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Friedrich Wilhelm von Steuben — Soldat und Demokrat | APuZ 43/1980 | bpb.de

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APuZ 43/1980 Wahlkampf 1980 in den USA Die US-amerikanische Menschenrechtspolitik 1973-1977 Friedrich Wilhelm von Steuben — Soldat und Demokrat

Friedrich Wilhelm von Steuben — Soldat und Demokrat

Horst Ueberhorst

/ 16 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Wenige Deutsche, die nach Nordamerika kamen, haben die Geschicke dieses großen Landes mitbestimmen können. Zu denen, die sich um die amerikanische Demokratie verdient gemacht haben, gehört der am 17. 9. 1730 in Magdeburg geborene F. W. v. Steuben, weil er sie miterkämpfte und zu sichern versuchte. Zu den großen Leistungen v. Steubens gehört es, daß er aus den zerrütteten und von Auflösung bedrohten Truppen Washingtons, die in Valley Forge/Pennsylvania 1777/78 ihr Winterquartier gesucht hatten, in wenigen Monaten eine disziplinierte, manövrier-und kampffähige Armee machte, indem er ein einheitliches Exerzierreglement schuf. Auf Vorschlag Washingtons ernannte der Kongreß v. Steuben zum Generalinspekteur der Truppen der Vereinigten Staaten im Range eines General-majors, der verantwortlich war für die militärische Disziplin, Instruktion und Versorgung der Truppe. Aber nicht nur als „Exerziermeister“ hat sich von Steuben bewährt, sondern auch als Truppenführer. Maßgeblichen Anteil hatte er an der den Unabhängigkeitskrieg entscheidenden Kapitulation des englischen Expeditionskorps vor Yorktown 1781. Von großer Bedeutung für die Entwicklung eines am Muster der Schweizer Miliz orientierten Verteidigungssystems der USA sind ferner die von Steuben verfaßten Denkschriften. Sie zeigen einen militärisch weitblickenden General von staatsmännischem Format, der zu einem überzeugten Verfechter demokratischer Prinzipien wurde. In der Humanisierung der militärischen Ausbildung, in einem auf gegenseitigem Vertrauen zwischen Soldaten und Vorgesetzten gegründeten Führungsstil, in dem Willen, die junge Demokratie durch eine auf ein breites Milizsystem gestützte nationale Verteidigungsorganisation zu sichern und zu festigen, bekundet sich eine soldatisch-demokratische Grundhaltung, die er in der militärischen Erziehung der Offiziere tradiert wissen wollte. Hierin liegt seine historische Leistung.

Die Deutschamerikaner errichteten ihm, dem ehemaligen preußischen Offizier und späteren Generalinspekteur der amerikanischen Armee, dem Freund und Kampfgefährten Washingtons, am Rande des großen Exerzierfeldes von Valley Forge — heute eine nationale Gedenkstätte — 1915 ein Denkmal. Es sollte die historische Bedeutung von Steubens der Nachwelt ins Gedächtnis rufen. Zwei Jahre später traten die Vereinigten Staaten gegen das deutsche Kaiserreich in den Ersten Weltkrieg ein. Die damit entfesselte antideutsche Kampagne traf die Deutschamerikaner so tief in ihrem nationalen Selbstbewußtsein und stürzte sie in eine Identitätskrise, daß sie sich davon nie wieder erholten. Auch die Erinnerung an bedeutende Deutschamerikaner verblaßte. Um so wichtiger erscheint heute im Zeichen atlantischer Partnerschaft die historische Rückbesinnung auf den Anteil der Deutschen am Aufbau der amerikanischen Demokratie und insbesondere auf jenen Mann, der diese miterkämpfte und zu sichern versuchte. Seit den Forschungen von Kalkhorst und Palmer in den zwanziger und dreißiger Jahren wissen wir, daß der Eintritt von Steubens in die amerikanische Geschichte mythisch verbrämt worden ist Der am 17. September 1730 in Magdeburg geborene Friedrich Wilhelm Ludolf Gerhard Augustin von Steuben wurde wie sein Vater preußischer Offizier, schied aber, obwohl eine Zeitlang im „Generalstab" (Suite) Friedrich d. Gr., nach 17jähriger Dienstzeit (1746— 1763) am Ende des Siebenjährigen Krieges infolge drastischer Sparmaßnahmen als Hauptmann aus der friderizianischen Armee aus. Auf Empfehlung des Prinzen Heinrich von Preußen, einem Bruder des Königs, wurde von Steuben einige Jahre als „Hofmar-schall" in den Dienst des Prinzen von Hohen-

