I. Arbeitsmarktlage und arbeitsmarktpolitischer Handlungsbedarf
Die gegenwärtig ansteigende Arbeitslosigkeit und die eher düsteren Zukunftsaussichten erfordern dringend eine Besinnung auf die bisherigen Erfahrungen der Arbeitsmarktpolitik. Ein solcher Rückblick ist auch zur richtigen Einschätzung der gegenwärtigen Lage notwendig, da die Erfolge unserer Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik in den siebziger Jahren zum Teil auf Voraussetzungen beruhten, die zukünftig nicht mehr gelten werden. Im Folgenden werden thesenartig die zu erwartenden Probleme auf dem Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus den zurückliegenden Jahren erörtert.
These 1: Größere Entlastungseffekte für den Arbeitsmarkt sind auf der Arbeitsangebotsseite mittelfristignicht zu erwarten. Beschäftigungsdefizite werden sich daher künftig unmittelbarer in offener Arbeitslosigkeit ausdrücken.
Die weltweite Rezession seit 1974 brachte die Wirtschaft aller westlichen Länder in Schwierigkeiten. Die Bundesrepublik Deutschland hat diese Schwierigkeiten nach ziemlich einhelligem Urteil vergleichsweise gut bewältigt: Niedrige Inflationsraten, eine mittlere Arbeitslosenquote, andauernde Exporterfolge und eine harte Mark haben zu dem Gütezeichen „Modell Deutschland" geführt. Gemessen an zwei anderen Kriterien schneidet die Bundesrepublik jedoch nicht so günstig ab: Ihre Wachstumsraten waren gegenüber anderen Ländern bescheiden, und beim Beschäftigungsniveau mußte sie erhebliche Verluste hinnehmen.
Die meisten vergleichbaren westlichen Länder haben während der letzten Rezession ihr Beschäftigungsvolumen gehalten; einige Län-der — z. B. die USA und Schweden — haben ihr Beschäftigungsvolumen sogar erheblich erhöht. Dagegen hat sich in den fünf Jahren von 1973 bis 1977 die Zahl der Beschäftigten in der Bundesrepublik um 1, 7 Millionen, d. h. um 6, 5 Prozent vermindert! Dieser drastische Rückgang des Beschäftigungsvolumens blieb politisch fast unbemerkt, weil man die Aufmerksamkeit vor allem auf die Arbeitslosigkeit richtete. Es sprechen jedoch mehrere Gründe dafür, daß wir es hier mit einer Sonderentwicklung der Bundesrepublik zu tun haben, die sich in dem kommenden Jahrzehnt nicht mehr fortsetzen wird.
Mit statistischen Beobachtungen und Berechnungen läßt sich zeigen, daß die Beschäftigungsverluste vor allem durch drei Faktoren aufgefangen wurden, die sich nicht in der offenen Arbeitslosenquote ausdrückten:
1. Während in fast allen Vergleichsländern die Frauenerwerbsquote auch während der Rezessionsjahre weiter anstieg — in Schweden sogar von 62 auf 70 Prozent —, blieb sie in der Bundesrepublik konstant bei 48, 5 Prozent! Diese Stagnation drückt sich zum Teil im Anstieg der sogenannten Stillen Reserve auf schätzungsweise 650 000 Personen aus. Meines Erachtens läßt sich jedoch der Trend einer steigenden Erwerbsbeteiligung der Frauen langfristig nicht aufhalten, weil dieser Trend durch vielfältige Motive und soziale Wandlungsprozesse gestützt wird.
2. Als Folge einer forcierten Politik der Frühverrentung sank die Erwerbsquote 60-bis der 65jährigen von 41, 3 Prozent (1973) auf 30, 5 Prozent (1977) und entlastete den Arbeitsmarkt auf diese Weise erheblich. Aus sozialpolitischen Gründen war die Einführung der flexiblen Altersgrenze sicherlich begrüßenswert; sie begünstigte aber auch den Abbau altersgerechter Arbeitsplätze. Darüber hinaus sind die beschäftigungspolitischen Effekte der Frühverrentung weitgehend ausgeschöpft und lassen sich kaum wiederholen. 3. Schließlich wurde durch die Beendigung der Ausländeranwerbung, durch Nichtverlängerung von Arbeitsverträgen und dergleichen die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer zwischen 1974 und 1977 um rund 450 000 vermindert. Auch dieser Prozeß der Ausländerverdrängung ist in den achtziger Jahren nicht zu wiederholen. Die meisten Ausländer, die jetzt noch hier sind, werden auch bleiben. Hinzukommt, daß jetzt die zweite Generation der Ausländer auf den Arbeitsmarkt drängt und dort den Angebotsdruck erhöht.
Aus den angeführten Gründen sind derartige Entlastungseffekte des Arbeitsmarktes künftig nicht mehr zu erwarten. Beschäftigungsdefizite werden sich dann unmittelbar in der politisch bedeutsameren Statistik der offenen Arbeitslosigkeit niederschlagen.
These 2: Die gegenwärtige Struktur der Arbeitslosigkeit erschwert unmittelbare beschäftigungspolitische Erfolge. Der zu befürchtende Anstieg der offenen Arbeitslosigkeit wird künftig auch die politisch sensitive-ren Gruppen des Arbeitsmarktes treffen, vor allem voraussichtlich die Jugendlichen.
