Vorbemerkung
In der Curriculumdiskussion steht die Forderung nach . Partizipation'oder . Beteiligung'der Lehrer am Reformprozeß seit langem im Mittelpunkt des Interesses. Die Einschätzung, daß „die Lehrer ... an der Entwicklung von RRL und Materialien beteiligt und auf deren Umsetzung im Unterricht vorbereitet werden" müssen, wird seit mehreren Jahren sowohl von der Bildungsverwaltung als auch von Wissenschaftlern ausdrücklich unterstützt. Die generelle Notwendigkeit von Lehrerpartizipation an der Lehrplanreform soll, da dies bereits vielfach geschehen ist, hier nicht noch einmal hervorgehoben und illustriert werden. Vielmehr gilt es, einige bisher ungeklärte, in der wissenschaftlichen Diskussion unbeachtete Eigentümlichkeiten curricularer Partizipationsprozesse zu untersuchen: Ziel dieses Aufsatzes ist die Analyse zentraler, durch die Bildungsverwaltung gesetzter Bedingungen unterschiedlicher Beteiligungsformen an der Curriculumplanung. Es läßt sich nämlich feststellen, daß einige Lehrer mit relativ weitreichenden Handlungsräumen an der Erarbeitung von Curricula beteiligt werden (z. B. in den Bielefelder Schulprojekten), während sich für die Mehrzahl der Lehrer Partizipation in der Ausdifferenzierung bereits vorgegebener Lehrpläne erschöpft (z. B. in Regionalen Pädagogischen Zentren). Solch unterschiedliche Tendenzen partizipativer Curriculumplanung geben Anlaß zu folgenden — im weiteren zu behandelnden — Fragen: Aus welchen Gründen ist die Bildungsverwaltung an unterschiedlich intensiver Lehrerpartizipation interessiert? Welche Folgen haben ungleiche Beteiligungsformen für das Schulwesen?
Um diese Fragen beantworten zu können, sollen vorab einige grundsätzliche Überlegungen zum Partizipationsbegriff angestellt werden, um dann das spezifische Interesse der Bildungsverwaltung an unterschiedlich intensiver Lehrerpartizipation im einzelnen zu analysieren. Die Zusammenfassung enthält Hypothesen über die besonderen Bedingungen und Folgen von unterschiedlich intensiver Lehrerpartizipation an der Curriculumplanung.
Zum Partizipationsbegriff In der politikwissenschaftlichen Literatur wird unter . Partizipation'die Chance verstanden, durch zweckgerichtetes Handeln auf Prozesse der (politischen) Willensbildung Einfluß zu nehmen Bei solchen Einschätzungen besteht jedoch ein entscheidender Mangel darin, daß die verschiedenen Funktionen, welche Partizipation haben kann, bisher nicht systematisch herausgearbeitet worden sind. So basieren z. B. die Annahmen, Beteiligung ermögliche (in jedem Falle) neben einer Enthierarchisierung auch eine verstärkte Selbst-und Mitbestimmung (. Bildung von Gegenmacht) oder, umgekehrt: sie diene grundsätzlich der Interessenverschleierung oder -harmonisierung, auf dem Versäumnis, Widersprüche und Ungereimtheiten, die mit Partizipation verbunden sind, für die theoretische Einschätzung von Partizipationsprozessen fruchtbar zu machen. Die gegensätzlichen Auffassungen darüber, was unter Partizipation zu verstehen sei, werden m. E. durch ihre . doppeldeutige'Funktion verursacht, führt doch Partizipation zum einen zur unmittelbaren Beteiligung von Betroffenen an Planungsprozessen, um ihre Selbstbestimmungsmöglichkeiten zu erweitern, zum anderen dagegen zur Effektivierung und Legitimierung des Organisationsgeschehens, um die Ziele der Organisation — u. U. gerade gegen die Interessen der Betroffenen — besser bestimmen und durchsetzen zu können. Während eine Funktion von Partizipation also durch die Negation repräsentativer Struktur-prinzipien gekennzeichnet ist, da die Betroffenen , extrakonstitutionelle'Mitbestimmung praktizieren, zielt die zweite auf die Erhaltung und Effektivierung repräsentativer Organisationsstrukturen, indem durch die konstruktive Mitarbeit von Praktikern, potentiell Unzufriedenen usw. die Wirksamkeit dieser Strukturen erhöht werden soll Welche der genannten Funktionen schließlich überwiegt, kann nicht generell, sondern nur auf den je unterschiedlichen Fall bezogen beantwortet werden.
Zur Funktion von Lehrerpartizipation an der Curriculumplanung
Um die unterschiedlichen Funktionen von Lehrerpartizipation genauer erfassen zu können, soll die konkrete Situation, welche die Bildungsverwaltung veranlaßt, Partizipation für Lehrer zu ermöglichen, in die Analyse einbezogen werden. Nach meiner Einschätzung ist die Bildungsverwaltung vor allem aus folgenden Gründen an der Mitwirkung von Lehrern an der Lehrplanreform interessiert: 1. Die für die Curriculumerarbeitung notwendigen Detailkenntnisse des Schulalltags können nicht allein durch das Fachwissen von Behördenvertretern und Wissenschaftlern gewonnen werden, sondern nur durch die Mitarbeit der unterrichtserfahrenen und mit schulischen Detailproblemen vertrauten Lehrer.
2. Bei verwaltungsinternen Planungsprozessen besteht das Problem, daß die getroffenen Maßnahmen nicht ausreichend demokratisch legitimiert sind, da sie nicht auf gesetzlicher Grundlage beruhen. Die Beteiligung von Betroffenen (z. B. von Eltern, Lehrern und Schülern) gilt als wichtige Quelle zur Erzeugung von ausreichender Legitimität für planendes Verwaltungshandeln.
