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Palästinenser und Israelis -jenseits der Schlagzeilen. Eine israelische Stimme | APuZ 39-40/1980 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 39-40/1980 Zusammen weiterleben. Eine palästinensische Stimme Palästinenser und Israelis -jenseits der Schlagzeilen. Eine israelische Stimme Einstellungen israelischer Schüler und Studenten zu Deutschland Konrad Kardinal von Preysing, Bischof von Berlin

Palästinenser und Israelis -jenseits der Schlagzeilen. Eine israelische Stimme

Gideon Weigert

/ 27 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Wer, wie der Autor, in Jerusalem unmittelbar an einer Nahtstelle zwischen den beiden semitischen Völkern im Heiligen Land lebt, kann Tag für Tag die Erfahrung machen, daß es neben dem bekannten Gegeneinander ein beträchtliches Maß an vernünftigem Miteinander von Israelis und Palästinensern gibt. Davon indessen hört der Zeitungsleser in Europa kaum etwas, denn die stets nach „action“ dürstenden Medien, auch die deutschen, blenden in ihrer Berichterstattung dieses Miteinander fast vollständig aus. übersehen werden auch meistens — als uninteressante Alltäglichkeiten — die gemeinsamen erfolgreichen Bemühungen von Palästinensern und Israelis um agrarische Entwicklung und Industrialisierung in den seit 1967 besetzten Gebieten. Eine solche Verständigungsbereitschaft steht nicht in Einklang mit der herrschenden These, daß die Palästinenser in den West-Banks und im Gazastreifen die kompromißlos-aggressive PLO als ihren einzigen Sprecher ansehen. Der Autor bringt vielfältige Belege für die Unhaltbarkeit dieser These bei. Sie konnte u. a.deswegen so stark an Boden gewinnen, weil es infolge der Drohung der PLO, daß von ihrer Linie abweichendes Denken und Handeln als Verrat angesehen und geahndet werde, zu einer weit verbreiteten Differenz zwischen öffentlich zur Schau getragenem Konformismus und privat geäußerter Überzeugung gekommen ist. In Wirklichkeit bestehen nach wie vor zahlreiche Verbindungen zum Königreich Jordanien, das bei den Bemühungen um eine Lösung nach Meinung vieler Palästinenser eine entscheidende Rolle zu spielen habe und aus seiner Mitverantwortung nicht entlassen werden dürfe. Es existiert auch keineswegs eine Einheitsfront in der Westuferregion und im Gazastreifen gegen die Vereinbarungen von Camp David, den Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel und gegen den Autonomieplan. Auch hierfür bietet der Autor Belege. Er glaubt, gerade gegenwärtig Anzeichen dafür entdecken zu können, daß beide Seiten die Eskalation von Gewalt und Repression in der letzten Zeit zum Anlaß nehmen, künftig kompromißbereiter miteinander umzugehen und gemeinsam einen Weg zu konstruktivem Handeln zu finden — im Interesse ihres beiderseitigen überlebens.

Wer ist Palästinenser?

Im streng historischen Sinn muß man als Palästinenser die ständigen Einwohner Palästinas unter der Mandatsregierung bis Mai 1948 bezeichnen, und zwar Juden und Araber (Moslems, Drusen, Christen oder anderen religiösen Bekenntnissen zugehörig). Seit der offiziellen Beendigung des britischen Mandats über das Heilige Land im Mai 1948 gibt es eine territoriale Einheit „Palästina" nicht mehr, gibt es in diesem Sinn auch keine Palästinenser — also Einwohner dieses Gebiets mit palästinensischem Paß — mehr.

So gesehen, sollte man besser nicht von Palästinensern, sondern von „ehemaligen Palästinensern" sprechen. Alle Juden und Araber des ehemaligen Mandatsgebietes Palästina, die nach der Gründung Israels in ihren Städten und Dörfern bleiben wollten, wurden nun israelische Staatsbürger. Diejenigen Araber, die in Judäa und Samaria blieben — auch sie ehemalige Palästinenser —, wurden Staatsbürger Jordaniens.

Einer dritten Bevölkerungsgruppe, den Einwohnern des Gazagebietes, das 1948 von der ägyptischen Armee besetzt wurde und bis zum Sechs-Tage-Krieg im Jahre 1967 unter ägyptischer Militärherrschaft blieb, wurde von ihren arabischen Besatzern die Staatsbürgerschaft verweigert. Sie — ebenfalls ehemalige Palästinenser — sind heute staatenlos. Außer Israel und Jordanien — unter König Abdullah (der 1951 in der Altstadt von Jerusalem beim Betreten der Al-Aqsa-Moschee von einem Araber ermordet wurde) — gewährte kein einziger arabischer Staat „seinen" ehemaligen Palästinensern die Staatsbürgerschaft. Alle heute in Syrien, Irak, Libanon, Ägypten und in der übrigen arabischen Welt lebenden ehemaligen Palästinenser mit Ausnahme derer in Israel und dem haschemitischen Königreich Jordanien (einschließlich des Jordan-Westufers und Ostjerusalems) sind Staatenlose. Die letzte offizielle Zählung der Bevölkerung Palästinas wurde 1946 von den britischen Mandatsbehörden durchgeführt. Seitdem hat es keine objektive, amtliche Gesamtzählung mehr gegeben. Nach der Erhebung von 1946 gab es ca. 700 000 jüdische Palästinenser und 1 Millionen arabische Palästinenser unterschiedlicher Glaubensbekenntnisse.

Im Laufe des Unabhängigkeitskrieges, der von den Invasionsarmeen von fünf Mitgliedstaaten der Arabischen Liga 1948— 49 mit dem Ziel begonnen wurde, den Beschluß des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen für die Errichtung zweier Staaten in Palästina — eines jüdischen und eines arabischen — unwirksam zu machen, kam es zu einem Massenexodus arabischer Palästinenser. Von Ausnahmen abgesehen, handelte es sich hierbei indessen keineswegs — wie in Europa oft angenommen wird — um organisierte Aktionen der Zionisten, mit denen die arabischen Palästinenser zur Flucht gezwungen werden sollten, sondern vielmehr um das Resultat einer Entscheidung der damaligen Führung der arabischen Palästinenser, die ihr Volk als erste im Stich ließ und in Beirut und Kairo Zuflucht nahm, sowie der Arabischen Liga, die die arabischen Palästinenser aufrief, ihre Städte und Dörfer — ihr Land — vorübergehend zu verlassen, bis die arabischen Armeen es vom zionistischen Feind gesäubert hätten und sie wieder heimkehren könnten 1). Von den „arabischen ehemaligen Palästinensern" leben heute:

in Israel (israelische Staatsbürger) ca. 600 000 in Ost-Jerusalem (jordanische Staatsbürger) ca. 100 000 in Judäa und Samaria (Jordan-Westufer) (jordanische Staatsbürger) ca.

im Gazastreifen (von den Ägyptern staatenlos gelassen) ca. 430 000 insgesamt gegenwärtig unter israelischer Verwaltung ca. 1 860 000

Jordanien (Jordan-Ostufer) (jordanische Staatsbürger) 1 000 000 Die übrigen leben als Flüchtlinge in der arabischen Welt, den Staaten am Persischen Golf, in Nordafrika, Europa, den USA, Mittel-und Südamerika.