zollern-Hechingen übernommen. Der Verbindung zu einflußreichen Personen in Paris verdankt der 1777 verarmte und sich um ein neues Betätigungsfeld bemühende von Steuben seine Entsendung nach Amerika. Der amerikanische Gesandte in Paris, Benjamin Franklin, der französische Kriegsminister St. Germain und der bekannte Dichter Beaumarchais waren übereingekommen, dem amerikanischen Kongreß und George Washington, dem Oberbefehlshaber der Revolutionsarmee, die Übernahme von Steubens, von dessen militärischem Genius sie überzeugt waren, in die Continental Army zu empfehlen. Da aber von Steuben als Hauptmann trotz seiner großen militärischen Fähigkeiten niemals eine ihm angemessene Wirkungsmöglichkeit erhalten hätte, wurde er den Amerikanern als ehemaliger Generalleutnant Friedrichs d. Gr. vorgestellt. Ein solches Täuschungsmanöver, das auf einem Mythos, einer Fiktion aufgebaut war, erwies sich als psychologisch geschickt und außerordentlich erfolgreich. Es schuf, zumal der Nimbus des weltbekannten Preußenkönigs auf ihn ausstrahlte, jene günstige Disposition, auf der von Steuben seine Aktivitäten zum Wohle und zum Nutzen der um ihre Freiheit ringenden Nordamerikaner entfalten konnte.

Der Ruhm begleitete von Steuben von seiner Landung in Portsmouths/New Hampshire bis nach York/Pennsylvania, dem damaligen Sitz des Continental-Kongresses. So erfahren wir aus einer für den Präsidenten des Kongresses bestimmten Botschaft: „Dr. Franklin beschreibt in sehr entschiedenem Ton von den Fähigkeiten dieses Herrn ... Da der Baron 20 Jahre lang unter einem so großen Lehrmeister wie dem König von Preußen gedient hat, darf man wohl erwarten, daß er unserem Land wichtige Dienste leisten kann ..."

Als von Steuben am 23. Februar 1778 in Washingtons Winterquartier in Valley Forge eintraf, fand er dort eine hungernde und demoralisierte Truppe, in der sich die Desertionen häuften. Die Uniformen der Soldaten waren zerrissen, ihr Schuhwerk zerfetzt, die Waffen größtenteils verrostet und unbrauchbar. Dazu ein Augenzeuge: „Den in Valley Forge versammelten Truppen fehlte es an allem. Sie waren schlecht bewaffnet, noch schlechter ernährt und durch Krankheit an ihre Hütten gefesselt. Dazu kam der Mangel an Kleidung und die Strenge des Winters. Der Baron erklärte später oft, daß eine europäische Armee unter solch furchtbaren Entbehrungen nicht hätte zusammengehalten werden können. Was muß er empfunden haben, als er mit General Washington durch die Quartiere ging, als er die armseligen, halbnackten, nur in schmutzige Decken gehüllten Gestalten sah, kaum geschützt hinter den halb verschlossenen Türen und offenen Fenstern ihrer Hütten. Auf Schritt und Tritt hörte man ihr verzweifeltes Stöhnen, keine Bezahlung, kein Proviant, keine Kleidung."

Hatten verlustreiche und unglücklich verlaufene Schlachten vor Winteranbruch zur Aufgabe der Hauptstadt Philadelphia geführt, so wurde die ca. 11 000 Mann umfassende Armee, die im nahegelegenen Valley Forge/Pennsylvania Zuflucht gesucht hatte, nun durch Hunger, Kälte und Seuchen weiter dezimiert. über 3 000 Soldaten starben an Typhus, Ruhr, Blattern und Tuberkulose als Folge von Unterernährung und Bekleidungsmangel. Washington hatte im Januar dem Kongreß mitgeteilt, er befürchte die Vernichtung der Armee. Daß diese Armee dennoch in ihrem Kampf ums überleben sich behauptete und ihre Durchhaltekraft bewies, gehört zu den großen Leistungen in der amerikanischen Geschichte.

