I. Geschichte in der Öffentlichkeit
Die vielfältige Präsentation von Geschichte in der Öffentlichkeit deutet nach Ansicht mancher Beobachter darauf hin, „daß das historische Denken als Medium der Selbstverständigung unserer Gesellschaft öffentlich in höherem Maße Anerkennung gefunden hat als noch vor einigen Jahren“ Um nur einige Beispiele zu nennen: Historische Ausstellungen haben beträchtlichen Zulauf, einerlei ob sie sich der deutschen Geschichte im engeren Sinne widmen (wie etwa die Staufer-oder die Wittelsbacher-Ausstellung) oder ob sie (wie z. B. die Tutanchamun-oder die Thraker-Ausstellung) entlegenere, ja teilweise „exotische Geschichten" zum Gegenstand haben. Ausstellungsvorhaben werden selbst schon im Planungsstadium von großem öffentlichen Interesse begleitet
Geschichte ist auch in Zeitungen, in Illustrierten, im Fernsehen und in der Werbung allgegenwärtig Der Buchmarkt liefert seit Jahren ein breites Spektrum historischer Sachbücher die Belletristik hat soeben die Nachkriegsgeschichte entdeckt (z. B. Christine Brückner: Nirgendwo ist Poenichen, Frank Baer: Die Magermilchbande), während noch die Romanliteratur über die NS-Zeit kaum aus den Bestsellerlisten verschwunden ist und Kinder-und Jugendbücher zum selben Thema beachtliche Auflagenziffern erreichen In Straßen-, Kasernen-, Gebäudenamen, in Krieger-und sonstigen Denkmälern, in Ortsgeschichten, Vereinschroniken ist Ge-schichte im Alltag als kollektive Erinnerung faßbar Geschichte erscheint in Parlaments-debatten und in der politischen Alltagsauseinandersetzung als vielfach bemühtes . Argument“ zur Erläuterung aufgestellter Behauptungen, zur Illustration von Überzeugungen, zur Rechtfertigung gegenwärtigen Verhaltens oder auf Zukunft gerichteter Optionen und Entscheidungen
In vielfältigen Formen und Ritualen ist die Vergangenheit als Tradition in der Gegenwart präsent. Die Pflege von Tradition in öffentlichen und privaten Festen, in Veranstaltungen ganz unterschiedlicher Art (Vereidigung von Soldaten, Amtseinführungen, Schiffstaufen u. ä.), neuerdings auch heftig betrieben von (Familien-) Betrieben und Konzernen vermittelt Vergangenes zum Zwecke der „Identitäts-Vermittlung, Legitimationsbeschaffung, Orientierungs-und Handlungsbefähigung“
Diese vielfältigen öffentlichen Erscheinungsformen von Geschichte im Alltag haben die Initiatoren des 33. Historikertags in Würzburg (Frühjahr 1980) offensichtlich dazu veranlaßt, der „Geschichte in den Medien" eine eigene Sektion zu widmen. Das dort überrascht konstatierte „gesteigerte Interesse an Geschichte in der breiten Öffentlichkeit“ scheint sich allerdings noch nicht in der Weise ausgewirkt zu haben, daß jetzt endlich auch von Seiten der Fachhistoriker der populären bzw. trivialen Geschichtsdarstellung die ihr aus politischen und didaktischen Gründen angemessene Beachtung zuteil würde. Nicht immer ist die am leichtesten zugängliche, weil durch Knopfdruck abrufbare Begegnung mit der Geschichte im Fernsehen und Rundfunk auch die am nachhaltigsten wirksame, und es darf angenommen werden, daß gerade die abseits öffentlicher Aufmerksamkeit seit Jahren von Teilen der Bevölkerung in großer Zahl konsumierte Heftchen-Literatur bedenkliche Formen von Geschichtsbewußtsein produziert. Dies ist insofern besonders bedeutsam, weil ein großer Teil dieser und vergleichbarer Literatur in Buchform die Zeit des Nationalsozialismus, vor allem aber den Zweiten Weltkrieg, behandelt und damit einem weitverbreiteten Bedürfnis nach affektiver Hinwendung zu dieser Epoche deutscher Geschichte nachkommt, das die in großer Zahl vorhandenen seriösen Abhandlungen über diese Epoche der deutschen Geschichte anscheinend nicht befriedigen können.
Empirische Erhebungen über das Interesse der Bevölkerung für diese Lesestoffe liegen bislang noch nicht vor. Auch wissen wir nur wenig Präzises über die Wirkung dieser „Geschichten" auf die Ausbildung bzw. Veränderung von Geschichtsbewußtsein bei Jugendlichen und Erwachsenen . Eine neuere Beschreibung des Aufgabenfeldes der Geschichtsdidaktik läßt indes hoffen, daß diesen Defiziten hinsichtlich der Entstehung, Beschaffenheit und Wirkung von Geschichtsbewußtsein bald abgeholfen wird: „Die Geschichtsdidaktik ist diejenige wissenschaftliche Disziplin, die Lehr-und Lernprozesse, Bildungs-und Selbstbildungsprozesse von Indivi-duen, Gruppen und Gesellschaften an und durch Geschichte systematisch erforscht. Sie befaßt sich mit allen denkbaren Arten und Formen von Lehr-und Lernprozessen, Bildungs-und Selbstbildungsprozessen an allen denkbaren Arten von Geschichte. Abgekürzt kann man die Geschichtsdidaktik als eine Disziplin bezeichnen, die sich mit der Verarbeitung (Rezeption) von Geschichte beschäftigt. Die Rezeption von Geschichte und die dabei erfolgende Konstituierung von Geschichtsbewußtsein erfolgen in einem gesellschaftlichen Kontext schulisch und außerschulisch, intentional, nicht-intentional und von dritter Seite intentional gesteuert. Rezipiert wird (a) die unmittelbar erfahrene geschehende Geschichte der Gegenwart, (b) die nicht unmittelbar erfahrene, sondern vor-und außerwissenschaftlich referierte geschehene Geschichte und (c) die Geschichtswissenschaft als eine Fachwissenschaft mit den ihr eigentümlichen Frageweisen, Absichten, Grundannahmen, Theorien, Methoden, Kategorien und Ergebnissen." Zu einigen der hier genannten empirischen Aufgaben der Geschichtsdidaktik liegen erste (Vor-) Arbeiten vor; andere Forderungen sind zumindest fürs erste noch bloße Optionen auf die Zukunft.
II. Affektivität/Emotionalität im Geschichtsunterricht
Man darf davon ausgehen, daß jede Forderung nach Affektivität im Geschichtsunterricht zunächst ein Naserümpfen, vielleicht sogar Entrüstung auslöst. Dies hat seinen guten Grund, verbindet man doch damit die Vorstellung, Geschichte solle ausschließlich auf dem Wege gefühlvoller Einstimmung und zum Zwecke irrationaler Vereinnahmung der Schüler vermittelt werden. Stets geht damit die Befürchtung einher, man könne über das Gefühl Kinder und Jugendliche besonders nachhaltig beeinflussen und prägen. Der „Erfolg" des Geschichtsunterrichts im Kaiserreich bzw. während der Zeit der Nazi-Herrschaft kommt einem in den Sinn, wenn man die Gefahren einer stark auf Emotionen abhebenden Beschäftigung mit der Geschichte zu beweisen sucht. Auch der Heftchen-und Comic-Literatur schreibt man eine vergleichbare Wirkung zu.
Die Geschichtserzählung Bestimmte unterrichtliche Vermittlungsformen scheinen erwiesenermaßen besonders gut geeignet zu sein, Schüler emotional anzusprechen. Da ist zunächst die vermeintlich kindertümliche, gemütvolle, phantasieanregende Geschichtserzählung, die in der Vergangenheit am nachhaltigsten dazu beigetragen hat, daß ein verordnetes Geschichtsbild sich in den Köpfen der Schüler dauerhaft festsetzte und — von der Obrigkeit intendiertes — zukünftiges Handeln der Untertanen prägte. Man hat nach dem Zweiten Weltkrieg — eingedenk des von den Schulen und hier nicht unwesentlich vom Geschichtsunterricht zu verantwortenden Beitrags zum Aufstieg und zur Etablierung des Nationalsozialismus — die Konzeption der Geschichtserzählungen dahin gehend abgeändert, daß man sie auf Quellen aufbaute („Geschichtserzählungen nach Quellen") und Abstand nahm von der frei gestalteten Lehrererzählung, die oft nur wenig mit der geschichtlichen Realität zu tun hatte Die strenge Bindung der Geschichtserzählungen an Quellen sollte ein höheres Maß an Rationalität gewährleisten.
Ob diese, im Anschluß an Aloys Scheiblhuber vor allem von Hans Ebeling in den fünfziger Jahren angebahnte konzeptionelle Änderung der Geschichtserzählung zu grundsätzlich anderen Sozialisationsergebnissen führte, muß bezweifelt werden. Zwar sollten jetzt kulturgeschichtliche Inhalte im Geschichtsunterricht behandelt werden — eine Forderung, die sich im Alltagsunterricht kaum durchsetzte —, indem Geschichte dem Schüler aber personalisiert, kostümiert, dramatisiert, lokalisiert, detailliert und konkretisiert (so die Forderungen der Zeit!) vermittelt wurde, blieb der im wesentlichen an der Geschichte großer Person-lichkeiten und Ereignissen orientierte Geschichtsunterricht geprägt durch „übermächtige Subjekte, personalisierte Kollektiva, stereotype soziale Ordnungschemata, anthropomorphe Bezugskategorien
Schulfeiern Eine weitere Möglichkeit, die Schüler emotional zu packen, stellten die in der Vergangenheit recht zahlreichen, in den Schulalltag regelmäßig eingebetteten Schulfeiern dar. War die Geschichtserzählung der oben skizzierten Art in erster Linie methodisches Instrument des Elementarschulwesens (und später der Volksschulen), so fanden Schulfeiern an allen Schulen statt. Als Reflex auf die Revolution von 1848 hatten die Stiehlschen Regulative von 1854 vorgesehen, den im Rahmen des Leseunterrichts erteilten „Geschichtsunterricht" des niederen Schulwesens an sogenannte vaterländische Gedenktage anzubinden. Die auf „Mitteilungen aus der Vaterlandskunde" beschränkte Beschäftigung mit der Geschichte sollte in der Weise erfolgen, „daß an vaterländischen Gedenktagen eine oder mehrere für den Leseunterricht bestimmte Stunden zu Erzählungen seitens der Lehrer und zum Hersagen und Singen patriotischer Lieder seitens der Kinder, also zu einem zugleich das Gemüt und den Willen der Schüler erfassenden Unterricht verwendet werden" Jede Beschäftigung mit der Geschichte sollte den Charakter einer erhebenden patriotischen Feierstunde haben.
Auch nachdem in Preußen durch die „Allgemeinen Bestimmungen" von 1872 ein selbständiges Unterrichtsfach Geschichte an den Elementarschulen eingerichtet worden war, blieben patriotische Schulfeiern in Gebrauch, über ihren Zweck heißt es in einem Standardwerk jener Zeit: „Zur Belebung des Sinnes für vaterländische Geschichte und einer echten Vaterlandsliebe sind bekanntlich in Preußen historische Gedenktage (zuerst von Jahn angeregt) für die Schulen angeordnet, deren Feier in besonderer Beschäftigung mit dem Gegenstände des Tages, im Singen patriotischer Lieder, in gemeinschaftlicher Fürbitte für König und Vaterland usw. besteht.“ Neben der Erinnerung an für Preußen siegreich verlaufene Schlachten des Siebenjährigen Krieges feierte man in den Schulen z. B. die Befreiungskriege, vornehmlich die Völkerschlacht bei Leipzig (1813), ferner den Sieg der vereinigten Heere gegen Napoleon bei Waterloo (1815), nach der Errichtung des Deutschen Reiches auch den siegreichen Ausgang der Schlacht von Sedan im Deutsch-Französischen Krieg von 1870.
Neben diesen meist an militärische Ereignisse erinnernden Gedenktagen wurden in den Schulen des Kaiserreichs ferner zusätzlich die Geburtstage des Kaisers bzw.des entsprechenden Landesherrn, gelegentlich auch deren Regierungsjubiläen — allerdings nicht in erster Linie im Geschichtsunterricht, sondern im Rahmen allgemeiner Schulfeiern —, festlich begangen. Die jährlichen Schulentlaßfeiern gerieten oft ebenso zu ideologisch motivierten Identifikationsveranstaltungen.
Auch die Weimarer Republik hatte ihre Schulfeiern und Schulfeste, darunter als Neuerung die Feier des Tags der Verfassung Hatte man in der Weimarer Republik versucht, durch Neubestimmung der Anlässe für Schulfeiern dem demokratisch-republikanischen Charakter des Staats Rechnung zu tragen — im übrigen nicht selten gegen den Widerstand von Teilen der Lehrerschaft —, so lassen die Anlässe, Zielsetzungen und das Zeremoniell der Schulfeiern im Hitler-Deutschland starke Anklänge an vergleichbare Staats-und Partei-veranstaltungen erkennen. Gemeinsam ist beiden die Absicht gewesen, Schüler wie Er-wachsene mit Hilfe von Feierlichkeiten auf den Staat einzuschwören. . Alle Feiern der Schule im Jahresablauf werden von den großen nationalen Feiern des Volkes bestimmt. Das gewährleistet ihren gesinnungsbildenden und -bindenden Wert; denn durch die feierliche Handlung erstreben sie gemeinsames Einfügen in die Weltanschauung und Wesensart unseres Volkes und sind zugleich gemeinsames Bekenntnis zu Volk und Führer."
