Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Der Sozialstaat an den Grenzen des Wachstums | APuZ 1/1981 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 1/1981 Artikel 1 Der Sozialstaat an den Grenzen des Wachstums Soziale Fragen in Wissenschaft und Alltag

Der Sozialstaat an den Grenzen des Wachstums

Joseph Huber

/ 30 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Unter Sozialstaat wird hier die Gesamtheit aller privaten und öffentlichen Institutionen verstanden, die durch umverteilte bzw. umgelegte Einkommen bezahlte Bildungs-, Gesund-heits-, Sozialhilfe-und soziale Versicherungsdienste leisten. Die Ausgangsthese lautet, daß der Sozialstaat einen integralen Bestandteil des Industriesystems darstellt. Beider Wachstum hängt direkt voneinander ab. Die hauptsächlichen Wachstumsgrenzen für den Sozialstaat sind: 1. Weniger primär verteilte Mittel bedeuten automatisch auch weniger sekundär verteilbare Mittel. 2. Arbeitslosigkeit erhöht gleichzeitig den Bedarf an Sozialleistungen und senkt die verfügbaren Einnahmen. 3. Sozialverfall (Auflösung des Gemeinschaftslebens) bewirkt das gleiche. 4. Weitere Staatsverschuldung muß zu chaotisierender Inflation führen. 5. Dem Wachstum der Sozialberufe und der sozialstaatlichen Institutionen entspricht kein angemessener Nutzen. Im sozialen Bereich versagen Markt und Staat häufig oder wirken gar kontraproduktiv. 6. In Verbindung mit superindustriellen Durchbruchsversuchen verwandelt sich der Sozialstaat in einen sozio-technischen Überwachungsstaat und wird im Extrem zum Sozialpolizeistaat. „Reprivatisierung“ von Sozialdiensten und erhöhte Eigenbeteiligung der Betroffenen bieten keine Lösung und sind zudem sozial ungerecht gegenüber einkommensschwachen Gruppen. Eine weitere Finanzierung der sozialen Dienste durch erhöhte industrielle Produktivität ist ebenfalls keine Lösung, weil sie den natur-und sozialökologischen Katastrophen-kurs fortführt. Aus den unter 3., 5. und 6. genannten Gründen sind beide Ansätze politisch untragbar. Beide tragen schließlich zu einer doppelwirtschaftlichen Spaltung der Gesellschaft bei: in einen gesicherten Wohlstandsbereich im formellen Wirtschaftssektor einerseits und in eine erneute Armutszone marginalisierter Gruppen andererseits, die auf den informellen Sektor abgedrängt bleiben. Eine Lösung der bestehenden Probleme dürfte nur möglich sein bei einer Bereitschaft zu tiefergreifenden Strukturveränderungen. Die allgemeine Stoßrichtung liegt dabei im Konzept einer besser balancierten Dualwirtschaft: einerseits Begrenzung des Wachstums der professionellen Fremdleistungen durch Markt und Staat sowie eine gerechtere Verteilung der Beschäftigungsmöglichkeiten und der Einkommen im formellen Sektor, andererseits im informellen Sektor Bemühungen um eine verbesserte Sozialentwicklung mit mehr gemeinschaftlicher Selbsthilfe, Eigenarbeit u. ä., wobei es allen Bevölkerungsgruppen — Jungen wie Alten, Männern wie Frauen — möglich sein soll, in beiden Wirtschaftssektoren tätig zu sein.

L Der Sozialstaat: Gegenteil oder Bestandteil des Industriesystems?

Als Sozialstaat wird hier die Gesamtheit all jener Bildungs-, Erziehungs-, Gesundheits-, sozialen Beihilfs-und sozialen Versicherungsdienste angesprochen, die Personen oder Familien zugute kommen, die von privaten oder öffentlichen Einrichtungen erbracht werden und die durch umverteilte bzw. umgelegte Einkommen bezahlt werden

Aus der geschichtlichen Entwicklung heraus wurden Sozialpolitik und Sozialstaat als Heilmittel gegen industrielle Krankheitsbilder angesehen, als Korrektiv der krisenreichen Marktentwicklung und insofern als ihr Gegenteil Die sogenannte Soziale Frage wurde mit dem Konflikt von Lohnarbeit und Kapital gleichgesetzt; sozialstaatliche Neuerungen mußten jedesmal gegen Widerstände erkämpft werden.

Trotzdem erwiesen sich von vornherein die Gegenspieler nicht als Spielverderber, sondern als einander ergänzende Mitspieler. Das Spiel bestand darin, daß wohlmeinende Konservative wie auch auf Eigennutz bedachte Kapitalinteressen normalerweise möglichst wenig (Sozial-) Staat wollten, während Sozialdemokratie und Gewerkschaften, die sich auf Lohnarbeitsinteressen und das Gemeinwohl beriefen, prinzipiell auf möglichst viel (So-zial-) Staat aus waren. Durch dieses politische Kräftespiel des rechtsorientierten „mehr Markt, weniger Staat" und des linksorientierten „mehr Staat, weniger Markt" ergab sich zwanglos ein bewährtes Entwicklungsmuster: Das Profitprinzip reißt Löcher in die sozialen Netze der Arbeits-und Lebenswelt, und der Sozialstaat versucht sie nach allgemeinen Solidaritätsprinzipien zu stopfen. Wie Narr und Offe schreiben, bedeutet deshalb „die häufig beobachtbare Opposition von Marktkapitalismus auf der einen und Wohlfahrtsstaat auf der anderen Seite ... eine verzerrende idealtypische Konstruktion“

Dies gilt unter den heutigen Bedingungen der 3. industriellen Revolution und der Dienstleistungswirtschaft um so mehr. Früher hatte der Sozialstaat gewissermaßen nur „Rahmenbedingungen" der Systementwicklung herzustellen, etwa Allgemeinbildung, Volksgesundheit oder Versorgung auch der Armen mit Lebensmitteln und Wohnmöglichkeiten. Heute dagegen — wo das lokale Gemeinschaftsleben und Verwandtschaftsbindungen sich rapide auflösen, und wo nur noch 35—-40% der Bevölkerung nur noch die Hälfte ihres Lebens erwerbstätig sind — werden sozialstaatliche Versorgung und Betreuung zu einem zentralen Gegenstand der weiteren Systementwicklung selbst. Das heute im Entstehen begriffene superindustrielle System entwickelt sich nicht trotz, sondern wegen bzw. mittels der sozialen Probleme, die es selbst erzeugt: Im Zuge seines Wachstums kolonisiert und beschädigt das System seine soziale und natürliche Um-weit — durch die Behandlung dieser sozialen und natürlichen Umweltschäden wächst es weiter Man kann deshalb als Ausgangsthese formulieren: Der Sozialstaat ist ein tragender Bestandteil des Industriesystems Wenn das Industriesystem an Grenzen stößt, stößt auch der Sozialstaat an Grenzen. Und wenn der heutige Sozialstaat zur Diskussion steht, steht auch das heutige Industriesystem zu Diskussion. Schließlich: wenn Sozialstaatsprobleme gelöst werden sollen, wird dies rückwirkende Veränderungen im gegenwärtigen Industrie-system insgesamt erfordern.

II. Gegenwärtige Grenzen des Sozialstaats

Grenzen des Sozialstaats werden von konservativer Seite seit längerem behauptet Sozialdemokratie und Gewerkschaften haben die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente fast ebenso lange in den Wind geschlagen. Damit haben sie gewisse Wohltaten zugunsten der lohnabhängigen Mehrheiten vollbracht, aber auch Wasser auf die Mühlen einer technokratischen Systementwicklung gegossen. Nur vereinzelte ihrer Mitglieder haben sich in letzter Zeit auf diese Problematik eingelassen Gegenwärtig lassen sich folgende Sozialstaatsgrenzen ausmachen:

1. Abhängigkeit der Sekundär-von der Primär-verteilung; 2. steigender Kostendruck im Dienstleistungsbereich; 3. steigende Ausgaben und sinkende Einnahmen durch Arbeitslosigkeit;

4. das gleiche durch Auflösung gemeinschaftlicher Selbstversorgung;

5. Staatsverschuldung;

6. Widerstände gegen steigende Steuerlasten;

7. sozialstaatliche Umverteilungsund Leistungsillusionen; politische Grenzen: korporative Herrschaft der bürokratischen Eliten und sozialberufliche Bevormundung. 1. Abhängigkeit der Sekundär-von der Primärverteilung Sozialstaatliche Leistungen stellen sekundäre Einkommen dar, d. h. sie werden durch Gelder bezahlt, die durch staatliche Steuerpolitik um-verteilt oder in kollektiven Versicherungsund Solidaritätsfonds umgelegt werden. Sie sind deshalb direkt von der Primärverteilung auf Erwerbseinkommen und Investitionen abhängig. Sinkende Wachstumsraten bei der Primärverteilung bedeuten automatisch auch weniger sekundär verteilbare Mittel. Dieser Zusammenhang zwischen Primär-und Sekundär-verteilung ist trivial und wird vielleicht deshalb so gut wie nie ausdrücklich erwähnt, aber er ist gleichwohl bedeutend.