Washington faßte sofort großes Vertrauen zu von Steuben, der ihm geschrieben hatte, sein höchstes Ziel sei, Amerika mit allen Kräften zu dienen und am Freiheitskampf als „Volunteer“ teilzunehmen. Steuben erkannte sogleich, daß der Hauptgrund für die Mißstände bei der Truppe das Fehlen jeglicher Einheitlichkeit, jeder Ordnung und Disziplin war, daß aber die Opferbereitschaft und Hingabe des amerikanischen Soldaten an die Sache der Freiheit eine starke moralische Kraft war, mit der auch größte Schwierigkeiten überwunden werden konnten.

Drei Tage nach dem Eintreffen von Steubens in Valley Forge schrieb Washington an den Präsidenten des Kongresses, Steuben sei ein weltoffener Gentleman mit großem militärischem Wissen; wenig später beauftragte er ihn mit der Ausbildung der Truppen. Diese Aufgabe erwies sich als außerordentlich schwer, denn es gab weder eine Heeresdienstvorschrift für die aus Miliz-und Freiwilligen-einheiten bestehende Continental Army noch feste Einheiten, denn „Kompanien", „Regimenter", „Brigaden“ waren nur fiktive Größen, ohne militärischen Wert, da Dienstverpflichtungen nur für sechs bis neun Monate bestanden und es somit eine starke Fluktuation gab. Ein weiteres Erschwernis war, daß von Steuben kein Englisch sprach und sich zweier Dolmetscher bedienen mußte. Entgegen bisherigen Gepflogenheiten, wonach die Offiziere die Truppen ausbildung untergeordneten Dienstgrade; überließen, wandte sich von Steuben unmittelbar dem einzelnen Soldaten zu. Er stellte Gruppen von zehn bis zwölf Mann zusammen die er vom Morgengrauen an so intensiv ausbildete, daß diese nach drei Wochen die Grundausbildung beherrschten und im Umgang mit der Waffe geschult waren. Aus diesen Gruppen bildete er dann eine „Musterkompanie". Da aus jeder Einheit der Armee zur Ausbildung bestimmte Männer an den täglichen Exerzierübungen als Beobachter teilnahmen, war die Gewähr gegeben, daß diese das in der Grundausbildung Erlernte unmittelbar auf ihre eigene Einheit übertrugen. Zur Intensivierung einer einheitlichen Ausbildung schrieb von Steuben in den Abendstunden die einzelnen Reglements ins Französische, die dann von seinen Adjutanten übersetzt und vervielfältigt wurden, so daß alle Ausbilder in der Armee sie am folgenden Tag handgeschrieben vorliegen hatten.