Im gegenwärtigen Schulbetrieb spielen Schulfeiern eine unbedeutende Rolle. Zwar wurde in den fünfziger und sechziger Jahren die Erinnerung an den 17. Juni 1953, an die deutschen Ostgebiete und an den Mauerbau in Berlin auch in Schulen wachgehalten doch mit der Umorientierung der bundesrepublikanischen Deutschland-Politik seit den Zeiten der Großen Koalition und der etwa gleichzeitig einsetzenden Diskussion um eine Reform des Geschichtsunterrichts verschwanden diese von oben verordneten, von den Schülern vielfach kaum mehr verstandenen noch mitgetragenen Gedenkfeiern aus den Schulen. Andere mögliche Anlässe für Gedenktage, wie etwa der 8. Mai zur Erinnerung an die Über-windung des Hitler-Faschismus, der 7. September 1949 zum Gedenken an die Gründung der Bundesrepublik (Konstituierung des Ersten Bundestags) bzw.der 8. Mai 1949 als Verfassungstag (der Parlamentarische Rat billigt das Grundgesetz), waren entweder nicht konsensfähig oder ließen sich aus anderen Gründen nicht durchsetzen.
Wenn überhaupt ein Gedenktag der letzten Jahre die Schüler emotional packte, so war dies die von politischer und Verbandsseite, aber auch vom Engagement vieler Lehrer und Schüler getragene Erinnerung an den 9. November 1938. Mehrere Umstände trafen zusammen und bewirkten, daß einzelne Schulen oder Klassen bis weit in die Öffentlichkeit hineinwirkende Aktionen unterschiedlicher Art initiierten. Vom bloßen Gedenken an die sog. „Reichskristallnacht" im Unterricht, um den jeweiligen Erlassen der Kultusminister Genüge zu tun, bis hin zu Vortragsreihen, Ausstellungen, Aktionen und Antifaschistische Wochen reichten die oft von Lehrern, Schülern, Gewerkschaften, konfessionellen und politischen Gruppen sowie von Verfolgtenverbänden gemeinsam getragenen Veranstaltungen Der den früher an Schulen praktizierten Gedenkfeiern vielfach anhaftende antiquarische Charakter schied hier angesichts der zunehmenden neonazistischen Aktivitäten in der Öffentlichkeit von vornherein aus. Die Diskussion um die Verjährung von NS-Verbrechen und um die politische Vergangenheit einiger bundesrepublikanischer Politiker, die zwar in den Jahren davor nie ganz verstummt war, im „Fall Filbinger" erstmals aber bundesweite und anhaltende Publizität erlangte, sowie gelegentliche antisemitische Aktionen, wie z. B. die Verwüstung jüdischer Friedhöfe, oder das Auftauchen von Judenwitzen an Schulen sensibilisierten Schule und Öffentlichkeit gleichermaßen und verlangten aus politischen und moralischen Gründen eine Auseinandersetzung mit diesen Vorfällen.
Es zeigte sich, daß bestimmte Anlässe hervorragend geeignet sind, Schüler zur aktiven Auseinandersetzung mit der Geschichte anzuregen. Daß diese Auseinandersetzung sehr stark emotionale Züge trug, wird kein Beteiligter (im wahrsten Sinne des Wortes) als Nachteil empfunden haben. Auch den Formen der unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Be-schäftigung mit Geschichte kommt wesentliche Bedeutung zu, wenn es darum geht, historische Erkenntnisse zu vermitteln und Einsichten anzubahnen. Die aus Anlaß des „Reichskristallnacht'-Jahrestages erfolgende Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ermöglichte Schüleraktivitäten in vielfältiger Form, knüpfte meist an lokale Vorgänge an, holte die Vergangenheit gewissermaßen ins Klassenzimmer, indem Augenzeugen berichteten, ließ den Schülern Raum zu forschendem und entdeckendem Lernen und ließ sie in den unterschiedlichen Projekten zumindest phasen-weise den Fortgang des Unterrichts mitbestimmen und die Materialbasis gelegentlich selbständig aufspüren und aufarbeiten. Hier wurde ein emotionaler Zugang zur Geschichte gefunden, der abseits aller Phrasen und ohne falsches Pathos, dazu in Einklang mit vertretbaren Zielen des Geschichtsunterrichts zu Einsichten verhalf, deren Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft der Schüler angesichts nicht zu verharmlosender neonazistischer Tendenzen bei einigen Jugendlichen unbestritten sein dürfte.
Die Erfahrungen mit der Erinnerung an die „Reichskristallnacht" dokumentieren mögliche Wege des emotionalen Zugangs zur Geschichte. Es zeigt sich dabei, daß weder die Geschichtserzählung noch die Schulfeiern an sich schon diskreditierte und unbrauchbare Zugangsmöglichkeiten zur Geschichte darstellen, auch wenn ihre Instrumentalisierung im Geschichtsunterricht der Vergangenheit eine solche Annahme scheinbar nahelegt. Es muß vielmehr gefragt werden, ob die distanzierte, auf Unterdrückung der bei Schülern spontan aufsteigenden Gefühle abzielende Beschäftigung mit Geschichte im Unterricht nicht dafür verantwortlich ist, daß der Geschichtsunterricht den Schülern langweilig, ja lästig wird, während doch das geschichtliche Interesse jener Kinder, die Geschichte als institutioneile Veranstaltung in Schulen noch nicht erfahren haben nach allem, was wir wissen, beträchtlich ist.
Die neuere Geschichtsdidaktik hat sich im Zuge der Diskussion um Identität bzw. um mögliche Formen der Identifikation im Geschichtsunterricht des hier anstehenden Themas genähert sie empfiehlt etwa die Identifikation mit denjenigen Gruppen und Personen, die „die Folgen von getroffenen oder die sozialen Kosten von unterlassenen Entschei-düngen" (Wehler) zu tragen hatten; sie hat die Namenlosen, die Vergessenen der Geschichte neu entdeckt. Dieser wie auch der mit ihm verwandte lebensgeschichtliche Ansatz eröffnet zwar für den Geschichtsunterricht neue Inhaltsperspektiven, indem bislang unterschlagene Themen, Personen und Gegenstände in den Vordergrund rücken. Solange aber eine Konkretion dieser Ansätze in Form von modellhaften Unterrichtsentwürfen noch aussteht, muß offen bleiben, inwieweit es sich hier um mehr als nur alternative Zugänge zur Geschichte handelt. Noch immer — so hat es den Anschein — läuft jeder Schüler, der im Geschichtsunterricht spontan Gefühle äußert, der Abscheu, Schrecken, Bewunderung und Verehrung kundtut, Gefahr, daß seine Gefühlsäußerungen negativ sanktioniert werden.
Zwar enthalten die neueren Geschichtslehrbücher allesamt zahlreiche Dokumente, Bilder und sonstige Materialien, welche die Schüler zur Selbsttätigkeit auffordern und ihnen — wie im Falle des in dieser Hinsicht konsequentesten Lehrbuches „Fragen an die Geschichte" — auf dem Wege des entdeckenden Lernens selbsterarbeitete Einsichten ermöglichen. Fast jeder Schulbuchverlag ist überdies bemüht, in gesonderten Quellenbänden ergänzendes Material für den Unterricht bereitzustellen. Doch meist beziehen sich diese Sammlungen auf die „große Politik", auf rechts-und verfassungsgeschichtliche Probleme, viel seltener auf kulturgeschichtliche Sachverhalte, noch seltener auf Zeugnisse, in denen die Auswirkungen der „großen Politik" im Erleben der Namenlosen deutlich werden. „Die reale Welt, wo gehaßt und geliebt, gesägt und gezimmert, phantasiert und geschwindelt wird" eröffnet sich dem Schüler in diesen Sammlungen kaum.
Naheliegende Gründe machen dieses Defizit erklärbar: Zum einen gibt es dergleichen Zeugnisse — vor allem für die ältere Zeit — nur in ganz begrenztem Umfange ; zum anderen haben sie im allgemeinen stark indivi-dualistische bzw. lokale Züge, so daß sie für die meist auf Verallgemeinerung und Zusammenschau angelegten Ziele des Geschichtsunterrichts nicht unmittelbar nutzbar gemacht werden können. Die wenigen greifbaren lokal-geschichtlichen Quellen-und Materialsammlungen für den Unterrichtsgebrauch zeugen von der Scheu der am Absatz interessierten Verleger, hier den Bedürfnissen der Schulen entgegenzukommen Auch haben es Verlage in neuerer Zeit nicht gewagt, Sammlungen von Geschichtserzählungen herauszubringen, obwohl doch diese, sofern sie auf Quellen basieren und in sich kontrovers angelegt sind, möglicherweise am besten jenem genannten Defizit abhelfen könnten, weil sie die Möglichkeit böten, auch ganz verstreute Quelleninformationen miteinander zu verbinden. Die Diskussion um Funktion und Gestalt zukünftiger Geschichtserzählungen hat zwar noch keine konsensfähigen Ergebnisse erbracht (s. o. Anm. 12), dennoch ist es an der Zeit, die von der geschichtsdidaktischen Literatur ins Abseits gerückte Geschichtserzählung wieder als ein alternatives Unterrichts-mittel zu begreifen. Dies sollte auch deshalb geschehen, weil zumindest die Geschichtslehrer der Sekundarstufe I dem von manchen Geschichtsdidaktikern verordneten Verzicht auf Geschichtserzählung keine Folge geleistet die haben. Gerade weil von ihnen die Geschichtserzählung alten Stils noch immer als alleiniges Unterrichtsmittel angesehen wird, muß es sich die gegenwärtige Geschichtsdidaktik zur Aufgabe machen, hierzu eine Alternative zu entwickeln, die den Bedenken gegenüber der alten Geschichtserzählung Rechnung trägt. Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Die rational begründete „Draufschau" auf Geschichtsabläufe und Zustände, die abwägende Auseinandersetzung mit Dokumenten und Materialien, die heuristische Verwendung von Quellen im Geschichtsunterricht, die kritische Aufarbeitung der Vergangenheit, die Problematisierung der Wirkung von Geschichte, die auf begründbares, verantwortungsbewußtes Handeln in der Zukunft abzielende Beschäftigung mit der Vergangenheit auf dem Hintergrund gegenwärtiger und zukünftiger Notwendigkeiten stellen wichtige und berechtigte Ziele des aktuellen Geschichtsunterrichts dar. Sie können und sollen zur Orientierung der Schüler in der Gegenwart beitragen, ihre politische und kommunikative Kompetenz begründen bzw. entwickeln. Die Frage bleibt nur, ob dies mit den gegenwärtig favorisierten Verfahrensweisen im Geschichtsunterricht allein erfolgreich und nachhaltig bewerkstelligt werden kann. „Vergangenheitsbedürfnisse" von Jugendlichen Horst Rumpf, der vor einiger Zeit den „Vergangenheitsbedürfnissen" von Schülern nachgegangen ist hat in einem 1979 erschienenen Aufsatz untersucht, inwieweit Geschichtslehrbuchtexte den affektiven Bedürfnissen der Schüler entgegenkommen: „Wenn ich mir die affektive Bedeutung der distanzierten Sprache, der Globalperspektive, der die Brisanz abkühlenden didaktischen Arbeitsaufgaben vergegenwärtigen möchte, frage ich mich, wieviel davon auf Kosten der Abwehr von Angst davor geht, den absurden Schrecken beispielsweise der Materialschlachten des Ersten Weltkriegs — nicht weniger aber der Menschenabstecherei des Bauernkriegs, um von Näherliegendem zu an sich herankommen, — in sich entstehen zu lassen." Rumpf stellt fest, daß die Lehrbücher nicht dazu angetan sind, den Vergangenheitsbedürfnissen der Schüler zu entsprechen und vertritt das Vergangene tot die These, „daß und fern bleiben muß, wenn man die affektiv-triebhaften Beziehungsfiguren mit Argwohn als bloße Störer und Verzerrer betrachtet" Dabei um geht es ihm weder „eine chauvinistische noch eine reformpädagogisch angedrehte Verlebendigung des Vergangenen" Ihm geht es vielmehr darum, die Bedürfnisse der Schüler nach „Größe, Allmacht, Triumph, Unschlagbarkeit, nach Höherspannung der Gefühle, nach extremen Situationen" ernst zu nehmen und ihnen im Unterricht entsprechendes Vergangenheitsmaterial zu bieten, um sie in ihrer Suche nach Befriedigung dieser Bedürfnisse nicht dem obskuren Angebot der Heftchen-Literatur auszuliefern.