Er bedeutet z. B., daß das Konzept eines selektiven Wachstums, wie es auch von den deutschen Gewerkschaften in ihrer offiziellen Pro-grammatik immer offensiver gefordert wird — d. h. nicht unbedingt weiteres Wachstum der Industrieproduktion, dafür um so mehr Wachstum der Bildungs-, Gesundheits-, Freizeit-und Sozialdienste —, unter den heutigen Bedingungen nicht möglich ist 8). Denn der Löwenanteil dieser Dienste wird sekundär bezahlt. Das Budget der öffentlichen Alters-, Unfall-und Krankenversicherungen z. B. betrug 1978 rund 305 Milliarden Mark Die entsprechenden Ausgaben der privaten Lebens-, Unfall-und Krankenversicherungen dagegen betrugen nur rund 30 Milliarden Mark Das ist ein Verhältnis von 1: 10. Solange derartige Proportionen zwischen primär und sekundär bezahlten Diensten bestehen, bleibt das Konzept „weniger Bomben, mehr Bildung" oder „weniger Autos, mehr Ärzte" eine Illusion, weil die Bildung durch die Bomben und die Ärzte durch die Autos bezahlt werden. Wir haben den Sozialstaat nicht nur, weil soziale Nöte und Ungerechtigkeiten ihn wünschenswert erscheinen lassen, sondern vor allem, weil wir ihn uns leisten können aufgrund des industriellen Wohlstands -Sollte dieser Wohlstand an den Grenzen des Wachstums sinken, werden wir uns — bei sonst gleichbleibenden Bedingungen — auch nicht mehr so viel Sozialstaat leisten können. 2. Steigender Kostendruck im Dienstleistungsbereich infolge kapitalintensiver Produktivitätssteigerungen

Ein ähnlicher Zusammenhang wie zwischen Primär-und Sekundärverteilung besteht zwischen technologieintensiver Produktion einerseits und personalintensiven Dienstleistungen andererseits. Dieser Zusammenhang äußert sich in oft überdurchschnittlichen Kosten der Dienstleistungen. Die „Kostenexplosion" besonders im Bildungsund Gesundheitsbereich ist ja bereits Gegenstand zahlreicher Untersuchungen

Von konservativer Seite werden dafür fehlende Konsumentenrationalität und fehlender Leistungswettbewerb im öffentlichen Sektor verantwortlich gemacht. Die anonymen Umverteilungs-bzw. Umlagesysteme würden die Verwaltungsbürokratien wie auch die Verbraucher und Klienten dazu verführen, nach Art eines Selbstbedienungsladens ohne Rücksicht auf die Rechnung möglichst viel für sich herauszuholen

Demgegenüber haben Sozialdemokraten wie z. B.der Österreicher Egon Matzner darauf hingewiesen, „daß jede Lohnerhöhung, die im technologisch fortgeschrittenen Sektor gewährt wird und dort auch durch die Zunahme der Arbeitsproduktivität real gedeckt ist, im Sektor persongebundener Leistungen einen Kostendruck auslöst. Ein analoges Problem bildet jede Arbeitszeitverkürzung. Dem tertiären Kostendruck haftet ein hohes Maß an Unausweichlichkeit an ... Daraus ergibt sich das Paradoxon, daß die finanziellen Probleme dieses Sektors um so akuter werden, je größer der Zuwachs an materiellen Reichtümern pro Arbeitskraft ist. 3. Steigende Ausgaben und sinkende Einnahmen durch Arbeitslosigkeit Und Unter-beschäftigung

Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung wirken verstärkend auf die bereits erwähnten Zusammenhänge. Weniger Erwerbstätigkeit bedeutet, daß primär weniger Mittel verfügbar und gleichzeitig sekundär mehr Mittel erforderlich sind. Z. B. betrugen 1977 die Mindereinnahmen der Renten-und Arbeitslosenversicherung sowie an direkten und indirekten Steuern im Jahr pro Arbeitslosen ca. 7000 Mark. Die Mehrausgaben pro denselben Arbeitslosen für Arbeitslosengeld und Krankenversicherung betrugen gleichzeitig ca.

12000 Mark

Dieses Problem wird sich verschärfen, weil infolge der kapital-und energieintensiven Superindustrien (Kernkraft, großindustriell genutzte Sonnen-und Windenergie, Elektronik, Telematik, Biotechnologie, Rüstung und Raumfahrt) die Zahl der Arbeitsplätze in absehbarer Zeit abnehmen wird, während die Zahl der Arbeitsuchenden noch zunimmt Bei unveränderten Arbeitsbedingungen wird daher der Anteil der Erwerbstätigen von heute 40% der Bevölkerung sinken, wohl in Richtung 35% wie heute in den USA Daraus resultieren u. a. auch die bekannten Probleme der Rentenversicherungen. In den fünfziger Jahren mußten 100 erwerbstätige Beitragszahler etwa 35 Renten finanzieren, Ende der siebziger Jahre bereits rund 60, und im Jahr 2000 werden es über 90 sein, also praktisch eine Rente von einem Erwerbstätigen zu finanzieren 4. Auflösung gemeinschaftlicher Selbstversorgung Daß immer weniger Erwerbstätige für immer mehr Nicht-Erwerbstätige mitverdienen müssen, hängt nicht nur und auch nicht in erster Linie mit der Entwicklung des Arbeitsmarktes zusammen. Ein tieferer und wirksamerer Grund liegt in der allgemeinen Auflösung der sozialen Lebenswelt, heute besonders der dörflichen Siedlungsstrukturen und der Klein-bzw. Restfamilie. Obgleich wir hier einer Zivilisationskrise gegenüberstehen, die eine nur ökonomische Betrachtung bei weitem sprengt, sind dabei doch ökonomische Zusammenhänge sehr wirksam.

Die Kapitalisierung und Industrialisierung seit 200 Jahren beruht darauf, oder treffender noch: sie besteht darin, gemeinschaftliche Subsistenzformen durch vergesellschaftete Markt-und Geldwirtschaftsformen zu ersetzen. Alle Sozialwissenschaftler — etwa Karl Marx, Ferdinand Tönnies, Max Weber — haben sich mit dieser Auflösung der Subsistenzformen und der Entstehung der Markt-und Staatssysteme beschäftigt. Es ist hierbei übrigens nicht unwichtig, aber doch zweitrangig, ob dies auf eher privat-oder eher staatswirtschaftlicher Grundlage geschieht, das heißt, ob die allgemeine bürokratische Kollektivierung mehr von den Machteliten in den (trans-) nationalen Industriebürokratien getragen wird oder mehr von den Staats-und Verbandsbürokratien, zumal diese sich heute in einem rapiden Prozeß korporativer Verzahnung, um nicht zu sagen Verflechtung befinden Jedenfalls führt diese von Karl Polanyi so bezeichnete „Große Transformation" zu weniger Selbstversorgung und mehr Fremdversorgung, zu weniger Selbständigkeit und mehr Abhängigkeit von professionellen Fremdleistungen des Marktes oder des Staates Die duale Versorgungsstruktur, die in der institutionellenVersorgung durch Markt und Staat einerseits und der informellen Versorgung durch Familie und Nachbarschaft andererseits besteht, gerät aus dem Gleichgewicht (falls sie sich jemals in einem solchen befand).

Verheerend sind dabei weniger die ökonomischen Folgen, als noch mehr die sozialen und politischen Probleme. Man kann heute ohne Übertreibung bereits von einem Sozialverfall sprechen. Die Familie erfüllt ihre soziale Binde-und Orientierungsfunktion nur noch ungenügend oder überhaupt nicht mehr. Die Rückkehr zu autoritären Gemeinschaftsformen ist indes nicht wünschenswert, aber alternative Gemeinschaftsformen, die vollwertig an die Stelle treten könnten, sind andererseits nicht in Sicht. Die Folgen zeigen sich u. a. in zunehmenden soziound psychogenen Erkrankungen, Alkoholismus, Drogenmißbrauch, Kriminalität, Bandentum, subkulturellen Aussteiger. karrieren'und politischem Extremismus. Diese Erscheinungen wiederum erfordern, wohl oder übel, mehr sozialstaatliche Eingriffe und sozialberufliche Aktivitäten, deren Wirksamkeit und Finanzierbarkeit freilich problematisch sind.

