Die Landkarte publizistischer Wissenschaftsvermittlung zeigt scharfe Kontraste. Auf der einen Seite Informationsberge, Informationsfluten — ein Bild breughelschen Überflusses. Und auf der anderen Seite ein Stilleben des Mangels; neben den stetig wachsenden Bücherhalden, den anschwellenden Zeitschriftenmeeren der Binnenkommunikation die dürren Steppen wissenschaftlicher Außen-kommunikation: die aktuell-universellen Medien, unfruchtbar offenbar für alles, was mit Wissenschaft und Forschung zu tun hat.
Auf den ersten Blick also eine paradoxe Situation: volle Lagerhallen und leere Schaufenster — um ein anderes Bild zu verwenden. Oder doch nicht? Handelt es sich hier um zwei völlig Märkte, die untereinander in gar keinen Handelsbeziehungen stehen?
Die folgende Problemskizze möchte das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit in drei Schritten angehen: Zunächst wird nach den Konstitutionsbedingungen binnenwissenschaftlicher Öffentlichkeit gefragt und eine historisch-genetisch angelegte Situationsbeschreibung der internen Wissenschaftskommunikation versucht. Es folgt eine Bestandsaufnahme der Berichterstattung über Wissenschaft in den Massenmedien. Schließlich sollen Voraussetzungen, Möglichkeiten und Hindernisse einer Verknüpfung des inneren und des äußeren Kommunikationskreises diskutiert werden.
I
Das Öffentlichkeitspostulat ist ein funktionaler Imperativ wissenschaftlicher Arbeit. Nur freier Informationsaustausch ermöglicht die intersubjektive Nachprüfbarkeit wissenschaftlicher Ergebnisse, die als Gültigkeitstest erst die Feuerprobe offener und — prinzipiell — öffentlicher Diskussion bestehen müssen.
Seit den „klassischen" wissenschaftssoziologischen Studien Robert K. Mertons herrscht über die sozialen Grundnormen der Gemeinschaft der Wissenschaftler ein weitreichender Konsens Die Norm des „Universalismus" impliziert den Ausschluß von personalen oder sozialen Eigenschaften, von Rassen-, Nationa-litäts-, Religions-und Klassenzugehörigkeit oder individuellen Qualitäten als Beurteilungskriterien von Forschungsergebnissen; sie setzt den freien Zugang zur wissenschaftlichen Arbeit voraus. Wissenschaftliche Erkenntnisse können kein individueller Besitz sein, der als materielle Hinterlassenschaft — und sei es im Sinne von Nutzungsrechten — persönlich vererbbar wäre Die zweite konstitutive Norm wissenschaftlicher Tätigkeit, von Merton als „Kommunismus", von Norman W. Storer später als „Kommunalität“ bezeichnet verlangt die Veröffentlichung von Resultaten, die auf diesem Wege allen Mitgliedern der „scientific community" zugänglich werden. Die „Uneigennützigkeit" (disinterestedness) des Wissenschaftlers schließlich ist nur durch die aufgrund öffentlicher Überprüfbarkeit ermöglichte institutioneile Kontrolle der Fachkollegen sicherzustellen. Und auch — viertens — der methodologische Imperativ des „organisierten Skeptizismus" setzt die allgemeine Zugänglichkeit der Ergebnisse voraus.
Es ist also nicht übertrieben, Öffentlichkeit als ein konstituierendes Prinzip wissenschaftlicher Tätigkeit zu bezeichnen. Die mitgeteilten institutioneilen Normen beziehen sich zunächst allerdings nur auf einen speziellen Kommunikationskreis: den Kreis der Fachgenossen. Hier ist eine symmetrische Kommunikation garantiert, sind kompetente Kritik und Kontrolle möglich.
Die Bedeutung der Publizitätsforderung läßt sich auch daran ablesen, daß sie zu einem Dieser Beitrag erscheint demnächst auch in dem Sammelband: Kommunikation im Wandel der Gesellschaft. Otto B. Roegele zum 60. Geburtstag, herausgegeben von Erhard Schreiber, Wolfgang R. Langenbucher und Walter Homberg im Droste Verlag, Düsseldorf. Maßstab beruflicher Anerkennung gemacht wird: Die Reputation eines Wissenschaftlers bemißt sich vor allem nach seinen Publikationen. Noch in der Entartung des rein quantitativen Titelzählens als Folge des „publish or pe-rish" zeigt sich die Fundamentalität dieser Grundnorm wissenschaftlichen Arbeitens
II.
