Die Bundeswehr blickt in diesem Jahr auf den 25. Jahrestag ihres Bestehens zurück. Aus diesem Anlaß haben vielfältige Erörterungen das alte Spannungsverhältnis Bürger und Soldat erneut in das Bewußtsein einer größeren Öffentlichkeit gerückt. In einem Vierteljahrhundert Bundeswehr hat sich jedoch der historische Dualismus zwischen Freiheitsrechten und militärischer Ordnung in seiner konkreten Ausgestaltung abgeschwächt; die gesellschaftliche Stellung des Soldaten kann mit diesem Problemfeld nicht mehr hinreichend umschrieben werden. Gleichwohl ist die Anti-nomie noch nicht völlig aufgelöst. Das Grundgesetz hat sich eindeutig für den Staatsbürger in Uniform entschieden. Der Soldat ist jedoch eingebunden in unsere gesellschaftliche und politische Wirklichkeit. Sie prägt seinen Auftrag und sein soldatisches Selbstverständnis. Er muß auch bei dem fortschreitenden Veränderungsprozeß in der Lage bleiben, den Auftrag der Friedenssicherung wirksam zu erfüllen. Zu seiner notwendigen Motivation gehört indessen auch, daß der ihm als Staatsbürger zustehende Freiheitsraum gewährleistet bleibt.
Soldat und Demokratie
Zu Beginn der fünfziger Jahre war die Diskussion um den künftigen deutschen Soldaten von dem Thema „Soldat in der Demokratie" beherrscht. Nach den Erfahrungen mit der Reichswehr und nach dem Schicksal der Wehrmacht bestand Einigkeit in der Zielsetzung: Eine Armee in einem demokratischen Deutschland muß demokratischen Geistes sein. Dazu erschien es notwendig, die künftige Armee in die junge republikanische Gesellschaft zu integrieren. Die Gesellschaft sollte auf den Geist und das Verhalten der Armee einwirken; die Armee sollte der Sozialstruktur des Volkes entsprechen und teilhaben an dem gesellschaftlichen Wandel. Dies bedingte auch, daß der künftige Soldat an der politischen Willensbildung mitwirken konnte und dabei wie jeder andere Staatsbürger die allgemeinen Bürgerrechte in Anspruch nehmen durfte.
Grundsatzpositionen Die konzeptionellen Überlegungen für die neue Wehrverfassung bewegten sich zunächst um Grundsatzpositionen und um politische Bekenntnisse Gegen diese gab es jedoch erhebliche Vorbehalte; sie kamen primär aus zwei Richtungen: Viele ehemalige Soldaten sahen in dem neuen Ansatz eine zu radikale Absage an die hergebrachten Grundsätze militärischer Lebensformen. Sie befürchteten, daß das Allgemeingültige des Soldatentums unter dem Einfluß der pluralistischen Gesellschaft verlorengehe Auch die Juristen kamen mit der Zuordnung bürgerlicher Freiheiten (Grundrechte) zu der statusrechtlichen Pflichtenordnung des Soldaten in vielfältige Interpretationsschwierigkeiten Sie konnten sich nur mühsam von der Rechtskategorie der „Person des Soldatenstandes" lösen, obschon dieser Terminus seit 1921 aus dem Wehrgesetz verschwunden war.
Die ersten Bundeswehrplaner sahen den Soldaten bereits im Besitz staatsbürgerlicher Rechte. Ihre Vorstellungen über die konkrete Ausgestaltung dieser Rechte waren jedoch noch weitgehend undifferenziert. Die Himmeroder Denkschrift aus dem Jahre 1950, die sich mit der Aufstellung eines deutschen Kontingents im Rahmen einer internationalen Streit-macht zur Verteidigung Westeuropas befaßte, sprach von der Einschränkung bestimmter Grundrechte und der Überparteilichkeit der Streitkräfte Es gab vielfältige Erörterungen über die Rechtsstellung des Soldaten, über Fragen des Wahlrechts und über die Zugehörigkeit zu Gewerkschaften und zu politischen Parteien. Tendenziell lief ein Teil der Überlegungen darauf hinaus, den Soldaten von der Politik und von den Wahlen fernzuhalten Etwa seit 1953 zeichnete sich ein Umdenken mit einer zunehmend stärkeren Betonung in die Nähe zum Recht des zivilen Staatsdienstes ab, wenn auch der Soldat nicht als „Beamter in Uniform“ gesehen werden sollte. Dahinter stand die Erkenntnis, daß ein Rechtsstaat weder politisch noch rechtlich eine andere Zuordnung des Soldaten als die zum Staatsbürger finden dürfe. Das wesentliche Argument gegen die alten Positionen faßte man dahin zusammen, daß es widersinnig erscheine, die zur Verteidigung der Freiheit aufgerufenen Menschen in ihren persönlichen Freiheiten stärker einzuschränken, als es die Erfordernisse der Disziplin und der Kameradschaft mit sich bringen „Innere Führung" und Motivation Unsere heutige Wehrverfassung, d. h. die Gesamtheit der gesetzlichen Bestimmungen über die Streitkräfte und über die Stellung des Soldaten, geht von dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform aus. Das daran orientierte Konzept der „Inneren Führung" basiert auf der Über-zeugung, daß es möglich und wünschenswert ist, die Armee in unser demokratisches Staatswesen einzugliedern und den Soldaten aktiv am politisch-demokratischen Prozeß zu beteiligen. Das Militär bleibt freilich ein Stück des repräsentativen Staates. Seine Existenz erinnert an die Realität und an das Eingebunden-sein in eine wenig friedfertige Welt, an die geschichtliche Ambivalenz der freiheitlichen Ordnung und der starken Staatsgewalt.
