Der Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953. Ursachen, Verlauf und gesellschaftspolitische Ziele
Axel Bust-Bartels
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Zusammenfassung
Es gibt die unterschiedlichsten politischen Einschätzungen des Aufstandes vom 17. Juni 1953. Ein zentraler Grund dafür, die Vorgänge jener Tage entsprechend den eigenen politischen Vorstellungen interpretieren zu können, ist die bisher immer noch unzureichende wissenschaftliche Aufarbeitung der Ereignisse. Ausgehend von einem Aufzeigen der Defizite in der bisherigen Erforschung und Analyse des Aufstandes sowie einer kurzen Charakterisierung der Entwicklung des gesamtgesellschaftlichen Klimas in der SBZ/DDR am Beispiel des Zerschlagens der Antifa-Ausschüsse, der Art und Weise des Aufbaues einer neuen Verwaltung sowie der Entwicklung innerhalb der SPD und KPD bzw.der SED wird vor allem auf die betrieblichen Herrschaftsund Machtverhältnisse nach 1945 eingegangen. In diesem Bereich sind die Ursachen des Auf-standes und die gesellschaftspolitischen Ziele der Arbeiter weitaus differenzierter und konkreter zu benennen, als es bisher geschehen ist. Auch eine Analyse des Verlaufs der Ereignisse am 16. und 17. Juni 1953 und der proklamierten Ziele bestätigt: Bei einer Wiedervereinigung nach den Vorstellungen der aufständischen Arbeiter wäre ein Deutschland mit einer politischen und gesellschaftlichen Ordnung entstanden, die sich in erheblichem Maße von der heutigen (und damaligen) Gesellschaftsordnung sowohl in der DDR wie in der Bundesrepublik unterschieden hätte.
I. Einleitung
Die 18 Millionen Einwohner der Sowjetisch Besetzten Zone haben am 17. Juni 1953 „für den Westen eine der großen Schlachten des Kalten Krieges geschlagen". Das wiegt „für ein , roll back'(...) mehr als eine beliebige Anzahl von Divisionen". „Das bedeutet eine Verpflichtung, die nicht mehr abgeschüttelt werden kann."
In kaum zählbaren Reden zum „Tag der deutschen Einheit" wird immer wiederholt, daß es den Aufständischen um eine „Wiedervereinigung in Freiheit", um eine Wiedervereinigung auf der Grundlage der politischen und gesellschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gegangen sei 2a). Demgegenüber betont etwa Willy Brandt, daß nirgends eine „restaurative Tendenz" vertreten wurde, daß „unzweideutige Vorbehalte" gegenüber der westlichen Politik in der Bundesrepublik Deutschland vorhanden waren, daß es den Arbeitern keineswegs um den einfachen „Anschluß" der DDR an die Bundesrepublik Deutschland ging und daß von daher der 17. Juni nicht für eine anti-sozialistische Propaganda mißbraucht werden kann
Wie können derartig konträre politische Einschätzungen des selben Ereignisses gegeben werden? Ein wesentlicher Grund ist sicher die Tatsache, daß sich die wissenschaftliche Analyse des AufStandes am 17. Juni 1953 in der DDR auf einem bemerkenswert niedrigen Niveau befindet. Seit etwa Ende der 50er Jahre hat die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema fast gänzlich aufgehört. Das ist um so erstaunlicher, als zum einen dem 17. Juni als Tag der deutschen Einheit eine erhebliche Bedeutung im politischen und gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik Deutschland zugemessen wird, zum anderen die wissenschaftliche Aufarbeitung des Auf-standes keineswegs als abgeschlossen angesehen werden kann. Verbunden damit bzw. bedingt dadurch ist in der Bundesrepublik Deutschland allgemein sehr wenig über Ursachen, Verlauf und gesellschaftspolitische Ziele des Aufstandes bekannt. Dies ermöglichte eine Mythologisierung des Aufstandes entsprechend den eigenen politischen Wunschvorstellungen in einem ganz erheblichen Ausmaß. Die Mythologisierung geht mittlerweile so weit, daß sogar die Neo-Nazis diesen Tag für sich reklamieren und letztes Jahr in Frankfurt am 17. Juni eine Demonstration mit über 5 000 Teilnehmern veranstalteten.
Im folgenden wird versucht — ausgehend von einem kurzen Benennen der Defizite der bisherigen wissenschaftlichen Aufarbeitung des Aufstandes —, eine Darstellung der Ereignisse zu geben, die einerseits versucht, ansatzhaft diese bisherigen Defizite zu beheben, die andererseits möglichst viele konkrete Informationen gibt, um der Mythologisierung der Ereignisse entgegenzuwirken 3).
II. Die Defizite der bisherigen Aufarbeitung
Zunächst sollen kurz die wesentlichen analytischen Mängel der bisherigen Aufarbeitung benannt werden, um damit die Relevanz einer weiteren wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Thematik und die folgende eigene Vorgehensweise und Schwerpunktsetzung zu verdeutlichen. Die Defizite liegen im Bereich der Erklärung der Ereignisse, der Ursachen der Aufstandsbewegung, im Bereich der Darstellung der Ereignisse selber und im Bereich der Interpretation des politischen Charakters des Aufstandes.
Die in der bisherigen Diskussion genannten Ursachen des Aufstandes bezogen die gesamte Bevölkerung der DDR ein bzw. teilweise andere gesellschaftliche Gruppen als die Arbeiter. Da es jedoch als wissenschaftlich gesichert angesehen werden kann, daß im we-sentlichen nur die Industriearbeiter den Auf-33) stand getragen, die anderen gesellschaftlichen Gruppen in ihrer Mehrzahl sich den Ereignissen gegenüber abwartend verhalten haben erklären die genannten Ursachen nur unzureichend, warum es zu der Aufstandsbewegung kam.
Eine Erklärung der Ursachen des Aufstandes erfordert m. E. aufgrund der Dominanz der Industriearbeiter während der Ereignisse eine umfassende Untersuchung der betrieblichen Vorgeschichte seit 1945.
In den bisher vorliegenden Darstellungen der Ereignisse selbst werden in der Regel einzelne „Führerpersönlichkeiten" hervorgehoben, „die die Kollegen (...) zur Arbeitsniederlegung überredeten" Dieser explizit genannte bzw. in den verschiedenen Darstellungen implizit zum Ausdruck kommende „Führeransatz" zur Erklärung des Verlaufs der Unruhen greift jedoch zu kurz. Er entspricht letztlich der von der SED-Propaganda vertretenen Interpretation der Ereignisse — nämlich, daß sich die Arbeiter an diesem von langer Hand vorbereiteten „Tag X" von einzelnen — westlich gesteuerten — „klassenfeindlichen Elementen" zu ihren Aktionen hätten verleiten lassen
Dieser Erklärungsansatz greift insofern zu kurz, als — wie die Untersuchung der betrieblichen Vorgeschichte seit 1945 zeigt — breite informelle Strukturen und ein relativ festgefügter solidarischer Rahmen innerhalb der Belegschaften der streikenden Betriebe vorhanden waren, aus denen heraus der Aufstand initiiert worden ist. Bei der vorherrschenden Interpretation des politischen Charakters der Unruhen ist ebenfalls ein schwerwiegender Mangel festzustellen. Die Forderungen der Aufständischen nach Freiheit, nach freien Wahlen und Wiedervereinigung wird fast durchgängig als ein Votum für eine demokratische Gesellschaftsordnung westlich-kapitalistischer Prägung interpretiert. Aber allein die Tatsache, daß nirgendwo während des Aufstandes die Forderung nach einer Rückgabe der verstaatlichten Betriebe an ihre früheren Besitzer erhoben wurde, macht deutlich, daß es insgesamt um die Herstellung von politischen Freiheiten, von demokratischen Verhältnissen ging, jedoch keineswegs ein Votum für eine kapitalistische Wirtschaftsordnung abgegeben wurde.
Es gibt — wie bereits erwähnt — zwar vereinzelt differenziertere Betrachtungsweisen Der Aufstand war eine Interessenartikulation der Arbeiter, die „den allgemeinen sozialistischen Rahmen des Systems nicht sprengte". Solch differenziertere Einschätzungen spielen aber für die vorherrschende Interpretation des 17. Juni im politischen und gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik Deutschland keine Rolle. Ein Grund dafür dürfte sein, daß derartige Einschätzungen sich nicht bemühen, die politischen und gesellschaftlichen Ziele der äufständischen Arbeiter konkreter zu bestimmen. Konkreter lassen sich die Ziele m. E. nur aus den Aktions-und Widerstandsformen der Arbeiter seit 1945, aus den sich darin äußernden Ansprüchen an die politische und gesellschaftliche Entwicklung bestimmen.
In einem ersten Teil soll deshalb zunächst historisch-industriesoziologisch die betriebliche Entwicklung in der SBZ/DDR nachverfolgt werden. Dabei wird der Schwerpunkt nicht auf eine Darstellung der Veränderungen der allgemeinen arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen gelegt, sondern es wird versucht, die tatsächliche Praxis in den Betrieben zu rekonstruieren. Vor allem wird versucht, das Handeln bzw. die Widerstandsformen der Arbeiter als Produkt von Lernprozessen zwischen ihnen und den Staats-und Parteiinstanzen zu erfassen, die schließlich zu dem Aufbegehren am 17. Juni 1953 führten.
Auf diesem Hintergrund werden in einem zweiten Teil die Ursachen des Aufstandes, sein Verlauf und seine politischen und gesellschaftlichen Ziele auf der Grundlage des Vorhergehenden dargestellt und analysiert.
Bevor jedoch ausführlich auf die betriebliche Entwicklung in den Jahren 1945 bis 1953 eingegangen wird, soll kurz das Zurückdrängen von Basisinitiativen und das Zerschlagen von Ansätzen zu demokratischen Strukturen in zwei anderen zentralen gesellschaftlichen Bereichen aufgezeigt werden. Es soll kurz eingegangen werden auf die Auflösung der „Antifaschistischen Ausschüsse", den anschließenden undemokratischen Aufbau der Verwaltung und auf die Technik, mit der die an Moskau orientierten Teile der KPD ihren Macht-und Herrschaftsanspruch erst innerhalb der KPD und anschließend in der vereinigten KPD/SPD, der SED, durchgesetzt haben. Dies ist m. E. zum Verständnis der Entwicklung des gesamten gesellschaftlichen Klimas in der SBZ/DDR von zentralen Bedeutung.
III. Die Antifa-Ausschüsse
In den „meisten größeren aber auch in kleineren Städten und speziell in den industriellen Ballungszentren entstanden entweder schon vor, zumeist aber unmittelbar nach dem Einmarsch der roten Armee . Volkskomitees', . Antifa-Ausschüsse'(...). Sie verstanden sich — ähnlich den Initiativ-Organisationen im Westen — teils als Keimzellen einer einheitlichen Arbeiterpartei, teils als Volksfront-Komitees mit breiter sozialer Basis, teils als eher gewerkschaftsähnliche Zellen oder aber — revolutionär — als Orts-bzw. Stadt-Sowjets. Initiatoren oder Träger dieser Ausschüsse waren zumeist Kommunisten und/oder Sozialdemokraten, die oftmals (...) mit Angehörigen des (antifaschistischen) Bürger-oder Kleinbürgertums zusammenwirkten, doch offenkundig zumeist antikapitalistische Vorstellungen entwickelten. Sie säuberten in vielen Fällen (...) Verwaltungen und Betriebe von aktiven Nazis, brachten die Strom-, Gas-und Wasserversorgung wieder in Gang, begannen die knappen Lebensmittel zu erfassen und zu verteilen und organisierten den Verkehr" Diese Aktivitäten der Basisinitiativen entsprachen nicht den Vorstellungen der Sowjetunion und der aus dem Moskauer Exil zurückkehrenden KPD-Führung. Das KPD-ZK entsandte Ende April/Anfang Mai 1945 sogenannte Ini-tiativ-Gruppen, die sich bemühten, von Berlin (Gruppe Ulbricht), Dresden (Gruppe Ackermann) und Stettin, später Schwerin (Gruppe Sobottka) ausgehend — in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen sowjetischen Stäben — einen straff zentralisierten und damit „von oben" leicht kontrollierbaren Verwaltungsapparat aufzubauen
Dies war zum einen notwendig, weil grundsätzlich keine leninistische Partei Aktivitäten von zentral weitgehend unabhängigen Basis-initiativen dulden kann, zum zweiten war es notwendig, weil sich die Vorstellungen der KPD-Führung von dem, was sich gesellschaftlich verändern sollte, erheblich von dem unterschied, was die Basis — auch die eigene KPD-Basis — als anzustrebendes gesellschaftliches Modell vorstellte.
Folgendes Beispiel beleuchtet m. E.sehr gut den Charakter der sich anbahnenden neuen gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse und die Reaktion auch überzeugter Genossen darauf: Im Haus des Zentralkomitees der KPD in Berlin gab es täglich drei unterschiedliche Essen. Für die Parteisekretäre: Suppe, Vorgericht, Fleischgericht und Nachspeise, dazu Rot-oder Weißwein oder andere Getränke. Für die Referenten und Abteilungsleiter gab es ein zweites, etwas bescheideneres Essen und für die übrigen Angestellten gab es Eintopf Wolfgang Leonhard, damals Mitglied der aus Moskau kommenden „Gruppe Ulbricht" berichtet dazu
„Ich kam gerade aus meinem Büro und wollte in den Speisesaal des ZK gehen. Auf der Treppe sprach mich ein sympathisch aussehender Mann mittleren Alters an. . Entschuldige, Genosse, arbeitest du hier?'„Ja, in der Propagandaabteilung'. , Das trifft sich ja gut. Ich bin nämlich als KPD-Funktionär aus dem Westen eingeladen worden. Eben hat man mir Marken zum Essen gegeben, aber ich weiß nicht, wo hier der Speisesaal ist.'Das kommt darauf an, welchen Talon du hast.'Er schaute mich erstaunt an und zeigte mir seinen Talon. Es war einer der Kategorie Nr. 3 — ein Talon für die . nicht so wichtigen Mitarbeiter. Ich zeigte ihm den Weg. . Sag mal, gibt es denn hier im ZK für die Mitarbeiter verschiedenes Essen?'. Natürlich, es gibt vier verschiedene Talons, je nachdem, in welcher Funktion der Betreffende tätig ist. Die letzten beiden Gruppen sind für technische Mitarbeiter und Angestellte.'Ja, aber... sind das nicht alles Genossen?!'. Natürlich — auch die Putzfrauen, Chauffeure und Nachtwächter sind alles geprüfte Parteimitglieder.'Er schaute mich entsetzt an: . Verschiedene Talons, verschiedene Essen ... aber es sind doch alles Genossen!'Er wandte sich grußlos ab und ging; wenig später hörte ich die Ausgangstür quietschen. Der Genosse hatte das ZK-Gebäude verlassen.“
Die KPD zerschlug sehr schnell die Antifa-Ausschüsse, die sie als „linke Überspitzung" ansah, wobei sie allerdings selbst bei ihren eigenen Genossen, die in diesen Ausschüssen arbeiteten, auf Widerstand stieß. „Es gab viele Genossen, die zunächst nicht einsehen wollten, was politisch notwendig war", berichtete Anton Ackermann Und Ulbricht beschwerte sich wiederholt heftig über die „Rummurkserei mit der Antifa"
Nach der von oben erzwungenen Auflösung der Antifa-Ausschüsse begannen die Initiativgruppen der KPD mit dem Aufbau eines zentralisierten Verwaltungsapparates nach der von Ulbricht ausgegebenen Devise: „Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben." Deshalb wurden in der neuen Verwaltung zunächst nur die zentralen Schaltstellen mit Kommunisten besetzt. Ulbricht: „Der erste stellvertretende Bürgermeister, der Dezernent für Personalfragen und der Dezernent für Volksbildung — das müssen unsere Leute sein. Dann müßt ihr noch einen ganz zuverlässigen Genossen in jedem Bezirk ausfindig machen, den wir für den Aufbau der Polizei brauchen."
