Seit 1971 liegt die Arbeitslosenquote der Frauen deutlich über der der Männer. Im Oktober 1979 war die Arbeitslosenquote der Frauen mit 4, 9 % mehr als doppelt so hoch wie die der Männer mit 2, 2 %. Nicht berücksichtigt sind dabei diejenigen, die nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik erfaßt sind, weil sie sich mangels Beschäftigungsmöglichkeiten vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, oder sich, weil sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder -hilfe haben, auf dem Arbeitsamt nicht mehr registrieren lassen. Zu dieser „stillen Reserve" gehören schätzungsweise mindestens 500 000 arbeitswillige Frauen, die nicht oder nicht mehr beim Arbeitsamt gemeldet sind Diese Frauen resignierten, haben ihren Durchhaltewillen und ihr Durchsetzungsvermögen verloren. Sofern sie über alternative Verbleibmöglichkeiten z. B. in ihrer Familie verfügen, ziehen sie sich vom Arbeitsmarkt zurück.
Politiker sowie zuständige Stellen scheinen sich jedoch an das Problem andauernder Frauenarbeitslosigkeit gewöhnt zu haben. Klagen über anhaltenden Facharbeitermangel in einigen Branchen rücken in den Vordergrund, und die viel zu langsam sinkenden Arbeitslosen-zahlen {nur noch 800 000 Arbeitslose) werden fast schon als Erfolg gefeiert.
Bisher werden zwei Argumentationsketten deutlich, mit denen entweder die Frauenerwerbslosigkeit verharmlost oder sogar den Betroffenen indirekt selbst die Schuld an ihrer Situation gegeben wird. Zur ersteren gehört die Behauptung, Frauen gehörten meist zu den unechten Arbeitslosen, die sich ein sorgenfreies Jahr auf Kosten der „Versichertengemeinschaft" machen, um sich dann in ihren Haushalt zurückzuziehen Auch würden Frauen sich nur deshalb Teilzeitbeschäftigungen suchen, weil sie wissen, daß sie dann besonders schwer zu vermitteln sind Ebenso ist häufig verharmlosend zu hören, Frauen litten weniger unter ihrer Erwerbslosigkeit als Männer, denn sie fänden in der Rolle der Hausfrau oder Mutter ein soziales Betätigungsfeld, in dem sie gebraucht und anerkannt würden
Die zweite Argumentationskette geht von der Hypothese aus: „Qualifikationsdefizite verursachen Arbeitslosigkeit". Danach erscheint Frauenerwerbslosigkeit nur noch als ein Bildungsproblem. „Frauen sind also generell nicht stärker von der Arbeitslosigkeit bedroht, sondern es trifft vor allem diejenigen — gleich ob Mann oder Frau —, die keine qualifizierte Berufsausbildung vorweisen können." Dazu wird erwerbslosen Frauen, die einfach in die Problemgruppe „Unqualifizierte" eingeordnet wurden, auch häufig mangelnde Bereitschaft zur Weiterbildung unterstellt, durch die die Frauen selbst ihre Arbeitsplatzchancen verschlechtern weil sie nicht bereit sind, für eine neue Stelle etwas zu investieren.
Der Zusammenhang zwischen mangelnder Qualifikation und erhöhtem Arbeitsplatzrisiko ist zwar statistisch belegt, sagt jedoch nichts über die Ursachen der Ausbildungsdefizite aus. Zudem läßt sich der überproportionale Anteil der Frauen an der Gesamtarbeits-losigkeit nicht nur durch Ausbildungsdefizite erklären, denn auch die Arbeitslosenquote der Männer ohne abgeschlossene Berufsausbildung liegt deutlich unter der der weiblichen Vergleichsgruppe Und auch nach erfolgter Weiterbildung sind Frauen weiterhin am Arbeitsmarkt benachteiligt. Unter den Teilnehmern, die nach einer abgeschlossenen beruflichen Weiterbildungsmaßnahme weiterhin arbeitslos blieben, überwog der Frauenanteil — Trotzdem sollte das Argument „Qualifikationsdefizite verursachen Arbeitslosigkeit" Anlaß geben zu untersuchen, wie sich die Praxis der staatlichen Weiterbildungsförderung entwickelt hat und inwieweit die Frauen davon Gebrauch machen können.
Staatliche Weiterbildungsförderung Mit dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) von 1969 wurde die Förderung der beruflichen Weiterbildung zu einem Hauptinstrument der öffentlichen Arbeitsmarktpolitik. Die Verabschiedung dieses Gesetzes fiel jedoch in eine Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs. Wie ernst es die Politiker indes mit der Verhütung und dem Abbau von Arbeitslosigkeit durch die Förderung der beruflichen Weiterbildung und Umschulung nehmen, zeigt die Entwicklung ab 1975, als der sprunghafte Anstieg der Arbeitslosen die Millionengrenze erreichte. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Haushaltsstrukturgesetz verabschiedet —, mit der Konsequenz, daß die Teilnehmerzahl an Programmen zur beruflichen Weiterbildung, die von der Bundesanstalt für Arbeit gefördert wurden, von 1975 auf 1976 um nahezu die Hälfte zurückging Die Förderungsvoraussetzungen wurden verschärft und die Höhe der Beihilfen reduziert. Besonders benachteiligt wurden dadurch Frauen, die wieder in das Erwerbsleben eintreten wollen, sowie Ungelernte, die vor dem Zeitpunkt der Antragstellung mindestens sechs Jahre (vorher drei Jahre) beschäftigt gewesen sein mußten
Teilnehmerstruktur bei geförderten Weiterbildungsmaßnahmen Von 1970 bis 1976 haben 13, 1 % der männlichen und 9, 4 % der weiblichen Erwerbspersonen an Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung teilgenommen. Bezogen auf alle Teilnehmer an der beruflichen Weiterbildung in diesen Jahren waren also 7/10 Männer und le 1 % der männlichen und 9, 4 % der weiblichen Erwerbspersonen an Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung teilgenommen. Bezogen auf alle Teilnehmer an der beruflichen Weiterbildung in diesen Jahren waren also 7/10 Männer und lediglich 3/10 Frauen 11). Bei den erwerbslosen Teilnehmern an der beruflichen Weiterbildung sind die Frauen ähnlich unterrepräsentiert: 15, 1 % der Männer, aber nur 10, 6 % der Frauen beteiligten sich 12), obwohl auch in diesen Jahren die Erwerbslosenquote der Frauen fast doppelt so hoch wie die der Männer war.