Die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft gilt heute im wesentlichen als abgeschlossen Generalinspekteur Brandt hält nach 25 Jahren Bundeswehr mit jährlich über zweihunderttausend Wehrpflichtigen die Frage nach der Integration für „schlichtweg altmodisch und ungeschichtlich" Dennoch muß sich der Staatsbürger in Uniform und mit ihm die Bundeswehr im Selbstverständnis der Mitbürger täglich neu bewähren. Noch immer sind die Skeptiker nicht verstummt, die eine Konvergenz zwischen Militär und Gesellschaft für nicht erreichbar, vielleicht auch nicht für wünschenswert halten. Sie befürchten weiterhin eine Demokratisierung der Armee und die allmähliche Auflösung militärischer Prinzipien. Gerade der Auflösung militärischer Strukturen soll die „Innere Führung" mit Methoden zur modernen Menschenführung entgegenwirken. In einer Rede vor dem Beirat für Innere Führung hat Bundesminister Apel drei Punkte angeführt, die Innere Führung heute so schwierig machen. Es sind dies: das Konsum-, Freizeit-und Anspruchsdenken in unserer Gesellschaft, die Frage der Mitwirkung an Entscheidungen und schließlich das Erfordernis politischer Bildung mit ihren Konsequenzen für eine Friedensarmee
Die krisenhafte Weltsituation der Jahre 1979/80 hat bei vielen Mitbürgern die Notwendigkeit der Verteidigungsbereitschaft stärker als bisher zum Gegenstand ihrer politischen Überlegungen gemacht. Sie hat aber auch alte innergesellschaftliche Widerstände gegen den Gedanken der Verteidigung und gegen das Militär neu belebt. Sie begegnen uns in vielfältigen Gewändern und erschweren die gesellschaftliche Integration der Bundeswehr. Theologen fordern die Gewaltlosigkeit als Handlungsprinzip und streben nach einer Welt ohne Waffen. Pazifistische Positionen halten die Möglichkeit einer Friedenssicherung ohne militärische Mittel für realistisch. Zwar treten die meisten Regierungen der westlichen Welt für eine „militärische Ent-zerrung" ein, dennoch lassen der Rüstungswettlauf und die Zweifel am realistischen Handeln der Politiker eine Dynamik befürchten, die in einer militärischen Eskalation enden könnte.
Das Unbehagen vor einer Militarisierung des Denkens hat auch vor der Bundeswehr nicht halt gemacht. Ihre Tradition und ihre innere Ordnung sind ins Gespräch gekommen. Bei der notwendigen Auseinandersetzung können die ideologischen Gegner unserer freiheitlichen Ordnung, die die Bundeswehr als Friedensstörer hinstellen wollen, außer Betracht bleiben. Es gibt aber auch andere Stimmen. Sie wollen die Armee von der übrigen Gesellschaft isolieren, die Soldaten in ihre Kasernen verbannen. Das Bild vom Staatsbürger in Uniform würde dann alsbald zu einem Zerrbild entarten, wenn solche Einstellung Raum gewönne. Was den Soldaten angeht, wird es Aufgabe der „Inneren Führung" sein, ihm auch unter sich wandelnden Verhältnissen die Einsicht in sein soldatisches Sein zu vermitteln und ihn dadurch für seinen Auftrag zu motivieren. Der Soldat ist jedoch zugleich Bürger dieses Staates. Als solcher kann und soll er auf die politische Gestaltung der Gesellschaft einwirken. So geht es denn auch bei der aktuellen Diskussion letztlich um unser Verfassungsverständnis, um die Grundrechte, die erstmals in der Geschichte auch dem Soldaten zugeordnet sind.
Gewandelte Rechtspositionen?
