mit den britischen Mitgliedern des Europäischen Parlaments in Anwesenheit von Regierungsmitgliedern diskutiert werden; Teilnahme der britischen Mitglieder des Europäischen Parlaments an Sitzungen der Prüfungsausschüsse für die europäische Gesetzgebung, die in beiden Häusern existieren; Anhörung von Mitgliedern des Europäischen Parlaments durch Ausschüsse des nationalen Parlaments; Teilnahme von Mitgliedern des nationalen Parlaments an den Arbeiten des Europäischen Parlaments; Zugang der britischen Mitglieder des Europäischen Parlaments zu den Einrichtungen von Westminster; Austausch von Drucksachen und Informationen. Weitere Vorschläge von Bedeutung sind: die Errichtung eines Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments für seine britischen Mitglieder in der Nähe von Westminster; Dienstleistungen für die britischen Mitglieder, die von einem kleinen nationalen Sekretariat erbracht werden; Aufrechterhaltung der Verbindung zwischen den britischen Mitgliedern des Europäischen Parlaments und der nationalen Regierung; Verbindung zu den Fraktionen von Westminster. Eine ausführliche Wiedergabe dieser Vorschläge einschließlich eines Kommentars findet sich in „Integration 2/79", herausgegeben vom Institut für Europäische Politik, Bonn
Von einer Verwirklichung dieser Vorschläge hat man bisher noch nicht viel gehört. Eher scheint, wenigstens in Großbritannien, die Entwicklung in Richtung einer Bemerkung zu verlaufen, die einer der ehrenwerten Lords bei der Vorlage dieses Berichts im Oberhaus machte: „Wir haben nun diese etwas exoti.sehen und verdächtigen Burschen (die neuen Mitglieder des Europäischen Parlaments) ihrem Schicksal überlassen; nun wollen wir sie vergessen, und je weniger wir von jetzt an von ihnen hören, um so besser."
In dieser Meinung werden wir bestärkt durch den in der „Times" vom 2. Januar 1980 wiedergegebenen „Streit über die Benutzung von Einrichtungen in Westminister durch Euro-MPs". Dort steht u. a. zu lesen: „Trotz all des schönen Geredes vor den Direktwahlen über Beziehungen zwischen den nationalen und den europäischen MPs wird ein Mitglied des Europäischen Parlaments, das nach Westminister kommt, jetzt von den Pförtnern wie jeder andere Bürger behandelt, es sei denn, er oder sie ist oder war Mitglied des Westminster-Parlaments. Dies trifft nur auf 10 von den 81 zu."
Man erfährt, daß die beiden großen Parteien die Mitglieder des Europäischen Parlaments pauschal eingeladen haben, an sie interessierenden Sitzungen ihrer Arbeitsgruppen in den Ausschußräumen des Unterhauses teilzunehmen. Ein britisches Mitglied des Europäischen Parlaments sagte dazu: „Wir haben diese pauschalen Einladungen, bei denen man sagt: . Kommen Sie doch mal auf einen Drink vorbei; man weiß aber genau, daß es nicht geschieht."
Neue Initiativen des Europäischen Parlaments
Der Politische Ausschuß des neuen Europäischen Parlaments mißt den Verbindungslinien zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament die ihnen zu-kommende Bedeutung zu. Er hat einen Unterausschuß „Institutioneile Probleme" eingesetzt, dessen Vorsitzender, Charles-Ferdinand Nothomb, sich im Mai 1980 an die Präsidenten der Parlamente der Neun wandte und ihnen präzise formulierte Vorschläge unterbreitete.
Wenn es sich auch dabei nur um allererste Entwürfe handelt, ist damit doch die Diskussion in ein sozusagen amtliches Stadium getreten. Deshalb seien Nothombs Vorschläge in aller Kürze wiedergegeben:
1. Sinnvolle Abstimmung der Terminplanung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente bei bestimmten Debatten;
2. gemeinsame jährliche Tagungen der Vorsitzenden von Fachausschüssen;
3. Zusammenarbeit der beiderseitigen Berichterstatter; 4. auf Berichten, die entweder von Mitgliedern der nationalen Parlamente oder des Europäischen Parlaments erstattet werden, basierende gleichzeitige Debatten;
5. Zusammenarbeit der Verwaltungen;
6. Unterrichtung über Rechtsakte;
7. neue Instrumente der Informationspolitik; 8. Halbjahrestreffen des Präsidenten des Europäischen Parlaments mit den Präsidenten der nationalen Parlamente.
