Gekürzte Fassung eines Beitrags für den Arbeitskreis Politikwissenschaft in der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien zum Wissenschaftlichen Kongreß der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft in Augsburg am 6. /7. Oktober 1979
Die amerikanische Menschenrechtspolitik repräsentiert einen neuen Versuch amerikanischer Weltordnungspolitik (world order-policy). Sie hat die in der Phase der Entspannungspolitik geübte Praxis realpolitischer Annäherung von Staaten mit unterschiedlichen ideologischen Systemen einer gewissen Irritation ausgesetzt. Es stellt sich die Frage, ob diese Politik eine Abkehr von der Entspannung, ob sie möglicherweise die Fortsetzung der Entspannung mit anderen Mitteln oder ob sie eine neuartige Politik mit idealistischer Prägung darstellt.
Im folgenden wird die neuere amerikanische Menschenrechtspolitik bis zum Jahre 1977 einschließlich untersucht. Das Jahr 1977 stellt einen Höhepunkt der gegenwärtigen Menschenrechtspolitik in den USA dar. Die Analyse über 1977 hinauszuführen, stößt auf Schwierigkeiten, da eine hinreichende Dichte zeitnaher Quellen und Materialien, die über die Ebene der Absichtserklärungen der offiziellen Regierungsdokumente hinausgelangen, erst nach einigem zeitlichen Abstand zu erreichen ist. Nach Abschluß der in diesen Tagen beginnenden zweiten KSZE-Nachfolge-konferenz in Madrid, die sicherlich wieder die Verwirklichung der Menschenrechte in den an der Konferenz beteiligten 35 Staaten thematisieren wird, beabsichtige ich, die Analyse der amerikanischen Menschenrechtspolitik bis in die Gegenwart hinein zu verlängern.
I. Die Menschenrechtspolitik der USA vor dem Vietnam-Krieg
Mit der Gründung der Vereinten Nationen und der Verabschiedung der Charta der UN im Jahre 1946 wurden durch die Art. 55 und 56 die Menschenrechte international für verbindlich erklärt. Nach Art. 56 der Charta der UN ist jede Nation verpflichtet, die Menschenrechte innerhalb ihrer eigenen Grenzen zu beachten und deren Befolgung zu garantieren. Diese Festlegung schafft seither einen eigenartigen Spannungsbezug zum Problem des Interventionsverbots, das die Charta der UN in Art. 2/7 ebenfalls enthält, sowie zur Frage der Souveränität. Diese wiederum wurde bereits seit dem Kellog-Briand-Pakt durch das Gewaltverbot im Verkehr zwischen Staaten problematisiert -Indem den Staaten die „Legitimation" — nicht die faktische Entscheidungshoheit — zur Führung von Angriffskriegen entzogen wurde und damit nur noch Verteidigungskriege zu legitimieren sind, wurde die Souveränität, wie sie noch im 19. Jahrhundert galt, eine ihrer Grundlagen beraubt. Fortan war es zulässig, Staaten auf die Verletzung dieser neuen Völkerrechtsregel zu verweisen und mit Sanktionen gegen Aggressoren vorzugehen, und sei es nur dadurch, daß die Weltöffentlichkeit zur Verurteilung des „Aggressors" aufgefordert wird.
Diese Beeinträchtigung des bisher geltenden Souveränitätsbegriffs hatte eine weitere Problematisierung staatlicher Souveränität zur Folge, weil in dem Moment, in dem staatliche Souveränität nicht mehr absolut galt, die Frage auftauchen mußte, wer der potentielle Gewinner dieses tendenziellen Legitimationsverfalls staatlicher Souveränität sei. Seit der Aufklärung stand die Antwort fest: Neben dem Staat konnte legitimerweise keine tradi-tionale Vergesellschaftungsform sich mehr halten, sondern nur noch der Mensch in seinem Recht auf Individualität
Von daher war es nur noch eine Frage der Zeit, bis im Völkerrechtsdenken neben die Le-gitimation der eingeschränkten staatlichen Souveränität die Legitimation des Einzelmenschen trat; und heute ist es unbestritten, daß staatliche Souveränität legitimatorisch nur noch durch diese Doppelung zu leisten ist; Erst wenn die Attribute staatlicher Existenz mit der Anerkennung der Menschenrechte verbunden werden, dann ist im modernen Sinne Souveränität gerechtfertigt. Da es bisher aber immer noch Menschenrechtsverletzungen durch alle Staaten gibt, ist seitdem eine Form von kritischer „Einmischung" in innerstaatliche Angelegenheiten von Seiten anderer (Staaten oder gesellschaftlicher Gruppen) nicht mehr zu verhindern, und da der Interventionsbegriff des Völkerrechts von dieser Form der Minimaleinmischung noch nicht geschieden ist, d. h. da noch keine Trennung zwischen erlaubter „Einmischung" und Intervention völkerrechtlich existiert liegt hierin ein gravierender Streitpunkt in der gegenwärtigen Auseinandersetzung zwischen Ost und West oder konkreter: zwischen den USA und der UdSSR
Die Problematik ist dann relativ irrelevant, wenn die Staaten keine aktive Menschenrechtspolitik betreiben. Dies war weitgehend in den 50er und 60er Jahren dieses Jahrhunderts der Fall. Nach der Verabschiedung der „Menschenrechtsdeklaration" durch die UN im Jahre 1948, in der alle auch heute noch geltenden Elemente von Menschenrechten grundsätzlich verankert wurden und später in der UN-Gesetzgebung noch weiter aufgefaltet, präzisiert und in geltendes Recht transformiert werden sollten, wurde die Praktizie-rung als eine ausschließlich innerstaatliche Angelegenheit angesehen. Die amerikanische Außenpolitik konnte daraus die Strategie ableiten, zwar die eigenen Interessen zu verfolgen, nicht jedoch in andere Staatsformen oder gesellschaftliche Verhältnisse einzugreifen, solange diese die Verfolgung amerikanischer
Politik und amerikanischen Wirtschaftsinteresses nicht behinderten. Die Interventionen, zu denen sich die USA in den 50er und 60er Jahren, insbesondere in Lateinamerika, aber auch anderswo, herausgefordert fühlten, standen im Zeichen dieser innerstaatlich zu verstehenden Interessenpolitik der USA, waren aber von keinem Sendungsbewußtsein getragen. Obwohl diese Politik der antikommunistischen Ideologie verpflichtet war und im Kontext der Totalitarismustheorien die Welt in gute (demokratische) und in schlechte (kommunistische) Staaten aufteilte war es nicht Absicht dieser Politik — im Unterschied zum Kreuzzug gegen Japan und Deutschland während des Zweiten Weltkrieges —, demokratische Regierungsformen zu exportieren. Solange der Antikommunismus ausreichte, um die Interventionspolitik zu legitimieren, war es auch nicht nötig, zur Menschenrechts-norm als einem neuen Legitimationsmuster zu greifen. Erst als der Maßstab des Antikommunismus tendenziell seine Meßqualität verlor, trat die Menschenrechtsregel gleichsam als funktionales Äquivalent an dessen Stelle. Es wäre allerdings irreführend zu verkennen, daß die Menschenrechtsnorm noch eine ganz andere Funktion erfüllt und eine nicht unwichtige Eigenständigkeit besitzt, d. h. nicht nur ideologiekritisch aufzulösen ist. Sie besitzt zudem für die Innenpolitik der USA vielleicht eine noch entscheidendere Bedeutung als für die Außenpolitik.
Mit dem Ende des Kalten Krieges wurde eine zusätzliche bzw. neue Legitimation nötig, wollten die Vereinigten Staaten weiterhin eine aktive, auf „Einmischung" nicht verzichtende Außenpolitik beibehalten. Was hätte näher gelegen, als bestimmte Elemente der eigenen Verfassung und der gesellschaftlichen Tradition nach außen zu wenden? Dem standen aber lange verschiedene Hindernisse entgegen, die bedingten, daß die USA bis heute eine der schlechtesten Leistungsbilanzen von allen Staaten hinsichtlich der Ratifizierung von in den UN verabschiedeten Erklärungen und Gesetzen zur Menschenrechtsproblematik haben. Bereits in der Begründung, die John Foster Dulles 1953 einem Senatskomitee anläßlich des Verzichts auf die Unterzeichnung der „UN-Konvention über die politischen Rechte der Frauen" gab, sind die immer wiederkehrenden Argumente der ablehnenden US-Menschenrechtspolitik enthalten:
„Diese Regierung beabsichtigt nicht, die Konvention über die politischen Rechte der Frauen zu unterzeichnen. Dies bedeutet nicht, daß wir nicht an die politische Gleichheit von Mann und Frau glauben oder daß wir nicht versuchen würden, diese Gleichheit zu fördern; vielmehr ist es so, daß wir nicht an die Durchsetzung dieses Zieles mit den Mitteln des völkerrechtlichen Vertragszwanges glauben. Wir glauben auch nicht, daß dies ein geeignetes Feld für die Ausübung von Vertrags-regelung ist. Wir sehen im gegenwärtigen Zeitpunkt auch keine klare oder notwendige Relation zwischen den Interessen und den Vorteilen der USA einerseits und etwa dem passiven Wahlrecht der Frauen in anderen Nationen andererseits. Eine gleiche Zurückhaltung wird auch unser Verhalten in anderen Bereichen, die von einigen als Gebiete der Gestaltung durch multilaterales Vertragsrecht angesehen werden, bestimmen."