Schätzungen zufolge liegt die Gesamtzahl der „arabischen ehemaligen Palästinenser" bei 3 bis 3, 5 Millionen. (Wenn im folgenden schlicht von Palästinensern die Rede ist, so sind damit, dem üblichen Sprachgebrauch folgend, eben diese „arabischen ehemaligen Palästinenser" gemeint.)

Ist die PLO der einzige Sprecher der Palästinenser?

Ist es wahr, daß die heute unter israelischer Herrschaft lebenden ca. 1, 8 Millionen Palästinenser und ihre im Haschemitischen Königreich Jordanien (Jordan-Ostufer) lebenden Brüder alle mit Artikel 10 der PLO-National-konvention von 1968 übereinstimmen und Aktionskommandos fordern, die den Kern einer Armee für den palästinensischen Volks-krieg bilden sollen? Ist es wahr, daß sie im Grunde ihres Herzens — und nicht nur nach außen hin — die Errichtung eines säkularen Staates auf dem gesamten Territorium des ehemaligen Mandatsgebietes Palästina, also auf den Ruinen der zionistischen Bewegung, wollen? Ist es wahr, daß sie alle sowohl die UNO-Resolutionen 242 und 338 wie auch die Bemühungen der Genfer Friedenskonferenz von 1974 und schließlich den Autonomieplan von Camp David von 1979 ablehnen? Ist die PLO wirklich ihr einziger Sprecher?

Wir bezweifeln es. Zur Untermauerung unserer These möchten wir zunächst die Äußerungen zweier die Zukunft des betroffenen Gebietes maßgeblich beeinflussender Persönlichkeiten aus jüngster Zeit anführen. König Hussein betonte in den letzten Juni-Tagen 1980 nach zweitägigen Verhandlungen mit Präsident Carter in Washington, daß Israel und die PLO sich „gegenseitig anerkennen“ müßten, ohne letztere als die „alleinige Sprecherin“ der Palästinenser zu akzeptieren, wie es die Arabische Liga Ende 1973 gefordert hatte.

In einem Fernsehinterview in Alexandria am 20. Juni (siehe „The Jerusalem Post" vom 22. Juni 1980) erklärte der ägyptische Staats-präsident Sadat: „Ich kann nicht mehr mit dem arabischen Standpunkt übereinstimmen, nach dem die PLO die einzige legitime Vertretung des palästinensischen Volkes ist“, und er fügte hinzu: „Angesichts ihrer (der PLO) Aktionen erkenne ich sie nicht mehr als solche an. Ich habe Vorbehalte hinsichtlich ihres Status..." Weitere Argumente zur Stützung unserer These ergeben sich aus dem folgenden stichwortartigen Überblick über die Entwicklung der Lage in den besetzten Gebieten während der Zeit zwischen Herbst 1973 und Herbst 1977, also zwischen dem Yom-Kippur-Krieg im Oktober 1973 und dem historischen Besuch des ägyptischen Staatspräsidenten in Israel im November 1977.

Durch den Yom-Kippur-Krieg und die anschließende Gipfelkonferenz der Arabischen Liga in Algier im Dezember 1973 schlug die Stimmung am Westufer des Jordans und im Gazastreifen zunächst abrupt um. (Auf dieser Konferenz wurde zum ersten Mal eine Resolution verabschiedet, in der die PLO als die „alleinige Vertretung der Palästinenser" anerkannt wird. Das geschah also nicht, wie in Europa vielfach angenommen und auch von deutschen „Kennern" bis zum heutigen Tage oft fälschlich behauptet wird, erst auf der Konferenz von Rabat im Oktober 1974.) Zugleich verminderte sich der Einfluß von König Hussein, denn die Befürworter seines im Frühjahr 1972 angekündigten Föderationsprojektes fürchteten sich, angesichts der wachsenden Welle politischer Morde an Palästinensern durch aus dem Beiruter Hauptquartier der Palästinenserorganisationen gesandte Terroristen ihre Meinung weiterhin offen zu äußern. Das Föderationsprojekt versank gewissermaßen in diesem erzwungenen Schweigen. Auch die Bewegung, die vor 1973 einen freien Staat Palästina befürwortete, der neben, anerkannt von und in Zusammenarbeit mit Israel bestehen sollte (Abu-Shilbaya-Gruppe), wurde aus dem gleichen Grund schwächer, und seine Hauptverfechter verstummten (zumindest vorübergehend). Zu einem Stimmungshöhepunkt zugunsten der PLO kam es im November 1974 mit dem Erscheinen Yassir Arafats vor der UNO-Vollversammlung mit einem Olivenzweig in der Hand und einer Pistole am Gürtel — es war übrigens das erste Mal, daß ein mit einem Revolver Bewaffneter vor die Vollversammlung trat.

Aber wie so oft im Orient, so kam auch dieses Mal der Wind bald wieder aus einer anderen Richtung. Daß eine Wendung eingetreten war, zeigte sich mit aller Deutlichkeit, als im April 1977 trotz der Drohungen der PLO-Medien Zehntausende von Palästinensern vom Westufer des Jordans, aus dem Gazastreifen und aus Ost-Jerusalem über die Jordanbrücken zum königlichen Palast in Amman strömten, um König Hussein ihr Beileid zum tragischen Tod der Königin Aliyah bei einem Flugzeugunglück auszudrücken. Die Pilgerfahrt dieser vielen Tausend Menschen nach Amman war ein Beweis, daß König Hussein trotz der Beschlüsse der Arabischen Liga von 1973 und 1974 keineswegs, wie die europäische Presse überwiegend meinte, „aus dem Spiel" war. In der Praxis hielten offensichtlich die Palästinenser oder zumindest doch ein großer Teil von ihnen den Haschemiten-König nach wie vor für zuständig, ihre Probleme zu lösen.

Ein weiterer Beleg: Trotz erneuter hysterischer Drohungen der PLO-Radiostationen in Beirut gegen jene Palästinenser vom Westufer und vom Gazastreifen, die es wagen sollten, mit dem damaligen US-Außenminister Vance über ihre Zukunft zu sprechen, erschien im Herbst 1977 auf einem Empfang für Vance in Israel eine große Delegation der Einwohner dieser Gebiete, überreichte ihm ein detailliertes Memorandum und diskutierte mit ihm über die Zukunft der Gebiete.