Obwohl die Ausbildung sich stark an das Exerzierreglement der preußischen Armee anlehnte, war sie doch auf die Bedürfnisse einer demokratischen Armee zugeschnitten. Die Übungen wurden auf die notwendigsten Formen reduziert, überflüssige Griffe vermieden, die Ausbilder angehalten, die Soldaten nicht zu beschimpfen, sondern Geduld und Mäßigung bei der Ausbildung zu üben. Die Mentalität des amerikanischen Soldaten sei anders als die des preußischen, österreichischen oder französischen, resümierte er. In Europa werde dem Soldaten vorgeschrieben, was er zu tun habe, in Amerika müsse ihm erklärt und begründet werden, warum er es so zu machen habe. Sein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit zeigte sich, als er sich bei einem jungen Offizier, den er wegen vermeintlicher Dienst-vergehen arrestieren ließ, die im Ernstfall der Truppe schweren Schaden zugefügt hätten, vor versammelter Mannschaft entschuldigte, als sich der Irrtum aufklärte. Da die Männerso Vertrauen zu von Steuben fanden, den sie wegen seiner militärischen Kenntnisse, seines unermüdlichen Einsatzes und seines Gerechtigkeitsgefühls verehrten, besserte sich der Zustand der Truppe langsam, aber beständig Washington beauftragte von Steuben ferner mit der Aufstellung eines aus ausgewählten Soldaten bestehenden Elitekorps („leichte Infanterie“), das wegen seiner schnellen Beweglichkeit an Brennpunkten des Kampfes eingesetzt, aber auch — in Anwendung bekannter Indianertaktik — aus dem Hinterhalt und in aufgelockerter Formation operieren konnte. Auch diese Einheit wurde — wie die gesamte Armee — erstmals im Bajonettkampf geschult. Als im April 1778 die Nachricht eintraf, Frankreich habe den USA weitere Hilfe und die Entsendung eines Expeditionskorps zugesagt, ließ Washington dies mit einer großen Truppenparade feiern, die von Steuben vorbereitete und leitete, über den Zustand der Truppe, ihr neu-gewonnenes Selbstbewußtsein und die Exaktheit beim Ausführen von Befehlen während des Manövrierens war Washington so erfreut, daß er dies in der „general Order" der Armee mitteilte und sich öffentlich bei von Steuben bedankte. Erstmals war es nun möglich, in geschlossenen Formationen und nicht mehr in weit auseinandergezogenen Linien vor dem Feind zu operieren. Auf Vorschlag Washingtons ernannte der Kongreß von Steuben zum Generalinspekteur der Truppen der Vereinigten Staaten im Range eines Generalmajors, der verantwortlich war für die militärische Disziplin, Instruktion und Versorgung der Truppe (Inspector General with the overall responsibility for military discipline, instruction and supply). Wenige Wochen später, am 28. Juni 1778, stieß die Armee bei Monmouth/New Jersey erstmals wieder auf feindliche Streitkräfte und zeigte — nicht zuletzt unter von Steubens persönlicher Führung — ihre neugewonnene Standhaftigkeit. Wenn Monmouth somit einen Wendepunkt in der Geschichte des Revolutionskrieges bedeutet, so wurden die Voraussetzungen dazu in Valley Forge geschaffen. Was sich hier in wenigen Monaten vollzogen hatte, war die Transformation einer sich in einem chaotischen Zustand befindlichen Truppe in eine disziplinierte, manövrier-und kampffähige Armee.

Auf der Grundlage der von ihm in den Wintermonaten erarbeiteten Richtlinien schuf von Steuben ein einheitliches Exerzierreglement für die amerikanische Armee: „The Regulations for the Order and Discipline of the Troops ofthe UnitedStates", wegen des blauen Einbandes allgemein „The Blue Book“ genannt. Es enthält alle wichtigen Ausbildungsvorschriften für Soldaten und Offiziere von der Grundausbildung, der Handhabung der Waffe bis zum Manövrieren.

Preußische Militärtradition ist in diesem Buch unverkennbar, wenn von Steuben größten Wert auf die Einhaltung der Marschrichtung und den Abstand zwischen den Peletons und den Bataillonen legt, die in strenger Ordnung unter Einhaltung des Gleichschritts linear vorrücken und den Durchbruch durch die feindliche Stellung erzwingen sollen; aber es ist mit dem Appell an die Sorgepflicht und die Verantwortung der Offiziere ihren Untergebenen gegenüber eine eindeutige Absage an das militärische Denken im Europa des 18. Jahrhunderts, demzufolge der Soldat unter Brechung seiner Individualität brutal zu einer funktionierenden Maschine zugerichtet werden sollte. Denn in diesen „Regulations" findet sich die verpflichtende Devise: Ein Hauptmann hat kein höheres Ziel zu kennen als das Wohl der ihm vom Staat anvertrauten Männer; deren Vertrauen zu haben, sei größter Lohn für hingebungsvolle Arbeit. Das könne nur erreicht werden durch menschenwürdige Behandlung der Soldaten. Washington empfahl die offizielle Anerkennung der „Regulations“ als Heeresdienstvorschrift für die Armee. Der Kongreß billigte sie. Nach North, dem Adjutanten von Steubens und späterem amerikanischen General, hat sich damals in den USA neben der Bibel kein Buch größerer Wertschätzung erfreut als Steubens „Blue Book“. Der Steuben-Biograph Palmer nennt es sogar eines der wichtigsten Bücher in der amerikanischen Geschichte, dessen Wirkung sich keineswegs auf den militärischen Bereich beschränkt hätte. Es habe eine wesentliche Voraussetzung für eine sich aus den Kontingenten von 13 Einzelstaaten zusammensetzende einheitliche Armee geschaffen und damit ein „Modell“ für die künftige politische Union abgegeben.

