I. Von privatem und öffentlichem, innerem und äußerem Schuldenmachen
Wahlzeitbedingt oder nicht: Die deutschen Bischöfe der ecclesia catholica haben im Namen der nach uns Kommenden, der jungen Generation von heute, vor zuviel Schuldenmachen gewarnt — freilich nur vor dem öffentlichen und, wie hinzuzufügen wäre, vor dem inneren Schuldenmachen in DM und nicht vor dem äußeren gegenüber ausländischen Gläubigern, heißen diese nun OPEC, Euro-oder Xeno-Dollar-oder DM-Kapitalmärkte oder wie auch immer. Schon heute trage der Bürger der Bundesrepublik Deutschland eine öffentliche (und innere) Schuldenhypothek von 17000 DM, die nach menschlichem Ermessen nicht diese, sondern die nächste Generation wieder abtragen müsse, so der Kardinal Höffner vor der Presse und dem Fernsehen — zuviel, um wie bisher dazu zu schweigen.
Nun ist der Vorwurf, daß heutige Generationen das Einkommen und Erbe ihrer Kinder und Enkel durch zuviel Aufwand in der Gegenwart verspielen, nicht gerade neu. Er gehört zum Standardrepertoire der jede — nicht nur unsere — Periode der Zukunftsunsicherheit prägenden Auseinandersetzung zwischen „Konservativen", die das in besseren Tagen Erreichte konsolidieren wollen, und „Progressiven", die die in der Stagnation unvermeidbar aufbrechenden Verteilungsprobleme durch Rückkehr zur Dynamik wieder lösen oder richtiger: wieder leichter lösbar machen wollen. Dieser Vorwurf wird mit einer Negierung historischer Erfahrungen ausgefochten, als ob es Geschichte nie gegeben hätte und als ob jede Generation dazu verurteilt wäre, die Fehler ihrer Vorgänger zu wiederholen: im gnadenlosen eternel retour, aus dem heraus nur noch das Licht der von den Savonarolas und anderen Orthodoxen angezündeten Scheiterhaufen herausführe, kein anderes.
Doch die uns bekannte Geschichte belegt auch eine andere Erkenntnis: Die Pharaonen haben ihre Pyramiden nicht erbaut, um dem modernen Ägypten dringend benötigte Tourismus-Einnahmen zu verschaffen; die Amtsvorgänger der heutigen Bischöfe nicht den Bau ihrer Kathedralen gegen auch damals vorhandenen weltlichen Widerstand durchgesetzt, um die mathematischen Grundlagen damaliger Architektenkunst zu testen, auf denen heute mehr steht als nur der Kirchenbau. Entscheidend war und ist, daß sich aus dem damaligen „Raubbau" am Konsumeinkommen und -vermögen der Kinder und Enkel jenes Fortschrittspotential an Wissen und Können, an Wissenschaft und Technik entwickelte, von dessen Kapital und Zinsen wir — wie alle Spätergeborenen — leben, und das nicht einmal schlecht -Deshalb werfen selbst die eingefleischtesten Kolonialismushasser ihren einstigen Ausbeutern auch nicht vor, daß sie zu-viel Investitionen hinterlassen hätten, sondern das schiere Gegenteil: zu wenig!
Gilt, was der des heutigen Parteienstreites gewißlich unverdächtige Finanztheoretiker des vorigen Jahrhunderts, Lorenz vom Stein, in den Satz kleidete, daß man „an der Höhe der Staatsschuld ablesen könne, ob eine Generation für die folgende zu wenig oder zuviel getan habe“, nur für das Damals, die hinter, nicht vor uns liegenden Zeiten und Kulturen? Zumindest zum Thema Staatsschulden sind jenseits der ewigen (und deswegen noch nicht unbedingt richtigen) Querele, daß sie „immer“ zu hoch seien, unserem 20. Jahrhundert zwei neue Erkenntnisse beschieden gewesen:
Die erste: Seit der Entdeckung, daß der für gesellschaftlichen Fortschritt und Frieden unerläßliche Prozeß stetigen wirtschaftlichen Wachstums von Zeit zu Zeit deswegen stockt und abreißt, weil die höchst „launische" Investitionstätigkeit manchmal dazu neigt, unter die meist stetigere Spartätigkeit abzusinken, so daß auf der bislang glatten Straße der Konjunktur unerwartete Nachfragelöcher aufrei-Vorabdruck aus: D. B. Simmert und K Wagner, Staatsverschuldung — kontrovers. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1981. ßen, erwartet man, daß der Staat diese Nachfragelöcher schließt Seitdem predigen Ökonomen und Politiker, daß die Steigerungsraten von Staatsausgaben und den sie finanzierenden Staatsschulden in solchen Zeiten gar nicht hoch genug sein können — eine Botschaft, die das Publikum, das zwar die Sicherheit der Arbeitsplätze, der Einkommen und des sozialen Status quo als Selbstverständlichkeit verlangt, gleichwohl mit gemischten Gefühlen aufnimmt: Zu oft erwiesen sich exzessive Staatsschulden als Vorreiter der Inflation und Vorboten des Staatsbankrotts — und zu viele Savonarolas der Staats-Enthaltsamkeit (beileibe nicht nur aus Oppositionskreisen) erinnern daran
Die zweite Entdeckung: Weil die Weltwirtschaft, in der wir unser täglich Brot und mehr als das verdienen müssen, aus höchst ungleichen Partnern besteht: aus entwickelten Industrienationen, die im allgemeinen mehr produzieren und verdienen als sie ausgeben können, und aus „unterentwickelten" Noch-nicht-Industrienationen, deren rasch wachsende und darbende Bevölkerungen vorläufig noch mehr brauchen, als sie selber produzieren und verdienen können — weil das so ist, weiß man aber auch, daß die reichen den armen Ländern helfen müssen, am besten dadurch, daß sie die Importüberschüsse der armen Länder (= Exportüberschüsse der reichen Länder) aus eigenen Ersparnissen (Hilfen, Krediten) finanzieren. Seit beiden Entdeckungen, die so alt auch wiederum nicht sind (die erste datiert aus den dreißiger, die zweite aus den späten vierziger Jahren dieses Jahrhunderts), sind in puncto Staatsschulden zwei weitere Dinge klar — oder sollten es jedenfalls sein:
Erstens: In den reichen Industrieländern sind hohe und über längere Fristen reichende Erhöhungen der Staatsschulden nur dann erlaubt, wenn der Staat mit seiner Mehrnachfrage nach Gütern und Finanzierungsmitteln die von den Privaten (Investoren) aufgerissenen Lücken schließt. Der sich am inneren (nicht äußeren) Kapitalmarkt verschuldende Staat ist somit kein Dauerkunde, sondern ein „Reparaturbetrieb des Kapitalismus". In dieser Funktion der die Konjunkturwogen glättenden Staatsaktivität herrscht somit zwischen der modernen Ökonomie und der (in der Bundesrepublik so perhorreszierten) Stamokap-Doktrin kein Erkenntnis-, wohl aber ein tief, greifender Bewertungsunterschied! Zweitens: In den armen Rückstandsländern der Dritten Welt läßt sich das ihnen als Entwicklungshypothek strukturell vorgegebene Doppeldefizit in der Leistungsbilanz (Importüberschüsse) und im Staatshaushalt (höhere Ausgabeverpflichtungen als Eigeneinnahmen) gar nicht anders als permanent von außen finanzieren: aus dem Spartransfer der Industrieländer in Form von Hilfen und internationalen Krediten. In den Entwicklungsländern ist somit der Anstieg der Staatsschulden ein Dauer-phänomen, jedenfalls solange der Zustand der Unterentwicklung anhält; die Staatsschulden müssen schon mangels eines eigenen leistungsfähigen Kapitalmarktes aus internationaler Finanzierung bestritten werden Was aber wird aus dieser sauberen Funktionsund Arbeitsteilung zwischen zeitweiliger (zyklischer) nationaler Staatsverschuldungszunahme in den Industrieländern und permanenter (struktureller) internationaler Staatsverschuldungszunahme in den Entwicklungsländern, wenn seit der Verschärfung der Ölpreiskrise auch die reichen Industrieländer zunehmend in das Doppeldefizit von Leistungsbilanz und Budget steuern?
Spätestens an dieser Stelle muß oder müßte dem Analytiker wie Kritiker der derzeitigen Verschuldungstendenzen im öffentlichen Sektor der Verdacht aufkommen, daß er irgendwie mit der falschen Elle mißt. Denn in allen westlichen Industrieländern, die Bundesrepublik Deutschland eingeschlossen, sind offenbar die privaten Auslandsschulden seit 1973 (dem Jahr, in dem — Zufall oder nicht — das bisherige Weltwährungssystem von Bretton Woods gekündigt und die Eskalation der Mineralölpreise ihren Anfang nahm) weit stärker gestiegen als alle öffentlichen und privaten inneren Verschuldungszunahmen zusammen. Die privaten Auslandsschulden westlicher, aber auch die Auslandsschulden östlicher Industriestaaten sowie der relativ wenigen (auslands) kreditwürdigen Entwicklungsländer lassen sich seit Beginn der achtziger Jahre nur noch in Billionen Dollar (in englischer Terminologie Trillionen Dollar), in jedem Fall aber in Einheiten von mehr als „Tausend Milliarden" Dollar messen — eine Dimension, die früher nur in der Astronomie und nicht in der Ökonomie verwendet wurde, während die inneren öffentlichen Schulden (wie schnell auch immer in den letzten Jahren gewachsen) sich „nur" in der Dimension von einigen „Hundert Millionen", im Fall der Bundesrepublik Deutschland noch dazu DM, nicht Dollar, bewegen!
Es lohnt sich, für einen Moment nachzudenken, ob und wie innerer und äußerer Verschuldungsprozeß Zusammenhängen und warum die äußere Privat-Verschuldung entweder stillschweigend übergangen, wenn aber doch angesprochen, meist als ein Beweis für die Gesundheit unserer Marktwirschaft apostrophiert wird, die innere Staatsverschuldung aber schon vor dem Hirtenwort der katholischen Bischöfe als ausgesprochenes Krankheitssymptom einer über ihre Verhältnisse lebenden Gesellschaft angeprangert wurde. Weil Vorgänge jenseits der Grenzen auch jenseits des Fassungsvermögens vieler Betrachter liegen? Und das in einer Zeit, in der die Verantwortlichen nicht müde werden, darauf hinzuweisen, daß das Zeitalter der (einstmals geschlossenen) Nationalökonomie längst beendet, das der (offenen) Welt-Okonomie längst begonnen hat, wenn auch in der für Politiker typischen Rechtfertigungsattitüde, daß man für die zu Hause schwer oder gar nicht zu bekämpfenden Übel (wie importierte Inflation und Depression) zwar die Weltwirtschaft verantwortlich macht, nicht aber ihren höchst zweifelhaften „Vorzug" sieht, daß also dank dieser so — und nicht anders — geordneten Weltwirtschaft alle an ihr teilnehmenden Nationen kräftig über ihre eigenen häuslichen oder nationalen Verhältnisse leben können.
Es gehört zu den schwer verständlichen Selbstverständnissen unserer Zeit und Politik, daß man zwar einhellig von rechts bis links gegen Inflation und inflatorisch finanzierte Arbeitsbeschaffungspolitik über inneres deficit-spending (= Schuldenmachen der öffentlichen Haushalte) ist, gleichzeitig aber alle äußeren Sicherungen gegen den Import von Inflation durch äußeres deficit-spending (= Schuldenmachen des Privatsektors im Ausland) abbaut, weil diese permanente Neuverschuldung dem Ausland gegenüber ja unsere ölpreis-und auch anderweitig bedingten Leistungsbilanzdefizite finanziert. Nur übersieht oder verdrängt, wer so argumentiert, daß eine Volkswirtschaft, die permanent aus und von der Weltwirtschaft mehr „nimmt" (importiert) als sie selber „gibt" (exportiert) und sich die Differenz (unser Leistungsbilanzdefizit nämlich) im Kreditwege gutschreiben läßt, damit ein zu Hause längst inflatorisch überhöhtes Ausgaben-, Preis-und Kostenniveau stützt. Denn ein Leistungsbilanzdefizit signalisiert immer ein Über-die-Verhältnisse-Leben, und zwar nicht nur eines Sektors, sondern der gesamten Volkswirtschaft. Eine solche Volkswirtschaft „verbraucht" mehr, als sie selber produziert, nur daß dies früher einmal (strukturbedingt) lediglich Entwicklungsländern „erlaubt" war, heute aber einen „Normalzustand" aller westlichen und östlichen Industrieländer markiert.