Diese wenigen Stichworte zur politischen Einstellung in diesen Gebieten zwischen 1973 und 1977 müssen zumindest durch den Hinweis vervollständigt werden, daß diese Jahre im wahrsten Sinne des Wortes die „Entwicklungsjahre" für die palästinensischen Einwohner der West-Banks und des Gazastreifens waren, eine Zeit ungeheurer Fortschritte in vielen wirtschaftlichen und sozialen Bereichen, gekoppelt mit einer Aufbaubewegung im öffentlichen und im privaten Sektor wie nie zuvor in diesen Gebieten — ungeachtet des Auf und Ab des politischen Geschehens, in dessen Verlauf es oftmals zu Spannungen, Streiks, Demonstrationen und periodischen Gewaltakten kam. Es lassen sich insbesondere die folgenden Erfolge verbuchen:

— Große landwirtschaftliche und industrielle Fortschritte auf dem Westufer des Jordans, — die Wiederbesiedlung des Gazastreifens mit Zehntausenden palästinensischer Flüchtlinge, die ihre Elendsquartiere freiwillig verließen und in moderne, sanitär gut versorgte Wohnprojekte einzogen, — das Wunder einer „Grünen Revolution" auf dem Gazastreifen, bei der sich die Siedler selbst übertrafen

Dieses und vieles andere konnte dank zweier miteinander gekoppelter Faktoren erreicht werden: durch die Bereitschaft der arabischen Bevölkerung, Ersparnisse zu opfern und Energie und Arbeitskraft zu investieren sowie durch das Wohlwollen der israelischen Regierung und ihre tätige Hilfe.

Die These, die Palästinenser auf dem Westufer des Jordans und im Gazastreifen sähen die PLO als ihren einzigen Sprecher an, wird auch durch viele publizistische Äußerungen in Presse und Fernsehen widerlegt, von denen hier nur drei kurz wiedergegeben seien:

In den Wochen unmittelbar vor dem Besuch Staatspräsident Sadats in der Heiligen Stadt Ende November 1977 wehte spürbar ein frischer Wind der Friedensbereitschaft auf den West-Banks und im Gazastreifen. Der palästinensische Rechtsanwalt Hussein e-Shiyukhi erklärte beispielsweise in einem in einer Jerusalemer arabischen Tageszeitung veröffentlichten Bildinterview: „PLO — ja; aber Demagogie, Diktatur und millionenfache leere Versprechungen — nein." Er fügte hinzu: „Die Zeit ist reif für Vernunft und Argumente — nicht für Emotionen." In einem Zeitungsartikel, in dem der palästinensische Journalist Mohammed Nasseriah aus Jericho die Greueltaten von PLO-Führern während des libanesischen Bürgerkrieges gegen Angehörige ihres eigenen Volkes beschrieb, stellte er ihnen die Frage: „Wenn Ihr mit den Palästinensern dort so umspringt, was werdet Ihr dann erst mit uns machen, die wir in den Gebieten des ehemaligen Palästina leben, wenn Ihr erst die Macht über uns habt?" Und in Hebron sagte der ehemalige jordanische Innenminister Mustapha Doudeen offen vor der Kamera des arabischen Fernsehens: „Die PLO vertritt uns nicht." Und er forderte, daß eine Palästinenser-Delegation in die arabischen Hauptstädte reisen solle, um den Widerruf der Beschlüsse der Gipfelkonferenz von Rabat über die PLO durchzusetzen.

Die Einstellung der Palästinenser zum Friedens-und Autonomieplan

Während des zweitägigen Besuches von Präsident Sadat in Jerusalem drohten die PLO-Sprecher der Radiostationen in Syrien und dem Libanon den West-Bank-und Gaza-Palästinensern entsetzliche Konsequenzen für den Fall an, daß sie es wagen würden, mit dem ägyptischen Staatspräsidenten Kontakt aufzunehmen oder ihm auch nur im geringsten ihre Unterstützung zuteil werden zu lassen. Doch trotz dieser Drohungen wurde Sadat in der Präsidentensuite des Hotels von Delegationen vom Jordan-Westufer, aus Ost-Jerusalem und vom Gazastreifen aufgesucht, die mit ihm über seinen Friedensplan sprechen wollten. Nach Ägypten zurückgekehrt, empfing der Präsident Delegationen von Hunderten von palästinensischen Gemeindesprechern und Würdenträgern, die nach Kairo gekommen waren, um ihn zu seiner Friedensinitiative zu beglückwünschen. Mitte Dezember 1977, am Tage der Eröffnung der israelisch-ägyptischen Friedensverhandlungen im Kairoer „Mena-House“ -Hotel, veröffentlichte die palästinensische Tageszeitung , Al Quds" auf der Titelseite zwei Fotos die jeweils die Leiter der ägyptischen und israelischen Delegationen beim gemeinsamen Händedruck in Kairo und die israelische „EL AL" -Maschine, festlich geschmückt und mit den Worten „Salem — Shalom" (Frieden) in hebräischer und arabischer Schrift auf dem Cockpit, beim Start zum ersten Direktflug nach Ägypten auf dem Ben-Gurion-Flughafen zeigten. Der Leitartikel der „Al Quds" lobte die Sadat-Initiative und hob die „historische Bedeutung" der ägyptisch-israelischen Friedensbemühungen hervor.

Nach der Unterzeichnung des Abkommens von Camp David im September 1978 bot das Westufer des Jordans keineswegs das Bild einer geschlossenen Ablehnung der Vereinbarungen und der vorgesehenen Autonomie. Im Gegenteil: Der frühere Bürgermeister von Bethlehem, Elias Freij, äußerte z. B. vor einer Gruppe amerikanischer Professoren, die ihn im Rathaus aufsuchten, 90 Prozent der Bevölkerung der betroffenen Gebiete begrüßten* Präsident Sadats Friedensplan. Da er danach wiederholt Morddrohungen erhielt, ist heute derselbe Bürgermeister allerdings — zumindest nach außen hin — der wortreichste Verfechter des autonomiefeindlichen PLO-Stand-Punktes. Bereits im Dezember 1977 erklärte der frühere jordanische Ministerpräsidentund jetzige Bürgermeistervon Nablus, Ra'ouf el Fares, gegenüber einem Korrespondenten des arabischen Fernsehens: „Ich habe es mit dem ehemaligen Mufti von Jerusalem, General Kawkji, Abdul Kader Husseini und vielen anderen Kriegstreibern versucht. Heute trete ich für Präsident Sadat ein. Ein einziges Mal möchte ich einen anderen Weg gehen, und wenn es mich das Leben kosten sollte." Und schon wenige Tage nach Camp David schrieb der bekannte Rechtsanwalt Elias Shehadeh in einer arabischen Palästinenserzeitung: „Wir sollten das magische Wort NEIN, das 30 Jahre lang nichts als Tragödien und Katastrophen über die Palästinenser gebracht hat, endlich vergessen. Dieses Mal sollten wir den neuen Vorschlag wenigstens erst einmal ernsthalt prüfen, bevor wir ihn ablehnen."