Um herauszufinden, welche Ursachen die geringe Weiterbildungsbereitschaft von Frauen hat, soll zunächst einmal untersucht werden, welche subjektiven und objektiven Faktoren das Weiterbildungsverhalten beeinflussen.
Objektive Faktoren der Lebenssituation, die das Weiterbildungsverhalten beeinflussen Aus den Strukturdaten von Teilnehmern an beruflichen Weiterbildungsprogrammen, die von der Bundesanstalt für Arbeit gefördert wurden, ergaben sich folgende Einflußfaktoren: Mit steigendem Bildungsabschlußwächst die Bereitschaft zur Weiterbildung. Nach Abschluß einer qualifizierten Schulbildung (FachhochschulHochschulreife) ist die Weiterbildungsbeteiligung von Frauen ebenso hoch wie die der männlichen Teilnehmer 13) Unterscheidet man die Teilnehmer nach ihrer beruflichen Stellung, so sind Arbeiter unter-proportional (bezogen auf ihren Anteil an sämtlichen Erwerbspersonen) vertreten. Am stärksten unterrepräsentiert sind auch hier Arbeiterinnnen, denn von den geförderten Teilnehmern, die nach ihrer Stellung im Beruf Arbeiter waren, waren 9/10 Männer und lediglich rund 1/io Frauen In diesem Zusammenhang hat auch die Art der vorherigen Berufstätigkeit sowie die Berufszufriedenheit einen großen Einfluß auf die Weiterbildungsbereitschaft. Arbeitsabläufe, die durch „hohe physische und psychische Belastungen, einen geringen Autonomiespielraum zur Gestaltung der Arbeitsvollzüge und geringe Qualifikationsanforderungen gekennzeichnet sind" behindern in starkem Maße die Weiterbildungsinteressen. Ein weiterer Aspekt, der auch mit der beruflichen Stellung zusammenhängt, ist die Aufstiegsorientierung,bei der ebenfalls geschlechtsspezifische Unterschiede deutlich werden: Annähernd 2/3 der männlichen gegenüber rund 1/3 der weiblichen Weiterbildungsteilnehmer strebten zwischen 1965 und 1973 einen beruflichen Aufstieg an; ähnliches gilt für Umschulungsteilnehmer. Auch jüngere erwerbstätige Frauen sind bisher in geringerem Maße aufstiegsorientiert als Männer. Angelernte und ungelernte Arbeiterinnen strebten am seltensten mit einem Fortbildungskurs einen beruflichen Aufstieg an Die traditionellen Rollenbilder vieler Frauen setzen sich auch in der gewählten Fachrichtung der Weiterbildung durch: Frauen entscheiden sich kaum für Weiterbildung im gewerblich-technischen Bereich, sondern für die eher traditionellen Frauenberufe
Unterscheidet man nach dem Familienstand, so sind ledige Frauen ähnlich stark wie ledige Männer vertreten, verheiratete Frauen jedoch sehr viel seltener als Ehemänner Die Familiensituation stellt also ebenfalls einen objektiven Faktor der Weiterbildungseinstellung dar-, belastende familiäre Verpflichtungen der Ehefrauen werden zu einer entscheidenden Weiterbildungsbarriere. Auch das Alter hat Einfluß auf die Weiterbildungsaktivitäten: Die meisten teilnehmenden Frauen sind in einer jüngeren Altersgruppe als die männlichen Teilnehmer. Dabei ist zu vermuten, daß zwischen den familiären Verpflichtungen der Frauen und der Altersstruktur der Teilnehmerinnen ein Zusammenhang besteht. Jedoch läßt die Weiterbildungsbereitschaft mit wachsendem Alter ebenso wenig nach, wie sie bei Frauen generell geringer ist, sondern diese Ergebnisse beruhen darauf, daß mit wachsendem Alter die Verwertungsbedingungen von Weiterbildung häufig schlechter werden und sich besonders für verheiratete Frauen weniger Möglichkeiten zur Weiterbildung bieten
Weiterbildungsaktivitäten hängen aber auch vom Einkommen und vom Freizeitvolumen ab.
Da das Einkommen wiederum von der beruflichen Stellung bestimmt wird und sich auch die finanzielle Unterstützung der Bundesanstalt für Arbeit auf das bisherige Nettoeinkommen bezieht, sind Frauen, die im Durchschnitt rund 1/3 weniger als die Männer verdienen, auch hier eindeutig benachteiligt. Werden keine staatlichen Fördermittel bezahlt, sind Verwandte und Ehemänner oft nicht bereit, die Weiterbildung finanziell abhängiger Frauen und Mädchen zu unterstützen. Das Freizeitvolumen und seine Ausfüllbarkeit wird zudem bei Frauen oft durch Doppelarbeit im Haushalt eingeschränkt, ebenso sind ihre Rückzugsmöglichkeiten für ungestörtes Lernen meist sehr beschränkt.