Die Geschichte wissenschaftlicher Kommunikation, deren Form-und Funktionswandel hier nur in wenigen groben Strichen skizziert werden kann, ist — wie die Geschichte der menschlichen Kommunikation überhaupt — zunächst bestimmt vom mündlichen Austausch. Die Weitergabe des Wissens geschah primär im persönlichen Umgang zwischen Lehrern und Schülern, in Formen wie Vortrag, Dialog, Diskussion. Zwar gab es bereits im Altertum nicht nur einen regen Handschriften-handel, sondern auch schon öffentliche und private Büchersammlungen beachtlichen Ausmaßes -Diese Institutionen erlaubten die Speicherung des vorhandenen Wissens und damit die Auseinandersetzung mit den Wissensbeständen der Vergangenheit, waren aber durch ihre räumliche Fixierung und ihre soziale Exklusivität nur für kleinen Kreis einen von Eingeweihten zugänglich.
Der esoterische Charakter der Beschäftigung mit Wissenschaft, die im übrigen noch nicht durch einen methodischen Minimalkonsens und eigene Binnennormen definiert, noch nicht institutionalisiert war, änderte sich bis zum Mittelalter nur wenig. Als gesellschaftlich dominante Kraft prägte die Kirche auch Inhalte und Formen der Wissensvermittlung; und sie stellte die Institutionen dazu zur Verfügung: Klosterbibliotheken und Domschulen — die Wiege der ersten Universitäten
Durch die Verwendung einer eigenen Gelehrtensprache, des Lateins, war wissenschaftliche Kommunikation im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit nach außen hin klar abgegrenzt. Diese Abschottung nach außen bedeutete freilich auch eine Öffnung nach innen:
Für die Republik, präziser: Aristokratie der Gelehrten existierten keine nationalen Sprachgrenzen — als Weltsprache der Wissenschaft ermöglichte das Latein eine direkte internationale Verständigung. In der Gegenwart hat die englische Sprache in vielen Disziplinen eine vergleichbare Rolle übernommen.
Mit der Ausweitung und Auffächerung wissenschaftlicher Tätigkeit konnten die zeit-
und ortsgebundenen Formen direkter Kommunikation die an sie gestellten Anforderungen bald nicht mehr erfüllen. Die technische Revolutionierung des Drucks durch Gutenbergs Erfindung bot die sogleich intensiv genutzte Möglichkeit, gelehrte Abhandlungen einem räumlich verstreuten Publikum zugänglich zu machen. Das per Druckerpresse vervielfältigte Buch hatte neben seinen gerade in jüngerer Zeit wiederentdeckten vielen Vorzügen allerdings zwei Nachteile: Es war zu schwerfällig, um einen aktuellen Informationsaustausch zu sichern, und als publizistische Großform zu kompakt, um eine raum-überwindende „Diskussion" von Einzelfragen zu ermöglichen.
So kam es zu dem, was Günter Kieslich als „erste historisch fixierbare Kommunikationskrise in der neuzeitlichen Geschichte der europäischen Wissenschaft" bezeichnet hat: „Das zeit-und ortsbegrenzte wissenschaftliche Gruppengespräch der Gelehrten einer Universität oder einer meist schon fachlich spezialisierten, aber immobilen wissenschaftlichen Akademie, der zeitraubende, dafür raumüberwindende, in aller Regel jedoch eindimensionale und private Informationsaustausch zweier oder mehrerer Wissenschaftler miteinander oder auch gelehrter Gesellschaften untereinander in kontinuierlichem Briefwechsel — diese Kommunikationsformen erwiesen sich angesichts der anschwellenden, in umfangreichen Druckwerken konservierten Primärinformationen als völlig unzureichend, wollte man das wissenschafts-ideologisch vorgeschriebene, polyhistoristische Ideal noch verwirklichen."