Statt an die Basisinitiativen, die Antifa-Ausschüsse und ähnliches anzuknüpfen und so von unten her eine neue Verwaltung aufzubauen, wurden von oben her — oft recht zufällig — Personen für einflußreiche Posten gesucht und eingesetzt. Viele Karrieremacher erhielten wichtige Positionen. Dies wird u. a. daran deutlich, daß Ende der 40er Jahre bis zu 20 Prozent (!) der SED-Mitglieder früher in der NSDAP waren Diese Personen kamen nicht aus dem lange gewachsenen sozialen Rahmen, aus dem heraus die Basisinitiativen tätig waren. „Die Arbeiter fühlten sich von der Aktivität der kommunistischen Kader nicht angezogen, sondern viel eher abgestoßen. Sie kannten die Leute nicht, die von irgendwoher plötzlich aufgetaucht waren, die einflußreiche Posten hatten und klug redeten." Vielerorts standen „Altkommunisten zusammen mit So-zialdemokraten gegen die fremden Elemente zusammen."
In Sachsen etwa sollen 1947 30 Prozent der neuen Polizeibeamten wegen krimineller Vergehen vorbestraft gewesen sein Dieser auf solche Art und Weise neu aufgebaute Staatsapparat begann sich sehr bald gegen jeden zu richten, der Kritik äußerte, der andere Vorstellungen vom Aufbau des Sozialismus hatte.
IV. Die Gründung der SED
Im Mai 1945 war ein großer Teil der alten SPD-und KPD-Genossen an der Basis der Meinung, daß die verhängnisvolle Spaltung der Arbeiterbewegung in SPD und KPD vor 1933 Hitler zur Macht verhülfen hätte. Deshalb müsse eine neue einheitliche Partei der Arbeiterklasse aufgebaut werden
Auch eine Reihe von SPD-Funktionären und das neue Führungsgremium der Ost-SPD, der Zentralausschuß (ZA), waren — im Gegensatz zur West-SPD — dieser Meinung. Bereits in den letzten Kriegstagen schlug Max Fechner, Mitglied der ZA, den heimgekehrten ZK-Funktionären der KPD (Walter Ulbricht) Gespräche über die Bildung einer Einheitspartei vor.
Die KPD-Führung reagierte darauf jedoch zunächst gar nicht und später nur mit dem Angebot, eine Aktionsgemeinschaft zu bilden Die aus Moskau heimgekehrte KPD-Führung wollte zunächst die ideologische und organisatorische Geschlossenheit der eigenen Partei herstellen — und vor allem den eigenen Führungsanspruch durchsetzen.
Von den 16 ZK-Mitgliedern, die den am 11. Juni 1945 veröffentlichten Gründungsaufruf der KPD unterzeichneten, waren zwar 14 gerade aus der Sowjetunion zurückgekehrt Es ging jedoch darum, diese zunächst nur formelle Führung der „SU-Emigranten" auch faktisch in der Partei durchzusetzen. Und das war gar nicht so unproblematisch.
Die einfachen KPD-Mitglieder, die meist in den Antifa-Ausschüssen arbeiteten oder gearbeitet hatten, kritisierten heftig den Gründungsaufruf der KPD, weil in ihm nur „die Auf-richtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes" gefordert wurde, vom Aufbau des Sozialismus jedoch nicht die Rede war. In dem Gründungsaufruf forderte die KPD-Führung sogar die „völlig ungehinderte Entfaltung des freien Handels und der privaten Unternehmerinitiative auf der Grundlage des Privateigentums"
Weiterhin standen sich sowohl in der KPD-
Führung wie auch in der Mitgliedschaft — grob skizziert — zwei Strömungen gegenüber:
auf der einen Seite standen die Emigranten, die aus dem Moskauer Exil zurückkehrten und für eine bedingungslose Disziplin gegenüber der Stalinschen Führung und der Politik der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) eintraten. Auf der anderen Seite standen jene Genossen, die teils aus der West-
Emigration, teils aus Zuchthäusern, KZ-Lagern oder der Illegalität kamen und die weder Taktik und Programmatik noch den Führungsanspruch der Heimkehrer aus Moskau von vornherein anzuerkennen bereit waren Häufig gab es Zwistigkeiten zwischen den „Illegalen" und den „SU-Emigranten", u. a. über die Frage, ob die KPD in irgendeiner Weise die Politik der sowjetischen Besatzungsmacht kritisieren dürfe. So forderten die „Illegalen" etwa immer wieder eine öffentliche Verurteilung der Übergriffe und Vergewaltigungen durch die sowjetischen Soldaten. Und sie forderten die Aufhebung des Abtreibungsverbots für vergewaltigte Frauen. Die „SU-Emigranten", vor allem Ulbricht, duldeten jedoch keine Diskussion darüber, da dies eine Kritik an der Sowjetunion bedeutet hätte
Die „SU-Emigranten" setzten in doppelter Weise ihren Führungsanspruch in der Partei praktisch durch. Zum einen begannen sie eine intensive Schulungs-und Propaganda-Arbeit innerhalb der Partei. Zum anderen begannen sie eine massive Werbekampagne für neue Mitglieder. Durch diese Werbekampagne kamen viele Karrieremacher in die Partei, die zu allem, was von oben kam, „ja und Amen" sagten, so daß die „Sektierer" (Ulbricht) bald in der Minderheit waren
Ab Ende September 1945 nun begann die KPD ihrerseits auf eine rasche Vereinigung der beiden Arbeiterparteien zu drängen — und zwar aus verschiedenen Gründen:
— es zeichnete sich ab, daß ihr eigener Apparat zunehmend ideologisch und organisatorisch derart gefestigt war, daß er die Auseinandersetzung um die Vorrangstellung innerhalb einer vereinigten Partei erfolgreich aufnehmen konnte
— bei den ersten Wahlen nach Kriegsende in anderen Ländern schnitten die kommunistischen Parteien wider Erwarten sehr schlecht ab
— innerhalb der SPD wuchs (speziell auf der Ebene der Kreis-und Bezirksverbände) das Mißtrauen gegen die KPD. „Die Kommunisten wollen uns überall überfahren, überall werden unsere Genossen herausgeworfen, mit den Kommunisten gibt es keine Zusammenarbeit."
Auf der Grundlage der trotzdem nach wie vor vorhandenen Vereinigungsbereitschaft eines Teils der SPD-Mitglieder, vor allem der SPD-Betriebsgruppen gelang es der KPD jedoch noch, die Vereinigung zu vollziehen, ehe sich massiver Widerstand innerhalb der SPD organisieren konnte. Die Organisation eines derartigen Widerstandes wurde auch massiv von den Sowjets durch Verhaftungen etc. unterbunden. Am 21. /22. April 1946 fand der Gründungsparteitag der Sozialistischen Einheitspartei
Deutschlands (SED) statt. Auf ihm wurde u. a. beschlossen, die Parteivorstände auf allen Ebenen paritätisch, d. h. mit der gleichen Zahl von Sozialdemokraten und Kommunisten zu besetzen. „Tatsächlich aber setzten sich im neuen SED-Apparat sehr schnell die KPD-Ka-der durch. Die ehemaligen KPD-Mitglieder waren aktiver und schalteten ihre ehedem sozialdemokratischen Genossen aus."
Im Juli 1948 war die Macht von Ulbricht bereits derart gefestigt, daß er sich nicht nur verdeckt, sondern offen über die Beschlüsse des Gründungsparteitages hinwegsetzen konnte. Er forderte, die Parteivorstände auf allen Ebenen nicht mehr 1 : 1, sondern im Verhältnis 7 : 2, d. h. mit 7 Kommunisten und 2 Sozialdemokraten zu besetzen
Die 1. Parteikonferenz der SED im Januar 1949 trieb diesen Prozeß weiter voran. Der „demokratische Zentralismus" wurde zum Prinzip des Parteiaufbaus, Fraktionen und Gruppierungen in der SED wurden streng untersagt. Dem „Sozialdemokratismus" wurde nun offen der Kampf angesagt. Das Bekenntnis zu Stalin und zur „führenden Rolle" der Sowjetunion wurde für alle SED-Mitglieder verpflichtend. „Kontrollkommissionen" wachten über die „Reinheit" der Partei. Alte Sozialdemokraten wurden weiter aus ihren Funktionen verdrängt. Viele Verhaftungen schufen ein allgemeines Klima der Angst. Nach sowjetischem Vorbild wurden Kaderabteilungen eingeführt, die mit dem „Nomenklatursystem" für Funktionäre die innere Demokratie endgültig auch formal durch eine Besetzung der Funktionen von oben nach unten ersetzte
Die Basis hatte endgültig jeden Einfluß auf die Entscheidungen und die Entwicklung der Partei verloren. Der straffe Zentralismus nach sowjetischem Vorbild hatte sich durchgesetzt.
V. Die betriebliche Entwicklung 1945— 1953
Die Ausgangssituation der von mir im folgenden aufgezeigten Entwicklung der Herrschafts-und Machtverhältnisse in den Betrieben der SBZ/DDR 1945— 1953 ist selbst Produkt eines Lernprozesses. Auf dem Hintergrund der sozialdemokratischen und kommunistischen Tradition der überwiegenden Mehrheit der Arbeiter in den Industriezentren im Gebiet der SBZ vor 1933 und vor allem nach den Erfahrungen mit dem Faschismus, dem Zweiten Weltkrieg und der engen Verflechtung der Unternehmer mit den Machthabern im Dritten Reich war die Mehrheit der Arbeiter eindeutig antikapitalistisch einge-stellt und sah seine politische Alternative nur im Sozialismus. Was eigentlich Sozialismus konkret in ihrem täglichen Handeln, was er für andere gesellschaftliche Gruppen, was er konkret für die Organisation der Volkswirtschaft bedeuten sollte, war ihnen jedoch relativ unklar. Eindeutig war bei der überwiegenden Mehrheit der Arbeiter nur die Haltung, daß das Privateigentum an den Produktionsmitteln abgeschafft werden sollte
Der Neubeginn der Produktion Ab Mai 1945 setzten die Arbeiter in der damaligen Sowjetisch Besetzten Zone viele Betriebe selbst wieder in Gang Die Betriebe waren stark zerstört, das Führungspersonal meist geflohen. Mit viel Sorgfalt richteten die Arbeiter „ihre" Betriebe wieder her. Sie brachten „die Produktion mit den verbliebenen Maschinen, Rohstoffen und Materialien wieder in Gang. Sie bargen Produktionsanlagen aus den Trümmern und machten sie unter den größten Anstrengungen und Schwierigkeiten betriebsfähig." Sie begannen, „Gegenstände des dringendsten täglichen Bedarfs der Bevölkerung, Werkzeuge, Kleingeräte für die Landwirtschaft und ähnliches zu produzieren und Transportmittel sowie Verkehrswege wieder instand zu setzen“ Die Betriebe, die vorher Rüstungsgüter hergestellt hatten, wurden von ihnen auf Friedensproduktion umgestellt In vielen Fällen brachten die Arbeiter „Werkzeuge und Geräte aus ihrem persönlichen Eigentum von zu Hause mit; sie beschlossen, auch sonntags zu arbeiten, um die Trümmer zu beseitigen. Mitunter legten Arbeiter und Angestellte eigene Geldmittel zusammen, um das Anlaufen der Betriebe zu finanzieren" In den wenigen Fällen, wo die Unternehmer nicht geflüchtet waren, „nahm die Belegschaft, soweit sie sich in den ersten Maitagen zusammengefunden hatten, sofort gegen die früheren Inhaber Stellung und verjagte sie aus den Betrieben"
Um den Ablauf der Produktion zu koordinieren, Verbindungen zu anderen Betrieben und der Landwirtschaft aufzunehmen etc. wähl-ten sich die Arbeiter Betriebsräte Den Betriebsräten oblagen Aufgaben „wie Produktionskontrolle, Preis-und Lohngestaltung, Lenkung der Waren" Die Betriebsräte beteiligten die Arbeiter unmittelbar an der Leitung der Betriebe In Belegschaftsversammlungen wurden über abzuschließende Verträge beraten Den Umständen entsprechend arbeiteten die Betriebe auf der Grundlage der spontanen, von oben relativ unkontrollierten Initiative der Arbeiter und unter Leitung der von ihnen gewählten Betriebsräte — vor allem in den alten Zentren der Arbeiterbewegung — mit bemerkenswertem Erfolg. „Die volkseigenen und SAG (Sowjetische Aktiengesellschaft; A. B. B.) -Betriebe in Sachsen-Anhalt (...) hatten bereits am 1. September 1947 das Jahressoll im Durchschnitt gesehen mit 117% erfüllt"
Auf dem Hintergrund der eben kurz skizzierten Praxis in den Betrieben waren die Vorstellungen der Arbeiter von dem, was Sozialismus in der betrieblichen Sphäre heißen sollte, schon viel konkreter geworden — nämlich: ein hohes Maß an Selbstbestimmung über die Art und Weise der betrieblichen Organisation der Produktion, ansatzhafte Selbstbestimmung über die Produktion im gesellschaftlichen Maßstab und solidarische Verkehrsformen untereinander. Charakteristisch für den größten Teil der Arbeiter war damit zusammenhängend eine Ablehnung der innerbetrieblichen Hierarchie, eine egalitäre Einstellung bei den Lohnfragen und eine Ablehnung der Leistungsentlohnung. Auf dem Boden ihrer durch den Wiederaufbau der Betriebe erlangten starken Machtstellung, ihrer ansatz-haften Kontrolle über die materielle Struktur und in allerersten Ansätzen über die gesellschaftliche Struktur des Arbeitsprozesses, praktizierten die Arbeiter auch derartiges.
Insgesamt befanden sie sich auf dem Weg, aus ihrer Objektrolle, die sie in der kapitalistischen gesellschaftlichen Entwicklung einnahmen, herauszukommen. Sie befanden sich auf dem Weg, Subjekte der betrieblichen und ansatzhaft auch der gesellschaftlichen Entwicklung zu werden.
Die Veränderung der betrieblichen Verhältnisse Hier setzte jetzt ein „Lernprozeß" an der Spitze ein. Da die KPD/SED zunächst in den anderen gesellschaftlichen Bereichen ihren Herrschaftsanspruch durchsetzen mußte, ließ man die Arbeiter beim Wiederaufbau der Betriebe und bei der Wiederingangsetzung der Wirtschaft zunächst relativ selbstbestimmt gewähren. Die ersten Versuche von oben, die spontanen Initiativen der Arbeiter unter zentrale Kontrolle zu bekommen, waren halbherzig und nicht sehr erfolgreich, da man den Konflikt in den Betrieben noch scheute.
So hatte die SMAD (Sowjetische Militäradministration) in dem Befehl Nr. 180 vom 22. 12.
1945 zwar verfügt, die unter dem Faschismus praktizierte kapitalistische Leistungsentlohnung sollte beibehalten werden Aufgrund ihrer starken Stellung in den Betrieben 1945 bis 1947/48 setzen sich die Arbeiter jedoch in der betrieblichen Praxis schlichtweg darüber hinweg.
Um die spontanen Initiativen der Arbeiter unter Kontrolle zu bekommen, beschlossen die Zentralinstanzen, daß — in Vorwegnahme des sowjetischen Prinzips der „Einzelleitung" — die Betriebe von „Treuhändern" zu leiten seien, die die örtlichen Behörden einsetzen sollten. Die Stellung der Arbeiter in den Betrieben war jedoch so stark, daß die örtlichen Behörden weitgehend dulden mußten, daß die Treuhänder in den Betrieben gewählt wurden. Im hochindustrialisierten Sachsen — dem alten „roten Herz Deutschlands" — führte das dazu, daß 1946 47% der Treuhänder Arbeiter waren Die Treuhänder arbeiteten eng mit den Betriebsräten zusammen bzw. wurden von ihnen kontrolliert In dem Maße jedoch, in dem der Herrschaftsanspruch der an Moskau orientierten Teile der KPD bzw. SED innerhalb der Partei und in den anderen gesellschaftlichen Bereichen gefestigt war — sie sich also auf eine Auseinandersetzung in den Betrieben einlassen konnten — und vor allen Dingen in dem Maße, in dem die Arbeiter eine immer stärkere selbstbestimmte Stellung in den Betrieben erlangten und dezidiertere Vorstellungen entwickelten und praktizierten, was für ihren Bereich Sozialismus eigentlich konkret bedeutet — und zwar etwas anderes, als die aus der Sowjetunion importierten Vorstellungen — in dem Maße wurde es für die SED immer notwendiger, die Verhältnisse in den Betrieben grundsätzlich zu verändern, die Arbeiter wieder in eine Objektrolle zu drängen. Dies war notwendig zur eigenen Herrschaftsstabilisierung und zur Durchsetzung dessen, was die an Moskau orientierten Teile der SED unter Sozialismus verstanden Die umfangreichen administrativen Maßnahmen ab Ende 1947, die betrieblichen Verhältnisse grundlegend zu verändern, stellten — in ihrer Gesamtheit betrachtet — eine geschickte Strategie dar. Die Zentralinstanzen bzw. die eng an Moskau orientierten Teile der SED hatten gelernt, daß — anders als in der Sowjetunion — ein ausgeklügeltes sozialtechnisches Vorgehen zur Durchsetzung der eigenen Vorstellungen notwendig war.