Was veranlaßt Jugendliche, sich gerade der in den Heftchen vorgestellten Vergangenheit zuzuwenden? Neben manch anderen Gründen ist eine Ursache für diesen selektiven Konsum von „Geschichte" in der aktuellen gesellschaft-liehen Situation zu sehen. Sie erscheint Jugendlichen in zunehmenden Maße unsicher, perspektivlos, ohne Dynamik und frustrierend. Im Alltag empfindet der Jugendliche Ohnmacht angesichts drückender gesellschaftlicher Probleme und wachsender Unsicherheit seiner individuellen Lebensperspektive. Ein Gefühl von Inkompetenz, Ratlosigkeit und Apathie stellt sich bei ihm ein, weil er keinen Erklärungszusammenhang für die weltweiten Gegenwarts-und Zukunftsfragen finden kann. Daraus kann einerseits politische Apathie folgen, die sich in Status-quo-Denken bzw. in Anpassung an vermeintliche Sachzwänge äußert. Andererseits lenkt dies bei nicht wenigen Jugendlichen den Blick auf eine vermeintlich bessere Vergangenheit. Diese Hinwendung zu einer Vergangenheit, in der es — etwa im Krieg — auf jeden einzelnen ankam, in der man als Individuum noch etwas ausrichten zu können glaubte, kommt einer Flucht aus einer mit Problemen überfüllten Gegenwart gleich.
Mit den dargestellten Helden der Geschichte(n) können Erfolge erzielt, Bewährungsproben bestanden und selbst Niederlagen noch als Siege erlebt werden. In den Schlachtengemälden der Landser-Heftchen, in der Schilderung der Frontkameradschaft erfährt der jugendliche Leser jenes Wir-Gefühl, das ihm die gegenwärtigen Verhältnisse offensichtlich nicht zu vermitteln imstande sind. In dem Maße, in dem das Orientierungswissen und die Bereitschaft fehlen, sich mit schwierigen gesellschaftlichen Zuständen rational auseinanderzusetzen, verstärkt sich die Ansprechbarkeit durch Affekte, die Anfälligkeit für Propaganda, die Verführbarkeit auch durch bedenkliche Geschichtsliteratur.
Soll das subjektiv ganz unterschiedlich motivierte Interesse der Schüler-an der Vergangenheit unterrichtliche Konsequenzen haben, dann dürfen jene Inhalte, die — wie etwa Kriege und Waffensysteme — eine besondere Anziehungskraft auf Schüler haben, nicht aus dem Unterricht verbannt werden. Kriegsgeschichte sollte nicht nur abgehoben rational verhandelt werden und auf die Untersuchung von Ursachen, Anlässe und Folgen der Kriege reduziert bleiben. Der einzelne Mensch im Krieg — ob an der Front oder in der Heimat, ob als Befehlender oder Befehlsausführender, ob als Kriegsgefangener, Deserteur, Widerständler, sich fatalistisch in sein Geschick Fügender, ob Drückeberger oder Kriegsbegeisterter — soll dem Schüler im Unterricht begegnen. Die daraus resultierende Motivation kann dann zu einer mehr rational bestimmten Beschäftigung mit dem Gegenstand verhelfen. Es ließe sich denken, daß der Lehrer ein entsprechendes Unterrichtsvorhaben mit der Lektüre von Landser-Heften oder ähnlichen Produkten beginnt bzw. geeignete Passagen daraus auswählt. Dreierlei wird hiermit angestrebt: Zum einen soll die Tabuisierung derartiger Literatur, die bekanntlich nicht unbedeutend zu ihrer besonderen Attraktivität beiträgt, aufgehoben werden. Zum anderen wird erreicht, daß sich die Schüler über die Gefühle klar werden, die sich bei ihnen mit der Lektüre einstellen. Und schließlich ist denkbar, daß die Schüler in der dann einsetzenden Beschäftigung mit dem Medium und dem Unterrichtsgegenstand mehr über sich selbst und ihre Bedürfnisse in Erfahrung bringen. Denn es ist nicht ein wie immer geartetes Bedürfnis nach Information oder Kenntniszuwachs, was Schüler etwa zu Landser-Heften oder auch nach Comics greifen läßt „Geschichte inszenieren“
Neben diesem Verfahren, das über ganz bestimmte Inhalte die Affekte der Schüler anzusprechen versucht, gibt es weitere unterrichtliche Möglichkeiten, dem Bedürfnis der Schüler nach Erlebnis einerseits und emotionaler Hinwendung andererseits Rechnung zu tragen. „Geschichte inszenieren" stellt einen in einigen Museen offensichtlich mit Erfolg praktizierten Versuch dar, der Phantasie der Schüler ein geeignetes Betätigungsfeld für Informationserwerb und für spielerische Aneignung geschichtlicher Sachverhalte zu verschaffen. Geschichte als vergangene Wirklichkeit wird vergegenständlicht und von den Schülern im Spiel auch emotional erfahrbar.
Schülerwettbewerbe Die Ergebnisse der bisher durchgeführten Schülerwettbewerbe zur Deutschen Ge-schichte um den Preis des Bundespräsidenten, der vom verstorbenen Bundespräsidenten Gustav Heinemann angeregt worden war, lassen erkennen, daß das hier praktizierte forschende bzw. entdeckende Lernen sehr gut geeignet ist, die Spontaneität der Schüler wie ihre Vergangenheitsbedürfnisse sich ausleben zu lassen Die Schülerwettbewerbsarbeiten zeigen auch, daß der lokalgeschichtliche Bezug diesen Bedürfnissen auf geeignete Weise entgegenkommt.
Lokalgeschichte Joachim Radkau hat gezeigt, wie ergiebig der lokal-bzw. regionalgeschichtliche Zugang selbst in unteren Klassen sein kann
— Abkehr von den Haupt-und Staatsaktionen,
— Hinwendung zur Historie des „kleinen Mannes", — die Sozial-und Wirtschaftsgeschichte der lokalen Ebene wird zur Lebensgeschichte vertrauter Menschen, — der Krieg verliert jeglichen heroischen Anstrich; er wird zu dem, was er für die Mehrheit der Bevölkerung immer war: bedrückende, bedrohliche, zermürbende Alltagswirklichkeit, — Verfahren des entdeckenden Lernens ermöglichen es den Schülern, Geschichte selbstständig zu rekonstruieren, — in diesem Prozeß erfahren Schüler die Geschichte als Teil ihrer Lebenswelt.
Zeitzeugen Im übrigen sollte man — wo immer sich die Gelegenheit hierzu bietet — betroffene und beteiligte Zeitgenossen im Geschichtsunterricht zu Wort kommen lassen. Auch wenn die Gefahr besteht, daß der Lehrer in Schwierigkeiten gerät, wenn es ihm notwendig erscheint, die Darstellung und das Urteil des „Zeugen" zu kommentieren oder zu korrigieren, so kann doch die Wirkung der unmittelbaren Zeugenschaft auf die Schüler kaum überschätzt werden. Die Möglichkeit, einmal einen „Betroffenen" im Unterricht befragen zu können — einen KZ-Insassen, einen Rüstungsarbeiter, einen einfachen Soldaten, einen Mitläufer, einen (damals) überzeugten Nazi usw. —, vermittelt Kenntnisse und Einsichten auf dem Weg des Erlebnisses, des Emotional-Angesprochenseins. Weder schriftliche noch bildliche noch akustische Quellen werden dieser Wirkung gleichkommen.
Da sich diese unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Betätigungen nicht nur auf kognitive Leistungen wie Verständnis, inhaltliches Behalten, also auf „Lernen" im weitesten Sinne, beschränken, sondern auch emotionale Erfahrungen beabsichtigen, dürften die dem Lehrer vertrauten Unlustäußerungen der Schüler über die Arbeit an (schriftlichen) Quellen gar nicht erst auftreten. Und in dem Maße, wie die Emotionalität der Schüler angesprochen wird, entfaltet sich auch ihre intellektuelle Betätigung.
Vergleichbare Zugänge zur Geschichte lassen sich auch außerhalb der Schule organisieren: Durch Interwiews von Zeitgenossen können sich Schüler ihre Quellen selbst beschaffen und auf dieser Basis etwa die lokalen Lebens-und Arbeitsverhältnisse in der Vergangenheit rekonstruieren. Im Fortgang ihrer Beschäftigung mit dem jeweiligen Gegenstand gewinnen die Schüler möglicherweise auch Einblicke in das individuelle Erleben und seine nachträgliche Verarbeitung. Auf diese Weise wird versucht, „die materiellen Bedingungen und subjektiven Verarbeitungsformen derer zu dokumentieren, die sozioökonomische Ansätze leicht zu statistischen Größen oder Rollenträgern erniedrigen, während sie in der politischen Geschichte zur Bewegung oder zum Adressaten von Sozialpolitik anonymisiert werden und in der Geschichte der Hochkultur vollends durch das heuristische Netz, das auf Größe angelegt ist, fallen" . Filme Schließlich sei noch einmal an die Wirkung des Holocaust-Films vom Januar 1979 erinnert Auch wenn die Schule dem Thema Nationalsozialismus bzw. Judenverfolgung schon seit Jahren besondere Beachtung geschenkt hat und nach Durchsicht der Lehrpläne, Lehrbücher und unterrichtspraktischen Schriften kaum davon gesprochen werden kann, diese Themen seien im Unterricht zu kurz gekommen — eine dem Film vergleichbare Wirkung hat dieser Unterricht jedoch nie erzielt Worauf ist dieser vom Film ausgelöste unerwartete Motivationsschub zurückzuführen?
Man wird annehmen dürfen, daß die Art, wie in „Holocaust" Geschichte erzählt wird, wie die im Film auftretenden Menschen in ihrem Innenleben faßbar werden, ja, ihr Innenleben preisgeben, den Zuschauer in die Lage versetzte, sich mit den handelnden Personen zu identifizieren. Die wochenlang anhaltende öffentliche Reaktion auf den Film zeigt auch, daß sich dieses Medienereignis nicht in einer spontanen, augenblicklichen Gefühlswallung erschöpfte. „Holocaust" brachte „die Zuschauer erst zum Mitleiden und dann zum Reden und Fragen"
Auch weniger dramatische Filme zum Thema Judenverfolgung können bei den Schülern durchaus vergleichbare Reaktionen hervorrufen. Der so einfühlsame Film „Hier fliegen keine Schmetterlinge" etwa, der gänzlich ohne Spielhandlung auskommt und nur (teilweise recht unbeholfene) Zeichnungen von Kindern im Konzentrationslager Theresienstadt zeigt, die mit Gedichten von Jugendlichen unterlegt sind, versetzt die Schüler in die Lage, die Sehnsüchte der im Konzentrationslager eingepferchten Kinder, ihr Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit zu erfahren. Er löst Betroffenheit, ja Ergriffenheit aus, weil er dem Betrachter die Gefühlswelt der Kinder im KZ offenbart Dieser Film ist ein Beispiel dafür, daß auch weniger handlungsreiche und farbenprächtige Begegnungen mit der Geschichte Affektivität ermöglichen und einen geeigneten Ausgangspunkt für stärker kognitive Auseinandersetzung mit der Geschichte abgeben können.
III. Der Zweite Weltkrieg in der trivialen und populärwissenschaftlichen Literatur
Die genannten Möglichkeiten eines affektiven Zugangs zur Geschichte stehen den Jugendlichen nicht ohne weiteres offen. In den meisten Fällen muß der Lehrer hierzu den Anstoß geben oder die notwendigen Voraussetzungen schaffen. Demgegenüber gibt es eine Fülle trivialer und populärwissenschaftlicher Heftchen und Magazine, die den Schülern und Jugendlichen leicht zugänglich sind und ihre im Unterricht meist vernachlässigten affektiven Vergangenheitsbedürfnisse befriedigen können. Einige dieser Produkte sollen im folgenden analysiert werden.
Während zu den Landser-Heften, der Zeitschrift „Das Dritte Reich" und zu „Geschichte — Historisches Magazin" erste Untersuchungen vorliegen wurden die inhaltliche Auswertung, Rezeption in der Öffentlichkeit und Wirkung anderer Verlagsprodukte dieses Genres bislang stark vernachlässigt. Hierzu zählen neben dem seit Jahren erfolgreichen Magazin „DAMALS" vor allem solche Objekte, die auf spezielle Leserbedürfnisse hin konzipiert wurden, wie z. B. die Reihe „Das Waffen-Arsenal", laut neuestem Verlagsprospekt (September 1979) „die einzige kriegsgeschichtliche Serie über Waffen des Zweiten Weltkrieges". „Das Waffen-Arsenal"
In dieser Reihe wurden in bisher mehr als 60 Heften die Waffensysteme (meist deutscher Provenienz) vorgestellt: Panzer, Flugzeuge, Geschütze und sonstige Fahrzeuge; da Schiffe und U-Boote bislang fehlen, ist ein Ende dieser Serie noch nicht zu erwarten. Unter weitgehendem Verzicht auf Textbeiträge — meist beschränken sich diese auf kurze Bemerkungen zur Konstruktionsgeschichte — werden technische Details, Einsatzmöglichkeiten und Veränderungen/Verbesserungen der Waffen beschrieben und durch Planzeichnungen illustriert. Der überwiegende Teil der Hefte besteht aus Bildern, die das Gerät im Einsatz zeigen. Die Aufmachung der Hefte (Querformat 28 cm x 21 cm; Schnittzeichnungen, Tabellen, technische Daten) entspricht dem vertrauten Bild eines modernen Autoprospektes. Das Medienprodukt profitiert so von gängigen Lese-gewohnheiten der Käufer und wird so seinem eigentlichen historischen Kontext entzogen. An keiner Stelle finden sich Hinweise auf die damals herrschenden Produktionsverhältnisse und -bedingungen, auf Zusammenhänge zwischen Krieg und Rüstung, Zwangsarbeit und Fremdarbeiter. Der reichhaltige Bildteil ist vielmehr dazu angetan, beim Leser bzw. beim ehemaligen Soldaten durchaus angenehme Erinnerungen zu wecken.