Die Krise provozierte eine Lösung, die wie so häufig in der Kommunikationsgeschichte in der Schaffung eines neuen Mediums bestand: der Zeitschrift. Die ersten Gelehrtenzeitschriften wurden zum Teil nationalsprachlich („Jour-nal des Scavans", 1665 in Paris, „Philosophical Transactions", im selben Jahre in London, „Giornale de'Letterati", drei Jahre später in Rom gegründet), zum Teil in Latein publiziert („Acta Eruditorum“, seit 1682 in Leipzig). Damit ist an die Stelle des Individualmediums Brief, das neben geschriebenen oder gedruckten Sitzungsprotokollen bisher die Rolle des typischen Kommunikationsträgers für den Austausch der Gelehrten untereinander gespielt hatte, ein mechanisch vervielfältigtes Gruppenmedium getreten, das die Kriterien Publizität, (Fach-) Aktualität, Periodizität und damit Kontinuität aufweist.
Die ersten Zeitschriften, dem Typ nach vorwiegend bis ausschließlich Referate-und Rezensionsorgane, haben sich noch ganz dem Leitbild der einen Wissenschaft verschrieben. Als Universalzeitschriften konzipiert öffneten sie ihre Spalten naturwissenschaftlichen und philosophischen, historischen und geographischen, theologischen und philologischen Abhandlungen. Das Renaissance-Ideal des „homo universalis" wurde jedoch auch im Bereich der Wissenschaft durch die gesellschaftliche Entwicklung überholt. Das Gefäß „Universalzeitschrift" konnte den Zufluß an wissenschaftlichem Wissen bald nicht mehr aufnehmen, und auch die rasch gezimmerten Auffangbecken, Tochterorgane und Supplementenreihen gingen in kurzer Zeit aus den Fugen.
III.
Die Entwicklung der Wissenschaft ist, wie die Entwicklung gesellschaftlicher Arbeitsprozesse überhaupt, im hier gebotenen Stenogrammstil am besten mit den beiden Kürzeln „Spezialisierung" und „Ausdifferenzierung" zu kennzeichnen. Unter dem Diktat ökonomischer Rationalität wurden, zumal im Gefolge der Industrialisierung, die Arbeitsprozesse immer weiter zerlegt und aufgegliedert, und die berufliche Rollendifferenzierung ging Hand in Hand mit einer fachlichen Spezialisierung. Für die Entwicklung der Kommunikationsmittel bedeutet dies die Ablösung der gelehrten Universalzeitschrift durch den neuen Typ der wissenschaftlichen Fachzeitschrift.
War von den 126 Gelehrtenzeitschriften, die in den vier Jahrzehnten nach Gründung der „Acta Eruditorum" im deutschen Sprachraum erschienen, noch beinahe jede zweite allgemeinwissenschaftlich ausgerichtet so ist dieser Typ heute so gut wie ausgestorben. Es dominiert das fachlich spezialisierte Organ — und die Zahl ist so groß, daß sie nicht einmal genau bekannt ist. Heute wird die Zahl der Fachzeitschriften in der Bundesrepublik Deutschland auf mehr als 3 000 geschätzt, darunter über 1 000 wissenschaftliche Periodika Bereits 1962 gab Derek J.de Solla Price die Zahl der wissenschaftlichen Zeitschriften in der Welt mit 50 000 Titeln an, von denen 30 000 noch erscheinen; sie sollen insgesamt ungefähr 6 Millionen Aufsätze enthalten und sich, parallel zur Zahl der wissenschaftlich Ausgebildeten, nach dem Modell der Exponentialkurve vermehren das heißt: in immer kürzeren Zeitintervallen verdoppelt sich jeweils das Informationsvolumen.
Das Kommunikationsproblem im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb besteht in der Bewältigung der gigantischen Informationsgebirge, die sich zu immer höheren Gipfeln auf-türmen. Und daß diese zu einem erheblichen Teil nicht aus wissenschaftlichem Urgestein, sondern aus Informationsmüll bestehen, macht die Sache nicht einfacher, denn das eine läßt sich vom anderen erst nach zeitaufwendigen Probebohrungen scheiden.