Trotz verstärkter Einschüchterungsmaßnahmen durch die PLO und der Ermordung von vier maßgeblichen Sprechern der Westuferregion als Verräter durch palästinensische Terroristen mahnte ein Leitartikel in „Al Quds’ mutig: „Es wird höchste Zeit, daß wir die schweigende Mehrheit der betroffenen Gebiete fragen, wie sie über eine zukünftige Lösung denkt. Laßt uns um Himmels willen nicht in die alten Zeiten der politischen Morde zurückfallen." (Gemeint waren die Unruhen von 1936— 1939, als Hunderte von Opponenten des Ex-Muftis von Jerusalem von dessen Schergen umgebracht wurden.) Neben der massiven Unterstützung des autonomiefeindlicher Standpunktes durch einige (keineswegs alle 24) Bürgermeister des Westufers, besonder: derer von Hebron, Nablus, Ramallah und Tul karem, die ein „Nationales Führungskomitee bildeten, das sich die Aufgabe gestellt hatte direkt unter den Augen des israelischen Mili tärgouverneurs eine Kampagne der Ein schüchterung autonomiefreundlicher Kreis mit Protestorganisationen und Streiks zu orga nisieren, gab es durchaus auch weiterhin pro-haschemitische Tendenzen. Die bekanntesten Persönlichkeiten zogen es jedoch nach eingehenden Warnungen aus Beirut vor, entweder überhaupt nichts zu sagen oder zumindest nach außen hin der PLO Lippendienste zu leisten und nur privat zuzugestehen, daß man mit dem Autonomieplan doch wenigstens einmal einen „Probelauf" unternehmen sollte.

In „Al Anba" riet Abbu Shilbaya den Palästinensern zu einem modifizierten Autonomie-plan für die Übergangsphase während sein Kollege Mohammed Nasseriyah aus Jericho in derselben Zeitung unter der Schlagzeile „Einen anderen Weg gehen ... schrieb: „Unsere Reserven an Krieg und Gewalt sind erschöpft. Einmal, nur ein einziges Mal einen anderen Weg gehen.“

Hinzuzufügen ist noch, daß auch der Gazastreifen keineswegs, wie es oft von den Medien geschildert und folglich auch von vielen Deutschen geglaubt wird, das Bild einer Einheitsfront für den autonomiefeindlichen Standpunkt der PLO bot. Ungeachtet des Mordes am Iman von Gaza im Mai 1979 (s. u.) unterstützten nicht nur weite Kreise unter den Palästinensern dieser Region Präsident Sadats Friedensoffensive, sondern sie waren auch bereit, die Autonomie „zuallererst in Gaza“ auszuprobieren, wie dies ursprünglich von dem früheren israelischen Verteidigungsminister Ezer Weizman vorgeschlagen und später auch vom ägyptischen Staatspräsidenten empfohlenworden war. Selbst so maßgebliche Persönlichkeiten wie der Bürgermeister von Gaza, auf den bereits mehrfach Mordanschläge verübt worden waren, verkündeten nach Camp David frei heraus: „Die Zeiten des Neinsagens sind ein für allemal vorbei.“

Leider förderte die unsichere, zögernde, widersprüchliche Linie der israelischen Regierung in der Zeit nach Camp David den palästinensischen Radikalismus; dieser wiederum schüchterte die Gemäßigten in den betroffenen Gebieten ein. Die Jahre 1979/80 waren sowohl für die Israelis als auch für die Palästinenser in den betroffenen Gebieten eine turbulente, ja vielleicht die spannungsreichste Zeit in den 13 Jahren der israelischen Verwaltung des Jordan-Westufers und des Gazastreifens. Die israelische Regierung versuchte, Massenansiedlungen durchzusetzen und Grundbesitz zu konfiszieren (in einigen Fällen sogar privaten arabischen Grundbesitz, was meistens in letzter Minute vom obersten israelischen Gerichtshof verhindert wurde, den die arabischen Landbesitzer anzurufen pflegten und an dessen gerechtem Vorgehen sie keine Zweifel hegten). Militante israelische Splitter-gruppen traten in Erscheinung, es kam zu Gegenaktionen ebenfalls militanter arabischer Elemente, die mit Steinen, Sprengstoff und manchmal sogar mit Schußwaffen gegen israelische Zivilisten und Militärangehörige vorgingen und Jugendliche und arabische Studenten für ihre Zwecke benutzten. Der Leser erinnert sich an die Bilder aus Nablus, Ramallah und El Bireh; sporadische Streiks, Demonstrationen, Blutvergießen, die Vertreibung zweier Bürgermeister und eines Religionsführers aus der Hebron-Region, — Attacken und Gegenattacken. Die Szenerie am Westufer des Jordans in der ersten Jahreshälfte 1980 schien ausschließlich von diesen Ereignissen geprägt.

Einseitige Berichterstattung in den europäischen Medien

Während nun — wie andere nach „action" dürstende Massenmedien — auch die deutsche Presse diese Ereignisse bei weitem überbewertete, wurden andere Aspekte, sozusagen die Kehrseite der Medaille, nämlich der normale Alltag, der ohne Unterbrechung weiterging, der tägliche Kampf der überwältigenden Mehrheit der „schweigenden Massen“ der Palästinenser, die nach Fortschritten und Verbesserung ihres Lebensstandards strebten, von eben diesen Medien fast vollständig und in wenig rühmlicher Weise vernachlässigt. Diese anderen Aspekte lieferten eben keinen Stoff für Neuigkeiten, sie hätten gewissermaßen nur „Hund-beißt-Mann", nicht aber „Mannbeißt-Hund" -Nachrichten geliefert.

Nehmen wir beispielsweise den Fall des ersten Opfers des damals gerade unterzeichneten ägyptisch-israelischen Friedenspaktes, des Imans von Gaza, Hashem Na'aman el Khuzandar, der Ende Mai 1979 vor seiner Haustür ermordet wurde. Die PLO-Organe verkündeten stolz die Liquidierung dieses „Verräters“. Der Religionsführer hatte sich lediglich wiederholt zugunsten der Sadatschen Friedensinitiative ausgesprochen; er hatte unter den Einwohnern von Gaza Delegationen organiB siert und zur Unterstützung des ägyptischen Staatspräsidenten nach Kairo gesandt. Er selbst hatte mutig erklärt: „ 90 Prozent des Volkes von Gaza sind heute glücklich. Wir haben in den letzten dreißig Jahren genug Tragödien erlitten; wir wollen kein NEIN mehr. Jetzt heißt es konstruktiv handeln und miteinander reden." Kein Wunder, daß die PLO-Führung dies nicht hören wollte. Der sechzigjährige Scheich mußte mit seinem Leben dafür bezahlen, er ausgesprochen hatte, was er und viele Einwohner Gaza dachten Opfer ein — mehr in der langen Reihe der Palästinenser, die für die „Sache Befreiung Palästinas" von ihren eigenen Brüdern ermordet wurden.