Als erstes lösten sie die unmittelbaren Organe der Arbeiter, die Betriebsräte, auf und setzten an ihre Stelle Gewerkschaftsorgane. Gleichzeitig instrumentalisierten sie in zunehmendem Maße die Gewerkschaften für die Durchsetzung der zentralen Vorstellungen. Die Arbeiter sollten keine Organe mehr besitzen, mit denen sie ihre Interessen artikulieren und durchsetzen konnten. Um weiter die starke Stellung der Arbeiter in den Betrieben zu schwächen, stellten die Zentralinstanzen die alte kapitalistische Hierarchie im Betrieb wieder her — vor allem indem das sowjetische Prinzip der „Einzelleitung" eingeführt wurde und die wissenschaftlich-technische und ökonomische Intelligenz aus der Zeit des Faschismus zum großen Teil ihre alten Positionen im Betrieb zurückerhielt — und zusätzlich materiell erheblich privilegiert wurde. Und schließlich setzten die Zentralinstanzen mit der Intention, den solidarischen Zusammenhalt des größten Teils der Arbeiter aufzubrechen und die Konkurrenz unter ihnen zu fördern, den Leistungslohn gegen den Widerstand der Arbeiter in den Betrieben durch. Insgesamt war das ein miteinander verwobener, sich wechselseitig bedingender und vorantreibender Prozeß, der im folgenden näher analysiert werden soll.
Bis 1947 waren die Betriebsräte „fast ausschließlich die alleinigen Träger der Gewerk-Schaftsarbeit und keineswegs leicht von oben kontrollierbar bzw. für die Einführung des sowjetischen Planungsmodells funktionalisierbar.
Es gab 1946 kaum Funktionäre im Betrieb, die bereit waren, Parteibefehle entgegenzunehmen Nachdem von den Betriebsräten gegen die Einführung von Akkord, gegen die Differenzierung der Entlohnung, wie sie im Befehl Nr. 234 der SMAD Ende 1947 befohlen wurde, und gegen die Einführung des Prinzips der Einzelleitung, wie sie von der SMAD im Befehl Nr. 76 für die Betriebe verfügt wurde, erheblicher Widerstand ausging, mußte man sie auflösen, wenn diese Befehle in die betriebliche Praxis umgesetzt werden sollten.
Dabei ging man wie folgt vor: Zunächst mußten die Gewerkschaften im Betrieb, vor allem aber die gewerkschaftlichen Organe gestärkt werden. „In den meisten Betrieben (ist) von einer eigentlichen gewerkschaftlichen Tätigkeit nicht viel" zu bemerken (Obwohl in fast allen Betrieben mindestens 80 Prozent der Belegschaften gewerkschaftlich organisiert waren) Die „dringendste Aufgabe" sei die Zusammenfassung und Aktivierung der Gewerkschaftsmitglieder in der Betriebsgewerkschaftsgruppe sowie die sofortige Wahl von Betriebsgewerkschaftsleitungen
In der ersten Zeit wurden nämlich Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL) oft gar nicht aufgestellt Mit der Ausweitung der BGLs und der Intensivierung ihrer Tätigkeit wurden in den Betrieben Organe geschaffen, auf die die faktische Verfügungsund Kontrollgewalt der Betriebsräte formell übergehen und die man gleichzeitig „von oben" besser kontrollieren konnte.
Nach der Bitterfelder Gewerkschaftskonferenz vom 25. und 26. 11. 1948, zu der der Bundesvorstand des FDGB etwa 600 ausgewählte Funktionäre eingeladen hatte, wurden die Be-triebsräte aufgelöst oder mit den BGLs vereinigt
Parallel mit dieser Entwicklung mußten die Gewerkschaften zu einem „Transmissionsriemen" werden, über den die Vorstellungen auf zentraler Ebene in die betriebliche Praxis umgesetzt werden sollten. Ab 1945 wurde unabhängig von den spontanen Initiativen in den Betrieben zentral „von oben" ein neuer Gewerkschaftsapparat aufgebaut. Die Spitze des FDGB war von Anfang an von KPD-bzw. SED-Vertretern beherrscht Neben dem Abbau der Rechte der Betriebsräte fand eine immer weitergehende Zentralisierung der Gewerkschaftsarbeit statt. Die Einzelgewerkschaften wurden in die Kompetenz der FDGB-Spitze eingebunden. Gleichzeitig wurde — auch formal — der Führungsanspruch der Partei gegenüber der FDGB-Führung durchgesetzt. Etwa 1950 kann dieser Prozeß als abgeschlossen angesehen werden
Die Gewerkschaften waren zu „Trägern der Planerfüllung" geworden ohne daß die Arbeiter Einfluß auf die zentralen Zielsetzungen des Plans nehmen konnten und ohne daß sie ihre unmittelbaren Interessen noch artikulieren und durchsetzen konnten. Der Schwerpunkt der gewerkschaftlichen Arbeit im Betrieb lag vor allem in der „Durchsetzung des Leistungslohns" War dieser der Belegschaft aufgezwungen, war es „vor allen Dingen" die Aufgabe des BGL der Betriebsleitung bei der Verschärfung der Normen zu helfen Weiterhin stellten die Zentralinstanzen nach sowjetischem Vorbild sukzessiv eine innerbetriebliche Hierarchie her, die stark derjenigen in kapitalistischen Betrieben glich — mit einem Unterschied: die Arbeiter hatten mit den Gewerkschaften kein Organ mehr, um ihre unmittelbaren Interessen durchzusetzen, wenn es vor allem auf den unteren Ebenen auch noch eine Reihe von Funktionären gab, die sich der zentralen Funktionalisierung der Gewerkschaften widersetzte. Dies wurde von der SED als „Nur-Gewerkschaftertum" angeprangert und heftig bekämpft.
Die Zentralinstanzen setzten das Prinzip der Einzelleitung in den Betrieben durch und die wissenschaftlich-technische und ökonomische Intelligenz des Kapitalismus — genauer diejenigen, die schon während des Dritten Reiches entsprechende Positionen innehatten — erhielt ihre frühere Stellung im Betrieb zurück. Es wurden „zur Entwicklung der Organisation und Leitung der volkseigenen Industrie große Teile der alten Wirtschaftskräfte und technischen Intelligenz" herangezogen Oft waren das alte Nazis, die die Arbeiter erst kurz vorher aus den Betrieben verjagt hatten. Die Arbeiter sprachen in den Betrieben offen von der „Diktatur der Intelligenz"
Um die alten „bürgerlichen Spezialisten" in das neu zu schaffende System zu integrieren, billigte man ihnen erhebliche materielle Privilegien zu. So erhielt die wissenschaftlich-technische und ökonomische Intelligenz in der Zeit allgemeinen Mangels neben den sogenannten „Intelligenzpaketen" — Lebensmittelpakete, die neben den allgemeinen Lebensmittelkarten verteilt wurden — ein zusätzliches warmes Essen der ersten (besseren) Gruppe in den Betrieben, während die meisten Arbeiter und Angestellten ein Essen der zweiten (schlechteren) Gruppe in einer getrennten Kantine bekamen Sie erhielt zusätzliches Heizmaterial und zusätzlichen elektrischen Strom Sie erhielt Kredite zum Bau von Eigenheimen, und ihr wurden bevorzugt Wohnungen zugewiesen Sie erhielt 18 bis 24 Arbeitstage Urlaub im Jahr, während alle Arbeiter nur 12 Arbeitstage bekamen Ihr wurden verschiedene Erholungsheime und ein Sanatorium zur Verfügung gestellt Sie erhielt im Krankheitsfall 6 Monate lang ihr volles Gehalt weiter Sie erhielt eine Altersrente zwischen 60 und 80 Prozent ihres vorherigen Gehaltes Rentenbezüge aus anderen Versicherungen wurden dabei nicht berücksichtigt Diese Rente wurde auch gezahlt, wenn nach dem 65. Lebensjahr weitergearbeitet wur Prozent ihres vorherigen Gehaltes 74). Rentenbezüge aus anderen Versicherungen wurden dabei nicht berücksichtigt 75). Diese Rente wurde auch gezahlt, wenn nach dem 65. Lebensjahr weitergearbeitet wurde, d. h. also zusätzlich zum Gehalt 76). Die Rente war steuerfrei 77).
Neben all diesen Vergünstigungen erhielt die sogenannte „fortschrittliche Intelligenz" Gehälter und Prämien, die um ein vielfaches über dem Durchschnittseinkommen der Arbeiter lag. In Einzelverträgen 78) wurden Gehälter bis zu 4 000 M, in Einzelfällen bis zu 15 000 M pro Monat festgesetzt 79).
Bei Planerfüllung bzw. -Übererfüllung gab es quartalsmäßig Prämien bis zu 150 Prozent des jeweiligen Brutto-Monatsgehaltes 80). Am Jahresende wurden für die technische Intelligenz Treueprämien vergeben, und zwar 5 % des Jahresgehaltes nach Ablauf von 2 Jahren, 8 % des Jahresgehalts nach Ablauf von 5 Jahren ununterbrochener Beschäftigung Zusätzlich wurde die Besteuerung dieser Gehälter gesenkt und Prämien nur zu einem nochmal ermäßigten Satz versteuert Beispielhaft soll einmal das Jahresgehalt eines Direktors im Bergbau mit einem Monatsgehalt von 10 000 M nach 2jähriger Betriebsangehörigkeit und einer gleichmäßigen Planerfüllung von HO Prozent pro Quartal berechnet werden. Es beträgt 168 000 M. Das Höchstgehalt, das nach den damaligen gesetzlichen Regelungen erzielt werden kann, beträgt 284 400 M im Jahr
Demgegenüber mußte etwa ein Textilarbeiter 1948 wöchentlich im Durchschnitt mit 33, 80 M, 1951 mit 49, 10 M auskommen; ein Metallarbeiter erhielt 1948 durchschnittlich 48, 70 M pro Woche, 1951 71, 60 M
Parallel zur Auflösung der Betriebsräte, zur Instrumentalisierung der Gewerkschaften und zur Wiederherstellung der alten Herrschaftsverhältnisse in den Betrieben wurde von den Zentralinstanzen — als Voraussetzung für diese Entwicklung und diese gleichzeitig weiter vorantreibend — mit der Intention, den solidarischen Zusammenhalt der Arbeiter aufzubrechen, die Konkurrenz unter ihnen zu fördern, der Leistungslohn gegen ihren Widerstand wieder eingeführt.
Ein erster Schritt, die „Gleichmacherei" in den Betrieben aufzuheben, war die Differenzierung der markenfreien warmen Mahlzeiten in den Kantinen. Zunächst wurde zwischen den Betrieben differenziert. Die „führenden Industriezweige und das Transportwesen (erhielten) (...) ab 1. November 1947 eine tägliche warme Mahlzeit über die auf die Hauptkarten erhaltenen Rationen hinaus" Die entsolida-risierende Intention dieser Maßnahme ist offensichtlich, denn als Leistungsanreiz kann diese Aufhebung der „Gleichmacherei" wohl kaum interpretiert werden. Für den einzelnen Arbeiter war es relativ zufällig, ob er sich in dem politisch dekretierten Relevanzbereich befand oder nicht. Neid und Mißgunst innerhalb der gesamten Arbeiterschaft wurden durch diese Maßnahme gefördert, und die Bauarbeiter beschwerten sich auch sogleich, daß sie nicht zu dem bevorzugten Bereich zählten
Innerhalb der bevorzugten Betriebe wurde weiter differenziert: „Für hochqualifizierte Arbeiter der führenden Berufe, für Arbeiter in körperlich schwerer und gesundheitsschädlicher Arbeit sowie für Ingenieure und Techniker nach den Normen für warmes Essen der ersten (besseren; A. B. B.) Gruppe." In Voraus-schau des Widerstandes in den Betrieben gegen diese Regelung — wie er im folgenden noch aufgezeigt wird — wurde gleich verfügt: „Es ist verboten: (...) einen mittleren für sämtliche Betriebsangehörige gleichmäßigen Verpflegungssatz an Stelle der vorgesehenen zwei unterschiedlichen Formen festzulegen" Zusätzlich zu der Differenzierung der Mahlzeiten in bessere und schlechtere ist es in einer Reihe von Betrieben — vermutlich weil dort das Widerstandspotential der Arbeiter gering war — noch zu einer weiteren Differenzierung gekommen. Die Anordnung, daß die Betriebsleiter „berechtigt und verpflichtet (sind), Bummelanten sowie Mitarbeiter, die die Arbeitsdisziplin verletzen oder aus eigenem Verschulden (das ist meistens eine Interpretationssache; A. B. B.) die festgesetzten Produktionsnormen nicht erfüllen (...), von der zusätzlichen warmen Mahlzeit auszuschließen'190), ist anscheinend in einigen Betrieben dazu benutzt worden, einen Teil der Belegschaft überhaupt von der warmen Mahlzeit auszuschließen. So kam es zu der Erscheinung, daß sich die Belegschaft beim Gang in die Kantine nicht nur in zwei Gruppen — für das bessere bzw. das schlechtere Essen — teilte, sondern in drei Gruppen. Der dritte Teil der Belegschaft blieb überhaupt „vor der Tür, um hier die mitgebrachten Stullen zu verzehren" An solchen Beispielen wird die entsolidarisierende Intention der Differenzierung der Betriebsmahlzeiten besonders deutlich.
Ein zweiter Schritt, die „Gleichmacherei" in den Betrieben zu beenden, war die leistungsgebundene bzw. disziplingebundene Verteilung von Konsumgütern in den Betrieben. „Den besten Arbeitern, die eine hohe Arbeitsdisziplin und Arbeitsleistung aufweisen, wird in erster Linie die Möglichkeit zur Beschaffung von Kleidern, Schuhwerk und anderen Industriewaren gegeben.“
Die Differenzierung der Mahlzeiten und die Verteilung von Konsumgütern war noch ein sehr unvollkommenes Instrument zur Durchsetzung des Leistungslohnes, kann nur als erster Schritt verstanden werden, um unter den Bedingungen des allgemeinen Mangels die Konkurrenz und Spaltung der Arbeiter zu fördern.
Systematischeren Charakter in dieser Beziehung trug die fortwährend betriebene sukzessive Aufstockung der Anzahl der Lohngruppen und die Verstärkung der Differenzierung zwischen ihnen. Im größten Betrieb der SBZ/DDR, Leuna, gab es 1948 nur 3 Lohngruppen Die meisten Industriezweige besaßen noch 1950 nur 5 Lohngruppen, einer hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt keine Lohngruppendifferenzierung Und die Differenzierung zwischen den Lohngruppen war gering, d. h. zwischen den niedrigsten und der höchsten Lohngruppe bestand kein sehr großer Unterschied
über verschiedene Stufen — zeit-und branchenmäßig differenziert — wurde die Anzahl der Lohngruppen in fast allen Industriezweigen auf acht erhöht. Seinen Höhepunkt und vorläufigen Abschluß fand dieser Prozeß am 1. September 1950
Zwischen den verschiedenen Lohngruppen erweiterte sich — entsprechend der zentralen Intention — mit zunehmender Tendenz der Abstand Es sei darauf zu achten, „daß die Differenzierung zwischen den untersten und den obersten Lohngruppen erweitert wird" Ein Instrument dazu bildeten u. a. „Eingruppierungsrichtlinien", denen eine Wertzahltabelle zugrunde lag, die aus der nationalsozialistischen Wirtschaftsordnung übernommen wurde Dort bildete sie im Rahmen des Lohngruppenkatalogs Eisen und Metall zu Beginn der 40er Jahre die Grundlage der ersten Form der analytischen Arbeitsplatzbewertung
Weiterhin setzten die Zentralinstanzen mit Hilfe eines geschickt zusammengestellten Bündels von Maßnahmen die Akkordentlohnung gegen die Arbeiter durch. Wie erwähnt, hatten diese die von der SMAD im Dezember 1945 befohlene Beibehaltung der Akkordentlohnung aus der Zeit des Nationalsozialismus schlichtweg ignoriert.
