I.
„Der Graf Preysing ist ein absolutes Rabenaas. Die größten Rabenaase aber sind die, die zuerst in der demütigen Maske daherkommen. Da muß man sagen: Bestie! Ein pfäffischer Inquisitor ist dagegen eine natürliche Sache. Die Gemeinheit kommt mit der Heuchelei. Das muß einmal ausgeschöpft werden."
Hitlers primitiver Haßausbruch, notiert am Abend des 11. August 1942 im Führerhauptquartier, galt Konrad von Preysing, dem dritten Bischof von Berlin Welcher Einschätzung sich dieser bei den braunen Machthabern erfreute, hätte kaum drastischer unter Beweis gestellt werden können.
Um so mehr fällt auf, daß es um sein Andenken noch immer merkwürdig blaß bestellt ist. Während sich mit der Gestalt seines Münsteraner Amtsbruders Clemens August Graf von Galen geläufige Vorstellungen verbinden besitzen nur wenige hinreichend Kenntnis von Preysings Rolle im Kirchenkampf.
II.
Am 30. August 1880 wurde Konrad Graf von Preysing-Lichtenegg-Moos als viertes von elf Kindern des Grafen Kaspar Preysing (1844 bis 1897) und seiner Frau Hedwig (1849— 1938) auf Schloß Kronwinkl geboren, dem Stammsitz der Familie seit reichlich 800 Jahren, der zwischen Moosburg und Landshut liegt. Hier wuchs Preysing im Kreis seiner Geschwister auf, und er hat der Prägung durch die Erzie-Diese biographische Skizze ist die umgearbeitete und mit Anmerkungen versehene Fassung eines iaon^ges'deraufdem 86. Deutschen Katholikentag USO in Berlin gehalten wurde. hung im Elternhaus stets besonderes Gewicht für sein späteres Wirken beigemessen.
In seinen Eltern verbanden sich die Traditionen des altbayerischen Adels mit der vergleichsweise urbaneren Geistigkeit der österreichisch-ungarischen Aristokratie. Die Mutter, eine geborene Gräfin Walterskirchen, aus Preßburg stammend und in ihrer Jugend Ehrendame am Wiener Kaiserhof, übte auf die geistige und charakterliche Entwicklung des Kindes besonderen Einfluß aus; sie bestärkte den gesundheitlich stets anfälligen Jungen in seiner künstlerisch-literarischen Aufgeschlossenheit und weckte sein großes Fremdsprachentalent, während seine politischen Interessen sich am Vorbild des Vaters bildeten, der von 1882 bis 1890 für das Zentrum dem Reichstag angehört hatte.
Beide Eltern waren von tiefer, unkompliziert-selbstverständlicher Religiosität, die sie, mit einem unübersehbaren Zug von Nüchternheit, ihren Kindern als besonderes Erbteil vermachten. Ihre Erziehungsgrundsätze waren im übrigen vom Gedanken der Lebensbewältigung geprägt: Frühzeitig sollten Konrad und seine Geschwister lernen, daß das Privileg hoher Geburt und materiell sorgenfreier Existenz durch besondere Haltung gerechtfertigt werden mußte und jedenfalls keine Ansprüche begründete, daß also, anders gesprochen, den Pflichten Vorrang vor eigenen Wünschen zukam.
Nach dem Abitur studierte Konrad von Preysing in München und Würzburg die Rechte, beendete die Ausbildung mit hervorragendem Erfolg, war kurze Zeit in einer Anwaltskanzlei tätig und trat 1906 als Ministerialpraktikant in die Dienste des Bayerischen Staatsministeriums des Äußern. 1907 wurde er der Münchner Gesandtschaft am italienischen Königshof attachiert, überraschte aber schon ein Jahr später mit einem Abschiedsgesuch, in dem er die Überzeugung aussprach, daß ihn seine Bestimmung eher dem geistlichen Berufe zuführe. So brach er seine vielversprechende diplomatische Karriere ab, noch ehe sie eigentlich begonnen hatte, und schrieb sich, wie zuvor schon zwei seiner Brüder, an der theologi-sehen Fakultät der Universität Innsbruck ein.
Als der 32jährige am 26. Juli 1912 zum Priester geweiht und im Jahr darauf mit einer kirchen-geschichtlichen Arbeit aus dem Bereich der Patristik („Der Leserkreis der Philosophoumena Hippolyts") zum Doktor der Theologie promoviert wurde, war er „dem Kaplansalter bereits entwachsen“ Es traf sich jedoch, daß der Münchner Erzbischof Franz von Bettinger einen persönlichen Sekretär suchte und seine Wahl um so lieber auf Preysing fiel, als dieser nach Auftreten wie Kenntnissen das Wirken des volkstümlichen Oberhirten vortrefflich zu ergänzen versprach.