Aus allen diesen objektiven Faktoren ergeben sich Verhinderungsbedingungen für die eigentlichen Adressaten von Fortbildungsprogrammen. Diese Faktoren sind zudem zirkulär: Die berufliche Stellung im Arbeitsprozeß wird im wesentlichen durch den erreichten Bildungsstand determiniert, dieser hängt jedoch sehr stark von der Herkunftsfamilie und bei Mädchen zusätzlich von dem weiblichen Rollenleitbild in der Erziehung ab. Je höher jedoch der Bildungsstand und damit die Berufsposition ist, um so günstiger sind die Arbeitsbedingungen sowie die finanziellen und zeitlichen Möglichkeiten, die Weiterbildungsinteressen entstehen lassen, und ebenso die vorhandenen Chancen, diese auch umzusetzen. Zusammenfassend läßt sich also feststellen, „daß die objektiven Faktoren der Lebenssituation einerseits die Motivation zur Weiterbildung gerade bei denen verstärkt, die innerhalb der sozialen Schichten zu den bildungsmäßig Bevorzugten gehören, und andererseits die Motivation zur Weiterbildung bei denjenigen abschwächt, die ohnehin schon bildungsmäßig benachteiligt sind"
Subjektive Faktoren der Weiterbildungseinstellung Aktive Weiterbildungsbemühungen setzen eine relativ stabile psychische Disposition und Lernbereitschaft voraus; dazu gehören: Leistungs-und Aufstiegsmotivation, ein ausgeprägter Planungshorizont, Selbstvertrauen, Eigeninitiative, starke Berufsbindung, Ausdauer und Durchhaltevermögen, Zuversicht hinsichtlich der Verwertbarkeit der neuen Qualifikation, Durchsetzungsvermögen sowie Kontakt-und Ausdrucksfähigkeit Wie oft jedoch die Weiblichkeitserziehung sowie das traditionelle Frauenleitbild die Ausprägung derartiger Persönlichkeitsmerkmale bei Frauen verhindern, braucht wohl nicht weiter ausgeführt zu werden. Zudem wird die Lebensplanung der Frau häufig von familiären Verpflichtungen bestimmt, die wenig Raum für persönliche und berufliche Weiterbildungswünsche lassen.
Auch bei den subjektiven Faktoren deutet sich die schon vorher ausgeführte Kumulation von Weiterbildungsbarrieren bei Bildungsbenachteiligten und Frauen an. Während jedoch männlichen Unqualifizierten oft objektive Weiterbildungshemmnisse zugestanden werden — wie z. B. soziale Benachteiligungen schon während der Kindheit, Sprachbarrieren oder die für Bildungsbenachteiligte oft unverständliche Abstraktheit und theoretische Ausrichtung von Bildungsinhalten —, unterstellt man erwerbslosen Frauen ohne berufliche Qualifikation allein mangelnde Bereitschaft zur Weiterbildung. Dabei werden Frauen an den Idealen der Leistungsgesellschaft gemessen, jedoch mit ungleichen Maßstäben. Auch hier müssen Frauen besser sein als Männer in vergleichbarer Situation, um nicht abqualifiziert und diffamiert zu werden. Zudem werden die betroffenen Frauen dafür verantwortlich gemacht, was die Gesellschaft, ihre Institutionen, Medien usw. als geschlechtsspezifische Erziehung jahrhundertelang festgeschrieben hat Weiterbildung gerade für Arbeitslose ...?
Nun könnte positiv jedoch auch so argumentiert werden, daß gerade die Zwangspause Arbeitslosigkeit zur Weiterbildung genützt werden könnte, und sich dadurch auch die individuellen Probleme, die aus der Arbeitslosigkeit erwachsen, verringern:
— Der Teilnahme an Weiterbildungsprogrammen käme u. U. eine stabilisierende Funktion für die psychosoziale Disposition zu. Weiterbildung könnte den erwerbslosen Frauen eine Zeitstruktur für den Tagesablauf vermitteln und ihnen eine inhaltliche Zielsetzung bieten — Funktionen also, die sonst dem Arbeitsprozeß zukommen.
— Neue Kontakte zu Personen in der gleichen Situation könnten geknüpft und Minderwertigkeitsgefühle abgebaut werden, wenn es gelingt, die Angst vor dem Versagen in der neuen Lernsituation zu verringern.
— Auch die Selbst-und Fremdeinschätzung des sozialen Status wäre bei Personen, die in Weiterbildungsmaßnahmen integriert sind, höher als bei Arbeitslosen
Diesen individuellen Vorteilen, die Weiterbildung haben könnte, stehen die vielfältigen persönlichen Belastungen gegenüber, denen die von Arbeitslosigkeit Betroffenen ausgesetzt sind. Diese Belastungen verhindern oft daß sich Weiterbildungsmotivation und -bereitschaft überhaupt erst entwickeln. Da diese persönlichen Belastungen meist bei sozial unterprivilegierten und bildungsbenach-teiligten Schichten besonders ausgeprägt und kumuliert sind, ist zu erwarten, daß sich das Bildungsgefälle und damit ein wichtiger Faktor der Arbeitsplatzsicherheit eher weiter verschärfen wird.