3. Die Einführung neuer Lehrpläne kann an oft sehr sublimen Vorbehalten und Widerständen der Lehrer scheitern. Lehrer haben, wie andere Berufstätige auch, bei der Veränderung ihrer Arbeitsorganisation häufig das unangenehme Gefühl, „daß ihnen etwas aufoktroyiert wird“ 6a), was sich auf ihre berufliche und private Lebensperspektive nachteilig auswirken könnte; sie widersetzen sich diesen Veränderungen daher mehr oder weniger intensiv und offen. Um solche Ablehnung der Lehrer möglichst zu beseitigen und sie für die Durchführung der geplanten Maßnahmen zu motivieren, sollen sie am Reformprozeß partizipieren. Im folgenden werden diese drei wesentlichen Funktionen von Lehrerpartizipation ausführlich erörtert, um dann auf die Folgen des Partizipationsprozesses, nämlich die Aufteilung der Lehrer in eine kleine Planerelite und in eine Masse von fremdbestimmten Planungsobjekten, schließen zu können.
Zu 1.:
Lehrerpartizipation effektiviert den Prozeß der Curriculumerarbeitung Ausgangspunkt der hier anzustellenden Überlegungen ist die These, daß die Bildungsverwaltung an der Mitarbeit von Lehrern bei der Erarbeitung von Curricula interessiert ist, um durch deren Praxiserfahrungen und Detailkenntnisse die , Kluft'zwischen den theoretischen Kompetenzen von Behördenvertretern und Wissenschaftlern einerseits und den praktischen Unterrichtserfordernissen andererseits schließen zu helfen.
Das Theorie-Praxis-Problem wurde in der bundesdeutschen Curriculumdiskussion bereits frühzeitig intensiv thematisiert, weil die negativen ausländischen Erfahrungen mit Curricula in der Bundesrepublik von vornherein vermieden werden sollten Bisher blieben je-doch alle Versuche wissenschaftlicher und behördlicher Curriculumplaner, sich auf die Bedingungen alltäglicher schulischer Handlungsstrukturen zu beziehen, wenig erfolgreich: Die von ihnen erarbeiteten Unterrichts-entwürfe besitzen keinen oder nur einen geringen . Gebrauchswert'für die Schulpraxis.
Warum aber sind zentrale Gremien so wenig in der Lage, den Schulunterricht effektiv und kompetent, d. h. praxisrelevant, zu planen? Ein Grund dürfte darin bestehen, daß die traditionelle Unterrichtsplanung durch den Lehrer dem . Schutz der Vergänglichkeit'unterliegt, welcher bei der schriftlichen Formulierung differenzierter, in der Bildungsverwaltung erarbeiteter Pläne wegfällt. Die behördliche Fixierung von Planungszielen, Unterrichtsinhalten usw. fordert wegen der vielfältigen und unterschiedlichen Vorstellungen über schulische Lerninhalte eher den Widerspruch gesellschaftlicher Interessengruppen heraus als die individuelle, . vergängliche'Unterrichtsplanung. Um bei der Planformulierung inhaltliche und politische Kontroversen möglichst zu vermeiden, werden für die Curriculumerarbeitung Wissenschaftler herangezogen, da von ihren Arbeitsergebnissen erwartet wird, daß sie relativ wenige „Angriffsflächen" bieten. Das Ausmaß der Spezialisierung hat im Bereich der Wissenschaft aber so stark zugenommen, daß zwischen „den curricularen Technologen und Begriffspflegern und der gemeinen Lehrerschaft“ kaum noch Verständigungsmöglichkeiten existieren, d. h., daß die Lehrer die wissenschaftlichen Arbeitsergebnisse in ihrem Unterricht nicht einsetzen können.
Als Konsequenz aus den bisherigen negativen Erfahrungen im In-und Ausland wird daher immer wieder von allen Seiten gefordert, die Curriculumentwicklung . pragmatisch', . handlungsorientiert', . praxisnah', . schulfeldbezogen', . basisorientiert'usw. zu organisieren. Die Intention solcher Reformvorhaben besteht darin, durch Partizipation von Lehrern an der Curriculumerarbeitung ein größeres Maß an Effektivität der Unterrichtspläne zu ermöglichen.
Projekte, in denen Lehrer an der Curriculum-erarbeitung partizipieren, sind u. a. die „Kommission zur Reform der hessischen Bildungspläne"
(1968—71), die Bielefelder Schulprojekte (Laborschule und Oberstufen-Kolleg), das Staatsinstitut für Schulpädagogik (ISP) in München, der Modellversuch „Gesamtschule" in Nordrhein-Westfalen und das Marburger Curriculumprojekt „Innovationsforschung am Beispiel der Grundschule".
Partizipierende Lehrer gelten in diesem Zusammenhang als „Ideenpool: Sie stellen ihr arbeitsplatzspezifisches Wissen im Planungsprozeß zur Verfügung, wodurch die beteiligten Theoretiker die Möglichkeit erhalten, ihre Planungsstrategien zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren. Das Interesse der Bildungsverwaltung an Lehrer-Partizipation beschränkt sich aber nicht nur auf die arbeitsinhaltlichen Kenntnisse der Praktiker. Der partizipierende Lehrer agiert im Planungsprozeß auch als Interessenvertreter seiner Kollegen und bringt deren berufliche Erwartungen im Zusammenhang mit der Einführung von Curricula zum Ausdruck. Auf diese Weise können Ausmaß und Stoßrichtung möglicher Vorbehalte oder Widerstände, z. B. gegen die Aufsplitterung des Lehrerhandelns, benannt und eingeschätzt werden. Die ablehnende Haltung der Lehrer gegenüber der Curriculumreform, welche sich aus der Einschränkung von Lehrerautonomie, der Verringerung der Professionalisierungschancen, der Zunahme von Arbeitskontrollen usw. erklärt, kann bei der Planung in größerem oder geringerem Maße berücksichtigt werden (. Frühwarnsystem'), so daß die Pläne nicht völlig gegen die beruflichen Interessen der Lehrer verstoßen und somit effektiver umsetzbar sind
In der einschlägigen Literatur über Fragen und Probleme der Demokratisierung von Arbeitsorganisationen wird aus diesem Grund die von . oben', von der Organisationsleitung bzw.der Verwaltungsspitze eingeführte Mitbestimmung überwiegend skeptisch beurteilt.