Nach Bettingers Tod fand Preysing einen neuen Wirkungskreis als Stadtpfarrprediger von St. Paul in München, bis ihm der neue Erzbischof Michael von Faulhaber 1921 die Stelle des Dompredigers an Liebfrauen übertrug Seinem ganzen Habitus nach war Preysing freilich nicht der geborene Rhetor, der, wie sein Erzbischof, durch barocke Sprachgewalt die Massen in seinen Bann gezogen hätte. Aber obwohl’seine Predigten eher an den Verstand appellierten als an das Gemüt, wußte er sich doch einen festen Zuhörerkreis zu verschaffen. Daneben bezeugten eine Reihe von Abhandlungen und Übersetzungen während dieser Jahre sein anhaltendes theologisches und literarisches Interesse, Ausdruck seiner Unschlüssigkeit, ob nicht doch eine kirchen-geschichtliche Professur angestrebt werden sollte.
Mögliche Zweifel wurden im Mai 1928 durch seine Berufung ins Münchner Domkapitel behoben, die zugleich auch den Eintritt in die Verwaltung der Erzdiözese bedeutete. Auch in diesem neuen Amt verschaffte Preysing sich rasch den Respekt seiner Umgebung. Von seinen Kollegen im Metropolitankapitel erzählte er später lachend einem Berliner Vertrauten, daß sie bei den Ordinariatssitzungen „still wie die Hüher auf ihren Stangen" gesessen seien, wenn Kardinal Faulhaber in „hoheitsvoller] Kälte" den Vorsitz führte, und alle ihn nach Sitzungsschluß beglückwünscht hätten, als er dem Erzbischof einmal zu widersprechen gewagt habe
Doch auch der Apostolische Nuntius Eugenio Pacelli war auf den jungen Domkapitular aufmerksam geworden. Seit 1917 in München akkreditiert und seit 1920 zugleich in Berlin, versicherte Pacelli sich wiederholt der diskreten Dienste des Dompredigers von Liebfrauen, vor allem bei Missionen diplomatischer Art Gesellschaftliche Gewandtheit und frühere berufliche Erfahrungen kamen Preysing dabei gleichermaßen zustatten. Obwohl Pacelli, da zum Kardinalstaatssekretär aufgestiegen, 1930 nach Rom zurückkehrte, wandte er den deutschen Verhältnissen auch weiterhin seine besondere Aufmerksamkeit zu. Es ging wesentlich auf seinen Einfluß zurück, daß Pius XI. Konrad von Preysing im September 1932 zum neuen Bischof von Eichstätt ernannte, der an Seelenzahl kleinsten der bayerischen Diözesen.
III.
Bistum und Bischofsstadt Eichstätt lagen zwar durchaus im Windschatten des Geschehens, aber dennoch hat Preysing den Todeskampf der Weimarer Republik mit höchster Spannung verfolgt. Durch die Radikalität der politischen Forderungen und die Brutalität der Auseinandersetzungen zutiefst angewidert, empfand er die „Machtübernahme“ durch Hitler selbst in der Abgeschiedenheit der Provinz als folgenschweres Verhängnis. Hinter seinem sorgenvollen Kommentar: „Wir sind in den Händen von Verbrechern und Narren“ mochten natürlich auch Eichstätter Erfahrungen stehen, wo in der Regel der „Dorflump“ die Ortsgruppe der Partei führte; für weitaus gefährlicher hielt er jedoch Ideologie und totalen Erfassungsanspruch des Nationalsozialismus, worin er den künftigen Konflikt bereits angelegt sah Insofern ließ er sich auch nicht wie manche seiner Amtsbrüder von der nationalen Aufbruchsstimmung des Frühjahrs 1933 den Blick verstellen, sondern plädierte auf dem außerordentlichen Plenartreffen der deutschen Bischöfe, das Ende Mai/Anfang Juni 1933 in Fulda stattfand, für entschiedene Abgrenzung Seine Forderung, in Kundgebungen des Episkopats „kein Bekenntnis zur . neuen Ordnung’, zum . neuen Staat’ aufzunehmen“, begründete er mit der Gleichsetzung von Staat und Partei. Vor seinen Amtsbrüdern führte er aus: „Wir sind es dem katholischen Volke schuldig, ihm die Augen zu öffnen über die Gefahren für Glaube und Sitte, die sich aus der nationalsozialistischen Weltanschauung ergeben."
Von seiner Skepsis konnte ihn auch die Unterzeichnung des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 nicht befreien das den kirchlichen Wirkungsbereich zumindest vorläufig zu garantieren schien, in ihm aber die bange Frage wachrief, was von der Vertragstreue notorischer Rechtsbrecher zu halten sei Praktischen Anschauungsunterricht bot der Gleichschaltungsdrang des Regimes jedenfalls auch in der mittelfränkischen Diözese
Ungeachtet der widrigen Zeitumstände hatte Preysing in seinem Eichstätter Hirtenamt „eine Aufgabe und eine Lebensatmosphäre"
gefunden, „die vollständig seinem Wesen“ ent-sprachen Um so größer war sein Erschrekken, als sich im Frühjahr 1935 Anzeichen seiner bevorstehenden Translation auf den vakanten Bischofsstuhl von Berlin mehrten. Vergeblich wandte er sich Anfang Juni 1935 in Briefen an Kardinalstaatssekretär Pacelli und den Apostolischen Nuntius Orsenigo, um die Ernennung abzuwenden. Er war überzeugt, „nicht der Mann mit den eisernen Nerven“ zu sein, den die Stunde „an dem exponiertesten Platz in Deutschland" erforderte, und auch „der Schmerz, eine geliebte Wirkungsstätte evtl, verlassen zu müssen", spielte eine wichtige Rolle
In der Tat hat Preysing seine Berufung nach Berlin als die wohl schwerste Prüfung seines Lebens empfunden und sich in der Reichshauptstadt zunächst tief unglücklich gefühlt aber getreu seinem Bischofswort „Auf Dein Wort hin" beugte er sich der Wahl des Berliner Domkapitels und dem päpstlichen Willen und bereitete die Übersiedlung vor. Als seine Ernennung am 6. Juli 1935 publiziert wurde, telegraphierte ihm Kardinal Faulhaber von München: „Meine Gebete begleiten Dich auf dem Weg nach Golgatha.