Um diese Zusammenhänge vor allem für die Situation erwerbsloser Frauen noch genaue: auszuführen und zu belegen, sollen im folgen den die spezifischen Probleme der Erwerbslo sigkeit im weiblichen Lebenszusammenhanf näher beleuchtet werden. Dabei fällt auf, dal die vorliegenden Untersuchungen über psy chosoziale Belastungen sich fast ausschließ lieh auf männliche Arbeitslose beziehe: (Frauen scheinen auch als Forschungsgegen stand nicht gefragt zu sein). In den bisher vor liegenden Untersuchungen wurden u. a. folgende Belastungsfaktoren untersucht auf deren Auswirkungen auch hier eingegangen werden soll:
— Begrenzung individueller Handlungsmöglichkeiten — individuelle Schuldzuweisung — Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit, Depressivität und psychosomatischen Erkrankungen — Isolation — veränderte Zeitstruktur — Senkung des Anspruchsniveaus — Auswirkungen auf die Zukunftsplanung
Nicht genügend beachtet wurde bisher auch, daß Frauen die größere Benachteiligung, die ihre Arbeitskraft erfährt, sehr wohl spüren; sie erleben in der Erwerbslosigkeit ihre besondere Hilflosigkeit und Abhängigkeit Zusätzlich ergibt sich für sie ein Konflikt zwischen ihrer Berufs-und der Familienrolle. Auch dies kann zu einer Belastung werden, zumal keinesfalls davon ausgegangen werden kann, daß Frauen, die sich mangels Berufsalternative in den privaten Haushalt zurückgezogen haben, ein zufriedenes und gesichertes Leben führen und daher nicht so sehr unter ihrer Erwerbslosigkeit leiden. Zudem verschlechtern sich auch durch einen nur vorübergehenden Rückzug die zukünftigen Berufschancen dieser Frauen.
Begrenzung Individueller Handlungsmöglichkeiten Da für die Selbst-und Fremddefinition vieler Frauen der berufliche Status sehr wichtig ist, verlieren die Frauen mit ihrem „Job" auch einen Bestandteil ihres Selbstwertgefühls. Der Beruf ermöglichte ihnen mehr Unabhängigkeit vom Ehemann oder Vater; die außerhäusliche Tätigkeit bestimmte den Aktionsradius der Frau. So wurde schon vor Jahrzehnten festgestellt, daß erwerbslose Frauen sich trotz starker familiärer Belastung an ihren alten Arbeitsplatz zurücksehnen, ohne daß dafür allein materielle Gründe ausschlaggebend waren
Auch wenn erwerbslose Frauen sich nicht in dem Maße „ohne Arbeit“ fühlen wie Männer, da die Frauen nahezu die gesamte Hausarbeit zu erledigen haben, fühlen sie sich doch sehr stark in ihren Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt Von Sozialwissenschaftlern wird angenommen, daß die Begrenzung der individuellen Handlungsmöglichkeiten Reaktionen innerhalb eines Spektrums von Aggressionsentladung bis zur Lähmung der Handlungsbereitschaft nach sich ziehen kann Bei Frauen dürfte wohl eher letzteres anzutreffen sein, wurden sie doch von Kind auf dazu erzogen, passiv zu sein, sich anzupassen und ihre eigenen Wünsche zurückzustellen. Die ständig erfahrene Minderwertigkeit im Berufsleben sowie im öffentlichen Leben trägt mit dazu bei, daß Frauen eher mit Resignation und Apathie reagieren. Mit zunehmender Dauer der Erwerbslosigkeit zerbricht ihre Widerstandskraft, die Selbstbehauptungsreserven schwinden und damit die Kraft zur Veränderung ihrer Lage.
Ferner werden durch den Arbeitsplatzverlust die bisherigen Kenntnisse und Fähigkeiten als wertlos erfahren — und dies schließt auch eine Entwertung der eigenen Person mit ein. Daher bringen viele der betroffenen Frauen nicht mehr den Mut und die Kraft auf, sich an längerfristigen Weiterbildungsmaßnahmen zu beteiligen. Betrachten die Frauen noch dazu ihren Arbeitsplatzverlust als selbstverschuldet und als persönliches Versagen, so kann ihr Vertrauen in die eigene Leistung sinken und die Angst, die zusätzlichen Lernanforderungen nicht zu erfüllen, wird zu einer weiteren Weiterbildungsbarriere.
Die Verarbeitungsund Bewältigungsstrategien erwerbsloser Frauen hängen jedoch stark von den vorher beschriebenen objektiven Faktoren der Lebenssituation ab. So entwickeln Frauen ohne Berufsausbildung oder mit gerin-gerer Berufsorientierung eher passive Verarbeitungsstrategien der Erwerbslosigkeit. Sie zeigen wenig Aktivitäten außerhalb des Hauses wie Weiterbildung oder gesellschaftspolitische Betätigung im weitesten Sinne. Dies gilt verstärkt für viele ältere Frauen, die sich noch stark am traditionellen weiblichen Rollenbild orientieren und deren Berufsperspektive zu vage ist, als daß sich daraus Weiterbildungsaktivitäten entwickeln könnten.
Die Berufssituation vieler dieser Frauen ist dadurch gekennzeichnet, daß sie meist keine eigenständigen und intellektuellen Leistungen zu erbringen brauchen, sondern relativ gleichförmige, monotone und insgesamt wenig anregende Tägigkeiten ausführen. (Nur 8, 7% aller Facharbeiter sind Frauen, aber 63% aller Fließbandarbeiter sind weiblich Untersuchungen ergaben nun, daß bei oder nach dieser Art von Tätigkeiten kaum Lernbereitschaft entstehen kann. Nachgewiesen wurde sogar eine dadurch verursachte geringere verfrühtes Lernfähigkeit und ein intellektuelles Nachlassen Arbeiterinnen erfahren meist, daß es für sie wenig bis gar keine Aufstiegsmöglichkeiten gibt; ihre einzige Chance sehen sie oft nur in der Umschulung auf einfache Angestelltentätigkeiten. Dies setzt jedoch eine vollständige Veränderung des gewohnten Arbeitsmilieus voraus so daß diese Entscheidung von vielerlei Ängsten vor Versagen, von falschen Vorstellungen über die neuen Arbeitsbedingungen und -chancen sowie von Ungewißheit begleitet ist. In Anbetracht der hohen Frauenkonzentration im Dienstleistungssektor und in den Büro-und Verwaltungsberufen, wo Frauen auf der unteren Stufe der Betriebshierarchie oder im besten Fall als mittlere Angestellte arbeiten, gibt es für Frauen in diesen Bereichen real nur sehr begrenzte Möglichkeiten für einen beruflichen Aufstieg. (Gerade in diesen Bereichen werden auch die meisten Frauenarbeitsplätze „wegrationalisiert“.) Eine bessere und sichere Stelle wäre für Frauen ohne qualifizierten Schul-und Berufsabschluß auch durch Fortbil-düng schwer zu realisieren; insofern kann es für diese Frauen sogar individuell „rational“ erscheinen, auf Weiterbildungsaktivitäten zu verzichten.