Das Belassen der Grundrechte beim Eintritt in das Statusverhältnis des Soldaten war eine der wesentlichsten Voraussetzungen für das Konzept der „Inneren Führung". Es war die rechtliche Fixierung der Idee des Staatsbürgers in Uniform und die entscheidende Gewichtsverschiebung gegenüber den herkömmlichen Vorstellungen. Im Laufe von 25 Jahren Bundeswehr ist diese „Statusänderung" ein wenig in Vergessenheit geraten. Ohnehin hat man sich mit ihrer Beschreibung schwer getan: Der Soldat könne nicht mit dem Bürger identifiziert werden, er bleibe eine „Besonderung bürgerlicher Existenz". Dies um so mehr, als hinter dem Menschenbild des Grundgesetzes sich mehr der „friedliche Bürger" oder gar der Bourgeois verberge Die Erinnerung an die De-batten der frühen fünfziger Jahre und an die Beratungen der Wehrgesetze könnte nun zwar den Historikern überlassen bleiben, wenn nicht in vielen Bereichen unseres staatlichen und gesellschaftlichen Lebens zwischen der geschriebenen Verfassung und der sogenannten Verfassungswirklichkeit eine Diskrepanz bestünde. Die Staatsrechtler erklären diese Diskrepanz mit der Lehre vom stillschweigenden Verfassungswandel. Danach ist es bei einem geänderten Verständnis erlaubt, den Inhalt der Verfassungsurkunde durch eine an der Realität statt am ursprünglichen Verfassungszweck orientierte Auslegung abzuändern bzw. zu interpretieren; es genügt, wenn die Auslegung noch mit dem Wortlaut des Verfassungstextes vereinbar ist Auf den Soldaten bezogen darf der Wandlungsprozeß sicherlich nicht dazu führen, daß seine Rechtsstellung im Grundsatz berührt wird. Gleichwohl drängt sich die Frage auf, ob auch das Recht des Soldaten in einem Vierteljahrhundert Bundeswehr einen Wandlungsprozeß durchgemacht hat. Die Frage ist aufs engste mit unserer politischen Wirklichkeit verknüpft. Die Antwort gibt Auskunft über die Normalität unseres Staates, der Freiheitsrechte zu gewähren hat. Sie zeigt aber auch, wie unser politisches System auf wechselnde Schwierigkeiten reagiert.
Grundrechte, Vorrang für die Freiheit In einem Rechtsstaat stehen die Begründung von Pflichten und die Gewährung von Rechten unter dem Vorbehalt des Gesetzes. Das Postulat von der Rechtmäßigkeit allen staatlichen Handelns gilt ohne Einschränkung auch für den Soldaten Ihm kann nichts befohlen werden, was nicht auf einer gesetzlichen Grundlage beruht. Gegen jede Verletzung seiner Rechte steht ihm der Rechtsweg offen. Die Rechtsgarantien sind Bestandteil des soge-nannten Rechtsstaatsprinzips, eines der tragenden Grundsätze unserer Verfassung.
Das Grundgesetz hat zugleich mit der Verbriefung der Grundrechte eine weitere bedeutsame Entscheidung getroffen. Es hat erstmals in der deutschen Geschichte dem Prinzip der Freiheit per Verfassung Vorrang eingeräumt. Im Staatsrecht spricht man von der „gesamtverfassungsrechtlichen Freiheitsentscheidung". Demnach war es denn auch folgerichtig, wenn der ehemalige Generalinspekteur de Maiziere (1966 — 1972) es als einen Eckpfeiler der Inneren Führung ansah, daß in dem alten Widerstreit zwischen Ordnung und Freiheit, „der gerade im militärischen Bereich besonders deutlich werde, die Priorität dem Prinzip der Freiheit zuerkannt worden sei". Freilich, so fügt er noch im gleichen Satz hinzu, dürfe diese insoweit eingeschränkt werden, „als es die Erfüllung des militärischen Auftrages erfordere" Nun besteht Einigkeit, daß Einschränkungen der Grundrechte nur aufgrund eines Gesetzes möglich sind Für den Soldaten ist dies mit dem Soldatengesetz geschehen. Der Grundsatz: „hat die gleichen staatsbürgerlichen Rechte" ist im § 6 des Soldatengesetzes enthalten. Dort heißt es bezüglich der Einschränkungen: „Seine Rechte werden im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes durch seine gesetzlich begründeten Pflichten beschränkt." Die Einschränkungen folgen dann in einer Reihe von Einzeltatbeständen, die den Erfordernissen des militäri-schen Alltags Rechnung tragen, und von Grenzfällen abgesehen, gemeinhin keine allzu großen Probleme bereiten. Innerhalb des vom Soldatengesetz gegebenen Rahmens bleibt der Grunsatz der Erforderlichkeit. Hier liegt der Spielraum, in dem die Priorität der Freiheit gesichert werden muß. Sie darf nicht nur als ein Zugeständnis an den in den fünfziger Jahren noch vom Schrecken des Krieges beherrschten Zeitgeist gesehen werden. So aber bleibt die Frage erlaubt: Was alles erfordert die militärische Ordnung; wo liegt die Demarkationslinie zwischen bürgerlicher Freiheit und soldatischer Inpflichtnahme?
Seitdem darüber nachgedacht wird, gehen die Auffassungen auseinander; freilich gibt es Auslegungsregeln. Sie laufen im Ergebnis auf eine Rechtsgüterabwägung der tangierten Grundrechte hinaus. Dabei hat das mit Verfassungsrang ausgestattete Gemeinschaftsgut der Landesverteidigung (Art. 87 a GG) ein besonderes Gewicht An ihm muß die Schwere des durch Gesetz erlaubten Eingriffes in ein Grundrecht gemessen werden. Eine allgemeingültige und zeitlose Antwort wird sich indes nicht finden lassen.