Die zunehmende gesellschaftliche Komplexität und die wachsende Einsicht in die Interde-pendenz sozialer Prozesse haben die Verarbeitung von Informationen in allen Lebensbereichen schwieriger werden lassen. In der Wissenschaft, speziell in den geistes-und sozialwissenschaftlichen Fächern, verschärft sich dieses allgemeine Problem dadurch, daß neue Informationen die alten nicht einfach ablösen und damit überflüssig machen. Für den Literaturwissenschaftler etwa bleibt, auch wenn er sich mit der Produktion der zeitgenössischen Schriftsteller beschäftigt, der gesamte Fundus der Literatur „aktuell". Ohne die zwar nicht vollkommen zu realisierende, aber doch als Zielwert anzustrebende Simultanpräsenz des literarischen Erbes wird er seinem Gegenstand nicht gerecht werden, wird er die Spie-gelungen des Früheren im Späteren nicht wahrnehmen, die Aufnahme traditioneller Topoi, die Verarbeitung klassischer Motive in Form von Zitat, Parodie, Travestie nicht analysieren können. Ähnliches gilt für alle Disziplinen, die sich ihrem Gegenstand in historischer Perspektive nähern, und es gilt nicht nur für die Quellen-, sondern auch für einen Teil der sogenannten Sekundärliteratur, nicht nur im Rahmen eines nationalen Sprach-und Kulturraums, sondern international. Max Scheler hat dieses anspruchsvolle Programm der Wissenschaftskommunikation in die Formel von der „Kooperation aller Zeiten und Völker“ gebracht
Zur Erfüllung dieses Kommunikationsideals hat die Drucktechnik jüngst weitere materielle Voraussetzungen geschaffen. Neue reprographische Verfahren ermöglichen den kostengünstigen Nachdruck solcher Werke, die als Unikat oder Rarissimum bisher in den Magazinen weniger Spezialbibliotheken verborgen waren. In den beiden letzten Jahrzehnten haben Reprint-Verlage sich darauf spezialisiert, wissenschaftliche Werke der Vergangenheit wieder ans Licht zu holen — mit dem Ergebnis, daß das Angebot heute kaum noch überschaubar ist. Der „Guide to Reprints" von 1979 verzeichnet bereits mehr als 80 000 Titel
IV.
Die erste große Kommunikationskrise der neuzeitlichen Wissenschaft, die mit der geistesgeschichtlichen Epoche der Aufklärung zusammenfällt, bestand vor allem im Fehlen angemessener Informationsträger. Es fehlten öffentliche Transportmittel, die regelmäßig und verläßlich nach einem festen Fahrplan die Gelehrten mit neuen Erkenntnissen versorgten. Die gegenwärtige Kommunikationskrise liegt nicht in der Verbreitung von Informationen, sondern in der (Un-) Möglichkeit ihrer Verarbeitung, über immer kleinere Fachgebiete wird immer mehr publiziert, so daß selbst der innerste Zirkel der hochspezialisierten Forschergruppen immer weniger überhaupt zur Kenntnis nehmen, geschweige denn produktiv verarbeiten kann.
Spezialisierte Kommunikationsanforderungen haben die Entwicklung neuer Vervielfältigungstechniken gefördert, die gerade auch im Bereich der Wissenschaftskommunikation an Bedeutung gewinnen. Die Angebotspalette mechanischer und elektronischer Geräte im Bereich der Textproduktion reicht von der Schreibmaschine mit variablem Typenprogramm über den Fotokopierer bis zum Kleinoffsetdrucker. Bei inflationär steigendem Publikationsausstoß, wachsender Umschlaggeschwindigkeit der Forschungsergebnisse und — wegen der fortschreitenden Zellteilung der Disziplinen — immer kleiner werdenden Kernzielgruppen hat das zeit-und geldaufwendige klassische Verfahren des Buch-und Zeitschriftendrucks in vielen Bereichen längst seine ökonomische Rationalität verloren. Nicht ohne Folgen für die wissenschaftliche Öffentlichkeit: Während die mittels der herkömmlichen Printmedien gedruckten Publikationen allen Interessenten zumindest potentiell zugänglich sind, schränken die per Selbst-produktion vervielfältigten und verbreiteten Informationen den Kommunikationskreis ein auf die Gruppe der direkten Empfänger
Damit ist auch im Bereich der Wissenschaftskommunikation ein Phänomen zu beobachten, das die politische Kommunikation der letzten Jahre stark beeinflußt hat: die Wiederentdek-kung längst überholt geglaubter vormedialer bzw. vorpublizistischer Vermittlungsformen. Der alte Gelehrtenbrief, Vorläufer des Mediums Zeitschrift, erlebt in der Gegenwart in Form des in kleiner Auflage vervielfältigten „unveröffentlichten Manuskripts" seine Reanimation. In einer Situation wachsenden Volumens und sinkender Halbwertszeit wissenschaftlicher Literatur gewinnen auch die mündlichen Austauschformen wieder an Bedeutung. Durch gegenseitige Einladungen zu Vortrags-veranstaltungen und Gastvorlesungen festi-gen die „invisible Colleges" ihre Kooperationsbeziehungen. Die Variationsbreite wissenschaftlicher Tagungen reicht von der thematisch eingeengten Fachkonferenz mit Round-Table-Charakter — der Teilnehmerkreis ist hier manchmal auf eine kleine Gruppe ranghoher Statusträger eingeschränkt — bis zum für alle fachlich Interessierten zugänglichen Mammutkongreß.