IV.
Eichstätt und Berlin waren Gegensätze, wie sie größer wohl schwerlich gedacht werden können: dort eine idyllische Kleinstadt mit uralter geistlicher Tradition, die Diözese ländlich strukturiert und leicht überschaubar; hier die Asphaltwüste einer Millionenstadt und das junge Diasporabistum mit allen Schwierigkeiten der Neugründung behaftet.
Zu den besonderen Problemen der Seelsorge in industriellen Ballungsgebieten kamen zusätzliche Aufgaben, die sich aus der Lage Berlins als Hauptstadt des Reiches ergaben. So hatte der Berliner Ordinarius nicht nur Fühlung zum Vatikan und zur Reichs-und Preußischen Regierung zu halten, sondern auch seine Informationsmöglichkeiten für überdiözesane Mandate der Fuldaer Bischofskonferenz zu nutzen. Angesichts bedrohlicher Span-nungen im Verhältnis von Kirche und Staat war das ein dornenvolles Amt, und mit Recht konnte Preysing bei Gelegenheit bekennen: „Es wird kaum eine Diözese in Deutschland geben, die so viele Ansprüche an die Person des Bischofs stellt wie Berlin.“
Einen Vorgeschmack der rauher gewordenen Luft bekam Preysing schon bei seiner Einführung zu spüren: Demonstrativ blieben die eingeladenen Reichsbehörden seiner feierlichen Inthronisierung in der Berliner St. Hedwigs-kathedrale am 7. September 1935 fern, um damit gegen den August-Hirtenbrief der deutschen Bischöfe zu protestieren der die ständigen Konkordatsbrüche gebrandmarkt hatte Auch bei seinem protokollarisch gebotenen Antrittsbesuch im Reichskanzlerpalais am 23. Oktober 1935 wurde Preysing mit Vorwürfen Oktober 1935 wurde Preysing mit Vorwürfen kirchlicher Intransigenz überschüttet. Erfolgreich widerstand er indessen „Hitlers legendärer Suggestionskraft" 22) und zeigte eine Reserviertheit, die der . Führer'ihm nie vergaß; noch die eingangs zitierte Beschimpfung des Bischofs aus dem Jahre 1942 war ein Nachklang dieser Verstimmung.
Trotz dieses unfreundlichen Empfangs hielt Preysing sich anfangs mit kritischen Äußerungen betont zurück. Der Grund ist in Rücksichten auf die kirchenpolitische Großwetterlage zu sehen. Unter dem 16. Juli 1935 hatte Hitler die Errichtung eines Reichskirchenministeriums verfügt 23), und der neue Ressortchef Hanns Kerri ließ es während etlicher Wochen an Bekundungen prinzipieller Gesprächsbereitschaft nicht fehlen Immerhin konnte man darin nach allen Enttäuschungen der Vergangenheit einen vorsichtigen Hoffnungsschimmer sehen. Auch der ansonsten zur Skepsis geneigte Kardinalstaatssekretär Pacelli meinte den Bischöfen anraten zu sollen „in der Öffentlichkeit den Anschein passiven Zuwartens zu vermeiden und die Regierung zu zwingen, die [längst überfälligen] Verhandlungen [betr. die Ausführungsbestimmungen zum Verbändeschutzartikel 31 des Reichskonkordats] entweder zu beginnen oder in unmißverständlicher Weise abzulehnen" Preysing als Mitglied der dreiköpfigen Bischofsdelegation, die kirchlicherseits die Verhandlungen führen sollte, beurteilte deren Erfolgsaussichten denkbar gering. Tatsächlich scheiterten sie schon bald an unüberbrückbaren Gegensätzen, und der Reichskirchenminister schwenkte in die erprobten Bahnen polizeistaatlicher Unterdrückungsmaßnahmenzurück, um sich nicht im eigenen Lager zu isolieren, wo „selbstbewußte Experten der . Gegner-bekämpfung'" wie Himmler, Heydrich und Rosenberg den Ton angaben Unterdessen schwoll der Katalog kirchlicher Beschwerdepunkte weiter an: Noch ehe Preysing in seinem neuen Bistum recht heimisch geworden war, wurde im Zuge einer gelenkten Kampagne gegen kirchliche „Devisenverbrecher" im Oktober 1935 Bischof Legge von Meißen verhaftet Damit sah Preysing sich zum Apostolischen Administrator der verwaisten Nachbardiözese bestellt. Nur einen Monat später griff die Gestapo auch im Berliner Ordinariat zu und nahm mit Domkapitular Banasch einen engen Mitarbeiter des Bischofs in monatelange Schutzhaft. Der Vorwurf lautete diesmal auf Geheimnisverrat, weil Banasch als Leiter einer Informationsstelle des deutschen Episkopats die Bischöfe über vertrauliche antikirchliche Erlasse unterrichtet hatte Nachgerade bedrohlich wurde die Situation jedoch in den Jahren 1936/37, als das Regime über viele Monate hin mit dem großangelegten Verleumdungsfeldzug der Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester das moralische Ansehen der Kirche zu untergraben versuchte. Gerade Berlin wurde zu einem Zentrum der antikirchlichen Hetze. Höhepunkt der Kampagne war am 28. Mai 1937 eine Großveranstaltung in der Deutschlandhalle, bei der sich Reichspropagandaminister Goebbels vor 20 000 fanatisierten Parteigenossen über die „herdenmäßige Unzucht" „Tausender] von kirchlichen Sexual-verbrechen" ausließ