Kurz: Die von Claus Offe so genannten horizontalen Disparitäten zwischen den immer wenigeren, die ihren Platz im System gefunden haben und insofern „drin“ sind, und den immer mehr Menschen, die als „Vergessene" und „Randgruppen" herausfallen oder von vornherein draußen bleiben, nehmen zu Damit findet eine neuerliche Klassenteilung statt, nämlich eine doppelwirtschaftliche Spaltungdes Arbeitsmarktes und der Gesellschaft überhaupt in „zwei Gesellschaften": in eine „erste Gesellschaft" mit ihrem arbeitsund sozialrechtlich gesicherten Wohlstandsbereich einerseits und in die Armutszonen einer „zweiten Gesellschaft" der verschiedensten Randgruppen und Subkulturen, die auf den informellen Sektor abgedrängt und damit meist auch von öffentlicher Sozialhilfe abhängig bleiben.

Das konservative Konzept der sogenannten Neuen Sozialen Frage hat das Verdienst, eben diese Frage über die Wissenschaft hinaus in die öffentliche Diskussion eingebracht zu haben Es hat aber zugleich den großen Fehler, das Blickfeld verengt zu haben auf Fragen wie Kinderreichtum, Altersversorgung, Behindertenprobleme oder Leichtlohngruppen für Frauen. Der Sozialverfall und die Marginalisierung größerer Bevölkerungskreise wurden weder in ihrem ganzen Umfang noch in ihrer ganzen Tragweite angemessen wahrgenommen. Die Ursachen des Sozialverfalls und der Marginalisierung — nämlich Kapitalisierung und Industrialisierung — blieben von vornherein ausgeblendet. Man hätte sonst wohl leicht auf gewisse Unordentlichkeiten des Ordolibe-ralismus und gewisse Asozialitäten der sozialen Marktwirtschaft aufmerksam werden können. Der christlich-soziale Arbeitnehmerflügel der CDU wird insofern seiner eigenen Einsicht nicht gerecht, daß nämlich eine erfolgreiche Sozialpolitik nicht darin besteht, „immer mehr Arme immer besser zu versorgen", sondern die Ursachen ihrer Armut zu beseitigen 5. Grenzen der Staatsverschuldung Schrumpfender Arbeitsmarkt wie auch zunehmender Sozialverfall erhöhen den sozialstaatlichen Mittelbedarf und senken gleichzeitig die verfügbaren Mittel. In einer solchen Situation neigen Regierungen verständlicherweise (nicht unbedingt verzeihlicherweise) zu einer Art social deficit spending. Die wissenschaftliche Gemeinschaft nennt das Linkskeynesianismus. Nun gibt es zwar keine absolute Grenze der Staatsverschuldung Wenn man sich vorstellt, der Staat müßte an einem bestimmten Punkt Konkurs anmelden, wird deutlich, daß — wie bei allen Grenzbestimmungen — gerade auch hier politisch-normative Setzungen eine Rolle spielen. Aber zweifellos läßt sich feststellen, daß, je höher die Staatsverschuldung wird, um so mehr Disfunktionen auftreten. Besonders zu nennen wären hier zwei:

— Eine wachsende öffentliche Kreditaufnahme gerät in Konkurrenz zur privaten Kre-ditaufnahme. Folgen sind steigende Zinsen und sinkende private Investitionen

— Steigende Zinsen heißt letztlich steigende Steuern. Dies drückt auf die Gewinne und viel mehr noch auf Löhne und Gehälter Beides setzt wiederum Inflationsspiralen Gang. -in In ist ökonomischer Treibsand, längerfristig der die wirtschaftlichen Bedingungen al-lerchaotisiert

Zudem ist an den gegenwärtigen Grenzen des Wachstums nicht ersichtlich, durch welche Primärzuwächse die wachsenden (sekundären) Staatsschulden einmal beglichen werden können. Die meisten westlichen Industrieländer haben heute den Punkt erreicht, wo die Staatsschulden größer geworden sind als der jährliche Staatshaushalt und wo die Zinsen schneller steigen als die Schulden getilgt werden Das scheint eine psychologisch bedeutsame Schranke zu sein. Sie ruft allgemein den Eindruck hervor, daß sich dieses System ad absurdum führt. 6. Widerstände gegen steigende Steuerlasten und verschärfte Verteilungskonflikte Finanziell bleibt dem bestehenden Sozialstaat letztlich kein anderer Ausweg als Steuererhöhungen. In den westeuropäischen Ländern hatten die Erwerbstätigen in den siebziger Jahren durchschnittlich ein Viertel bis ein Drittel ihrer Einkommen als Steuern und Sozialabgaben abzuführen Berücksichtigt man auch indirekte Steuern und legt man vor allem das sogenannte Arbeitgeberbrutto zugrunde — und das ist die wirklich relevante Ziffer —, zeigt sich, daß wir heute fast die Hälfte unserer Einkommen an öffentliche Haushalte abliefern Die Staatsquote liegt gegenwärtig in den westlichen Industrielän-dem um die 50%. In der Bundesrepublik sind es 47, 5%

Der Sozialstaat stößt hier an die Grenzen des Zumutbaren. Niemand arbeitet, um nachher die Hälfte oder mehr seines Verdienstes an anonyme Haushalte abzugeben. Selbst Fürsten und Pfaffen waren mit dem Zehnten zufrieden. Wo der sinnliche soziale Zusammenhang zerissen ist und informelle durch institutionelle Versorgung ersetzt wird, gelten die Menschen, die vom eigenen Einkommen mitversorgt werden, eben nicht mehr als . Angehörige“, sondern als irgendwelche vermeintlichen Faulenzer, Tagediebe und Parasiten, die einem via Sozialstaat auf der Tasche liegen. Sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Appelle zur Unterstützung der staatlich organisierten „Solidargemeinschaft“ sind in dieser Situation etwa so viel wert wie bischöfliche Friedensappelle zu Kriegszeiten. Den Grolleffekt der Steuerzahler verhindern sie jedenfalls nicht.

Die Anzeichen einer Steuerrevolte häufen sich allenthalben: Steuerhinterziehung, Steuerflucht, Zahlungsverweigerungen und Selbst-reduktion von Preistarifen. Dabei handelt es sich keineswegs nur um die traditionelle Steueropposition bürgerlich-konservativer Mittelständler. Immer häufiger finden sich auch Reaktionen aus der Arbeiter-und Angestelltenschaft und marginalisierten Gruppen Wenn die doppelwirtschaftliche Spaltung der Gesellschaft und die damit verbundene Marginalisierung großer Gruppen weiter voranschreitet, dürften die Verteilungskämpfe zwischen denen „drinnen“ und denen „draußen“ eine ebensolche Militanz annehmen, wie der seinerzeit noch unregulierte Konflikt zwischen Lohnarbeit und Kapital 7. Sozialstaatliche Umverteilungsund Leistungsillusion Die orthodoxe Sozialstaatskritik von links ist einprägsam als „Sozialstaatsillusion" auf den Begriff gebracht worden Der Staat gilt in dieser Sicht eben als Staat der herrschenden Klassen. Als solcher diene er der Unterdrük-kung und Ausbeutung, keinesfalls den Interessen der Unterdrückten und Ausgebeuteten. Sozialpolitik zugunsten der Schwächeren erscheint so nur als besonders perfide Form der Unterwerfung.

Diese These in ihrer marxistisch-orthodoxen Form teile ich nicht, wobei es allerdings auf der Hand liegt, daß der Sozialstaat auch die Funktion erfüllt, Massenloyalität für das bestehende System zu sichern Darüber hinaus gilt es ebenso anzuerkennen, daß über den Sozialstaat durchaus gewisse Illusionen verbreitet sind. Dabei handelt es sich erstens um eine finanzielle Illusion der Umverteilung und des sozialen Ausgleichs und zweitens um eine Leistungsillusion. Zwar galt vor zehn Jahren, daß ohne Umverteilung ein Viertel der Haushalte unter der Armutsgrenze gelegen hätte und es infolge der Umverteilung nur 1 % waren Aber nach Hans-Jürgen Krupp, von dem diese Angaben stammen, haben auch die oberen 5% der Verdiener nach allen Umverteilungsprozeduren nur 8, 4% weniger als vorher. Die unteren 20 % der Verdiener haben umgekehrt danach nur 6, 2% mehr als vorher. Der Umverteilungseffekt ist insofern minimal Offenbar zahlt die Umverteilungsmaschinerie über vielfältige Kanäle an alle Einkommensgruppen wieder aus, was diese bei ihr einzahlen. Die Sozialleistungen wären insofern tatsächlich nichts anderes als ein mit sozialbürokratischer Ironie getaner „Griff in die eigene Tasche" (Renate Merklein).