Für „anspruchsvollere" Leser, d. h. in diesem Falle wohl für Bürger mit dickerem Geldbeutel, hält der gleiche Verlag (Podzun-PallasVerlag, Friedberg) eine beträchtliche Anzahl umfangreicher Bände parat, die — sich wichtigen Kriegsetappen und Schlachtenorten widmen (z. B.: „Moskau — Rshew — Orel — Minsk — Bildbericht der Heeresgruppe Mitte 1941— 1944"; „Krim — Stalingrad — Kaukasus — Die Heeresgruppe Süd 1941— 1945");
— die Geschichte einzelner Verbände nachzuzeichnen versuchen (z. B.: „Die 78. Sturmdivision"; Die 2., 6., 7, 16. Panzerdivision [je ein Band! ]; Die Heeresgruppe Nord, ... Mitte,... Süd [je ein Band]);
— die Bewaffnung einzelner Truppenteile beschreiben („Deutsche Kampfpanzer und Kampffahrzeuge 1939— 1945, Tarnanstriche — Bewaffnung“; „Die Nebelwerfer. Entwicklung und Einsatz der Werfertruppe im Zweiten Weltkrieg“);
— auf Erlebnissen von Kriegsteilnehmern beruhen (z. B.: Wilhelm Johnen: „Duell unter den Sternen. Tatsachenbericht eines deutschen Nachtjägers 1941— 1945" — Der Verlag hierzu: „Ein Nachtjäger schrieb hautnah über seine Erlebnisse“).
Der sogenannten „hautnahen Berichterstattung“ über den Zweiten Weltkrieg haben sich auch andere Verlage verschrieben. Der Stuttgarter Motorbuch-Verlag hält — neben zahlreichen Publikationen zur Auto-, Zweirad-, Luftfahrt-und Eisenbahntechnik — auch ein breites Angebot an Kriegsbüchern bereit. Der Krieg als Abenteuer, als männliches Kräfte-messen und als Bewährungsprobe, als Kampf-feld von Waffensystemen springt einem bereits auf den mehrfarbig und aggressiv aufgeputzten Umschlägen der Bücher entgegen. In Büchern wie „Holt Hartmann vom Himmel!“, „Das waren die deutschen Stuka-Asse 1939— 1945", „Zweikampf am Himmel", „Prien gegen Scapa Flow“, „Radikaler Luftkampf', „Deutsche Fallschirmjäger im Zweiten Weltkrieg", „Die . Tirpitz'muß unter Wasser", „Start im Morgen-grauen — Eine Chronik vom Untergang der deutschen Jagdwaffe im Westen 1944/45" und „Mit Rommel in die Wüste — Kampf und Untergang des Deutschen Afrika-Korps 1941 bis 1943“ wird zwar gelegentlich betont, eine Verherrlichung des Krieges sei nicht beabsichtigt, vielmehr wolle man die Geschichte der kämpfenden Kriegsgeneration nachzeichnen und dabei allen Seiten gerecht werden („Dokumentation heißt Wahrheitsfindung" — „In einer Dokumentation kann keine Kritik angestellt werden")
In Wahrheit ist vom Kampfgeist der Helden die Rede, von ihrer Opferbereitschaft, Hingabe, von menschlichen Tugenden wie Mut und Pflicht, Gehorsam, Ritterlichkeit und Idealismus. „In ihrer Gesamttendenz aber tragen die Bücher bei zum legendären Ruhm der Deutschen Wehrmacht, zur Heroisie: ung soldatischer Vorbilder und zum Zerrbild vom Krieg als naturwüchsigem Zwang.“ 39) Die namenlosen Leidenden des Krieges, die Schrecken des Krieges sind nicht Gegenstand dieser Bücher-, die Fragen, ob und wie der Krieg hätte vermieden werden können, warum und wann möglicherweise Widerstand gegen weitere Kriegs-handlungen sittlich und moralisch gefordert gewesen wäre bzw. aus welchen Gründen Widerstand individuell, kollektiv oder institutionell nicht möglich, ja überwiegend nicht denkbar war — all diese Fragen werden in diesen Büchern weitgehend ausgeblendet.
Im Hinblick auf jugendliche Leser kommt einem Problem besondere Bedeutung zu: Die Lektüre dieser Bücher läßt den Krieg als sportlichen Wettkampf erscheinen, als Arena, in der tagtäglich Höchstleistungen gefordert und erbracht werden. So wie vor jedem Boxkampf der persönliche Rekord des Kämpfers Erwäh-nung findet, so erscheinen in diesen Büchern die Abschüsse und Versenkungen als Voraussetzungen für Verleihung von Orden und Auszeichnungen. Wettkampf wird vorgetäuscht, wo Vernichtung und Tod herrschen.
Durch Anknüpfung an positive Alltagserfahrungen (= sportlicher Wettkampf) verliert der Schüler den eigentlichen Kriegskontext aus den Augen. „Menschliche Tugenden mögen nach Ort, Situation, Zeit und Zeitgeist verschieden erscheinen. Aber Mut bleibt Mut und Idealismus ändert sich nicht durch Veränderung einer Staatsform." Mut und Idealismus also als absolute Werte! — Man ist angesichts dieser Fülle von Publikationen (andere Verlage haben ähnliche Titel in ihrem Programm) veranlaßt anzunehmen, daß das Geschäft mit dem Krieg seinen Kulminationspunkt noch längst erreicht hat. nicht „Landser" -Hefte
Landser-Hefte erheben zu Unrecht den Anspruch, authentische Dokumente zum Zweiten Weltkrieg zu sein. In den Landser-Heftchen wird das Kriegsgeschehen in meist sehr eng umgrenzte Handlungseinheiten zerstükkelt. Zusammenhänge zwischen individuellem Erleben und militärischen Zielsetzungen auf oberster Ebene bzw. politisch-militärischen Entscheidungen der Reichsführung bleiben weitgehend ausgeblendet Fragen nach Kriegsanlässen, Kriegsursachen und Kriegs-verursachern werden genauso wenig thematisiert wie Fragen nach den Grundlagen des Nationalsozialismus, seiner sozialen Basis, der Funktionsweise seiner Herrschaftsmaschinerie usw. Der Krieg wird als Gegebenheit hingenommen. Militär und Politiker stehen einander scheinbar beziehungslos gegenüber. Der Krieg erscheint als die große Bewährungsprobe. Heldenmut, Durchhaltevermögen auch in ausweglosen Situationen, Befehlsgehorsam, der bis zum Kadavergehorsam reichen kann, sind absolute Werte schlechthin.
Das vorgebliche Hauptanliegen der Landser-Hefte, die Darstellung der ungeschminkten Kriegsrealität mit dem Ziel, zur Desillusionierung des Krieges beizutragen, erweist sich als Schutzbehauptung — möglicherweise um drohenden Indizierungen der Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften vorzubeugen. Dekiamatorisch heißt es zur Untermauerung dieses Anliegens in einem neueren Landser-Heft: „Die Massenfriedhöfe des Zweiten Weltkrieges sind eine Mahnung, die in jedem LAND-SER ihren Niederschlag findet" (Nr. 1112, S. 17).
Die Realität des Krieges erscheint häufig abgehoben von den beteiligten Menschen und — der irdischen Sphäre entrückt — als bloße Auseinandersetzung der Waffensysteme bzw. außerweltlicher Instanzen. Manche Passagen der Landser-Hefte lassen den Krieg als Idylle erscheinen, zudem als eine Zeit, in der „allerhand los war" und in fremden Ländern mancherlei erlebt werden konnte (Krieg als Tourismusunternehmen?). Landser-Hefte tragen nicht selten dazu bei, gängige Vorurteile gegen andere Völker bzw. Feindbilder zu verstärken.
Landser-Hefte ermöglichen eine Flucht aus der Gegenwart. Die Begegnung des Lesers mit einer fiktiven Welt der Vergangenheit, in der Zwänge bestanden, die vom Leser als noch weit schwieriger und beklemmender als die tagtäglichen selbsterlebten begriffen werden, kann entlastende Funktion haben.
Nachstehend drei Beispiele für die Darstellung der Kriegsrealität in Landser-Heften: „Es war bisher bei dem einzelnen Gewehrschußgeblieben. Kasacks Leute hatten Befehl, erst dann zu schießen, wenn der Russe bis auf 80 Meter heran war. Die übrigen Gruppen konnten in Ermangelung von Schußfelderst in den Kampfeingreifen, wenn die Sowjets dicht vor der Rollbahn standen.
Es dauerte nicht lange, da rückten die Russen wieder stur und aufrecht dem Dorf entgegen. Kasack spähte nach dem hünenhaften Burschen, dernur 20 Meter vor den anderen marschierte. Jetzt hatte er ihn erneut im Faden-kreuz. Noch zehn Schritte, noch vier Schritte, dann drückte Kasack ab. Der Schußpeitschte, die unheimlich herrschende Stille jäh unterbrechend. Der Russe riß die Arme hoch, stürztein den Schnee und blieb regungslos liegen.“ (aus: Der Landser Nr. 1112, S. 18) „Der direkte Beschuß des Geschützes endete abrupt. Jetzt mußte die sowjetische Infanterie kommen. Im Schutze des Feuerüberfalls hatten sich die Rotarmisten bis dicht an den Schneezaun jenseits der Rollbahn vorgearbeitet. Kasack sah einen Russen, der eben im Begriff war, über den Zaun zu klettern. Blitzschnell steckte er den Lauf seiner MPi durch die Zweige des Schneezauns und drückte ab. Die Garbe ratterte schrill. Der Russe hing leb- los in dem Gewirr von Ästen und Zweigen. Das sMG schoß Dauerfeuer in die angreifenden Sowjets. Die Rollbahn war bis zum Dorf hin in wenigen Minuten mit zahlreichen Toten bedeckt. Der Gegner schaffte es wieder nicht! In dernun folgenden Kampfpausegruppierten die Russen um. Lange Minuten verstrichen. Kasack hörte deutlich, wie einer der Sowjets, der ihrAnführerzu sein schien, ihnen Befehle zurief. Aber sie gehorchten nicht mehr. Der Politruk fluchte laut. Als Kasack sich etwas aufrichtete, um über den Schneezaun zu spähen, sah er ihn schußbereit mit der MPi aufrechtstehen. Erschrie den Rotarmisten, die im Schnee in Deckung lagen, etwas zu. Schließlich erhoben sich zögernd, unter dem Zwang der drohendaufsiegerichteten Waffen, einige Gestalten und rannten gehetzt auf die Rollbahn zu. Da riß Bayer das MG hoch. Die Garbe trafden Politruk und zwei der vordersten Rotarmisten. Die übrigen suchten verzweifelt Deckung, um dem sicheren Tod zu entgehen."
(aus: Ebd., S. 22) „Wüßtun!" (Vorsichtl'j rief einer der Russen. Der Warnung ihres Kameraden folgend, versuchten die anderen sich zu Boden zu werfen, um Deckung zu nehmen vor einer Gefahr, die irgendwo vor ihnen lauerte. Doch Kasack hatte schon den Zeigefinger durchgekrümmt. Schrill rasselte die MPi. Als er den Finger vom Abzug nahm, lagen vor ihnen sieben reglose schwarze Bündel im Schnee; niedergestreckt von zwei Dutzend Geschossen, welche die Maschinenwaffe in rasender Geschwindigkeit aus dem Laufgespien hatte. Sieben russische Mütter würden weinen, sieben russische Frauen vergeblich auf den Mann oder Sohn warten, und viele russische Kinder nach dem Vater fragen... Für Sekunden herrschte eine bedrückende Stille. Nur der Ostwind sang sein eisiges Lied und wirbelte unentwegt die Eiskristalle durch die Winternacht, bedeckte mit einem weißen Leichentuch die sieben Toten zwischen den Katen des Dorfes." (aus: Ebd., S. 40) „Geschichte — Historisches Magazin"
Auch nach Durchsicht der Hefte des Jahrgangs 1979 bestätigt sich meine frühere Behauptung, daß der Krieg ein zentrales Thema dieses Magazins darstellt, obwohl es programmatisch die Gesamtgeschichte zum Gegenstand hat Hierfür einige Beispiele:
Nr. 26/1979: „Tokio wollte Hitler und Stalin versöhnen"
„Informationen über die Verteidigungsvorkehrungen der Deutschen in der Normandie" (S. 39/40)
Nr. 27/1979: Karlludwig Opitz: Der Untergang der „Bismarck" (S. 38— 45)
Nr. 28/1979: Karlludwig Opitz: Reichsmarschall Hermann Göring (S. 12— 19)
Nr. 29/1979: Lutz Koch: Rommels Tod (S. 4 12)
Nr. 30/1979: Rolf Steinberg: Unternehmen „Bodenplatte" (S. 30— 33)
Eine Gesamtanalyse des Nationalsozialismus unterbleibt genauso wie der Versuch, auf der Basis von Einzelartikeln allmählich ein differenziertes Bild des Nationalsozialismus, seinen Grundlagen, Erscheinungsformen und Wirkungen entstehen zu lassen. Indem sich dieses Magazin in erster Linie den (militärischen und politischen) Führungspersönlichkeiten zuwendet, wird die allgemeine Vorstellung vom monolithen Führerstaat fortgeschrieben, derzufolge alles „von oben" befohlen wurde und daher auch „von oben" zu verantworten sei.