Sie gilt als produktivitätssteigerndes Element im Sinne der Arbeitgeber (Naschold: Produktivkraft Partizipation), d. h., daß die Basisaktivitäten als Anregung für eine effektive Arbeitsplanung ausgebeutet werden.
Bisher konnte gezeigt werden, daß die Bildungsverwaltung an der qualifizierten Mitarbeit von Lehrern am Prozeß der Lehrplanre-form in außerordentlich starkem Maße interessiert ist — ihr Interesse beschränkt sich jedoch auf eine begrenzte Anzahl von Mitwirkenden, wie nun zu zeigen ist: Die umfassende, qualifizierte Beteiligung aller Lehrer an der Curriculumentwicklung würde die Bildungsverwaltung vor folgendes Dilemma stellen: Wie oben dargelegt, bereichern zwar die Informationen und schulpraktischen Kenntnisse von Lehrern den curricularen Planungsprozeß; er wird aber auch gleichzeitig komplizierter und langwieriger, je mehr unterschiedliche oder auch kontroverse fnteressen sich artikulieren können. Konsens wird dann oft nur dadurch möglich, daß der Unterrichtsplan sehr allgemein formuliert wird, was seinen praktischen Anwendungswert im Schulalltag wiederum vermindert. Außerdem eröffnen sich den partizipierenden Lehrern Chancen zur Koalitionsbildung gegen die Interessen der Curriculumplaner, welche ansonsten bei den sehr isolierten schulischen Arbeitsbedingungen kaum bestehen.
Solche Risiken für die Bildungsverwaltung lassen sich minimieren, wenn nur eine geringe Anzahl von Lehrern bei der Erarbeitung von Curricula mitwirkt, da wenige Lehrer von den Behördenvertretern wahrscheinlich eher dazu angehalten werden können, den Informationsfluß auf die arbeitsbezogenen Kenntnisse und Erfahrungen zu beschränken, die soziale Interessenvertretung, sofern sie den Planungsprozeß verzögert, dagegen hintanzustellen.
Die Beschränkung der Anzahl der Partizipierenden bei der Planerarbeitung hat für die Bildungsverwaltung noch eine Vielzahl weiterer positiver Effekte:
1. Können besonders qualifizierte, ideenreiche und unterrichtserfahrene Lehrer ausgewählt werden;
2. verläuft die Kommunikation in einem kleinen Gremium rascher; Informationsunterschiede und Mißverständnisse lassen sich schneller beheben, Redehemmungen leichter überwinden;
3. können wenige Lehrer leichter auf . sachgemäße', durch Solidarisierungsprozesse wenig beeinflußte Partizipation verpflichtet werden, da sie sich in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis befinden und von der Masse ihrer Kollegen isoliert sind;
4. ist nur eine Freistellung weniger Lehrer von ihrem . normalen'Arbeitsprozeß notwendig, so daß zusätzliche Kosten gering bleiben;
5. können wenige partizipierende Lehrer bei schwerwiegenden Konflikten von der Bildungsverwaltung . problemloser'abgelöst und durch andere ersetzt werden, weil bei kleineren personellen Veränderungen wenig Aufsehen zu erwarten ist.
Als Ergebnis der bisherigen Ausführungen kann bereits hier festgehalten werden, daß die von der Bildungsverwaltung angestrebte Beschränkung der Anzahl der partizipierenden Lehrer bei der Erstellung von Curricula eine wesentliche Ursache für eine sich so herausbildende . Lehrerelite'darstellt. Bei Partizipation von wenigen Betroffenen ist noch folgendes zu bedenken: Eine geringe Anzahl von Lehrern hat einerseits gewisse Möglichkeiten, ihre ökonomischen und arbeitsorganisatorischen Interessen zu vertreten, wodurch der Gebrauchswert'der Curricula steigen kann:
Die Masse der Lehrer entwickelt weniger Widerstände, weil der Plan praxisbezogener ist und ihre ökonomischen Interessen nicht fundamental verletzt. Da andererseits aber davon auszugehen ist, daß die letzte Entscheidung über den Lehrplanentwurf beim Kultusminister bzw. bei der Bildungsverwaltung liegt, ist nicht zu erwarten, daß durch wenige partizipierende Lehrer grundsätzliche Richtungsänderungen bei der Curriculumreform erreicht werden könnten.
Die hier denkbare Einschätzung, Lehrerpartizipation eröffne der Bildungsverwaltung raffinierte . Ausbeutungsmöglichkeiten" — sie sei also eindeutig gegen die Interessen der Lehrer gerichtet —, muß jedoch differenziert werden.
Die Beteiligung von Lehrern an der Curriculumplanung kann ihnen nämlich durchaus auch zu neuen Erkenntnissen über die Auswirkungen der Curriculumreform auf ihre Arbeitsbedingungen und auf die Lernmöglichkeiten der Schüler verhelfen. Da Lehrer zudem wegen ihrer Detailkenntnisse und Praxis-erfahrungen eine gewisse Schlüsselstellung im Reformprozeß einnehmen, besteht für sie durchaus auch eine Chance, durch qualifizierte, d. h. .selbstbewußte'Partizipation eine soziale Interessenvertretung für ihre Kollegen durchzusetzen.