Wie Hans-Hermann Hartwich schon vor zehn Jahren schrieb, dient der Sozialstaat tatsächlich weniger der Umverteilung und dem sozia-len Ausgleich als vielmehr der Besitzstandswahrung oder gar der Privilegienhäufung Trotz Vermögensbildung, oder vielleicht auch gerade deswegen, haben sich die Einkommens-und Vermögensunterschiede in den letzten zehn Jahren verstärkt Was allerdings insbesondere die Sozialversicherung wirklich leistet, ist eine Umlage oder Umschichtung eigener Einkommen von heute auf morgen Die Sozialbürokratie verwaltet Gelder der Bürger für die Bürger — und anstelle der Bürger. Die Frage ist, ob mündige Bürger das nicht besser selbst besorgen sollten. Oder muß die Sozialbürokratie so handeln, weil die Bürger unmündig sind? Oder sind viele Bürger zu einer selbständigen Haushalts-und Lebensplanung unfähig, weil immer irgendein Vormund, neuerdings der Versicherungscomputer, das für sie besorgt?

Neben der Umverteilungsillusion erscheint mir die Leistungsillusion noch bedeutender. Die Leistungsillusion besteht darin, zu meinen, der Sozialstaat würde die soziale Lebens-welt durch institutionelle Versorgung und Betreuung ersetzen. In Wirklichkeit kann er das aber nicht oder nur mangelhaft. Bestenfalls verwaltet der Sozialstaat das Elend des Sozial-verfalls, damit die „Vergessenen", die Herausgefallenen, Hinausgeworfenen und Draußen-gebliebenen den reibungslosen Ablauf nicht stören. Aber er heilt das Elend nicht. Freundliches und gut bezahltes Pflegepersonal, Sprechstunden beim Sozialamt oder beim Therapeuten können das fehlende eigene Leben, die Freunde und Verwandten nicht ersetzen. Trotz eines hochentwickelten Gesundheitswesens wird die Volksgesundheit schlechter. Sozialberufliche Kontraproduktivität und latrogenese — d. h. durch die Medizin selbst erzeugte Krankheitsbilder, und dies sinngemäß nicht nur in der Medizin, sondern auch in Bereichen wie Bildung, Verkehr und soziale Sicherheit — sind spätestens seit Ivan Illich und John McKnight ein Thema Man muß sich daher fragen: Wenn die These der Umverteilungs-und Leistungsillusion stichhaltig ist, also der Sozialstaat nur ungenügend tut, was er vorgibt, was tut er dann wirklich? 8. Politische Grenzen: Korporative Herrschaft der bürokratischen Eliten und sozial-berufliche Bevormundung

Liberale und Konservative (z. B. Carl Schmitt, Werner Weber, Arnold Gehlen, Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Hans Achinger, Christian v. Ferber, Ernst Forsthoff, Helmut Schelsky u. v. a.) haben dem Staat und speziell dem Sozialstaat aus ihrer Warte ausdrücklich politisch-weltanschauliche Grenzen gezogen. Stichworte sind: Verrechtlichung, Institutionalisierung, Bürokratisierung, Zentralisierung, Be-planung, Betreuung, Sozialetatismus oder die Tendenz zum „autoritäten Wohlfahrtssozialismus" (H. Baier) -

Derartige Vorbehalte konnten im Rahmen des politischen Links-Rechts-Schemas lange genug als bloß konservative Ideologie heruntergespielt werden — bis gegen Mitte der siebziger Jahre auch in Deutschland die sogenannten neuen sozialen Bewegungen auftraten, besonders die Ökologie-und Alternativ-sowie die Frauenbewegung. Die formulierten eine gleichlautende und ebenso radikale Kritik. Seither ist die linke wie die rechte Welt nicht mehr so ganz in Ordnung. Die neuerliche Kritik knüpft zwar nicht an bürgerlich-liberale, aber durchaus an libertäre Traditionen wieder an. Ivan Illich, John McKnight, Andr Gorz, Jacques Delors, Robert Jungk, Klaus Traube u. a. stehen für eine Technokratie-und Bürokratiekritik, die vor dem Sozialstaat und den Sozialberufen als „disabling professions" durchaus nicht mehr haltmacht. Weitere Stichworte dieser Kritik sind: Herrschaft der Sozialbürokratien, Entstehung einer Sozial-und Sicherheitsindustrie, Entmündigung durch sozialberufliche Experten, Bedürfnisindustrialisierung, dienstleisterische Warenin-tensität

Sozialstaatskritik ist hier eingebunden in eine umfassendere Kritik der technokratischen Megamaschine. Diese Megamaschine von Industrie, Finanz, Staat und Verbänden kolonisiert ihre soziale und natürliche Umwelt. Die Herrschaft liegt dabei in den Händen der verschiedenen bürokratischen Machteliten, die in korporativer Weise Zusammenwirken — was weder heißt, daß sie sich einig wären (Elitenkonkurrenz), noch daß sie diese Maschinerie unter Kontrolle hätten. Begriffe wie Institutionalisierung, Professionalisierung, Mone-tarisierung kehren hier wieder, allerdings unter kapitalismus-und technokratiekritischen Vorzeichen Das sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Lager kann sich dieser Kritik nicht länger verschließen, ohne seine ureigensten Emanzipationsziele — und damit seine politische Identität — endgültig aufs Spiel zu setzen. Nur vereinzelt und am Rande finden sich indes offene Ohren (siehe etwa die Schriften von Johano Strasser, Egon Matzner, Sieg -mar Mosdorf, Erich Standfest, oder auch die Veröffentlichungen von Erhard Eppler oder Freimut Duve).

In den westlichen Industrieländern setzt sich gegenwärtig ein neuer Wachstumstypus durch. An anderer Stelle habe ich diesen als DDD-Wachstum oder Drei-D-Wachstum beschrieben DDD-Wachstum deshalb, weil es sich dabei um eine Verbindung aus superindustriellen Durchbruchsversuchen, dienst-wirtschaftlichen und doppelwirtschaftlichen Tendenzen handelt:

erstens: superindustrielle Durchbruchsversuche mittels Kernkraft, großtechnologisch genutzter Sonnen-und Windenergie, Biotechnologie und Biomasseproduktion, Elektronik, Telematik, Rüstung und Raumfahrt

zweitens: Wachstum der Dienstwirtschaft in Form einer staatlich-industriellen Sicherheits-und Sozialindustrie

drittens: eine weitere doppelwirtschaftliche Spaltung der Gesellschaft in einen arbeitsund sozialrechtlich gesicherten Wohlstands-bereich einerseits und ungesicherte Armutszonen an der Peripherie andererseits.

Der Sozialstaat verwandelt sich unter dem Einfluß dieses Wachstumstypus in einen „problembehandelnden Entsorgungsstaat" (Martin Dieser „beseitigt" stofflichen Müll Jänicke).

wie auch sozialen Abfall, überwacht, kontrolliert, verwahrt, verwaltet, behandelt — und macht damit auch noch sein Geschäft Im Extremfall müßte daraus etwas entstehen, was den Namen Sozialpolizeistaat durchaus zu Recht verdienen würde

III. Antworten von „rechts" und „links": jeweils widersprüchlich und politisch unannehmbar

Die Antworten, die aus konservativen und bürgerlich-liberalen Kreisen einerseits und linksliberalen und sozialistischen Kreisen andererseits auf die aufgeworfenen Fragen gegeben werden, bewegen sich nach wie vor im Rahmen der sozialpolitischen Modelle des „sozialen Kapitalismus" und des „demokratischen Sozialismus" nach H. -H. Hartwich

CDU und CSU, als Hauptträger des Modells des „sozialen Kapitalismus", wollen ordnungspolitisch „weniger Staat und Verbände" und dafür „mehr Markt" Die bekannten Stichworte lauten: Privatisierung, Verpreisung und Entpolitisierung öffentlicher Dienste Verteilungspolitisch stehen gegenwärtig u. a. eine Verbesserung des Familienlastenausgleichs, Erziehungsgeld und Partnerrente im Vordergrund Darüber hinaus wird allgemein Vollbeschäftigung für erforderlich gehalten. Des weiteren wird, insbesondere bei der CSU, der Vorrang der Familienförderung betont sowie das Prinzip, daß Hilfe zur gemeinschaftlichen weit Selbsthilfe so wie möglich nur subsidiär erfolgen soll.