Nachdem im Befehl Nr. 234 der SMAD 1947 allgemein befohlen wurde, „die Anwendung von Stück-und Akkordlohn (...) ist zu erweitern" wurde im einzelnen wie folgt vorgegangen: — Beim Übergang vom Zeit-zum Akkordlohn erhöhte sich der Grundlohn bei huntertpro-zentiger Vorgabeerfüllung grundsätzlich um „den im Tarifvertrag festgelegten prozen-tualen Zuschlag" i. a. um 15 Prozent gegenüber dem Tariflohn
— Der Stücklohn wurde (zunächst) progressiv ausgestaltet, d. h. bei Übererfüllung der vorgegebenen Norm stieg der Lohn überproportional Der progressive Stücklohn „wurde Ende 1948 massenweise auf der Grundlage erfahrungsstatistischer Arbeitsnormen eingeführt“
— Die Höhe des Akkordverdienstes wurde nicht begrenzt, d. h. eine hohe durchschnittliche Normenübererfüllung führte (zunächst) nicht zu einer Erhöhung der Norm. Normveränderungen sollten nur auf Basis veränderter Arbeitsbedingungen möglich sein
— Die Lohnsteuer für Akkordmehrverdienste wurde abgeschafft
— Die Arbeitsnormen als Grundlage der Leistungsentlohnung wurden nach den Normal-leistungen in den Betrieben festgelegt; als Normalleistung galt (zunächst) die bisher erreichte mittlere Leistung im Betrieb
— In Streitfällen bei Lohnfragen sollten Lohnausschüsse entscheiden, die „sich zusam-men(setzten) aus drei Belegschaftsangehörigen, sowie aus drei Vertretern, die der Betriebsleiter benennt"
— Für die gut arbeitenden Betriebe, d. h. solche, in denen die Einführung der Akkordentlohnung gute Fortschritte machte, war aufgrund des Befehls Nr. 234 eine zusätzliche warme Mahlzeit vorgesehen
Mit Hilfe dieser Maßnahmen, die teilweise sehr bald schon wieder rückgängig gemacht wurden, gelang es den — im folgenden noch aufzuzeigenden — Widerstand der Arbeiter gegen die Einführung der Akkordentlohnung zu brechen und diese in breiterem Umfang einzuführen. „ 1949 betrug der Anteil der Stücklöhner an der Gesamtzahl der Beschäftigten rund 40 % und hat sich bis Ende 1951 auf über 65 % erhöht."
Um den Stücklohn zu berechnen, muß eine „Normal'-Leistung als Bezugspunkt dienen.
Die Festlegung dieser Bezugsleistung ist nach Durchsetzung der Akkordentlohnung in den folgenden Jahren konzeptionell, vor allem aber in der Praxis in den Betrieben Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen.
Zentral für die von oben intendierten dauernden Verschärfungen der „Normal'-Leistung, der „Norm", war die ab Oktober 1948 initiierte Aktivistenbewegung, d. h. die von einzelnen oder von Gruppen nach sorgfältiger arbeitsorganisatorischer Vorbereitung an einem Tag erbrachten hohen Normenübererfüllungen.
Bei der Festlegung der Normen stellten die Aktivistenleistungen dann „den . konkreten'
Bezugspunkt dar, von dem ausgehend wir alle anderen Arbeitsleistungen messen können"
Durch erhebliche materielle Privilegierung in der Zeit allgemeinen Mangels und durch die Aussicht, in der (neuen) innerbetrieblichen Hierarchie aufzusteigen, gelang es den Zentralinstanzen, in den Betrieben einzelne Arbeiter zu finden, die sich als Normenbrecher hergaben. „Die materielle Interessiertheit war die Hauptmethode, um die Aktivistenbewegung zu einer Massenbewegung werden zu lassen."
„Durch Prämierung, durch Beförderung besonders fähiger Aktivisten zu Vorarbeitern und Meistern, durch Entsendung besonders entwicklungsfähiger Jungaktivisten auf technische Hochschulen, durch Bevorzugung der Aktivisten bei der Einweisung in Ferien-und Erholungsheime usw. gelang es der SED, in den Betrieben eine — für ihre Intentionen im Kampf um Lohn und Leistung notwendige — dünne Schicht von Aktivisten zu schaffen. Viele von ihnen wurden später „Arbeitsnormer" und liefen nur noch mit der Stoppuhr durch den Betrieb. Diese aufgestiegenen Aktivisten verfügten noch über jene Erfahrungen des Produktionsprozesses, die die Arbeiter benutzten, um bei der Arbeitsnormung ein Lei-stungsniveau durchzusetzen, das ihren eigenen Vorstellungen entsprach. Da die aufgestiegenen Aktivisten über dieses Wissen verfügten, waren sie in der Lage, zusammen mit den Technikern und „Nur-Zeitnehmern" ihren früheren Kollegen die Normen in stärkerem Maße heraufzusetzen als es die Techniker alleine geschafft hätten. (Bemerkenswert dabei ist die Parallele zu der Art und Weise, wie Taylor seine Karriere begann. Dieser stieg ebenfalls vom Arbeiter zum Vorgesetzten auf und benutzte seine Erfahrung des Arbeitsprozesses, um gegen seine früheren Kollegen die Vorgabezeiten zu verschärfen
Die Formen des Widerstandes der Arbeiter 117a)
Den zahlreichen, nachteiligen Veränderungen der Verhältnisse in den Betrieben der damaligen SBZ ab etwa Ende 1947 setzten die Arbeiter auf dem Hintergrund der Ansprüche an die politische, gesellschaftliche und vor allem betriebliche Realität, die sich in den Jahren des Neubeginns der Produktion schon sehr viel konkreter herausgebildet hatten, erheblichen Widerstand entgegen. Umgekehrt kann aus den Widerstandsformen der Arbeiter gegen die aufgezeigten betrieblichen Veränderungen auf ihre Ansprüche an die betriebliche und gesellschaftliche Entwicklung, auf ihre Ansprüche an das, was für sie Sozialismus eigentlich konkret bedeuten sollte, geschlossen werden.
Gleichzeitig wird bei den im folgenden aufgezeigten Widerstandsformen auch deutlich werden, daß die Instrumentalisierung der Gewerkschaften für die zentralen Ziele keineswegs so einfach und friktionslos verlief.
Mit der Auflösung der Betriebsräte 1948 — der unmittelbaren Organe, die sich die Arbeiter selbst geschaffen hatten — war der größte Teil der Arbeiter nicht einverstanden. Sie erhoben den Anspruch, die unter den Betriebsräten geübte basisdemokratische Praxis der innerbetrieblichen Entscheidungsfindung beizubehalten. Von den meisten Betriebsräten selbst wird berichtet, daß sie ihre Auflösung „nicht gleich verstanden und nicht begriffen, daß die Betriebsräte, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatten, einer qualitativ neuen Entwicklung Platz machen mußten" Dies führte aus verschiedenen Gründen jedoch im allgemeinen nur zu passiven Widerstandsformen und dumpfer Opposition.
Zum einen hoffte ein Teil der Arbeiter darauf, daß die Gewerkschaften die Funktion als ihr unmittelbares Vertretungsorgan übernehmen würde, zum anderen war 1948 der staatliche Unterdrückungsapparat bereits so stark ausgebaut, daß aktiver Widerstand gegen offizielle Direktiven sehr gefährlich war.
Passive Widerstandsformen scheinen aber weit verbreitet gewesen zu sein. So stimmten etwa bei den Wahlen der Betriebsgewerkschaftsleitung in den Leunawerken, die den Betriebsrat ablösen sollte, 25 Prozent der Belegschaft ungültig Teilweise weigerten sich Betriebsräte für die BGL zu kandidieren. Es gibt „sogar Genossen, die sich als Betriebsräte (...) gegen das Mitbestimmungsrecht der BGL wenden und es ablehnen, sich bei den BGL-Wahlen als Kandidaten aufstellen zu lassen" -Teilweise beherrschten die Betriebsräte wie selbstverständlich weiterhin die Lage
Der Widerstand reichte bis weit in die Gewerkschaften hinein, auf die die Rechte der Betriebsräte übergehen sollten. „Selbst unsere Genossen im Zentralvorstand der IG Eisenbahn (schwanken) in diesen Fragen." Es ist unbedingt notwendig, zu einer „Klärung nicht bloß unten, sondern auch in den Leitungen der Gewerkschaften" zu kommen
Die Tatsache, daß selbst führende Gewerkschafter gegen die Erweiterung ihrer organisatorischen Rechte im Betrieb waren, läßt sich nur dahingehend interpretieren, daß sie erkannt hatten, daß die Auflösung der Betriebsräte nur Bestandteil einer von oben forcierten Entwicklung, speziell der Einführung der Leistungsentlohnung, des Abbaues der Rechte der betrieblichen Organe der Arbeiter und der Funktionalisierung der Gewerkschaften allgemein war. Und dagegen wehrten sie sich. Gegen die parallel zur Auflösung der Betriebsräte verlaufende Wiederherstellung der alten (kapitalistischen) Hierarchie in den Betrieben regte sich auf dem Hintergrund des neu gewonnenen Selbstbewußtseins der Arbeiter beim Wiederaufbau der Betriebe ebenfalls erheblicher Widerstand. „Viele Arbeiter reagierten empört. . Wir sind hier doch nicht bei den Soldaten!'"
Teilweise gab es offenen Widerstand. Die Arbeiter ließen sich nicht so ohne weiteres die in der Aufbauphase nach 1945 gewonnene Selbstbestimmung bei der Kontrolle der materiellen Struktur des Arbeitsprozesses nehmen. „Es gibt Vertrauensleute, die den Parteifunktionären das Recht verweigern, (...) (an Produktionsbesprechungen) teilzunehmen und zu betrieblichen Angelegenheiten zu sprechen"
Die Arbeiter bezogen eine klare Frontstellung gegenüber der wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Intelligenz. Wie bereits erwähnt, sprach man in den Betrieben offen von der „Diktatur der Intelligenz"
Vor allem richtete sich der Unmut gegen deren materielle Privilegien in der Zeit allgemeinen ökonomischen Mangels. Immer wieder war die FDGB-Spitze gezwungen, die Tendenz der „Gleichmacherei" und des „Sektierertums"
gegenüber der Intelligenz anzugreifen denn es herrschte im allgemeinen „Unverständnis in der Bündnisfrage gegenüber (...)
der Intelligenz"
„Bei einem Teil der Arbeiterschaft herrschen noch rückständige und schädliche Ansichten über die technische Intelligenz, die Mißtrauen gegenüber der Intelligenz erwecken."
Der betriebliche Widerstand der Arbeiter fand Rückhalt bei Teilen der Gewerkschafts-und SED-Funktionäre. „Obwohl unsere Regierung der Förderung unserer technischen Intelligenz (...) größte Aufmerksamkeit zuwendet, legen einzelne Funktionäre (...) ein gleichgültiges Verhalten gegenüber unserer Intelligenz an den Tag. Obwohl durch die höchsten Organe unserer Partei (...) wiederholt und immer wieder mit Nachdruck darauf hingewiesen wurde, daß wir unserer technischen Intelligenz eine umfassende Fürsorge angedeihen lassen müssen, haben die für die Durchführung dieser Aufgaben verantwortlichen Genossen (...) die Durchführung der Beschlüsse unserer Partei verhindert und sogar gegen sie verstoßen."
Beim Abschluß der Betriebskollektivverträge zeigte eine Reihe von Gewerkschaftsfunktionären eine „schädliche Haltung der Gleichmacherei gegenüber der technischen Intelligenz“ „Es zeigten sich aber auch bei einer Reihe von Mitgliedern (der SED; A. B. B.) der Intelligenz gegenüber eine Gleichmacherei und sogar feindliche Anschauungen.“ Funktionäre der SED verzögerten auf den unteren Ebenen bürokratisch unter fadenscheinigen Vorwänden die Aufnahme von technischer Intelligenz und von Aktivisten in die SED
Ein derartiges Verhalten wurde „von oben" immer wieder angeprangert. „Wir können ein solches Sektierertum einfach nicht gebrauchen, wie es bei manchen Gewerkschaftsfunktionären oft heute noch darin zum Ausdruck kommt, daß sie nicht verstehen, warum wir (...) den Vertretern der technischen Intelli-genz ein höheres Einkommen gewähren und nicht dulden wollen, daß einigen von ihnen ihre nazistische Vergangenheit •vorgeworfen wurde" Das heißt also, der Widerstand richtete sich auch dagegen, daß Nationalsozialisten ihre frühere Stellung in der betrieblichen Hierarchie mit den entsprechenden materiellen Privilegien zurückerhielten.
In diesen Widerstandsformen bzw. dieser Bewußtseinshaltung der Arbeiter wird ihr Anspruch an eine neue betriebliche Realität ohne hierarchische Strukturen deutlich, wie sie sie ansatzhaft in den Jahren seit 1945 erfahren hatten.
Gegen die Einführung der Leistungsentlohnung gab es heftigen Widerstand in den Betrieben, wie er nicht zuletzt in der dargelegten Notwendigkeit, den Akkord mit einer geschickten sozialtechnischen Strategie durchzusetzen, deutlich wird. Auch dieser Widerstand wurde von vielen Gewerkschafts-und SED-Funktionären — meistens auf den unteren Ebenen — unterstützt.
Zunächst wehrten sich die Arbeiter gegen die „leistungsdifferenzierte''Verteilung der Betriebsmahlzeiten, des „Befehlsessens", wie die Arbeiter es nannten.
„Natürlich sind wir dabei auf starken Widerstand gestoßen, nicht nur bei den Arbeitern (...), auch bei Funktionären. Sie wollten nicht einsehen, warum diese Differenzierung notwendig war. . Hunger haben alle (...) hielten sie uns entgegen"
Und der berichtende Funktionär stöhnt: „Was wir da für Diskussionen in den Betrieben zu führen hatten!" „Im heutigen VEB-Mihoma — damals Kirchner und Co. — verlangten die etwa 400 Arbeiter und Angestellten (...): Alle bekommen Werkküchenessen oder keiner!"
Diese Haltung der Belegschaft kann als repräsentativ für die Situation in den meisten Betrieben der damaligen SBZ angesehen werden, die das „Befehlsessen" erhielten. „Solche falsch verstandene Kollegialität (...) trafen wir damals häufig an"
Diese „falsch verstandenen Kollegialität" führte dazu, daß sich viele Betriebe über die befohlene Differenzierung der Mahlzeiten einfach hinwegsetzten. . Anstatt A-und B-Portionen wird oder wurde bis vor kurzem in manchem volkseigenen Betrieb alles in einen Topf geworfen, damit auch , die anderen'ein Essen bekommen."
In den Betrieben, die die zusätzliche warme Mahlzeit nicht erhielten, muß das Widerstandspotential der Arbeiter noch größer gewesen sein. Es gab Ansätze, „die Werktätigen, die nicht in den Genuß einer zusätzlichen warmen Mahlzeit kommen konnten, zu Demonstrationen und zur Einstellung der Arbeit zu bewegen" Aus Protest gegen die Nichtteilnahme am Werkküchenessen ist eine Reihe von Arbeitern aus dem FDGB ausgetreten. „In Plauen hatte eine größere Anzahl von Metallarbeitern (...) die Mitgliedsbücher des FDGB auf den Tisch geworfen"
Bei der innerbetrieblichen Verteilung von Industriewaren wurde teilweise von den Arbeitern verlangt, diese Verteilung „nicht nach der Leistung, sondern nach der sozialen Bedürftigkeit vorzunehmen"
Neben diesen „naturalwirtschaftlichen Vorformen" des Widerstandes der Arbeiter gegen die Leistungsentlohnung wehrten sie sich in erheblichem Ausmaß gegen die Einführung von Akkord. Die Arbeiter standen „der Einführung (...) eines Leistungslohns ablehnend gegenüber" so daß er „in der damaligen Ostzone erst nach langwierigen Auseinandersetzungen (...) Fuß fassen" konnte
Als auf der Neptunwerft in Rostock in „einer großen Versammlung" die Einführung eines „leistungsabhängigen Lohnes" angekündigt wurde, „gab es vielstimmige Rufe: . Akkord ist Mord’." Es „entstand ein richtiger Tumult" In vielen Betrieben wurde gegen die Einführung von Akkord gestreikt. „An mehreren Stellen kam es zu Arbeitsverweigerungen."