Maßstab der US-Außenpolitik ist hiernach einzig und allein das (innere) Interesse der USA; und da die Frage, inwiefern die Durchsetzung der Menschenrechte in anderen Ländern dieses Eigeninteresse tangiert, nicht positiv beantwortet werden kann, entfällt das politische Interesse.
Im Jahre 1963 leitete Präsident Kennedy diese und andere Konventionen der UN dem Senat mit der Bitte um Ratifizierung zu. Die Begründung war nun: w.. die Tatsache, daß unsere Verfassung uns bereits diese Rechte garantiert, darf nicht dazu führen, uns gegenüber diesen Dokumenten, die unser eigenes geistiges Erbe in die internationalen Verhältnisse projektieren, neutral zu verhalten. Die tagtäglichen Enthüllungen bestimmter Ereignisse beweisen uns sogar mit großer Klarheit, daß unsere eigene Entwicklung mit den anderen Völkern zugestandenen Rechten und Freiheiten aufs engste verbunden ist... Die Vereinigten Staaten können es sich nicht leisten, die Verantwortung für die Unterstützung der zentralen Werte und Institutionen, die unsere Regierungsform von allen Formen der Tyrannei unterscheiden, aufzugeben."
An die Stelle der „quietistischen" Orientierung in der Dulles-Argumentation tritt die aktivisti-sehe nach dem Ende des Kalten Krieges. Kennedy sieht sehr wohl die Möglichkeit, mit Hilfe der Menschenrechte eine neue Strukturierung der außenpolitischen Umwelt vorzunehmen. Die Nutzung des Instruments scheiterte jedoch an innenpolitischen Bedingungen: Der Senat war nicht gewillt, von der Praxis der Menschenrechtsgesetzgebung, wie sie von Dulles formuliert worden war, abzugehen. Die Gründe dafür sind bisher gleichgeblieben: Es ist vor allem das Mißtrauen, mit der Zustimmung zu internationalen Menschenrechtsgesetzen das Tor zu legitimierten „Interventionen" in inneramerikanische Verhältnisse zu öffnen d. h. die Ablehnung jeglicher Einschränkung von Souveränität.
Die von Kennedy 1963 in den Senat eingebrachte „Convention on Political Rights of Women” wurde im Senat 1967 verhandelt. In den Befragungen der Experten kamen die Senatoren immer wieder auf das Grundproblem zurück, ob nämlich den USA irgendwelche Nachteile durch die Zustimmung zu dieser Konvention erwachsen könnten. Neben der schon erwähnten Befürchtung vor Souveränitätseinbuße trat die andere Befürchtung, daß ein solches internationales Gesetz, dem die amerikanische Bundesregierung mit Zustimmung des Senats eine innerstaatliche Geltung verschafft hätte, als Hebel zur Veränderung der Jurisdiktion der einzelstaatlichen Gesetzgebungsverfahren dienen könnte Zu krass wurden in den 50er und frühen 60er Jahren noch die Diskrepanzen zwischen dem Verfassungsauftrag hinsichtlich der Menschenrechte (Bill of Rights) und den recht mangelhaften juristischen Ausprägungen dieser Norm in den Einzelstaaten empfunden. Der Bundesstaat hatte mit Hilfe weniger dürftiger Formulierungen in der amerikanischen Verfassung — so dem Verfassungsrecht, den Handel in den Einzelstaaten regulieren zu dürfen — weitgehende Machtbefugnisse an sich gezogen und sich anhand dieser legalen Hilfskonstruktionen zum Interventionsstaat entwickelt Wie viel größer — so die Befürchtung der parochial orientierten Senatoren — würde die Gefahr bundesstaatlicher Eingriffe sein, wenn der Bund sich auf ein Bündel legitimatorischer Formeln aus den von Organen des Bundesstaates ratifizierten internationalen Menschenrechten berufen könnte. Die dadurch potentiell auf eine civil-rights-Bewe-gung innerhalb der USA ausgehende verstärkende Wirkung dürfte nach den Erfahrungen des letzten Jahrzehnts nicht unterschätzt worden sein.
Der Vietnam-Krieg und die mangelhafte Rassen-und Minoritätenpolitik der USA machten diese legitimatorisch ohnehin durch Argumente von „außen" verwundbar. Zwischen 1967 und 1973 wurde Menschenrechtspolitik bewußt zurückhaltend betrieben. Das Selbstverständnis, eine schwache Position zu haben, dokumentierte sich jedenfalls im Verhalten der amerikanischen UN-Delegation. Auf den Antrag eines afrikanischen Vertreters in der UN-Menschenrechtskommission, die Rassendiskriminierung in den USA und die Menschenrechtsverletzung der USA in Vietnam zu untersuchen, zog die amerikanische Delegation ihren Antrag auf Untersuchungen in Griechenland und Haiti zurück
II. Die Aktivitäten des „Subcommittee on International Organizations" des Repräsentantenhauses
Die Vietnam-Erfahrungen und die Verstrik-kungen der außenpolitischen Agenturen der USA, des State Department und der CIA in Chile sowie die moralische Niederlage der „Imperial Presidency" Nixons durch die Watergate-Affäre stärkten in vielen Schichten der amerikanischen Bevölkerung den in der religiösen Tradition angelegten Wunsch nach moralischer Erneuerung, nach „Wiedergeburt" der Nation in Orientierung an den traditionellen Werten, deren Geltung weiterhin außer Zweifel stand und die für die als problematisch empfundene Politik nicht mitverantwortlich gemacht wurden
Außer den vielen und vielfältigen innenpolitischen civil-rights-Bewegungen der USA ist als eine moralisch orientierte außenpolitische Bewegung vor allem Amnesty International zu nennen, eine Organisation, die in diesen Jahren eine besonders große Zuwachsrate an Mitgliedern verzeichnen konnte Innerhalb des politischen Systems der USA wurde den Forderungen von Seiten des politischen Umfeldes durch einen Unterausschuß des Repräsentantenhauses, das „Subcommittee on International Organizations", entsprochen. Der Vorsitzende dieses Ausschusses, dessen Initiative anscheinend in hohem Maße für die Neuformulierung der Menschenrechtspolitik verantwortlich ist, der Abgeordnete Donald Fraser (Minnesota), kam selbst aus der civil-rights-Bewegung der 60er Jahre. Der Unterausschuß begann seine Arbeit damit, daß er in der zweiten Jahreshälfte 1973 ausführliche Hearings zum Thema „International Protection of Human Rights" veranstaltete, um herauszufinden, auf welchem Stand der Dinge sich die Leistungskraft der Internationalen Organisationen, insbesondere der UN und die der USA, in ihrer Außenpolitik befand Die Defizite in der Leistungsbilanz der USA wurden dabei hinreichend deutlich.
Die überwiegende Mehrheit der Ausschuß-mitglieder sowie Fraser selbst gelangten zu der Überzeugung, daß gerade aus den Defiziten der US-Außenpolitik hinsichtlich der Menschenrechte eine Offensive zur Neustrukturierung der US-Außenpolitik und damit zu einer neuen world-order-Politik erwachsen sollte In den folgenden Jahren trug der Unterausschuß eine Fülle von Initiativen an den Kongreß und an die außenpolitische Administration heran, die einige beachtliche Konsequenzen hinsichtlich der konkreten Auslandshilfegesetzgebung sowie hinsichtlich einer Organisationserweiterung des State Department zur Folge hatten. Es muß vermutet werden, daß Präsident Carter die Ini-tiativen dieses „Subcommittee" bekannt waren und daß seine eigene Menschenrechtskampagne sich an der Stoßrichtung dieses legislativen Teils des politischen Systems orientieren konnte.
Neben den umfangreichen Hearings von 1973 führte der Unterausschuß in den kommenden Jahren eine Fülle von Anhörungen zu einzelnen Ländern durch, deren Menschenrechtsverletzungen dadurch zunächst einmal systematisch erfaßt und einer begrenzten Öffentlichkeit vor Augen geführt wurden' Insbesondere wurde aus den Hearings von 1973 aber eine aktivistische neue Außenpolitik gemäß der Norm „Menschenrechte" für die USA entworfen. Die Menschenrechte wurden als „Call for U. S. Leadership" aufgefaßt
Der Akzent in den Bemühungen des Fraser-Ausschusses war nicht gegen die Sowjetunion gerichtet, sondern vielmehr innenpolitisch motiviert: Es ging dem Ausschuß 1973/74 darum, einem „unmoralischen" State Department, das alle Maßstäbe seines Handelns verloren zu haben schien und daher unter einen solchen innenpolitischen Legitimationsdruck geraten war, daß das politische System nicht länger inaktiv bleiben konnte, strikte Handlungsrichtlinien vorzugeben. Die „realpolitische" freundliche Behandlung der Sowjetunion, Chiles u. a. Staaten, zu denen man bewußt gute Beziehungen zu pflegen suchte, und die Neigung, Staaten, zu denen keine besonderen Beziehungen unterhalten werden mußten, eher wegen Vergehen gegen die Menschenrechte zu kritisieren, war eine Politik der Doppelmoral, die in der amerikanischen Öffentlichkeit eine zunehmende Ablehnung erfuhr.