Eine Antwort auf die Grenzen des Sozialstaats ist dies durchaus. Allerdings keine gute. Sie ist teilweise in sich widersprüchlich und politisch unannehmbar. Die genannten ordnungspolitischen und die verteilungspolitischen Ziele heben einander auf: Familienlastenausgleich, Erziehungsgeld, Partnerrente, finanzielle Familienförderung, Einrichtung von Sozialstationen, neue Beratungsdienste u. ä. stellen keine Begrenzung, sondern eine erhebliche Ausweitung des bestehenden Sozialstaats dar. Offenbar gibt es, wie Siegmar Mosdorf feststellte, im konservativen Lager tatsächlich zwei Flügel: einen ordnungspolitischen, dem der Ausbau des Sozialstaats schon geht, zu weit und einen verteilungspolitischen, der sich besonders um die „vergessenen" Frauen, Kinder, Alten, Behinderten, Alleinstehenden, Gastarbeiter usw.

will, dem er noch kümmern also nicht weit -ge nug geht

Die Unannehmbarkeit der genannten ordnungspolitischen Ziele wurde schon häufig diskutiert Der Sozialstaat besteht ja gerade, weil der Markt unprofitable Sozialdienste nicht leistet. Und wo der Markt personbezogene Dienste leistet, privilegiert er besser Verdienende, während die schlechter Verdienenden sich nur eine entsprechend schlechtere oder gar keine Versorgung leisten können.

Die Forderung nach Vollbeschäftigung schließlich, der Vorrang für Familienförderung und die Betonung des Subsidiaritätsprinzips sind der Absicht nach durchaus löblich. Aber erstens haben weder die Familie noch Vollbeschäftigung in der sogenannten Realpolitik einen Vorrang. Zweitens sind mit Familie stillschweigend die patriarchalische Familie und autoritäre Gemeinschaftsformen gemeint. Und drittens handelt es sich bei der angestrebten Familienförderung durchweg um finanzielle Zuwendungen.

Nicht, daß dies grundsätzlich falsch wäre. Aber es drückt sich darin doch eine gewisse hilflose Illusion, um nicht zu sagen der Grund-widerspruch und die fortwährende Selbstaufhebung konservativer Politik aus: Mit Geld und guten Worten allein ist weder die Familie noch sonst ein Gemeinschaftszusammenhang wirklich zu retten. Im Gegenteil: Der Sozial-verfall ist ja gerade eine Folge der immer umfassenderen Kapitalisierung und Vermarktung von Bedürfnissen. Geschäft und Gemeinschaft vertragen sich nicht ohne weiteres. Das konservative Lager reklamiert beides, und darin besteht sein Widerspruch. Gelöst wird er in der Regel, indem zugunsten der Gemeinschaft geredet und zugunsten des Geschäfts gehandelt wird.

Im linksliberalen und sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen sind die des Grenzen Sozialstaats mehrheitlich noch nicht einmal anerkannt. Allenfalls gesteht man sich gewisse, meist finanztechnische, „Probleme" ein. Die Antworten diese lassen auf „Probleme" sich wie folgt zusammenfassen:

— keinesfalls „mehr Markt" (Privatisierung verhindern), wenn nötig eher noch „mehr Staat" und mehr Verbandsmacht, d. h. Gewerkschaftseinfluß; — mehr Geltung des am aktuellen Bedarf orientierten „Finalprinzips", weniger Anwendung des individuell-leistungsbezogenen „Kausalprinzips”;

— präventive Sozialpolitik anstelle von reaktiver Symptombekämpfung;

— Demokratisierung auch der sozialstaatlichen Einrichtungen und Partizipation der Betroffenen; — Vollbeschäftigung und mehr Einkommensgleichheit

Im Orientierungsrahmen der SPD wird ansonsten sehr unspezifisch nach „selbstverantwortlichen Lösungen" gerufen. Konkrete Maßnahmen im einzelnen unterscheiden sich von de-nen der CDU/CSU nur unwesentlich. Ausnahmen bilden allerdings Forderungen nach einheitlicher Zusammenfassung von Sozialbürokratien, Arbeitszeitverkürzung und Herabsetzung des Rentenalters

Zu diesem Programm kann sinngemäß ähnliches gesagt werden wie zum Programm des konservativen Lagers. „Mehr Einkommens-gleichheit''z. B. ist sozialpolitisch gewiß grundlegend. In der sogenannten Realpolitik steht dieses bedeutende Ziel aber so wenig im Vordergrund wie die Familienpolitik. Diese wiederum wird in der linken Programmatik traditionell sträflich vernachlässigt.

Mitbestimmung und Demokratisierung sind ebenso löbliche Ziele. Aber z. B. im Zusammenhang mit den Rentenversicherungen von einer „Selbstverwaltung“ zu sprechen, kommt einem Mißbrauch des Begriffs der Selbstverwaltung gleich. Der Versuch, in diesen gigantischen Verwaltungsapparaten „mehr Mitbestimmung" zu erreichen, gar mehr Mitsprache der Betroffenen, ist — falls er überhaupt ernst gemeint wird — illusionär und ansonsten Augenwischerei wählbarer Machteliten. Demokratische Formen werden jenseits kritischer Größenordnungen zur Farce. Zum Beispiel die Laisierung bzw. Para-Professionalisierung oder etwa auch die Bildung von lokalen Arbeitsgemeinschaften der Versicherungsträger können, wie die Dinge gegenwärtig stehen, sich nur als verlängerte Arme der zentralisierenden Systeme auswirken

Wer es mit Demokratisierung, Mitbestimmung und Bürgerbeteiligung wirklich ernst meint, muß unter den gegebenen Bedingungen auf Entflechtung und Dezentralisierung aus sein, nicht auf noch mehr einheitliche Verwaltung und Zentralkoordination. Diese Augenwischerei bzw. Selbsttäuschung gilt nicht zuletzt auch für die Forderung nach Vollbeschäftigung: durch die Förderung eines kapital-und energieintensiven Superindustrialismus verhindert man sie geradezu.

Genau diese Zwiespältigkeit charakterisiert das ganze demokratisch-sozialistische Programm. Besonders deutlich ist dies bei den Forderungen nach mehr aktueller Bedarfs

Orientierung gemäß dem „Finalprinzip" und nach mehr vorbeugenden Maßnahmen statt nachträglicher Symptombehandlungen. Abgesehen davon, daß dies im CDU-Grundsatzprogramm genau so auch gesagt wird, läßt diese Politik fundamental entgegengesetzte Verwirklichungen zu. Geltung des „Finalprin-zips" kann heißen, unkompliziert jenen zu helfen, die sich gerade nicht selbst helfen können; aber es kann auch heißen, den allgegenwärtigen Überwachungs-, Verwaltungs-, Zuteilungs-und Versorgungsstaat zu etablieren, der darauf beruht, daß praktisch niemand mehr über die Mittel verfügt, sich selbst zu helfen. Und was heißt „präventive" Sozialpolitik — daß die Menschen einer ständigen medizinisch-psychosozialen Kontrolle unterliegen, oder daß Ursachen an ihrer Wurzel angegangen werden, nämlich durch grundlegende System-und Lebensveränderungen? Das sind zwei völlig unverträgliche Programme: Beim einen geht es um immer mehr sozialstaatliche Interventionen, beim anderen darum, sie überflüssig zu machen.

Diese Art von „demokratischem Sozialismus" ist undeutlich und wirkt desorientierend. Sie läuft Gefahr, zum Schrittmacher jenes zweifelhaften Fortschritts zu werden, der personale durch funktionale Herrschaft ersetzt, familiale Gemeinschaft durch institutionelle Vergesellschaftung verdrängt, und der zu guter Letzt noch dem industriellen Wachstum die Krone des superindustriellen DDD-Wachstums aufsetzen wird: noch mehr Warenintensität, nicht zuletzt durch die Dienstleistungen der Sozial-und Sicherheitsindustrien. Besonders ausführlich dargelegt ist diese emanzipatorisch verbrämte Durchbrecherstrategie bei A. Gartner und F. Riessman: Der aktive Konsument in der Dienstleistungsgesellschaft Eine privatwirtschaftliche Kommerzialisierung der sozialen Versicherungs-und sonstigen Dienste wird bei diesem Wachstumstypus vielleicht nicht überwiegen, aber eine weitere staatlich-industriell organisierte „Kapitalisierung" gewiß.

Beunruhigend fand ich beim Literaturstudium zu diesem Artikel die verbreitete Selbstbeschränkung des Denkens durch das, was für „machbar" gehalten wird. Kritik am eigenen Programm im eben vorgebrachten Sinn wird zwar hie und da angedeutet, aber mit dem resignierten Hinweis auf die mangelnde „politiB sehe Durchsetzbarkeit" nicht weiter verfolgt Gerade in einem Bereich wie der Sozialpolitik gerät engagierte Wissenschaft leicht zur Parteiwissenschaft. Wo sich dann die Wirklichkeit nicht mit der Wahrheit verträgt, läuft die Wissenschaft Gefahr, zum Parteigänger der Unwahrheit zu werden. Aber auch wenn man Realist genug ist, um eine Alternative zum bestehenden Wohlfahrtsstaat auf ab-sehbare Zeit für nicht „durchsetzbar" zu halten, muß man doch darauf beharren, daß sie notwendig ist — und man muß sie formulieren. Eine Gesellschaft ohne Ideale und Utopien ist eine Gesellschaft ohne Zukunft, und wer nichts weiter als bloß Realist ist, kann nicht einmal das richtig sein, weil das Wirkliche nur durch den Hintergrund des Möglichen lebendig wird.