Eine effektive, d. h. auf die Probleme des Schulalltags zugeschnittene Unterrichtsplanung kann zwar, sofern die partizipierenden Lehrer selbstbewußt und kompetent agieren, ihre Praxisferne verringern, sie löst aber die Legitimationsprobleme, welche in der Curriculumdiskussion weiten Raum einnehmen, nicht. Die legitimierende Funktion von Lehrerpartizipation bei der Curriculumplanung wird im folgenden Abschnitt erörtert.
Zu 2.:
Lehrerpartizipation legitimiert den Prozeß der Curriculumreform Hier soll davon ausgegangen werden, daß technische und inhaltliche Probleme bei der Erarbeitung von Curricula weitgehend ausgeräumt sind, daß aber deren Realisierung noch aussteht.
Die Realisierung einer Reihe schulischer Innovationen erwies sich in den vergangenen Jahren als schwierig, da die vorgesehenen Maßnahmen den Widerstand einiger für die öffentliche Meinungsbildung wichtiger Interessengruppen herausforderten. Jüngere Beispiele sind: die Einführung der Mengenlehre in den Mathematikunterricht, die Etablierung des Faches Sexualkunde, die Einrichtung der kooperativen Schule in Nordrhein-Westfalen, die inhaltliche Ausgestaltung der hessischen Rahmenrichtlinien usw. In diesen Fällen scheiterten Reformen nicht etwa an der . Knappheit finanzieller Ressourcen, sondern die . Knappheit an Legitimation'wirkte sich reformhinderlich aus.
Mit welcher . Berechtigung'lehnen sich Bürger in einem demokratischen Gemeinwesen wie der Bundesrepublik gegen staatliche Maßnahmen auf? Aufgrund welcher Umstände muß sich die Bildungsverwaltung gegenüber dem Bürger legitimieren?
Legitimität kann dem Staat und seinen Organen aus verschiedenen Gründen zugesprochen werden. Die . Legalität'ist die politische Ordnungsform eines demokratischen Rechtsstaates, welcher seinem eigenen Anspruch gemäß den politischen Willen des Volkes in Form von Gesetzen faßt. Die Entscheidung über die Ausgestaltung der Gesetze wird aufgrund bestimmter Verfahrensweisen (in der Regel: Wahlen) getroffen. Daher gilt in der repräsentativen Demokratie eine Entscheidung als . gerecht', sofern sie in einem Verfahren zustande gekommen ist, das auf parlamentarisch beschlossenen Gesetzen beruht.
Verwaltungshandeln ist aber nicht immer auf demokratische Verfahrensweisen, wie sie die Prinzipien des liberalen Rechtsstaates fordern, rückführbar. Vielfach werden Verwaltungsangehörige im öffentlichen Dienst ohne jede demokratische Legitimationsbasis tätig, indem nicht nur parlamentarisch zustande gekommene Gesetze ausgeführt, sondern bestimmte Handlungen von der Verwaltung selbständig geplant und realisiert werden. Auch die traditionelle Unterrichtsplanung wurde durch verwaltungsinternen Erlaß, an dem Parlamentarier unbeteiligt waren, vorgenommen. Dieses Verfahren stößt inzwischen z. T. auf vehemente Kritik.
Habermas führt den Vertrauensentzug und die Steigerung des Legitimationsbedarfs im Schulwesen darauf zurück, daß frühere „kulturelle Selbstverständlichkeiten" heute im Planungsbereich der Administration bearbeitet und reflektiert werden und damit an Plausibilität eingebüßt haben. Als Beispiel führt er den Bereich der Bildungsplanung, insbesondere die Planung des Curriculums an: „Während die Schulverwaltung bisher einen Kanon, der sich naturwüchsig herausgebildet hatte, nur zu kodifizieren brauchte, liegt der Curriculumpla-
nungdie Prämisse zugrunde, daß die Überlieferungsmuster auch anders sein könnten: Die administrative Planung erzeugt einen universalen Rechtfertigungszwang gegenüber einer Sphäre, die sich gerade durch die Kraft zur Selbstlegitimierung ausgezeichnet hatte." Bei der Fixierung neuer Unterrichtsinhalte und Lernverfahren muß daher genauer als bisher dargelegt und begründet werden, daß die geplanten Maßnahmen von einer demokratisch legitimierten Instanz erarbeitet wurden.
Die Frage, wer als legitime Entscheidungsinstanz fungieren solle, wurde bisher nicht eindeutig beantwortet. Ist es der Staat oder sind es die Lehrerund Schüler, die vom Lehren und Lernen Betroffenen? In der wissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskussion gelten vor allem (a) die Schulverwaltung, (b) der Gesetzgeber und (c) die Betroffenen als legitime Planungsinstanzen
Hier einige Argumente zur Bedeutung dieser drei Entscheidungsträger im Legitimationsprozeß:
Zu a: Das Votum für die Schulverwaltung als legitime Reforminstanz ist in der Regel mit der Forderung verknüpft, die Organisation der Verwaltung mehr oder weniger grundlegend zu dezentralisieren Da jedoch durch eine Verwaltungsreform eine der wesentlichen Ursachen des Legitimationsdefizits, nämlich der weitgehende Ausschluß demokratisch legitimierter Repräsentanten von der Entscheidungsfindung, nicht grundsätzlich gelöst werden kann, wird die Dezentralisierung von Verwaltungsstrukturen in der Literatur zwar aus verschiedenen Gründen begrüßt, für die Legitimierung von Entscheidungen aber als nicht ausreichend erachtet. Von einer Verlagerung der Entscheidungen ins Parlament (. Vergesetzlichung') wird eher die erforderliche Legitimation erwartet.