Die zuletzt genannte Tagungsform, vor allem in den Vereinigten Staaten üblich, vereinigt Elemente einer Mustermesse, einer Leistungsschau und eines Sängerwettstreits und vermag ihrer ganzen Anlage nach kaum dem wissenschaftlichen Diskurs, der theorie-, methoden-und/oder gegenstandsbezogenen Kontroverse, sondern eher der Selbstdarstellung der Akteure, ihrer Präsentation für den akademischen Stellenmarkt zu dienen. Da die expansive Strategie der Großkongresse von vornherein eine Fülle von Parallelveranstaltungen einplant, kann sich der Teilnehmer nur einem kleinen Ausschnitt der Vorträge und Diskussionen zuwenden. Auch deshalb präsentieren die Referenten die Ergebnisse ihrer Forschungen im Extrakt oder in extenso als „Paper“. Ein Teil dieser Arbeitspapiere wird später in Tagungsanthologien oder Fachzeitschriften abgedruckt, der Rest kreist im Samisdat-Verfahren unter den Eingeweihten. Auf verschiedenen Ebenen setzt sich der „Paperismus" fort — bis zum hektographierten Referattext oder Thesenpapier in Universitätsseminaren.
V.
Der Entwicklungstrend der Kommunikationstechnik in Richtung Miniaturisierung und Entmaterialisierung zeigt sich auch im Bereich der Wissenschaftskommunikation. Bereits 1970 brachte der international führende Reprint-Verlag die ersten Mikropublikationen heraus Rohstoffmangel (Papierknappheit) und gestiegene Kosten im traditionellen Druckereigewerbe haben Mikrofilm und Mikrofiche zunehmende Beachtung verschafft. Gegenüber dem Papier hat der Kommunikationsträger Zelluloid zwar den Nachteil, daß er zur Dekodierung eines speziellen Lesegerätes bedarf, als Vorteile stehen dem jedoch die kostengünstige Produktion und die raumsparende Archivierung gegenüber, so daß die Mikropublikationsformen in Zukunft vor allem bei der Reproduktion großer Nachschlage-und Serienwerke und umfangreicher Periodika noch stärker genutzt werden dürften Nach Einführung der neuen Telekommunikationsmedien werden nichtmaterialisierte technisch vermittelte Austauschformen insgesamt zunehmen. Da bisher darüber zwar schon eine ansehnliche Lobpreisungs-oder Kassandraliteratur existiert, aber noch kaum praktische Erfahrungen vorliegen, kann man ihre Bedeutung langfristig schwer abschätzen. Im Bereich der wissenschaftlichen Information dürfte der Bildschirmtext eine Rolle spielen, wenn auch nur in einem relativ schmalen Bereich: Die Kopplung von Telephon und Fernsehschirm erlaubt den individuellen Informationsabruf von einer Datenbank mit geradezu beliebig hoher Speicherkapazität. Für die Speicherung schnell veraltender Wissensbestände, etwa statistischer Daten, eignet sich dieses System schon wegen der permanenten Aktualisierungsmöglichkeit. Zur Darstellung komplexer Zusammenhänge sind allerdings die alten (und die neuen) Druckmedien nach wie vor nicht substituierbar. Das Gesetz der Medienkomplementarität wird sich hier auch in Zukunft neu bestätigen.