III. Die ersten Initiativen zur Erfüllung der Menschenrechtsnorm
1. Das Vanik-Jackson Amendment Die Real-und Entspannungspolitik der Regierung Nixon/Kissinger hatte darauf beruht, die einzelnen Politikbereiche der Außenpolitik zu isolieren. Dies hatte vor allem auch mit dem Engagement der USA in Vietnam zu tun: Indem die USA in ihrer Rüstungskontrollund Außenwirtschaftspolitik auf eine Junktim-Politik verzichteten, konnten sie bei anderen Staaten — insbesondere bei der Sowjetunion — eine Junktimpolitik hinsichtlich eines Vietnam-Engagements verhindern.
Bezogen auf die Sowjetunion war die Rüstungskontroll-und Handelspolitik der USA in dieser ersten Phase der Entspannung zwischen 1969 und 1973 recht erfolgreich 18). In dieser Phase kündigte sich aber bereits ein Umdenke In dieser Phase kündigte sich aber bereits ein Umdenken bei einigen Akteuren des amerikanischen Kongresses an. Die Beweggründe sind zu komplex, um hier analysiert werden zu können. Ein Grund zur Änderung der Entspannungspolitik ist jedoch auch mit der Neuregelung des amerikanischen Handelsgesetzes und des speziellen Handelsabkommens mit der Sowjetunion gegeben. In beiden Gesetzen ging es darum, wie weit die Nixon-Administration ihre Freihandelsoption gegenüber den Schutzzollambitionen einiger Industriezweige und insbesondere gegenüber der Gewerkschaftslobby ausdehnen konnte Der Import von billigeren Produkten, der zweifellos Folge einer drastischen Ausweitung des sowjetisch-amerikanischen Handels gewesen wäre, stellte für die Politik des schutzzöllnerisehen Nationalismus eine Gefahr dar. Es war und ist eine ungünstige Konstellation für den Erfolg der Menschenrechtspolitik der USA, daß gerade dem konkreten Teil der Menschenrechtspolitik seine für das Verständnis der heutigen Maßnahmen entscheidende Entwicklung aus diesem Zusammenhang der Verknüpfung von Handelsinteressen und moralischen Standards erwuchs. Mit Hilfe der Menschenrechtsnorm wurde nämlich versucht, ein Junktim zwischen Handelspolitik und humanitärer Innenpolitik — insbesondere bezogen auf die Sowjetunion — herzustellen. Später wurde dieser Zusammenhang auf die Außen-wirtschaftshilfe-, die Militärhilfe-und die Ent-wicklungshilfepolitik ausgedehnt.
Die Entwicklung dieser wahrscheinlich mißglückten Initiative, Menschenrechte in konkrete Gesetzgebungsverfahren so einzufügen, daß der universalistische Charakter von Menschenrechten noch erkennbar erhalten bleibt, ist aber keineswegs — wie es nach der bisherigen Argumentation scheinen könnte — einer Verschwörerinitiative zu verdanken. Es ergab sich vielmehr ein durchaus nach der Menschenrechtsnorm zu kritisierender Anlaß in der sowjetischen Innenpolitik selbst, der die amerikanische Reaktion provozierte: Die Sowjetunion hatte 1972 die Gebühren für ausreisewillige jüdische Bürger drastisch erhöht, vielleicht mit der unrealistischen Absicht, damit die seit der Entspannungspolitik sprunghaft angestiegene Antragsflut auf Ausreise seitens der sowjetischen Juden zu drosseln. Am 11. Dezember 1973 gelang es dem Abgeordneten Vanik, im Repräsentantenhaus ein Amendment (Anhang), das einen Zusammenhang zwischen der Gewährung der ökonomischen Meistbegünstigung und liberalisierten Ausreisegesetzen herstellte, in der „Trade Reform Bill" unterzubringen 20). Er schaffte es sogar, seinen im „Ways and Means Committee“ abgelehnten Antrag, die Ausreisepolitik der Sowjetunion und die Gewährung von Krediten der Export-Import-Bank zu korrelieren, durchzusetzen. Auf welche emotionale Bereitschaft Vanik dabei im Haus traf, zeigt die Abstimmung über den Trade Act. Während die gesamte vom Repräsentantenhaus verabschiedete Gesetzesvorlage mit 272 : 140 Stimmen angenommen wurde, hatte die vorhergehende Abstimmung für das Vanik-Amendment ein Stimmenverhältnis von 319 : 80 erbracht. Dies lief gleichsam auf eine Allparteienzustimmung hinaus.
Für die uns hier interessierende Menschenrechtsproblematik ist wahrscheinlich nicht so entscheidend, daß die Gewährung der Meist-begünstigung an ein Entgegenkommen in „Menschenrechtsfragen" gebunden wurde, denn die Meistbegünstigungsverweigerung bedeutet, wie Vanik zu Recht hervorhob, keine reale ökonomische Behinderung. Weit wichtiger war ein damit implizit ausgedrückter symbolischer Akt: Die Meistbegünstigungsklausel war 1951 auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges als Sanktion gegen kommunistische Staaten vom US-Kongreß beschlossen worden. Ausnahmen wurden nur im Falle von Polen und Jugoslawien gemacht. Beide Länder wurden als mögliche Schwachstellen im kommunistischen Machtblock nach 1948 angesehen. Vanik beließ diese Ausnahmeregelung in seinem Amendment und schloß damit an die beabsichtigte Diskriminierung aus der Zeit des Kalten Krieges an. Diese symbolische Dimension dürfte der Sowjetunion zweifellos nicht verborgen geblieben sein. Für das Gebot, eine universale Menschenrechtspolitik zu machen,wurde hier zudem erstmals eine Inkonsistenz präjudiziert, die bis heute anhält: Es wurden neben dem Engagement für Menschenrechte partikulare nationale Interessen und auch innenpolitische ethnische Interessen in den Vordergrund gespielt.
Am letzten Sitzungstag der 2. Session des 93. Kongresses, am 20. Dezember 1974, wurde der „Trade Act of 1974“ endgültig vom Kongreß verabschiedet und dem Präsidenten zugeleitet. über ein Jahr hatte der Trade Act bis dahin beim „Senate Finance Committee" gelegen, weil im Committee keine Einigung über den Zusammenhang des Gesetzes mit der Behandlung der Emigration jüdischer Sowjetbürger zu erzielen war -Erst durch einen Vermittlungsversuch zwischen Weißem Haus (Kissinger) und Kongreß (Senator Jackson) vom 18. Oktober 1974 kam der Gesetzentwurf weiter voran. Der Vermittlungsversuch beruhte auf der Versicherung Kissingers, daß inoffizielle Gespräche mit sowjetischen Politikern Grund zur Annahme gäben, die Sowjetunion würde die Ausreisegenehmigungen für jüdische Bürger entgegenkommender behandeln. Eine Regierungserklärung wollte und konnte Kissinger in dieser Sache nicht geben. Senator Jacksons Amendment enthielt zwar immer noch ein Junktim zwischen der Gewährung der Meistbegünstigungsklausel im Handel mit sozialistischen Staaten — insbesondere der Sowjetunion — und einer freien Ausreisegenehmigung. Zugleich sollte der Präsident aber das Recht erhalten, dieses Junktim für 18 Monate auszusetzen, wenn er der Meinung sei, daß der „Handelspartner" seine Ausreisebestimmungen liberalisieren wolle. Spätestens 30 Tage vor Ablauf der 18 Monate sollte der Präsident dem Kongreß Mitteilung darüber machen, ob er eine Verlängerung des Verzichts für richtig halte, d. h. es wurde ein Mechanismus eingerichtet, der gleichsam Gratifikationen für Wohlverhalten beim Handelspartner institutionalisierte.
Der Widerstand gegen den Trade Act kam jedoch auch von anderer Seite: Da das Handels-gesetz weitreichende Möglichkeiten für den Präsidenten eröffnete, Abgaben und Zölle bis zu 60 Prozent zu senken bzw. für manche Produkte die Zölle ganz wegfallen zu lassen sowie generelle Importerleichterungen zu schaffen gehörten insbesondere die Gewerkschaften zu den Gegnern des Entwurfes; auch die „National Conference on Soviet Jewry" ge-hörte aus den schon erwähnten humanitären Gründen zu den Gegnern. Die Industrie und die multinationalen Konzerne, vereint in dem „Emergency Committee on American Trade", gehörten zu den aktiven Befürwortern. Während das Jackson-Amendment die Angriffe der jüdischen Lobby somit abfangen konnte, siegte gegenüber den Gewerkschaften die liberale Wirtschaftsauffassung.
Das Jackson-Amendment konnte im Senat eine Zustimmung von 88 : 0 erzielen. Die Endabstimmung im Repräsentantenhaus am 20. Dezember 1974 erfolgte mit 323 : 36 Stimmen, d. h. sie bedeutete wiederum eine überwältigende Zustimmung beider Fraktionen. Die Sowjetunion hat aufgrund des Menschenrechts-Amendments den seit 1972 ausgehandelten Handelsvertrag mit den USA nicht unterzeichnet und das Junktim Meistbegünstigungsgewährung versus Ausreisegenehmigung als Einmischung in innere Angelegenheiten interpretiert.