Verfassung, Gesellschaft und Bundeswehr
Das Bundesverfassungsgericht sieht das Wesen unserer Verfassung darin, der staatlichen Gemeinschaft eine einheitliche Ordnung für das politische und gesellschaftliche Leben zu geben Das Leben in Politik und Gesellschaft verläuft jedoch nicht in einer harmonischen Einheit. Die Menschen sind unterschiedlich; ihre Lebensführung ist durch Charakterdisposition und soziale Umwelt geprägt. Deshalb sind auch ihre Wertvorstellungen differenziert. Die Gesellschaft ist pluralistisch, und der Pluralismus der Auffassungen unterliegt einem ständigen Wandel. Das Bewußtsein der Menschen formt die Gesellschaft; die Gesellschaft bestimmt die Verfassungs-und Rechtsentwicklung
Die Bundeswehr ist ein Teil der Gesellschaft; ihr Selbstverständnis sollte keine eigenen Wege gehen. Eine Armee ist indessen nicht ohne Eigendynamik, und es gehört zum Wesen der pluralistischen Gesellschaft, daß sich Gruppenwillen bildet und Einfluß geltend macht. Die Gruppeninteressen dürfen jedoch den Willen und die Entscheidungsfreiheit des einzelnen nicht verdrängen. Auch der Soldat darf in der Entfaltung seiner Persönlichkeit nicht beeinträchtigt werden, denn das Grundgesetz ist für den Menschen und nicht für den Staat geschaffen Die Menschenwürde, die Freiheit und die Gleichheit sind die unabän-
derlichen Grundwerte. Verfassung und Rechtsentwicklung müssen sich demnach am Bild des Menschen orientieren. Nun sind aber auch die Auffassungen über den Menschen nicht einheitlich. Wir sprechen, um nur wenige zu nennen, vom christlichen, vom individualistischen und vom kollektiven Menschenbild. Das Bundesverfassungsgericht spricht von der Pflicht, das Menschenbild des Grundgesetzes zu wahren Dieses wird als christlich orientiertes Menschenbild umschrieben. Die Geschichte der Menschheit spiegelt eine unüberschaubare Vielfalt der Bilder vom Menschen.
„Jede Zeit hat ihre Werte" (Hegel). Das Sitten-Igesetz, von dem unser Grundgesetz spricht, ist nicht identisch mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung. In fast allen Bereichen klaffen moralischer Anspruch und wirkliches Leben weit auseinander. Der Verfall der Sitten und der rapide Wandel der Auffassungen ist fast von jeder Generation beklagt worden. Das „empirische" Menschenbild, so der Militärgeneralvikar Gritz, hebt das „prinzipielle" Menschenbild jedoch nicht aus den Angeln, aber es stellt die Menschenführung in der Bundeswehr auf die Probe. Gritz sieht in dem Staatsbürger in Uniform das Menschenbild, das aller Menschenführung in der Bundeswehr zugrunde liegt. Nur — so seine Folgerung — wenn dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform Wert und Rang eines Menschenbildes zugemessen werde, sei deutlich zu machen, „daß Zeit und Gelegenheit sein muß zur geistigen Durchdringung der Grundlagen". Der Staatsbürger in Uniform ist freilich unlösbar mit dem Grundgesetz verknüpft, das — nach Gritz — „Elemente hat, die auf theologische Aussagen zum Menschenbild verweisen“
Der Gesetzgeber hat der Vielfalt der Auffassungen (Wertpluralismus) Rechnung zu tragen. Er hat die Rechtsordnung mit der sozialen Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Sein Bemühen konzentriert sich meistens auf eine Minimalübereinkunft über die in der Gesellschaft zu achtenden Normen. Das Vorhandensein eines Gesetzes garantiert denn auch nicht immer die Überzeugung von seiner Notwendigkeit oder gar seine allgemeine Anerkennung. Als Beispiel sei an die Reform des Eherechts, an den Paragraphen 218 oder an das Recht der elterlichen Sorge erinnert.
Grundkonsens der Demokraten Die Vielfalt der Auffassungen und der ständige Wandel der Anschauungen berühren natürlich auch das Verhältnis zur Verfassung. Um in der staatlichen Einheit ein Auseinanderfallen der unterschiedlichen soziologischen Gruppen zu vermeiden, muß ein Grund-konsens gefunden und angestrebt werden. Er besteht in der freien Gesellschaft darin, daß alle Demokraten sich den tragenden Grundwerten der Verfassung verpflichtet fühlen. Dabei gehört es zum Selbstverständnis des Verfassungskonsenses, daß Konflikte, die sich auf die Gestaltung der freiheitlichen Ordnung beziehen, unter dem Schutz der Rechtsordnung ausgetragen werden. Etwa die Frage, ob ein NPD-Funktionär Offizier sein kann; ob die Unterstützung einer Bürgerinitiative als eine politische Betätigung im Sinne des Soldatengesetzes (§ 15) gilt; ob die akademische Freiheit an den Bundeswehrhochschulen mit den Pflichten aus dem Soldatengesetz kollidiert; ob ein Offizier sich öffentlich zu Fragen der Tagespolitik äußern darf.