Bedeutung gewinnen dürften die neuen Techniken vor allem im Archiv-, Dokumentations-und Bibliothekswesen. Erfassung, Aufbereitung und Weitergabe von Fachinformationen, die im gegenwärtigen wissenschaftlichen Bibliothekssystem nur im Postkutschentempo (und gelegentlich erst nach anstrengenden Irrfahrten) zu erhalten sind, werden durch computerunterstützte Verfahren der Informationsspeicherung und -Wiedergewinnung einem schnelleren und individuelleren Zugriff erschlossen. Bemerkenswert, daß „Information und Dokumentation“ einen eigenen Schwerpunktbereich in der Forschungsförderung des Bundes bildet 21). Vorderhand ist von den elek-gehandelt Über die Transformationsprozesse bei der Wieder-und Weitergabe wissenschaftlicher Aussagen in den aktuell-universellen Medien wissen wir noch wenig In den bereits erwähnten Aussagenanalysen, die das Terrain in bezug auf die Pressemedien sondiert haben, wurden Inhaltsanteile und Darstellungsformen, Quellennachweise und Ausgangsorte wissenschaftlicher Informationen ausgezählt und ausgemessen. Die Ergebnisse geben auch Hinweise auf die Qualität der wissenschaftlichen Berichterstattung. Als Beispiel greife ich die journalistische Vermittlung sozialwissenschaftlicher Forschung heraus. Die Sozialwissenschaften tauchen, wie schon angedeutet, in den Zeitungsspalten selten auf. Wenn sie doch thematisiert werden, dann beherrscht ein ganz bestimmter Sektor das Feld: die Meinungs-und Einstellungsforschung. Die Redakteure greifen hier in das Datenfüllhorn einschlägiger Erhebungen, die vorwiegend von kommerziellen Instituten im Auftrag der unterschiedlichsten Interessenten durchgeführt worden sind. Der Leser erfährt so unter anderen „über die Einstellungen der Bundesbürger zur Werbung, Arztwahl, Lehrlingsausbildung, Geschwindigkeitsbegrenzung, Sterbehilfe, Ehe auf Zeit, zum Verbot des KSV ebenso wie über ihre Ansichten zum Kometen Kohoutek, zum schulfreien Samstag oder zu politischen Vorgängen" So beliebig die Auswahl, so anfechtbar die Qualität der Berichterstattung: — Die zur Beurteilung einer Umfrage notwendigen Basisangaben sind nur sehr selektiv oder gar nicht mitgeteilt (Auftraggeber, ausführendes Institut, Grundgesamtheit, Stichprobenbestimmung, Ausschöpfquote, Art des Interviews, Fragewortlaut, Befragungszeitraum, Form der Darstellung).
— Die Interessen, die hinter Datenerhebung, Datenselektion und Dateninterpretation stehen, werden meist nicht erläutert. — Eine Überprüfung der vorgefilterten Teilinformationen anhand der jeweiligen Gesamt-studien findet kaum statt. Die Journalisten verzichten auch bei unvollständigem Agentur-material normalerweise auf eigene Recherchen. — Die Medien begnügen sich mit singulären, mit Ad-hoc-Ergebnissen. Es fehlt eine kontinuierliche Beobachtung der Forschungssituation
Bedenkliche Blindstellen liegen freilich nicht nur in der Art der Vermittlung, sondern auch in der journalistischen Themenselektion. Die Breite sozialwissenschaftlicher Fragestellungen und Forschungsansätze, die Heterogenität der theoretischen Positionen und der methodischen Vorgangsweisen, die Fülle unterschiedlicher — und oft sehr widersprüchlicher — Problemlösungsvorschläge: für den Zeitungsleser schrumpft sie zusammen auf ein schmales Gebiet angewandter Forschung, die, meist theorielos betrieben, kaum mehr als Oberflächeninformationen bietet. Allerdings darf man vermuten, daß sozialwissenschaftliche Erkenntnisse häufig nicht als solche vermittelt werden; ihre Nähe zum Alltagswissen, ihr Eingehen in die allgemeine politische Diskussion begünstigen, daß sie als verborgene Quellen einfließen in andere Inhaltsbecken. Auch die Verwissenschaftlichung der öffentlichen Sprache wird aus diesem Reservoir gespeist.