Die selten gestellte Frage ist jedoch, ob diese neue Form der „geräuschlosen äußeren Defizit-Finanzierung" via willige und in den Augen ihrer Betreiber auch höchst effiziente Auslands-, Geld-und Kapitalmärkte (die besten, die es je gab) nicht das ehernste und unverzichtbarste aller marktwirtschaftlichen Funktionsgesetze — das von Leistung und Gegenleistung — langsam, aber stetig zerstört. Denn wenn Leistungsbilanzdefizite ständig „finanziert" und wenn die alten, bereits bestehenden Kredite nicht mehr ausreichen und ständig durch neue, nachgeschobene Kredite „konsolidiert", aber nicht mehr abgearbeitet werden durch realen Mehrexport, dann stellt sich nicht nur das Problem der laufend so in allen Defizitländern finanzierten Inflation, sondern das weitaus gefährlichere der Kreditwürdigkeit des Gesamtsystems.
Das zunehmend größere Interesse der OPEC-Staaten am Zudrehen des Ölhahns hat, allen umweit-und konservierungspolitischen Motiven zum Trotz, gerade diese Gläubigersorge zum Hintergrund: Was sind diese in gängigen und derzeit noch guten westlichen Währungen verbriefte Forderungen morgen noch wert, wenn die Billionen-Dollar-Forderungen präsentiert werden, die Schuldner aber die Gegenleistung weder real (durch Exportüberschüsse), noch finanziell (durch Bereitstellung netto vorhandener Währungsreserven) bedienen können?
Man sage nicht, daß diese Sorge abwegig, weil unbegründet sei. In einer Welt(Wirtschaft), in der Verschuldung nur noch zunehmen (allenfalls „konsolidiert" werden) kann, aber nicht mehr nach Erreichen gewisser kritischer Schwellenwerte auch wieder abnimmt, hängt die Fähigkeit zum realen Abarbeiten dieser Verschuldung (die Fähigkeit zum Erzielen von Exportüberschüssen) immer weniger von den dafür in den Industrieländern bereitstehenden (oder dafür aufbereitbaren) realen Produktionskapazitäten ab, sondern zunehmend von den Importmöglichkeiten der bereits noch höher verschuldeten schwachen Weltwirtschaftspartner! Wenn aber immer mehr Partner, wie schon heute fast die gesamte Vierte Welt der kein Mineralöl fördernden Entwicklungsländer und die Mehrzahl der von Devisenengpässen strangulierten Ostblockstaaten, an ihre sowohl äußeren wie inneren Verschuldungsgrenzen stoßen, fällt auch die Entschuldungs-Fähigkeit gegenwärtig noch exportstarker Industrienationen (wie beispielsweise der Bundesrepublik Deutschlands oder Japans) wegen der davon ausgehenden unvermeidlichen Rückwirkung auf die eigene Exportposition in sich zusammen. Nicht nur Inflationsprozesse sind in der einen Welt(Wirtschaft), in der wir leben, ansteckend, sondern auch ihr Gegenteil: die Kontraktion und die Krise. Und die Verschuldungskette hat mit der normalen gemein, daß auch sie nicht mehr aushält als ihr schwächstes Glied!
Dieses Situationsverständnis bliebe unvollständig, erinnerte man angesichts der auch heute noch vorherrschenden Meinung von Ökonomen und ihnen blind folgenden Politikern nicht immer wieder daran, mit welcher Art von „Diagnose" sie 1973 das mehr schlecht als recht funktionierende Weltwährungssystem von Bretton Woods auf den Müllhaufen der Geldgeschichte verwiesen: man sollte endlich damit aufhören, über den Verteidigungsmechanismus längst unhaltbar falsch gewordener fester Wechselkurse permanent Inflation in die noch (aber nicht mehr lange) stabilen Währungsräume zu importieren. Nur verwechselte man dabei einen politisch ausräumbaren Fehler im System, nämlich die Sonder-und Privilegienstellung der USA und ihres Dollar als Mittel letzter Liquidität, mit einem gar nicht vorhandenen Fehler de, Systems, und verkannte darüber die diszipli. nierende Rolle fester und nicht schwankende] Wechselkurse.
Hätte das Bretton-Woods-System nur ein Jah länger überlebt und die Ölpreiseskalation des Spätjahres 1973 erlebt, es hätte Theoretikern wie Politikern ein (letzteren vielleicht zu hartes) Modell der Abarbeitung statt Finanzie. rung ölpreisbedingter Leistungsbilanzdefizite geboten. Der aus der über Nacht vervierfachten Ölrechnung resultierende „Finanztransfer (die Bezahlung der Ölrechnung in US-Dollar’ hätte sofort das Reserveportefeuille der westlichen Volkswirtschaften und ihrer Notenbanken dezimiert. Es wäre sofort und ohne jedes, die realen Zusammenhänge verschleiernde „Re-cycling", das Zurückpumpen der in die OPEC-Staaten bezahlten Ölgelder über inflationsfördernde und -finanzierende Euro-, Pe. tro-und andere Xeno-Dollarmärkte, klar und ersichtlich gewesen, daß die für den Bezug des teurer gewordenen Mineralöls aufgewendeten Mittel der nationalen Volkswirtschaft verlorengegangen waren. Und jeder Versuch, sie sich durch Pump an den internationalen Geld, und Kreditmärkten zurückzuleihen, hätte sich unter der strengen Kontrolle der um die Parität ihrer Währungen besorgten Notenbanken vollzogen: in Ordnung und nicht (wie seit 19731 eskalierend) im Wildwuchs!