Dies ist nun erstmals eine vom Europäischen Parlament selbst ausgehende Initiative, die zwar nicht in der umfassenden Weise wie der Poher-Bericht alle Gesichtspunkte der trans-nationalen Verbindung behandelt, sich aber auf wesentliche Teilbereiche bezieht. Der Präsident des Deutschen Bundestages, Richard Stücklen, leitete dem Vorsitzenden des Politischen Ausschusses des Europäischen Parlaments, dem italienischen Christdemokraten Mariano Rumor, eine Stellungnahme zu diesen Vorschlägen zu. (Der Berichterstatter Nothomb, Präsident des Belgischen Abgeordnetenhauses, war inzwischen zum belgischen Außenminister ernannt worden. Er wurde durch den französischen Abgeordneten Andre Diligent, Mitglied der Fraktion der Europäischen Volkspartei, ersetzt.)
Präsident Stücklen erklärte, daß er in der Zielsetzung des Berichts völlig mit Präsident Nothomb übereinstimme. Neue und strukturelle Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten seien, insbesondere nach dem in absehbarer Zeit zu erwartenden Verschwinden des Doppelmandats, dringend erforderlich.
Im einzelnen kommentierte Präsident Stücklen die Vorschläge Nothombs folgendermaßen: Die sinnvolle Abstimmung von Terminen der Plenarsitzungen des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente bei bestimmten großen Aussprachen sei wünschenswert.
Die Erfahrungen der Vergangenheit lehrten jedoch, daß eine solche Abstimmung wegen des völlig verschiedenen Sitzungsrhythmus der beteiligten Parlamente nur in Ausnahmefällen zustande kommen könne.
Gemeinsame Besprechungen der Vorsitzenden von Fachausschüssen der beiderseitigen Gremien werden voll akzeptiert, da sich hieraus eine Verbesserung der Gesetzgebung der Gemeinschaft ergeben könne. Da die Vertretung nach außen sowohl im Europäischen Parlament wie auch im Deutschen Bundestag von den Präsidenten der Häuser wahrgenommen werde, würden solche Zusammenkünfte im Benehmen mit den Präsidenten zu veranstalten sein.
Zeitlich abgestimmte Debatten in den Mitgliedsparlamenten über Themen von europäischem Interesse auf der Grundlage von Berichten der nationalen Parlamente oder des Europäischen Parlaments versprächen eine verbesserte Einheit der Aktion.
Die von Präsident Nothomb angeregte Zusammenarbeit der administrativen Dienste sei bereits weitgehend verwirklicht. Präsident Stücklen weist in diesem Zusammenhang besonders auf die institutionalisierte Zusammenarbeit der wissenschaftlichen Dienste in Form des Europäischen Zentrums für Wissenschaft und Dokumentation hin (eine Einrichtung, die übrigens auf Vorschlag der Konferenz der europäischen Parlamentspräsidenten entstanden ist).
Bedenken werden bei dem Vorschlag erhoben, die nationalen Parlamente sollten das Europäische Parlament über gewisse Formalitäten bei Rechtsakten unterrichten, etwa bei Ratifizierungen, Abstimmungen bei Richtlinien etc.