IX.
Was sind die Ursachen für solche Vermittlungsdefizite? Die zu Beginn geschilderten innerwissenschaftlichen Kommunikationsprobleme, die eingeschliffenen Aufmerksamkeitsraster der Medien, ein auf die zeitliche Dimension verkürzter Aktualitätsbegriff — all dies spielt zusammen. Ein besonders wichtiger Grund scheint mir darüber hinaus in der mangelnden Fachkompetenz vieler Journalisten zu liegen. Zwar geht die traditionelle Vorstellung vom „geborenen Journalisten" zurück, aber nach wie vor dominiert im beruflichen Selbstverständnis die Kompetenz zur Vermittlung vor einer speziellen Sachbzw. Fachkompetenz Die Kombination beider Bereiche ermöglicht jedoch erst eine adäquate, das heißt sachund adressatengerechte Vermittlung. In den letzten Jahren hat innerhalb des journalistischen Tätigkeitsfeldes eine zahlenmäßig noch recht kleine Berufsgruppe immer deutlichere Konturen gewonnen, die sich ausschließlich oder überwiegend mit der Vermittlung wissenschaftlicher Ansätze, Verfahren und Ergebnisse befaßt. Diese Wissenschaftsjournalisten unterscheiden sich in mehreren Punkten von ihren Berufskollegen: Der größte Teil von ihnen hat ein akademisches Studium absolviert, und zwar vor allem in naturwissenschaftlichen bzw. technischen Disziplinen oder in der Medizin. Sie haben sich auf bestimmte Fachgebiete spezialisiert und berichten darüber meist parallel für verschiedene Medien; die Bandbreite der intermedialen Mobilität reicht von der Tages-und Wochen-zeitung über diverse Zeitschriftentypen und Pressedienste bis zu Hörfunk und Fernsehen sowie zum Sachbuch. Im Unterschied zum Gros der Journalisten handelt es sich also um Fachspezialisten und Mediengeneralisten
Aufgrund ihrer Ausbildung, ihrer beruflichen Sozialisation und ihrer Arbeitsweise (systematische Auswertung wissenschaftlicher Originalpublikationen, häufiger Besuch von Fach-kongressen, regelmäßige intensive Kontakte zu Wissenschaftlern) haben die Wissenschaftsjournalisten eine besondere Nähe zur „scientific Community". Dieses Nahverhältnis führt zwar im allgemeinen zu einer sachgerechten Berichterstattung mit hohem Genauigkeitsgrad, impliziert aber die Gefahr, am „normalen" Mediennutzer vorbeizuschreiben oder vorbeizureden — mit dem Ergebnis, daß die Wissenschaftsseite in anspruchsvollen Tageszeitungen manchmal den Charakter einer Fachzeitschrift annimmt.
Die enge Orientierung am Wissenschaftssystem, die bis zur persönlichen Identifikation geht zeigt sich auch im Verzicht auf Kritik an Forschern und Forschungen, und zwar sowohl an Methoden und Ergebnissen als auch — vordringlicher noch — am erkenntnisleitenden Interesse, an den Fragestellungen und Prioritätensetzungen. Wissenschaftsjournalismus ist häufig lediglich Resultatjournalismus.
X.