Als den „verantwortlichen Gewerkschaftsfunktionären in Leipzig" die Einführung der Leistungsentlohnung erläutert werden sollte, gab es auch hier — auf der Funktionärsebene — heftigsten Widerstand. „Das waren turbulente Diskussionen! Ja, die Kollegen sind auf die Tische gesprungen, hauptamtliche Funktionäre sind ganz wild geworden (...). Sie beschimpften uns als Arbeiterverräter"
Wegen des Widerstandes der Arbeitnehmer gegen die Akkordentlohnung „ist seine Einführung sehr langsam vonstatten gegangen.“
Nachdem der Akkord formal eingeführt war, stieß er „jedoch in der Praxis immer noch auf ernste Schwierigkeiten" Man traute sich oft nicht, „mit der Stoppuhr an den Arbeiter heranzutreten"
Auf die Prämierung hervorragender Leistungen als Element der Einführung der Leistungsentlohnung reagierten viele betroffene Arbeiter mehr defensiv, peinlich berührt. Es gab Fälle, „wo z. B. qualifizierte, bewährte Arbeiter ihre Leistungsprämie ablehnen wollten, weil Vergünstigungen, mögen sie auch verdient sein, mit ihrer Auffassung von sozialer Gerechtigkeit unvereinbar seien" Die Arbeiter neigten „zur gleichmäßigen Aufteilung der zusätzlich erhaltenen Lohnsumme" Einzelne Prämienempfänger fühlten sich „nicht selten verpflichtet, . brüderlich'zu teilen“ Immer wieder wurde die egalitäre Einstellung der Arbeiter zu den Lohnfragen offiziell angeprangert. „Es gibt Proletarier (...), die aus falsch angewandter Klassensolidarität heraus im vermeintlichen Interesse der Schwächeren ihrer Klasse die Gleichmacherei fordern" Die zentrale Rolle der Aktivistenbewegung im Kampf um Lohn und Leistung, bei den dauernden Versuchen der Normenverschärfung, wurde bereits erläutert. Entsprechend heftig wehrten sich die Arbeiter gegen die Aktivisten. Die Auseinandersetzungen um die „Hennek-ke-Bewegung" „waren schwer und hart" Die Arbeiter sagten: „Wir lassen uns doch nicht gegeneinander hetzen" Sie beschimpften die Aktivisten als „Arbeiterverräter" Hennecke selber, der erste Aktivist der SBZ/DDR, schildert das so: „Ich wußte, worauf ich mich eingelassen hatte (...), ich wußte, die Arbeiter in der Ostzone würden toben gegen mich. Aber in meiner Sache war ich absolut sicher: Meine Kumpel in meinem Schacht, die würden zu mir halten. (...) Und als ich dann ausfuhr, war alles ganz anders. Ich existierte mit einemmal nicht mehr. Meine Kumpel sahen mich nicht. Ich war für sie Luft. (.'..) Es kamen Briefe, anonyme Briefe, mit Morddrohungen. Der Strick läge schon bereit"
Die Aktivistenbewegung wurde auch von vielen Gewerkschafts-und SED-Funktionären abgelehnt. Das „schlimmste" für Hennecke war, „daß auch fortschrittliche Menschen verwirrt waren. Funktionäre vom Nachbar-schacht riefen an und machten unseren Funktionären Vorwürfe, daß sie einen Normenbrecher wie mich herausstellten"
Die Arbeiter versuchten durch Streiks und offene tätliche Bedrohung von Funktionären gegen die Aktivistenbewegung vorzugehen. „Die Entwicklung der Aktivistenbewegung war in den drei Chemie-Werken kein glatter, konfliktloser Prozeß. (...) Es gab im Werk Fälle organisierter Arbeitsverweigerung und tätlicher Bedrohung von Funktionären“ Schikanen gegen Aktivisten waren an der Tagesordnung. „Dem einen wurde ein Sack Schamottemehl über die Maschine geschüttet, dem anderen Kleidungsstücke und einem dritten Werkzeug entwendet"
In diesen Widerstandsformen wird der Anspruch der Arbeiter, Lohn-und Leistungsniveau sowie Lohndifferenzierung selbst zu bestimmen, deutlich. Und es wird ihre Forderung auf solidarische Verkehrsformen im Betrieb, nicht-konkurrenzhafte Beziehungen untereinander sichtbar. Sie wollten sich nicht „gegeneinander hetzen" lassen und forderten als materielle Grundlage, damit kein Neid und keine Mißgunst untereinander entstehen könne, eine weitgehend egalitäre Entlohnung. Insgesamt gesehen konnten sich die Arbeiter jedoch mit ihren Widerstandsformen nicht durchsetzen Die Folge war ein Lernprozeß. War zunächst eine relativ starke Identifikation der Arbeiter mit „dem System" vorhanden — u. a. weil man sie zunächst in den Betrieben gewähren ließ —, so änderte sich diese Haltung in Zusammenhang mit den betrieblichen Veränderungen und dem Widerstand, den sie der von oben intendierten Entwicklung entgegensetzten. Die Zentralinstanzen wurden von den Arbeitern in zunehmendem Maße als ihnen fremd und feindlich gegenüberstehend begriffen.
Nach den Auseinandersetzungen um die Betriebskollektivverträge (BKV) 1951, deren Verabschiedung vor allem von den Gewerkschaftsorganen im Betrieb durchgesetzt werden sollte, wurde auch der Apparat des FDGB von den Arbeitern eindeutig zu „denen da oben" gezählt
Die BKV sind „ein Mittel zur Planerfüllung" In ihnen wird seit 1951 jährlich der Plan für den Betrieb aufgeschlüsselt und muß von der Belegschaft verabschiedet werden. In den ersten BKV von 1951 sollten auch „die Lohn-und Arbeitsbedingungen" für die jeweiligen Betriebe festgelegt werden und zwar sollten die aufgezeigten Veränderungen in den Entlohnungsmethoden und die zentralen Intentionen bei der Normenfestlegung von den einzelnen Belegschaften akzeptiert werden. Gleichzeitig wurde der BKV von den staatlichen Stellen als Instrument angesehen, die gesamtwirtschaftliche Lohnsumme zu senken
Gegen den Abschluß der ersten BKV 1951 gab es erheblichen Widerstand von Seiten der Arbeiter. Viele Belegschaften verweigerten trotz vorhergehender wochenlanger Diskussion in offener Abstimmung und trotz der Anwesenheit von SED-Funktionären dem BKV ihre Zustimmung Besonders heftig war der Widerstand in den alten Zentren der Arbeiterbewegung, so etwa bei Zeiß Jena oder den Leuna-Werken
Wie stark der Widerstand der Arbeiter gewesen sein muß, läßt sich auch daraus ersehen, daß bereits im nächsten Jahr fast alle die „Lohn-und Arbeitsbedingungen" betreffenden Regelungen gesetzlich zentral erlassen und nicht mehr der Regelung durch den BKV überlassen wurden. Und diese gesetzlichen Regelungen waren „materiell für die Arbeiter erheblich günstiger als die entsprechenden Vorschriften in den BKV des Jahres 1951"
Die Auseinandersetzung um die BKV verschärfte die Fronthaltung der Arbeiter gegenüber den Zentralinstanzen. Gleichzeitig er-wuchs aus der Art und Weise, wie die Auseinandersetzungen abliefen, und aus dem relativen Erfolg ihres Widerstandes den Arbeitern ein neues Gefühl der Stärke, das Voraussetzung für ihr Aufbegehren am 17. Juni 1953 war.
Zusammenfassend seien hier abschließend noch einmal die Ansprüche der Arbeiter an die betriebliche und in weiterem Sinne an die gesellschaftliche Realität, wie sie sich aus den Widerstandsformen gegen die aufgezeigte Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse ablesen lassen, festgehalten:
— Die Arbeiter strebten eine basisdemokratische Struktur der innerbetrieblichen Entscheidungsfindung an bzw. wollten die unter den Betriebsräten geübte Praxis weiter fortsetzen. — Sie lehnten die alten kapitalistischen (und auch die neuen) hierarchischen Verhältnisse innerhalb des Betriebes ab.
— Sie wollten u. a. über Lohn-und Leistungsniveau und Ausmaß der Lohndifferenzierung selbst bestimmen.
— Sie forderten als materielle Grundlage, damit kein Neid und keine Mißgunst untereinander entstehen konnten, eine weitgehend egalitäre Entlohnung.
— Sie strebten insgesamt betriebliche Verhältnisse an, die solidarische Verkehrsformen und nicht-konkurrenzhafte Beziehungen untereinander ermöglichten.
VI. Die unmittelbare Vorgeschichte des Aufstandes
Auf dem Hintergrund derartiger Ansprüche der Arbeiter an die betriebliche und gesellschaftliche Realität begann ab 1952 eine gesamtwirtschaftliche und politische Entwicklung, die diese grundsätzliche Unzufriedenheit der Arbeiter immer mehr verstärkte.
Die II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 beschloß den „Aufbau des Sozialismus' Bereits praktizierte Maßnahmen, ie die beschleunigte Entwicklung der Schwerindustrie, die dadurch bedingte Drosselung der Konsumgüterindustrie und der Aufbau einer Armee wurden ideologisch abgesichert und verstärkt vorangetrieben. Neue Maßnahmen in diesem Rahmen, wie die beschleunigte Kollektivierung der Landwirtschaft, die Verstaatlichung von Handel und mittleren Betrieben und ein verstärkter Kampf gegen die Kirche führten zu einer steigenden Fluchtbewegung der betroffenen Bevölkerungsgruppen.
Insgesamt führten all diese Maßnahmen ab Ende 1952 zu einer erheblichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation. Die allgemeine Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, aber auch mit Textilien und anderen Industriegütern war gefährdet”
Um diese schlechte Versorgungslage zu verbessern, ergriff die Regierung zuerst Maßnahmen, die den privaten Handel und die verbliebene Privatindustrie in erheblichem Maße weiter einschränkten”
Gleichzeitig wurden die Preise für die meist-konsumierten Produkte (Zucker, Wurstwaren etc.) stark angehoben und die Zahlungen verschiedener Sozialversicherungen (Krankenkassen, Alters-, Invalidenversicherung, Ferien usw.) eingeschränkt. Die 75 %ige Verbilligung der Tarife für Fahrten zum Arbeitsplatz wurde aufgehoben”
Auch durch diese Maßnahmen verstärkte sich die Fluchtbewegung, so daß sich die allgemeine wirtschaftliche Lage noch weiter verschlechterte. Zum ersten Mal seit 1947 herrschte eine wirkliche Ernährungskrise
Anwachsen der Zahl der Flüchtlinge
Januar bis Juni 1952: 72 226 Juli bis Dezember 1952: 110 167 Januar bis Mai 1953: 184 793 Die Flüchtlinge stammten vor allem aus den Kreisen der privaten Mittel-und Kleinindustrie, des Handwerks und der Bauern”
Während dieser Zeit versuchte die SED, neben den genannten Maßnahmen die ungünstige wirtschaftliche Entwicklung mit verstärkten „freiwilligen" Normenerhöhungen in den Griff zu bekommen.
War nach den Auseinandersetzungen um die BKV 1951 von Regierung und Partei ein „versöhnlerischer" Kurs in den Fragen von Lohn, Leistung und Arbeitsbedingungen eingeschlagen worden, u. a. um den FDGB in den Augen der Arbeiter zu rehabilitieren” so änderte sich das ab Januar 1953 grundlegend. Die Erhöhung der Normen stand wieder im Vordergrund Wie eine solche „freiwillige" Normenerhöhung durchgesetzt wurde, beschreibt ein Ostberliner Bauarbeiter: „Bereits am 1. Mai wurden die Normen für die Arbeiter meines Betriebes (VEB Ausbau) um 35 (!) Prozent erhöht. 14 Brigadiere — die doch eigentlich die Vertrauensleute ihrer Kollegen sein sollten — wurden zusammengerufen und sollten über die Normenerhöhung abstimmen. Außer mir wagte keiner zu widersprechen. Sie wußten, daß das Entlassung bedeuten würde, und es war nicht leicht, dann Arbeit zu finden. Drei Tage später wurde mir gekündigt, wegen . struktureller'Veränderungen"
Gegen diese „freiwilligen" Normenerhöhungen seit Anfang 1953 gab es in Ostberlin und der gesamten DDR immer wieder erheblichen Widerstand, bis hin zu Streiks Bei diesen Auseinandersetzungen ging es nicht nur um die reinen Normenerhöhungen, sondern verbunden damit äußerten die Arbeiter auch ihre weitergehenden Ansprüche an die betriebli-ehe Realität, indem sie'sich gegen die materielle Privilegierung der „Intelligenz" und der Parteikader im Betrieb wandten. „Wieviel Prämie hat der Funktionär Kahnt erhalten und was hat er produziert?" wurde öffentlich auf einer Betriebsversammlung am 16. April 1953 gefragt Und es kam — wie schon so oft — zu Tendenzen der „Gleichmacherei" Stärker als früher mußten sich die Arbeiter dabei mit dem Macht-und Unterdrückungsapparat des Staates auseinandersetzen, verstärkte sich damit die Fronthaltung gegen das System. „Am 13. Mai organisierten die , Facher', die Schlak-kensteinarbeiter, im Mansfelder Kupferbergbau einen Streik, weil ihnen wetterbedingte Feierschichten nicht mehr bezahlt werden sollten. Als die Werksleitung die Streikführer durch Polizei festnehmen ließ, erzwangen die Arbeiterdelegationen aus anderen Betriebsabteilungen deren Freilassung sowie die Erfüllung ihrer Lohnforderungen mit der Drohung einer allgemeinen Arbeitsniederlegung" Gerade kampfstarke Belegschaften setzten sich bei den permanenten Auseinandersetzungen um die Normenerhöhungen seit Anfang 1953 oft durch.
Um nun die sich — aus den genannten Gründen heraus — immer mehr verschlechternde wirtschaftliche Situation endlich zu verbessern, vermutlich vor allem aber, um den Widerstand solcher kampfstarken Belegschaften administrativ zu brechen, beschloß das ZK der SED am 15. 5. 1953 und daraufhin der Ministerrat am 28. 5. 1953 eine generelle Erhöhung der Normen um mindestens (!) 10 Prozent bis zum 30. Juni in den Betrieben Dieser Beschluß, der durch den Bericht der „Täglichen Rundschau" vom 17. 5. 1953 allgemein bekannt geworden war, verschärfte die Situation. Verstärkt kam es zu Unruhen und Streiks
In dieser Situation beschloß am 9. Juni 1953 das Politbüro der SED und daraufhin auch der Ministerrat am 11. Juni 1953190) den „Neuen Kurs d. h. umfangreiche Förderungsmaßnahmen für die Geschäftseigentümer, kleinen Industriellen, Bauern, Handwerker und die Intelligenz.
Als unmittelbare Reaktion darauf gab es im Gebiet der DDR „an die sechzig Streiks" „Den Kapitalisten macht ihr Geschenke, uns beutet ihr aus", riefen Betriebsdelegierte auf einer SED-Bauarbeiterkonferenz der Stalinalleebaustellen
Auch kam es auf den Baustellen der Stalinallee in Ostberlin schon zu Streiks Die Baustelle Friedrichshain „forderte", die Baustelle 40 „erbat“ jeweils in einer Resolution an die Regierung die Normensenkung. Der „Neue Kurs", so argumentierten die Bauarbeiter von Friedrichshain, „habe nur den Kapitalisten etwas gebracht, aber nicht den Arbeitern. Für Dienstag vormittag, den 16. Juni, wurde eine Delegation der Bauarbeiter angekündigt, die sich an Ort und Stelle den Bescheid des Ministerpräsidenten abholen wolle. Für den Fall einer negativen Antwort wurde Streik angedroht"
Die Bezirksleitung der SED riet dem völlig verunsicherten Otto Grotewohl: „ „Auf keinen Fall klein beigeben, wenn die Delegation erst über die roten Teppiche im Amtssitz Grotewohls geht, wird ihr so feierlich zumute, daß sie ganz zahm verhandeln wird.'Darin habe man ja reiche Erfahrung aus der Weimarer Zeit, damals, als es noch umgekehrt herum ging. Wie oft hätten bürgerliche, hätten sozialdemokratische Minister die aufgebrachten Arbeiter mit ein paar wohlwollenden Worten nach Hause geschickt, und die seien dann auch noch ihr ganzes Leben lang auf diese große Begegnung stolz gewesen ... Diese Wirkung der Obrigkeit hätte uns damals genug Kummer bereitet — aber heute käme sie uns zugute. Grotewohl solle also den Brief überhaupt nicht beantworten, die Delegation ruhig . anrücken'lassen und ihr dann überlegen — von der hohen Warte des Ministerpräsidenten her — erläutern, daß strenge Sparsamkeit nun einmal vonnöten sei .. .