IV. Der Ausweg einer sozialen Ökologie: Systembegrenzung und Sozialentwicklung

Mit der vorangegangenen Kritik der konservativen wie der linksliberalen Standpunkte sollte nicht einer unbedachten Demontage des Sozialstaats das Wort geredet werden. Denn den Sozialstaat abzubauen, ohne auch die Bedingungen abzubauen, die ihn erfordern, wäre bloß reaktionär. Damit ist bereits ausgedrückt, daß es einer alternativen Sozialpolitik in erster Linie um eine Veränderung der Bedingungen gehen muß. Insofern wäre ein Begriff wie „Gesellschaftspolitik" in der Tat zutreffender. Oberstes Ziel einer alternativen Sozial-oder Gesellschaftspolitik wäre es, sich überflüssig zu machen.

Bei der Erläuterung Sozialstaatsgrenzen der wurde deutlich, daß sich die Problemursachen in Polanyis Begriff „Großen -der Transforma tion“ zusammenfassen lassen: immer mehr Warenwirtschaft, immer weniger Subsistenzwirtschaft; immer mehr Gesellschaft, immer weniger Gemeinschaft; immer mehr Warenintensität, immer weniger Subsistenznähe; immer mehr bürokratisch-funktionale Fremdbestimmung, immer weniger personale Selbstbestimmung; immer mehr Kapital und Energie, immer weniger menschliche Arbeit.

Damit hängen zwei Grundsachverhalte zusammen: erstens eine unausgewogene Verteilung der Erwerbsmöglichkeiten und zweitens Sozialverfall. Das erste, das Erwerbs-und Arbeitsmarktproblem, führt dazu, daß immer weniger Menschen für immer mehr Menschen außerhalb ihrer eigenen Arbeits-und Lebens-sphäre sorgen müssen, und zwar über institutioneile Kanäle, weil nämlich zweitens der Sozialverfall bedeutet, daß die sozialen Gemeinschaftsnetze sich auflösen und dies zu den bekannten psychosozialen Krankheitsbildern sowie zur Entwicklung einer staatlich-industriellen Sicherheitsund Sozialindustrie führt. So gesehen liegt der Schlüssel zur Lösung der Sozialstaatskrise erstens in Vollbeschäftigung durch eine bessere Verteilung der Arbeitsplätze und Einkommen und zweitens in Sozial-entwicklung.

Vollbeschäftigung heißt Erwerbsmöglichkeiten für alle — Männer wie Frauen, Junge wie Alte — mit dem Ziel, möglichst viele in die Lage zu versetzen, finanziell für sich selbst sorgen zu können. Es geht um eine egalitäre und gerechte Verteilung von Arbeitsplätzen und Einkommen.

Sozialentwicklung heißt Wiederbelebung oder Neuentwicklung von sozialen Gemeinschaftsnetzen mit dem Ziel, dort mehr Einbindung und Erfüllung zu finden (und nicht in Karriere und Konsum) und sich durch gemeinschaftliche Selbsthilfe und Eigenarbeit mit möglichst vielen Dingen und „Diensten“ des täglichen Lebens selbst zu versorgen.

Während unter dem Stichwort „bessere Verteilung von Arbeitsplätzen und Einkommen" bzw. „Vollbeschäftigung" brauchbare Elemente demokratisch-sozialistischer Programmatik aufgegriffen werden können, lassen sich im Begriff der „Sozialentwicklung" konservative Wahrheiten aufheben. Diese einfache Synthese wäre allerdings gewiß zu schön, um wahr zu sein, und sie ist auch nur denkbar, wenn sie zugleich mit beiden bricht Superindustrielles Wachstums durch Markt und Staat machen eine gerechte Erwerbs-und Einkommensverteilung ebenso unmöglich wie eine Wiederbelebung von Familien-und Nachbar-13 Schaftsbeziehungen. Eine alternative Sozialpolitik, die diesen Namen auch wirklich verdient, kann deshalb nur eine ökologische Politik sein, die sich mit libertären und sozialistischen Elementen verbindet.

Eine solche Synthese ist möglich, seit die Linke unter dem Einfluß der Frauen-, Ökologie-und Alternativbewegung dezentrale Selbstverwaltung, Selbstorganisation, Selbsthilfe, Eigenarbeit und die „vergessene soziokulturelle Dimension" (J. Strasser) wieder entdeckt hat Es geht weder um „mehr Markt" noch um „mehr Staat", sondern um „nicht mehr Markt, nicht mehr Staat, und mehr gemeinschaftliche Selbsthilfe und Eigenarbeit" Es geht nicht um noch mehr Wachstum und Systementwicklung, sondern um mehr Sozial-entwicklung und Selbstentwicklung bei gleichzeitiger Systembegrenzung und um — das tabubedrohte Wort sei nochmals ausgesprochen — Systemveränderung. Dieses Konzept ist in jüngster Zeit auch unter dem Begriff einer besser balancierten Dualwirtschaft in die Diskussion gekommen. Außer den im folgenden noch angeführten Punkten sei dazu auf die inzwischen erschienene Literatur verwiesen

Im Zusammenhang mit der Erwerbs-und Einkommensfrage dürften u. a. folgende Punkte wesentlich sein:

— Vollbeschäftigung ist nicht erreichbar durch superindustrielle Technologien in Verbindung mit Sicherheitsund Sozialdiensten, weil sie kapital-, technologie-, energie-, experten-und damit lohnintensiv sind. Vielmehr ist ein Umschalten nötig auf arbeitsintensive Technologien gerade in Landwirtschaft und Verarbeitung, ebenso sind erhebliche Arbeitszeitverkürzungen (die nicht immer und nicht bei allen Einkommensstufen mit einem „Lohnausgleich" verbunden sein können) und mehr noch Arbeitsplätze mit weitgehender Zeitsouveränität erforderlich. Lohnsklaverei ist im wesentlichen Arbeitszeitsklaverei. Die Stück-mechanik der Arbeitszeiten und Arbeitsorte aufzulösen, wäre tatsächlich nichts anderes, als die Sachzwangsmaschinerie von Markt und Staat aufzulösen. Jedenfalls muß nicht „mehr" Arbeit im formellen Sektor geschaffen'werden, sondern es muß dort „weniger" und „anders" gearbeitet werden

— Nötig ist eine Verringerung der Sekundär-verteilung zugunsten einer vergrößerten und gerechteren Primärverteilung. Wir sollten mehr selbst bezahlen können, wofür heute der Staat und die Sozialbürokratien für uns und an unserer Stelle (und mit unserem Geld) zahlen. Das würde mehr Verantwortlichkeit bei Anbietern wie Nachfragern bedeuten, mehr personale und bedürfnisnahe und weniger bürokratische Nachfragelenkung, z. B. im Schul-, Gesundheitsund Versicherungswesen. Dies setzt allerdings voraus, daß die primären Einkommen egalitär verteilt sind. Notwendig ist deshalb zugleich ein Wiederanknüpfen an eine traditionell sozialistische Verteilungspolitik, die sich nicht auf eine Verteilung von Zuwächsen abdrängen läßt, sondern die der „Besitzstandswahrung“ den Kampf ansagt und an der Umverteilung ungleicher Einkommens-und Vermögensbestände zu rühren wagt Unter egalitären Einkommens-und Vermögensverhältnissen ist eine Entstaatlichung von Sozialdiensten unproblematisch und auch wünschenswert im Sinne sozialer Vielfalt und kultureller Freiheit. Die bürgerlichen Freiheitsphilosophien der französischen Revolution und die Segnungen der „unsichtbaren Hand" des Marktes können sich überhaupt erst dort wirklich entfalten, wo eine sozialistische Revolution gleiche Voraussetzungen geschaffen hat. Wichtig ist, daß die erforderliche Umverteilung nicht steuerpolitisch und quasi „staatssozialistisch" erfolgt, sondern z. B. durch eine autonome Tarifpolitik selbstverwalteter Einheiten Nicht zuletzt — was ebenfalls das genaue Gegenteil heutiger Tendenzen darstellt — wäre auf eine allgemeine qualifikatorische Gleichwertigkeit der Arbeitsplatzanforderungen hinzuwirken. Ohne eine tiefgreifende „Humanisierung und Demokratisierung der Arbeitswelt'', wie dies heute heißt, müßte eine egalitäre Einkommensverteilung (und nicht nur diese) bloße Illusion bleiben.