Unabhängig von technologie-, energie-und Problemen wachstumspolitischen wird die Erreichung der Vollbeschäftigung allein schon durch demographische Entwicklung, d. h. die durch den Eintritt geburtenstarker Jahrgänge in den Arbeitsmarkt, erschwert. Zum anderen hat sich aber auch die Struktur der Arbeitslosigkeit durch mehrfache . Aussiebungsprozesse" zunehmend verschlechtert. Vergleicht man die Sondererhebungen der Bundesanstalt für Arbeit Ende September 1975 mit Ende September 1979, dann sind vor allem folgende Veränderungen bemerkenswert: Während 1975 nur jeder zehnte der registrierten Arbeitslosen länger als ein Jahr ohne Beschäftigung war, traf das 1979 schon für jeden fünften zu; 1975 wies jeder fünfte Arbeitslose gesundheitliche Einschränkungen auf, 1979 jeder dritte. Erhöht hat sich außerdem der Anteil der Frauen unter den Arbeitslosen, und insbesondere der der Schwerbehinderten. Je länger die hohe Arbeitslosigkeit andauert, desto mehr wirken sich die Selektionskriterien, die Arbeitgeber bei Entlassungen und Einstellungen anwenden, auf die Zusammensetzung des Bestandes der Arbeitslosen aus. Er reichert sich immer mehr mit „Schwervermittelbaren" an, die auch bei steigender Nachfrage kaum mehr einen Arbeitsplatz finden. Offene Stellen bleiben dann trotz hoher Arbeitslosigkeit entweder unbesetzt, oder sie werden eher durch Neuzugänge aus dem Ausbildungssystem oder aus der „stillen Reserve" besetzt als aus dem Reservoir der registrierten Arbeitslosen
Neben anderen Faktoren ist diese Verschlech terung der Struktur der Arbeitslosigkeit auch mitverantwortlich für die zu beobachtende Diskrepanz zwischen Wirtschaftswachstum und Beschäftigungswirkung. Das reale Wirtschaftswachstum erreichte im Jahre 1979 4, 4 Prozent; dennoch erhöhte sich die Zahl der Beschäftigten lediglich um 318 000 Personen (d. s. 1, 26 Prozent), und die jahresdurchschnittliche Arbeitslosenzahl fiel nur um rund ein Drittel des Beschäftigungsgewinns, d. h. um 116 970 Personen.
Ein überdurchschnittlicher Anteil der jetzt schon hohen Arbeitslosigkeit wird von soge-nannten Randgruppen des Arbeitsmarktes getragen. Für Ältere, für Behinderte, für Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen, für Personen ohne Berufsausbildung und für Frauen wird es künftig sicherlich noch schwieriger werden, wieder einen Arbeitsplatz zu finden, wenn sie einmal arbeitslos geworden sind. Aber auch, wenn diese „Randgruppen 1 des Arbeitsmarktes einen noch höheren Anteil der steigenden Arbeitslosigkeit zu tragen haben, werden sie nicht die Gesamtlast übernehmen können, die „Kerngruppen" der Arbeitnehmer, die von den bisherigen Beschäftigungsdefiziten weniger betroffen waren, würden dann mit einem erheblich höheren Risiko unfreiwilliger Arbeitslosigkeit konfrontiert Politisch wahrscheinlich wären dann massive Bemühungen der Gewerkschaften um Beschäftigungssicherung für die bereits beschäftigten (und gewerkschaftlich organisierten) Arbeitnehmer. Die Folge könnte dann eine wesentlich höhere Jugendarbeitslosigkeit sein, die die Bundesrepublik mit ihrem vergleichsweise leistungsfähigen System der beruflichen Bildung bisher (im Gegensatz zu anderen Ländern) noch vermeiden konnte. These 3: DerArbeitsmarktistgespalten; Kräfteangebot und Kräftenachfrage stehen in einem zunehmenden Ungleichgewicht. Dieses Ungleichgewicht ist vor allem berufsfachlicher und qualifikationsspezifischer Natur; es könnte zu einem Engpaß für die „Modernisierung der Volkswirtschaft" werden.