Das vorgebliche Anliegen dieses Magazins, „die Stimme der Vergangenheit hörbar und die Zusammenhänge sichtbar zu machen" (Nr. 1/1974, S. 5), wird nicht verwirklicht: Große Persönlichkeiten und große militärische Aktionen stehen im Zentrum der Berichterstattung über den Nationalsozialismus; andere Personengruppen, Betroffene, Mitläufer und Apologeten, Geldgeber und Propagandisten, Gegner und Widerstandskämpfer, tauchen kaum auf. Es fehlen bislang auch Beiträge zum NS-Unterdrückungsapparat und zum Themenkomplex „Nationalsozialistischer Alltag". „Das III. Reich“
Das vorgebliche Ziel der Zeitschrift, „verständlich werden (zu lassen), warum auch heute noch der Ruf nach Adolf in Taxis und Kneipen laut wird, wenn es um Verbrechen, Langhaarige und Ölscheichs geht" (Nr. 1/1974, S. 3), wurde in den folgenden Heften nicht zu realisieren versucht. Gerade die Problematik „Neonazismus" und „Hitlerwelle“ wurde in den 52 Heften der Zeitschrift nicht wieder aufgenommen. Es darf vielmehr angenommen werden, daß „Das III. Reich" auf der Hitlerwelle mitschwimmend (oder deren Aufkommen mit-begünstigend) potentiell neonazistischen Leserbedürfnissen entgegenkam. Der im Titel implizierte Anspruch, eine Gesamtsicht des „III. Reiches" bzw.des Nationalsozialismus zu liefern, wird nicht eingelöst. Ursachen des Faschismus, seine Grundlagen und sein Aufstieg an die Macht werden in erster Linie psychologisierend-personalisierend erklärt. Neuere Ergebnisse der Faschismusforschung werden nicht aufgegriffen. Die Finanzierung des Nationalsozialismus erscheint — stark individualisiert — fast als ein exotischer Vorgang ohne grundsätzliche Bedeutung.
Die Person Hitlers und der Krieg sind die beherrschenden Themen dieser Zeitschrift. Der innere Zusammenhang der in chronologischer Abfolge dargebotenen Einzelereignisse wird nicht hergestellt.
Nicht immer hat man den Eindruck, daß die Ankündigung des Editorials, man werde alle Fragen „ohne Rücksicht auf Tabus, ohne jede Scheu vor . links'und . rechts'" beantworten (Nr. 1, S. 3), auch wirklich eingehalten würde. Man versucht, unterschiedlichen Leserbedürfnissen dadurch entgegenzukommen, daß Sachverhalte gewissermaßen mit doppeltem Boden dargeboten werden und damit einer subjektiven Ausdeutung zugänglich sind (kalkuliertes Mißverständnis, gezielte Zweideutigkeit). „DAMALS — Zeitschrift für historisches Wissen"
DAMALS erscheint im 11. Jahrgang und erfreut sich, wohl auch wegen des günstigen Preises, steigender Beliebtheit (30 000 Abonnenten Ende 1979; s. DAMALS 10/1979, Vorwort). Die monatlich erscheinenden Hefte enthalten neben meist sechs längeren, reich illustrierten Beiträgen zu Themen aus allen Epochen der Geschichte mehrere regelmäßig eingerückte Rubriken („Ubiquandus fragt"; Buchbesprechungen; Leserbriefe; „Briefmarken lehren Geschichte"; historisches Silbenrätsel), die den Magazincharakter der Zeitschrift unterstreichen sollen. Die Autoren rekrutieren sich zum großen Teil aus dem offensichtlich unerschöpflichen Reservoir der (meist älteren)
Amateurhistoriker; daneben zeichnen für einzelne Beiträge auch Fachleute verantwortlich. Einige DAMALS-Autoren schreiben auch in anderen Magazinen.
Ein Verlagsprospekt aus dem Jahr 1975 umschreibt das Programm und die Zielsetzung des Magazins so: „In DAMALS finden Sie die interessantesten Geschichten aus der Geschichte. Sie erfahren, wie es wirklich war. Damit bietet DAMALS ausgesprochen gute Unterhaltung, bringt manches in die Erinnerung zurück und schärft den Blick für Vorgänge unserer Zeit... Im Laufe der Zeit lernen die DA
MALS-Leserviele historische Ereignisse deutlicher sehen und ihre Zusammenhänge besser erkennen. Aus Einzelereignissen entwickelt sich das Mosaikbild der Weltgeschichte ... Im Laufe der Zeit erschließt sich dem DAMALS-Leser in der Geschichte eine wichtige Dimension unseres Weltbildes. Er gewinnt durch sie die Voraussetzungen, auch die Ereignisse unserer Zeit, die sein und seiner Kinder Leben bestimmen, besser zu beurteilen. Im privaten wie im öffentlichen Bereich gewinnt seine Stimme so an Gewicht... Ohne Entspannung wird es schwer, im Alltag seinen Mann (oder seine Frau) zu stehen. Aber dafür gibt es ... auch die Freizeit-Lesestunde für Anspruchsvolle mit DAMALS. Die Welt der Geschichte offenbart sich dann voll Dramatik. Sie macht uns mit genialen, hochherzigen Menschen wie mit hemmungslosen, verbrecherischen Taten bekannt: Bewundernswerte materielle und kulturelle Aufbauleistungen auf der einen Seite, oft fragwürdiges . großes Geschehen', das gnadenlos über Einzelpersonen, Gruppen und ganze Völker hinwegschreitet, auf der anderen. Im Glanz und Elend der Geschichte sind alle menschlichen Verhaltensweisen vorgegeben." Schließlich will DAMALS „Orientierungshilfen für die Gegenwart und Zukunft" liefern und jenem Kurs gegensteuern, den die „Flaggschiffe der öffentlichen Meinung wie DER SPIEGEL und STERN" einschlugen, indem sie „die deutsche Geschichte weitgehend ihrer wichtigen freiheitlichen Komponenten entkleidet" haben. DAMALS sieht daher seine Aufgabe darin, „gesichertes wichtiges oder besonders chrakteristisches Geschichtsgut möglichst objektiv und allgemeinverständlich darzustellen. Dem Leser soll die Bildung eines kohärenten pragmatischen Geschichtsbildes nach eigener Urteilfähigkeit ermöglicht werden... Besonders der jüngeren Generation will und kann DAMALS unwiderlegliche Argumente gegen totalitäre Systeme vermitteln ... Die deutsche Geschichte, eingebettet in die Entwicklung des Abendlandes, darf weder das erdrückende Böse, aber auch nicht die großen positiven Leistungen in Vergangenheit und Gegenwart verschweigen: sie muß Warnung und Ansporn zugleich sein. Nur eine solche historisch begründete politische Auffassung kann dazu beitragen, daß der freie Teil des deutschen Volkes trotz hoher politischer Gefährdungen auch in Zukunft auf der Seite der Freiheit stehen wird" (Dr. Hans Rempler, Herausgeber von DAMALS, anläßlich des 10jährigen Bestehens dieser Zeitschrift, in: DAMALS 10/1979, Vorwort).
Konsequenterweise läuft diese Sicht der Dinge auf eine Kritik der in einigen Bundes-ländern angebahnten Reform des Geschichtsunterrichts hinaus: „Die beiden früher selbständigen Lehrfächer (Geschichte und Geographie, G. S.) werden nur noch unter dem Gesichtspunkt soziologischer Fragestellungen sporadisch behandelt. Die Geschichte schrumpft also für die Jugend im Sinne des Marxismus zu einer Historie der sozialen Konflikte zusammen“ (Rempler, ebd.).
Auch wenn einzelne Beiträge in den DAMALS-Heften diesem ideologischen Roll-back nicht entsprechen — die Wunschvorstellung von einer heilen deutschen Geschichte läßt soziale Konflikte oder verbrecherische Politik nur als hemmende Störfälle in einer ansonsten zum Besseren sich hinentwickelnden Gesellschaft bzw. als individuell zu verantwortende, momentane Entgleisungen begreifen. Auf diesem Hintergrund wird verständlich, daß Hitler in nahezu allen Heftbeiträgen zum Nationalsozialismus als „eminent zeitgebundener und nachweislich akzidentieller Charakter" (Rempler, ebd.) verstanden wird, ohne daß es notwendig erscheint, jene gesellschaftlichen Gegebenheiten genauer zu analysieren, die ihn und seine Politik erst ermöglichten. Teilweise bis ins Kaiserreich zurückreichende Tradititionsstränge und Prädispositionen weiter Kreise des Bürgertums für den Faschismus als Verursachungs-bzw. Begünstigungsfaktoren für die Etablierung der Nazi-Herrschaft bleiben ausgeblendet.
Daß diese ideologische Konzeption der DAMALS-Zeitschrift nicht das Credo eines missionarischen Einzelgängers darstellt, sondern auch in Teilen der Bevölkerung wiederkehrt, zeigen die vielfältigen, teilweise fast wörtlichen Übereinstimmungen mit dem Antrag der nordrhein-westfälischen CDU-Landtagsfraktion zur Verbesserung des Geschichtsunterrichts in den Schulen dieses Bundeslandes vom 8. /9. Mai 1978 und einer parlamentarischen Behandlung im Landtag am 18. Mai 1978. Dort heißt es u. a.:
„Die Geschichte muß wieder zentrales Fach der Schule werden. Sie soll...
— die jungen Menschen zur Identifikation mit der eigenen Nation führen..., — die humanen Tugenden und das Verantwortungsbewußtsein von historisch Handelnden als Vorbilder herausstellen, — das Bösartige bis hin zum Verbrecherischen in der Geschichte nicht verschweigen, — mißtrauisch machen gegenüber politischen Heilslehren und Utopien.“
Zur Begründung dieses Antrags sagte der CDU-Abgeordnete Dr. Pohlmeier im Landtag: „Die Menschen spüren heute wieder: Ohne Vergangenheit, die lebendig aufgenommen und bewußt gemacht wird, die dann kritisch verarbeitet und zu einem festen Geschichtsbild aufgebaut wird, gibt es keine Sicherheit im Heute, gibt es auch keine Maßstäbe für politisches Handeln und keine Zukunft für uns alle.“
Dem Schüler im Geschichtsunterricht ein „festes Geschichtsbild“ zu vermitteln, dem Leser von DAMALS ein „kohärentes pragmatisches Geschichtsbild" zu ermöglichen, ist ein gemeinsames Anliegen. In Erwiderung auf den CDU-Antrag hat Hans Mommsen zu Recht auf die Problematik des Geschichtsbildbegriffes hingewiesen: „Die Konsensusstiftung geschichtlicher Reflexion beruht nicht darauf, daß ein harmonisches . Geschichtsbild'vermittelt wird, sondern daß sie, dem Prinzip . intellektueller Redlichkeit'zufolge, gerade die Konflikte, Spannungen und Entwicklungsbrüche zur Darstellung bringt, die die gegenwärtig Handelnden, aus dem Blickpunkt politischer Opportunität heraus, zu verdecken geneigt sind. Der Ruf nach einem verbindlichen Geschichtsbild übersieht den seinerzeit von Gustav Heinemann unmißverständlich dargelegten Tatbestand, daß es ein einheitliches .deutsches Geschichtsbild'in Wahrheit nie gegeben hat und daß es verhängnisvoll sein würde, wollte man zu jener mythisierten Einheit des deutschen Geschichtsbewußtseins zurückkehren, die in Wirklichkeit eine durch die idealistischen Beimischungen der historischen Schule verbrämte borussische Selbst-rechtfertigung war."
Das allgegenwärtige Bedauern um das Fehlen eines geschlossenen Geschichtsbildes in der Bundesrepublik muß geprüft werden auf dem Hintergrund dessen, was die Propagandisten dieser Behauptung zum (Wieder-) Aufbau verlorener nationaler Identität beitragen und welche Konsequenzen ein wiedergewonnenes nationales Geschichtsbild für die politische Orientierung der jetzt lebenden Menschen haben könnten.