Das sei das Ende, meinten wiederholt auch die deutschen Medien — und vergaßen wiederum die Kehrseite der Medaille. Zur selben Zeit nämlich, als das PLO-Kommuniqu aus Beirut die Exekution des „Verräters" Scheich Khuzandar meldete, errichteten seine Familie und seine Freunde ihm zu Ehren vor seinem Haus am Strand von Gaza eine Gedenktafel, auf der in Koranschrift zu lesen ist: Hier lebte der „Shadid” (Märtyrer) Scheich Hashem Na’ aman Khuzandar". Dies ist nach dem Koran die höchste Auszeichnung für den Gläubigen, der in Ausübung seiner Pflicht für die Sache Allahs fiel, den SHADID, für den die Tore des Paradieses weit offen stehen.

Und kurz darauf erklärte — wie zur Bestätigung Khuzandars — Mohammed el Azeizeh, der Bürgermeister von Deir Balah, jener Stadt im Süden des Gazastreifens, zu der vier große palästinensische Flüchtlingslager mit Zehntausenden von Einwohnern gehören, offen: „Ich bin für den Frieden. Und wenn man mich tötet, ich werde trotzdem für den Frieden eintreten." Der Herausgeber der Monatsschrift Akhaber Ghaza, Ahmed Abu Sirdana, erklärte nach seiner Rückkehr aus Kairo: „Sollen wir etwa weitere 20 Jahre warten, bis die PLO weiß, ob sie Frieden will? Das Volk von Gaza will Frieden unter allen Umständen, und zwar jetzt, zu Lebzeiten."

Ist der deutsche Zeitungsleser oder Fernsehzuschauer hierüber und über andere, ähnliche Fakten hinreichend unterrichtet worden? Die gleiche Frage wäre auch zu stellen hinsichtlich der stetigen großen Fortschritte am Westufer, im Gazastreifen und in Ost-Jerusalem auch in den Jahren 1979/80, die eben nicht nur turbulent und spannungsreich waren. Wir wollen uns im Rahmen dieser Arbeit auf wenige Beispiele dafür beschränken, daß die Palästinenser unter den für sie ungünstigen Bedingungen eines israelischen Regimes und in Zeiten großer Spannungen und Einschüchterungen, der Demonstrationen, Drohungen und Gewalttaten gegen „Freidenker" und Gemäßigte seitens ihrer eigenen Organisationen Außerordentliches geleistet sowie Friedens-und Kompromißbereitschaft gezeigt haben. Einzigartig war am Westufer die aufsehenerregende Entfaltung der Genossenschaftsbewegung, vor allem auf folgenden drei Ebenen: der Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeug, nisse (vielfach mit dem Export von Frischobst und -gemüse nach Europa durch israelische Exportfirmen), der Erstellung von Wohnprojekten und der Einführung elektrischen Stroms in den Dörfern. Diese „Volksbewegung", die überhaupt die einzige auf demokratischem Wege und freiwillig entstandene Bewegung der Bauern und Stadtbevölkerung ist, hat ohne das Mitwirken politischer Organisationen, Gewerkschaften und anderer gesellschaftlicher Kräfte (aus Landesebene) großflächige neue wirtschaftliche und soziale Projekte zum Nutzen der Bevölkerung ins Leben gerufen. Diese Bewegung hat ihre Mitglieder-stärke seit 1967 verdoppelt und umfaßt heute über 30 000 Personen, die in insgesamt 250 freiwilligen Initiativen mit einem Genossenschaftskapital von mehr als 220 Millionen israelischen Pfund organisiert sind.

In Jerusalem brachen die alltäglichen Kontakte zwischen Arabern und Juden und ihr friedliches Miteinander in der fraglichen Zeit trotz wachsender Spannungen keinen einzigen Tag lang ab. Oft mußten sogar während der ihnen von der PLO befohlenen Streiks die Händler in Ost-Jerusalem von der Polizei zur Öffnung ihrer Läden „gezwungen" werden — liefen die Streiks doch ihren eigensten Interessen zuwider.

An einem dieser Streiktage im arabischen Teil Jerusalems kam der in Ost-Jerusalem lebende ehemalige jordanische Verteidigungsminister Anwar Suseibeh ungeachtet aller Spannungen und Drohungen in den jüdischen Teil der Stadt, um vor einer Ansammlung von Friedensbefürwortern öffentlich zu erklären: „Laßt uns im Interesse unserer Kinder miteinander reden und uns nicht gegenseitig in die Luft sprengen. Wir müssen einen Kompromiß finden." Man wird in Jerusalem heute kaum einen Araber finden, der für die erneute Teilung der Heiligen Stadt eintritt oder dafür, daß er und mit ihm andere Palästinenser gehindert werden, mit den Israelis Handel zu treiben, mit ihnen zu arbeiten und mit ihnen nach eigenem Ermessen zu verkehren.

Erst im Juni sprach der ehemalige israelische Außenminister Abba Eban im seit 1970 dem Jerusalemer Arbeiterrat angeschlossenen" arabisch-jüdischen Freundeskreis, in dem sich Einwohner Jerusalems aus beiden Teilen der Stadt in einer Atmosphäre gegenseitiger Achtung und Toleranz begegnen, vor Hunderten von Arabern und Juden. Dies war nur e i n Ereignis in einer seit 1967 ununterbrochenen Reihe gemeinsamer arabisch-jüdischer Kultur-und Sportveranstaltungen in dieser für alle drei Weltreligionen heiligen Stadt.

Und in diesem Sommer begegneten sich wiederum und bereits zum zehnten Mal hintereinander Hunderte arabischer und israelischer Jungen und Mädchen im Rahmen der alljährlich stattfindenden Jerusalemer Jugendtage, zu deren Abschluß ein arabischer Palästinenser einstimmig für einen Tag zum Bürgermeister ausgerufen wurde.

In Jerusalem erreichte unter dem israelischen Regime in eben dieser Zeit die palästinensische Nationalpresse einen Höhepunkt ihrer siebzigjährigen Geschichte seit der Gründung Palästinas in Jaffa im Jahre 1911. Zusätzlich zu den drei seit 1968 erscheinenden nationalen palästinensischen Tageszeitungen (zum Vergleich: es gab nur eine einzige arabische Zeitung für das Westufer und Jerusalem am Ende der Epoche König Husseins) umfaßt die neue palästinensische Presse außer mehreren Zeitschriften eine Reihe von Wochenblättern sowie eine Monatsschrift von hervorragendem Niveau. Gemeinsamer Nenner ist: Öffnung in Richtung eines offenen Dialogs zwischen Israelis und Palästinensern, dem ersten Versuch, seitAbu Shilbayas „Sawt el Jamaheer" (Stimme der Massen) 1973 eine ähnliche Richtung einschlug und als geeignete Plattform für diesen Dialog sogar eine arabisch-hebräische Zeitung empfahl. Zwei dieser Blätter erscheinen wöchentlich in englischer und hebräischer Sprache und tragen zum ersten Male Ansichten von Palästinensern direkt in die israelische Öffentlichkeit. Dieses neue palästinensische Presseunternehmen ist inzwischen auch außerhalb der West-Banks und Ost-Jerusalem populär geworden.