Trotz hoher Arbeitslosigkeit gibt es Teil-arbeitsmärkte, in denen ein mangelndes Angebot an qualifizierten Kräften vorhanden ist; diese Diskrepanz hat sich in den vergangenen Jahren verschärft. Insgesamt gab es Ende September 1979 in 87 (von insgesamt 328) Berufs-ordnungen mehr Stellen für -Arbeits offene kräfte mit beruflicher Qualifikation als entsprechende Arbeitslose. Ein Jahr zuvor waren es 63 Berufsordnungen Ohne die Offene-Stellen-Statistik zu strapazieren, lassen sich doch folgende Trends erkennen:
Teilarbeitsmärkte mit erheblichem Mangel an qualifizierten Kräften sind vor allem: Bau-und Baunebenberufe (vor allem Maler, Lackierer, Betonbauer, Verputzer, Dachdecker, Fliesen-leger), Metall-und Elektrikerberufe (vor allem Schlosser-und Installateurberufe); einen beständigen Bedarf in den letzten Jahren gab es bei Flach-und Tiefdruckern, Tischlern und Modellbauern, in Berufen des Hotel-und Gaststättengewerbes (vor allem Köche), in Ingenieurberufen, gehobenen Gesundheitsberufen (vor allem Masseure und Krankengymnasten), bei Zahntechnikern, bei Technikern, Elektronikern und Fachleuten der Datenverarbeitung. Besondere Arbeitsplatzdefizite gab es dagegen in den Teilarbeitsmärkten für Büro-und Verwaltungsberufe, bei den Warenkaufleuten, bei einigen Pflegeberufen (z. B. Kinderpflege-rinnen, Krankenpflegerinnen), bei Hilfsarbeitern, Lager-und Transportarbeitern, vor allem jeweils bei Kräften ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Einige der Teilarbeitsmärkte mit einem schon derzeit größeren Kräftebedarf könnten sich zu einem Engpaß für die „Modernisierung der Volkswirtschaft" entwickeln. Es konzentrieren sich hier Bedarfsbereiche, die auch in zentralen Bereichen der „Modernisierung" eine Rolle spielen: Qualifizierte Kräfte in Bau-und Baunebenberufen, in Metall-und Elektrikerberufen werden verstärkt benötigt, wenn alterna-tive, arbeitsintensive Energietechnologien entwickelt und installiert werden sollen; sie werden verstärkt benötigt, wenn Wärmedämmungsmaßnahmen, Altbau-und Wohnungsmodernisierung und die Verbesserung der städtischen Infrastruktur forciert werden sollen. Ähnliches gilt für Techniker, Ingenieure, Datenverarbeitungsfachleute, wenn die Bereiche der Sozialtechnologie und des Umweltschutzes expandieren sollen.
Die Spaltung des Arbeitsmarktes scheint vor allem zwei Ursachen zu haben: Einmal eine tiefgreifende Veränderung von Verhaltens-und Wertmustern (u. a. eine sinkende Neigung, manuelle -Berufe bestimmte anzustre ben); aber auch eine mangelnde Anpassung der Arbeitsorganisation an gestiegene Anforderungen im Hinblick auf Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitgestaltung. Daneben sind Mängel im beruflichen Ausbildungssystem zu verzeichnen. Anzeichen solcher Defizite, die wir hier nicht ausführlicher diskutieren können, sind mehrfach bestätigte Beobachtungen, daß hinter der vielzitierten Facharbeiterlücke häufig weniger der Mangel an Facharbeitern mit speziellen Kenntnissen der Stoffbearbeitung steht als der Mangel an flexiblen Fachkräften mit allgemeineren Qualifikationen wie Abstraktionsvermögen, Verantwortung, Selbständigkeit und Lernfähigkeit. Erforderlich scheint eine berufliche Erstqualifikation mit breiteren Kenntnissen und auch eine Überprüfung der derzeitigen Ausbildungssituation im Handwerk, wo wesentlich mehr Lehrlinge ausgebildet werden, als dieser Wirtschaftszweig selbst beschäftigen kann. Die neuerlichen Schwierigkeiten von Jugendlichen mit abgeschlossener Berufsausbildung, einen Arbeitsplatz zu finden, weisen in dieselbe Richtung.
Die Arbeitsmarktpolitik der achtziger Jahre wird vor großen Aufgaben stehen. Optionen zur massiven angebotsseitigen Entlastung des Arbeitsmarktes, wie sie in den siebziger Jahren genutzt werden konnten, stehen in den achtziger Jahren nicht zur Verfügung. Technologiepolitisch bedingter Freisetzungsdruck und demographisch bedingter zusätzlicher Angebotsdruck zwingen die Arbeitsmarktpolitik im Gegenteil dazu, vielmehr als bisher beschäftigungsausweitende Wachstumspolitik zu unterstützen. Die sich verschlechternde Struktur des gegenwärtig schon viel zu hohen Arbeitslosenbestandes fordert die Arbeits23 marktpolitik heraus, ihre eigenen Maßnahmen zur Wiedereingliederung „schwervermittelbarer" Personen wirksamer zu machen. Das zunehmende qualifikationsspezifische Un-gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt in Ver-bindung mit einem zu erwartenden beschleu. nigten technologischen und sozialen Wandel zwingt zu erheblichen Anstrengungen, um die erforderlichen Anpassungsprozesse von Angebot und Nachfrage zu bewältigen.
II. Umfang, Struktur und Wirksamkeit des gegenwärtigen arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums
Zur Beurteilung der künftigen Gestaltung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums ist es zunächst erforderlich, sich den derzeitigen finanz-und beschäftigungswirksamen Umfang der Arbeitsmarktpolitik gegenwärtig zu machen. Dazu zunächst
These 4: Gemessen am Bruttosozialprodukt gibt Schweden etwa fünfmal mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik aus als die Bundesrepublik; entsprechend trägt die schwedische Arbeitmarktpolitik mehr zur Erreichung der Vollbeschäftigung bei als die Bundesrepublik. Gemessen am Kriterium der Beschäftigungseffektivität steht die Bundesrepublik vergleichsweise günstiger da als Schweden. Es besteht in der Bundesrepublik also noch ein erheblicher Spielraum für aktive Arbeitsmarktpolitik.