Im Klartext: Selbst das unvollkommene Welt-währungssystem von Bretton Woods wäre ein besserer Schutz gegen den Import der Welt-Inflation über die perfekte Verschuldungsmaschine der „freien" internationalen Geld-und: Kapitalmärkte und die Zerstörung des Zahlungsbilanzausgleichsmechanismus gewesen, welch letztere wiederum die unvermeidliche Folge des Rückzuges der Notenbanken aus, der Pflicht der Wechselkursverteidigung war. Denn mit dem Wechselkurs verteidigten diese Notenbanken nicht nur ein leeres Währungssymbol, das in der Tat ersetzbar gewesen wäre oder erneuerbar wie ein militärischer Zapfenstreich. Ihre permanente Präsenz zumindest an den internationalen Geld-(= Devisen-) Märkten, um den Kurs der eigenen Währung zu stabilisieren, hatte als durchaus erwünschtes Abfallprodukt zur Folge, daß die Kreditaktivität dieser Märkte den Zinssignalen ihrer Notenbanken folgte; diesen Signalen und keinen anderen (wie etwa der sich selbsterfüllenden Währungsspekulation etc.). Das schloß durchaus ein gewisses Maß der Leistungsbilanzdefizit-Finanzierung ein, nämlich das Ausmaß und Volumen, das die Notenbank als Wächterin von Währung und (privater) Auslandsverschuldung tolerierte! Aber es schloß auch jenes Ausmaß und Volumen von Neuverschuldung im Ausland aus, das der Notenbank aus Inflations-wie Transfergründen als zu gefährlich erschienen wäre. Schaltete die am Abbau der Leistungsbilanzdefizite — nicht ihrer uferlosen Finanzierung — interessierte Notenbank das Zinssignal auf „Ende der Neuverschuldung" (senkte sie das Zinsniveau gegenüber ausländischen Kreditgebern nur genügend ab), so brachte sie sich zu Hause selbst in den gewünschten Handlungszwang: Der Reserveabfluß für die nicht mehr von außen finanzierten Defizite machte innere Kreditrestriktionen (eine zahlungsbilanzmotivierte Hartwährungs-oder Stabilitätspolitik) unvermeidlich, die Produktion für das Inland schaltete um auf vermehrte Verkäufe an das Ausland (Exportverstärkung) — ein Mechanismus, auf den in einer rentabilitätsorientierten, also intakten Marktwirtschaft immer Verlaß war und auch heute noch ist.
Der feste Wechselkurs als Abwehrmechanismus einer sonst leicht exzessiven Auslands-verschuldung wurde 1973 (wie gesagt: mit ökonomischer Mehrheitsmeinung) abgeschafft. Seine teilweise Reaktivierung in einem „SubSystem" wie dem neugeschaffenen Europäischen Währungssystem (EWS) markiert zwar ein wachsendes Problembewußtsein der monetär Verantwortlichen und vielleicht auch einen Teilschritt in die richtige Richtung einer wieder wachsenden Zuständigkeit der Notenbanken für die Probleme der äußeren Verschuldung, es ist aber noch keine Lösung des globalen Verschuldungsproblems
Wieviel Verschuldung sich die Weltwirtschaft leisten kann und wieviel nicht, das läßt (leider) keinen empirischen Test zu. Wird erst einmal „getestet", ist der Kollaps nicht mehr fern; denn auch das gehört zu den Halbwahrheiten dieser Zeit in dieser hochsensitiven Materie: Man kann keine Krise herbeireden, die nicht schon latent, also bereits im Ansatz da ist.
II. Lehren aus der Reparationsdebatte: 5 Minuten vor der (vorläufig) letzten Weltwirtschaftskrise
Vermutlich hätte sich auch die derzeitige Weltwirtschaftskrise, die an überdimensionierter und weitgehend der Kontrolle der Notenbanken entglittener Auslandsverschuldung aufbrach, vermeiden lassen, wäre eine für das moderne Ökonomieverständnis nicht mehr hinwegzudenkende Debatte zwischen den beiden führenden Ökonomen der ersten Jahrhunderthälfte, dem Engländer J. M. Keynes und dem Schweden B. Ohlin (der Dritte im Bunde, der Franzose J. Rueff, hatte damals außer einigen Platitüden über den Goldstandard nichts wesentliches beizusteuern), nicht 5 Minuten vor 12 Uhr, sondern 5 Stunden vor 12 Uhr (= Ausbruch der Krise) geführt worden, so daß die damals Handelnden noch Zeit zur Revision ihrer festgefahrenen Standpunkte gehabt hätten.
Keynes wies im Märzheft des Economic Journal des Schicksaljahres 1929 nach, daß die in seinen Augen unkontrolliert gewachsenen Auslandskredite der USA an Sieger wie Besiegte des Ersten Weltkrieges — anders als die im selben Zeitraum aufgenommenen Inlandskredite — wenn überhaupt, dann nur über eine tiefgreifende und gefährliche Um-und Neustrukturierung aller großen Weltwirtschaftsnationen zu tilgen seien. Ein Problem, das in erster Linie die Netto-Schuldner Deutschland und Österreich betraf, die ihre überdimensionierten Kriegsreparationen an die Sieger England und Frankreich aus privaten US-Krediten refinanzierten (während die Sieger diese Zahlungen dazu verwandten, ihre alten Kriegsschulden an die USA zu tilgen). Beide Schuldnerländer (so Keynes) könnten diese Auslandslast nur dann zu den vorgesehenen Fristen abtragen, wenn sie sich sozusagen über Nacht in Exportüberschuß-Nationen, die sie beide damals noch nicht waren, verwandelten. Nur, so fragte er prophetisch, wem solle das in einer schon leicht depressiven Weltwirtschaft nützen? Denn Deutschlands wie Österreichs nationale Umstrukturierung von einer Binnen-in eine Exportökonomie wäre, wenn überhaupt, nur über eine folgenschwere Selbstkasteiung zu erzielen: Lohnstopp, Zinseskalation, Währungsabwertung, Protektionismus, um sich so die benötigten internationalen Wettbewerbsvorteile zu Lasten der anderen Exportnationen, vor allem Englands, zu verschaffen. Keynes Konklusion: Es liege sowohl im weltwirtschaftlichen wie im nationalen (Beschäftigungs) Interesse Englands, auf die Shylock-Attitüde der gnadenlosen Eintreibung deutscher Reparationen zu verzichten. Nicht die Keynes immer wieder unterstellte Deutschfreundlichkeit inspirierte ihn, sondern sein nüchterner common sense: warum ein Recht verlangen, wenn seine Erfüllung den „Rechthaber" ruiniert!