Inzwischen wurde auch im Gazastreifen zusätzlich zu zwei schon bestehenden Periodika — einem Wochenblatt und einer Monatsschrift, beide von bekannten palästinensischen Persönlichkeiten herausgegeben — ein neues nationales palästinensisches Wochenblatt ins Leben gerufen. In der ersten, von einem Angehörigen der bekannten A-Shawa-Familie (der der Bürgermeister von Gaza angehört) herausgegebenen Ausgabe , A-Sharq el Awsat" (Mittlerer Osten) werden die Vereinbarungen von Camp David insoweit positiv bewertet, als Israel darin die „legitimen Rechte“ der Palästinenser anerkennt.

Das Hauptmerkmal für die Entwicklung in Gaza in dieser Zeit ist die relative Ruhe, das Ausbleiben von Gewaltakten, Streiks und Demonstrationen unter den 400 000 Palästinensern — vor dem Hintergrund der fortschreitenden Praktizierung des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages und der damit einhergehenden Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Dieser Prozeß wurde natürlich stark beeinflußt von der geographischen Nähe der Ägypter in El Arish, nur 40 Kilometer entfernt von Rafah am südlichen Ende des Gazastreifens.

Bis Mitte 1980, nur fünf Monate nach der Eröffnung der Grenzstation Ne-ot Sinai zwischen Israel und Ägypten (nach dem Rückzug Israels aus der Umgebung von El Arish), hatten bereits 30 000 Reisende die nunmehr offene Grenze passiert, unter ihnen jede Woche Hunderte von Bewohnern des Gazastreifens. Manche von ihnen wollten Verwandte besuchen, die meisten jedoch fuhren nach Ägypten, um, wie es der Militärgouverneur des Gazastreifens nannte, den Boden für einen wirtschaftlichen Brückenschlag zwischen dem Gazastreifen und Ägypten vorzubereiten.

Und in der Tat ist Gazas — zwar noch in den Anfängen stehende, doch bereits teilweise moderne und automatisierte — Industrie, von der vor 13 Jahren unter dem ägyptischen Regime noch nichts existierte, heute in einem Stadium angelangt, in dem sie in über 600 Produktionseinheiten und 21 Branchen insgesamt 14 Prozent des Wirtschaftsaufkommens im Gazastreifen erarbeitet. Da viele der Erzeugnisse der neuen palästinensischen Gaza-Industrie exportgeeignet sind, erhofft man sich erhebliche Vorteile von dem kürzlich unterzeichneten ägyptisch-israelischen Handelsabkommen. Man rechnet mit dem Absatz der in arabischer Schrift deutlich als „Made in Gaza" gekennzeichneten Produkte nicht nur in Ägypten selbst, sondern hält Verkäufe — auf dem Umweg über Ägypten — auch in anderen arabischen Ländern für möglich.

Ein exemplarisches Beispiel für die Bereitschaft der Unternehmer von Gaza, für Investitionen Opfer zu bringen und hart für Verbes15 serungen zu arbeiten, ist der Fall von Auni Abu Ramadhan, dem der Verkehrsbetrieb „Gaza and Southern Villages Bus Company 1'gehört. Er investierte 45 Millionen israelische Pfund für eine Flotte neuer Mercedes-Busse für die Verkehrslinie Kairo-Gaza, für die seine Firma vor dem Krieg von 1967 die Genehmigung der ägyptischen Regierung besessen hatte und auf deren Erneuerung er jetzt hofft.

Hoffnung auf einen Kompromiß

Der Verfasser dieses Aufsatzes ist während des Auf und Ab der arabisch-jüdischen Beziehungen in den letzten vier Jahrzehnten stets optimistisch gewesen. Selbst in den düstersten Tagen der arabischen antijüdischen Ausschreitungen in den Jahren 1936— 1939, als der Schatten von Blut und Haß über Palästina lag, gab es immer einen Hoffnungsschimmer. Ja, gerade aus den schändlichsten Greueltaten, den wechselseitig verübten Horrorakten und der tiefverwurzelten Furcht der beiden großen semitischen Völker voreinander, die in diesem gelobten Land Rechte und Pflichten haben, ist eine Grundlehre zu ziehen: Für ihr beiderseitiges überleben bedarf es eines Kompromisses, ohne den in diesem Land sowohl den Israelis als auch den Palästinensern jeder Weg zu konstruktivem Handeln versperrt bleibt.

Als diese Zeilen in der Mitte des Sommers 1980 geschrieben wurden, gab es Anzeichen dafür, daß die Israelis einzusehen begannen, daß sie zu weit gegangen waren und gegenüber den Palästinensern und ihren Problemen einen gemäßigteren Kurs würden einschlagen müssen. Die Neuansiedlungsprojekte wurden eingeschränkt; dank einer wirksamen Opposition, die wiederholt auch in Urteilen des obersten israelischen Gerichtshofes zum Ausdruck kam, wurde die Konfiszierung arabischen Grundbesitzes eingestellt. Willkürmaßnahmen gegen einige Palästinenserzeitungen, deren Verbreitung in den Territorien nach dem Massaker von Hebron und den Anschlägen auf einige Bürgermeister des Westufers unterbunden wurde, sind mittlerweile aufgehoben worden.

Und es gibt umgekehrt Anzeichen dafür, daß mehr und mehr Palästinenser begreifen, daß der von ihren Organisationen als legitim angesehene Terror ihnen selbst schaden wird. Die Einsicht gewinnt weiter an Boden, daß die in den Vereinbarungen von Camp David vorgesehene fünfjährige Übergangszeit — zumal es sich eben nur um eine Interimsphase handelt — einem Leben in ständiger Angst vor Bajonetten und Bomben vorzuziehen sei. Beide Parteien sollten die Ermordung von sieben jüdischen Jugendlichen in Hebron und die Anschläge auf das Leben von drei Bürgermeistern der Westuferregion zum Anlaß nehmen, ihre Arroganz der anderen Seite gegenüber aufzugeben und Aktion und Gegenaktion als mögliche Vorboten einer neuen Ära verstehen lernen.

Allgemein, und besonders wohl in Deutschland, neigt man dazu, die Rolle Jordaniens in diesem Geschehen zu vergessen. Als der jordanische Ministerpräsident Sharaf Anfang Juli starb, veröffentlichten sämtliche palästinensischen Zeitungen Nachrufe in Namen der Gemeinden der Westuferregiori. Diejenigen Regierungschefs aus der Europäischen Gemeinschaft, die im Juni dieses Jahres in Venedig zusammentrafen, schrieben in ihrer unbegreiflichen Eile, der PLO Sitz und Stimme bei den Verhandlungen zu versprechen, die Haschemiten völlig ab, obgleich dieselbe PLO erst eine Woche zuvor wiederum die Vernichtung Israels und die „Liquidierung des Zionismus mit Waffengewalt" gefordert hatte, Die europäischen Politiker scheinen dabei zu vergessen, daß sie nur dann Einfluß nehmen können, wenn sie beweisen, daß sie sich nicht nur deshalb um das Wohl der Menschen in den besetzten Gebieten sorgen, weil sie das arabische öl und den arabischen Handel brauchen. Leider haben sie mit keinem Wort die Notwendigkeit einer Unterstützung und Stärkung jener Palästinenser erwähnt, die — trotz der zunehmenden Drohungen mit physischer Vernichtung durch ihre eigenen Terroristen im Namen der „Befreiung Palästinas" — noch immer den Mut aufbringen, Mäßigung und Flexibilität zu fordern. Die europäischen Politiker sprachen auch nicht von einer Unterstützung der vielen, vielen anderen Gemäßigten, die in der Vergangenheit den Kompromiß befürworteten und nun vor lauter Angst der PLO nach dem Munde reden.