— Nötig sein wird auch eine Neuordnung des öffentlichen Steuer-und Transfersystems. Zum Beispiel sind Sinn und Notwendigkeit einer öffentlich verwalteten „Leistungsrente" unter Bedingungen wie den oben genannten nicht einsehbar Auch Vorschläge für entsprechende Reformen des Steuersystems wurden an anderer Stelle schon unterbreitet

Was nun die Frage einer verbesserten Sozial-entwicklung betrifft, sei noch zweierlei hervorgehoben: — Nicht Wirtschaftspolitik, sondern Sozialpolitik im dargelegten Sinn muß Vorrang haben. Ich möchte hier Norbert Blüm beipflichten, der „etwas dagegen" hat, „wenn die Hilfen für den kleinen Mann Sozialpolitik heißen und sich ständig rechtfertigen müssen, während die Hilfen für Unternehmen Wirtschaftspolitik genannt werden und unter Naturschutz stehen" Worauf es allerdings ankommt, sind nicht so sehr bzw. nicht nur finanzielle Hilfen, sondern vor allem eine Gesetzgebung und eine wirtschaftlich-soziale Rahmenplanung, die den Vorrang der familialen und sonstigen sozialen Lebenswelt gegenüber Markt und Staat auch durchsetzen. Es muß z. B. auch noch viel mehr darüber nachgedacht werden, wie für Wohngemeinschaften, soziale Patenschaften, kleine Netze, Nachbarschaftsvereine, Bürgerinitiativen u. ä. ein besserer gesetzgeberischer Humus geschaffen werden kann. Im übrigen sind die Möglichkeiten staatlichinstrumenteller Politik hier begrenzt — und sollten auch begrenzt bleiben. Ob, wie früher, die Religion eine soziale Erneuerung tragen kann, ist fraglich, zumal auch die Kirchen bei uns fragwürdig geworden sind. Jedenfalls muß eine soziale Erneuerung aus der sozialen Lebenswelt, der Civil Society selbst kommen. Ich meine — durch Erfahrungen aus der Alternativbewegung und dem „Netzwerk Selbsthilfe“ darin bestärkt —, daß die soziale Lebenswelt und der informelle Sektor dies auch leisten können, wenn Markt und Staat sie weniger kolonisieren — vor allem nicht in Form einer staats-oder verbändeorganisierten „Bürgerbeteiligung". — Markt und Staat können schließlich zu einer besseren Sozialentwicklung beitragen, indem sie entsprechende Mittel dazu liefern oder bereitstellen natur-und sozialökologisch angepaßte Produkte; weniger passiv machende Fix-und-Fertig-Angebote, mehr Mittel zur Eigenarbeit und zum Selbermachen; weniger versorgen, sondern Selbstversorgungsmittel anbieten; weniger Hilfe leisten, sondern mehr Selbsthilfemöglichkeiten schaffen; Verbreitung entsprechender Qualifikationen; Erleichterung des Erwerbs bzw.der Nutzung von Gebäuden und Geländen; Beihilfen zu entsprechenden Ausrüstungen und Ausstattungen. Gemeindeentwicklung zum Beispiel, als dualwirtschaftliche Verbindung von Sozial-entwicklung im informellen Sektor mit einer Förderung traditioneller und moderner Klein-und Mittelbetriebe vor Ort, wäre weniger und doch viel besser als jene halsbrecherischen superindustriellen Durchbruchsmanöver, mit denen gegenwärtig fast alle Mittel vergeudet werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Investitionsbeihilfen an Klein-und Mittelunternehmen, Subventionen an bäuerliche Betriebe o. ä. fallen dagegen nicht unter diese Definition. Sie betreffen staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen. Maßnahmen wie z. B. Renten-und Krankenversicherung weisen zwar auch wirtschaftliche Wirkungen auf, aber es ist doch richtiger, soziale, politische und wirtschaftliche Aspekte analytisch auseinander zu halten. In der Spiegel-Serie von Renate Merklein, Der Griff in die eigene Tasche, Nr. 22— 26/1980, herrschte ein für diese Vermengungen von Sozialstaat und wirtschaftlichem Interventionsstaat typisches Durcheinander.

  2. So heißt es z. B. bei W. Wellner: „Der Sozialstaat hat sich aus der sozialen Reformbewegung des 19. Jahrhunderts heraus als Garant der sozialen Sicherung entwickelt, um die Krankheitsbilder der Industrie-und Dienstleistungsgesellschaft durch sozial ausgleichende Maßnahme auszuheilen". Grenzen des Sozialstaats, München 1977, S. 100.

  3. Wolf-Dieter Narr, Claus Offe (Hrsg.), Wohlfahrtsstaat und Massenloyalität, Köln 1975, S. 21 (Einleitung).

  4. Dazu in letzter Zeit besonders Martin Jänicke, Wie das Industriesystem von seinen Mißständen profitiert, Opladen 1979; ders., Zur Theorie des Staatsversagens, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 14/80, S. 29ff.

  5. Dies dürfte für die sog. monopolkapitalistischen Länder des Westens wie für die sog. realsozialistischen Systeme des Ostens gleichermaßen gelten.

  6. Vgl. z. B. die in Anmerkung 41 angeführten Autoren.

  7. Z. B. Johano Strasser, Grenzen des Sozialstaats?, Köln 1979; Siegmar Mosdorf, Die sozialpolitische Herausforderung, Köln 1980; Erich Standfest, Sozialpolitik als Reformpolitik, Köln 1979.

  8. Zum Konzept des selektiven Wachstums vgl. besonders Alan Gartner, Frank Riessman, Der aktive Konsument in der Dienstleistungsgesellschaft, Frankfurt 1978.

  9. Sozialbericht '78 des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Bonn Juni 1978, S. 78f.

  10. Geschäftsbericht 1978/79 des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft, Köln, Oktober 1979, S. 9— 11 u. 16.

  11. Harold L. Wilensky, The Welfare State and Equality. Structural and Ideological Roots of Public Expe-ditures, Berkeley/Los Angeles/London 1975; vgl. Manfred Groser, Die neue soziale Frage, Melle 1979,

  12. Z. B. Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel (Hrsg), Wirtschaftlicher und sozialer Wandel in der Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 1977.

  13. Vgl. Warnfried Dettling, Die neue soziale Frage und die Zukunft der Demokratie, Bonn 1976.

  14. Egon Matzner, Wohlfahrtsstaat und Wirtschaftskrise, Reinbek 1978, S. 83.

  15. Frankfurter Rundschau, 23. 6. 1977, S. 5.

  16. Der nicht veröffentliche Deutschland-Report der Basler Prognos AG im Auftrag der deutschen Bundesregierung sagt in den nächsten 15 Jahren eine Verringerung der Zahl der Arbeitsplätze von 24, 9 auf 23, 2 Millionen voraus und eine Zunahme der nicht-beschäftigten Erwerbssuchenden von 1, 9 auf 4, 3 Millionen (TAZ, 15. 6. 1979, S. 14.).

  17. Die Zukunft der Altersversorgung, in: Die deutsche Lebensversicherung, Jahrbuch 1978 des Verbandes der Lebensversicherungsunternehmen, Bonn 1978, S. 35.

  18. Vgl. Ulrich von Alemann, Rolf G. Heinze (Hrsg.), Verbände und Staat. Vom Pluralismus zum Korporatismus, Opladen 1978; dies., Neo-Koporatismus, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Nr. 4/1979, S. 469— 478.

  19. Karl Polanyi, The Great Transformation, Wien

  20. Claus Offe, Politische Herrschaft und Klassen-strukturen. Zur Analyse spätkapitalistischer Gesellschaftssysteme, in: G. Kress, D. Senghaas, Politikwissenschaft, Frankfurt 1969, S. 135ff.

  21. Vgl. Heiner Geißler, Die neue soziale Frage, Freiburg 1976; ebenso Manfred Groser, Die neue soziale Frage. Theoretische Grundlagen und empirische Befunde, Melle/St. Augustin 1979; zur sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Kritik daran vgl. G. Himmelmann, Zur Problematik der neuen soziaB ien Frage, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Heft 2/1976, S. 65-76; auch S. Mosdorf, Konservativ-ordo-liberale Wohlfahrtsstaatskritik und das Konzept der neuen sozialen Frage, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 39/1978.

  22. Manfred Groser, Die neue soziale Frage, a. a. O., S. 71.

  23. Im allgemeinen verweist die wissenschaftliche Literatur in dieser Frage auf E. D. Domar, The Burden of Debt and the National Income, in: ders., Essays on the Theory of Economic Growth, Oxford

  24. Johano Strasser, Grenzen des Sozialstaats?, a. a. O., S. 125.

  25. Dieter Eißel, Umverteilung im Sozialstaat, in: Frankfurter Hefte Extra 2, Frankfurt 1980, S. 176 f.

  26. Egon Matzner, Wohlfahrtsstaat und Wirtschaftskrise, a. a. O., S. 71-84; auch W. Wellner, Grenzen des Sozialstaats, a. a. O., S. 95f.