Akademikerinnen, die noch am ehesten einen Arbeitsplatz erwarten können, der Eigeninitiative erfordert und zumindest innerhalb enger Grenzen Identifikation ermöglicht, werden aufgrund ihrer Ausbildung eher aktive Verarbeitungsstrategien der Erwerbslosigkeit zeigen. Obwohl auch bei ihnen immer wieder resignative Gefühle auftreten, versuchen sie Aktivitäten zu entwickeln. Sie wissen um die Begrenztheit individueller Lösungsstrategien, und vielleicht engagieren sich deshalb einige dieser Frauen auch gesellschaftspolitisch
Zusammenhänge zwischen Erwerbslosigkeit, Depressionen und psychosomatischen Erkrankungen
Da die Vermischung von Ohnmachts-und Abhängigkeitserfahrungen für die Situation der Erwerbslosigkeit typisch ist, werden aggressive Impulse häufig nach innen, gegen die eigene Person gerichtet. Die Folge können psychosomatische Erkrankungen bis hin zu schwerwiegenden Depressionen sein. Hoffnungslosigkeit, das Gefühl der Nutzlosigkeit, sinkendes Selbstwertgefühl, eine generell negative Zukunftserwartung, Phasen, die von Traurigkeit bis zur Verbitterung, von Passivität bis zur Apathie reichen, lassen sich unschwer als beginnende Depressivität kennzeichnen
In einer Untersuchung über einen längeren Zeitraum wurden ältere arbeitslose Arbeiter im Hinblick auf die psychischen Belastungen der Arbeitslosigkeit befragt. Zum Zeitpunkt der Erstbefragung wiesen alle Personen ähnliche Depressionswerte auf. Zwei Jahre später zeigte sich jedoch, daß die in „Rente" gegangenen und die Wiederbeschäftigten in ihren Depressionswerten etwas abgesunken waren. Die noch immer und die wieder Arbeitslosen waren jedoch depressiver geworden. Diese Untersuchung zeigt, daß langanhaltende oder wiederholte Arbeitslosigkeit Depressivität nach sich ziehen kann und nicht etwa — wie häufig angenommen wird — Depressivität die Arbeitslosigkeit verlängert oder zu erneuter Arbeitslosigkeit führt
Leider wurde auch diese Befragung nur mit männlichen Arbeitslosen durchgeführt. Untersuchungen in den USA zeigen jedoch, daß Frauen vermutlich aufgrund ihrer Erziehung und Rollenprägung bei psychischen Belastungen noch eher als Männer zu einer depressiven Grundhaltung neigen. Bei weiblichen Patienten wurde im Vergleich zu Männern häufiger diagnostiziert: depressiv, neurotisch, schizophren, paranoid; auch medikamentöse Vergiftungen treten häufiger auf Vernachlässigungstendenzen unterschiedlichster Art wurden bei erwerbslosen Frauen beobachtet: gegenüber der Haushaltsführung, in bezug auf die Einhaltung von Terminen, aber auch gegenüber dem eigenen Körper. Geht die Resignation und Selbstaufgabe noch einen Schritt weiter und verstärken sich Existenz-und Versagungsängste sowie das Gefühl der Verlassenheit, so drängt sich häufig der Gedanke an Selbstmord auf.
Beobachtet wurden bisher auch eine wachsende Suchtgefährdung sowie das Auftreten, die Verstärkung oder eine Wiederholung der verschiedensten psychischen und psychosomatischen Erkrankungen In England wurde festgestellt, daß z. B. fast die Hälfte aller in eine psychiatrische Notfallklinik aufgenommenen Patienten arbeitslos waren Bei Männern treten neben diesen Leidensphänomenen jedoch auch offen aggressive Handlungen auf. Individuelle Gewaltanwendung als nach außen geleiteter Aggressionsund Affektstau kann ein Akt der Verzweiflung sein, wenn eine andere Konfliktlösung unmöglich erscheint Da durch die weibliche Erziehung die Aggressionshemmung wahrscheinlich stärker ausgeprägt wurde, werden Frauen unter diesen Umständen eher zu „Opfern" derj Psychiatrie, während Männer, wenn sie sich feindselig und aggressiv gegen die Gesellschaft verhalten, dadurch häufiger straffällig werden.