Als Generalinspekteur schulte und besichtigte Steuben auch 1778/79 regelmäßig Armee-Einheiten. Von einer siebenstündigen Regimentsinspektion erfahren wir, daß er die Ausrüstung jedes Soldaten prüfte, über verlorengegangene Gegenstände mußte Rechenschaft abgelegt werden. Ferner erkundigte er sich nach dem Wohlbefinden der Soldaten, ließ sich von den Sanitätern und Ärzten über den Zustand Erkrankter unterrichten, sorgte sich um die Verpflegung, begleitete marschierende Einheiten zu Gefechtsübungen. „Subinspectors“ wurden für alle Truppenteile eingesetzt, die von Steuben für die Durchführung der von ihm verordneten Maßnahmen verantwortlich waren. Damit wurde die Grundlage für eine einheitliche Armee-Administration geschaffen. Der ihm nahestehende Oberst Scammell schrieb damals, von Steuben beherrsche militärisch alles, vom einfachen Exerzieren bis zum Manövrieren größerer Truppen. Er bestätigt damit, daß von Steuben als militärischer Fachmann in der Armee allgemein anerkannt wurde. Nur so ist es auch zu verstehen, daß Washington ihn im Winter 1779/80 beauf-tragte, in seinem Namen Verhandlungen mit dem Kongreß bezüglich einer Reorganisation der Armee zu führen.

Aber nicht nur als „Exerziermeister" hat sich von Steuben bewährt, sondern auch als Truppenführer. Um die im Süden operierenden Truppen zu verstärken, beauftragte ihn Washington 1780 mit der Aufstellung von neuen Armee-Einheiten in Virginia. Wenn von Steuben auch nicht den von der Seeseite kommenden Angriff englischer Truppen verhindern konnte, so doch ein den Bestand des Staates Virginia gefährdendes weiteres Vordringen. Vergeblich hatte er Gouverneur Thomas Jefferson vor einer Invasion gewarnt. Da Jefferson aber aufgrund seiner demokratischen Prinzipien einer starken militärischen Kommandogewalt mißtraute und auch die Legislativorgane Virginias einem freien Operieren bzw. einer Entsendung ihrer Truppen außerhalb des Landes nicht zustimmten, war von Steubens Aktionskreis begrenzt. Seine gesamtstaatliche Verteidigungspolitik stand über den Kriegszielen Virginias. Daher blieb er zum großen Ärger der Repräsentanten Virginias kompromißlos, was zur Zerstörung vieler Vorräte durch die Briten führte, so daß der Sprecher des Abgeordnetenhauses von Virginia erklärte, von Steuben sei zwar ein guter Offizier auf dem Exerzierplatz, aber ein schlechter in der amerikanischen Armee.

Bedeutender als seine militärische Leistung in Virginia war sein Anteil an der Kapitulation des englischen Expeditionskorps unter Lord Cornwallis vor Yorktown im Oktober 1781. Da von Steuben der einzige Offizier war, der Erfahrungen im Bau von Befestigungen und in der Belagerungstechnik hatte (Prag, Schweidnitz, Bunzelwitz), schätzte Washington seinen Rat. Die von Steuben als Divisionskommandeur befehligten Truppen — sie bestanden größtenteils aus Deutschamerikanern, denen in englischen Diensten stehende hessische Truppen gegenüberstanden — hatten die vordersten Gräben der Belagerten erkämpft, als Cornwallis die Kapitulation anbot. In seinem „Tagesbefehl''erwähnt Washington den großen Anteil von Steubens an der den weiteren Verlauf des Krieges entscheidenden Kapitulation der Cornwallis-Armee. Ein historisches Gemälde, das die Übergabe festhält, zeigt von Steuben mit zwei anderen Generalen hinter Washington.

Weniger bekannt, aber darum nicht weniger bedeutend, sind die Denkschriften, die von Steuben verfaßte. Sie zeigen einen militärisch weitblickenden General von staatsmännischem Format, für den sich jede Einengung au den „Exerziermeister''verbietet. Die erste im Auftrag Washingtons verfaßte Schrift enthält die Konzeption eines nationalen Verteidigungssystems, das weitgehend am Muster der Schweizer Miliz orientiert ist. Danach schlägt von Steuben den Aufbau von drei Militärdepartements vor: den Norden mit den Neu.