  27. Vgl. Statistische Grundzahlen der EG, hrsg. von Eurostat, für 1978/79, Tab. 136; ebenso Der Spiegel, Nr. 15/1980, S. 41; ebenso: Staatsverschuldung — Probleme der 80er Jahre. Sozialpolitische Informationen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, 29. Sept. 1980.

  28. The costs of social policy, in: Europe's Economies, hrsg. von The Economist, London 1978, S. 26.

  29. Renate Merklein, Der Griff in die eigene Tasche, a. a. O., Heft 22, S. 93.

  30. Dieter Eißel, Umverteilung im Sozialstaat, a. a. O., S. 173-, W. Wellner, Grenzen des Sozialstaats, a. a. O., S. 82, 93 u. 122.

  31. Vgl. D. Murphy, F. Rubart, F. Müller, J. Raschke, Protest. Grüne, Bunte und Steuerrebellen. Ursachen und Perspektiven, Reinbek 1979.

  32. Dazu Norbert Blüm: „Ein neuer Klassenkampf droht uns: Nicht mehr zwischen Kapital und Arbeit, sondern diesmal zwischen Arbeitslosen und Arbeitsbesitzern" (Das Selbstverständnis der Sozialausschüsse, in: Die Aussichten der Republik, Frankfurter Hefte Extra 2, Frankfurt 1980, S. 87).

  33. Dieser Standpunkt wurde bereits von Rosa Luxemburg in ihrer gegen Eduard Bernstein gerichteten Schrift „Sozialreform oder Revolution“ vertreten. In der neuerlichen Marx-Orthodoxie der Studentenbewegung z. B. W. Müller, Ch. Neusüß, Die Sozialstaatsillusion und der Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital, in: Sozialistische Politik, Nr. 6/7,

  34. Vgl. Narr/Offe, Wohlfahrtsstaat und Massenloyalität, a. a. O., S. 21-30.

  35. H. -J. Krupp, Das monetäre Transfersystem in der Bundesrepublik Deutschland, in: ders. /W. Glatzer (Hrsg.), Umverteilung im Sozialstaat, Frankfurt 1978,

  36. Renate Merklein, Der Griff in die eigene Tasche, a. a. O. Heft 23/1980, S. 100.

  37. Hans-Hermann Hartwich, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Status Quo, Opladen 1970, S. 355.

  38. Vgl. Dieter Eißel, Umverteilung..., a. a. O., S. 175ff.; ebenso Renate Merklein, Der Griff ..., Teil II, S. 100ff.

  39. Vgl. Wilfried Schreiber, Um die soziale Sicherheit, in: R. Löwenthal, H. -P. Schwarz (Hrsg.), Die Zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1974, S. 791— 815.

  40. Ivan Illich, Medizinische Nemesis. Die Enteignung der Gesundheit, Reinbeck 1975; Ivan Illich, John McKnight u. a., Disabling Professions, London 1978, deutsch: Entmündigung durch Experten, Reinbek 1979.

  41. Vgl. z. B. H. Achinger, Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik, Hamburg 1958; Axel Murswieck (Hrsg.), Staatliche Politik im Sozialsektor, München 1976; Ch. v. Ferber, Sozialpolitik in der Wohlstandsgesellschaft, Hamburg 1967; E. Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, Darmstadt 1968; H. Schelsky, Die Arbeit tun die anderen, Opladen 1975.

  42. Ivan Illich u. a„ Entmündigung durch Experten, Reinbek 1979.

  43. Vgl. dazu den von mir hrsg. Sammelband: Anders arbeiten, anders wirtschaften, Frankfurt 1979.

  44. Wer soll das alles ändern. Die Alternativen der Alternativbewegung, Berlin 1980; auch: Der Markt der Sicherheiten, in: Kursbuch 61/1980.

  45. H. Kahn, J. B. Phelps, The Economic Present and Future, in: Economic Impact 1/1980.

  46. Vgl. M. Jänicke, Zur Theorie des Staatsversagens, a. a. O.; ebenso meinen Artikel: Der Markt der Sicherheiten, a. a. O.

  47. Martin Jänicke, Wachsende Zukunftsrisiken für Umwelt, Beschäftigung und Demokratie?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23/80.

  48. Vgl. Zwischen Sozialstaat und Supermarkt: Die neue Abhängigkeit des Bürgers, in: I. Illich u. a., Entmündigung durch Experten, a. a. O.

  49. Vgl. H. -H. Hartwich, Sozialstaatspostulat .... a. a. O., S. 56f, u. 58f.

  50. Vgl. Manfred Groser, Die neue soziale Frage, a. a. O., S. 62ff.

  51. Vgl. Johano Strasser, Grenzen..., a. a. O., S. 126 ff.

  52. Vgl. Siegmar Mosdorf, Die sozialpolitische Herausforderung, a. a. O.; ders., Konservativ-ordolibe-rale Wohlfahrtsstaatskritik ..., a. a. O.

  53. Ebenda, S. 38.

  54. Erich Standfest, Sozialpolitik und Selbstverwaltung, Köln 1977, S. 145 ff.; J. Strasser, a. a. O., S. 131 ff.; M. Jänicke, Zur Theorie ..., a. a. O., S. 38.

  55. Dazu besonders S. Mosdorf, Die sozialpolitische Herausforderung, a. a. O., S. 123ff.

  56. Ebenda, S. 128ff,

  57. Vgl. Erich Standfest, Sozialpolitik und Selbstverwaltung, a. a. O., S. 217ff.; Bernhard Badura, Peter Gross, Sozialpolitische Perspektiven, München 1976, S. 292ff.

  58. Vgl. Anmerkung 8.

  59. Besonders deutlich bei S. Mosdorf, a. a. O„ S. 120ff., sowie bei beiden von Erich Standfest zitierten Arbeiten.

  60. J. Strasser, a. a. O., S. 112.

  61. Vgl. auch Egon Matzner, Zur Entwicklung des autonomen Sektors, discussion paper Wissenschaftszentrum Berlin IIM/dp 79— 89.

  62. Anders arbeiten — anders wirtschaften. Dual-wirtschaft: Nicht jede Arbeit muß ein Job sein, Frankfurt 1979; Wer soll das alles ändern, Berlin Sept. 1980; ökologisch wirtschaften, in: Öko-Almanach, Frankfurt 1980; Andre Gorz, Adieu au Proletariat, Paris 1980; Guy Aznar, Non aux loisirs, non ä la retraite, Paris 1978; Adret, Travailler deux heures par jour, Paris 1977; Futuribles (Hg), Lemploi ou l ob-Session du futur, Paris 1979; ebenso die Dossiers der International Foundation for Development Alternatives IFDA 2 Place du Marche, Nyon, Schweiz.

  63. Vgl. auch den Spiegel-Titel von Stephan Burgdorff, Weniger arbeiten — besser leben, Nr. 27/1980, sowie die verschiedenen Veröffentlichungen von Bernhard Teriet.

  64. Dazu auch: Entmündigung durch Experten, a. a. O., S. 150ff., sowie: Das Unternehmen. Modell einer selbstverwalteten Wirtschaft, in: Kursbuch 53/1978.

  65. Vgl. Erich Standfest, Sozialpolitik als Reformpolitik, Köln 1979, S. 73f.

  66. Vgl. auch meine Arbeit: Technokratie oder Menschlichkeit Zur Theorie einer humanen und demokratischen Systementwicklung, Achberg 1978,

  67. Norbert Blüm, Das Selbstverständnis der Sozialausschüsse, a. a. O., S. 90.

  68. Vgl. dazu auch die Darstellung des Konzepts der „gesellschaftlichen Selbstorganisation öffentlicher Aufgabenerfüllung''bei Egon Matzner, Wohlfahrtsstaat ..., a. a. O., S. 149ff.

Weitere Inhalte

Joseph Huber, Dr. rer. pol., Dipl. -Sozialwissenschaftler, geb. 1948; derzeit Wissenschaftlicher Assistent am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Technokratie oder Menschlichkeit, Achberg 1978; Anders arbeiten, anders wirtschaften. Dualwirtschaft, Frankfurt 1979; Zwischen Sozialstaat und Supermarkt Die neue Abhängigkeit des Bürgers (Entmündigung durch Experten, mit Ivan Illich u. a., Reinbek 1979); Strategien gegen die Arbeitslosigkeit (mit K. G. Zinn u. a.), Köln 1977; Wirtschaftsdemokratie in der Diskussion (mit J. Kosta), Köln 1978; Wer soll das alles ändern. Die Zukunft der Alternativbewegung, Berlin 1980.