Ohlin, ausgewiesenermaßen kein Deutschen-freund, widersprach. Da Deutschland per Saldo mehr Auslandskredite bekam, als es an Reparationen selber zahlte, mithin also einen großen Teil seines inneren Investitionsprozesses aus äußeren statt aus inneren Ersparnissen finanzierte, sei gar nicht einzusehen, warum man ihm die Reparationen streichen oder stunden sollte. Was fehle, sei eine stramme (disziplinierte) Geld-und Fiskalpolitik.
Ohlin entdeckte lange vor Keynes dessen in seiner General Theory von 1935/36 entwickeltes (und zu deren Herzstück avanciertes) Konzept der gesamtwirtschaftlichen Einkommens-Absorption. Wenn, so Ohlin 1929, die Deutschen höhere (Reparations) Steuern zahlen müßten und weniger (auslandsfinanzierte) Inlandsinvestitionen tätigten, so fielen real wie finanziell die Mittel an, die man brauchte, um die Auslandsverpflichtungen vertragstreu zr erfüllen. Denn bei größerer Inlandsabstinenz erzwungen durch Budgetüberschüsse statt -defizite und weniger statt mehr Auslandsver schuldung, würde die dadurch rückläufige In landsnachfrage die für den benötigten Mehr Export erforderlichen Produktionskapazitäter freisetzen, ein Prozeß, der dann finanziell aus den vorhandenen Budgetüberschüssen unc Reserven der Notenbank abgewickelt werdet könne. Sein für das damalige Deutschland ver nichtendes Fazit: Die Probleme der Weimarei Republik resultierten einzig und allein aus un seriöser Finanzierung und inkompetenter Politik, aber nicht aus unzumutbaren Repara tionslasten — ein Urteil, an dem er unnachgie. big festhielt
Es gehört zu den subtilen Ironien der Geistesgeschichte, daß Keynes, der damals noch ganz in der von ihm später mit Spott übergossenen „klassischen" Methode argumentierte (daß nämlich internationale Wettbewerbsvorteile nur durch Preis-und Kosten-, vor allem aber Lohnvorteile zu erzielen seien und nicht durch Einkommenspolitik), trotz schwacher Theorie politisch wie empirisch recht behielt; der „moderne" Ohlin zwar die Theorie bereicherte aber den Politikern einen noch heute abschreckenden Bärendienst erwies. Er — nicht Keynes — bestärkte sie in ihrem nationalistisch überzogenen Konfliktdenken, auch dann noch, als weltwirtschaftliche Kooperation längst im nationalen Interesse aller lag.
Zwar sehen wir heute, 50 Jahre nach dieser Debatte, klarer als beide Kontrahenten, die damals nicht verstehen konnten, daß sie dasselbe meinten, nur in der politischen Methode differierten: Die Freimachung der für den äußeren Schuldendienst benötigten zusätzlichen Exportkapazitäten läßt sich entweder durch nationale Reallohn-und Beschäftigungsanpassungen erzwingen (Keynes große Sorge) oder durch fiskalisches Zwangssparen (Ohlins neue Entdeckung). Nur Keynes stellte die politisch relevante Frage: „Was nützt es uns, wenn wir erst die deutschen Arbeiter um Lebensstandard und Arbeitsplatz bringen, damit ihre Politiker ihre Schulden an uns zurückzahlen können, wenn dies nur dazu führt, daß wir uns damit selber die größten Exportkonkurrenten heranzüchten?" Seine Antwort, lieber auf jen schädlichen Schuldentransfer gänzlich verzichten, weist ihn mit Längen vor seinem Kontrahenten Ohlin als den politischeren der beiden Ökonomen aus. Ohlin übersah völlig die Rückwirkungen seines Rückzahlungsvorschlages nicht nur auf das Tilgungsland selber, sondern, viel gravierender, auch auf die Tilgungsempfänger: Sie mußten nämlich schon bald, wie Keynes richtig vorausgesagt hatte, wegen der wachsenden Exportkonkurrenz der Schuldner auf bisher im Exportsektor sichere Arbeitsplätze und Einkommen verzichten oder sich zur Abwehr dieser unerwünschten Depressionsimporte zunehmend aus der Weltwirtschaft zurückziehen, womit sich die Krise, wie ebenfalls von Keynes richtig vorausgesagt, eskalierend verschärfte.
Was lehrt uns die Geschichte der Transferdebatte von 1929 heute?