Die jährlichen Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit sind mittlerweile auf rund 20 Mrd. DM angestiegen (1979). Davon entfallen rund 9 Mrd. DM auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, also auf die Kompensation des Einkommensverlustes der Arbeitslosen. Die restlichen 11 Mrd. DM sind im weitesten Sinne „aktive Maßnahmen" der Arbeitsmarktpolitik. Die Maßnahmenpalette umfaßt die Förderung der beruflichen Bildung, Vermittlungsund Beratungsaktivität der Arbeitsämter, Rehabilitation, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Kurz-arbeit und Schlechtwettergeld, Eingliederungsbeihilfen — um die wichtigsten zu nennen.
Von der Vermittlungs-und Beratungsaktivität einmal abgesehen, deren Beschäftigungseffekt nicht zu beziffern ist, hat das finanzwirksame arbeitsmarktpolitische Instrumentarium seit 1973 im Jahresdurchschnitt einen Nettobeschäftigungseffekt von 316 000 Personen erzielt; das sind rund 1, 25 Prozent aller Erwerbstätigen, d. h. um diese Zahl wäre die Arbeitslosigkeit höher gewesen. Allerdings handelt es sich hier um Maximalwerte, weil die Schätzungen mögliche Mitnehmer-und Verdrängungseffekte nicht enthalten.
Diese Zahlen können sich sehen lassen, vergleicht man sie etwa mit den Beschäftigungseffekten der Fiskal-und Regionalpolitik; sie sind jedoch ziemlich bescheiden, wenn man sie mit der schwedischen Arbeitsmarktpolitik vergleicht. Gemessen am Bruttosozialprodukt gibt Schweden etwa fünfmal soviel wie die Bundesrepublik für selektive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen aus. Der jahresdurchschnittliche Nettobeschäftigungseffekt von 1973— 78 betrug 3, 15 Prozent (gegenüber 1, 25 Prozent in der Bundesrepublik).
Wenn man nun einmal für Schweden und die Bundesrepublik die Rechnungen gegenüberstellt, wie hoch der Beschäftigungseffekt von 1 Prozent Ausgaben des Bruttosozialprodukts für Arbeitsmarktpolitik ist, so stellt man erstaunt fest, daß die bundesrepublikanische Arbeitsmarktpolitik — gemessen an diesem Kriterium — effektiver ist als die schwedische. Es scheint also eine Schwelle zu geben, nach der die Beschäftigungseffektivität selektiver Arbeitsmarktpolitik sinkt. Schweden scheint diese Schwelle erreicht zu haben, die Bundesrepublik noch nicht; d. h. gemessen an diesem Kriterium hat die Bundesrepublik noch ein erhebliches Potential an aktiver Arbeitsmarkt-politik auszuschöpfen.
These 5: Die gegenwärtige Struktur des arbeitsmarktpolitischen fnstrumentariums ist überwiegend ein Reflex der ungünstigen Arbeitsmarktlage. Aufdiese Weise werden systematisch vorbeugende undproduktive Maßnahmen vernachlässigt. Die Arbeitsmarktpolitik muß künftig wieder stärkeres Gewicht auf die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen und auf vorbeugende Anpassung an wirtschaftlichen und technologischen Wandel legen.
Von der Struktur her betrachtet, unterscheidet sich Schweden von der Bundesrepublik vor allem durch eine höhere Förderung der beruflichen Erwachsenenbildung (die gezielt auch antizyklisch eingesetzt wird), durch höhere Ausgaben für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und durch eine erheblich größere Zahl an geschützten Arbeitsplätzen für Behinderte, gesundheitlich eingeschränkte oder ältere Erwerbspersonen.
Ohne dem schwedischen Modell das Wort zu reden, stimmt es jedoch bedenklich, daß in der Bundesrepublik die realen Ausgaben zur Förderung der beruflichen Bildung seit 1973 gesunken sind. Während die (zusammengefaßten) Ausgaben für berufliche Bildung 1973 rund 1, 8 Mrd. DM betrugen, war ihr Umfang 1979 mit 2, 2 Mrd. DM nominal nur geringfügig höher, was real unter Einbeziehung des Kaufkraftverlustes ein Sinken bedeutet. Auf diese bedenkliche Entwicklung hat mittlerweile auch die Politik reagiert. Mit der 5. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes und vor allem auch mit dem jüngsten Sonderprogramm der Bundesregierung wird die Betonung wieder stärker auf Qualifizierungsmaßnahmen gesetzt.
Demgegenüber stiegen die Ausgaben für Maßnahmen der Wiedereingliederung, Rehabilitation und Arbeitsbeschaffung von rund 0, 5 Mrd. DM (1973) auf knapp 3 Mrd. DM im Jahr 1979. Diese Ausgabenentwicklung ist sicherlich ein Reflex der schwierigen Arbeitsmarktsituation. Man muß sich jedoch fragen, ob die Arbeitsmarktpolitik nicht Opfer eines Teufelskreises ist, den es zu durchbrechen gilt: Die wirklich vorbeugenden, produktiven und unzweifelhaft effektiven Maßnahmen der Qualifikationsförderung sind in der Vergangenheit gegenüber den überwiegend verteilungs-und sozialpolitisch motivierten Maßnahmen der Rehabilitation, Wiedereingliederung und zeitlich befristeten Arbeitsbeschaffung zurückgetreten. Von dem Sonderproblem der Rehabilitation einmal abgesehen (die unabhängig von der Arbeitsmarktlage dringend nötig ist), ist jedoch der qualitative und der quantitative Beschäftigungseffekt der Eingliederungsbeihilfen und der traditionellen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach allen Wirkungsanalysen, die wir kennen, von allen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten am zweifelhaftesten Hier muß die Arbeitsmarktpolitik in Zukunft neue Akzente setzen, die in den jüngsten Maßnahmen der Bundesregierung zum Teil auch schon aufgegriffen wurden.