VII. Der 16. Juni
Den Funken in das Pulverfaß wirft schließlich Otto Lehmann mit seinem Artikel in der Tribüne vom 16. 6. 1953196). In ihm verteidigt er die Beschlüsse der allgemeinen Normenerhöhung als „in vollem Umfang richtig", aufrechtzuerhalten und durchzuführen.
Dieser Artikel bringt die Bauarbeiter von Block 40 der Stalinallee (und nicht nur sie)
noch mehr auf. Sie beschließen, die beiden bereits am Vortage gewählten Delegierten nicht allein mit der Resolution loszuschicken, da sie sonst möglicherweise verhaftet würden
Ein beteiligter Bauarbeiter berichtet, wie dieser Beschluß nach vorhergehender Diskussion zustande kam: „Ein Kollege trat hervor: . Ich stelle euch vor die Wahl: wer von uns mitmacht, der tritt nach rechts raus, wer nicht mitmacht, der tritt nach links raus.'Der ganze Haufe ging nun nach rechts. Ich muß sagen, mir selbst standen die Tränen in den Augen.
Ich sah, daß hier nicht nur leere Worte gesprochen worden waren, sondern die Worte in die Tat umgesetzt wurden"
Einige Minuten später setzen sich die 300 Bauarbeiter von Block 40 in Bewegung. Sie führen ein schnell angefertigtes Transparent mit sich: „Wir fordern Herabsetzung der Normen" Der Demonstrationszug marschiert zunächst zu den anderen Baustellen der Stalinallee und deren Umgebung, um noch weitere Kollegen für die Demonstration zu gewinnen. Wieder am Ausgangspunkt angelangt, zählt die Demonstration etwa 2000 Teilnehmer. Es geht jetzt zum Haus des FDGB-Zentralvorstandes in der Wallstraße und — als man es verschlossen findet und niemand bereit ist, mit den Bauarbeitern zu verhandeln — zum Haus der Ministerien in der Leipziger Straße. Der Zug wächst ständig an; es sind überwiegend geschlossene Belegschaften, die sich an ihm beteiligen Vor dem Haus der Ministerien sind schließlich etwa 10000 Demonstranten versammelt.
Sie fordern „Nieder mit den Normen" und „Wir wollen Ulbricht und Grotewohl sehen" Aber die beiden trauen sich nicht, mit den zu verhandeln, Bauarbeitern oder sind nicht anwesend. Statt dessen versucht es Minister Selbmann. Ein Arbeiter kündigt ihn an:
„ , Nun sprang ich auf den Tisch und streckte meine Arme weit aus. Die Menge wurde ruhig, als sie sah, daß ein Arbeiter dort stand. , Es spricht jetzt Kollege Minister Selbmann, sagte ich. Natürlich war das mit dem . Kollegen’ ironisch gemeint, denn die Herren Bonzen reden uns immer mit . Kollege'an. Von den Arbeitern wurde es auch sofort richtig verstanden und viele lachten.
Auch Selbmann wird mit Pfiffen begrüßt. Als Ruhe einkehrt, beginnt er:
. Kollegen ...
. Wir sind nicht deine Kollegen!'
. Ich bin auch Arbeiter ...
. Das hast Du aber vergessen!'
Lautes Gelächter. Die Versammlung nimmt den Charakter einer Volksbelustigung an. Einer ruft: , Du bist kein Arbeiter, die bist ein Arbeiterverräter!'
Selbmann streckt seine Arme nach beiden Seiten aus: . Arbeiter, schaut meine Hände an!'
. Mensch, deine Hände sind aber ganz schön fett', tönt es. Wieder tolles Gelächter, Johlen und Pfeifen. (...) . Verschwinden! Abtreten! Ulbricht und Grotewohl her!'"
Lange Zeit finden sich keine Redner, aber langsam, unsicher und tastend entwickeln sich politische Forderungen und Vorschläge für das weitere Vorgehen.
Eine Stunde später gibt Selbmann in einem zweiten Redeversuch bekannt, daß der Ministerrat die administrative Normenerhöhung zurückgenommen habe. Ein Bauarbeiter schiebt ihn beiseite mit den Worten, es ginge gar nicht mehr um die Normenerhöhung. Die Regierung müsse aus ihren Fehlern die Konsequenzen ziehen und zurücktreten. Er erhielt lang anhaltenden Beifall.
Und wieder einige Zeit später springt ein junger Aufzugsmaschinist auf den Tisch. „Kollegen, warten eine halbe jetzt noch Stunde. Wenn dann Grotewohl Ulbricht oder nicht hier sind, um unsere Forderungen entgegen-zunehmen, dann marschieren wir durch die Arbeiterviertel Berlins und rufen alle Kollegen zum Generalstreik zu morgen auf." Auch er erhält lang anhaltenden Beifall. Die Arbeiter warten nicht mehr, sie ziehen los. Sie singen alte sozialistische Arbeiterlieder, und sie finden und rufen immer neue Parolen: „Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht des Volkes Wille"; „Freiheit"; „Nieder mit der Regierung"; „Wir brauchen keine Volksarmee"; „HO macht uns k. o."; „Wir wollen Freiheit, Recht und Brot, sonst schlagen wir die Bonzen tot".
Die Arbeiter bemächtigen sich eines Lautsprecherwagens, der die Überprüfung der Normen bekannt gibt, und verkünden damit immer wieder den Generalstreik. Alle Arbeiter, wiederholt der Sprecher permanent, sollen sich am nächsten Tag, dem 17. Juni, auf dem Straußberger Platz versammeln.
Gegen 17 Uhr kommen die Bauarbeiter wieder an der Stalinallee an. Der Lautsprecherwagen wird ordnungsgemäß zurückgegeben (I). Die Arbeiter gehen nach Hause.
VIII. Der 17. Juni
Durch die Berichterstattung des RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor), aber auch über DDR-interne Kanäle verbreitete sich die Nachricht von den Ostberliner Ereignissen am 16. Juni wie ein Lauffeuer im gesamten Gebiet der DDR — obwohl im RIAS das Wort „Generalstreik" auf Anweisung des amerikanischen Hauptquartiers in Mehlem bei Bonn in der Berichterstattung nicht verwendet werden durfte also über die Aufforderung der Ostberliner Bauarbeiter zum Generalstreik nichts bekannt wurde, obwohl einer Delegation der Bauarbeiter das Rederecht im RIAS verweigert wurde und obwohl der damalige CDU-Minister für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, am Abend des 16. Juni in einer Rede im RIAS zur Zurückhaltung aufforderte: Ich richte „an jeden Bewohner der Sowjetzone die Mahnung, sich weder durch Not noch durch Provokationen zu unbedachten Handlungen hinreißen zu lassen. Niemand soll sich selbst und seine Umgebung in Gefahr bringen. Die grundlegende Änderung eures Daseins kann und wird nur durch die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit erreicht werden. Gerade in diesem Augenblick, da die Politik um die Wiedervereinigung immerhin in Bewegung geraten ist (?), sollte sich niemand zu gefahrvollen Aktionen verleiten lassen (...)." Wir bitten Euch „im Vertrauen auf unsere Solidarität, Besonnenheit zu bewahren“
Obwohl all das eine erhebliche Unsicherheit bei den DDR-Arbeitern erzeugte: „Generalstreik ist für uns ein Stichwort. Wenn im RIAS doch wenigstens dieses Stichwort genannt worden wäre, dann hätten wir gewußt, was die Stunde geschlagen hat." „Es war mir ganz neu, zu erfahren, daß die Sache mit der Wiedervereinigung so aussichtsreich sei“ kam es am 17. Juni spontan fast völlig unabhängig voneinander in über 270 Ortschaften zu der Streikbewegung, an der sich 300 000— 400 000 Arbeiter beteiligten Meistens wußten auch die streikenden Betriebe in einer Stadt zunächst nichts voneinander, geschweige denn von den Ereignissen in den anderen Städten Es gab keine zentrale Koordination.
Die Schwerpunkte des Aufstandes Die Schwerpunkte des Aufstandes lagen eindeutig in den Industriezentren, in Berlin und seiner Umgebung, im mitteldeutschen Industriegebiet (mit den Städten Bitterfeld, Halle, Leipzig und Merseburg) und im Magdeburger Raum; in etwas geringerem Maße in den Gebieten Jena/Gera, Brandenburg und Görlitz
Die Arbeiter — unter reger Beteiligung der Jugend — haben im wesentlichen den Aufstand getragen. Unter den Bauern kam es nur sehr vereinzelt zu Unruhen; und die Mittel-schichten, Bürgertum und Intelligenz, haben sich fast völlig aus den Ereignissen herausgehalten
Innerhalb der Industrie beteiligten sich vor allem die Betriebe „des Bauwesens, des Bergbaus, der chemischen und eisenschaffenden Grundindustrien und des Maschinenbaus" besonders aktiv an dem Aufstand Die Belegschaften dieser Betriebe hatten sich in den vorhergehenden Jahren am heftigsten gegen die weiter oben aufgezeigte Veränderung der betrieblichen Verhältnisse gewehrt, verfügten also über die größte Kampferfahrung. Hier existierten — Produkt und Voraussetzung der früheren Auseinandersetzungen gleichzeitig — breite informelle Strukturen und ein relativ festgefügter solidarischer Rahmen innerhalb der Belegschaften, aus dem heraus die Aktionen des 17. Juni initiiert worden sind. Es bedurfte keineswegs einzelner „entschlossener Männer", die „ihre Kollegen zur Arbeitsniederlegung überredeten"
Auffällig ist, daß es sich hierbei um — gegenüber anderen Branchen — stark lohnprivilegierte Industriezweige handelte. Lohnbenachteiligte Branchen (etwa staatlicher Handel, Nahrungsund Textilindustrie) streikten in sehr viel geringerem Ausmaß Die Belegschaften dieser Branchen hatten sich auch in den früheren Jahren viel weniger gegen die betrieblichen Veränderungen gewehrt. Dies spricht dafür, daß entscheidend für das Zustandekommen der Streiks die Ansprüche an die betriebliche und gesellschaftliche Realität, wie sie weiter oben aufgezeigt worden sind, das Ausmaß des aufgestauten Unmuts gegen die langjährige vorhergehende betriebliche Entwicklung und die dabei gewonnene Kampferfahrung waren.
Auffallend ist schließlich, daß der Aufstand in traditionell kommunistischen Gebieten, wie etwa Halle/Merseburg genauso heftig gewesen ist wie in traditionell sozialdemokratisch orientierten Gebieten, wie etwa Magdeburg Dies spricht für eine neue Einheit der Arbeiterschaft selbst und ihre Fronthaltung gegenüber den neuen Machthabern, die andere Vorstellungen vom Aufbau des Sozialis-mus hatten als die Masse der Arbeiter. Für dieses neue Einheitsbewußtsein der Arbeiterschaft selbst und ihr enges Zusammengehörigkeitsgefühl an der Basis — nicht nur in den jeweiligen Betrieben, sondern überbetrieblich — spricht auch, daß in vielen Betrieben der DDR Streikauslöser das Ziel war, die Solidarität mit den Bauarbeitern in Ostberlin zu bekunden
Der Verlauf der Ereignisse Als die Arbeiter am Morgen des 17. Juni in die Betriebe kamen, diskutieren sie heftig — unter dem Eindruck der Ostberliner Ereignisse des Vortages — die Möglichkeiten eigener Aktionen. Der erste weitergehende Schritt, die erste Aufgabe, die die Arbeiter dabei zu lösen haben, ist das Zustandebringen einer Belegschaftsversammlung. Das geschieht auf zweierlei Weise: Entweder bedient man sich des offiziellen Mechanismus: „eine Gewerkschaftsversammlung wird erzwungen; wie ein übergeordnetes Organ telephoniert man mit der Betriebsleitung und fordert die Einberufung einer Belegschaftsversammlung"
Oder eine Abteilung verläßt ihre Arbeitsplätze, gibt den Anstoß, daß alle anderen Arbeiter im Betrieb es auch tun, und man versammelt sich im Hof, auf dem Vorplatz oder an einem anderen geeigneten Ort In traditionell kampfstarken Betrieben geht dann alles sehr schnell Die Arbeiter bilden einen Streikrat. Der Direktor wird für abgesetzt erklärt. In vielen Fabriken wird die Auflösung der Parteizelle gefordert. Der Streikrat, aber auch die Arbeiter selber wachen darüber, daß keine Sabotage betrieben wird, daß Maschinen und Anlagen nicht zerstört werden. Wenn es notwendig ist, wird ein Notdienst organisiert. Es wird beschlossen, zu demonstrieren
In den Streikräten sind fast ausschließlich Arbeiter, und zwar eher jüngere zwischen 25 und 40 Jahren vertreten. Es gibt noch einen geringen Prozentsatz nicht-privilegierter Angestellter. Dagegen wird niemand von der wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Intelligenz gewählt. Teilweise versagt sie ihre Mitwirkung; wenn dies aber nicht der Fall ist und sie sich an den Aktionen beteiligen will, wird sie „von den Arbeitern von vornherein als unerwünscht abgelehnt 1'221). Diese Haltung der Arbeiter dürfte vor allem Resultat ihres Unmuts über die Wiederherstellung der alten (neuen) betrieblichen Hierarchie in den vor-aufgegangenen Jahren sein.
In einer Reihe von Streikräten gibt es einen Anteil von ehemaligen Berufssoldaten (kaum Offiziere, meistens Mannschaftsdienstgrade), aber nirgends mehr als 8 bis 10 Prozent Sie werden vermutlich wegen ihrer organisatorischen Fähigkeiten gewählt. Diese Tatsache verdient insofern besondere Erwähnung, als die DDR darauf ihre Interpretation der Ereignisse stützt als ein Werk von „Militaristen und Faschisten", die nach 1945 in die Arbeiterklasse eingeströmt seien. Wie nachstehend gezeigt wird, bestimmten diese ehemaligen Berufssoldaten — gesetzt den Fall, sie hätten überhaupt das ihnen unterstellte Bewußtsein besessen — jedoch keineswegs den Charakter des Aufstandes.
In weniger kampferfahrenen Betrieben, in solchen, in denen die Ansprüche an eine betriebliche und gesellschaftliche Entwicklung, wie sie sich bis etwa 1948 abgezeichnet hat und dann von den Zentralinstanzen unterbunden wurde, nicht so stark ausgeprägt ist, vollzieht sich dieser Prozeß langsamer. Oft gelingt es hier den Funktionären des Regimes, die Versammlungen in die Länge zu ziehen, bis die Polizei eingreift, so daß sich diese Belegschaften manchmal nicht an Streik und Demonstration beteiligen. Erst als die Belegschaften anderer benachbarter Betriebe auf der Straße erscheinen, geschieht dies in einer Reihe von Fällen spontan doch noch.
Insgesamt kann festgestellt werden, daß die Streikbereitschaft der Arbeiter höher war, als sie sich in den 300000— 400000 Streikbeteiligten ausdrückt Entscheidend für die Nicht-beteiligung einer Reihe von Betrieben war, daß der Aufruf der Berliner Bauarbeiter zum Generalstreik nicht bekannt war, daß nur in geringem Ausmaß Informationen über das Verhalten anderer Belegschaften flossen und daß die Machtorgane des Staates bzw.der Sowjets in einigen Bereichen frühzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen.