Erstens: Länder mit bereits hoher, wenn nicht gar — wie im Fall der Bundesrepublik Deutschland — gefährlich hoher Exportquote können mit ihrer Auslandsverschuldung gar nicht vorsichtig genug umgehen. Wenn schon die Privaten aus verständlichen Zinsgründen diesem „Laster“ frönen, ist es am Staate, gegen-zuhalten, und sei es auch nur durch Abstinenz. Eine „Antizyklik", die der derzeitige Bundesfinanzminister, der im Frühjahr 1980 auf den Gedanken kam, Teile der inneren Staats-schuld durch externes deficit-spending (Kreditaufnahmen bei den OPEC-Staaten) zu finanzieren, offenbar noch lernen muß. Denn sollte sein prozyklisches Beispiel ansteckend wirken, müßte er sich sagen lassen, daß er damit die deutsche Volkswirtschaft noch weiter in die „Exportlastigkeit" getrieben hat, statt in die längst notwendige „Exportsubstitution"
Zweitens: Die Vernachlässigung des eigenen und die Bevorzugung eines ausländischen Kapitalmarkts zum Zwecke der Staatsschuldfinanzierung stellt einen schwerwiegenden Regelverstoß gegen geschriebenes und ungeschriebenes Haushalts-, Notenbank-und Stabilitätsrecht dar. Die Direktplazierung von Bundesschuldtiteln im Ausland schaltet die Bundesbank als beobachtenden und nicht nur konstatierenden „Konsortialführer" aller Bundesschulden-Aktivitäten aus und erweitert unter dem offiziellen Ladentisch den Kassen-Kreditplafonds des Bundes. Nicht genug damit, „muß" die Bundesbank den DM-Gegenwert des Anleiheerlöses dem Bundesfinanzminister gutschreiben, zugunsten ihres Reserve-potentials in Devisen (sei es, daß Devisen eingehen oder Devisenzahlungen gepart werden). Was im Klartext bedeutet: Der Bundesfinanzminister beeinflußt mit seinen Kreditaufnahmen im Ausland die autonomen Geldmengen-ziele der Bundesbank, eine lupenrein „inflatorische" Finanzierung der Staatsschuld!
Auch das Argument, die Bundesbank sei in Zeiten größeren Reserveabflusses an Stärkungen ihres Reservepotentials interessiert, überzeugt kaum. Denn des Bundesfinanzministers Auslandsschulden sind und bleiben eine Devisenbelastung (auch wenn sie formal in DM kontrahiert sind, denn der Gläubiger kann sie jederzeit gegen andere Währungen verkaufen, womit die Auslandsschuld zu einem zusätzlichen Belastungsfaktor deutscher Wechselkurspolitik wird). Der wenig befriedigende Buchhaltungstrick, unter „Reserven" nur den aktiven Bestand der Reservekasse zu erfassen und die auf ihr schwebenden Zukunftsbelastungen weder abzusetzen noch als Mehrkosten zu passivieren, macht aus der Zunahme von Reserveaktiva und -passiva noch keine Netto-Reservevermehrung.
Entscheidend aber: Dem inländischen Anleger oder Sparer gehen die den OPEC-Staaten angebotenen Spartitel verloren, für die er sich nun Ersatzanlagen beschaffen muß. Wo? Entweder auch im Ausland, womit die öffentliche Auslandsschuld die private nach sich zieht und der öffentliche Schuldner den privaten nicht mehr zur Zurückhaltung mahnen kann. Oder der private Anleger verstärkt im Inland den Anlage-und Zinsdruck, womit der Stabilitätskurs nicht nur in puncto Geldmenge, sondern auch noch in puncto Zins (zusätzlich) unterlaufen wird.
Drittens: Wenn das deutsche Beispiel Schule macht und alle difizitär gewordenen Industrieländer dazu übergehen, größere Teile ihrer Staatsschulden international statt national zu finanzieren, was bleibt an internationalen Verschuldungsmöglichkeiten noch für die wirklich armen Entwicklungsländer übrig? Warum sollen OPEC-Staaten Beiträge zur Finanzierung des Entwicklungsprozesses von Staaten der Dritten Welt leisten, wenn sich die vorläufig noch guten Adressen direkt bei ihnen an. melden?
Unter welchem Gesichtswinkel man auch im. mer die Finanzierung von Staatsschulden rei. eher Industrieländer aus internationaler statt nationaler Kreditgewährung sieht: dem des (späteren) Transfers, dem der (heutigen) Stabilitätssicherung oder dem des (strukturellen) weltwirtschaftlichen Entwicklungsgefälles: Keiner rechtfertigt den neuen Ausweg aus der Haushaltskrise. Auch nicht die paar Prozentpunkte Zinsersparnis, die ja (wie gesagt) dem deutschen Sparer verlorengehen
Nur bleibt damit immer noch die Frage offen, wie das Doppeldefizit von Leistungsbilanz und Budget in fast allen Industrieländern der achtziger Jahre „seriöser" als bisher finanziert werden soll?
III. Das neue Doppeldefizit von Budget und Leistungsbilanz und seine Vermeidung
Die Verwirrung würde sich indes sofort lösen, wenn man sich wieder zweier in der Hitze der Debatte gerne übersehener Selbstverständlichkeiten bewußt würde:
Erstens: Das Leistungsbilanzdefizit (insbesondere das ölpreisbedingte) ist kein „öffentliches", sondern ein „privates". Weder Regierung noch Notenbank sind seit Preisgabe des Prinzips fester (= amtlicher) Wechselkurse verpflichtet, es zu finanzieren. Daß dies keine „Theorie" ist, zeigt die Entwicklung seit 1973 (der ersten Olpreiskrise) und erst recht seit 1980 (der zweiten Olpreiskrise). Das Defizit der Bundesrepublik Deutschland in der Leistungsbilanz und das noch höhere in laufender Rechnung wurde zwar bisher durch Rückgriff auf private Auslandskredite (eine Zunahme der privaten Auslandsverschuldung) und Reservenabfluß bei der Bundesbank (Abbau der öffentlichen Kreditgewährung an das Ausland) gedeckt.
Was aber, wenn private Auslandsverschuldung und öffentliche Reservehaltung der Bundesbank eines Tages nicht mehr ausreichen, das laufende Devisendefizit der deutschen Volkswirtschaft zu decken? Dann wird sich mit Sicherheit die derzeitige Wechselkursrelation der DM zu den anderen Weltwährungen verschlechtern, mit möglicherweise kurzfristig unerwünschten Stabilitätswirkungen (Importverteuerung). Aber es besteht kein Zweifel, daß sich auf längere Sicht die überhöhten Zahlungen an das Ausland (für Importe, Reisen und Gastarbeiterüberweisungen) nach der kürzeren Decke der Deviseneinnahmen aus Exporterlösen und anderen regulären Deviseneinnahmen werden strecken müssen. Die Auslandsverschuldung als Mittel des Leistungsbilanzausgleichs wird also streng genommen gar nicht gebraucht!