Zu b: Die Verlagerung der . undemokratischen', weil verwaltungsinternen Schulplanung in das Parlament verspricht eine Beendigung der anhaltenden, zum Teil lähmenden Diskussionen über den wirklich legitimen Entscheidungsträger bei der Lehrplanreform. Der . Mängelbericht'der Bundesregierung und das Votum des Deutschen Juristentages sehen vor, die Regelung . wesentlicher'Fragen dem Gesetzgeber zu überantworten
Dabei können allerdings neue Probleme auftreten: Vor allem die Kultusminister der Länder warnen vor einer Einengung der Gestaltungsfreiheit des Schulunterrichts durch eine zunehmende Zahl von Gesetzen und Gerichts-urteilen. Wissenschaftler vermuten, daß zunehmende gerichtliche Eingriffe die Artikulierung abweichender Bedürfnisse von vornherein entmutigen und verhindern können, wodurch nicht nur fruchtbare Impulse unterdrückt, sondern auch Chancen zu einer Einigung im Diskussionsprozeß vorschnell verspielt würden Ferner ist zu befürchten, daß die . Vergesetzlichung'eine totale juristische Gängelung der Schule begünstigt.
Selbst wenn man die vorgebrachten Bedenken für unbegründet hält, so zeigen doch die Entwicklungen der letzten zehn Jahre, daß ein bloß legales Verfahren als Legitimationsgrundlage für Bildungsreformen nicht mehr ausreicht. Die staatliche Bildungsverwaltung sieht sich gegenwärtig zunehmend auch materialen, inhaltlichen Legitimationskriterien ausgesetzt, gerade wenn der Status quo verändert werden soll. Legitimation allein durch Verfahren erscheint nur dann als ausreichend, wenn die eingeleiteten Maßnahmen unstrittig sind oder „in jene Grauzone fallen, in der sie weder akzeptiert noch durch manifesten Widerstand in Frage gestellt werden" Nicht also allein das penible Befolgen formaler Regeln schafft Legitimation, sondern das Vertrauen der Betroffenen, daß die Entscheidungsträger . gerechte', für sie vorteilhafte oder zumindest . unschädliche'Entscheidungen herbeiführen. Als ein wirkungsvolles Mittel dazu gilt zunehmend die Beteiligung von Betroffenen am Verwaltungshandeln.
Zu c: Die Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates empfiehlt die verstärkte Einführung partizipativ-demokratischer Organisationsformen in das Schulwesen. Partizipation bedeutet in diesem Ansatz nicht bloße repräsentative . Konferenz-Demokratie', wie dies die Mitbestimmungsgesetze der Bundesländer vorsehen, sondern das Angebot an alle Lehrer, Eltern und Schüler zu direkten Interaktionen über Fragen und Probleme, welche die Gestaltung des Unterrichts betreffen.
Das Bekenntnis des Deutschen Bildungsrates zu partizipativen Handlungsformen löste eine Welle von Empörung, Zustimmung, Verwirrung und Kritik aus Abweichend vom Vorschlag des Bildungsrates geht in den meisten Bundesländern der Trend dahin, zwar Beteiligungsmöglichkeiten für Eltern, Schüler und Lehrer zu eröffnen, diese aber durch strenge hierarchische Aufsicht und Kontrolle in den vorgesehenen . Bahnen'zu halten. Partizipation zum Ausgleich von Legitimationsdefiziten wird dabei nur als Ergänzung zum traditionellen Verwaltungshandeln organisiert. Weitreichende Konzepte wie das des Deutschen Bildungsrates haben (noch) keine Chance auf Realisierung, weil dort Partizipation als eigenständige Aktivität der Betroffenen, ohne zentrale Aufsichts-und Kontrollmöglichkeiten, vorgesehen ist.
Durch reduzierte Beteiligungsstrategien, die den Einfluß der Betroffenen auf die Plangestaltung zwar nicht vollständig, aber im Konfliktfall doch weitgehend unterbinden, kann zwar eine gewisse Legitimierung des Verwaltungshandelns erreicht werden. Sofern jedoch die Partizipierenden ihre geringen Mitbestimmungsmöglichkeiten erkennen und erfolgreich publik machen, kann auch ein delegiti-mierender Effekt eintreten, der durch Partizipation gerade vermieden werden sollte. Zu 3: Lehrerpartizipation erhöht die Bereitschaft und die Fähigkeit der Lehrer, zentral erarbeitete Curricula im Unterricht anzuwenden
Die bisherige Untersuchung der Gründe, welche die Bildungsverwaltung veranlassen, bei der Erarbeitung und Einführung von reformierten Lehrplänen auf die Beteiligung von Lehrern zurückzugreifen, führte zu folgenden Ergebnissen: In der Phase der Curriculumerarbeitung ist die Bildungsverwaltung auf die Detailkenntnisse und Praxiserfahrungen der Lehrer angewiesen, um mit der Genauigkeit des Unterrichtsplanes seine Effektivität zu erhöhen. Für die Phase der Umsetzung der Curricula ergibt sich für die staatliche Schulverwaltung gegenüber der Öffentlichkeit ein Legitimationsproblem, welches durch Partizipation von Lehrern gelöst werden soll. . Planungspartizipation'legitimiert das Verfahren, in dem Curricula zustande kommen, gegenüber der Öffentlichkeit, also verwaltungsextern. Hier soll nun die Frage untersucht werden, auf welche Weise zentral erarbeitete Curricula intern gegenüber der gesamten Lehrerschaft durchgesetzt werden können. Dieser Frage liegt das Problem zugrunde, daß die Verwirklichung der Curriculumreform dadurch gefährdet sein kann, daß die Lehrer andere als die im Unterrichtsplan festgelegten Ziele verfolgen und den Reformprozeß bewußt oder unbewußt behindern oder gar boykottieren. Denn Innovationen verändern in Arbeitsorganisationen die Machtverhältnisse und Positionen der Arbeitenden. Dadurch können einige Individuen und Gruppen gefördert, andere behindert werden. Einige sehen die antizipierte Veränderung als bedrohlich an und lehnen sie ab, während andere sie als Erweiterung ansehen und annehmen. In jedem Fall sind mit Innovationen Risiken und Befürchtungen verbunden
Anhaltspunkte für mögliche Vorbehalte der Lehrer gegenüber reformierten Lehrplänen kann ein Vergleich ihrer bisherigen und ihrer zukünftigen, nunmehr curriculumbestimmten Arbeitsbedingungen geben:
Bisher wird das Lehrerhandeln im Unterricht von den Vorgaben traditioneller Lehrund Stoffpläne nicht nennenswert angeleitet oder eingeengt. Die Lehrer wählen aus einer Fülle potentieller Möglichkeiten — mehr oder weniger bewußt — einen bestimmten Unterrichtsinhalt, bestimmte Lehrmethoden, Medien usw. aus.