III. Der künftige Beitrag der Arbeitsmarktpolitik zur „Modernisierung der Volkswirtschaft"
These 6: Die Arbeitsmarktpolitik kann sowohlnachfrage-wie angebotsseitig zur wachstumspolitischen Expansion der Beschäftigung beitragen — besonders durch Ausweitung anpassungsbedingter betrieblicher Qualifizierung und durch Steuerung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in latente, dauerhafte Bedarfsbereiche. Durch Beseitigung qualifikationsbedingter Engpässe kann die Arbeitsmarktpolitik auch den Spielraum für expansive globale Beschäftigungspolitik erweitern.
Nach meiner Einschätzung gewinnen in Zukunft selektive Wachstumsstrategien an Bedeutung, weil globale beschäftigungspolitische Programme nicht nur an Grenzen der wirtschaftspolitischen Durchsetzungsfähigkeit, sondern auch an Grenzen der beschäftigungspolitischen Effektivität stoßen. Wenn die These richtig ist, daß vor allem in den politisch konsensfähigen Bedarfsbereichen (Energieeinsparung, Umweltschutz, Altbausanierung, Verbesserung des Wohnumfeldes), die Gegenstand einer selektiven Wachstumspolitik wären, sich schon heute Qualifikationsengpässe andeuten, dann gewinnt die Förderung der Ausbildung qualifizierten Personals für Mangelberufe eine besondere Bedeutung. Diese Möglichkeit ist auch deshalb wichtig, weil hier der Bund über die Bundesanstalt für Arbeit und die Arbeitsämter ohne Umwege über Länder und Gemeinden unmittelbar auf der lokalen Ebene tätig werden kann. Für die Wirksamkeit bundespolitisch konzipierter Maßnahmen liegt darin ein unschätzbarer Vorteil.
Zugleich ist die Förderung von Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen — also der Humankapitalbildung und -erneuerung — diejenige Form der Subventionierung des privaten Sektors, bei der positive Beschäftigungseffekte am ehesten zu erwarten sind. Während die Unternehmen die (durch die übliche staatliche Investitionsförderung begünstigte) Sachkapitalbildung notfalls immer auch über den Kapitalmarkt finanzieren könnten, können Humankapitalinvestitionen nicht bilanzwirksam aktiviert und zur Kreditgrundlage gemacht werden. Wenn die Möglichkeiten der Eigenfinanzierung begrenzt sind, dann unterbleiben Humankapital-Investitionen eher als Sachkapital-Investitionen
Selbst in wirtschaftlich günstiger Situation unterbleiben oft weiterbildende Personalinvestitionen, weil die Unternehmen an kurzfristiger Gewinnmaximierung orientiert sind und ihr Personal für Fortbildung und Umschulung nicht freistellen können oder wollen. Alle vorhandenen Kapazitäten werden dann für die Produktion eingesetzt. Der Druck von Terminaufträgen und vor allem der Akkordlohn kommen hinzu: Meister und qualifizierte Fachkräfte sind ohne Garantie ihres Mehrverdienstes oder entsprechender Kompensation nicht bereit, erhebliche Zeit für die Anleitung von Anlernkräften aufzuwenden. Qualifikationsengpässe werden dann durch Überstunden und/oder durch Rekrutierung am (ohnehin knappen) externen Teilarbeitsmarkt gelöst.
Eine Überbietungskonkurrenz am externen Markt für qualifizierte Fachkräfte ist dann wahrscheinlich.
Staatliche Finanzhilfen — wie etwa die Zu-schüsse zur innerbetrieblichen Qualifizierung im sogenannten 500-Millionen-Programm des Bundesarbeitsministers vom Sommer 1979 — treffen hier also oft auf einen tatsächlichen Entwicklungsengpaß der Unternehmen und können deshalb wirksam zur Beschäftigungsausweitung beitragen. Insofern Qualifika. tionsengpässe mitverantwortlich für inflatori.sehe Prozesse sind und insofern globale beschäftigungspolitische Impulse (sei es über Steuernachlässe oder staatliche Investitionen über deficit spending) durch Inflation eingeschränkt werden, könnte auf diese Weise auch der Spielraum für globale Beschäftigungspolitik erweitert werden.