Zweitens: Das Budgetdefizit (auch das konjunktur-und rezessionsbedingte) ist und bleibt ein „öffentliches" Defizit, auch wenn es der Privatsektor mit seinen Steuerleistungen und Krediten schließen muß. Vor allem aber ist es ein „inneres", in DM (und nicht in Devisen) zu finanzierendes Defizit; denn in den entwickelten Industrieländern geht es nicht wie in den Entwicklungsländern darum, die zur Vollbeschäftigung führenden Kapazitäten und Strukturen mit ausländischer Kapitalhilfe erst zu schaffen.
Mit anderen Worten: Die weltwirtschaftliche Zäsur des Jahres 1973 (Aufhebung des Weltwährungsverbundes fester Wechselkurse und Beginn der Ölverteuerung) hat nichts an der überkommenen Funktions-und Arbeitsteilung der Staatsschuldfinanzierung in Industrie-und Entwicklungsländern geändert; sie hat sie eher akzentuiert! Denn die Industrieländer haben aus der Preisgabe des Prinzips fester Wechselkurse (ihrem Selbstverständnis nach!) ein zusätzliches Instrument des Zahlungs-und Leistungsbilanzausgleichs gewonnen. Sie können anhaltende Defizite in der Devisenrechnung nicht nur durch Rückgriff auf Auslandskredite und Reserven (wie bisher) finanzieren, sie können (zusätzlich) durch Veränderungen ihrer Wechselkurs-(und Termsof-trade-) Positionen auch einen Direktausgleich ihrer Zahlungsungleichgewichte mit dem Ausland anstreben.
Freilich funktioniert diese Methode des Zahlungsbilanzausgleichs über derartige Wechselkurs-und Terms-of-trade-Veränderungen „sicher" nur im Falle eines Landes oder einer kleinen Ländergruppe gegenüber einer Mehrheit von Wechselkurs-und Terms-of-trade-Stillhalteländern! Floaten alle wild und unkontrolliert gegen alle, werden die Zahlungsbilanzziele und -gleichgewichte aller Partner wieder unsicherer denn je, weswegen die Weiterentwicklung des gegenwärtigen Zwischen-regimes eines „kontrollierten Floatings" der wichtigsten Weltwährungen (eine Art wechselkurspolitischen Waffenstillstands) hin zu einem neuen Weltwährungssystem auf der Agenda weltwirtschaftlicher Stabilitäts-und Friedenspolitik bleibt.
Nur, bis es (wenn überhaupt je) dazu kommt, bleiben in der Bundesrepublik Deutschland (wie in allen westlichen Industrieländern) Zahlungsbilanz-und Budgetfinanzierung getrennte Konten. In Sachen Zahlungsbilanz und Wechselkurs der DM hat die Politik von Bundesbank und Bundesregierung die Rahmendaten zu setzen, die dem Privatsektor die Grenzen des Rückgriffs auf ausländische Ressourcen (Güterimporte, Reisen, Kredite) vom Portemonnaie her klarmachen: Werden sie ihm zu teuer, wird er sie schon einschränken!
Dagegen muß in Sachen Budget (Höhe der Staatsausgaben und ihrer Finanzierung) die Bundesregierung — wie jede demokratisch legitimierte Regierung heutzutage — nicht nur den Konsensus mit dem Parlament (genauer: seinen Fachausschüssen) suchen, sondern auch mit der öffentlichen Meinung. Gerade die Debatte um die inneren Staatsschulden und ihre „richtige" Höhe und Finanzierung, die zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland (aber nicht nur hier) geführt wird, zeigt, wie wenig der Staatsbürger von seinem Staat über die sein Geld kostenden Absichten und Verpflichtungen aufgeklärt worden ist — was zumindest in Demokratien eine Bringschuld des Staates und keine Holschuld des Bürgers ist. Beweist man dem Bürger, daß die Höhe der Staatsausgaben — der gegenwärtigen wie bereits künftig abzusehenden — eine Funktion sachlicher Notwendigkeiten und verläßlich durchgerechneter Prioritäten ist (weder Wahl-geschenk noch Schlendrian) und macht man ihm klar, daß zur Finanzierung des Unabweisbaren im Prinzip nur zwei Quellen offen stehen: entweder die Steuer oder die Staatsverschuldung (denn der unerlaubte Griff in die Notenpresse kann inzwischen als Verfassungsbruch ausgeschlossen werden), so kann die Antwort der Befragten eigentlich nur lauten: Wenn es schon sein muß, dann lieber eine höhere Staatsschuld als eine noch höhere Steuerbelastung! Denn alle zwar nicht von Milchmännern, aber auch nicht gerade von Fachmännern aufgemachten Rechnungen, wonach der Staat seine innere Verschuldungsgrenze erreicht habe, wenn die Zinsen der alten Last die Summe der bisherigen Jahresneuverschuldung erreichen (in der Bundesrepublik Deutschland bereits ab 1982!), übersehen oder verschweigen die Finanzierungsalternative: Dann müßten die Steuern schon heute, und morgen noch stärker, erhöht werden.
Ob der Staat seinen unabweisbaren, der Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens dienenden Ausgabebedarf zu 100% aus Steuern oder zu 100% aus Schulden finanziert, ist lediglich ein Problem der „Weltanschauung" (und als solches nicht zu lösen), aber die reale Last des Bürgers (sein Verzicht auf ihm sonst zustehendes Realeinkommen vor Steuer-oder Anleihe-abzug) bleibt in beiden Fällen dieselbe. Im Falle der Steuerfinanzierung zahlen alle Bürger gemäß Einkommen und Verbrauch, im Falle der Anleihefinanzierung die reicheren (sparfähigeren) Bürger mehr, die ärmeren weniger. Warum auch nicht?
Der Staatsverbrauch oder richtiger: die staatliche Beanspruchung des Sozialprodukts (für sog. staatlichen Einkommenstransfer und Selbstkosten der Staatsverwaltung) „kostet" somit immer die Güter und Dienste, die er da-11 für den Privaten entziehen muß, gleichviel, wie er diesen Entzug finanziert und bestätigt: durch Steuer-oder Anleihequittung. Nur daß der Bürger im Falle Eins zur Kasse gezwungen, im Falle Zwei zur Kasse gebeten wird — ein Wunsch, dem er sich sogar verweigern kann!