Die systematische Bekämpfung des kirchlichen Wirkens in der Öffentlichkeit war eher langfristig angelegt Schrittweise wurde der kirchliche Einfluß auf die Schulen beseitigt, der Klerus vom Religionsunterricht ausgeschlossen, die Ordensschulen und Internate abgebaut und sämtliche Bekenntnisschulen in nationalsozialistische . Deutsche Schulen'umgewandelt. Die gleiche Salamitaktik zeigte sich bei den Auseinandersetzungen um die katholischen Verbände und bei der Pressepolitik des Regimes. Während die Verbände einem zermürbenden Auszehrungskampf unterworfen waren, an dessen Ende zumeist staatspolizeiliche Auflösungsverfügungen standen, wurden mit wachsender Lenkung der veröffentlichten Meinung durch Propagandaministerium und Reichspressekammer auch die katholischen Zeitungen und Zeitschriften immer stärker zurückgedrängt und in Umfang und Inhalt beschränkt, bis sie während des Krieges verboten wurden -Gerade der Pressepolitik wandte Preysing als Beauftragter der Fuldaer Bischofskonferenz für die kirchlich-katholische Presse seine besondere Aufmerksamkeit zu und er besaß in Domkapitular Heinrich Heufers und seinem späteren Biographen Walter Adolph ebenso engagierte wie sachkundige Mitarbeiter.
Wie die meisten seiner bischöflichen Amtsbrüder reagierte Preysing auf die Herausforderung durch das Regime zunächst mit den Mitteln traditioneller Eingabenpolitik. In zahllosen, sorgfältig formulierten schriftlichen Protesten wandte er sich an die verantwortlichen Stellen und forderte Abhilfe. Aber wie hieb-und stichfest seine Argumente auch immer waren, mußte er sich doch schon bald eingestehen, daß sie die Gegenseite nicht im geringsten beeindrucken konnten. Seit spätestens Ende 1936, als eine Begegnung zwischen Kardinal Faulhaber von München und Hitler ohne jedes positive Ergebnis blieb, stand daher für Preysing fest, daß ein Einlenken des Regimes nicht zu erwarten war „Die Ursache für den Haß und die Feindschaft der NSDAP gegen jedes offenbarungsgläubige Christentum" schien ihm prinzipieller Natur; er sah sie in der weltanschaulich geforderten Totalerfassung aller Lebensbereiche grundgelegt. Daraus folgte für ihn, daß die Partei jede Beeinträchtigung ihres Ausschließlichkeitsanspruchs kompromißlos bekämpfen mußte und sich allenfalls zu taktischen Zugeständnissen bereitfinden würde, die sie bei nächster Gelegenheit widerrufen konnte.
Daher begrüßte Preysing das Erscheinen der Enzyklika „Mit brennender Sorge" vom 14. März 1937, die, von allen Kanzeln verlesen, ein seit langem erwartetes, erlösendes Zeichen setzte In ihr rechnete Pius XL vor der Weltöffentlichkeit in aller Schärfe mit der Kirchenpolitik des Nationalsozialismus ab und nannte sie einen von Anfang an geplanten „Vernichtungskampf". Daß der Papst Anfang Januar 1937 außer den ranghöheren deutschen Kardinälen Bertram, Faulhaber und Schulte mit den Bischöfen Preysing und Galen ausgerechnet zwei Verfechter energischer Verteidigungsmaßnahmen nach Rom gerufen hatte, um sein Vorhaben abzustimmen, zeigt, welches Gewicht der Vatikan gerade auf ihr Urteil legte
V.
Durch den päpstlichen Offensivstoß konnte Preysing sich in seiner Lagebeurteilung bestätigt sehen, und es lag nahe, daß er auch Schluß-folgerungen für den bischöflichen Abwehr-kurs zog. Das bisher geübte Verfahren interner schriftlicher Proteste und Eingaben, das in Kardinal Bertram von Breslau, dem Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, „einen ebenso kundigen wie starrsinnigen Verfechter besaß" hatte sich seiner Meinung nach als erfolglos erwiesen. Ebenso schienen ihm Verhandlungen mit dem staatlichen Konkordats-partner sinnlos, wenn gleichzeitig durch Druck und Gewalt vollendete Tatsachen geschaffen wurden.