Es wäre vermutlich besser gewesen, der Kongreß hätte dem Vorschlag des Abgeordneten Conable zugestimmt, der das Vanik-Amend-ment zu Fall bringen wollte, weil dessen Annahme „schädlich und möglicherweise kontraproduktiv" sei Conable wollte vielmehr eine Formel finden, die Raum für Konferenzkompromisse ermöglicht und so die amerikanische Politik hinsichtlich der sowjetischen Ausreise-gebühren nicht in einen Zustand der totalen Manövrierunfähigkeit gebracht hätte. 2. Menschenrechtsnonnen zur Kontrolle des Präsidenten Der Typus von Menschenrechtsregel, wie er von Vanik eingesetzt wurde, um antikommunistische Gesellschaftspolitik zu betreiben bzw. eine bestimmte Außenpolitik zu torpedieren, ist seither allerdings nur ein Typus — und nicht einmal der häufigste — in der Kongreßpolitik, mit Hilfe der Menschenrechte zu operieren. Als bedeutsamer sollte sich in der Folgezeit ein anderes Verfahren zur Einbindung der Menschenrechte erweisen, das seit 1975 in den Gesetzen zur militärischen und ökonomischen Auslandshilfe, in den Entwicklungshilfegesetzen u. ä. zur Anwendung kam. Die Absicht war einerseits, diese Auslandshilfe nach neuen Prinzipien zu strukturieren, andererseits aber die Kompetenz zur Entscheidung über diese Mittel durch eine Generalklausel dem Kongreß an Stelle der Administration zu überantworten. 23 Die erste Version dieser Gesetzgebung läßt sich 1975 bei der Verabschiedung des Auslandshilfegesetzes für die Jahre 1976/77 beobachten Im Gesetz wird festgelegt, daß die Auslandshilfe für jedes in Frage kommende Land dann zu stoppen sei, wenn schwere Verletzungen der „international anerkannten Menschenrechte" vorlägen; es sei denn, der Kongreß entscheide, daß es sich bei dem betreffenden Land um ein bedürftiges Empfängerland handele. Jeder der beiden Kongreßausschüsse für Auswärtige Angelegenheiten kann von der Agency for International Development (AID) Berichterstattung verlangen. Der Kongreß wies zudem darauf hin, daß er zur Ermittlung von Daten über Menschenrechtsverletzungen mit den bekannten internationalen Non-Government Organizations (NGO's) — wie z. B. Amnesty International — zusammenarbeite. Der Präsident wurde ver-pflichtet, jährlich Bericht zu erstatten, um die Maßnahmen transparent zu machen, die zur Einhaltung dieser Festlegung ergriffen wur.den. Diese Menschenrechtsklausel hat mithin den Zweck, diesen Teil der Außenpolitik wieder stärker auf den Kongreß zu zentrieren und — wie bei den entsprechenden Gesetzge. bungsverfahren 1977 deutlich wurde — die „imperial presidency" um ein weiteres Stück ihres Einflußbereiches zu schmälern. Die vom Abgeordneten Harkin hier und in der Folge eingebrachten Amendments versuchen zwar — wenn auch mit dem naiven Maßstab „zum Nutzen der bedürftigen Bevölkerung“ (benefit the needy people) — humanitäre Kriterien in die Entwicklungspolitik einzubringen; sie sind aber in erster Linie die konsequente Fortsetzung der Politik, die zur Entmachtung Nixons führte und die seitdem versucht, durch direkte Interventionspolitik die Exekutive zu schwächen.
IV. Legitimationsbeschaffung oder Kreuzzug? Die Menschenrechtspolitik der Carter-Administration
Im Frühjahr 1977 veröffentlichte der Vorsitzende des Unterausschusses „International Organizations" des Repräsentantenhauses, Donald Fraser, in der Zeitschrift „Foreign Poli-cy" eine zusammenfassende Wertung seiner bisherigen Bemühungen um eine Strategie der Menschenrechtspolitik Am Ende seines Beitrages schlug Fraser dem neuen Präsidenten mit Blick auf den Kongreß vor, die Menschenrechtspolitik in doppelter Weise anzugehen: Der Präsident solle dem Kongreß gegenüber eine klare Erklärung seines Engagements in Sachen Menschenrechte in der Außenpolitik abgeben; der Kongreß würde dann sicherlich seinerseits eine nichtöffentliche diplomatische Politik zur Durchsetzung dieser Strategie akzeptieren. Es darf wohl angenommen werden, daß dieser Vorschlag dem Präsidenten vor seinem Amtsantritt bekannt geworden ist und daß zwischen den Intentionen des Abgeordneten Fraser und denen des Präsidenten in dieser Frage Übereinstimmung herrschte.
Die Absicht dieser Strategie ist leicht erkennbar. Nach dem gespannten Verhältnis zwischen der Exekutive Nixon-Ford-Kissinger und dem Kongreß in den Jahren zwischen 1973 und 1976 sollte der neue Präsident versuchen, den Auflagen, die der Kongreß den außenpolitischen Aktivitäten der Administration seit 1973 mit Hilfe des Menschenrechts-standards gemacht hatte, zu entsprechen, um damit Handlungsfreiheit für die „Diplomatie der Administration zurückzugewinnen. Versucht man, die Menschenrechtskampagne von Präsident Carter aus diesem Blickwinkel zu deuten, dann rückt nicht so sehr die internationale Dimension dieser Strategie, sondern die institutionelle und machtbezogene Bedeutung dieser Politik in den Vordergrund. Die internationale Dimension der Menschenrechtspolitik muß deshalb nicht unbedeutend sein, sie wird aber in einem anderen funktionalen Zusammenhang erklärbar. Carter wollte mit seiner Menschenrechtskampagne außen politische Erfolge erzielen, um dann dem Kongreß gegenüber gestärkt das Präsidentenamt mit mehr Einfluß in andere politischen Auseinandersetzungen einbringen zu können Selbst dort, wo die Menschenrechtspolitik außenpolitisch eingesetzt wird, sei es in der Kritik an der Apartheid in Südafrika und an den Menschenrechtsverletzungen in neuen sozialistischen Staaten oder in alten Militär-diktaturen in Lateinamerika, ist sie gewissermaßen verbalradikal das funktionale Äquivalent für bisherige interventionistische Politik, die mit drastischeren Maßnahmen — wenn auch mit geringerem ideologischem Aufwand — gearbeitet hatte.
So führte Carter selbst aus: „Wir versuchen nicht, andere Nationen zur Konformität zu zwingen, indem wir Truppen senden. Wir versuchen nicht, irgend jemand zu bestrafen. Aber ich meine, daß in einer Demokratie wie der unseren vorrangig für den Präsidenten einige Instrumente und Formen gegeben sein müssen, um das, was das amerikanische Volk glaubt, zu verdeutlichen oder zu personifizieren.“
In der Tat kann die spektakuläre Menschenrechtspolitik Carters als ein optimaler Versuch des Präsidenten, seine Ziele zu erreichen, angesehen werden. Spektakulär war bereits seine Rede bei der Amtsübernahme am 20. Januar 1977, als er sich an die „Bürger dieser Welt” wandte, um zu verkünden, daß er an einer „Weltordnung" mitarbeiten wollte, die . mehr auf die Hoffnungen und Bestrebungen der Menschen eingestellt" sein solle Bei der Lösung der gegenwärtigen Menschheitsprobleme würden die USA sich zwar „mit anderen zusammenschließen"; sie können und werden aber auch „die Führung bei diesen Bemühungen übernehmen". So wie in dieser Rede der bisherige Führungsanspruch der USA gegenüber der Welt in neuem Gewände einher-schreitet, so wird in der Inauguralrede an das amerikanische Volk die Verpflichtung zur Orientierung an den traditionalen Werten der USA betont, der „neue Glaube an den alten Traum“ -Den sich „ändernden Zeiten" werden die „unveränderlichen Prinzipien" zur Seite gestellt.
Den Kern seiner legitimatorischen Bemühungen hat Carter so formuliert: „Unsere Nation kann draußen nur stark sein, wenn sie im eigenen Lande stark ist. Und wir wissen, daß der beste Weg zur Stärkung der Freiheit in anderen Ländern darin besteht, hier im eigenen Lande zu demonstrieren, daß unser demokratisches System der Weiterverbreitung wert ist."
Innenpolitische Legitimität, die gleichsam als Kapital des Präsidenten außenpolitisch zu Buche schlägt, ist mithin das Ziel, von dem Carter sich einen erneuten Bedeutungszuwachs des Präsidentenamtes erwartet. Auch in dieser Sichtweise werden Carters Absichten auf die innere politische Situation der USA bezogen. In eigenartiger Weise werden in der Inauguralrede die Menschenrechte eingeführt: „Unsere Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten muß absolut sein, unsere Gesetze müssen fair sein, die Schönheit unserer Nation muß erhalten bleiben. Der Starke darf nicht den Schwachen verfolgen, und die Menschenwürde muß hochgehalten werden.“
Diesen Worten wohnt zweifellos keine analytische Qualität inne. Hierbei wird symbolische Politik in ihrer reinsten Form artikuliert Das Engagement des Präsidenten für die Menschenrechte — das als gesichert angesehen werden soll — steht hier gar nicht zur Debatte, auch eine politische „message" ist in diesen Zeilen nicht verborgen. Das semantische Gleichordnen von Menschenrechten, fairen Gesetzen und den Schönheiten der Natur, Schutz des Schwachen und Menschenwürde soll vielmehr ein Bild evozieren, das vom Inhalt her jenem Harmoniestreben am ehesten gerecht wird, das als ein wichtiges Merkmal amerikanischer politischer Kultur anzusehen ist und das besonders dann als politisches Symbol eingesetzt werden kann, wenn die Bedrohungen zwar vielfältig, aber nicht konkretisierbar sind.