Präsident Stücklen weist darauf hin, daß die Kommission in ihrer vertragsmäßigen Rolle als das für die Durchführung der Römischen Verträge zuständige Gemeinschaftsorgan nicht beeinträchtigt werden dürfe, und eine solche Beeinträchtigung könnte sich unter Umständen ergeben, wenn das Europäische Parlament mit einer solchen Mitteilung der nationalen Parlamente Funktionen übernähme, die nach dem Vertrag der Kommission zu-kämen. Für denkbar wird gehalten, daß die nationalen Parlamente dem Europäischen Parlament darüber Mitteilung machen, was aus seinen Entschließungen geworden ist. Ohne Einschränkungen wird die Idee eines monatlich zweimal erscheinenden Informationsbulletins sowie die vorgesehene Umgestaltung der Büros des Europäischen Parlaments in den Hauptstädten der Mitgliedsländer zu „Informationsdrehscheiben" befürwortet. Jede Verbesserung der Information könne sich nur positiv auf die Beziehungen der Gremien auswirken.
Auch bei dem Vorschlag für regelmäßige Konferenzen der Präsidenten des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente werden die bekannten Terminschwierigkeiten angeführt, die einem solchen Vorhaben entgegenstünden. Mit gezielter Thematik einberufene Sitzungen seien vorzuziehen.
Mit dieser Stellungnahme hat sich der Bundestagspräsident mit einem gewichtigen Wort der nun schon langen Reihe derer angeschlossen, die eine Intensivierung der beiderseitigen Beziehungen für unabdingbar halten.
Wie bekannt geworden ist, hat der Nachfolger Nothombs als Berichterstatter des Unterausschusses „Institutioneile Probleme“ des Politischen Ausschusses des Europäischen Parlaments, Andre Diligent, im Oktober 1980 den Entwurf eines Berichts über „Die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten" vorgelegt, in dem die Vorschläge Nothombs wiederaufgenommen werden. Die Diskussion des Berichts-entwurfs ist im Gange, und bis zur Beschluß, fassung werden noch einige Monate vergehen. Da die Entschließung den nationalen Parlamenten zugeleitet werden wird, werden diese Gelegenheit haben, sich zu äußern. Der Beoachter der europäischen Szene verzeichnet jedenfalls mit Befriedigung, daß sich die Einsicht in die Notwendigkeit struktureller Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten durchzusetzen beginnt.
Geschäftsordnungsmäßige Festlegung der Zusammenarbeit?
Wie die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, geht in der Gemeinschaft nichts schnell. Hierfür läßt sich nicht nur der zwanzigjährige Leidensweg der Direktwahl anführen, sondern auch viele andere Entscheidungsprozesse der Gemeinschaft, die sich über Jahre hinzogen. Bei der Neuartigkeit aller gesetzgeberischen Vorgänge und bei der Vielfalt der Interessen, die ausgeglichen werden müssen, ist dies auch gar nicht erstaunlich. Auch hier, auf diesem Gebiet der Verbindung zwischen dem Europäischen Parlament und seinen Kollegialparlamenten, wird, wie der vorstehende Bericht zeigt, seit vielen Jahren über Möglichkeiten und Formen der Zusammenarbeit nachgedacht. Wie verschieden sich die erzielten Ergebnisse ausnehmen, ist aus dem Poher-Bericht ersichtlich. Bis jetzt gehen die Mitglieds-parlamente auf diesem Gebiet ihren eigenen Weg, und wie überall gibt es auch hier maximale und minimale Lösungen. Der aber sonst in der Gemeinschaft manchmal beliebte kleinste gemeinsame Nenner würde mit Sicherheit auf diesem Gebiet nicht ausreichen, um eine Kooperation zu gewährleisten, die für das weitere Funktionieren des parlamentarischen Bereichs der Gemeinschaft unentbehrlich ist.
Der Vorschlag, ein eigenes Kapitel über die Beziehungen zu den nationalen Parlamenten in die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments aufzunehmen, zeigt die in etwa einzuschlagende Richtung an. Wenn auch durch eine solche geschäftsordnungsmäßige Regelung, mit der ein weiteres mal Neuland innerhalb der Gemeinschaft beschritten würde, keine Bindung der nationalen Parlamente erfolgen kann, wären damit doch unübersehbare Ansatzpunkte für die nationalen Parlamente gegeben. Bei allen Überlegungen, die in dieser Frage in den Parlamenten der Mitgliedsländer der Gemeinschaft angestellt wurden, schwang in der Vergangenheit immer die Ungewißheit darüber mit, was das Parlament eigentlich selber will. Man kann davon ausgehen, daß bei der in einigen Monaten zu erwartenden Beschlußfassung nicht mehr grundsätzlich von der nun eingeschlagenen Richtung abgewichen wird.