Das Drängen der Europäer, die Israel dazu bewegen wollen, die PLO so, wie sie derzeit orientiert ist, bei den Friedensverhandlungen als gleichberechtigten Partner zu akzeptieren, ist zwecklos und bringt gewiß nicht die Lösung, solange diese Organisation auf einer Grundsatzerklärung beharrt, der jeder, der sich die Mühe macht, sie zu lesen, klipp und klar entnehmen kann, daß sie die Vernichtung des jüdischen Staates fordert. Jedenfalls ist die Haltung der Europäer nicht dazu angetan, in uns Israelis jene unerhörte Angst vor unserer physischen Vernichtung „en mässe“ verstummen zu lassen, jene grauenvolle Angst vor einer möglichen Wiederholung der Ereignisse der vierziger Jahre, die jeden Juden Tag und Nacht verfolgt. Israel in eine „europäische Lösung“ hineinzumanövrieren, heißt aus unserer Sicht, daß Israel nicht die geringste Überlebensgarantie geboten wird.

Es heißt seit jeher, der Orientale habe ein langes Gedächtnis. Und sollte er wirklich vergessen haben, was vor 40 Jahren geschah — eines wird er sicher nicht vergessen, nämlich jene Ereignisse, die erst sieben Jahre zurückliegen. Er wird sich nur allzu lebhaft erinnern, daß während des Yom-Kippur-Krieges 1973 sämtliche europäischen Nationen, einschließlich der deutschen, den amerikanischen Flugzeugen auf ihrem Wege, einem jüdischen Staat Hilfe zu leisten, der sich an der Schwelle der physischen Vernichtung durch seine arabischen Angreifer aus dem Süden und Norden befand, das Recht verweigerten, auf ihrem Territorium nachzutanken.

In Europa, also auch in Deutschland, wird häufig vergessen, daß Jordanien durch seine Kriegserklärung vom 5. Juni 1967 die Besetzung der Westuferregion und Ost-Jerusalems in der Hauptsache selbst verschuldet hat. Wenn Jordanien, wie der ehemalige israelische Außenminister Abba Eban richtig bemerkt, Verhandlungen weiterhin ablehnt, obgleich sämtliche Palästinenser am Ost-und Westufer — insgesamt 1, Millionen Menschen — jordanische Staatsbürger sind, „laden sie damit den Hauptteil der Verantwortung für das Weiterbestehen des israelischen Regimes in den betroffenen Gebieten auf sich" 7). Genauso, wie in Israel niemand ernsthaft bereit wäre, das Gebiet, das so nahe vor seiner Haustür liegt, einem vom Haß getriebenen PLO-Staat in die Hand zu liefern, gibt es umgekehrt sehr viele, die einer jordanisch-palästinensischen Föderation denkbar größte Zugeständnisse machen würden, wenn auch eine derartige Möglichkeit im April 1972 auf den erstmaligen Vorschlag König Husseins hin vom Kabinett Golda Meir angelehnt wurde.

Kein objektiver Beobachter des Geschehens in den Gebieten wird bestreiten, daß der alleinige Grund, warum es bisher noch keine palästinensische Friedensbewegung — vergleichbar mit der Initiative „Frieden jetzt“ in Israel — gibt, die übermächtige Angst vor physischer Gewaltanwendung gegen die Führer einer solchen palästinensischen Volksbewegung im In-und Ausland durch die PLO ist.

Wir möchten abschließend noch zwei weitere Aussprüche von Palästinensern — von solchen, die noch zu sagen wagen, was sie denken — zitieren. Bereits 1971 erklärte Abdul Aziz eZuabi, gebürtiger Palästinenser und Israels erster arabischer Minister: „Die Juden sollten einen Frieden, der nur für die Juden gut ist, vergessen, und die Araber sollten einen Frieden vergessen, der nur für die Araber gut ist. So etwas kann es nicht geben und so etwas kann keinen Bestand haben. Uns sollte daher ein Frieden genügen, der ein bißchen gut und ein bißchen gerecht ist, nicht ganz und gar gut und ganz und gar gerecht, aber für beide ein bißchen gut und ein bißchen gerecht — für die Araber genauso wie für die Juden.“

Und noch ein Zitat aus jüngster Zeit: Der Herausgeber eines neuen palästinensischen Presseorgans schrieb in einem Leitartikel für die erste Ausgabe seiner neuen Wochenschrift: „Wir von dieser Zeitung halten es für unsere Pflicht, mit den Israelis, die den Frieden lieben und uns helfen wollen, die Kluft zu überbrükken, die die beiden Nationen voneinander trennt, die Hand auszustrecken... es ist an der Zeit, daß man in irgendeiner Weise zu einer Übereinkunft gelangt.. .

Dazu sei noch bemerkt: Der Verfasser ist in den vierzig Jahren, in denen er sich als Sympathisant mit der gerechten Sache der Palästinenser befaßt, mehr denn je zu der Überzeugung gelangt, daß dieses Volk am entscheidenden Kreuzweg seiner siebzigjährigen Geschichte angelangt ist: Sie sollten, wie Abu Shilbaya sagt, nehmen, was ihnen angeboten wird, und später mehr verlangen, „... wir können nicht alles auf einmal haben, wir sollten uns daher mit einem Teil zufrieden geben.“

Es ist wahr, daß der von Israel angebotene Autonomieplan nicht ideal ist; wichtige Einzelheiten bedürfen vielleicht der Änderung. In seinen Grundzügen jedoch ist er unbestreitbar ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Es handelt sich um ein vorläufiges Arrangement, ein Interimsprojekt für fünf Jahre und sollte auch als solches und nicht als ständige Lösung angesehen werden. Der Plan bringt jedoch einige wesentliche Verbesserungen für die Palästinenser, die nicht ohne eingehende Überlegung von der Hand gewiesen werden sollten.

Der Verfasser ist der Überzeugung, daß dieser Plan mehr bedeutet, als die palästinensische Bewegung in ihrem jahrzehntelangen Kampf je erreicht hat. Und dies verdanken sie ironischerweise denen, die von ihren Organisationen als der „Erzfeind des palästinensischen Volkes" betrachtet werden — den Israelis. Im Autonomieplan von Camp David sind folgende Punkte verankert:

1. Zum ersten Mal ist in einem offiziell anerkannten internationalen Dokument nicht mehrvon „Flüchtlingen", wie in sämtlichen bisherigen UNO-Dokumenten, die Rede, sondern von einem „Volk mit legitimen Rechten". Keines ihrer arabischen „Bruderländer" hat ihnen in einem international anerkannten Dokument je einen derartigen Status zugebilligt.