Die herrschende Staatsrechtslehre versucht, die Gegensätze an dem Rahmen des gesellschaftlichen Status quo zu orientieren. Die Verfassung habe den Bestand der politischen und gesellschaftlichen Ordnung zu festigen und einen dauerhaften Grundkonsens der Bürger zu garantieren. Es kommt, so der bayerische Kultusminister Maier, darauf an, „die Verfassung als geschichtlichen Grundwillen unseres Volkes den Bürgern, besonders der Jugend, begreiflich zu machen — jene Entschlossenheit zur Freiheit, die den Wertkonsens begründet und in der alle sekundären Konflikte ihre Lösung finden können"
Verfassungsprinzipien Die Konfliktlösung wird in der Rechtspraxis des Alltags mit Hilfe bestimmter Ordnungs-mechanismen, den sogenannten Verfassungsprinzipien, angestrebt. Zu nennen sind etwa die „streitbare" oder die „wehrhafte" Demokratie, die „objektive Wertordnung", die „Gemeinschaft freier Menschen". Diese Vorschalt-oder Auslegungsregeln führen in den meisten Fällen zu Einschränkungen der Freiheitsrechte. Sie dienen jedoch letztlich dem Bestand des Staates und seiner Grundordnung, wenn man so will, der Staatsräson. Das Bundesverfassungsgericht hat, um zwei Beispiele anzuführen, in dem sogenannten Radikalenbeschluß dem Prinzip „des Schutzes der Verfassung" im Rahmen der Treuepflicht des Beamten Vorrang vor dem im Art. 3 Abs. 3 GG normierten Diskriminierungsverbot eingeräumt In der Wehrdienstentscheidung des gleichen Gerichts wird das Prinzip der „staatsbürgerlichen Pflichtengleichheit" (hier Wehrpflicht) dafür herangezogen, dem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung nach Art. 4 Abs. 3 GG Ausnahmecharakter zu verleihen. Das abweichende Gewissen muß sich einer Gewissen-prüfung unterziehen. Die Wehrgerechtigkeit werde verletzt, wenn derjenige, der den Wehrdienst verweigere, sich durch eine einfache Erklärung seiner Verpflichtung entziehen könne, ohne daß sichergestellt sei, daß er zum Ersatzdienst einberufen werde Natürlich gibt es Stimmen, die in der Verfassungsinterpretation mit Hilfe der von der Rechtsprechung entwickelten Verfassungsprinzipien (Über-Legalität) eine Amputation unseres Grundgesetzes und eine Einengung der politischen Freiheiten sehen. Rechtsanwendung besteht aber auch und gerade darin, „Werturteile" zu treffen, d. h.den gesellschaftlichen Bewertungen und ihrem Wandel Rechnung zu tragen.
Einschränkungen der Grundrechte Von den im Soldatengesetz (SG) festgelegten Einschränkungen der Grundrechte sind zuerst die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) und zum Eintreten für die demokratische Grundordnung (§ 8 SG) zu nennen. Vorgesetzte (Offiziere und Unteroffiziere) haben innerhalb und außerhalb des Dienstes bei ihren Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzte zu erhalten (§ 10 Abs. 6 SG). Im Dienst darf sich der Soldat nicht zugunsten oder zuungunsten einer bestimmten politischen Richtung betätigen (§ 15 Abs. 1 SG). Innerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen findet während der Freizeit das Recht der freien Meinungsäußerung seine Schranken in den Grundregeln der Kameradschaft (§ 15 Abs. 2 SG). Ein Soldat darf als Vorgesetzter seine Untergebenen nicht für oder gegen eine politische Meinung beeinflussen (§ 15 Abs. 4 SG). Außer Dienst hat sich der Soldat außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, daß er das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordern, nicht ernsthaft beeinträchtigt (§ 17 Abs. 2 SG).
Die durch die Pflichten des Soldatengesetzes eingeschränkte freie Meinungsäußerung ist in einem Erlaß „Private Veröffentlichungen und Vorträge" (VMB 1 1976, S. 360) und in einer Ministerweisung vom 28. September 197 1 näher konkretisiert. Danach sind Mäßigung und Zurückhaltung vor allem bei politischen Äußerungen geboten. Takt und Loyalität gegenüber dem Dienstherrn sind insbesondere dann zu wahren, wenn eine Beziehung zwischen der dienstlichen Tätigkeit und dem behandelten Thema besteht. An diesen Pflichtenkreis sind um so höhere Anforderungen zu stellen, je höher Dienstgrad und dienstliche Stellung des Soldaten sind. Die Zurückhaltungspflicht des Vorgesetzten (§ 10 Abs. 6 SG) bezieht sich nicht nur auf politische Äußerungen, sondern auf alle Äußerungen zu kontroversen Themen. Festlegung rechtsstaatlicher Garantien In den Anfangszeiten der Bundeswehr ging es zunächst darum, die Rechtsstellung des Soldaten im Sinne rechtsstaatlicher Garantien festzulegen. In der Mehrheit der Streitfälle kam es dabei im wesentlichen auf eine Abwägung zwischen dem Verfassungsauftrag zur Landesverteidigung und den individuellen Grundrechten an. So kann die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) aus Gründen der Sicherheit (Reisen in bestimmte Länder), der Hygiene (Haartracht) oder der Unfallverhütung (Vollbart) eingeschränkt werden. Schutzimpfungen — Recht auf körperliche Unversehrtheit — sind in bestimmten Fällen hinzunehmen. Die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG) war durch eine Grußordnung verletzt, die von dem Untergebenen verlangte, alle Soldaten höherer Laufbahngruppen außer mit dem Dienstgrad auch mit „Herr" anzureden, ohne selbst „auf den Herr“ einen Anspruch zu haben Heute ist jeder Soldat mit „Herr" anzusprechen.