Nachdem die Demonstration beschlossen ist, begeben sich die Belegschaften auf die Straße, marschieren von den Vororten, in denen meistens die Industriebetriebe liegen, in Richtung Stadtzentrum. Dies verläuft diszipliniert; die Arbeiter und die von ihnen gewählten Streik-räte bestimmen das Geschehen. Sichtbare Manifestationen des SED-Regimes, wie Bilder, Transparente und Parolen, werden entfernt. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß überall allein die Bilder von Karl Marx unangetastet bleiben Die Arbeiter singen alte sozialistische Kampflieder. Die geschlossen auftretenden Belegschaften, vor allem die der Großbetriebe, stellen eine Macht dar, der die örtlichen Instanzen von Staat und Partei nichts entgegensetzen können. Die Arbeiter besetzen die Stadtverwaltungen stürmen die Parteihäuser der SED und die Gerichte, vor allem aber stürmen sie die Gefängnisse, um die politischen Gefangenen zu befreien In Halle sollte der örtliche Rundfunksender besetzt und für die eigenen Zwecke benutzt werden; er war jedoch vor mehreren Wochen stillgelegt worden und nicht so schnell wieder in Gang zu bringen, so daß sich die Arbeiter nur des Stadtfunks bemächtigen können
Dies alles geschieht „meist ohne Gewaltanwendung und stets ohne Verwendung von Waffen" 228). Erbeutete Waffen werden regelmäßig — mit wenigen Ausnahmen im Raum Halle — vernichtet. Bei all diesen Aktionen wird mit einer bemerkenswerten Disziplin und einer gewissen Planung vorgegangen, die auf die betrieblichen Streikräte zurückzuführen sind. „Plünderungen und Ausschreitungen sind in diesem ersten Stadium fast nirgendwo vorgekommen, Versuche dieser Art von den Arbeitern verhindert worden."
Dieser kurz geschilderte Ablauf der Ereignisse ist charakteristisch für den Vormittag des 17. Juni. In kleineren Städten vollziehen sie sich nicht in der gleichen Heftigkeit wie in den noch aus der Zeit der Weimarer Republik als traditionell „rot" bekannten Gebieten. Im alten „roten Herzen Deutschlands", im Gebiet Bitterfeld, Halle, Merseburg, bilden die Arbeiter zentrale Streikführungen, die ihr Augenmerk auf die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, die Weiterarbeit von Elektrizi-täts-und Gaswerken usw. richten Gegen Mittag, in einem zweiten Stadium, entgleitet in zunehmendem Maße den betrieblichen Streikräten die Führung. Frauen, Jugendliche und einzelne Mitglieder anderer Bevölkerungsgruppen beginnen sich an den Aktionen zu beteiligen. Die Demonstranten-massen werden heterogener. Es kommt zu Plünderungen, Brandstiftungen und Lynchjustiz.
Zwar hatten die Arbeiter auch schon am Vormittag Staats-und Parteifunktionäre angegriffen und verprügelt. Aber sie unterschieden sorgfältig — wie auch schon in den Auseinandersetzungen der früheren Jahre — zwischen Funktion und Person. Auch höhere Funktionsträger und überzeugte Anhänger des Regimes wurden nicht behelligt, wenn sie als subjektiv integer bekannt waren. Am Nachmittag — u. a. weil alles mittlerweile sehr viel anonymer abläuft — genügt ein Abzeichen am Rockaufschlag, um verprügelt oder gelyncht zu werden
Trotz des — allerdings sehr vorsichtigen — Eingreifens der sowjetischen Truppen etwa von diesem Zeitpunkt an, kommt es am Nachmittag in fast allen größeren Städten der DDR zu Großkundgebungen, an denen sich jeweils Zehntausende von Menschen beteiligen. Nach Baring findet die Bewegung damit ihren Höhepunkt, gleichzeitig aber auch ihren Abschluß. Dies trifft für die vielen Neugierigen und Beteiligten aus den anderen gesellschaftlichen Gruppen zu. Sie entwickelten keine weitergehenden Perspektiven. Nicht so die Arbeiter, vor allem nicht die aus den traditionell kampfstarken Bereichen. Diese Belegschaften begeben sich in die Betriebe zurück, um sie zu besetzen und von hier aus den Kampf fortzusetzen. Dies wird jedoch durch die Anwesenheit der sowjetischen Truppen in den Betrieben und durch umfangreiche Verhaftungen verhindert
Besonders bemerkenswert für den Verlauf des Aufstandes ist die Tatsache, daß sich die Aggressionen der Aufständischen nicht gegen die sowjetische Besatzungsmacht richten
Das ist um so erstaunlicher, als man dies nach den Ausschreitungen und Vergewaltigungen der Roten Armee in der ersten Zeit nach 1945 und nach den umfangreichen Demontagen
bis hin zum Abbau des zweiten Schienenstranges der meisten Eisenbahnlinien hätte erwarten können. Statt dessen ist ein neutrales bis freundschaftliches Verhalten den Sowjets gegenüber festzustellen. Die Arbeiter ziehen schweigend an den Institutionen der sowjetischen Militärmacht vorbei oder rufen sogar vereinzelt „Druba — Freundschaft“ Unter großem Beifall fordern Redner, die Sowjetunion nicht zu provozieren Oder die Arbeiter erwarten teilweise sogar eine Unterstützung ihres Protestes von der Sowjetunion.
Das Zentrale Streikkomitee in Bitterfeld bittet in einem Telegramm an den „Hohen Sowjetischen Kommissar Semjonow", keine Maßnahmen gegen die Arbeiter zu unternehmen, „damit wir Deutschen wirklich den Glauben in uns behalten können, daß Sie tatsächlich der Vertreter einer werktätigen Regierung" sind
Dieses — zumindest in der ersten Phase des Aufstandes — nicht antisowjetische Verhalten der Arbeiter dürfte einer der zentralen Gründe für das verhältnismäßig späte Eingreifen der Sowjets — oft mehrere Stunden nach der offiziellen Verkündung des Ausnahmezustandes — in das Geschehen sein. Zwar wurden schon am frühen Morgen des 17. Juni „in den Bahnhöfen und Postämtern aller größeren Städte und an den für die Sowjets besonders wichtigen Objekten (wie den Werften und Ostseehäfen und im Urangebiet) Truppen stationiert“ Und die Sowjets bemühten sich, durch eine Kontrolle über das Nachrichten-und Verkehrswesen eine Ausbreitung und Koordinierung der einzelnen lokalen Streiks zu verhindern. Aber der Einsatzbefehl für die sowjetischen Truppen kam — unterschiedlich in den verschiedenen Gebieten der DDR und Ost-Berlins — erst mittags bis nachmittags. Die Truppen gingen im großen und ganzen sehr behutsam vor und bemühten sich, Blutvergießen zu vermeiden. Sie waren offensichtlich auch durch den proletarischen Charakter des Aufstandes verwirrt. Die Panzer fuhren, „soweit sie überhaupt gegen die Demonstranten eingesetzt wurden, überall nur langsam in die Menge hinein, so daß sich die Demonstranten in Sicherheit bringen konnten. Soweit geschossen wurde, zielten die Soldaten in fast allen (...) Fällen in die Luft, und so erklärt sich die im Vergleich zum Umfang der Streiks ganz geringe Zahl von 21 Todesopfern" -
Die Forderungen und gesellschaftspolitischen Ziele der Aufständischen Im Vordergrund stehen zu Beginn des Auf-standes — und dies ist ja auch sein Auslöser — eindeutig Forderungen, die auf wirtschaftliche Nahziele gerichtet sind. Allerdings entwickelten sich daraus sehr schnell grundsätzliche politische und gesellschaftliche Forderungen. Die Rückgängigmachung der Normenerhöhung bzw. eine grundsätzliche Normensenkung und die Senkung der Lebenshaltungskosten allgemein sowie die Senkung der Preise in den Läden der staatlichen Handelsorganisation („HO macht uns k. o.") wird überall als erste und dringlichste Forderung aufgestellt Diese Forderungen richten sich gleichzeitig gegen die materielle Privilegierung der „neuen Herren" im Betrieb, in Staat und Wirtschaft. „Euer Bauch ist dick genug", halten die Arbeiter den Funktionären entgegen Besonders erbost sind sie über die materielle Privilegierung der wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Intelligenz im Betrieb
Hier bricht der Unmut der Arbeiter gegen die Wiederherstellung der alten (neuen) innerbetrieblichen Hierarchie, gegen die sie sich in den früheren Jahren heftig gewehrt hatten, erneut auf. Die „gleichmacherische" Einstellung der Arbeiter gegenüber der betrieblichen Intelligenz richtet sich gegen die materielle Grundlage — die ökonomische Privilegierung —, die die Wiederherstellung dieser Verhältnisse erst ermöglicht, gleichzeitig aber auch weiter vorangetrieben hatte. Ihre Front-haltung gegenüber der wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Intelligenz im Be-trieb wird weiterhin an der Tatsache deutlich, daß nirgendwo Vertreter dieser Schicht in die betrieblichen Streikräte gewählt worden sind — auch wenn sie sich an den Aktionen beteiligen wollten
Die Arbeiter fordern nicht nur die Senkung der Normen, sondern teilweise grundsätzlich die Abschaffung der Normen also des Akkordsystems überhaupt. „Wir wollen keine Normen mehr — wir wollen einen Stundenlohn haben, womit wir unsere Familien ernähren können." Damit knüpfen sie an ihren Abwehrkampf in den vorhergehenden Jahren gegen die Wiedereinführung von Akkord und die immer stärkeren Lohndifferenzierungen an. Daß sich der Kampf der Arbeiter am 17. Juni auch dagegen richtet, wird u. a. auch in folgendem deutlich: Als Reaktion auf die Ereignisse sehen sich die Zentralinstanzen gezwungen, die Lohndifferenzierungen (vorläufig) in erheblichem Ausmaß zurückzunehmen — und dies wird auch offen mit dem Stand des politischen Kräfteverhältnisses begründet Aus der Tatsache, daß sich die Arbeiter kurzfristig während der Ereignisse außerhalb der offiziellen Gremien wieder eigene Organe, die Streikräte, schaffen; aus ihrer Fronthaltung gegen die neuen Herren im Betrieb; aus ihren Forderungen, die Normen überhaupt wieder abzuschaffen, und aus der von den Zentralinstanzen als Reaktion auf die Ereignisse vorläufig vorgenommenen Rückgängigmachung der Lohndifferenzierungen kann man schließen, daß den Arbeitern als gesellschaftspolitisches Ziel ihres Aufstandes für den Betrieb vorschwebte, etwa eine innerbetriebliche Situation wiederherzustellen, wie sie charakteristisch bis ungefähr 1948 war und wie ich sie im einzelnen weiter oben näher dargestellt habe.
Bestätigt wird diese Interpretation durch eine wichtige weitere Tatsache: Nirgendwo während des Aufstandes stellen die Arbeiter die Forderung nach einer Rückgabe der Produktionsmittel an die Unternehmer.
Daneben fordern die Arbeiter mehr Einfluß auf die Prioritätensetzung im gesamtwirtschaftlichen Plan. Nicht nur auf den Verteilungsmodus des Vorhandenen wollen sie mehr Einfluß nehmen, sondern auch auf das, was produziert wird. Ihre Forderung nach einer besseren Lebenshaltung ist nur durch eine Verschiebung der Schwerpunkte des laufen-den Jahres-und Fünfjahres-Planes von der Schwerindustrie zugunsten der Leicht-und Konsumgüterindustrie zu verwirklichen. Als Reaktion auf den Aufstand setzen die Zentral-instanzen dies auch in die Tat um Ist dieser volkswirtschaftliche Zusammenhang auch der Masse der Aufständischen vermutlich nicht so explizit klar, so ist diese Forderung aber implizit aus der Forderung nach einem höheren Lebensstandard abzuleiten.
Klarer ist dieser volkswirtschaftliche Zusammenhang den Arbeitern bei der Setzung eines gesamtwirtschaftlichen Schwerpunktes auf den Aufbau einer Armee, der erhebliche Ressourcen — besonders in dieser Zeit allgemeinen Mangels — beansprucht. Als einer der Gründe für die Forderung der Aufständischen nach der Auflösung der Armee wird explizit genannt, daß „ihr Aufbau auf Kosten der Arbeiter stattfindet" Deutlich wird hier der Anspruch der Arbeiter an eine wirklich demokratische Planung artikuliert. „Wir wollen keine Volksarmee, wir wollen Butter" rufen die demonstrierenden Arbeiter.
Die fast überall geäußerte Forderung nach der Auflösung der Armee hat jedoch noch andere Gründe. Zu gegenwärtig ist noch der Eindruck des Zweiten Weltkrieges, der zudem bis Anfang der 50er Jahre durch eine antimilitaristische Propaganda in den Massenmedien, aber auch in den Schulen weiter lebendig gehalten worden ist Die Masse der Arbeiter ist grundsätzlich pazifistisch, antimilitaristisch eingestellt und fordert auf diesem Hintergrund die Auflösung der Armee. Dies wird insbesondere im Verlauf des Aufstandes selber deutlich. Erbeutete Waffen werden regelmäßig vernichtet und nicht für die eigenen Zwecke benutzt
Die Aggressionen gegen den Aufbau einer Armee beschränken sich jedoch nicht nur auf die DDR, sondern richten sich auch gegen die Bundesrepublik Deutschland. So wird etwa eine offizielle Parole zum 1. Mai 1953 übernommen und im Demonstrationszug mitgeführt: „Nie wieder SS-Europa — Nieder mit den Kriegsvorbereitungen in Westdeutschland."
Vor allem aber protestieren die Arbeiter gegen die allgemeine politische Entrechtung und das Klima der gesellschaftlichen Unterdrückung und Bespitzelung. Sie fordern Freiheit für alle politischen Gefangenen und befreien sie während der Unruhen auch selbst aus den Gefängnissen.
Sie fordern überall den Rücktritt der Regierung und wenden sich insbesondere gegen Ulbricht und Grotewohl. „Nieder mit Grunze-
wohl und der sibirischen Ziege!" Der zentrale Streikrat in Bitterfeld fordert für die Übergangszeit, bis freie Wahlen abgehalten werden sollen, die „Bildung einer provisorischen Regierung aus fortschrittlichen Werktätigen"
Die Arbeiter fordern überall freie und geheime Wahlen, teilweise nur für die DDR und Ost-Berlin, teilweise als gesamtdeutsche Wahlen
Und die Arbeiter fordern die Wiederherstellung der deutschen Einheit Allerdings haben sie — wie u. a. Willy Brandt betont — dabei „unzweideutige Vorbehalte" gegen die westliche Politik in der Bundesrepublik Deutschland, und es geht ihnen keineswegs um den einfachen „Anschluß" der DDR an die Bundesrepublik Deutschland Eine Wiedervereinigung ist für sie nur auf dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland vorstellbar. Dafür sprechen zum einen die Parolen, wie etwa: „Räumt Euren Mist in Bonn jetzt aus, in Pankow säubern wir das Haus!" — „Fort mit Ulbricht und mit Adenauer, wir verhandeln nur mit Ollenhauer." An der Brücke über die Autobahn Magdeburg-Helmstedt bei Barleben hängt ein großes Plakat. Es zeigt Ulbricht und Adenauer am Galgen und trägt die Unterschrift: „Einheit macht stark!"
Für diese Haltung der DDR-Arbeiter spricht zum zweiten, daß immer wieder nach dem 17. Juni geflüchtete Arbeiter fragten, warum ihre westdeutschen Kollegen nicht gestreikt hätten Die Belegschaft des Kupferwalzwerkes in Ilsenburg wollte sogar über die Zonengrenze nach Bad Harzburg ziehen
Zentral für das Verständnis der Ziele der aufständischen Arbeiter sind m. E. noch die Ergebnisse einer 1956 im Auftrag des Bundesministeriums für Gesamtdeutsche Fragen vorgenommenen empirischen Untersuchung über das Bewußtsein von Industriearbeitern in der DDR Befragt wurden Flüchtlinge (Arbeiter), die repräsentativ ausgewählt wurden, „entsprechend der Aufteilung der Arbeiterschaft in den wichtigsten Industriegruppen der SBZ, nach deren regionaler Aufgliederung, nach ihrem Alter und Geschlecht"
Aus den Ergebnissen der Befragung wird deutlich, daß etwa zwei Drittel der befragten geflohenen Arbeiter eine sozialistische bzw. kommunistische Einstellung besaßen. Diese Einschätzung bestätigt sich auch in der Tatsache, daß bei einer Wiedervereinigung nur gut ein Drittel der Befragten für eine Reprivatisierung der Betriebe stimmen würden
Bedenkt man bei der Beurteilung der Befragungsergebnisse, daß jeder der 1956 befragten Arbeiter erst wenige Tage vorher aus der DDR geflohen war und sich „nun einer Befragung gegenübersieht, von der er sich trotz aller gegenteiligen Versicherungen einen Einfluß auf den Gang seines Notaufnahmeverfahrens verspricht" so dürfte sich m. E. dieser Umstand in erheblichem Maße restriktiv in bezug auf das Äußern sozialistischer oder kommunistischer Einstellungen ausgewirkt haben.