Mitte Oktober 1937 zog er sich deshalb von geplanten Schulverhandlungen zurück und kam in einer von Walter Adolph ausgearbeiteten Denkschrift an Kardinal Bertram zu Vorschlägen „die den Gegebenheiten und der Mentalität des SS-Staates Rechnung" zu tragen suchten
1. Verhandlungen nur zu führen, wenn auch tatsächlich ein Waffenstillstand eingehalten wird;
2. klar die Verantwortung der NSDAP und ihrer Organisationen für den Kampf gegen die Kirche herauszustellen;
3.den diplomatischen Ton schriftlicher Proteste nach der Devise „Angriff ist die beste Verteidigung" zu ändern;
4. alle wichtigen Eingaben nach bestimmter Frist dem Klerus bekanntzugeben;
5. die Gläubigen „durch kurze, und aktuelle den Kirchenkampf in seinen wahren Motiven und Vorgängen aufzeigende Hirtenbriefe aufzuklären". Nach allen Erfahrungen, hieß es zur Begründung, fürchte die Partei einzig Öffentlichkeit und Massenreaktion, da aus ihnen am ehesten „eine noch bestehende Begrenzung ihres universalen Machtanspruchs" sprach.
Um so dürftiger fiel aus, was Preysing mit seinem Vorstoß in Breslau erreichte. Bertram, der bei grundsätzlich kaum weniger illusionsloser Einschätzung des Nationalsozialismus doch vor offener Konfrontation zurückschreckte, fürchtete von unverhohlener Kampfansage nur neue und schwerste Verwicklungen. Sorgenvoll verwies er auf seine Erfahrungen aus dem Kulturkampf und warnte vor einer Über-forderung von Klerus und Gläubigen
Es bedarf keiner näheren Begründung, daß der Erfolg von Preysings Konzept wesentlich von einem einigen und geschlossenen Vorgehen des deutschen Episkopats abhing. Mit Bertrams unverhüllter Absage entschwand aber diese Voraussetzung; ein Kurswechsel war schwerlich gegen den Willen des Konferenz-vorsitzenden durchzusetzen, der die Linien der kirchlichen Abwehr in eigenwilliger Autoritätsauffassung bestimmte.
Solange dieser Führungsanspruch nicht ernsthaft bestritten wurde, mußten auch weitere Versuche Preysings, den Vorsitzenden stärker auf das Meinungsspektrum im Gesamtepiskopat festzulegen, ergebnislos bleiben. Das gilt auch für seinen Vorschlag, den schwerfälligen Apparat der Fuldaer Bischofskonferenz durch „eine Art engeren Ausschusses" zu ergänzen, der zwischen den jährlichen Plenarversammlungen über drängende kirchenpolitische Fragen beraten sollte Allerdings schlug der schwelende Meinungsstreit im April 1940 in einen offenen Gegensatz um, als Kardinal Bertram im Namen aller deutschen Bischöfe ein Geburtstagsschreiben an Hitler sandte, ohne sich zuvor ihres Einverständnissesversichert zu haben, über Tatsache wie Inhalt der Glückwunschadresse war Preysing so bestürzt, Austritt aus daß den der Fuldaer Bischofskonferenz erwog, ja sogar zum Verzicht auf sein Bistum bereit war -Zwar konnte ihn Eugenio Pacelli, der 1939 als Pius XII.den Stuhl Petri bestiegen hatte, von diesem Schritt abhalten, doch gab er protestierend sein Pressereferat in die Hände Bertrams zurück. Als auf der nächsten Plenarversammlung im August 1940 trotz ausdrücklicher päpstlicher Aufforderung keine Aussprache über den kirchenpolitischen Kurs des Vorsitzenden zustande kam, war die Spaltung des Gremiums offensichtlich: Um Bertram zu schonen, aber „zum Schaden der Sache" war „das drängendste aller Probleme aus den Beratungen ausge-schieden"
VI.
Für das eigene Bistum hatte Preysing bereits seit dem Jahre 1937 Konsequenzen aus seiner Lagebeurteilung gezogen: Ohne den Weg (interner) schriftlicher Eingaben zu verlassen, wandte er sich nun zusätzlich auch an die Öffentlichkeit, um das Kirchenvolk über den Unterdrückungskurs des Regimes und die Ergebnislosigkeit seiner Protestschritte zu unterrichten „Wenn ich gefragt würde, was tun", umschrieb er in einem Brief an Pius XII.seine Taktik, „so würde ich sagen: die bisherige Linie , Mit brennender Sorge'etc. einhalten, ohne unnötige Reibungen hervorzurufen, fest und entschieden Glauben und kirchliche Rechte verteidigen, Klerus und Volk im Ausharren stärken. Die Treue der Katholiken ist unsere letzte und einzige Hoffnung. Ob dieser Haltung Erfolg beschieden wird, weiß Gott allein. Jedenfalls ist es die einzige Haltung, die nicht von vornherein zum Untergang der Kirche in Deutschland führt."