Problemfelder
Koalitionsfreiheit und Gewerkschaftserlaß Einen ernsthaften Konflikt hat es im Zusammenhang mit dem Erlaß zur gewerkschaftlichen Betätigung der Soldaten (1. August 1966), dem sogenannten Gewerkschaftserlaß, gegeben. Berührt waren Grundsatzfragen der Vereinigungsfreiheit (Koalitionsrecht) nach Art. 9 GG. Die innerministeriellen Auseinandersetzungen darüber haben den damaligen Generalinspekteur Trettner zum Rücktritt veranlaßt.
Die gewerkschaftliche Betätigung von Soldaten ist sicher ein prinzipielles Problem des politisch-militärischen Verhältnisses. Fragen zur Verfassung und der militärischen Zweckmäßigkeit von Soldatengewerkschaften hätten sich eigentlich nicht mehr stellen dürfen; denn das verfassungsmäßig garantierte Koalitionsrecht der Soldaten war unbestritten, seine Grenzen lagen mit den gesetzlich begründeten Pflichten des Soldaten fest. Im übrigen ist das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit nicht einschränkbar (Art. 9 Abs. 3 GG). Dennoch versuchte die damalige militärische Führung die Einschaltung „berufsfremder Dritter" zu verhindern. Sie lehnte eine Gleichbehandlung der OTV mit dem Bundeswehrverband mit der Begründung ab, der Bundeswehrverband sei „ein reiner Berufsverband ohne jegliche politische Zielsetzung", während die Soldaten-gruppe innerhalb der OTV an die „gesamtpolitische Zielsetzung der Gewerkschaft gebunden bliebe"
Der Konflikt ist ein anschauliches Beispiel für den Wandel der Auffassungen. Diesmal war die Rechtsgrundlage — Koalitionsfreiheit — vorhanden und ernstlich nicht in Zweifel gezogen. Es wurde jedoch davon kein Gebrauch gemacht, weil es zunächst auf beiden Seiten — Gewerkschaft und Dienstherr — entgegenstehende Interessen gab. Das historisch vorbelastete Verhältnis zwischen organisierter Arbeiterschaft und Militär, die ablehnende Haltung der Gewerkschaften zur Wiederbewaffnung, hatten ein Klima geschaffen, in der es der OTV nicht opportun erschien, eine Interessenvertretung der Soldaten anzustreben. Dies kam der militärischen Führung entgegen. Sie glaubte offenbar, daß mit „einer von Soldaten für Soldaten geführten berufsständischen Organisation" dem Gedanken gewerkschaftlicher Zusammenschlüsse hinreichend entsprochen sei. Es entsprach zudem militärischer Tradition, die Fürsorge für den Soldaten als Teil einer nach eigenem Verständnis unteilbaren Verantwortung des Vorgesetzten nicht aus der Hand zu geben. Mit dieser Auffassung befand sich die militärische Führung wohl auch in Übereinstimmung mit der überwiegenden Mehrheit der Soldaten.
Der Auffassungswandel bei der OTV und ihr Anspruch, in den Kasernen gewerkschaftlich tätig sein zu wollen, berührte bei vielen Soldaten die Grenzen ihres soldatischen Selbstverständnisses. Die militärische Führung hat das Koalitionsrecht des Soldaten im Grunde nie in Abrede gestellt, sie glaubte indessen, daß ein Weg gefunden werden müsse, die Gewerkschaft OTV aus den Kasernen herauszuhalten. Noch schien die Kluft zwischen herkömmlichen militärischen Vorstellungen und dem Grundrechtsträger Soldat nicht überwindbar, noch war das Mißtrauen gegen die Gewerkschaften zu ausgeprägt. Die Folgezeit hat gezeigt, daß die Befürchtungen unbegründet waren. Die Zusammenarbeit verlief frei von Störungen, wenn auch die OTV alsbald erkennen mußte, daß die Öffnung des Zuganges zur Bundeswehr noch nicht einen Zulauf der Soldaten garantierte.
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit Unter den Grundrechten hat das Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), oder besser: auf freie Meinungsäußerung, einen besonders hohen Stellenwert. Es gehört zum Wesen der Demokratie, daß jeder Staatsbürger seine Meinung frei äußern darf. Das Bundesverfassungsgericht geht von einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede aus. Sie muß auch im öffentlichen Dienst auf jeden Fall gewahrt bleiben. Der langjährige Rechtsstreit Böll/Walden läßt deutlich werden, daß die Ausgestaltung dieses Grundrechtes aber auch im gesellschaftlichen Bereich mit Schwierigkeiten verbunden ist.