Auch die weiteren Reden Carters, insbesondere aus dem Jahre 1977, sind ganz von der Absicht gekennzeichnet, mit Hilfe von Elementen der politischen Kultur der USA eine Gemeinschaftsstimmung im Inneren zu erzeugen. So erinnert Carter etwa an die „dunklen Zeiten" während des Zweiten Weltkriegs, in denen trotz aller innergesellschaftlichen Konflikte die Einheit der Nation erzeugt werden konnte Obwohl Carter in seinen präzisesten Ausführungen zur Menschenrechtsmaterie durchaus nicht nur die Grundrechte auf Leben und Freiheit, d. h. politische und soziale Emanzipation im Kontext des Liberalismus artikuliert, sondern auch — in Jeffersons Worten — das Streben nach Glück als „einen Grundstandard der materiellen Existenz“ definiert, wendet er diesen dritten Teil der Menschenrechtsmaterie nicht auf die inneramerikanischen Mängel an diesem Teil der Menschenrechte an, sondern er versucht, integrative Legitimationsbeschaffung zu betreiben. Dies ist auch der Grund, weshalb die Menschenrechte nie in aggressiver, sondern lediglich in emphatischer Weise vertreten wurden.
Sofern der Menschenrechtsmaßstab als außenpolitisches Instrument von Carter verwendet wird, bleibt er völlig offen und auch relativ unscharf, um keine Präjudizierungen für künftige konkrete Außenpolitik zu schaffen. Hatte er in seiner Inauguralrede selbst noch die Menschenrechtsnorm als ein oberstes und unbedingtes Prinzip herausgestellt, so bringt er im September des Jahres eine längst fällige Relativierung: „Menschenrechte können nicht das einzige Ziel unserer Außenpolitik sein — nicht in einer Welt, in der der Friede buchstäblich Sache des überlebens ist. Uns sind Grenzen gezogen durch die Tatsache, daß eine Entscheidung, die uns auf das eine unserer Ziele hinführt, uns von einem anderen weiter hinwegbringen kann, und durch die Grenzen unserer Macht."
Entspannungs-und Sicherheitspolitik sind nach wie vor der Menschenrechtspolitik vor-geordnet, und die Propagierung einer unbedingten Menschenrechtsnorm kann nur zu einem — politisch-symbolisch vielleicht probaten — moralisch rigiden Prinzip oder aber zur Doppelbödigkeit führen. Beides möchte Carter vermeiden. Ganz im Sinne des Vorschlags des Abgeordneten Fraser versuchte Carter vielmehr, sein Bekenntnis zum allgemeinen Standard abzugeben, um möglichst viel Unterstützung von möglichst vielen Teilen des politischen Systems zu erhalten, um sodann de facto mit stiller Diplomatie — ganz in der Kontinuität der Ford-Kissinger-Administra-tion — zu arbeiten. Da die Presse und die Weltöffentlichkeit diese faktische Politik aber im Sinne einer idealistischen Kreuzzugspolitik perzipierte, stellte sich die Frage, ob diese Politik noch korrigiert werden könnte oder ob sie — auch aus anderen, zusätzlichen Gründen — als gescheitert zu betrachten sei. Denn sowohl Fraser als auch Carter haben ein mögliches Entgegenkommen des Kongresses überschätzt. Die Annahme, der Kongreß würde dem Präsidenten, wenn dieser in Absetzung von den „unmoralischen" Regierungen Nixon-Ford-Kissinger sein Menschenrechtsengagement nur richtig verkünde, den nötigen Spielraum für eine eigenständig handelnde Diplomatie zurückgeben, hat sich bis jetzt als Irrtum erwiesen. Teile des Kongresses, insbesondere des Senats, treiben eine eigenständige Menschenrechtspolitik, die in keiner Weise die Zustimmung des Präsidenten finden kann, die er jedoch bisher auch nicht verhindern konnte. Seine eigene Einschätzung dieses Dilemmas scheint zuzutreffen: „Und ich möchte sagen, daß meine eigene Haltung zur Menschen-rechtsfrage recht zurückhaltend gewesen ist. Und darauf bin ich stolz. Aber ich meine, daß es zutreffend ist, wenn ich feststelle, daß einige Mitglieder des Kongresses viel weiter gehen würden als ich und sogar die Beziehungen zu anderen Ländern, die nicht unserem Menschenrechtsmaßstab entsprechen, einstellen würden. Das können wir nicht machen." Aber die zur Legitimationsbeschaffung intendierte Offentlichkeitswirkung der Menschenrechtsdebatte scheint — wenn auch nicht aus Gründen, die Carter zuzurechnen sind — nicht die erhoffte Wirkung erzielt zu haben. Obwohl in der amerikanischen politischen Kultur der Mechanismus, den idealistischen Input in das politische System aktiv zu betreiben, diesen aber nicht direkt mit dem Output zu korrelieren, auffällig ist, so scheint in den letzten Jahren dieser Mechanismus doch nicht mehr völlig zu funktionieren. Der Mechanismus braucht deshalb nicht aufgehoben zu sein; vielmehr dürfte die Erklärung für sein Nichtfunktionieren darin liegen, daß der geringe Output des politischen Systems in vielen Bereichen des Sozialstaats, bei der Inflationsbekämpfung, der Erhaltung des Lebensstandards, in der Energieversorgung u. ä. so eklatant ist, daß mit Hilfe des normalen Idealismus diese Defizite nicht mehr kompensierbar sind. So kann es durchaus zutreffen, daß Carters Kampagne zur innenpolitischen Legitimationsbeschaffung mit Hilfe der Menschenrechte als gelungen anzusehen ist, dennoch sein Prestige und damit die dem Präsidenten-amt zur Verfügung stehende Autorität weiterhin abgesunken ist weil dieses für die vielen Formen innenpolitischer Misere mitverantwortlich gemacht wird.
V. Interaktionen zwischen Kongreß und Administration. Fallbeispiel: Gesetzgebungsverfahren im Jahr 1977
Hatte die Carter-Administration, insbesondere der Präsident in seiner Inauguralrede vom 20. Januar 1977, und der Unterausschuß des Repräsentantenhauses für „Internationale Organisationen" auf die hohe ideelle Bedeutung der Menschenrechtsdimension für die amerikanische Politik hingewiesen und auf einer Ebene abstrakter moralischer Handlungskategorien versucht, zu überzeugenden Formulierungen der strategischen Bedeutung der Menschenrechte in der konkreten Politik zu gelangen, so stand bereits in den ersten Tagen der neuen Carter-Administration eine Fülle von konkreten politischen Entscheidungen an, in denen die Menschenrechtsproblematik zum Tragen kommen sollte.
Die bereits vom Kongreß in den Jahren 1972/73 und danach initiierten Menschenrechts-Amendments zu bestimmten Gesetzen der Auslands-und der Militärhilfe wurden auch im Jahre 1977 fortgeschrieben. Die Einbindung der Menschenrechte erreichte in diesem Jahr sogar einen gewissen Höhepunkt, wenn nicht gar einen Reifegrad, der zugleich die Grenzen der Möglichkeiten der Berücksichtigung von Menschenrechten innerhalb konkreter Gesetze beinhaltete. Deutlich wurde in den konkreten Anwendungsfällen von moralischen Prinzipien aber zusätzlich, daß Entscheidungen nicht so sehr durch diese moralischen Prinzipien, sondern in erster Linie durch Interessen und durch relativ eigenständige Muster von partikularer politischer Kultur geformt werden. 1. Die Einführung der Menschenrechts-norm in die Militärhilfe-Gesetzgebung In der Behandlung der „military aid authoriza-tion“ für das Haushaltsjahr 1978 entschied das „International Relations Committee" des Repräsentantenhauses im Februar d. J., die Darlehensgarantien für Waffenkäufe an Argentinien, Brasilien, El Salvador und Guatemala aufzuheben, weil diese Länder die Menschenrechte verletzten -Als das State Department im gleichen Monat diesen Ländern gegenüber eine Reduktion der Auslandshilfe erwog lehnten die betroffenen Länder von sich aus eine weitere US-Hilfe ab. Zur gleichen Zeit wurde auch die Militärhilfe an Äthiopien ausgesetzt. Indem die Carter-Administration bzw.der Kongreß Militärhilfe für ehemals „befreundete Staaten" in Lateinamerika aussetzten, bewiesdas Regierungssystem, daß es die Menschenrechtspolitik nach einem generellen Standard ausrichten wollte. Dennoch wurden in diese Kürzungen wichtige Länder aus dem Lager der Verbündeten, wie Iran und die Philippinen, nicht einbezogen, weil für deren Beurteilung nicht das Ideal Menschenrechte, sondern der Maßstab „nationale Sicherheit" galt Zur Begründung einer generellen Ausnahme von der Beurteilung durch die Menschen-rechtsnorm führte Präsident Carter am 19. Mai 1977 folgende Formel ein: Waffenverkäufe dürften getätigt werden, „wo ganz klar erwiesen werden kann, daß der Verkauf unserer nationalen Sicherheit dient" Ob dieser Maßstab allerdings so „klar" operationalisiert werden kann, bleibt zu bezweifeln. Waffenverkäufe an die NATO-Länder erschienen den beteiligten Akteuren nach den beiden Maßstäben für Militärhilfe unproblematisch. Im Falle der Militärhilfe an Israel gab es aber bereits Einwände, weil Stimmen im Kongreß und in der Öffentlichkeit der Ansicht waren, daß die militärischen Aktionen Israels „terroristisch“ und damit menschenrechtsverletzend seien. Wie immer dies beurteilt werden mag, der Präsident war schon aufgrund der starken Lobby der pro-israelischen Mitglieder des Kongresses gezwungen, sowohl für die NATO-Staaten als auch für Israel eine Blanko-erklärung für Militärhilfe bzw. Waffenverkäufe zu erteilen.