Zu den Berufsklischees, die der Figur des Wissenschaftlers gemeinhin angehängt werden, gehört auch jenes, daß er die Öffentlichkeit scheue wie der Teufel das Weihwasser. Als Ausdruck dieser schwer auszurottenden Vorstellung hat man ihm (wie übrigens auch seinem sinnstiftenden Kollegen, dem Dichter) Unterkunft in einem besonders edlen Gehäus'zugewiesen: dem Elfenbeinturm. Einmal davon abgesehen, daß die Glas-/Betonwaben der modernen Massenuniversitäten sich vom nobel-idyllischen Beinhaus schon rein äußerlich unterscheiden wie eine Kantine vom Feinschmeckerlokal — selbst im metaphorischen Gehalt ist diese Sprachmünze längst nicht mehr durch die Währung irgendeiner Wahrheit gedeckt. Gerade in einer Zeit abflachender Wachstumskurven, knapper werdender Ressourcen und steigender Verteilungskämpfe weiß der Wissenschaftler sehr wohl, daß er die ihn alimentierende Öffentlichkeit von seiner gesellschaftlichen Nützlichkeit überzeugen muß. Es überrascht nicht, daß gerade Politiker die Notwendigkeit einer so begründeten Legitimation betonen: „In einer demokratischen Gesellschaft ist Durchsichtigkeit, ist Transparenz von Wissenschaft und Forschung eine Bringschuldl Nicht Holschuld für 60 Millionen Bürger, sondern Bringschuld der Wissenschaftler und Forscher selbst!" — so etwa Bundeskanzler Schmidt 1977 auf der Jahresversammlung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Transparenz darf aber nicht nur der Mobilisierung für Subvention dienen. Als Kampfbegriff der Aufklärung beinhaltet „Öffentlichkeit“ auch das Element der Kontrolle und der Kritik. In einer verwissenschaftlichten Zivilisation kann das Wissenschaftssystem als Inhaber eines Methodenmonopols nicht nur wesentlichen Einfluß auf den sozialen Wandel gewinnen, sondern ihm wird in vielen Fällen auch eine allgemeine gesellschaftliche Orientierungsfunktion übertragen. Da eine „Kommunikationslücke" zwischen sozialen Handlungseinheiten immer auch eine „Kontrollük-ke" bedeutet, besteht bei deformiertem Kommunikationsfluß die Gefahr eines illegitimen Einflusses der Wissenschaft auf Politik und Gesellschaft Die so spät in Gang gekommene Debatte über die Atomkraft — hier hat auch der Wissenschaftsjournalismus versagt! — sollte deutlich gemacht haben, daß es sich dabei nicht nur um abstrakte Befürchtungen handelt.
Die „Dauerkommunikation zwischen Wissenschaft und öffentlicher Meinung“ ist nun freilich leichter zu postulieren als in die Praxis umzusetzen. Um diese Forderung zu verwirklichen, muß es personelle Mittler geben. „Wan-ted: Middlemen" — Wilbur Schramm hat die Bedeutung von Mittlern und Anwendern der Wissenschaft deutlich gemacht am Beispiel der „country agents" in den Vereinigten Staaten, die den wechselseitigen Kontakt zwischen landwirtschaftlichen Forschungsund Entwicklungsstationen und den lokalen Farmern aufrechterhalten. „Die Aufgabe des Mittlers ist... eine zweifache: Er trägt dem Benutzer nicht nur Informationen zu, er informiert auch die Wissenschaftler und Gelehrten über den Bedarf an Forschungsergebnissen und Informationen, wie er ihm von denen dargestellt wird, die letztlich damit umgehen."
Das Stellenprofil des Wissenschaftsjournalisten läßt sich analog formulieren: Als Dolmetscher der Wissenschaft übersetzt er Forschungsergebnisse, stellt ihren Kontext, ihre Voraussetzungen und Bedingungen und — gegebenenfalls — ihre lebenspraktische Bedeutung dar. Als Agent des Publikums nimmt er die gesellschaftlichen (Neben-) Folgen wissenschaftlicher Innovation unter die Lupe, fragt nach Alternativen, artikuliert Forschungsdesiderate. Seine Ausbildung und seine fachliche Kompetenz setzen ihn in die Lage, an der wissenschaftsinternen Kommunikation zu partizipieren und eine Transmissionsfunktion zwischen dem inneren und äußeren Kommunikationskreis zu übernehmen Wissenschaftsfeindlichkeit und Wissenschaftsgläubigkeit — das sind zwei Seiten derselben Medaille. Beide Haltungen haben die gleiche Wurzel: Sie resultieren aus der Kommunikationslücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Beide sind auf gleiche Weise zu bekämpfen: durch Information, durch wechselseitige Kritik, durch Aufklärung und Verständigung über partikulare und allgemeine Interessen, durch Diskussion von Zielen, Strategien und Prioritäten. Mittler bleiben gesucht.