Bedenkt man weiter, daß es sich bei den befragten Arbeitern um solche handelt, die bewußt in ein Land mit kapitalistischer Wirtschaftsordnung geflohen sind, der Anteil der Arbeiter mit einer sozialistischen oder kommunistischen Einstellung darunter also mit ziemlicher Sicherheit niedriger ist als der entsprechende Anteil der Industriearbeiter in der DDR —, so kann aus den Ergebnissen der Befragung geschlossen werden, daß der größte Teil der DDR-Arbeiter 1956 sozialistische oder kommunistische Überzeugungen besessen hat.
Da es zwischen 1953 und 1956 vermutlich nicht zu einem grundlegenden Wandel im Bewußtsein der Industriearbeiter der DDR gekommen ist bzw. eher Indikatoren existieren — wie etwa die Ereignisse des 17. Juni selbst —, die auf eine Abkehr von derartigen Einstellungen hinweisen — so kann man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, daß für die Industriearbeiter, die ja wesentlich den Aufstand getragen haben, zu diesem Zeitpunkt sozialistische oder kommunistische Einstellungen charakteristisch waren.
Diese Einschätzung bestätigt sich nicht zuletzt in der schon erwähnten Tatsache, daß während des Aufstandes bei der allgemein einsetzenden Säuberung der Fabriken und Straßen von Parolen, Bildern, Transparenten etc. überall allein die Bilder von Karl Marx unangetastet blieben
Im Hintergrund dürfte m. E. bei den aufständischen Arbeitern der Anspruch an eine Art „wahren Sozialismus" gestanden haben, den sie gegen die damals herrschenden Zustände in der DDR wendeten.
Nur bei den vereinzelten Unruhen auf dem Lande standen „konservative oder kirchliche Widerstandsmotive stärker im Vordergrund" wurde teilweise die Abschaffung der Planwirtschaft gefordert Aber die Unruhen unter den Bauern waren im Rahmen der Gesamtereignisse eher eine Randerscheinung, bestimmten — allein schon vom quantitativen Umfang her — keineswegs den Charakter des Aufstandes
Zusammenfassend ist also festzuhalten: den aufständischen Arbeitern, die eindeutig den politischen und gesellschaftlichen Charakter des Aufstandes bestimmten, ging es am 17. Juni 1953:
— um die Wiederherstellung von basisdemokratischen Verhältnissen innerhalb der Betriebe, wie sie bis etwa Anfang 1948 charakteristisch für die SBZ waren, — um mehr Einfluß auf die Prioritätensetzung im gesamtwirtschaftlichen Plan, um eine wirklich demokratische Planung, — um die Auflösung der Armee, letztlich um den Verzicht auf ein wiederbewaffnetes Deutschland, — um den Rücktritt der Regierung, freie, geheime Wahlen und freie politische Betätigungsmöglichkeiten in allen gesellschaftlichen Bereichen, — um die Einheit Deutschlands, allerdings auf Grundlage veränderter politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse in beiden Teilen Deutschlands.
Bei einer Wiedervereinigung nach den Vorstellungen der aufständischen Arbeiter wäre also ein Deutschland mit einer politischen und gesellschaftlichen Ordnung entstanden, die sich in erheblichem Ausmaß von der heutigen'(und damaligen) Gesellschaftsordnung sowohl in der DDR wie in der Bundesrepublik Deutschland unterschieden hätte.
IX. Nach dem 17. Juni
Durch das Eingreifen der Roten Armee verebbte der Aufstand sehr schnell. Tausende von Aufständischen wurden verhaftet oder mußten fliehen. Drei wurden standrechtlich erschossen Es dauerte eine ganze Zeit, bis die Ruhe in den Betrieben wiederhergestellt war. Teilweise dauerten die Streiks an, teilweise flackerten sie neu auf, um die Freilassung verhafteter Arbeitskollegen zu erzwingen
Die meisten Mitglieder des ZK der SED hatten den Mut, sich der direkten Auseinandersetzung mit Belegschaften ausgewählter Großbetriebe zu stellen. Teilweise boykottierten die Arbeiter derartige Versammlungen, wie etwa bei Leuna. Von 28 000 Arbeitern erschienen nur 1 300 zur Diskussion mit Ulbricht — nicht einmal die Hälfte der eingeschriebenen SED-Mitglieder des Werkes
In den Ostberliner Nileswerken (VEB Großdrehmaschinenbau „ 7. Oktober") lief eine derartige Versammlung wie folgt ab
„Etwa 700 Arbeiter füllten den Kultursaal. Ulbricht kam, eskortiert von acht Polizeimotorrädern. Die Polizisten umringten ihn bei seinem Eintritt. Die Arbeiter johlten, pfiffen und schrien, als die Polizei zur Bühne vordrang. . Pfuif, — , Ei-ei, wer kommt denn da mit so vielen Kindermädchen! ’ — . Polizei raus! ’ — Hoch lebe der Arbeiterführer, der mit Polizeibedekkung zu den Arbeitern kommt! ’ — Raus mit der Polizei oder mit Ulbricht!'
Ulbricht flüsterte mit den Polizisten. Sie verließen die Bühne. Er ging ans Rednerpult. Ein Vorsitzender der . Nationalen Front’ eröffnete die Versammlung; während er noch sprach, kamen die Polizisten mit Stühlen wieder in den Saal und setzten sich vor die erste Reihe.
Neue Empörung. Nun langt's uns aber! ’ — Pfui-Rufe, viele Arbeiter erhoben sich, um zu gehen. Ulbricht winkte den Polizisten, sie zogen sich zurück. Er begann sein Referat ohne vorherige Einleitung. Schon beim ersten Satz wurde er unterbrochen. Etwa 150 bis 200 Arbeiter erhoben sich, stühlerückend, und stampften aus dem Saal. Andere schrien: . Genug, aufhören!'Ein Arbeiter stand auf und rief:
. Diese Rede haben Sie schon zehnmal gehalten, und wir haben das alles schon hundertmal gehört. Wir wollen jetzt mal ganz konkret sprechen.'Ein anderer Arbeiter rief: . Hat ja doch keinen Sinn. Wir verstehen nicht, was Sie reden. Sie verlangen von unserer Jugend, daß sie richtig Deutsch spricht, und Sie selber haben es immer noch nicht gelernt.'
Ulbricht steckte das Manuskript in die Rocktasche. Er sagte: , Ich bin ein Arbeitersohn, dem die kapitalistische Gesellschaft nur vier Jahre Schule erlaubt hat. Und ihr müßt es mir nicht übelnehmen, wenn ich auch heute manchmal fehlerhafte Sätze spreche. Aber darauf kommt es gar nicht an. Ihr versteht mich nur deshalb nicht, weil ihr nicht verstehen wollt, was ich euch zu sagen habe.'Rufe: Hoho!
Nach anderen Zwischenrufen erhob sich in der Mitte des Saales Ewald und rief: , Ich muß schon sagen, Genosse Ulbricht, schwer machst du es uns. Wie stehen wir als einfache Genossen zwischen den Kollegen und sollen ihnen Rede und Antwort stehen, daß du hier mit Polizei herkommst.'
Danach stand der Meister Wilke auf, ein 60jähriger, hochqualifizierter Arbeiter. Die Engländer, denen früher die Niles-Werke gehörten, sandten 1945 Besatzungsoffiziere in seine Wohnung, um ihn nach Bielefeld zu holen. Er blieb aber seinem Stammwerk treu. Er frug Ulbricht: . Erklären Sie uns mal: wenn ich schlecht arbeite an meinem Kessel, dann fliege ich. Sie haben öffentlich gestanden, daß sie politisch schlecht gearbeitet haben, aber Sie bleiben. Und was gedenken Sie nun zu tun?'(Das saß. Es ging um den Posten.)
Ulbricht reagierte wütend. „Sie lügen! Es ist nicht wahr. Bringen Sie mir den Beweis, daß ein guter Arbeiter entlassen wird, wenn er mal an seiner Maschine was falsch macht — etwas anderes ist es, wenn er die Maschine absichtlich kaputtmacht. Dann ist er ein Feind. Aber wer will behaupten, daß die Regierung ein Feind der Arbeiter ist!'
Weitere Arbeiter schnellten ihre Fragen auf ihn ab. Einer verlangte, im Namen seiner Abteilung zu sprechen. Er sagte: , Zu mir haben die Arbeiter nämlich Vertrauen.'Er forderte: . Entfernung der Plakate und Losungen in Wei-ßensee, keine übergroßen Bilder der Parteiführer. Wir wollen eine saubere Stadt haben.'
Ein anderer rief: . Keine Versammlungen mehr!'Zwischenruf: . Und keine Aufbauschichten!'
Dann verlangte der Gewerkschafter Wienke im Afiftrag der Gewerkschaft Gruppe 9 die Freilassung der nach dem 17. Juni gemachten Gefangenen.
Allein aus den Niles-Werken seien über 100 Arbeiter verschwunden. Ulbricht entgegnete, viele Arbeiter seien bei Verhängung des Ausnahmezustandes nach West-Berlin geflüchtet. Man sollte nicht glauben, alle, die seit Mittwoch nicht mehr da seien, wären verhaftet.
Ein anderer Meister sagte: „Wir haben schon hundertmal berechtigte Kritik geübt. Der Erfolg war immer gleich Null, so daß wir schließlich über das, was wir jetzt über die Beschlüsse der Regierung, den sogenannten neuen Kurs erfuhren, alle nur sagten: die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.'
Ein Parteimitglied sagte: „Wir haben ja immer gewollt, daß frei gesprochen wird und kritisiert wird. Aber leider ist es so gekommen, daß wir zuletzt nicht mehr gewagt haben, den Mund aufzumachen.'
Wieder ein anderer Meister beklagte sich über die schlechte Belieferung des Werkes mit Material und das Durcheinander der Arbeitsorganisation. Er sagte: , Es ist schon nicht mehr auszuhalten, daß wir immer nur Vorwürfe zu hören bekommen, wir erfüllen unseren Plan nicht. Wie sollen wir den Plan erfüllen, wenn uns kein Rohmaterial zur Verfügung gestellt wird.'
Ein Freund von Ewald, der Arbeiter Kreisel, sagte: , Ich bin der Meinung, daß unsere Funktionäre im Betrieb lieber am Tag ein bis zwei Stunden durch den Betrieb gehen und mit den Arbeitern über ihre Sorgen sprechen sollen, als daß sie sich an ihren Schreibtisch setzen und einen Bericht schreiben, der am Ende doch nicht stimmt.'
Die Unruhe wuchs; Zwischenrufe mehrten sich. Am Ende verdarb Ulbricht alles, was noch zu verderben war, indem er eine vorbereitete . Resolution’ zur Abstimmung bringen lassen wollte. Da brach der Sturm los. „Aha! — ein Hurra für die SED!'— . Es lebe der Führer!'— . Ohne uns!'— Ulbricht versuchte, sie zu über-schreien. Schließlich gelang es ihm, die Resolution vorzulesen: Die übliche Vertrauenserklärung für Partei und Regierung. Er stellte sie zur Abstimmung. Die Zählung ergab: 188 dafür; dagegen alle übrigen. Ulbricht selber schätzte: . Also etwa 500 dagegen.'Er erklärte die Versammlung für beendet."
Viele Arbeiter, die sich auf Versammlungen wie der eben geschilderten kritisch geäußert hatten, wurden verhaftet und erhielten hohe Gefängnisstrafen Nur wenn der Druck aus den betreffenden Belegschaften zu stark wurde, (wie gesagt, bis zum erneuten Streik), wurden sie manchmal wieder freigelassen.
Da sich ein Teil der SED-Mitglieder, aber auch Funktionäre der SED und des FDGB an den Aktionen des 17. Juni beteiligt hatten begannen in den nachfolgenden Wochen umfangreiche Säuberungen. Interessant und für den Charakter des Aufstandes bezeichnend ist die Tatsache, daß „von den nach dem Juni-Aufstand ausgeschlossenen oder in den Kandidatenstand zurückversetzten SED-Mitgliedern durchschnittlich 30 % bereits vor 1933 der KPD angehört hatten" Im Ostberliner Bezirk Weißensee erklärten am 17. Juni von 42 Betriebsgewerkschaftsleitungen 31 offiziell den Streik und wurden entsprechend sanktioniert. Im gesamten Gebiet der DDR lag der Prozentsatz allerdings teilweise erheblich niedriger. Trotzdem wurden „bei den Gewerkschaftswahlen nach dem 17. Juni 71, 4% der FDGB-Kader ausgewechselt" Trotz alledem hatten die Arbeiter mit ihrem Aufstand auch eine Reihe von Erfolgen zu verzeichnen: — Die administrativ verfügten mindestens 10 %igen Normenerhöhungen wurden zurückgenommen
— Wie bereits erwähnt, mußten die Lohndifferenzen innerhalb der Arbeiterklasse vorläufig um einiges vermindert werden. Die Löhne, vor allem der unteren Lohngruppe, wurden — zum Teil erheblich — angehoben
— Die Preise für Lebensmittel und sonstige Haushaltswaren wurden gesenkt
— Die Zentralinstanzen stellten in erheblichem Umfang Mittel zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der allgemeinen Lebensbedingungen zur Verfügung
— Auch andere sozial schwache Gruppen, wie etwa die Rentner, erhielten materielle Vergünstigungen
— Um all das zu finanzieren, mußten die Schwerpunkte des laufenden Jahres-und Fünfjahresplanes von der Schwerindustrie zugunsten der Konsumgüterindustrie verschoben werden
— Die Streiktage am 17. Juni und den darauf-folgenden Tagen wurden mit 90 Prozent des Grundlohns bezahlt
Gleichzeitig wurde aber von oben versucht, mit Hilfe der folgenden differenzierten Regelungen die durch die Ereignisse gestärkte Solidarität der Arbeiter wieder zu brechen. Ausgenommen von dieser Regelung waren Arbeiter, denen eine Beteiligung an volks-feindlichen Kundgebungen nachgewiesen werden konnte. Da sich im allgemeinen alle streikenden Arbeiter an den Kundgebungen beteiligt hatten, war damit der Willkür Tür und Tor geöffnet.
Arbeiter, die sich an Streiks beteiligt hatten, wurde der 90 %ige Grundlohn gezahlt, wenn sie sich verpflichteten, die versäumte Arbeitszeit nachzuholen oder sich als Urlaub anrechnen zu lassen.
Wenn die Arbeiter darüber hinaus bereit waren, eine schriftliche Erklärung abzugeben, daß sie arbeitswillig waren und nur die äußeren Umstände sie behindert hätten, so durften diese Arbeiter sich an der allgemeinen Nacharbeit beteiligen und erhielten vollen Lohn zusätzlich zu den 90 Prozent des Grundlohns. Dies war geradezu eine klassische Strategie, um die verstärkte Einheit der Arbeiter in den Betrieben wieder aufzubrechen.
Gegen derartige Regelungen wehrten sich die Arbeiter z. T. massiv. So streikte etwa am 10. Juli 1953 die Farbenfabrik Wolfen erneut, um dagegen zu protestieren Zusammenfassend läßt sich festhalten: Durch ihren Widerstand, wie er sich am 17. Juni 1953 manifestierte, konnten die Arbeiter zwar einige Erfolge erringen; grundsätzlich ist es ihnen aber — vor allem bedingt durch den Einsatz der sowjetischen Truppen — nicht gelungen, ihre politischen und gesellschaftlichen Ziele durchzusetzen.
Axel Bust-Bartels, Dr. rer. pol., geb. 1947, Dipl. -Volkswirt, wiss. Ass. am Soziologischen Seminar der Universität Göttingen. Veröffentlichungen u. a.: Zur Produktionsweise und Theorie der Übergangsgesellschaften (mit G. Stamatis), Gießen 1975; Die Entwicklung ausgewählter Arbeitsbedingungen in der DDR, in: Prokla. Zeitschrift für politische Ökonomie und sozialistische Politik, Nr. 27 (2/1977); Humanisierung der Arbeit — Einheit von Theorie und Praxis in der DDR?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/77; Herrschaft und Widerstand in den DDR-Betrieben (erscheint im Herbst 1980 in Frankfurt/M.).
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