Durchaus folgerichtig hütete er sich auch vor ungewollter Unterstützung von Hitlers aggressiver Außenpolitik. Hatte er schon anläßlich der Besetzung des entmilitarisierten Rheinlandes im März 1936 gefragt: „Haben wir Auftrag und Sendung, als Bischöfe autoritativ zu einer außenpolitischen Entwicklung Stellung zu nehmen?" so nahm er auch vor der Volksabstimmung über den . Anschluß" Österreichs vom 10. April 1938 „leidenschaftlich für sich als Bischof das Recht des Schweigens in Anspruch“, als das Propagandaministerium den Abdruck einer Auflagenachricht in der kirchlichen Presse erzwang. Er war sogar bereit, sein Kirchenblatt hierfür zu opfern
Kompromißlos, wo es ihm erforderlich schien, flexibel, wo es die Umstände geboten, mußte er sich mit zunehmendem Druck aber immer deutlicher der Grenzen seiner Wirkungsmöglichkeiten bewußt werden. Gerade der Kriegsausbruch legte ihm weitere Fesseln an. Was auf diskreten Wegen an zusätzlichen Informationen über den Tabula-rasa-Kurs kirchenfeindlicher Kräfte und vor allem über den Ausrottungsfeldzug gegen Geisteskranke, Juden, Zigeuner und Slawen an sein Ohr drang, war nicht dazu angetan, sein Entsetzen zu mildern, sondern verstärkte nur das Gefühl der eigenen Ohnmacht. Beispielhaft heißt es etwa in einem Hilferuf an den Papst, der noch ganz unter dem Eindruck schwerer Bombenangriffe auf die Reichshauptstadt geschrieben war: „Wohl noch bitterer trifft uns gerade hier in Berlin die neue Welle von Judendeportationen, die gerade die Tage vor dem 1. März [1943] eingeleitet worden sind. Es handelt sich um viele Tausende, ihr wahrscheinliches Geschick haben Eure Heiligkeit in der Radiobotschaft von Weihnachten [1942] angedeutet. Unter den Deportierten sind auch viele Katholiken. Wäre es nicht möglich, daß Eure Heiligkeit noch einmal versuchten, für die vielen Unglücklichen-Unschuldigen einzutreten? Es ist dies die letzte Hoffnung so vieler und die innige Bitte aller Gutdenkenden."
Was Preysing selbst tun konnte, war wenig genug, doch das Wenige wurde nicht unterlassen. Der Juden wie der christlichen „Nichtarier" nahm sich das von ihm gegründete „Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat" an, dessen Leitung der Bischof nach der Verhaftung von Dompropst Lichtenberg selbst übernahm, vor allem unterstützt von Margarethe Sommer Unter den argwöhnischen Augen der Gestapo waren ihren Hilfsmöglichkeiten natürlich enge Grenzen gesetzt, doch sind, einem Bericht aus der Nachkriegszeit zufolge, immerhin „ca. 3 365 Einzelpersonen betreut“ worden Mehrfach intervenierte der Bischof auch brieflich bei SS-(Ober-) Sturmbannführer Eichmann, um Ausreisegenehmigungen für rassisch Verfolgte zu erhalten, aber offenkundig ohne Erfolg Wohl dürfte es mit auf seine und Kardinal Bertrams Bemühungen zurückgehen, daß 1943 ein geplantes Gesetz über die Zwangsscheidung „rassischer Mischehen“ zurückgestellt wurde, dessen Erlaß zahllose „Nicht-Arier" mit Deportation und Tod bedroht hätte -In diesem Zusammenhang ist auch die Aufforderung Preysings an mehrere Amtsbrüder zu sehen, „sich in bestimmtem Ton bei den Ministerien nach den . katholischen Nichtariern'zu erkundigen und mit öffentlichem Protest zu drohen“
Gegen die Willkürherrschaft des Regimes forderte er zusammen mit anderen Bischöfen im November 1941 ein gemeinsames, von apostolischem Freimut getragenes Hirtenwort, das die „öffentliche Verletzung von göttlichem und natürlichem Recht“ ebenso öffentlich verurteilen sollte. Nicht die Frage von Erfolg oder Mißerfolg dürfe bei diesem Schritt von Bedeutung sein, sondern nur die Frage: „Was ist im gegenwärtigen Augenblick unsere Pflicht? Was verlangt das Gewissen? Was erwartet Gott, das gläubige deutsche Volk von seinen Bischöfen?“ Zwar kam die Aktion in der vorgesehenen Form nicht zustande, doch fertigte Preysing aus dem Hirtenbriefentwurf eine Denkschrift, die gemeinsam vom deutschen Episkopat und der evangelischen Kirchenführung im Dezember 1941 der Reichskanzlei zugestellt wurde