Die dabei notwendigen umfangreichen Planungsarbeiten erzeugen einerseits eine hohe individuelle Arbeitsbelastung und berufliche Überforderung. Aufgrund der relativ selbständigen Arbeitsplanung kann der Lehrer andererseits eine hohe Arbeitsmotivation und berufliche Identifikation entwickeln.
Mit der Einführung von Curricula wird dagegen die selbständige Arbeitsgestaltung der Lehrer in hohem Maße eingeschränkt. Reformierte Lehrpläne reglementieren die Lehrer in ihrer Unterrichtsplanung weit mehr, als dies bisher der Fall war. Der Abbau von Entscheidungskompetenzen beeinflußt ihre Pro-fessionalisierungs-und Selbstbestimmungsmöglichkeiten negativ, so daß die Arbeitsmotivation der Lehrer in noch stärkerem Maße als bisher sinken könnte.
Als weiteres Motivationsproblem macht sich bei der Einführung von Curricula das gebrochene Verhältnis vieler Lehrer gegenüber wissenschaftlichen Verfahrensweisen bemerkbar. Insbesondere Lehrer mit längerer Berufserfahrung lehnen Erklärungen und Handlungsanweisungen theoretischer Herkunft für das pädagogische Praxisfeld weitgehend ab. „Unter den Lehrern sind Zurückhaltung wie Ablehnung gegenüber der Rationalisierung (des Unterrichts, H. H.) festzustellen. Leitend ist meist das Bewußtsein, daß es sich hierbei um fremde Eingriffe in die pädagogische Arbeit handelt, die als einschränkend und störend empfunden werden."
Negative Auswirkungen solcher streng reglementierter Arbeitsverhältnisse, wie sie durch die Curriculumreform eingeleitet werden, beschreibt zutreffend der klassische Aufsatz Mertons. Hierarchische Strukturen erzeugen danach „ein ungewöhnliches Maß an Konformität mit vorgegebenen Aktionsmustern", einen wachen „Sinn für die Grenzen der eigenen Autorität umd Kompetenz" und eine „Verschiebung der Gefühle von den Zielen der Organisation weg"
Eine solche wenig flexible, initiativlose Arbeitshaltung würde das Ziel der Curriculumreform, nämlich die Effektivität des Unterrichts zu erhöhen, in Frage stellen.
Aber nicht allein die geringe Motivation und verbreitete Ablehnung, sondern auch die unzulängliche Qualifikation von Lehrern, fremd-entwickelte Unterrichtsprogramme sachgerecht in pädagogisches Handeln zu übersetzen, stellt für die Unterrichtsplaner ein Effektivitätsproblem dar. Wegen der tendenziellen Verwissenschaftlichung der Unterrichtsplanung wird es für Lehrer immer schwieriger, die behördlichen Vorgaben zu verstehen und im Unterricht angemessen zu verwirklichen.
Curriculumplaner versuchten anfangs, der vermuteten unzureichenden Lehrerqualifikation und -motivation durch sogenannte , teacher-proof-curricula'zu begegnen, denen, wie W. Klafki es ausdrückt, „auch der schlechteste Lehrer nichts mehr anhaben" kann. Da das Lehrerhandeln aber nicht vollständig routini-
sierbar und kontrollierbar ist, wurde der Versuch, die Trennung zwischen Curriculumpla-
nung und -ausführung durch lückenlose Arbeitsvorgaben und -kontrollen auszugleichen, inzwischen weitgehend aufgegeben. Eine vielversprechende Möglichkeit, die Mo-tivationsund Qualifikationsdefizite zu beheben, besteht für behördliche Planer darin, die Masse der Lehrer durch Methoden des . partizipativen Managements'zu einem eigenständigen Interesse an einer plangerechten Umsetzung des Curriculums zu motivieren und zu qualifizieren. Inzwischen hat sich die Einsicht durchgesetzt, daß die schriftliche Information des Planerteams an die nicht an der Planung beteiligten Pädagogen von der Partizipation aller Lehrer an der Curriculumplanung begleitet werden muß, wenn eine effektive Planungsrealisierung erreicht werden soll. Partizipationsprojekte, die die Beteiligung aller Lehrer an der Curriculumreform anstreben, sind z. B. Regionale Pädagogische Zentren, der (inzwischen eingestellte) Modellversuch „Regionale Lehrerfortbildung", der Modellversuch „Konkretisierung der Rahmen-richtlinien an Gesamtschulen" (KORAG) und sein Nachfolgeprojekt „Systematische Umsetzung gesamtschulspezifischer Zielsetzungen in den Jahrgängen 5— 10 in Verbindung mit schulnaher Lehrerfortbildung" (SUGZ). Diese Initiativen lehnen sich an ein Modell „Regionaler Pädagogischer Zentren" an, das von der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates im November 1973 empfohlen wurde
Solche Partizipations-oder Fortbildungspro jekte, welche die Masse der Lehrer in eine großen Organisation wie dem Schulwesen fü die Umsetzung der reformierten Lehrpläne motivieren und qualifizieren sollen, sehen al lerdings nur geringe Handlungsräume für die partizipierenden Lehrer vor. Sie sind dadurc gekennzeichnet, daß die Lehrer lediglich die Feinstruktur von Unterrichtsplänen erarbeiten, aber auf die Planung der Grobstruktui (Lehrplanerarbeitung) keinen Einfluß haben Die Handlungsräume dieser Lehrer im Partizipationsprozeß sind also beschränkt auf die Ausdifferenzierung vorgegebener Pläne.