Ein Zusammenhang zwischen Erwerbslosigkeit und psychosomatischen Störungen kann belegt werden. Eine Studie von Sörgel ergab, daß seit längerer Zeit Erwerbslose zu psychosomatischen Reaktionen wie Schlafstörungen, Magenbeschwerden, Nervosität oder übermäßiger Medikamenteneinnahme neigen Aber auch Magen-und Darmgeschwüre, Fettsucht, Herzbeschwerden, Hypertonie usw. wurden bei Erwerbslosen verstärkt beobachtet Die durch die Erwerbslosigkeit hervorgerufene Unsicherheit erzeugt eine Reihe von Streßfaktoren (emotionaler, ökonomischer, kultureller, umweltbedingter Streß). Daß diese Streßfaktoren als Auslöser oder Verstärker akuter Erkrankungen wirken können, wird von der Psychiatrie anerkannt
Zunehmende Isolation Befragungen haben ergeben, daß erwerbslose Frauen der unterbrochene Kontakt zu Arbeitskollegen stärker belastet als Männer Diese Einschränkung sozialer Kontakte wird wohl auch dadurch verstärkt, daß viele Frauen auf ihren Arbeitsplatzverlust mit einer Ausweitung von Hausarbeiten reagieren. Aber die isolierte Betätigung im engsten Privatbereich bedeutet auch einen Rückzug aus dem öffentlichen Leben.
Oft werden Freunde und Bekannte deshalb seltener besucht, weil man nicht gerne seinen gesunkenen sozialen Status zugeben möchte. Da Frauen seltener Vereins-oder Clubmitglieder sind, weniger Möglichkeiten haben, z. B. alleine auszugehen, seltener das einzige Familienauto benutzen können und aus Ersparnisgründen auf teuren Freizeitkonsum verzichten müssen, beschränken sich viele Frauen zunehmend auf familiäre Beziehungen. Durch die Schwierigkeiten, ihre freigesetzte Zeit sinnvoll zu verwenden, wird die Unselbständigkeit vieler Frauen noch vergrößert. Sie werden mehr und mehr zu Anhängseln ihrer Ehemänner; aber auch diese Reaktion hat quasi „objektive" Gründe: Erwerbslose Frauen müssen ihren sozialen Status sowie ihren Einkommens-und Konsumstatus über ihren Ehemann definieren. Ist den Frauen eine eigene Berufslaufbahn versperrt, konzentrieren sie sich wieder verstärkt darauf, die Karriere ihres Mannes zu unterstützen.
Zu berücksichtigen ist auch, daß Frauen mit schwacher Berufsorientierung in die Informa-tionsund Kommunikationssysteme der Betriebe und öffentlichen Einrichtungen schlecht einbezogen sind -Durch ihren Rückzug in den privaten Haushalt können die Frauen vielfach ihre Informationsmängel erst recht nicht abbauen, sie kennen z. B. häufig nicht die für sie relevanten Möglichkeiten in bezug auf Weiterbildung und deren Förderungsmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang ergab die WAL-Studie, daß Weiterbildungsaktivitäten meist dann unternommen wurden, wenn diese schon vor der Arbeitslosigkeit geplant waren Durch die zurückgezogene Lebensweise werden auch der so wichtige Erfahrungsaustausch mit ebenfalls Betroffenen sowie gemeinsame Aktivitäten erschwert.
Zerfall der Zeitstruktur Bei arbeitslosen Männern wurde beobachtet, daß sie nach einiger Zeit ein undifferenziertes Verhältnis zum Zeitablauf und zur Zukunft entwickeln Die extern vorgegebene Zeit-ordnung des Berufslebens kann nur sehr schwer durch eine individuelle ersetzt werden; die jetzt „freie“ Zeit wird unüberlegt und planlos verlebt. Bei erwerbslosen Frauen kann nun zwar der Tagesablauf durch die regelmäßig anfallenden Hausarbeiten strukturiert werden. Wenn die Frauen aber darüber hinaus keine neuen, eigenen Aktivitäten entwickeln, würde auch dies zeigen, daß für bisher vernachlässigte oder nur schwach empfundene eigene Interessen keine Pläne, Energien oder entsprechende Angebote vorhanden sind. Auch wenn die Sachzwänge der Berufsarbeit für einige Zeit nicht mehr so wirksam sind, gelingt es häufig nicht, sinnvolle Aktivitäten zu entwickeln, mehr zu sich selbst zu finden und nach einer ausgefüllten persönlichen Zeiteinteilung zu leben.