DAMALS als selbsternannter potentieller Geschichtsbildlieferant für 30 000 Abonnenten und noch mehr Leser ist einem Geschichtsbild verpflichtet, das im wesentlichen an großen Persönlichkeiten und deren (notwendig) führenden Rolle im Geschichtsprozeß orientiert ist. Diese Sicht der Geschichte schlägt überall dort durch, wo sich DAMALS-Beiträge Fragen der politischen Geschichte annehmen. Seltener wird gefragt, wer oder was den großen Persönlichkeiten das Feld für ihre einsamen Entscheidungen ebnete, zu wessen Lasten bzw. Vorteil dies geschah und wem die sozialen Kosten getroffener oder unterlassener Entscheidungen aufgebürdert wurden. Bei der Darstellung des Nationalsozialismus schlagen daher folgende Leitgedanken immer wieder durch:
— Hitler als „akzidentieller Charakter“, — Nationalsozialismus als Katastrophe bzw. Entgleisung der deutschen Geschichte, —Auswüchse des Regimes werden einer kleinen NS-Führungsclique angelastet bei gleichzeitiger Exkulpierung der deutschen Bevölkerung.
Was die Behandlung der Jahre von 1933 bis 1945 angeht, so fällt auf, daß Artikel über unmittelbare Kriegsereignisse stark dominieren, während Ereignisse der Vorkriegszeit (1933 bis 1939) sich weniger zahlreich in Heftbeiträgen niedergeschlagen haben. Versucht man die annähernd 60 Beiträge, die sich mit dem Nationalsozialismus und den militärischen Aktionen auf allen Kriegsschauplätzen befassen, zu gliedern, so stellt man fest, daß ein sehr großer Teil dieser Beiträge den Jahren von 1939 bis 1945 gewidmet ist, während das NS-Herrschaftssystem, seine gesellschaftlichen Voraussetzungen, sein Aufbau, seine Körperschaften und seine Auswirkungen auf die Bevölkerung weitgehend unberücksichtigt bleiben.
Geradezu ins Auge springt aber die totale Ausblendung der Themenkreise „Konzentrationslager“, „Systematische Verfolgung und Ermordung von Juden und anderen Bevölkerungsgruppen".
Daneben fehlen Beiträge über den kommunistischen und Arbeiterwiderstand, über Rüstung und Wirtschaft, Kunst, Literatur und Film sowie über den Komplex, den man heute mit . Alltag und Faschismus“ zu umschreiben pflegt.
Das Verlagsversprechen, aus Einzelereignissen würde sich das Mosaikbild der Weltgeschichte entwickeln, wird nicht eingelöst.
Statt dessen werden einzelne Episoden aus ihrem historischen Zusammenhang herausgelöst dargeboten. Der den Artikeln jeweils vorangestellte (wohl von der DAMALS-Redaktion und nicht von den Autoren zu verantwortende) Vorspann von nur wenigen Zeilen kann nur selten den notwendigen Sachzusammenhang herstellen.
Ein Hauptvorwurf ist besonders stark zu markieren: Das Bemühen der Autoren, entsprechend dem Gebot des Verlagsprospekts zu zeigen, „wie es wirklich war“, also in erster Linie Fakten wiederzugeben, ohne zu einer Bewertung der geschilderten Sachverhalte aus der Kenntnis der Kriegsentwicklung bzw.der Nachkriegsgeschichte überzugehen. Eine Interpretation der historischen Ereignisse allein aus der historischen Situation des Krieges heraus birgt die Gefahr in sich, den Selbststilisierungen des NS-Regimes oder den Argumentationen seiner Apologeten aufzusitzen.
Als Beispiel für ein derartig kurzsichtiges Verfahren kann der Beitrag von Hanns Erich Jungman gelten: „Das Attentat in der Via Rasella. Geiseldrama in Rom im März 1944" (DAMALS 11/1976, S. 987— 998). Hier geht es um einen Sprengstoffanschlag italienischer Widerstandskämpfer gegen deutsche Soldaten in Rom, dessen Sühne SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler, Chef des Sicherheitsdienstes in Rom, vornahm, indem er mehr als 300 Italiener, die mit dem Attentat nichts zu tun hatten, liquidieren ließ. Aus diesem Beitrag nachstehend eine Leseprobe:
(Auf Befehl Hitlers sollten für jeden Deutschen, der dem Anschlag zum Opfer gefallen war, zehn Italiener liquidiert werden.) „Um das
Verhältnis 1: 10 wahren zu können, waren nunmehr 320 Personen erforderlich. Es muß Kappler zugestanden werden, daß er sich zunächst ernsthaft bemühte, nur wirkliche Todeskandidaten auf seine Liste zu setzen (warum diese „Todeskandidaten“ tatsächlich zum Tode verurteilt worden waren, wird nicht erwähnt: G. S.). Erst als er sich bewußt wurde, die vorgesehene Zahl nicht erreichen zu können, bestimmte erkurzerhand eine AnzahlJuden, die er später noch um weitere zehn erhöhte, nachdem der dreiunddreißigste Deutsche seinen Verletzungen erlegen war... Da die Zeit drängte(yfarum eigentlich? G. S.), wurden andere statt dessen aus den Gefängniszellen geholt und auf die Liste gesetzt. Auf diese Weise konnte es geschehen, daß nicht dreihundertdreißig, sondern dreihundertfünfunddreißig Menschen zur Hinrichtung geführt wurden" (S. 993). „Es wurde die wirtschaftlichste und wirksamste Methode erörtert, die Erschießungen in kürzester Zeit hinter sich zu bringen. Eile war geboten... Wegen des Zeitdruckes konnten Kapplers sorgfältig ausgeklügelten Pläne für eine methodisch exakte Exekution (1) nicht mehr eingehalten werden" (S. 994). „Das Urteil (gegen Kappler, G. S.) bezieht sich jedoch nicht auf die zehn weiteren, aus eigener Entscheidung angeordneten Erschießungen, sondern darauf, daß über die Normalzahl (!) hinaus fünf Menschen in der Hektik des blutigen Geschehens ihrLeben lassen mußten — Opfer einer unbarmherzigen Todesmaschinerie (!)" (S. 997).
Es ist kennzeichnend für diesen Beitrag, daß die Unterschrift unter eine Photographie Kapplers „diesen Fall“ — d. h. die Ermordung unschuldiger Italiener als Geiseln — als „ein eher politisches als juristisches Problem“ charakterisiert (S. 992). Daß es auch moralische, humanitäre Kategorien bei der Einschätzung derartiger Verbrechen gibt, daß es bei der Darstellung dieses Ereignisses auch um eine intensive Beschäftigung mit der Frage nach der Legitimität des bewaffneten Widerstandes in besetzten Gebiete gehen muß (die Bemerkungen des Autors zu diesem Problem genügen bei weitem nicht), daß zumindest ein paar Sätze über die liquidierten Opfer hätten gesagt werden müssen, scheint dem Verfasser nicht in den Sinn gekommen zu sein.
Ein weiterer Einwand gegen die Darstellungsweise der DAMALS-Hefte richtet sich gegen die Betrachterebene. In den meisten Fällen wird aus der Sicht höherer Offiziere bzw. ziviler oder militärischer Führungsstäbe berichtet, während die Auswirkungen getroffener Entscheidungen auf das Heer der Namenlosen unerwähnt bleibt. Dies gilt auch für den Erlebnisbericht „ 1943: Mission in Montenegro" (DAMALS Nr. 6/1975, S. 483 ff), den ein „Beteiligter an zentraler Stelle" verfaßt hat, ohne daß indes die kämpfende Truppe oder die Zivilbevölkerung genauer konturiert würden. Der Artikel „Der Zusammenbruch der . Heeresgruppe Mitte'. Eine Entscheidung an der Ostfront im Sommer 1944“ (DAMALS Nr. 1/1975, S. 61— 78) läßt kaum erkennen, daß an den beschriebenen Aktionen auch Soldaten, Menschen, beteiligt waren. Der Artikel ergeht sich in einer ausschweifenden Wiedergabe der sich gegenüberstehenden militärischen Potentiale (S. 62, 65, 66), darüber hinaus in der breiten Beschreibung von Geländegewinnen bzw. -Verlusten (S. 71).
Siegreiche und unterliegende Helden werden präsentiert, nie aber Helden der Verweigerung oder gar des Widerstands. Wird einmal ein leitender Offizier einer taktischen oder strategischen Fehlleistung überführt — wie im Falle des Panzerschiffskommandanten Hans Langsdorff —, so wird sein Freitod, der als individuelle ethische Konsequenz hier nicht zu qualifizieren ist, als von der Öffentlichkeit erwartete Sühne der Verfehlung sorgsam bilanziert: „Er hat sich der Verantwortung für sein Handeln nicht entzogen“ (DAMALS 7/1980, S. 578).
Wo immer Deutsche an Feldzügen beteiligt sind, werden die Ereignisse im allgemeinen aus der Sicht der deutschen Truppen dargestellt. Ein Perspektivenwechsel, eine Gegenüberstellung der Sichtweisen, gar eine Darstellung ausschließlich aus der Sicht des militärischen Gegners bekommt der Leser nur selten geboten. Drei Beispiele seien erwähnt: Die Eroberung der Rheinbrücke bei Remagen durch amerikanische Truppen im Frühjahr 1945 wird aus amerikanischer und deutscher Sicht geschildert (DAMALS Nr. 11/1979, S. 971— 986). In der Darstellung des Amerikaners David Chandler erscheint die Eroberung der Remagener Brücke als überraschender, verhältnismäßig leichter Erfolg einer kleinen Kampfgruppe, der die Vormarschpläne des alliierten Oberkommandos über den Haufen warf. Die strategische Bedeutung dieses unverhofften Erfolgs wird mit einem Satz abgetan: „Die Eroberung der Brücke von Remagen brachte nicht das Kriegsende, aber die psychologische Wirkung dieses Zufalls wurde auf beiden Seiten des Rheins spürbar“ (S. 980). — Die Darstellung aus deutscher Sicht (Verfasser: Otto von Fisenne) beschränkt sich im wesentlichen auf die Wiedergabe des Urteils eines „Sonderstandgerichts des Führers" gegen die in den Augen der NS-Führung versagenden Verteidiger der Remagener Brücke, auf die möglicherweise konspirative Rolle, die der letzte Kampfkommandant, Major Scheller, bei der nicht rechtzeitig erfolgten Sprengung der Brücke spielte sowie auf die Wiedergabe der Einstellungsverfügung in einem Ermittlungsverfahren, das die Koblenzer Staatsanwaltschaft nach dem Kriege gegen die Mitglieder des Sonderstandgerichts angestrengt hatte. Der Verfasser verzichtet auf die Schilderung militärischer Einzelheiten, um sich grundsätzlichen Problemen zuzuwenden:
— Wie ist das Verhalten derjenigen Personen rechtlich zu würdigen, die in einem Standgerichtsverfahren das Urteil zu verantworten haben bzw. an dessen Vollstreckung beteiligt sind?
— Wie ist das Verhalten eines Soldaten zu beurteilen, der angesichts einer aussichtslosen Kampfsituation möglicherweise durch Konspiration mit dem Feind oder durch bewußte Aufgabe einer strategisch wichtigen Position eine Verkürzung des Krieges herbeiführen möchte?
— Worin besteht die Verantwortlichkeit des einzelnen im Krieg? Leider erhält der Leser aber auf diese wichtigen und in vergleichbaren DAMALS-Aufsätzen zu selten aufgeworfenen Fragen keine überzeugende Antwort Der Verfasser zitiert nur die Begründung der genannten Einstellungsverfügung; ob er sich in der Einschätzung des Majors Scheller der Ansicht des ehemaligen Kampfkommandanten von Remagen, Bratge, anschließt, wird nicht deutlich: „Sollte er (Scheller) jedoch sich bewußt der deutschen Militärgerichtsbarkeit gestellt haben, um Sühne für seine Schuld auf sich zu nehmen, so sei Major Scheller als Mensch, der für seine Überzeugung in den Tod ging, nicht hoch genug einzuschätzen. Aber auch dann noch bleibe die Frage ungelöst, warum er in diesem Prozeß nicht alle Schuld auf sich genommen habe, um die anderen Offiziere vor diesem Urteil zu bewahren" (S. 984).
Auch der Beitrag von Hellmuth Günther Dahms „ 1943: Mord in Minsk. Das Attentat auf den Generalkommissar für Weißruthenien Wilhelm Kube" (DAMALS Nr. 5/1980, S. 437— 451, und Nr. 6/1980, S. 463— 478) ist über weite Strecken aus der Sicht des Gegners geschrieben, indem Dahms sich der Memoiren des sowjetischen Geheimdienstlers Nikolaj J. Chochlow bedient, der 1954 in den Westen überlief. Der erste Teil dieser Darstellung schildert die Verpflichtung Chochlows für den sowjetischen Geheimdienst sowie seine Ausbildung für den Einsatz hinter der deutschen Front. Dann wird Wilhelm Kube, der General-kommissar für Weißruthenien, vorgestellt, zu dessen Beseitigung Chochlow mit einer Partisanengruppe zusammenarbeiten soll. Über Kube schreibt Dahms: „Ungeachtet seiner (Kubes, G. S.) früheren Haßtiraden gegen . Juden und Bolschewisten'zeigt sich der Prokonsul großzügig, sogar menschenfreundlich. Einige seiner Mitarbeiter erinnern sich, daß er aus dem Lager der Deutschnationalen zur NSDAP übergewechselt ist, jedoch an dem konservativen Grundsatz festgehalten hat, fremdes Volkstum ebenso wie das eigene zu achten.