2. Israel hat den Palästinensern einen alle Bereiche umfassenden Frieden angeboten — als der einzige Staat, der ihnen einen solchen Frieden real gewähren kann und ohne dessen Einwilligung ihre Probleme niemals zufriedenstellend gelöst werden.

3. Israel hat den Palästinensern angeboten, seine Militärregierung und seine Zivilverwaltung aus den besetzten Territorien zurückzuziehen und beides durch eine von den Einwohnern demokratisch gewählte Selbstverwaltung zu ersetzen. Eine derartige Selbstverwaltung ist den Palästinensern weder von Jordanien noch von Ägypten angeboten worden, die immerhin die Westuferregion bzw.den Gazastreifen 19 Jahre lang von 1948 bis 1967 besetzt hatten. Und auch keines der übrigen arabischen Länder, in denen Hunderttausende von Palästinensern leben, hat diesen eine vergleichbare Chance gegeben.

4. Israel hat den Palästinensern eine fünfjährige Interimsperiode angeboten, in der sie — sich selbstund aller Welt — beweisen können, daß sie in der Lage sind, sich selbst zu regieren, nachdem sie Jahrhunderte von den Ottomanen, dann von den Briten, den Jordaniern, den Ägyptern und den Israelis, nie jedoch von ihren eigenen selbst gewählten Repräsentanten regiert worden sind.

5. Nach dieser fünfjährigen Interimsperiode sollen die Palästinenser als gleichberechtigte Partner mit den Israelis, Ägyptern und Jordaniern über die Zukunft der Gebiete, über ihre eigene Zukunft, verhandeln. Das ihnen von Israel zugebilligte Vetorecht bedeutet, daß über die Zukunft des Gazastreifens und der Westuferregion nicht mehr ohne die volle Zustimmung der Palästinenser entschieden werden kann. Damit stehen sie an einem Kreuzweg ihrer Geschichte.

Die Palästinenser haben die Möglichkeit, den Autonomieplan grundsätzlich zu akzeptieren und zu versuchen, ihn ihren Vorstellungen soweit wie möglich anzupassen. Würden sie ihre prinzipielle Bereitschaft erklären, mit dem jüdischen Staat in detaillierte Verhandlungen einzutreten, würde sich die israelische öffentliche Meinung mit überwältigender Mehrheit hinter sie stellen und viele ihrer Forderungen unterstützen. Sie können das Angebot aber auch ablehnen, ihre Politik des 30jährigen Neinsagens fortsetzen und weiterhin entweder alles oder nichts fordern. Wie die Zukunft in diesem Fall aussieht, vermag sich jeder vorzustellen. Die Palästinenser werden weiterhin einen militanten Unruheherd in den betreffenden Gebieten darstellen: Auf Aggressionen gegen Israel und die Israelis werden massive Vergeltungsmaßnahmen folgen, schließlich könnte es zu einem neuen arabisch-israelischen Krieg kommen. Die Hauptleidtragenden würden genau wie 1948 und 1967 wiederum die Palästinenser sein — der dritte große Exodus innerhalb von drei Jahrzehnten. Bliebe nach einem solchen erneuten Zusammenstoß dann noch etwas von dem übrig, was die Palästinenser in den vergangenen 30 Jahren in Gaza und Nablus, in Hebron und anderswo unter Schweiß und Opfern aufgebaut haben?

Der ehemalige israelische Verteidigungsminister Moshe Dayan, der bekanntlich über ausgezeichnete persönliche Beziehungen zu Palästinensern in der Westuferregion verfügt, erklärte kürzlich in der Universität Haifa, Befürchtungen dieser Art seien ihm gegenüber im privaten Gespräch vielfach geäußert worden Werden die Palästinenser bereit sein, auf der Basis eines Kompromisses über ihre Zukunft zu verhandeln? Oder ist es dafür bereits zu spät? Werden die Supermächte ihnen von oben her eine viel weniger akzeptable Lösung aufnötigen?

Fussnoten

Fußnoten

  1. Literatur: Mohammed Abu Shilbaya, Kein Friede ohne einen palästinensischen Staat (arabisch), Jerusalem 1971; über die Auswanderung der arabischen Palästinenser aus Jaffa: Mahmoud el Irani, Ma A-Naas (Mit dem Volk) (arabisch), Amman 1952; Memoiren des ehemaligen syrischen Premierministers aus der Epoche 1948— 49: Muzakarat Khaled el Azzem (Die Memoiren des Khaled el Azzem) (arabisch), Beirut 1973; Abu Mäzen, palästinensischer Schriftsteller, in der PLO-Zeitschrift „Falastin e-Thawra“ (Palästinensische Revolution) (arabisch), Beirut, März 1976.

  2. Literatur: (deutsch) Sie pflügen neue Felder, Jerusalem 1975, (englisch) Arabs and Israelis — Life together, Jerusalem 1975, (deutsch) Sie werden niemals zurückblicken, Jerusalem 1975, (englisch) Flourishing Deserts (The Green Revolution in the Gaza Strip), Jerusalem 1977. Geschrieben und veröffentlicht vom Verfasser dieses Aufsatzes.

  3. Al Anba, arabische Tageszeitung, Jerusalem, 2. 9. 1977.

  4. Al Quds (arabisch) Nr. 2963, 14. 12. 1977.

  5. Al Anba, 13. 1. 1979.

  6. Al Fajar, englische Ausgabe, Jerusalem 4. 5. 1980.

  7. The New York Times, 2. 6. 1980.

  8. Palestinian Viewpoints, Jerusalem 1972.

  9. Hanna Siniora, Chefredakteur, in: Al Fajar, palästinensische Wochenzeitung in engl. Sprache, Ost-Jerusalem, Mai 1980.

  10. Israelischer Rundfunk, 24. 6. 1980.

Weitere Inhalte

Gideon Weigert wurde 1919 in Hamburg geboren und kam 1933 mit seinen Eltern nach Palästina. Nach zehnjährigem Studium des Islams und der arabischen Sprache und Kultur wurde ihm 1945 das arabische Ressort bei der „Palestine Post", der heutigen „Jerusalem Post", übertragen, in dessen Rahmen er über die Probleme der Araber in Israel und der ehemaligen Palästinenser in Jordanien, Ägypten und anderen arabischen Ländern berichtete. Diese Position gab er 1969 auf, um sich besonders mit der Lage und den Entwicklungen in den 1967 besetzten Gebieten zu befassen. Er hat seither zahlreiche Veröffentlichungen in fünf Sprachen (darunter vier in deutscher Sprache) über die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Aspekte des Problems der Araber in Israel, am Westufer des Jordans und im Gazastreifen vorgelegt.