Die meisten sind nach wie vor auf die vermarkteten Freizeitangebote angewiesen, die zudem überwiegend am „Feierabend" stattfinden und während der Erwerbslosigkeit die zunehmend schwachen Finanzen belasten. Rezeptive Freizeitbeschäftigungen wie Fernsehen, Musik hören werden ausgeweitet, man verbringt mehr Zeit mit Schlafen, Bummeln oder hängt seinen Tagträumen nach. Das „Zu-hause-sein“ wird als langweilig empfunden und geht mit der Zeit „auf die Nerven". Ausgelöst durch die innere Leere und Perspektivlo-sigkeit dürfte wohl auch häufig ein kompensatorisches Ausweichen in die Irrationalität einer schönen, heilen Traumwelt zu beobachten sein, wie sie von den Medien speziell den Frauen angeboten wird. In England wurde dazu festgestellt, daß z. B. die Verkaufsauflagen von überregionalen Zeitungen zurückgingen, während der Absatz von Liebesromanen und Krimis in Regionen mit überproportionaler Arbeitslosigkeit anstieg
Senkung des Anspruchsniveaus Das Gefühl, vom Arbeitsmarkt als unbrauchbar ausgeschlossen zu sein, nagt am Selbstvertrauen fast aller Arbeitslosen. Oft geht die Entmutigung so weit, daß man sich nichts mehr zutraut und sich gezwungen sieht, Abstriche bei den Erwartungen zu machen, die man an die zukünftige Arbeitsstelle richtet Dies wird von Seiten vieler Firmen noch unterstützt, die von erwerbslosen Bewerberinnen Konzessionen verlangen, und zwar hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, dem Verzicht auf übertarifliche Entlohnung oder der Ein-gruppierung. Lediglich bei der Entfernung zum neuen Arbeitsplatz und bei den Arbeitszeiten schei-nen die Frauen nicht bereit zu sein, ohne weiteres Zugeständnisse zu machen, weil sie dies meist nicht mit ihren häuslichen Pflichten und Arbeitsanforderungen vereinbaren können Verheiratete Frauen können dabei ihre Ansprüche eher aufrechterhalten, da sie durch ihre Ehemänner materiell besser abgesichert sind und damit nicht auf das nächstbeste Arbeitsangebot angewiesen sind. Bei erwerbslosen Hauptverdienerinnen ist dagegen die Konzessionsbereitschaft aufgrund der existenziellen Abhängigkeit von der Erwerbsarbeit größer, auch wenn sich dadurch bei Müttern die Doppelbelastung verschärft. Die hohe Frauenarbeitslosigkeit hat aber auch Auswirkungen auf die Frauen in ungekündigtem Arbeitsverhältnis. Aus Angst um ihren Arbeitsplatz getrauen es sich Frauen häufig nicht, Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen abzuwehren. Dies ist vor allem in den unteren Einkommensgruppen festzustellen
Auswirkungen auf die. Zukunftsplanung Durch enttäuschte berufliche Erwartungen geht immer auch ein Stück Zukunftsbezogenheit verloren In der Lebensplanung der Frau wird die Berufstätigkeit eher als Übergangszeit angesehen, bei der der finanzielle Aspekt im Vordergund steht. Dadurch werden Einstellungen und Verhaltensweisen verfestigt, die einer Rückorientierung auf die traditionelle Frauenrolle gleichkommen und die Frauen weiterhin zu Lückenbüßern des Arbeitsmarktes machen.
Die Berufsorientierung beinhaltet die Einstellungen, Erwartungen und Werte, die mit der Berufstätigkeit verbunden sind. Der weibliche Lebenszusammenhang ist jedoch häufig durch den Konflikt zwischen Berufs-und Familien-orientierung gekennzeichnet. Enttäuschte berufliche Erwartungen können nur zu einer verstärkten Orientierung auf die Familien-rolle führen, vor allem, wenn die Erwerbstätig-keit der Ehefrau finanziell entbehrlich ist und ihre Alternative längerfristige Arbeitslosigkeit wäre.
Geht in der Lebensplanung der Frau die Bedeutung der Berufstätigkeit zurück, so stellt dies auch ein entscheidendes Weiterbildungshemmnis dar, denn die Ausbildungsinvestitionen sind prinzipiell zukunftsorientiert und setzen eine durch Berufs-und Aufstiegsorientierung gekennzeichnete Lebensplanung voraus.
Verschiedentlich wurde festgestellt, daß Unterschichtangehörige über eine vergleichsweise schwache Zukunftsorientierung verfügen Da diese Schicht aber auch von Arbeitslosigkeit überproportional betroffen ist, wird ihr Planungshorizont noch kürzer und labiler. Das Gefühl der Minderwertigkeit aufgrund fehlender Ausbildung kann zusammen mit beruflichen Frustrationen und der Hilflosigkeit und Verunsicherung der Arbeitssuchenden zu einem nachhaltigen Bildungshindernis werden — vor allem, wenn die Frauen schon früh die Unerfüllbarkeit bestimmter Berufswünsche und Lebensplähe erfahren mußten. Psychosoziale Belastungen wirken als Defizitverstärker Zusammenfassend möchte ich behaupten, daß die Belastungen durch die Erwerbslosigkeit bei Frauen als Defizitverstärker wirken. Sie behindern damit auch die Motivation für neue Arbeitsplatzsuchstrategien, die mit zusätzlichem Qualifikationserwerb verbunden sind. Längerfristige Erwerbslosigkeit hat damit eine ähnliche Wirkung wie eine negative berufliche Sozialisation im Jugendalter. Durch die Verminderung der Berufsbindung, psychosoziale Belastungen, Resignations-und Rückzugstendenzen wird eine Reintegration in das Erwerbsleben erschwert. Durch die vielfältigen persönlichen Belastungen der Erwerbslosigkeit wird das Entstehen von Weiterbildungsmotivation und -aktivitäten erschwert; damit werden auch die Gesichtspunkte, die Weiterbildung während der Erwerbslosigkeit begünstigen, überkompensiert. Die auch in der Hochkonjunktur bestehenden Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt werden in der Krise in zweifacher Weise verstärkt: Neben dem äußeren Druck (zu wenig Stellenangebote, kaum Wiedereingliederungshilfen speziell für Frauen) wirken vor allem die vielfältigen persönlichen Schwierigkeiten der Erwerbslosen als Wiedereingliederungsbarrieren. Zu den beruflichen Selektionsmechanis- men als Folge struktureller Arbeitslosigkeit (gerade in Frauenbranchen gehen besonders viele Arbeitsplätze verloren) treten auf der persönlichen Ebene die Mechanismen der Selbstselektion. Diese werden — wie schon beschrieben — in Form von Resignation, fehlendem Selbstvertrauen und Durchsetzungsvermögen, Rückzug aus dem Berufsleben mit der Folge einer Verminderung von Qualifikation und vor allem als Weiterbildungshemmnisse manifest Bei Frauen wirkt die Selbstselektion besonders nachhaltig; sie lassen sich am schnellsten vom Arbeitsmarkt verdrängen, haben sie doch die Rollen der Verzichtenden von klein auf gelernt Die Sorge für die anderen Familienmitglieder verlangte von den Frauen immer das Zurückstellen der eigenen Person; ihr Verhalten sollte stets auf andere bezogen und durch deren Bedürfnisse definiert sein. Führt die Verunsicherung der Berufsperspektive zu einer Rückorientierung auf das traditionelle weibliche Rollenbild, so wird die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung weiter verfestigt, werden die Frauen in ihren Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt und in ihren Emanzipationsbestrebungen zurückgeworfen.