Stärkere Anlehnung fand Preysing während der letzten Kriegsjahre bei der westdeutschen Bischofskonferenz, deren neuer Vorsitzender, Erzbischof Frings von Köln, seine Ansichtei weitgehend teilte So wurde sein Advents hirtenbrief vom 13. Dezember 1942 über di Grundlagen des Rechts auch in den westdeut sehen Diözesen verlesen, ja er fand selbst Auf merksamkeit im britischen Rundfunk und in amerikanischen Repräsentantenhaus E war ein mutiger Kanzelprotest, der autoritati feststellte: „Wer immer Menschenantlitz trägt hat Rechte, die ihm keine irdische Gewalt neh men darf ... All die Urrechte, die der Mensel hat, das Recht auf Leben, auf Unversehrtheit auf Freiheit, auf Eigentum, auf eine Ehe, derer Bestand nicht von staatlicherWillkür abhängt können und dürfen auch dem nicht abgespro chen werden, der nicht unseres Blutes ist odei nicht unsere Sprache spricht.“ Welchen Eindruck die Hirtenworte des Bischofs bei den braunen Machthabern hervor riefen, belegt eine Tagebuchnotiz des Reichs-Propagandaministers, der ihn als Hetzer gegen die deutsche Kriegsführung'„für den Tag der Endabrechnung ... vormerkte" über die gesamte Kriegsdauer hinweg stand Preysing in regem Meinungsaustausch mit Papst Pius XII. Ausweislich der gedruckt vorliegenden Korrespondenz des Pacelli-Papstes ist er unter allen deutschen Bischöfen dessen „mit Abstand bevorzugte[r] Briefpartner“ gewesen Eng waren auch die Beziehungen zur Widerstandsgruppe des Kreisauer Kreises, dessen Haupt, Helmuth Graf von Moltke, oft sein Gast war und sich „stundenlang [mit ihm] über den Neuaufbau Deutschlands“ unterhielt Mehrfach empfing Preysing auch andere Regimegegner, darunter Graf Stauffenberg und Carl Friedrich Goerde ler. Nach dem fehlgeschlagenen Attentat vom 20. Juli 1944, das ihn selbst überrascht hatte, rechnete er ständig mit seiner Verhaftung. Gleichwohl verweigerte er den Hinterbliebenen der hingerichteten Widerstandskämpfer seine Hilfe nicht. Erst nach Kriegsende warfür seine Vertrauten zu merken, „wie die Unge-wißheit des Wartens kaum ertragbar auf ihm gelastet" hatte
VII.
Seit dem 23. November 1943 ausgebombt und aller persönlichen Habe beraubt, erlebte Preysing den Zusammenbruch und die Besetzung Berlins in tiefster Niedergeschlagenheit. Die sich rasch abzeichnende Teilung Deutschlands, das Ausmaß der Zerstörung und die bittere Not in der russischen Zone ließen ihn vorübergehend an der Überlebensfähigkeit der Diözese zweifeln. In die drückenden Sorgen der Nachkriegszeit platzte Weihnachten 1945 die überraschende Rundfunkmeldung, daß Papst Pius XII.den Bischof von Berlin in das Kardinalskollegium berufen habe.
Preysing empfand diese Auszeichnung als unverdiente Ehrung und verstand sie als Ansporn zu weiterem Einsatz. Seine letzten Lebensjahre galten dem Wiederaufbau des zerstörten Bistums und dem Kampf gegen jene neue Form des totalen Herrschaftsanspruchs, die sich anstelle der erhofften Befreiung über die Menschen im sowjetischen Machtbereich breitete. Die Ideologie des Marxismus-Leninismus hatte mit der gerade überwundenen Weltanschauung des Nationalsozialismus ja den entscheidenden Grundzug gemeinsam, daß auch sie die Gleichschaltung und totale Erfassung allerLebensbereiche anstrebte. Wie zuvor schon im Dritten Reich verstand Preysing sich daher als Anwalt der Unterdrückten, öffentlich und intern, in Predigten, Hirten-worten und Eingaben protestierte er gegen die Beschränkungen des kirchlichen Lebens, die Indoktrinierung in den Schulen, die revolutionären Umwälzungen der Eigentumsverhältnisse, wie sie sich vornehmlich bei der „Bodenreform“ zeigten, die neu-alten Konzentrationsund Umerziehungslager und ein allgemeines Aufkommen von Rechtlosigkeit und Machtmißbrauch
Als außerordentlich folgenreich erwies sich sein Runderlaß vom 20. Dezember 1947, der in Bekräftigung einer älteren Verfügung den Priestern politische Stellungnahmen untersagte „Erklärungen zu Zeitfragen" blieben vielmehr ausdrücklich den Bischöfen Vorbehalten. Damit bewahrte er den Klerus nachhaltig vor propagandistischer Vereinnahmung durch das SED-Regime, zumal der Erlaß schon bald für alle kirchlichen Jurisdiktionsbezirke der DDR Geltung erlangte und auch von Preysings Nachfolgern mehrfach bestätigt worden ist
Daneben galt Preysings Sorge der drückenden Not. Zahlreiche Hilfsappelle und eine längere Amerikareise im Frühjahr 1947 fanden unerwartet große Resonanz, und gerade auch seine vorzüglichen Sprachkenntnisse und die Würde des Kardinalamts öffneten ihm manche Türen und unterstrichen seine Glaubwürdigkeit als Vertreter eines „anderen Deutschlands". Durch seine vielfältigen Aktivitäten wuchs Preysing gleichsam von selbst in die Rolle eines Sprechers der mitteldeutschen Ordinarien hinein und erlebte im Juli 1950 noch die Errichtung einer „ostdeutschen Bischofskonferenz" durch Papst Pius XIL, die später in „Berliner Ordinarienkonferenz" und 1976 dann in „Berliner Bischofskonferenz“ umbenannt wurde.