england-Staaten, die Mitte mit New Jersey, Pennsylvania, Delaware und Maryland, den Süden mit Virginia, South-und North Carolina und Georgia. In jedem dieser Militärbezirke sollte eine Militärakademie errichtet werden, um eine begrenzte Zahl von hochqualifizierten Offizieren heranzubilden. Außer den für die Aufrechterhaltung der militärischen Administration und Instruktion notwendigen Berufssoldaten sollte die Armee aus einer Miliz bestehen, in der die 18-bis 50jähri gen dienten. Für die jüngeren Jahrgänge waren jährlich monatliche Ausbildungslehr-gänge vorgesehen, die in Ausbildungslagern von ca. 3 000 Mann kooperativ, d. h. von allen Waffengattungen (Infanterie, Kavallerie, Artillerie, Pioniere) gemeinsam durchgeführt werden sollten. Die vorgesehene Milizstärke von 25 000 bis 30 000 Mann würde in Relation zur heutigen Bevölkerungszahl ca. 2, 5 Millionen entsprechen. Zum Schutz der offenen Grenzen empfahl von Steuben die Errichtung einer Kette kleiner Forts und Ausbildungslagerund den Aufbau einer Flotte zur Sicherung des freien Handels. Die Bildung der Nationalgarde und der Aufbau von „Corps Areas" 150 Jahre später entsprachen weitgehend dieser Konzeption. Steubens Plan zur Errichtung einer Militärakademie wurde 1802 unter der Jefferson-Administration verwirklicht, als die US Military Academy in West Point gegründet wurde. Der Unterricht in Geschichte, Geographie, Mathematik, Internationalem Recht, Literaturge schichte/Rhetorik sollte in den Händen von akademischen Fachkräften, fünf Professoren, liegen, von denen zwei dem Leitungsorgan der Akademie angehören sollten; für den Unterricht in Französisch, Zeichnen/Kunst, Philosophie, Musik, Reiten, Fechten und Tanzen waren sieben „Master of Arts''vorgesehen. Nach von Steubens Vorstellungen sollte der Offizier also eine breite Ausbildung in den Humanwissenschaften erhalten und erst auf der Grundlage relativ umfassender Kenntnisse in den wichtigsten Wissenschaftsgebieten eine militärische Spezialausbildung erfolgen. Für von Steuben war dies offenbar eine wichtige Vor aussetzung für die Menschenführung in einer demokratischen Armee. Hervorzuheben is ferner, daß der Wert der körperlichen Ausbildung neben der intellektuellen Schulung und charakterlichen Erziehung von ihm als bedeutsam anerkannt wurde. Das siebenköpfige Leitungsorgan — fünf Offiziere, zwei Professoren —, mit einem „director general" an der Spitze, sollte vom Kongreß ernannt werden. Sind in der Steubenschen Konzeption auch Parallelen zur preußischen Kadettenanstalt erkennbar, so unterscheidet sich die amerikanische Militärakademie durch ihre demokratische Komponente doch wesentlich von der preußischen Erziehungsstätte.

Washington vertraute von Steuben im August 1783 eine ehrenvolle diplomatische Mission an. Er sollte die Übergabe britischer Grenzposten im Norden (Canada) entgegennehmen. Die Übergabe kam aber nicht zustande, da der britische Befehlshaber keine Vollmachten dazu hatte.

Als 1784 die Stelle des Kriegsministers frei wurde, bewarb sich von Steuben darum, doch wurde dies, da man ihn immer noch als . Ausländer", „foreigner", ansah, ebenso vom Kongreß abgelehnt wie ein von Washington empfohlenes hohes Kommando zum Schutze der von Indianern bedrohten Westgebiete. Bereits 1779 war von Steuben bei der angestrebten Übernahme eines Truppenkommandos über das Mißtrauen der „Amerikaner" dem „Europäer" gegenüber so verbittert, daß er seinen Abschied einreichen wollte. Washington konnte ihn schließlich von der höheren Notwendigkeit der weiteren Ausführung des für die Ordnung in der gesamten Armee so wichtigen Amtes eines Generalinspekteurs überzeugen. Es spricht für von Steubens Charakterstärke, für seine moralische Haltung und seine Bindung an Washington, daß er sich den höheren Pflichten unterordnete und zum Nutzen der Armee in seinem Amte blieb.