Es erwies sich somit, daß dringende Sicherheitsinteressen bzw. angebliche Sicherheitsinteressen dem Kontrollmechanismus Menschenrechte nicht unterzuordnen waren. 2. Das Gesetz über die ökonomische Auslandshilfe für 1978
Von dem offenen Bemühen, den Menschenrechtsstandard in die praktische Gesetzgebung umzusetzen, wird das „Gesetz über die ökonomische Auslandshilfe" getragen, das der Kongreß am 22. Juli zum Abschluß brachte Das „International Relations Committee“ des Repräsentantenhauses empfahl darin, die Hilfsverbote gegenüber Drittländern, die mit Kuba oder Vietnam Handelsverkehr treiben würden, aufzuheben. Damit wurde der hegemoniale Geruch, der Teilen der Auslandshilfe oder der militärischen Hilfe anhaftete, weiter vermindert, was zweifellos der Vergrößerung des außenpolitischen Handlungsspielraums der USA dienlich war.
Außerdem enthält das Gesetz wichtige Indikatoren, die helfen sollen, die Menschenrechts-norm besser umzusetzen. So wird gefordert, daß Entwicklungshilfe an solche Länder gegeben werden soll, die der armen Bevölkerung besonders effektiv helfen würden, ihre Lebensverhältnisse zu verbessern. Hier setzte sich erstmals die Erkenntnis durch, daß es vorteilhafter sei, das Instrument Menschenrecht zur Belohnung bestimmter Handlungen als zur Bestrafung bei „Fehlverhalten" einzusetzen Hingegen bleibt die Schwierigkeit bestehen, daß die Kriterien zur Erfassung des Sachverhalts, welche Regierung in welcher Weise die Lebensverhältnisse ihrer Bevölkerung verbessert, nicht bekannt sind. Entwicklungsschübe müßten zudem theoretisch erfaßt werden können, um gezielte Entwicklungshilfe geben zu können. Die Norm weicht zudem selbst noch der realen ökonomischen Problematik der Dritten Welt aus
Das Gesetz legt außerdem noch fest, daß der Außenminister jedes Jahr dem Kongreß einen Report zuzustellen hat, der die Beachtung der Menschenrechte in jedem Land, das amerikanische Entwicklungshilfe empfängt, darlegen soll und der zugleich Maßnahmen für weitere Hilfe an eine Berücksichtigung der Menschenrechtsbeachtung in diesen Ländern bindet. Die Errichtung eines „Secretary of Human Rights and Humanitarian Affairs" im State Department wurde dann mit Gesetz vom 3. August 1977 beschlossen Diese Behörde ist seitdem für den jährlichen Bericht über den Stand der Menschenrechte in den Empfänger-ländern von Auslandshilfe zuständig. 3. Die Menschenrechtsaktivitäten des Kongresses gegenüber den internationalen Bank-und Kreditinstitutionen Die bei weitem wichtigsten Versuche des Jahres 1977, die Menschenrechtsnorm in praktische Politik umzusetzen, fanden im Kontext der Gesetze über die „Anleihen an die internationalen Banken" und die „Allgemeine Auslandshilfe''statt Nur in einem Falle, nämlich beim . Auslandshilfegesetz", konnte sich Präsident Carter mit seiner Menschenrechtsauffassung durchsetzen; in diesem Falle wurde dann aber auch deutlich, zu welchem Preis Carter die Menschenrechtsregel zur Verbesserung der politischen Steuerungsleistung einsetzen mußte.
Im „Bankengesetz''ging es darum, das Verhalten der amerikanischen Vertreter bei den internationalen Banken, in die die USA beträchtliche, z. T. über 20 Prozent liegende Einlagen und Darlehen entrichteten, nach Maßgabe der Menschenrechtsnorm prinzipiell festzulegen Diese Politik lag ganz auf der schon seit 1972/73 vom Kongreß eingeschlagenen Linie, eine „linkage" zwischen eigenen Leistungen und dem Verhalten bestimmter Empfängerländer herzustellen. Grundsätzlich hatte Carter ja bei Amtsantritt zugesichert, dieser Absicht des Kongresses entgegenzukommen bzw. sich an die Spitze dieser Politik zu stellen. Der Kongreß hatte allerdings bisher häufig eine sehr rigide, z. T., wie im Falle des Vanik-Jackson-Amendments im Trade-Reform-Act von 1974, eine beleidigende Form der Verknüpfung von materialen Leistungen und Menschenrechten bevorzugt. Im Falle des „Bankengesetzes" 1977 war die Carter-Administration erstmalig konkret mit dieser Politik des Kongresses konfrontiert.
Die erste Verankerung des Menschenrechts-maßstabes wurde im Komitee des Repräsentantenhauses für „Banking, Finance, and Urban Affairs“ zu Beginn des Jahres 1977 versucht.
Der Abgeordnete Badillo (Dem., N. Y.) hatte ein Amendment eingebracht, das die Stimmabgabe von Vertretern der USA für die Darlehensgewährung an ein Land, das sich schwere Vergehen gegen die Menschenrechte zuschulden kommen ließ, verhindern sollte.
Eine Ausnahme solle nur dann gemacht werden, wenn das Geld auf direktem Wege „den Armen“ dieses Landes zugute käme. Ein solches Junktim ist zwar politisch machbar, es entbehrt aber jeglicher diplomatischen Elasti-zität und kann von daher starke negative Begleiterscheinungen entfalten.
Das „Banken-Komitee" des Repräsentanten-hauses verwarf deshalb das Badillo-Amend-ment und versuchte, eine „weichere“ Version durchzusetzen, indem es vorschlug, die US-Vertreter sollten gegen solche Darlehen, die an Länder mit erheblich negativen Menschenrechtsbilanzen vergeben werden sollten, „opponieren". Diese Version hat auch die Zustimmung der Carter-Administration gefunden, weil in ihr zwar das Menschenrechtsprinzip verankert, aber dennoch mit einer flexiblen Anwendungsregel verbunden war, die pragmatisches Verwaltungsverhalten ermöglicht hätte. Badillo rechtfertigte hingegen seine Version, daß die Vereinigten Staaten keine andere Option hätten, „als die eindeutigste Formulierung der Menschenrechtsnorm aufrechtzuerhalten. Wenn wir es nicht täten, befänden wir uns in der zweifelhaften Lage, einen Präsidenten zu haben, der einerseits ein starkes öffentliches Bekenntnis zu den Menschenrechten ablegt, andererseits aber die abgeschwächte Formulierung dieser Gesetzesvorlage unterstützt." In der Plenarsitzung des Repräsentantenhauses gelang es Badillo, zusammen mit dem Abgeordneten Harkin (Dem., Iowa) ein liberal-konservatives Bündnis für sein Amendment zu schaffen, das eine überwältigende Mehrheit durch offene Abstimmung (voice vote) für sich verbuchen konnte. Präsident Carter und der Vorsitzende des Ban-ken-Komitees des Hauses argumentierten gegen das Badillo-Amendment, es sei einerseits zu weich und andererseits zu rigide. Die weiche Stelle liege gerade da, wo die Verfechter die Stärke des Amendments vermuteten, nämlich in der „Ausnahmeregel" betreffend die direkte Hilfe für die Armen. Fern davon, genau operationalisierbar zu sein, besage diese Ausnahmeregel lediglich, daß es künftig nur darauf ankomme, Hilfe für menschenrechtsverletzende Staaten mit der direkten Hilfe für die Armen ideologisch rechtfertigen zu können.
Hier sei ein Schlupfloch, das trotz moralistischer Regel ihre Desavouierung erlaube. Zu rigide bleibe das Badillo-Amendment andererseits, weil es die „Integrität und die Effektivität der internationalen Darlehens-Institutionen unterminiere“
Im Mai 1977 wurde das „Banken-Gesetz" im Senatsausschuß „Foreign Relations" behandelt.