Nach allem, was wir hier bisher über die Wirksamkeit des sogenannten 500-Millionen-Programms wissen, wurde mit diesem Programm in vielen Unternehmen ein tatsächlicher Engpaß getroffen, dessen Beseitigung nicht nur günstige beschäftigungspolitische Wirkungen hat, sondern generell die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit vor allem von kleineren und mittleren Unternehmen fördert. In zahlreichen Unternehmungen hat dieses Programm vermutlich auch den entscheidenden Anstoß gegeben, der Planung mittel-und längerfristiger Personalinvestitionen größere Aufmerksamkeit zu widmen. Eher als die kapitalbezogene Investitionsförderung sollte deshalb die Qualifikationsförderung auch außerhalb der politisch geförderten Wachstumsbereiche zum Instrument einer generellen angebotsorientierten Politik gemacht werden. Das 500-Millionen-Programm hat auch den Anstoß zu einer Wende bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gegeben: Stand bei den bisherigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen das verteilungsundsozialpolitische Motiv im Vordergrund, möglichst vielen Arbeitslosen die Möglichkeit kurzfristiger Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln und ihnen auf diesem Wege wieder erneuten Anspruch auf Arbeitslosengeld zu verschaffen, so steht jetzt das Motiv der Schaffung von Dauerarbeitsplätzen in latenten Bedarfsbereichen wie Soziale Dienste, Verbesserung des Wohnumfeldes und der sozialen Infrastruktur im Vordergrund. Auch dieser Programmteil wurde von den Trägern in Kommunen und Wohlfahrts-B verbänden verhältnismäßig gut aufgenommen. Über den längerfristigen Erfolg läßt sich im Augenblick nocht nichts Definitives sagen.
Bisherige Erfahrungen zeigen jedoch, daß der entscheidende Engpaß hier das Zusammenspiel verschiedener lokaler Akteure ist, vor allem zwischen Arbeitsverwaltung und Sozial-verwaltung; die Arbeitsmarktpolitik kann hier nur die Initialzündung geben, während die Garantie der Dauerarbeitsplätze Gegenstand der kommunalen oder länderspezifischen Sozial-und Infrastrukturpolitik ist. Ein Ergebnis dieses Sonderprogramms wird möglicherweise sein, daß langsfristig eine Finanzreform erforderlich sein wird, mit deren Hilfe die Gemeinden in stärkerem Maße beschäftigungspolitische Mitverantwortung tragen können.
These 7: Auch bei erfolgreichen selektiven Wachstumsstrategien wirdmittelfristigmit einem Beschäftigungsdefizit zu rechnen sein. Selektive Strategien zur Umverteilung des vorhandenen Arbeitsvolumens werden darum zur Erreichung der Vollbeschäftigung erforderlich sein. Unter den zahlreichen Möglichkeiten der Arbeitszeitverkürzung erscheinen selektive Strategien am erfolgversprechendsten, die den vorhandenen Arbeitszeitpräferenzen bestimmter Gruppen und den organisatorischen Möglichkeiten bestimmter Bereiche Rechnung tragen.
Die Hoffnung, daß Beschäftigungsausweitung allein das zu erwartende Beschäftigungsdefizit beseitigen könnte, hat heute auch bei engagierten Befürwortern einer keynesianisehen Nachfrageausweitung einer gewissen Resignation Platz gemacht. Auch sie suchen deshalb nach Möglichkeiten zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit durch Umverteilung des vorhandenen oder zu erwartenden Arbeitsvolumens — sprich: durch Verkürzung der Lebens-, Jahres-oder Wochenarbeitszeit der Beschäftigten. Dabei sind allerdings die Möglichkeiten einer Verkürzung der Lebensarbeitszeit durch Frühverrentung bereits weitgehend ausgeschöpft. Größeres Interesse besteht dagegen an „gleitenden Übergängen" in den Ruhestand, die allerdings — jedenfalls im Ausland — eher zu einer Verlängerung des Arbeitslebens zu führen scheinen.
Ebenso skeptisch sind Forderungen nach einer weiteren Verlängerung der Schulund -Ausbildungszeiten zu beurteilen, die weithin den eigenen Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen zuwiderlaufen. Anders steht es dagegen mit allen Möglichkeiten der beruflichen und allgemeinbildenden Weiterbildung während des Berufslebens bis hin zum nachgeholten Hochschulstudium und zu längeren „Sabbaticals". Ihnen fehlt der Zwangscharakter der verlängerten Ausbildungszeit, und sie können gezielt für den weiteren beruflichen Aufstieg oder für die persönliche Entfaltung eingesetzt werden. Was hier fehlt, sind Finanzierungsmodelle, die während derartiger längerer Unterbrechungen des Berufslebens den (Familien-) Lebensstandard sichern können. Privatwirtschaftliche Lösungen (etwa nach dem Vorbild der Bausparverträge und möglicherweise mit einer staatlichen Ausfallgarantie) wären hier durchaus denkbar, sind aber bisher nicht in Sicht.
Die Diskussion um kurzfristig realisierbare Lösungen, die eine spürbare Arbeitsmarktentlastung bringen sollen, konzentriert sich deshalb auf die Verlängerung des Jahresurlaubs und die Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Wegen der befürchteten größeren Organisationsprobleme richtet sich der Widerstand der Arbeitgeberseite derzeit vor allem gegen die Vorschläge für eine kürzere Arbeitswoche. Aber das eigentliche Problem liegt in beiden Fällen in der Tatsache, daß kostenneutrale Arbeitszeitverkürzungen nicht einkommens-neutral sein können, und umgekehrt. Gewiß ist auch bisher schon im Rahmen der jährlichen Tarifverhandlungen die insgesamt verfügbare Verteilungsmasse auf Löhne, Urlaub und Arbeitszeit aufgeteilt worden — aber doch unter Bedingungen, die immer auch einen Zuwachs bei den Reallöhnen erbrachten. Ein rascherer, arbeitsmarktpolitisch motivierter Fortschritt in der Arbeitszeitverkürzung, der über die subjektiven Einkommens/Frei-zeit-Präferenzen der Arbeitnehmer hinausginge, müßte deshalb entweder die Kostenbelastung der Unternehmen erhöhen oder die Gewerkschaften in Schwierigkeiten bringen, deren Mitglieder in der großen Mehrzahl auf das volle Einkommen einer vollen Arbeitswoche durchaus angewiesen sind.