Und der vielzitierte Lastenausgleich zwischen den Generationen? Er findet nur im Bereich der Zinsen und Tilgungen statt, und auch da nur, wenn die Absicht besteht, das absolute Niveau der Staatsschulden zu vermindern. Aber warum sollte ein Staat, der weder die Absicht noch das Recht hat, sich selber zu liquidieren, seine Gläubiger ganz oder teilweise in bar abfinden? Zumal das voraussetzt, daß er wiederum die Steuern erhöht und seine Gläubiger mit dem Geld bezahlt, daß er ihnen vorher zum Zwecke der Barabfindung noch schnell aus der anderen Tasche gezogen hat
Nein: Staatsschulden sind wie Steuern eine zeitlose Finanzierungskategorie des als „Unternehmen mit Ewigkeitscharakter''konzipierten Staates, und es besteht (auch wenn es manchen ungewohnt klingen mag) kein triftiger Grund, die Staatsschulden von Zeit zu Zeit abzubauen oder gar auf Null zu reduzieren. Die, die darin fälschlicherweise einen Verstoß gegen den freien und privaten Grundcharakter unserer Wirtschaftsordnung sehen, verwechseln ohnehin Staatsvermögen mit Staatsschulden. Denn nur der Vermögen akkumulierende (und nationalisierende) Staat enteignet seine Bürger, nicht derjenige, der ihnen Anlagegele, genheiten für ihre Ersparnis bietet und gerade dadurch ihre Sparfähigkeit durch Minderung der Steuerlast stärkt.
Kurz, der Staat, der langfristig seine Steuerfi. nanzierungskomponente abbaut und seine Schuldenfinanzierungskomponente aufbaut ist oder sollte eigentlich der Staat unserer politischen Wünsche sein, ebenso liberal (weil auf Zwangsfinanzierungen verzichtend) wie sozial (weil trotzdem seinen sozialen Verpflichtungen nachkommend). Verstünde er es nur, sich besser darzustellen!
Denn die Grenzen innererStaatsverschuldung bestehen im Gegensatz zu denen äußerer Staatsverschuldung nicht im Finanziellen, auch nicht im Psychologischen, wenn man den Bürger von der sachlichen Berechtigung der staatlichen Sozialproduktbeanspruchung überzeugt. Sie liegen — da allerdings höchst real — in den Lebensstandard- und Erwartungsansprüchen moderner und mündiger Bürger. Empfinden sie — wie zunehmend in den Staaten, die östlich von uns vorgeben, ein Paradies der Arbeiter zu verwirklichen —, daß der reale Einkommensspielraum zur Befriedigung persönlicher Wünsche und Ansprüche zu klein wird oder bleibt, dann revoltieren sie zunehmend gegen diesen Staat, seine Ineffizienz und seine (untrennbar damit verbunden) zu rigorose Form der Realeinkommensbeschneidung. Wenn die Theoretiker und Praktiker östlicher Volksdemokratien eine historische und politische Erfahrung der älteren westlichen und liberalen Demokratien zu ihrem heutigen Schaden mißachten, wenn nicht gar verachtet haben, dann diese: Die Staatsbejahung verlangt als erstes Eigentumsrecht die freie Verfügung über das laufende Einkommen, erst danach kommt die über das Vermögen der bereits besitzenden Schichten, weswegen „no taxation without representation" der Schlachtruf aller drei großen westlichen demokratischen Revolutionen war, der englischen, nordamerikanischen und französischen. Der erste Schritt der bürgerlichen Selbstbestimmung über das eigene Einkommen war daher folgerichtig die Beschneidung der staatlichen (richtiger: feudalistischen) Herrenrechte der Besteuerung, der zweite — nur zögernd eingeleitete — die Einführung einer ebenfalls demokratisch-parlamentarisch kontrollierten Staatsverschuldung.
Denkt man zu Ende, was vor 300 Jahren zuerst im damaligen England begann und seitdem mehr und mehr das wirtschaftliche Rückgrat einer Gesellschaft freier Menschen ausmacht, daß nämlich der Bürger selber entscheiden will und soll, mit welchem Anteil seines persönlichen Einkommens er sich an der Finanzierung „seines“ Staates und seiner Aufgaben beteiligt, dann sollte der seine Bürger „bereichernde" Schuldenstaat den seine Bürger (wenn auch mit ihrer parlamentarischen Billigung) „ausplündernden" Steuerstaat eines hoffentlich nicht mehr allzu fernen Tages sogar gänzlich ablösen.
Es stünde um die Kredit-und Vertrauensposition so mancher westlicher Regierung, auch der unseren, besser, wenn sie dieses ihren Bürgern rechtzeitig und immer wieder klar gemacht hätte, gerade angesichts der unabweisbaren Staatsaufgaben und -ausgaben der vor uns liegenden achtziger Jahre. Der vielzitierte kritische Bürger hätte dieses eher verstanden und honoriert als alle undurchsichtigen — und insoweit verständlicherweise beunruhigenden — Tricks mit der Verlagerung einer inneren Staatsschuldenfinanzierung ins Ausland.
Denn das ist unser Fazit: Zur Finanzierung der Staatsaufgaben der Gegenwart und Zukunft braucht eine ersparnis-und kapitalmarkt-starke Volkswirtschaft wie die deutsche weder die Ölscheichs noch die Euro-und Xeno-Kreditmärkte. Diese hochinflatorische Auslandsverschuldungsaktivität können und sollten sich die uns Regierenden ersparen. Oder um es mit Hamlet, dem Dänenprinzen zu sagen: Die neumodische Art, das unvermeidliche interne Budgetdefizit aus vermeidbarer Auslandsverschuldung zu finanzieren, ist „ein Brauch, von dem der Bruch mehr ehrt als die Befolgung".
Doch zum Bessermachen ist es bekanntlich niemals zu spät, zumal die inneren Möglichkeiten zur Ausweitung der Staatsschulden noch keineswegs erschöpft sind — zum Glück für unseren Staat, seine Bürger und insoweit auch für seine Bischöfe.