Der Senatsausschuß war bereit, die Perspek-tive der Administration zu übernehmen. Er hob hervor, daß die USA in der Inter-Ameri-can Development Bank, sowieso ein Veto besitze; es sei aber unmöglich, nur durch amerikanisches Veto ein Darlehen etwa bei der Weltbank, wo man über 22 Prozent der Stimmanteile verfüge, zu verhindern. Der Ausschuß hob zudem hervor, es sei bisher üblich gewesen, die internationalen Finanzinstitutionen in ihrer „apolitical nature" zu belassen. Deshalb schlug der Ausschuß generell vor, daß es besser sei, den Menschenrechtsstandard im Falle von „Belohnungen" einzusetzen, um die Menschenrechte zu befördern, statt damit Strafmaßnahmen gegenüber den Verletzern der Menschenrechte zu initiieren. Dieser Maxime stimmte auch das Plenum des Senats zu; es verabschiedete das Banken-Gesetz unter Ablehnung eines eingebrachten Menschenrechts-Amendments aus den eigenen Reihen, das mit dem Badillo/Harkin-Amendment aus dem Haus identisch war. Die Befürworter im Senat hatten, ähnlich wie Badillo/Harkin im Hause, argumentiert: Der Präsident gehe zu selektiv in der Anwendung des Menschenrechtsprinzips vor, zwischen seinen Reden und Taten klaffe eine zu große Lücke. Interessant an der Senatsabstimmung war aber nicht so sehr das vordergründige Ergebnis, sondern der Tatbestand, daß sich in dieser Abstimmung die Fraktionen breit auseinanderdividierten: Das Amendment wurde mit 50 : 43 Stimmen abgelehnt An diesem knappen Resultat waren die republikanischen Senatoren mit 12 : 24 beteiligt, die demokratischen mit 38 : 19.
Gleichsam um zu demonstrieren, wie gering und instabil diese Ablehnungsmehrheit gegenüber einer rigiden Menschenrechtsnorm war, verabschiedete der Senat aber in der Folge im Kontext dieses Gesetzes einige Menschenrechts-Amendments, die in krassem Widerspruch zu seiner Maxime, mit Hilfe der Menschenrechte zu belohnen und nicht zu strafen, standen. Als erstes wurde ein Amendment angenommen, mit dessen Hilfe die US-Repräsentanten bei den internationalen Banken angewiesen werden sollten, Darlehen an Länder mit „beständiger" Menschenrechtsverletzung zu verweigern und jede direkte oder indirekte Finanzhilfe an Kambodscha, Kuba, Laos oder Vietnam ohne irgendeine Einschränkung aufgrund humanitärer Gründe (Bedürfnisklausel) zu verweigern. Später wurde dieses Amendment gegen ein anderes ausgewechselt, nach dem die US-Vertreter gehalten waren, jede Kreditbewilligung der Weltbank und ähnlicher Institute an die drei südostasiatischen Länder zu verweigern, mit der Auflage, daß die USA den gleichen Betrag, den ein internationales Bankinstitut an diese drei Länder vergeben würde, von ihren Zahlungen abziehen würden.
Die nächste Stufe des „Bargaining-Prozesses" mußte bei dieser Ansammlung gegensätzlicher und z. T. konfuser Vorschläge im Vermittlungsausschuß beider Häuser stattfinden. Hier wurden auch die radikalen Vorschläge gegenüber den südostasiatischen Ländern sowie die Erpressungsterminologie gegenüber den internationalen Banken fallengelassen. Die Senatsvertreter akzeptierten das Amendment des Hauses, wonach andere Länder zum Zwecke einer Vereinheitlichung der Menschenrechtsstandards konsultiert werden sollten. Das Badillo/Harkin-Amendment wurde entschärft, indem formuliert wurde, daß den US-Vertretern in den internationalen Banken nahegelegt werden sollte, gegen Hilfsanträge dann zu opponieren, wenn andere Mittel versagt haben, sollten, den Menschenrechten Geltung zu verschaffen. Im Falle einer Ablehnung stände ihnen die Möglichkeit offen, „Nein“ oder . Anwesend" zu stimmen oder ihre Ablehnung in irgendeiner Weise kundzutun; es sei denn, der Präsident bestätige, daß die Menschenrechte eher durch Zustimmung als durch Ablehnung der Hilfe in einem konkreten Fall lanciert werden könnten.
Diese an sich diplomatisch geschickten Formulierungen, die zugleich kompromißbereit aber auch öffentlichkeitswirksam zur Beförderung humanitärer Verhältnisse genutzt werden konnten, wurden am 16. September 1977, als die Vermittlungsvorschläge wiederum dem Repräsentantenhaus vorlagen, von diesem abgelehnt Zunächst wurde der „Conference Report" des Vermittlungsausschusses völlig abgelehnt, doch später überwies das Haus dem Senat einen Gesetzentwurf, der in allen Punkten identisch war mit dem des Vermittlungsausschusses, mit Ausnahme einer härteren Menschenrechtsversion: Der neue Formulierungsvorschlag, den auch der Senat dann am 21. September akzeptierte und mithin das Gesetzgebungsverfahren des Kongresses damit zum Abschluß brachte, lautete dahingehend, daß die US-Vertreter in den internationalen Banken verpflichtet sind, „gegen jede Anleihe (an jeden Rechtsverletzer) zu opponieren ... es sei denn, die Hilfe ist spezifisch auf solche Programme ausgerichtet, die den Armen zugute kommen." Mit dieser Endformulierung waren die langwierigen parlamentarischen Bemühungen an ihren Ausgangspunkt zurückgelangt: Die scheinbar harten Formulierungen des Badillo/Harkin-Amendments hatten den Sieg davongetragen. Die weichere, pragmatischere Linie des Präsidenten war gescheitert Der Abgeordnete Harkin argumentierte zum Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens, daß man Präsident Carter an seiner eigenen Rhetorik in dieser Angelegenheit messen solle. 4. Die Menschenrechtsnorm im Auslandshilfegesetz von 1978
In der legislativen Behandlung der synoptisch zusammengefaßten Auslandshilfe, der „Foreign Aid Appropriations Bill“ ging es nochmals — wenn auch z. T. eben mit anderem Akzent — um die Anwendung der Menschenrechtsregel. Wiederum stand der Kontext der Darlehensgewährung an die Weltbanken sowie die Gewährung von Militärhilfe im Zentrum der Argumentation.
Wenn der Senat im Mai 1977 versucht hatte, das Bankengesetz so zu fassen, daß die Vertreter der USA gegen Kredite an bestimmte, als kommunistisch definierte Länder zu stimmen und eine Regreßforderung im Falle von Zuwiderhandlung anzumelden hätten, so versteifte sich nun — nur einen Monat später — das Haus bei der Beratung des Auslandshilfe-Be-willigungsgesetzes darauf, es der Weltbank vorab zu untersagen, Kredite an Vietnam, Kuba, Laos, Kambodscha, Angola, Mozambique und Uganda zu vergeben. Die Begründung erfolgte — wie zu erwarten — mit dem Hinweis auf die geringe Leistungsbilanz dieser Länder in Sachen Menschenrechte. Dieser Vorstoß des Hauses wurde jedoch sofort von Weltbankpräsident McNamara mit der Warnung zurückgewiesen, die Weltbank könne politische Auflagen dieser Art nicht akzeptieren. Auch der Senat und Präsident Carter wiesen die Auflagen des Hauses mit der gleichen Begründung zurück.
Die Maßlosigkeit der Forderung war dazu angetan, einen Kompromiß mit der Carter-Administration herbeizuführen, der dieser zumindest einen symbolischen Erfolg zuspielte und gleichzeitig eine gewisse Kohärenz ermöglichte — wenn auch zu einem äußerst problematischen Preis: Carter offerierte dem zuständigen Unterausschuß des Repräsentantenhauses einen Kompromiß, in dem er sich ver-pflichtete, die amerikanischen Vertreter in den internationalen Kreditinstituten anzuweisen, gegen Darlehen an die erwähnten sieben Länder zu opponieren und gegen diese zu stimmen. Desgleichen bot er an, gleichsam um sein Angebot mit regionalistischen und branchenspezifischen ökonomischen Interessen der US-Wirtschaft anzureichern, daß er gleichermaßen die Kreditvergabe an solche Länder verhindern wolle, die mit Hilfe der internationalen Darlehen Palmöl, Zitrusfrüchte und Zucker produzieren und damit Importvorteile gegenüber US-Produzenten haben würden.