Das Ziel solcher Qualifikationsund Motivationsprozesse besteht damit nicht darin, die Masse der Lehrer zu einer qualifizierten, eigenständigen Unterrichtsplanung zu befähigen, sondern in der Absicht, ihre bisherigen Arbeitsgewohnheiten derart zu verändern, daß sie eine fremdentwickelte curriculare Grobstruktur im Sinne der Planer ausdifferenzieren, d. h. sich dem Plan adäquat unterordnen können.
Welche Aussichten hat nun die Bildungsverwaltung, bei Lehrern durch solche Methoden des . partizipativen Managements'einen Identifikationsprozeß mit den Zielen der Curriculumreform zu erzeugen? Kann Partizipation mit eng begrenzten Handlungsräumen Lehrer ausreichend für die Ausführung detaillierter Arbeitsanweisungen motivieren und qualifizieren? Sind Lehrer eher bereit, Planungsmaßnahmen zu akzeptieren, welche sich auf ihre berufliche Situation unter Umständen negativ auswirken, wenn sie diese in ihrer Feinstruktur selbst mit beschließen? Oder empfinden sie Partizipationsprozesse, welche sie von der Bestimmung der curricularen Grobstruktur ausschließen, lediglich als . Beschäftigungstherapie', als zusätzlichen Arbeitsaufwand, den sie ablehnen, so daß eine Identifikation mit der Curriculumreform nicht zustande kommt?
Die Reaktion der Lehrer auf Partizipation mit eng begrenzten Handlungsräumen ist vermutlich unterschiedlich: Einerseits leitet die partielle Ausweitung der Kommunikation zwischen Lehrern, Wissenschaftlern und Behördenvertretern einen Identifikationsprozeß der Lehrer mit den fremdentwickelten Unterrichtsplänen ein, so daß der von der Bildungsverwaltung angestrebte Motivationsund Qualifikationszuwachs erreicht wird. Andererseits sehen Lehrer in solch beschränkten Partizipationsprozessen einen zusätzlichen Arbeitsaufwand, der ihnen keine entscheidenden Einflußmöglichkeiten eröffnet, und lehnen sie daher ab; in diesem Fall wird durch Partizipation die Motivation der Lehrer zur plangerechten Umsetzung der Curricula verringert. Sofern jedoch der zur Ausdifferenzierung vorliegende Unterrichtsplan aus sich heraus die Probleme der Unterrichtspraxis angemessen zu lösen hilft, eröffnen selbst Partizipationsoder Fortbildungsprozesse mit eng begrenzten Handlungsräumen den Lehrern ausreichende Informations-und Identifikationsmöglichkeiten für eine adäquate Realisierung. Wird eine bestimmte Schwelle der Einflußnahme aber unterschritten, so erscheint die Veranstaltung als . Augenwischerei'oder . theoretische Spinnerei Die Bereitschaft der Lehrer, ihre Arbeitsgewohnheiten zu verändern, wird in diesem Fall nicht etwa geweckt, sondern eher gelähmt
Hypothesen über die Bedingungen und Folgen von unterschiedlich intensiver Lehrerpartizipation an der reformierten Unterrichtsplanung
Diese Überlegungen zeigen, daß sich die reformierte Unterrichtsplanung auf zwei Ebenen vollzieht:
1. Kleine Planungsgremien, in denen einige Vertreter der Bildungsverwaltung, der Wissenschaft und wenige, von der Behörde ausgewählte Lehrer kooperieren, entwerfen relativ detaillierte Richtlinien (curriculare Grobstruktur). Die Ausdifferenzierung der zentral entworfenen Pläne erfolgt unter Berücksichtigung einiger Anregungen und Kompetenzen der mit der Plandurchführung beschäftigten Lehrer in gesonderten Partizipationszusammenhängen mit engen Handlungsräumen, welche großenteils im Rahmen der Lehrerfortbildung organisiert werden.
2. Die umfassende Beteiligung von Lehrern an der Erarbeitung von Curricula wird nur wenigen Lehrern ermöglicht, da eine völlige Dezentralisierung der Unterrichtsplanung wegen bestehender Effektivitätsund Legitimationserfordernisse (Einheitlichkeit der Selektion und Kostensparung) in einer großen Organisation wie dem Schulwesen nicht realisierbar ist. Als Ergänzung zu Lehrerpartizipation an der curricularen Zwecksetzung wird die Masse der Lehrer in Partizipationszusammenhänge einbezogen, die sie zur Übernahme zentral gesetzter Ziele motivieren und qualifizieren sollen. Die Beteiligungsformen an der Unterrichtsplanung sind also unterschiedlich, insbesondere hinsichtlich der Partizipationsintensität.