Unverkennbar wurde indessen, daß die Belastungen der vergangenen Jahre an seinen Kräften gezehrt hatten; warnende Anzeichen mehrten sich, und während der Berlin-Blokkade traf ihn im Oktober 1948 ein leichter Gehirnschlag. Dennoch unerwartet verstarb der erst 70jährige am 21. Dezember 1950 in Berlin. Er wurde in der St. Hedwigskathedrale beigesetzt.
VIII.
In den dreißig Jahren, die seit Preysings Tod vergangen sind, ist seinem Wirken zwar vielfache Anerkennung gezollt worden, einem breiten Publikum wurde er allerdings nicht bekannt. Schon seine Berufung in das Kardinalskollegium, die ihn zusammen mit Erzbischof Frings und Bischof von Galen erreichte, hat bei nicht wenigen verwundertes Fragen ausgelöst. Nicht mit der Würde eines altehrwürdigen Metropolitansitzes geschmückt und ohne die Aura des „Löwen von Münster", war Preysing für viele ein unbeschriebenes Blatt, und seine Leistungen waren kaum in das allgemeine Bewußtsein gedrungen.
Wer nach den Gründen forscht, kann nicht übersehen, daß vieles an Preysings Person sich popularisierender Betrachtung entzieht. Anders als etwa sein Münsteraner Vetter Clemens August von Galen hat er sich nicht in das Gedächtnis der Nachwelt hineinpredigen können. Ihm fehlte das Charisma des populären Kirchenfürsten oder geborenen Kanzel-redners, und er hätte in der Weite und Fremdartigkeit seines Diasporabistums auch schwerlich auf die gleiche Zustimmung rechnen können, wie Galen sie in der westfälischen Landbevölkerung fand.
Anders auch als der Bischof von Münster war Preysing seiner ganzen Persönlichkeit nach nicht eigentlich ein Kämpfer, sondern der geborene Diplomat, ein Mann des Salons, nicht des Forums. Wenn er gelegentlich bekannte, eher „die Natur einer Rehgeiß" zu haben war damit ausgesprochen, wie wenig die ihm aufgezwungene Auseinandersetzung seinem Wesen entsprach. Nur Eingeweihte wußten, daß er seine Frontstellung gegen die Terror-Herrschaft ständigen Anfechtungen abringen mußte. Denn ausgezeichnet durch hohe Intelligenz, ungewöhnliches Einfühlungsvermögen und politische Urteilskraft, gelangen ihm zwar Analysen von erstaunlicher Treffsicherheit, er empfand aber zugleich auch die Risiken seiner Entschlüsse. Je mehr er sich in die vermuteten Reaktionen der Gegenseite hineinversetzte, desto qualvoller wurde ihm oft die Entscheidung. Gleichviel, ob man hier von der „Gespaltenheit des Intellektuellen" oder von übergroßer „Geistigkeit zu Lasten der Vitalität" spricht: „Er war nicht der Mann, der mit der Faust auf den Tisch schlug oder mit Trompetenstoß die Öffentlichkeit aufweckte." Dem von drückenden Sorgen Gequälten fehlte de Ventil der erlösenden Tat, wie es Galen in se nen berühmten Kanzelprotesten vom Somme 1941 fand Insofern ist denn auch treffen bemerkt worden, „daß ...seine Größe erst an den Akten aufersteht"
Freilich schmälert das seine Verdienste nich sondern zeigt die Andersartigkeit seiner Be deutung: „Von keinem . Anschluß'oder Blitz krieg geblendet, von keinem Blick ins Führei äuge aus der Balance gebracht, durch kein, Loyalitätsskrupel verwirrt, hat er wie ganz we nige seiner Landsleute dem Nationalsozialis mus von Anbeginn hinter das Visier geschau und sich in seiner radikalen Ablehnung durc nichts und niemand beirren lassen."
Er war damit auch im deutschen Episkopa eine singuläre Erscheinung, „ein geborene: Stratege" gleichsam „inmitten kriegsunkundi ger Oberhirten" Unerreicht in der Analyse der kirchenpolitischen Situation und im Ab wägen der schrumpfenden Abwehrmöglich keiten, wurde er mit wachsendem Terror zum Wortführer derjenigen Bischöfe, die den Weg schriftlicher Proteste verlassen und zu öffentlicher „Verteidigung der allgemein menschlichen Rechte" vorstoßen wollten. Es gehört zur Tragik der kirchlichen Auseinandersetzung mit dem NS-Regime, daß diese Absicht an mangelnder Einigkeit im Episkopat gescheitert ist.