Andere Beobachter, die den sträflichen Sachverhalt nicht genau kennen, halten Kubes Absetzung als NS-Gauleiter der Kurmark im Jahre 1936 für einen politischen Konflikt mit Hitler und Heß. Jedenfalls steht die Statthalterschaft des mittlerweile rehabilitierten Parteifunktionärs nicht im Zeichen von Herrenmenschentum und Rassismus. Kube hält seine schützende Hand über Juden, die aus dem Reich antransportiert werden und ermordert Werden sollen. In dem darauf beginnenden Streit mit Heinrich Himmler wendet sich der Generalkommissar scharf gegen die im deutschen Namen verübten Schandtaten. Auch die bodenständige Bevölkerung will Kube beschützen, ja zur Mitarbeit heranziehen" (S. 448).
Diese kurze Darstellung des Werdegangs Kubes ist verschwommen, teilweise irreführend, ja in Einzelheiten sogar beschönigend. Kubes politische Tätigkeit in der „Kampfzeit" wird nicht erwähnt die Gründe für seine Absetzung bzw. Rehabilitierung bleiben unklar, seine gemäßigte Politik während seiner Statthalterschaft in Minsk gegenüber . Juden, die aus dem Reich antransportiert werden", erscheint in allzu positivem Licht. Kube hat sich zwar während seiner Statthalterschaft in Minsk wiederholt für die aus dem Reich deportierten Juden, vor allem die jüdischen Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs, eingesetzt und hat sich deshalb bei den höchsten Spitzen des NS-Staates Kritik eingehandelt. Ein Gegner der „Endlösung", gar ein Freund der Juden war er gleichwohl nicht. So schrieb er an seinen Freund, den Reichskommissar für die besetzten Ostgebiete Heinrich Lohse in Riga:.... Ich bin gewiß hart und bereit, die Judenfrage mit lösen zu helfen, aber Menschen, die aus unserem Kulturkreis kommen, sind doch etwas anderes als die bodenständigen vertierten Horden. Soll man die Litauer und Letten, die hier auch von der Bevölkerung abgelehnt werden, mit der Abschlachtung betrauen? Ich könnte es nicht. Ich bitte Dich, mit Rücksicht auf das Ansehen unseres Reiches und unserer Partei hier eindeutige Anweisungen zu geben, die in der menschlichsten Form das Nötige veranlassen" — Im zweiten Teil des Beitrags erscheint dann das Attentat auf Kube als das Werk konkurrierender Partisanengruppen: der Hauptgewährsmann von Dahms, Chochlow, spielte hierbei offensichtlich nur eine Nebenrolle. Was zunächst als Darstellung der Ereignisse aus sowjetischer Sicht begann, entwickelt sich im weiteren Verlauf zu einer Story über Konversion und Front-wechsel eines ehemaligen sowjetischen Geheimdienstoffiziers. Mit dem Minsker Attentat — dem eigentlichen Gegenstand des -Bei trags (s. Titel) — hat dies nichts mehr zu tun. In einem weiteren Beitrag — Herbert Drescher: Warschau im September 1939. Ereignisse, Menschen, Schicksale (DAMALS Nr. 3/1980, S. 207— 226, und Nr. 4/1980, S. 295— 308) — wird der Versuch unternommen, die Kriegsereignisse vom September 1939 aus polnischer Sicht zu beschreiben. In vergleichsweise differenzierter Form schildert der Verfasser die Auswirkungen des Angriffs der deutschen Truppen auf die polnische Hauptstadt, die Folgen der Beschießung und Bombardierung für die Zivilbevölkerung und die Maßnahmen und Reaktionen der lokalen polnischen Politiker und Militärs. Auch wenn gelegentlich militärisch-strategische Gesichtspunkte dominieren, hebt sich diese Schilderung doch im positiven Sinne von anderen Darstellungen des Kriegsgeschehens in dem DAMALS-Magazin ab.
Schließlich ist noch auf einen Sachverhalt hinzuweisen, der bereits bei der Analyse von „Geschichte — Historisches Magazin" Anlaß zu Kritik gab: Gemeint sind die in manchen Beiträgen vorgenommenen Prognosen über den möglichen Kriegsverlauf bzw. Kriegsausgang für den Fall, daß „richtige" bzw. andere (militärische) Entscheidungen getroffen worden wären. Hierzu einige Beispiele aus dem Beitrag „Einsatz der Kriegsmarine. Die Fehler der deutschen Seekriegsleitung im II. Weltkrieg" (DAMALS Nr. 9/1975, S. 805— 832), die den spekulativen Charakter derartiger Gedanken-spiele verdeutlichen sollen: „Der. Führer'vermochte — sichernicht zuletzt auf Grund seiner eigenen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg als Gefreiterin einem Infanterieregiment — nicht global-strategisch zu denken. Er hatte kein Verständnis für einen global zu führenden Seekrieg, wie er für Deutschlandim zweiten Weltkrieg alleine von kriegsentscheidender Bedeutung hätte werden können“ (S. 809). Hätte der Krieg, so ist zu fragen, wirklich einen anderen Ausgang nehmen können, wenn Hitler im Ersten Weltkrieg Marinesoldat gewesen wäre? „Hätte Dönitz damals hundert Boote gehabt, die Versenkungsziffern wären an Englands Lebensnerv gegangen“ (S. 822). —„Politische Führung und Seekriegsleitung hatten die Zeit versäumt, in der die U-Bootwaffe noch kriegsentscheidende Erfolge hätte erzielen können“ (S. 822).
Sind die gedanklichen Sandkastenspiele eines Amateurstrategen (vgl. zuletzt auch den Beitrag von Rolf Bürgel: Admiral Graf Spee. Ein Name — zwei Schicksale, DAMALS Nr. 7/1980 S. 555— 578) nicht dazu angetan, gängige (wieder) aufleben Leserspekulation zu lassen? (Etwa nach der Art: Hätte man damals nur die richtigen Entscheidungen getroffen, dann wäre der Krieg schon gewonnen worden!) Unterschlägt diese spekulative Kalkulation möglicher Siegeschancen nicht die Notwendigkeit, nachzufragen, zu welchem Ende der Krieg eigentlich hätte gewonnen werden sollen bzw. unter welcher Zielsetzung der Krieg begonnen worden war? Welchen Sinn haben Spekulationen über mögliche Auswirkungen von Frontbegradigungen, Preisgabe von Frontabschnitten zum Aufbau einer neuen Verteidigungsposition oder Gedankenspiele über einen strategisch (vermeintlich) effektiveren Einsatz von Waffensystemen? Zu welchem höheren Zweck hätten diese Entscheidungen getroffen werden sollen? Hätten diese Maßnahmen angesichts der Übermacht der Kriegsgegner mehr bewirken können als eine bloß zeitliche Verschiebung neuerlicher Konfrontationen mit (zwingend) negativem Ausgang für die deutschen Truppen? Sicher: „Ohne daß es ihnen bewußt wurde, retteten sie durch ihren Einsatz die Absetzbewegung ihres Bataillons“ (DAMALS Nr. 1/1975, S. 76). Doch für wie lange? War es nicht so, daß eben dieses Bataillon, das jetzt durch verlustreiche Kämpfe kleinerer Einheiten einen halbwegs gesicherten Rückzug antreten konnte, sich schon bald wieder einem übermächtigen Gegner gegenübersah? Kämpfe, Verluste, Rückzug, neue Front — neue Kämpfe, größere Verluste, erneuter Rückzug ..., dieser spätestens seit 1943 einsetzende Kriegsmechanismus, der zwangsläufig auf totale Vernichtung des unterlegenen Teils hinauslaufen mußte (und dies wurde von nicht wenigen Soldaten unterschiedlicher Dienstgrade und Dienststellungen schon früh erkannt), wird in all diesen Magazin-Beiträgen zum Zweiten Weltkrieg unterschlagen. Daraus resultiert keine Anklage gegen den Krieg, keine „Lehre" für die Gegenwart. Die Schilderung meist unverbundener Einzelepisoden, deren Zusammenhang nirgends hergestellt wird, begünstigt die Beschreibung rein militärisch-strategischer Entscheidungen: Die 6. Armee erzielte im Abschnitt X den Geländegewinn Y; das soundsovielte Infanterieregiment zog sich auf die Linie A—B zurück (ggf-„unter großen Verlußten"). Das ist das grobe Strick-B muster der DAMALS-Beiträge zum und über den Krieg.
Auch der Beitrag von Otto Münter: „Die Ost-freiwilligen. Der vergebliche Kampf der Stalin-Gegner im II. Weltkrieg" (DAMALS 3/1979, S. 207— 226) will glauben machen, daß der Rußlandfeldzug siegreich beendet worden wäre, wenn Hitler gegenüber den Völkerschaften der Sowjetunion eine weniger intransingente Position eingenommen hätte. Die rassische Diskriminierung der „Ostvölker" wird nahezu ausschließlich im Hinblick auf ihre negativen Folgen für die Kriegsführung gesehen: „Wie bereitwillig wären sie aber den Deutschen gefolgt, wenn man sie nach den Geboten abendländischer Wertvorstellungen und den Forderungen der Vernunft behandelt hätte! Es ist nicht abwegig zu behaupten, daß der Rußlandfeldzug unter diesen Geboten und unter Verzicht auf die maßlosen Eroberungspläne gar nicht hätte verloren werden können, daß das Sowjetsystem damals mit Sicherheit vernichtet worden wäre, und zwar in erster Linie durch die Bevölkerung der Sowjetunion selbst" (DAMALS 3/1979, S. 214f).
Wurde schon im Zusammenhang mit dem römischen Attentat von 1944 auf üble sprachliche Formulierungen hingewiesen, so gilt dieser Vorwurf auch für einige Textpassagen des Artikels „SS-Sondereinheit Dirlewanger. Ein Sträflingsbataillon zum Einsatz im Kampf gegen Partisanen" (DAMALS Nr. 7/1977, S. 599— 620). Heimliche Bewunderung spricht aus ihnen:
Die erfolgreichen Einsätze gegen russische Partisanen brachte der Einheit Dirlewanger hohe Verluste. Der Krieg war unbarmherzig. Aber der Ruf der Einheit war legendär“ (S. 612f). . Das Kommando Dirlewanger agierte blitzschnell und mit äußerster Härte“ (S. 614 Bildunterschrift). Der Fehler von Anfängern kam bei ihnen nicht vor: trotz kürzester Schußentfernung schlecht zu schießen, weil sie nicht die Nervenkraft hatten, sich auf das Ziel zu konzentrieren ... fm Häuserkampf wie in Minsk kamen den Soldaten Umsicht und Rücksichtslosigkeit zugute“ (S. 618). Zweifler oder Verräter wurden über den Hau-fen geschossen — oft von Dirlewangerpersön-lich. Aber(l) die Verteilung von Beutegut er-folgte gerecht zwischen SS-Männern und Hilfswilligen“ (S. 620).
Die Bilanzierung der Aktionen der SS-Sondereinheit Dirlewanger (S. 616) sagt nichts über die verbrecherischen Begleiterscheinungen dieser Einsätze aus. Wo dies aber im einzelnen versucht wird, schleichen sich peinliche Formulierungen ein: „Dirlewangers Einheiten lösten das Problem kurzerhand, indem sie die Häuser anzündeten und die aus den Flammen Fliehenden risikolos erschossen“ (S. 618).
„Die Tatsache, daß in Dirlewangers Einheit viele russische Hilfswillige dienten, erleichterte die grausame Arbeit“ (S. 618).
Wohl in der Absicht, ein besonders „ausgewogenes" Bild der Vorgänge zu vermitteln, werden harte deutsche Maßnahmen als Konsequenzen feindlicher Aktionen dargestellt bzw. diese Maßnahmen dadurch entschuldigt, daß man sie vermeintlich entsprechenden Aktionen der Gegenseite gegenüberstellt.
Um es noch einmal deutlich zu machen: Es geht mir nicht darum, die Beiträge dieses Magazins in ihrer Gänze anzugreifen. Gegen mehrere Beiträge gibt es keine Einwände, es sei denn, daß ihnen der Vorwurf gemacht werden kann, prinzipielle Fragen des Nationalsozialismus bzw.des Krieges auszuklammern oder sich mit belanglosen Quisquilien zu beschäftigen (z. B. DAMALS Nr. 8/1978, S. 713— 724: „Unternehmen . Haifisch'1941: Die England-Invasion findet nicht statt"). Einige Artikel thematisieren durchaus wichtige, interessante und bisher in der populären Literatur vernachlässigte Themen (z. B. DAMALS Nr. 12/1978, S. 1113— 1126: „Wir werden den Sieg erzwingen" — Hitlers Neujahrsadressen im Zweiten Weltkrieg; DAMALS Nr. 2/1977, S. 165— 178: „Kettenbriefe im 3. Reich. Anonymer Widerstand gegen den Nationalsozialismus"). Auch erfüllen die Magazinbeiträge nicht die Straftatbestände der Gewalt-bzw. Kriegsverherrlichung, des Neonazismus oder der Aufstachelung zum Rassenhaß. Insoweit sind sie nicht justiziabel. Um was es in erster Linie geht, wenn Vorwürfe gegen Magazine dieser Art erhoben werden, ist die Tatsache, daß zum einen der Krieg als nicht hinterfragtes Faktum hingenommen wird — der Krieg ist einfach irgendwie vorhanden —, zum anderen — und dies resultiert aus einer derartigen Sicht —, daß die problematische Wirkung einer solchen Betrachtungsweise von Geschichte auf die Leser seitens der Autoren offensichtlich nicht einkalkuliert wird.