Die Konfrontationen in Politik und Gesellschaft machen vor dem Kasernentor nicht halt. Der Prozeß der politisch-gesellschaftlichen Meinungsbildung vollzieht sich in der Armee letztlich nicht anders als sonstwo. Für den Soldaten ist die Teilhabe an diesem Prozeß aber nur gewährleistet, wenn er sich frei äußern kann und dabei nicht ständig auf die Meinung seiner Vorgesetzten achten muß. Er muß jedoch Rücksicht nehmen auf die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr, auf die Ausschaltung politischer Auseinandersetzungen im dienstlichen Bereich, auf die Autorität der Vorgesetzten und vieles mehr. Natürlich spielen auch Fragen der Disziplin eine Rolle. Sie darf jedoch nicht als Wert an sich, sondern nur im Hinblick auf das Funktionieren der Streitkräfte gesehen werden So bleibt die Ausübung des Grundrechtes Meinungsfreiheit für den Soldaten an eine Vielzahl gesetzlich begründeter Pflichten gebunden.
Es kommen Barrieren psychologischer Art hinzu: Nicht wenige sind der Meinung, daß die freie Meinungsäußerung mit der klassischen Soldatentugend des schweigenden Gehorsams nicht in Einklang zu bringen ist. Es gibt in der Tat keinen anderen Bereich, in dem sich die widerstreitenden Beziehungen zwischen Grundrecht und militärischer Ordnung so affektbeladen begegnen. Der Ruf nach disziplinarer Ahndung, der bei dissentierenden Äußerungen von Offizieren oder eines zum Radikalismus neigenden Wehrpflichtigen oft allzu schnell erhoben wird, ist wenig hilfreich. Die Zurückhaltungspflichten sind ja nicht gegen eine bestimmte Meinung oder den unbequemen Mahner gerichtet. Schutzobjekt ist allein die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr.
Vorrang der Meinungsfreiheit Nach anfänglichem Zögern der Gerichte hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen der Meinungsäußerungsfreiheit zum Durchbruch verholten. Kernsatz: Das Recht der freien Meinungsäußerung ist für eine Demokratie schlechthin konstituierend; in öffentlichen Angelegenheiten hat es im Zweifel Vorrang Es gibt Entscheidungen der Truppendienstgerichte und der Wehrdienstsenate beim Bundesverwaltungsgericht, die im Zusammenhang mit Äußerungen von Soldaten auf das Bundesverfassungsgericht Bezug nehmen. So wurden etwa Stellungnahmen zur Verteidigungspolitik, auch kritische Äußerungen gegenüber der Politik des Bundesministeriums der Verteidigung in einer öffentlichen Veranstaltung, als Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage beurteilt. „Sie können dem Soldaten grundsätzlich nicht verwehrt werden."
Eine rechtmäßige politische Meinungsäußerung kann nur in ganz besonderen Ausnahmefällen als dienstlicher Grund für eine Versetzung anerkannt werden, nämlich dann, wenn die Äußerung die dienstlichen Belange nachhaltig stört oder objektive Umstände die Befürchtung begründet erscheinen lassen, daß eine solche Störung bevorsteht
Mehr Rücksicht auf die militärische Ordnung? So wünschenswert die kritische Teilnahme des Soldaten an der gesellschaftlichen Willensbildung auch sein mag, Spannungen mit der militärischen Konvention lassen sich nicht übersehen. Gesetzliche Einschränkungen werden als notwendig erachtet und im wesentlichen nicht in Frage gestellt, dennoch gibt es Grenzsituationen, die mitunter auch im politischen Bereich zu kontroversen Diskussionen führen. Es hat neuerdings den Anschein, daß das Bundesverfassungsgericht damit begonnen hat, den besonderen Gegebenheiten des Soldatenverhältnisses größere Bedeutung beizumessen und die gesetzlichen Einschränkungen des Soldatengesetzes weniger eng auszulegen. Dafür gilt die nachfolgende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als Beispiel. Ein Soldat hatte außerhalb des Dienstes, aber in der Kaserne, von einem Kameraden eine Unterschrift für eine Solidaritätserklärung erbeten, die an die gegen das Atomkraftwerk protestierenden Bürger von Wyhl gesandt werden sollte. Dies wurde mit 14 Tagen Arrest geahndet. Die Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg Der Soldat hat nach Ansicht der Gerichte die Kameradschaftspflicht verletzt. Der Anspruch der Kameraden auf einen „privaten Lebensbereich" und ihr Anspruch „in Ruhe gelassen zu werden" seien in der Kaserne besonders gefährdet und deshalb in besonderem Maße schützenswert. „Der Schutz-anspruch der anderen gebiete es, sich nicht gegen ihren Willen einer sie bedrängenden Inanspruchnahme oder Beeinflussung seitens ihrer Kameraden mit deren Gedankenwelt aussetzen lassen zu müssen."