Zwar hatte die kontinuierliche Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit bisher von allen Arbeitszeitmaßnahmen die stärksten Entlastungswirkungen und wird sie auch weiterhin haben; so betrug die vom IAB (Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung in Nürnberg) geschätzte Beschäftigungswirkung beispielsweise für das Jahr 1979 203. 000 Perso27 nen. Auch aus sozial-und gesundheitspolitischen Gründen wird eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit ein vorrangiges Ziel der gewerkschaftlichen Tarifpolitik sein. Darüber hinausgehende globale Lösungen der Arbeitszeitverkürzung wären jedoch wohl schwer durchzusetzen. Denkbar wäre allenfalls eine gesetzlich unterstützte Reduzierung der Über-stunden, deren Arbeitsvolumen 1977 allein 1, 9 Millionen Arbeitskräfte betrug. Im Rahmen einer novellierten Arbeitszeitordnung und kollektivvertraglicher Vereinbarungen wären Regelungen denkbar, die die pro Jahr maximal zulässige Gesamtarbeitszeit eines Beschäftigten festlegen. Innerhalb dieses Kontingents wäre dann sowohl produktionstechnisch erwünschte wie freizeitbedingte Flexibilität möglich. Zumindestens ein Teil des so reduzierten Überstundenvolumens könnte dann zu Neueinstellungen führen.
Aussichtsreicher erscheinen aber auch hier selektive Strategien, die den vorhandenen Arbeitszeit-Präferenzen bestimmter Gruppen und den organisatorischen Möglichkeiten bestimmter Bereiche Rechnung tragen. Für solche Lösungen gibt es in der Tat auch kurzfristig gewisse Spielräume.
Während die Mehrheit der Industriearbeiterschaft noch auf das volle Arbeitseinkommen angewiesen ist, nehmen unter den höheren Bildungsund Einkommensgruppen bei den Angestellten und Beamten die Freizeitpräferenzen zu. Parallel zur Emanzipationsbewegung der Frauen entwickeln sich hier auch partnerschaftliche Familienstrukturen, in denen beide Eltern sich Hausarbeit und Kindererziehung teilen und beide die Selbstverwirklichung im Beruf suchen. Gleichzeitig wächst auch die Zahl der Einpersonenhaushalte. Beide Gruppen sind zwar an Berufsarbeit interessiert, aber nicht in gleicher Weise auf das Volleinkommen angewiesen wie der allein-verdienende Familienvater, der von den Industriegewerkschaften in erster Linie repräsentiert wird. Bei beiden Gruppen ist deshalb das Interesse an (einkommensmindernder) Arbeitszeitverkürzung schon jetzt außergewöhnlich groß und nimmt offenbar noch zu.
Allerdings sind diese Präferenzen mit der allenfalls angebotenen Halbtagsarbeit (die zumeist den Verzicht auf jeden beruflichen Aufstieg einschließt) nicht angemessen zu realisieren. Gefordert werden vielmehr flexible Regelungen der Wochen-und Jahresarbeitszeit, die vermutlich überwiegend eher bei zwei Dritteln oder drei Vierteln der regulären Voll, arbeitszeit liegen werden. Organisatorisch wären derartige Regelungen in vielen Dienstlei. stungsberufen wohl leichter durchzuführen als in der Industriearbeit.
Arbeitsmarktpolitisch motivierte Aktionen hätte man deshalb auch eher von den Beamten und Angestelltengewerkschaften erwarten können als ausgerechnet von der IG Metall. Jedenfalls könnte hier die Marktführerfunktion bei der Entwicklung und Verwirklichung flexibler Arbeitszeitregelungen durchaus vom öffentlichen Dienst übernommen werden, und die Arbeitsmarktpolitik täte gut daran, die äußerst zögernden Schritte der öffentlichen Dienstherren mit politischem Nachdruck (und mit praktikablen Lösungsvorschlägen für die noch offenen versorgungsrechtlichen Probleme) zu beschleunigen.
These 8: Die . ^Anreicherung" des Arbeitslosenbestandes mit schwervermittelbaren Gruppen erfordert zusätzlich auch Strategien der Umverteilung der Arbeitslosigkeit. Die bisherigen Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungschancen schwervermittelbarer Arbeitsloser waren wenig erfolgreich. Die Ausweitung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen traditioneller Art ist arbeitsmarktpolitisch wenig sinnvoll und politisch auch kaum durchsetzbar. Die Förderung der Arbeitsaufnahme von „Problemgruppen“ ist finanziell allein wenig erfolgreich; sie muß stärker durch sachliche Leistungen wie vorbereitende Trainingsmaßnahmen, fortdauernde sozialpädagogische Betreuung und intensive Beratung und Vermittlung unterstützt werden.