Vertrauensbeweise, Ehrungen und Auszeichnungen wurden ihm mit dem späteren Ausscheiden aus dem Dienst zuteil. Als 1786 die Einheit der Union gefährdet war, baten ihn einflußreiche Männer, sich vertraulich beim Prinzen Heinrich zu erkundigen, ob dieser interessiert sei, Regent der Vereinigten Staaten zu werden. Es war das Jahr, in dem zwischen Preußen und den USA ein Freundschafts-und Handelsvertrag abgeschlossen wurde. In seinem Antwortschreiben an von Steuben winkt der Prinz höflich ab.

Steuben gehörte zu den Gründern des „Ordens yon Cincinnati“, einer patriotischen Gesellschaft, benannt nach dem römischen General f-ucius Quintius Cincinnatus, der in der Stunde der Not seinen Hof verließ, die Armee Roms zum Siege führte und dann wieder das Schwert mit der Pflugschar tauschte. Washington wurde ihr erster Präsident. Die Deutsche Gesellschaft New Yorks, gegründet zur Hilfe für notleidende deutsche Einwanderer, wählte von Steuben zu ihrem Vorsitzenden, die Universität New York zu einem ihrer Vorstandsmitglieder. Der Kongreß verlieh ihm ein vergoldetes Schwert, in das die Worte eingraviert waren: „The United States to Major General Baron von Steuben, 15th April 1784, for Military Merits." Das letzte Schreiben Washingtons vor dessen Ausscheiden aus dem Amt als Oberbefehlshaber der Continental Army war an Steuben gerichtet. Als wichtiges historisches Dokument, das die freundschaftlichen Bindungen beider Männer widerspiegelt, soll es hier in eigener Übersetzung ungekürzt wiedergegeben werden:

Annapolis, d. 23. 12. 1783 „Mein lieber Baron!

Obwohl ich schon häufig — dienstlich und privat — die Gelegenheit ergriffen habe, Ihnen meine Anerkennung für die große Hingabe sowie des Geschicks in der Ausübung Ihres Amtes auszusprechen, habe ich doch den Wunsch, als meine letzte Amtshandlung Ihnen mit den tiefsten Worten des Dankes meine höchste Wertschätzung Ihrer Leistungen zum Ausdruck zu bringen und Ihnen zu sagen, wie sehr unser Volk Ihnen für Ihre wertvollen und treuen Dienste zu Dank verpflichtet ist.

Bitte, lieber Baron, seien Sie überzeugt, daß, wenn es in meiner Macht gestanden hätte, Ihnen mit mehr als mit Worten der Hochachtung und Zuneigung zu danken, ich mich sehr glücklich schätzen würde. Dennoch: Ich bin sicher, daß Sie dieser Abschiedsbrief, mit dem ich Sie meiner Freundschaft und Wertschätzung versichere, ein wenig erfreuen wird.

Dies ist der letzte Brief, den ich, solange ich noch im Staatsdienst stehe, schreibe. Die Stunde meines Ausscheidens ist auf heute 12 Uhr festgesetzt. Danach werde ich als Privatmann an den Ufern des Potomacs leben. Ich würde mich glücklich schätzen, Sie dort zu umarmen und Ihnen meine große Hochachtung und Wertschätzung bezeugen zu dürfen.

Ihr Ihnen, mein lieber Baron, sehr ergebener George Washington" Wegen der Originalität, seines trockenen Humors, seines Charmes und seiner gewinnenden Liebenswürdigkeit war von Steuben ein gern gesehener Gast in höheren Kreisen der amerikanischen Gesellschaft. Aber bei aller Großzügigkeit, die soweit ging, daß er wiederholt in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet — „Mein Herz war immer größer als mein Geldbeutel, und das hat mich oft in finanzielle Bedrängnis gebracht", schrieb er einmal an einen Freund —, bei allem Menschlich-Allzu-menschlichen war er doch prinzipienfest und kompromißlos, wenn es um Fragen von gerechter und menschenwürdiger Behandlung ging. So nahm er öffentlich für die unterdrückten Bauern in Massachussetts Stellung und kritisierte die Regierung, als diese die Bauern-unruhen, verursacht durch Ausbeutung und parteiische Rechtsprechung, mit Truppengewalt unterdrücken wollte. Dadurch schuf er sich Feinde, die seine militärischen Leistungen herabzusetzen versuchten.