IV. Didaktisch-methodische Überlegungen
Welche didaktisch-methodische Überlegungen lassen sich an diese Befunde knüpfen? Es dürfte auf der Hand liegen, daß sich die Geschichtsdidaktik dieser Mittler von Geschichte (bzw. einer ganz bestimmten Sicht von Geschichte) anzunehmen hat. Der „Geschichte im Trivialbereich" — das hat die neuere Geschichtsdidaktik erkannt — kommt beim Aufbau der Persönlichkeit und der Ausbildung von Geschichtsbewußtsein die gleiche Bedeutung zu wie der Geschichte im institutionalisierten Bildungsbereich Diese Neu-bestimmung des Gegenstandsbereichs der Geschichtsdidaktik hat unmittelbare unterrichts-praktische Folgen: „Es wird nicht nur der allgemeine Reflexionshorizont der Geschichtsdidaktik erweitert, vielmehr führen die genaueren Kenntnisse über die lebensweltlichen Vorbedingungen des Geschichtsunterrichts dazu, daß der planende und unterrichtende Geschichtslehrer die alltagsweltlichen Vorkenntnisse, Vorurteilslagen und Denkkriterien der Schüler berücksichtigen und ggf. zum Ausgangspunkt des Unterrichts machen kann. In einer Zeit, in der Fernsehen und Kino, Tageszeitung und Illustrierte, preiswerte Taschenbücher und Comics das Bewußtsein von Kindern und Jugendlichen ungleich stärker beeinflussen als früher, hat der Geschichtsunterricht in der Schule seine beherrschende Stellung für die Formung des historischen Bewußtseins kommen verloren. Die nicht als . leeres Blatt'in den Unterricht, sondern sind in vielfacher Weise von lebensweltlichen Erfahrungen und unbewußten übernahmen von Denkformen geprägt, auch in Hinsicht auf geschichtliches Wissen und Bewußtsein. Aus diesem Grund ist die didaktische Auswertung der Forschung über lebens-weltliches Geschichtsbewußtsein dringend nötig."
Der Erfolg der Heftchen und der Magazine (von den Landser-Ausgaben wurden bis 1974 bereits mehr als 100 Millionen Stück verkauft), aber auch der offensichtlich profitable Absatz von Schallplatten mit Originalmitschnitten von NS-Reden und Rundfunksendungen, die Neuauflagen von NS-Journalen (z. B. „Signal") sowie die eine ungestillte Nachfrage dokumentierenden Verkaufs-und Suchanzeigen für NS-Devotionalien zeugen vom fortdauernden Interesse am Zweiten Weltkrieg, der Person Hitlers und seiner Führungskamarilla. Da die Nachfrage nicht nur aus dem Kreis ehemaliger Soldaten kommen kann — inwieweit Bundeswehrsoldaten ein bedeutendes Leser-potential darstellen, ist bislang noch nicht untersucht worden —, die Leserschaft sich vielmehr auch aus Schülern, Lehrlingen und älteren Nichtkriegsteilnehmern rekrutiert, scheint die Vermutung naheliegend, daß der Geschichtsunterricht bislang weder dieses rege Interesse am Nationalsozialismus (oder besser: an den vermeintlichen „Sonnenseiten“ des Regimes und den „Heldentaten“ seiner Zeitgenossen) mit geigneten Mitteln zu befriedigen imstande war, noch daß er die Schüler dazu befähigt hat, kritisch mit derartigen Produkten umzugehen. Aus diesem Defizit leiten sich eine Reihe von Forderungen an die Geschichtsdidaktik und den Geschichtsunterricht ab.
— es müssen Möglichkeiten aufgezeigt werden, diesem ernst zu nehmenden Bedürfnis junger Menschen nach emotionaler Hinwendung zum Nationalsozialismus im Unterricht Rechnung tragen zu können;
— es müssen Verfahrensweisen eingeübt werden, die es dem Schüler ermöglichen, kritisch mit Heftchen und Magazinen umzugehen;
— es müssen Darstellungen geschaffen werden, die es dem jungen Menschen erlauben, sich den Nationalsozialismus in altersgemäßer Form und unter Berücksichtigung seiner Bedürfnisse selbst zu erschließen. Jegliche Verharmlosung, Glorifizierung bzw. Heroisierung sind zu vermeiden.
Gehen wir von der letztgenannten Forderung aus, so stehen wir sogleich vor einem beträchtlichen Dilemma: Zwar sind in der jüngsten Vergangenheit eine Reihe von Publikationen erschienen (meist Darstellungen von Beteiligten und Betroffenen), die die ungeschminkte Realität des Faschismus im Alltag und seine Wirkung auf die Zeitgenossen in anschaulicher Weise beschreiben. Zwar gibt es auch eine steigende Anzahl von Kinder-und Jugendbücher, die sich der besagten Thematik in altersgemäßer Form, spannend und subtil annehmen Noch immer fehlen aber Werke der historischen Belletristik, die den Nationalsozialismus und seine Epoche als umfassendes Phänomen und an die breite Masse der Bevölkerung gerichtet fiktional gestalten und damit neben der individuellen Sicht der Augenzeu-gen oder den notwendig auf nur wenige Handlungsinhalte beschränkten Kinder-und Jugendbüchern eine globale Sicht der Dinge vermitteln. Es gibt offensichtlich einen Mangel an literarischen Talenten, die in der Lage wären, (auch komplizierte) historische Stoffe wissenschaftlich solide, leicht faßlich, volkstümlich und stilistisch einwandfrei darzustellen. Was Eckart Kehr bereits vor nahezu 50 Jahren festgestellt hat, daß nämlich die Geschichtswissenschaft jene „Geschichte, die außerhalb der Universitäten geschrieben wurde,... vollständig übersehen“ hat und daß „die Universitätshistoriker ... nicht den Mut zu einer volkstümlichen Darstellung besaßen“ gilt mutatis mutandis auch heute noch. Vielleicht kann das . Journal für Geschichte" hier einmal eine Lücke schließen, auch wenn die ersten Hefte diese Hoffnung noch nicht recht zu stützen vermögen
Es wäre an der Zeit, daß Universitätshistoriker und -didaktiker nicht länger ihre Aufgabe einzig und allein darin sehen, für andere Universitätshistoriker und -didaktiker (allenfalls noch für Geschichtslehrer) zu forschen und zu schreiben, sondern eine sinnvolle Aufgabe auch darin erblickten, ihre in vieler Hinsicht gesellschaftsrelevanten Forschungsergebnisse auch für die breite Masse zu übersetzen. Der emanzipatorische Anspruch der Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik sollte sich nicht darin erschöpfen, Studenten und ggf. Lehrer zu erfassen (so wichtig und notwendig dies natürlich ist). Forschung und Darstellung so zu vereinigen, daß auch der historisch interessierte Laie angesprochen wird und weitere, historisch noch nicht interessierte Schichten an „Geschichte" herangeführt werden müßte einer demokratischen Wissenschaft Verpflichtung und Auftrag zugleich sein.
Solange derartige Darstellungen fehlen und vorliegende populäre Geschichtsdarstellungen weder in stilistischer noch in wissenschaftlicher Hinsicht dem skizzierten Anspruch genügen, weil sie über die Köpfe der Masse potentieller Leser hinweggehen oder einer überholten Sicht der Geschichte verpflichtet sind (man könnte sie mit den Schlagworten antiquarisch, personalisierend, individualisierend und konservativ charakterisieren), solange stellt sich den Geschichtsdidaktikern im Vorfeld eigener Versuche noch die Aufgabe, derartige populäre Darstellungen zu sichten, in ihrer Wirkung auf die Ausbildung von Geschichtsbewußtsein und Geschichtsbild hin zu analysieren und Wege ihrer unterrichtlichen Verwendung in kritischer Absicht aufzuzeigen.
Auf welche Weise könnten etwa Landser-Hefte im Geschichtsunterricht verwendet werden? Zum einen ist es denkbar, sie im Verlauf einer Unterrichtseinheit „Nationalsozialismus“ einzusetzen, wenn die Teileinheit „Zweiter Weltkrieg" behandelt werden soll. Zum anderen können sie als heuristisches oder illustrierendes Material im Rahmen einer sozialkundlichen Unterrichtseinheit „Kriege“ herangezogen werden. In beiden Fällen soll es nicht darum gehen, Kriege als Abfolge von militärischen Aktionen auf verschiedenen Kriegsschauplätzen zu behandeln. Da Kriegsgeschichte immer auch Gesellschaftsgeschichte ist, müssen allgemeine, gegenwartsrelevante Gesichtspunkte im Zentrum des Unterrichtsgeschehens stehen. „Krieg" soll den Schülern nicht als ohnmächtig hinzunehmendes Phänomen oder als unausweichliches Verhängnis erscheinen, sondern als eine Form direkter Gewalt, die von Menschen praktiziert wurde und wird und daher auch von Menschen zu verantworten ist.
Eine Unterrichtseinheit „Kriege" könnte sich daher folgenden thematischen Gesichtspunkten zuwenden:
— Kriegsursachen bzw. Kriegsverursachung — Rechtfertigungen für den Krieg (aus der Sicht der Kombattanten bzw. aus nachträglicher Sicht)
— Individuelle, kollektive oder institutioneile Möglichkeiten der Kriegsverhinderung bzw. Kriegsabkürzung — Das Feinbild — Befehl und Gehorsam — Sinn des Krieges — Kriegsfolgen Neben den hier genannten Gesichtspunkten könnte eine Unterrichtsteileinheit „Zweiter Weltkrieg" sich folgenden weiteren Themen-komplexen zuwenden (auf eine Auflistung kriegsgeschichtlicher Einzelereignisse des Zweiten Weltkriegs wird hier verzichtet), die den affektiven Vergangenheitsbedürfnissen der Schüler entgegenkommen:
— Kriegsrealität an der Front, in der Etappe, in der Heimat — Einschätzung der Kriegslage, des Kriegs-verlaufs und der Kriegsfolgen — durch die Regierung bzw. die Wehrmachtsführung — durch Befehlshaber bzw. Frontoffiziere — durch einfache Soldaten an der Front — durch Personen in der Heimat — durch den Gegner Da beide Unterrichtseinheiten miteinander in engem Zusammenhang stehen bzw. aufeinander aufbauen, wäre von Fall zu Fall zu überlegen, ob nicht der unterrichtlichen Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg eine zunehmend allgemeinere Beschäftigung mit dem Krieg an sich folgen müßte. Damit könnte erreicht werden, daß die Schüler auch bei der Behandlung einzelner Kriege immer auch die gesellschaftlichen Ursachen und Folgen der Kriege begreifen lernen und zu der Einschätzung gelangen, daß „vergangene Kriege nicht einfach als unabwendbare Ereignisse, als angemessene Mittel der Politik oder als Läuterungsprozesse eines Volkes" zu interpretie-ren sind. Sie sollen vielmehr erkennen, daß Frieden machbar ist. Zu nahezu allen genannten Themenbereichen lassen sich unterrichtlich geeignete Passagen aus Landser-Heften finden. Sie können jeweils als . Einstieg'in den eigentlichen Sachzusammenhang dienen. Darüber hinaus wäre im Sinne kontrastierenden Lesens und Interpretierens ein Vergleich von Textpassagen aus Landser-Heften mit „seriösem" Material möglich, der nicht nur zu Sachinformationen über den Krieg, seine Folgen und seine heutige Einschätzung führen könnte, sondern die Schüler in die Lage versetzte, im Fortgang ihres Erkenntnisgewinns mögliche Defizite der Heftchendarstellung und die Bedenklichkeit mancher Formulierungen selber zu erkennen. Die Schüler werden so zu kritischem Medienkonsum angehalten und können mit der Zeit das gängige „Strickmuster" der Landser-Hefte von selbst durchschauen. Indem sie sich zudem über die eigenartige Sogwirkung der Kriegsdarstellung in Landser-Heftchen klar werden, werden sie mit Vergangenheitsbedürfnissen konfrontiert, die Aufschluß geben können über die affektive Disposition von Teilen der heutigen Jugend, deren Ursachen und gesellschaftlichen Implikationen. Ein Geschichtsunterricht, der diese literarischen Produkte nicht tabuisiert, sie vielmehr ernst nimmt, indem er sie in den Unterricht einbezieht, dokumentiert auch in dieser Hinsicht seine gesellschaftliche Relevanz