3. Isoliert betrachtet, kann keine der genannten Beteiligungsformen alle Funktionen von Partizipation vollständig abdecken: Bei der Mitarbeit weniger Lehrer kann zwar die Curriculumerarbeitung durch die Berücksichtigung von Detailkenntnissen der beteiligten Lehrer enger mit den Bedingungen des Schulalltags abgestimmt werden, aber die Qualifikation und Motivation zur Übernahme der Ziele zentraler Unterrichtsplanung wird nicht bei allen Lehrern ausreichend erzeugt. Bei Partizipation aller Lehrer an der Curriculumumsetzung kann die Planungsqualität nicht grundsätzlich verbessert werden, weil die curriculare Grobstruktur bereits bestimmt und bindend ist. Die letztgenannte Beteiligungsform wirkt ambivalent auf die Motivation der betroffenen Lehrer: Wegen der beschränkten Handlungsräume wird sie einerseits als zusätzliche Belastung empfunden und abgelehnt. Da Partizipation aber integrierend wirken kann und zur Konsensbildung beiträgt, ist andererseits zu vermuten, daß auch Partizipation mit eng begrenzten Handlungsräumen einen — wenn auch geringen — Identifikationsprozeß mit den Intentionen der Curriculumreform bewirkt. 4. Die Unterschiedlichkeit der Beteiligungsformen löst eine Veränderung der Beziehungsstruktur zwischen den partizipierenden Lehrern aus: Die Lehrerschaft differenziert sich in eine sehr intensiv an den Planungsprozessen des Schulwesens beteiligte kleine Lehrergruppe (Planerelite) und in eine Masse von Lehrern, die den beschränkten Partizipationsmöglichkeiten ambivalent gegenübersteht (Steigerung bzw. Reduzierung der Motivation); diese große Lehrergruppe ist gegenüber der sich bildenden Lehrerelite tendenziell unmotiviert, apathisch und ineffizient. Partizipation an der Curriculumerarbeitung bewirkt für wenige Lehrer einen Zuwachs an Autonomie und Selbstbestimmung; die Ergebnisse ihrer zentralen Planungstätigkeit reduzieren aber Autonomie und Selbstbestimmung für die Masse der Lehrer, wenn auch möglicherweise in Verbindung mit Arbeitserleichterungen.
Die Ziele von Partizipation werden nur für wenige in relativ großem Maße verwirklicht, während für viele Lehrer Partizipation zu einer Art . Beschäftigung'wird, die nur unter besonders günstigen Bedingungen in gewissem Umfang zur Motivierung und Qualifizierung beitragen kann.
5. Der tendenzielle Ausschluß der Masse der Lehrer von den Aufgaben der Unterrichtsplanung liegt weder in ihrem ökonomischen noch in ihrem arbeitsinhaltlichen Interesse, da zentrale Planung dem Bedürfnis der Lehrer nach pädagogischer Autonomie und beruflicher Selbstbestimmung widerspricht. Die Eingrenzung beruflicher Autonomie schränkt sowohl die Professionalisierungschancen als auch die Möglichkeiten der arbeitsinhaltlichen Befriedigung ein. Eine tendenzielle Entmündigung der Lehrer widerspricht auch dem Interesse der Schüler an einer kompetenten, problembewußten Ausbildung. Die durch die Curriculumreform eingeleitete Aufsplitterung der Verantwortlichkeit bei der Unterrichtsplanung fördert bei der Mehrzahl der Lehrer Gleichgültigkeit gegenüber den Folgen ihres beruflichen Tuns.
Die hier geschilderten Probleme, die mit unterschiedlich intensiver Partizipation an der Curriculumplanung verbunden sind, sollten von den Lehrern bedacht und in ihre Handlungsstrategie einbezogen werden, da andernfalls die Curriculumreform nur schleppende, für das schulische Lernen teilweise negative Wirkungen zeitigt. Das Ziel der Lehrer könnte z. B. darin bestehen, für den Prozeß der Curriculumerarbeitung nur selbstbewußt partizipierende Lehrer zu delegieren, die im Bewußtsein der widersprüchlichen Auswirkungen der Curriculumreform auf die Arbeitsund Lernbedingungen von Lehrern und Schülern vor Konflikten mit der Bildungsverwaltung nicht zurückschrecken. Ihre Mitarbeit könnte die Nützlichkeit der Curriculumreform für Lehrer (Arbeitserleichterung) und für Schüler (effektiveres, problembewußteres Lernen) erhöhen, weil die mit ihrer Hilfe entstandenen Curricula auch tatsächlich die vorfindlichen, ineffektiven Lernstrukturen überwinden helfen könnten.
Partizipation an der CurriculumUmsetzung müßte häufiger und intensiver stattfinden, um die Lehrer für die Teilnahme an einem sinnvoll strukturierten Reformprozeß zu motivieren und zu qualifizieren. Dafür sind u. a. eine angemessene Stundenentlastung und befriedigende Diskussionsund Reflexionsbedingungen erforderlich, die es den Lehrern erlauben, auch die Rahmenbedingungen der Unterrichtsplanung noch zu beeinflussen.
Sofern die Organisation von Lehrerpartizipation an der Curriculumplanung allerdings nahezu ausschließlich im Entscheidungsbereich der Bildungsverwaltung bleibt, wie dies bisher der Fall ist, kann von derart beschränkten Partizipationprozessen kaum ein sinnvoller Beitrag zur Curriculumreform erwartet werden.