Gezielte Sozialberatung könnte das Abgleiten in Resignation und Passivität aufhalten Was zu tun bleibt, ist nicht nur Aufklärungsarbeit und Weiterbildungswerbung unter den Betroffenen. Dadurch werden die Probleme individualisiert, wo doch gerade auch mit politischen und ökonomischen Mitteln die Ursachen der Erwerbslosigkeit bekämpft werden müßten. Trotzdem sollten die Betrofienen Unterstützung von geeigneten Sozialberatern erfahren. Persönliche Beratung und Betreuung können zur psychosozialen Stabilisierung beitragen. Durch geeignete sozialpsychologische und -pädagogische Hilfestellungen könnten dann Weiterbildungsmotivationen geweckt und evtl. Weiterbildungshemmnisse abgebaut werden.
Erste Erfolge in dieser Richtung zeigen verschiedene Projekte: Durch einen Motivationskurs für Frauen, in dem auch auf die jeweiligen persönlichen Probleme eingegangen wurde konnte in Hamburg die Abbruchquote bei den nachfolgenden Weiterbildungskursen erheblich verringert werden Auch der deutsche Volkshochschulverband machte die Erfahrung, daß berufliche Fortbildung mit sozialem Lernen in kleineren gruppen verbunden sein sollte Modellversuche der Stadt Unna zielten darauf ab, durch sinnvolle Arbeit, die zugleich eine Weiterbildung bedeutet, den Erwerbslosen das Bewußtsein zu geben, einen Beitrag für das gemeinwesen zu leisten. Gleichzeitig erwiesen sich die Vorhaben Altenhilfe-Programm, Planung und Umfelduntersuchung für ein neues Rathaus oder ein Mitspiel-Theater (eines arbeitslosen Theater-ensembles) auch als Sprungbrett zu einer Daueranstellung Bei den praktischen Einsatzprogrammen (nicht bei den bisher üblichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen), gekoppelt mit theoretischen Begleitkursen, erwiesen sich persönlichkeitsbildende Kurse, spezielle Freizeitangebote usw. als erfolgreiche Begleitprogramme von Bildungsangeboten Erfolge konnten auch bei den Kommunalen Informationsstellen für Weiterbildung Erwerbsloser (KIW), die in einigen Städten eingerichtetwurden, erzielt werden. Zielsetzung war die Anregung und Erprobung bedarfsgerechter Bildungsangebote, die Entwicklung geeigneter Formen der Ansprache Bildungsbenachteiligter sowie Möglichkeiten flankierender sozialpsychologischer und pädagogischer Hilfen Daraus ergaben sich die Aufgabenschwerpunkte: Information, Beratung, Motivierung und Betreuung von Erwerbslosen, Bildungs-und Freizeitanimation sowie Öffentlichkeitsarbeit Freilich — eine Erfolgsgarantie für einen Arbeitsplatz kann auch der beste Sozialberater nicht geben! Auch kann es nicht nur darum gehen, den Erwerbslosen Hoffnung zu machen, die womöglich unrealistisch sind, nämlich durch eigene Anstrengung wieder eine Arbeit finden zu können. Denn gerade Erwerbslose, die sich Hoffnung auf einen neuen, besseren Arbeitsplatz machen und deshalb Weiterbildungsanstrengungen auf sich nehmen, werden um so mutloser und frustrierter, wenn sich diese Hoffnungen nicht erfüllen. Eine Untersuchung in diesem Zusammenhang ergab, daß Erwerbslose, die am Anfang mehr Hoffnung hatten, aus eigener Anstrengung wieder Arbeit zu finden, „aber trotzdem arbeitslos blieben, im Laufe der Zeit depressiver wurden als solche, die sich von Anfang an weniger Hoffnungen gemacht hatten" Daraus folgerten die Autoren, daß eine realistische Einschätzung der eigenen (geringen) Chancen auf dem Arbeitsmarkt zwar kurzfristig problematisch sei, aber langfristig nicht ganz so negative Auswirkungen hat wie unrealistische, zerstörte Hoffnungen
Die geschilderten Versuche sind jedoch alles Modellversuche, die in kleinem Maßstab in einzelnen Städten durchgeführt wurden. Trotz erfolgreicher Anlaufzeit sind alle diese Versuche von Mittelkürzungen bedroht; Aussicht auf Weiterbewilligung oder gar Ausweitung besteht kaum. Auch hier wird also wieder versucht, die Bereitstellung hilfreicher und gezielter Unterstützungsmöglichkeiten für Erwerbslose einzusparen und zur herkömmlichen „Verwaltung" von Arbeitslosen zurückzukehren. Um dies zu verhindern, scheint mir u. a. die Bildung von Arbeitslosengruppen eine notwendige und hilfreiche Form der Organisierung Betroffener zu sein, auch im Sinne einer Interessenvertretung. Die Gruppe kann Möglichkeiten zur Selbsthilfe entwickeln, angefangen vom gemeinsamen Ausfüllen von Anträgen und Formularen bis hin zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten und neuen Arbeitsformen. Das Gefühl, „trotzdem" aktiv zu sein, sich und anderen Informationen zu beschaffen und sich gegebenenfalls zu unterstützen, stärkt das Durchhaltevermögen. Auch sollten die erwerbslosen Frauen mit ihren Forderungen an die Öffentlichkeit treten und sich nicht durch den Rückzug ins „Private“ quasi „unsichtbar" machen.