Die Absicht ist klar und vom Verfassungsgericht auch ausgesprochen. Möglichen Ausein-andersetzungen unter Kameraden soll „von vornherein ein Riegel vorgeschoben werden". Diese Entscheidung des höchsten deutschen Gerichtes — drei Richter haben in einem Sondervotum ihre abweichende Meinung dargetan — ist vielfach kritisiert worden. Sie wurde als „Rücknahme in Sachen Meinungsfreiheit" empfunden. R. Schmidt, ehemaliger Gerichtspräsident und bekannter Rechtspublizist, hat dazu ausgeführt: „Gibt das nicht der von den Bürgern alter Demokratien häufig beobachteten deutschen Untugend recht, abweichende politische Meinungen nicht als alltägliche, selbstverständliche Sache, sondern als einen quasi feindseligen Angriff zu empfinden und darüber böse zu werden?" Das Grundrecht, so Schmidt, sei doch gerade „zum Schutz solcher Nonkonformisten und Dissidenten gegeben" Freilich bleibt die soldatische Gemeinschaft bei dieser Kritik außer Betracht. Urteil und Kritik lassen erkennen, daß die Grenzen nach wie vor unscharf sind.
Freiheit, Führung und Recht
Nach 25 Jahren Bundeswehr läßt der soldatische Alltag erkennen, daß der alte Widerstreit zwischen Freiheit und militärischer Ordnung noch besteht. Die Freiheit, der das Grundgesetz Vorrang eingeräumt hat, stößt im militärischen Raum auf Grenzen. Dennoch hat das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, das auf der freiheitlichen Grundordnung unserer Verfassung basiert, das Bild des Soldaten entscheidend geprägt — mehr als die moderne Technik oder das Eingebundensein in eine Bündnisarmee. Der Freiheitsgedanke muß weiter behutsam gepflegt werden. Die Freiheit des einzelnen ist auch die Freiheit des Volkes. Sie tapfer zu verteidigen, ist der Soldat angetreten. Wir Deutschen neigen allerdings nicht nur beim Militär stärker zur Ordnung als zur Freiheit. Goethe hat zwar während der Campagne in Frankreich (1792) ein Aquarell gemalt, auf dem der Satz steht „Passant, cette terre est libre"; er fühlte sich hingezogen zu den Freiheitsgedanken der französischen Revolution. Nach den Erfahrungen der anschließenden Belagerung von Mainz (1793) hat er dann den berühmten Ausspruch getan: „Es liegt nun einmal in meiner Natur: ich will lieber eine Ungerechtigkeit begehen als Unordnung ertragen." Der Gedanke an eine konfliktfreie Bundeswehr wäre illusionär. Das Wesen der Rechtsstaatlichkeit besteht gerade darin, daß es institutionell gesicherte Möglichkeiten gibt, Konflikte auszutragen. Freilich wäre die Annahme falsch, alle Konflikte könnten nur mit justizförmigen Mitteln gelöst werden. Der Weg vom Rechtsstaat zum Justizstaat ist nicht allzu weit. Auch in der Bundeswehr wird die „Verrechtlichung" schon als lästig empfunden. In dem de Maizire-Bericht heißt es: „Die Schwierigkeiten und Schwachstellen, die sich seit Bestehen der Bundeswehr entwickelt haben und die die Kommission aufzeigt, lassen sich auf einige Kernprobleme zurückführen: Die Punkte 4 und 5 lauten (verkürzt): Die militärische Führung ist zunehmend . versachlicht'worden ... Truppenführung ist eine Kunst, eine auf Charakter, Können und geistiger Kraft beruhende freie schöpferische Tätigkeit. Einengende Selbstbindungen haben zugenommen. Verstärkt wird diese Tendenz durch eine allgemeine Verrechtlichung und durch übertriebene Rücksichtnahme auf die Justitiabilität von Entscheidungen."
Ein Ruf nach mehr Freiheit, oder ein neuer Interessenkonflikt? Wohl nicht. Zeitgerechte Menschenführung soll ja das reibungslose Miteinander ermöglichen. Die Juristen haben lediglich zu wachen, daß die „Spielregeln" eingehalten werden. Dabei muß die Freiheit, die in den Grundrechten verbürgt ist, gewährleistet sein. Ohne Rechtsnormen geht dies nicht; Freiheit allein wäre Unordnung und ein Privileg weniger. Freilich muß auch der reglementierende Perfektionismus zurückgedrängt werden, wenn das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit nicht Schaden leiden soll.
Was festzuhalten bleibt, das sind die Grundrechte, die erstmals auch für den Soldaten gelten: das ist die Freiheit, die auch im militärischen Alltag trotz aller Einschränkungen Vorrang hat;
das ist der Staatsbürger in Uniform, der auch als Soldat an der Gestaltung unseres demokratischen Staates mitwirken kann.
Es sind dies die Ausgangspunkte aller Bemühungen um den Menschen in der Bundeswehr. Sie haben das Bild der Armee und ihrer Soldaten geprägt. Sie sind nach 25 Jahren Bundeswehr ein Stück demokratischer Tradition geworden.