Dabei wird es übrigens nicht erforderlich sein, das wichtigste Element der Zusammenarbeit, nämlich die Fühlungnahme der Fraktionen, in den Katalog der geschäftsordnungsmäßigen Bestimmungen aufzunehmen. Die Regelung dieser Frage ist das ausschließliche Vorrecht der Beteiligten. Auf den anderen in Betracht kommenden Ebenen — in den Beziehungen „von Haus zu Haus", von Ausschuß zu Ausschuß und auch von Verwaltung zu Verwaltung — würde sich jedoch eine geschäftsmäßige Festlegung sehr empfehlen, wie sie zum Beispiel in den Geschäftsordnungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und der WEU-Versammlung bereits besteht Unerläßlich wäre eine solche Festlegung sicher, wenn dem Vorschlag entsprochen werden würde, im Europäischen Parlament ei-nen Ausschuß für die Verbindung zu den nationalen Parlamenten — oder wie immer ein solches Organ heißen könnte — einzusetzen.
Beschlüsse des Bundestages
Auch im Deutschen Bundestag ist im Zusammenhang mit der Direktwahl über die Beziehungen zum Europäischen Parlament nachgedacht worden. Das Ergebnis war die im Jahre 1979 erfolgte Einsetzung einer Kommission des Ältestenrates „zur Behandlung von Fragen der Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und dem Deutschen Bundestag“, die sich aus erfahrenen Europapolitikern der Fraktionen zusammensetzte und sich unter der Leitung des Abgeordneten Gerhard Kunz (Berlin) (CDU/CSU) zunächst der Regelung jener technischen Fragen zuwandte, die bei einer Verbindung der deutschen Einzelmandatare zum Bundestag bedacht werden müssen. Die Kommission hat die sachlichen und personellen Voraussetzungen für die Verbindungsaufnahme der korrespondierenden Fraktionen geschaffen. Die Zusammenarbeit auf Fraktionsebene ist inzwischen in Gang gekommen. Nach entsprechenden Änderungen der Fraktionsgeschäftsordnungen können die deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments mit Rederecht an den Fraktionssitzungen teilnehmen, die Inhaber von Leitungsfunktionen auch an den Tagungen der Fraktionsvorstände. Die Verbindung der Fachausschüsse wird durch Koordinatoren gewährleistet. Trotz der allseits überlasteten Terminpläne beginnt sich eine sachentsprechende Zusammenarbeit abzuzeichnen.
Indessen war eine andere wesentliche Vorfrage der transnationalen Beziehungen vom Deutschen Bundestag zu lösen. Es gelang dem Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft nicht, sich auf eine gemeinschaftliche Lösung der Frage der Entschädigungen (Diäten) für die Mitglieder des Europäischen Parlaments zu einigen, so daß auch die direkt gewählten Abgeordneten — wie früher die delegierten — hinsichtlich ihrer Bezüge an die Heimatparlamente angebunden wurden. Insofern besteht zunächst einmal eine enge Bindung an die nationalen Parlamente, die etwa in der Bundes-republik Deutschland ihren Ausdruck darin fand, daß die 81 deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments weitgehend in ihren Rechten mit den Bundestagsmitgliedern gleichgestellt wurden Diese Entwicklung war nach dem Scheitern der „europäischen“ Lösung im Ministerrat zwangsläufig, da den Mitgliedern des Europäischen Parlaments nicht zuzumuten war, daß sie sich ohne die nun einmal unumgängliche persönliche Absicherung ans Werk machten.