Wir haben oben dargelegt, daß die langanhaltende hohe Arbeitslosigkeit schon jetzt zu einer . Anreicherung“ des Bestandes an Arbeitslosen mit schwervermittelbaren Personen geführt hat. Individuell sind solche Prozesse der zunehmenden Ausgliederung aus dem Arbeitsmarkt oft irreversibel; insgesamt wird die Arbeitslosigkeit dadurch zunehmend resistent auch gegenüber einer steigenden Nachfrage nach Arbeitskräften. Strategien, die auf Beschäftigungsausweitung und die Umverteilung des erreichbaren Beschäftigungsvolumens gerichtet sind, müssen also ergänzt werden durch Maßnahmen, die gezielt die Beschäftigungschancen von „Problemgruppen“ verbessern. Solange überhaupt noch Arbeitslosigkeit besteht, bedeutet dies den Versuch einer Umverteilung von Beschäftigungschancen innerhalb des Bestandes von Arbeitslosen. Dagegen wäre’ vom moralischen Standpunkt aus auch wenig einzuwenden: Wie neue Berechnungen zeigen beträgt die durchschnittliche Dauer aller Arbeitslosigkeitsfälle gegenwärtig nur noch etwa drei Monate bei den Männern und vier Monate bei den Frauen. Eine stärkere Angleichung der Wiederbeschäftigungschancen zugunsten der längerfristig (mehr als 6 Monate) Arbeitslosen (auf die gegenwärtig rund 60 Prozent des gesamten in Arbeitslosigkeit verbrachten Zeitvolumens entfällt) und zu Lasten der kurzfristig (weniger als 1 Monat) Arbeitslosen (die bei den Männern derzeit etwa die Hälfte der Fälle ausmachen) wäre also für die davon Benachteiligten noch keine Lebenskatastrophe. Die Einwendungen gegen Umverteilungsstrategien sind deshalb eher pragmatischer Art: Die Arbeitsmarktpolitik verfolgt derartige Strategien seit langem und mit steigendem finanziellen Aufwand — aber eben bisher ohne durchschlagenden Erfolg.
Die . Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen''im öffentlichen und gemeinnützigen Bereich erreichen inzwischen zwar durchaus die Zielgruppen der längerfristig Arbeitslosen und der Älteren, der Frauen und der Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen unter den Arbeitslosen. Aber sie stoßen auch zunehmend auf den Widerstand der Gewerkschaften und Personalräte, die zum Teil mit Recht die Herausbildung zweitklassiger Arbeitsverhältnisse und Mitnehmereffekte zum Nachteil der „normalen“ Stellenentwicklung der öffentlichen Hände kritisieren. Es ist deshalb nicht sicher, ob die arbeitsmarktpolitisch dringend erwünschte Ausweitung und Verbesserung des Instrumentariums der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen politisch noch durchgesetzt werden kann.
Bei den auf den privaten Sektor bezogenen „Eingliederungsbeihilfen" dagegen haben die Arbeitsämter Schwierigkeiten, die geförderte Problemgruppenorientierung tatsächlich durchzuhalten. Die Unternehmen gewöhnen sich daran, bei der Einstellung von Arbeitslosen die bis zu zweijährige Lohn-kosten-Subvention routinemäßig in Anspruch zu nehmen. Während 1974 im Durchschnitt nur eine von 100 Vermittlungen in längerfristige Beschäftigungsverhältnisse durch eine Eingliederungsbeihilfe unterstützt wurde, war der Anteil bis 1978 schon auf 9 Prozent angestiegen. Dementsprechend hoch sind hier die Mitnehmereffekte, die in unseren quantitativen Wirkungsuntersuchungen festgestellt wurden. Die Gewöhnung an die Subvention hat also die Eingliederungsbeihilfe als Instrument zur gezielten Förderung der Beschäftigungschancen schwervermittelbarer Personengruppen erheblich entwertet.
Die eigentliche Schwierigkeit liegt allerdings darin, daß eine bloße finanzielle Subvention die tatsächlichen Bedenken der Arbeitgeber gegen die Beschäftigung „Schwervermittelbarer" kaum vollständig ausräumen kann. Sie richten sich gegen die bei längerfristiger Arbeitslosigkeit eintretende Minderung der Qualifikation und Belastbarkeit des betroffenen Personenkreises und die deshalb zu erwartenden Störungen der Arbeitsabläufe und Widerstände der Arbeitskollegen. Diese Bedenken müssen ernst genommen werden, wenn Eingliederungshilfen Erfolg haben sollen. Dabei zeigt die Erfahrung, daß die scheinbar verlorene Arbeitsfähigkeit durchaus wiedergewonnen werden kann. Übungsfirmen und Trainingszentren der Arbeitsverwaltung erzielen hier schon bemerkenswerte Erfolge. Ähnlich erfolgreich sind aber offenbar auch die intensive Beratung der Arbeitgeber und die fortdauernde sozialpädagogische Betreuung der Vermittelten während einer längeren Sozialisations-und Einarbeitungsperiode. Die Arbeitsverwaltung sollte vorrangig instand gesetzt werden, die bereits vorhandenen Ansätze vorbereitender Trainingsmaßnahmen und begleitender Betreuung auszuweiten und wesentlich zu intensivieren. Damit könnte, so ist aus unseren und anderen vorliegenden Untersuchungen zu schließen, die selektive Wirksamkeit des Instruments der Eingliederungsbeihilfen wesentlich gesteigert werden.