Die einzige Möglichkeit, dieser nationalistisch verkürzten Außenpolitik noch eine geringe Rechtfertigung zuteil werden zu lassen, läge in der Legitimation eines Machtzuwachses des Präsidentenamtes, wodurch in der Folge eine nationalistisch kurzatmige Menschenrechts-politik dieser Art vermieden und diese in langfristige Programme übergeleitet werden könnte. Die Chancen dafür waren und sind allerdings sehr gering. Wenngleich in diesem Bewilligungsgesetz auch nochmals der Stopp der Militärhilfe an die lateinamerikanischen Staaten verankert wurde, so dominierte doch in der Anwendung der Menschenrechtsklausel in erster Linie das ideologisch-antikommunistische Muster, das die Auslandshilfe zu Sanktionen gegenüber als kommunistisch definierten Ländern benutzte und zudem egoistische Wirtschaftsinteressen favorisierte. Bevor jedoch Präsident Carter seinen Kompromiß angebotsreif formuliert hatte, kürzte das Bewilligungskomittee des Hauses die Mittel für die internationalen Darlehensinstitutionen um beinahe 500 Mio. Dollar, und zwar mit dem Hinweis, daß in der Vergangenheit Kredite an Länder wie Argentinien, Chile, die Philippinen und Uruguay vergeben wurden, also Länder „guilty of serious human rights violations" Genau dieser Mechanismus sollte durch den Carterschen Kompromiß vermieden werden; daß er noch vor Anwendung des Kompromisses in Gang gesetzt wurde, zeigt die deutliche Schwäche des Präsidenten im Verhandlungsprozeß. Die extrem unelastische Menschenrechtspolitik des amerikanischen Kongresses im Jahre 1977 erlaubte es auch dem Präsidenten nicht, eine langfristige Menschenrechtspolitik in Angriff zu nehmen. Diese Folgerung impliziert allerdings nicht automatisch, daß eine langfristige Politik dieser Art, berücksichtigt man die gesamten Umweltbedingungen des politi-sehen Systems der USA, auf jeden Fall möglich sei Die abstrakte Forderung, der Präsident möge zu einer solchen langfristigen Menschenrechtspolitik schreiten, kann deshalb als fragwürdig gelten. Seit dem Jahre 1978 haben sich jedenfalls die nationalistisch-konkretisti-schen Auflagen des Kongresses gegenüber dem Präsidentenamt in Sachen Menschen-rechte nicht so stark wie im Jahre 1977 akzen tuiert; in vielem wurde die Umsetzung der Exekutive zugewiesen Dieser Weg scheint bei einer zu kleinen Schritten gezwungenen Politik, wie der amerikanischen, erfolgversprechender als eine Menschenrechtspolitik deren Universalitätsanspruch in jedem konkreten Schritt von egoistischen Interessen konterkariert wird.
VI. Zusammenfassung und Ausblick
In der hier versuchten Analyse der amerikanischen Menschenrechtspolitik konnten nicht alle wichtigen institutioneilen und problembezogenen Themen abgedeckt werden. Der Zweck der Arbeit lag vielmehr in der Darstellung der wichtigsten Grundmuster der Menschenrechtspolitik. Es fehlt z. B. die Analyse der bisherigen US-Menschenrechtspolitik in den UN, die Beschreibung der institutioneilen und entscheidungsmäßigen Veränderungen im Department of State aufgrund der nun eingeführten Menschenrechtsnorm sowie eine Untersuchung der Menschenrechtspolitik anläßlich der Belgrader Nachfolgekonferenz von 1977/78 zur KSZE in Helsinki von 1975. Auch beispielhafte Gebiets-und Länderstudien, z. B. über die Menschenrechtspolitik gegenüber der Sowjetunion, Lateinamerika, Südafrika oder Uganda, konnten an dieser Stelle natürlich nicht durchgeführt werden. Diese vier hier vernachlässigten Problemfelder sind jedoch äußerst interessant. Ihre Behandlung würde — so meine Hypothese — den hier analysierten Trend einer in sich durchaus inkonsistenten Politik noch verstärken. Untersuchungen dieser Problembereiche würden aber andererseits auch zeigen, welch imposante Schwerkraft die US-Menschenrechtspolitik bis jetzt bereits entwickelt hat und daß ihre Verästelungen zu der Vermutung Anlaß geben, daß es sich hierbei nicht lediglich um eine Eintagsfliege oder um eine modische Nach-Vietnam-Attitüde handelt. Dies dürfte insbesondere dadurch zu belegen sein, daß die Verästelungen dieser Politik mit ihren sozialen Trägern (den Bürgerrechtsbewegungen, den Juristenvereinigungen, den Gewerkschaften, den pro-israelischen Verbänden u. a.) aufgezeigt würden. Dies konnte in der vorliegenden Arbeit immer nur andeutungsweise geschehen, weil für diesen Zweck noch einige nur langfristig durchführbare Forschungsarbeiten fehlen.
Ziel dieser Ausführungen konnte es nur sein, im zeitlichen Kontinuum die Entstehung und Veränderung des Menschenrechtsideals aufzuzeigen. Dabei wurden zwischen 1973 und 1977 fünf Grundtypen von Menschenrechtspolitik im politischen System der USA herausgearbeitet, die allesamt nebeneinander existieren, wenngleich nicht immer harmonieren: — die pro-israelische/antikommunistische Junktim-Politik von Vanik/Jackson, die amerikanische Handels-und die sowjetische Ausreisepolitik betreffend, die sich dann auch in anderen Gesetzeswerken gegenüber sozialistischen oder als kommunistisch definierten Ländern verselbständigte;
— die auf eine an abstrakt-universalistischen Normen orientierte Neustrukturierung der US-Außenpolitik abhebende Richtung des von D. Fraser bis 1978 geleiteten „Subcommittee on International Organizations", die zugleich vom Außenministerium und vom Präsidenten getragen und auch für deren „moralische Aufrüstung" nutzbar gemacht wird;
— die notwendigerweise „idealistische“ und populistische, d. h.der Legitimationsbeschaffung für das ramponierte Ansehen des Präsidentenamts dienende Menschenrechtskampagne von Präsident Carter;
— die Kontrollpolitik des Kongresses mit Hilfe der Menschenrechtsnorm, die dazu benutzt wird, die seit 1973 zu beobachtende Entmachtung der Präsidenten weiter voranzutreiben. Obwohl diese von den demokratischen Abgeordneten Badillo/Harkin angeführte Sammlungsbewegung von linksliberaler Men-talität gespeist wird, verstärkt sie zusammen mit der folgenden Bewegung die parochialen Züge des amerikanischen politischen Systems; — die an Ordnungsund Strukturierungsprinzipien für die Auslands-, Militär-und Entwicklungshilfe interessierten Kongreßgruppen, die mit Hilfe der Menschenrechtsnorm klare Kriterien für einen an sich ungeliebten Tätigkeitsbereich der amerikanischen Außenpolitik entwickeln wollen. Diese Gruppe ist weitgehend diffus; obwohl oft konservativ zur Ablehnung von Entwicklungshilfe motiviert, integriert sie auch linksliberale Abgeordnete, die den Präsidenten kontrollieren wollen, oder auch idealistisch-universalistisch denkende Planer der neuen prinzipienorientierten Außenpolitik.
Manche dieser fünf Grundintentionen konterkarieren sich gegenseitig; sie reproduzieren jedoch zugleich die auch sonst bekannten Prozesse des amerikanischen politischen Systems, dessen Entscheidungen „mutual ad-justment" verlangen und den Charakter von Mehrheitskompromissen tragen müssen. Die Ergebnisse sprechen insgesamt für die These von der „Unregierbarkeit" solch großer Territorialstaaten wie der USA mit ihrer 200jährigen Fundamentaldemokratisierung, die — anders als die parteiendemokratischen Quasi-Obrigkeitsstaaten europäischen Typs — nur schwer zu konsistenten politischen Prinzipien finden. Erst das Bewußtsein, wie schwierig die Erzeugung und Durchsetzung allgemeiner politischer Prinzipien in der amerikanischen Gesellschaft und Politik ist, macht die enorme Anstrengung deutlich, die nötig ist, mit Hilfe idealistischer Kampagnen hin und wieder zu versuchen, eine fiktive Einmütigkeit des Gemeinwesens über allgemeine Normen und Prinzipien herzustellen. So wie es Woodrow Wilson kurz vor dem Ersten Weltkrieg gelungen ist, aus dem „progressive movement" heraus zeitweise die parochiale Schwerkraft des amerikanischen Regionalismus und Partikularismus künstlich aufzuheben, versuchte Jimmy Carter dies legitimerweise und an diesem Muster der politischen Kultur Amerikas orientiert durch seine Menschenrechtspolitik ebenfalls. Er wählte dabei ein ideelles Legitimationsmuster, das der Kongreß seit 1972/73 verstärkt aus dem Kennedy-Nachlaß aktivierte. Mag auch dem gegenwärtigen Präsidenten der mitreißende Zug Wilsons fehlen, so muß doch auch in Betracht gezogen werden, daß Wilson hinsichtlich der Konjunkturzyklen zwischen interessenorientierten und universalistischen Ideen den größten Aufwärtstrend der amerikanischen Geschichte zur Beförderung universalistischer Ideen nutzen konnte. Carter hingegen trifft auf eine Konjunkturlage, die an sich zwar eine ideal-universale Herausforderung enthält, nämlich den relativen Niedergang an Macht nach außen sowie des Präsidentenamtes im Innern, die aber im krassen Widerspruch dazu ausgesprochen parochiale Werte favorisiert. Anders sind die vielen inkonsistenten Attitüden der amerikanischen Bevölkerung nicht zu erklären, wenn sie einerseits die Menschenrechtskampagne begrüßt, andererseits aber einen Kongreß wählt, für-den die Optimierung von Politik auf der Ebene der Wahldistrikte Priorität besitzt. Die gegenwärtig vom amerikanischen Kongreß und den öffentlichen Medien betriebene Demontage der noch tendenziell zu einer den Parochialismus überwindenden Politik fähigen Institutionen des amerikanischen politischen Systems wird allerdings nicht ohne Folgen bleiben. Sollte die regionalistische und lokale Orientierung die Probleme der USA nicht lösen können — hinsichtlich der Außenpolitik darf das Versagen als sicher gelten —, dann bleibt die Forderung nach neuer universalistischer Orientierung virulent. Die intellektuell und theoretisch definitionsmächtigen Strömungen in der amerikanischen Öffentlichkeit setzen Universalismus nach wie vor mit der Orientierung an den Menschenrechten gleich.