Freilich, diese Lösung weist mehr als Schönheitsfehler auf. Dabei halten wir die unterschiedlichen Diäten, die in den einzelnen Ländern gezahlt werden, die alle solche „nationalen“ Lösungen getroffen haben, noch nicht einmal für den erheblichsten Nachteil. Bei einer Stufung der Diäten zwischen 2000 und 7500 DM liegt allerdings die Versuchung nahe, von verschiedenen Klassen von Mitgliedern zu sprechen Der viel wesentlichere Nachteil ist jedoch für das Europäische Parlament dadurch entstanden, daß seine Eigenpersönlichkeit und seine Souveränität durch diese „nationale“ Lösung gelitten haben. Daß diese Minderung der Souveränität zum entscheidenden Zeitpunkt des Neubeginns des Parlamentes erfolgte, in dem die Weichen für lange Zeit gestellt werden, lastet auf der neuen Versammlung als schwere Hypothek. Und am bedauerlichsten ist es, daß eine Änderung des derzeitigen Verfahrens nicht abzusehen ist, da ein Akkord des Ministerrates in dieser Frage außer Reichweite scheint. Der Ministerrat weigerte sich sogar, der symbolischen Erwähnung der Diäten im Haushaltsplan der Gemeinschaft mit einer Rechnungseinheit zuzustimmen.
Wie alle anderen Organe des Bundestages hat auch die erwähnte Kommission mit Ablauf der Legislaturperiode ihre Tätigkeit eingestellt; eine Wiederaufnahme der Tätigkeit in der 9. Legislaturperiode würde besonders durch den Umstand begünstigt werden, daß das Eu-ropäische Parlament selbst in Form der oben erwähnten Berichtsentwürfe die Diskussion über seine Beziehungen zu den nationalen Parlamenten eingeleitet. Nach all den mehr oder weniger abstrakten Überlegungen, die im Laufe der Jahre angestellt wurden, können nun endlich nach der zu erwartenden Be. Schlußfassung durch das Europäische Pariament Konkretisierungen angepeilt werden, die sich nur vorteilhaft auf die von Bundestagspräsident Stücklen zitierte Einheit dei Aktion auswirken können.
Konsultierung des Bundesrates und der Länder
Nach Artikel 2 des oben zitierten Einführungsgesetzes unterrichtet die Bundesregierung in derselben Weise wie den Bundestag auch den Bundesrat laufend über die Entwicklungen im Rat der Gemeinschaft. Es ist ohne weiteres einzusehen, daß auch der Bundesrat auf die Gesetzgebung der Gemeinschaft Einfluß zu nehmen wünscht; denn viele Verordnungen und andere Rechtstexte betreffen vorwiegend regionale Fragen. Insofern sind Bundes-und Länderinteressen hier eng verbunden. Die in Fällen besonderer Bedeutung vom Bundesratsplenum formulierten Empfehlungen informieren die Bundesregierung über die nach Meinung des Bundesrates bei den Verhandlungen einzunehmende Richtung.
Die Bestrebungen, die Einflußnahme auf den Gesetzgebungsprozeß der Gemeinschaft noch wirkungsvoller zu gestalten, führten schon im Jahre 1957 zur Berufung eines „Beobachters der Länder bei den Europäischen Gemeinschaften", der von der Konferenz der Länder-Wirtschaftsministerernannt wird. Er unterrichtet die Länder schon in der eigentlichen Entstehungsphase der Brüsseler Vorlagen, nämlich bei den Beratungen der Kommission Die sich hieraus ergebenden Empfehlungen der Länder werden neuerdings von diesen direkt an die Bundesregierung gerichtet mil dem Ziel, auf die Meinungsbildung der Bundesregierung schon in diesem ersten Planungsstadium einzuwirken.
Ähnlich wie sich die vom Bundestag der Bundesregierung übermittelten Meinungsäußerungen des Bundestages auf die Verhandlungsposition der deutschen Delegationen in Brüssel auswirken, können auch die vom Bundesrat oder den Ländern der Regierung mitgeteilten Empfehlungen als ein Element der Entscheidungsfindung bei der Entstehung der Gemeinschaftsvorlagen betrachtet werden. Die Mitwirkung des Bundesrates und der Länder auch bei der europäischen Integration entspricht in dieser Weise dem föderativen Aufbau der Bundesrepublik.