Steuben war nicht der einzige deutschamerikanische General, der am amerikanischen Freiheitskampf teilnahm. Herkeimer und von Kalb ließen in diesem Kampf ihr Leben, Mühlenberg, der als Pfarrer die berühmt gewordenen Sätze gesprochen haben soll: „Everything has its season, there is a time to preach and a time to fight — and that has come now" tauschte die Predigerrobe mit der Uniform, als er von der Kanzel stieg. Er befehligte später das „Deutsche Regiment", das sich in mehreren Schlachten und bei der Belagerung Yorktowns hervortat. Nach dem Krieg war er wiederholt Kongreßabgeordneter und zuletzt Senator von Pennsylvania. Aber so bedeutend deren Wirken und das anderer deutschstämmiger Offiziere auch gewesen sein mag, mit der historischen Leistung von Steubens und dessen Ausstrahlung auf die amerikanische Gesellschaft ist es nicht zu vergleichen.

Edward Livingston, ein Waffengefährte von Steubens, sprach aus, was offenbar viele damals dachten. „Steuben ist der Schöpfer unserer Armee, die er aus chaotischer Unordnung neu aufgebaut hat. Damit hat er ihren späteren Ruhm begründet." Zurückhaltender äußerte sich später der Washington-Biograph D. S. Freeman, der schreibt: „Wenn Washington mit Recht als der Vater der amerikanischen Armee verehrt wird, so war von Steuben ihr erster Lehrmeister.“

Es kann nach den Selbstzeugnissen von Steubens und den zeitgenössischen Urteilen über ihn kaum ein Zweifel daran bestehen, daß für den ehemaligen, im harten Dienst des monarchischen Obrigkeitsstaates herangebildeten preußischen Offizier die Vereinigten Staaten von Nordamerika zur Heimat wurden und sich in ihm ein Wandel vollzog, der ihn zu einem überzeugten Verfechter demokratischer Prinzipien machte. „Was ist das für ein fortschrittlich-glückliches Land", schrieb er einst an einen deutschen Freund, „ohne Könige, ohne hohen Klerus, ohne blutsaugende Pächter, ohne faule Großgrundbesitzer ... Gerne bin ich bereit, für eine Nation zu sterben, die mich so mit ihrem Vertrauen ehrte."

In der Humanisierung der militärischen Ausbildung, in einem auf gegenseitigem Vertrauen zwischen Soldaten und Vorgesetzten gegründeten Führungsstil, in dem Willen, die junge Demokratie durch eine auf ein breites Milizsystem gestützte nationale Verteidigungsorganisation zu sichern und zu festigen, zeigt sich eine soldatisch-demokratische Grundhaltung, die er in der militärischen Erziehung der Offiziere tradiert wissen wollte. Dies sollte über die traditionellen Steubenparaden hinaus für Deutsche wie Amerikaner Anlaß sein, des Mannes zu gedenken, der so großen Anteil am Aufbau der amerikanischen Demokratie hatte.

Fussnoten

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Horst Ueberhorst, Dr. phil., geb. 1925 in Bochum; Studium der Philologie mit den Fächern: Leibeserziehung, Geschichte, Germanistik; 1965 mit dem Aufbau und der Leitung des Instituts für Leibesübungen der Ruhr-Universität Bochum beauftragt, 1967 Ernennung zum Institutsdirektor; seit 1970 o. Prof, an der Ruhr-Universität Bochum; 1974 Gastprofessor in Armherst/Massachusetts; Mitglied der Internationalen Olympischen Akademie und der American Academy of Physical Education. Veröffentlichungen u. a.: Von Athen bis München. Die modernen Olympischen Spiele, Berlin 1 9722; Zurück zu Jahn? Gab es kein besseres Vorwärts?, Bochum 1969; Elite für die Diktatur. Die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten 1933 bis 1945, Düsseldorf 1969; Frisch, Frei, Stark und Treu. Die Arbeitersportbewegung in Deutschland 1893— 1933, Düsseldorf 1973; Edmund Neuendorff — Turnführer ins Dritte Reich, Berlin 1970; Carl Krümmel und die nationalsozialistische Leibeserziehung, Berlin 1976; Turner unterm Sternenbanner. Der Kampf der deutsch-amerikanischen Turner für Einheit, Freiheit und soziale Gerechtigkeit (1848— 1918), München 1979; Geschichte der Leibesübungen, 5 Bände, Berlin 1972— 1980.