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Sozialdemokratisches Verfassungsverständnis zwischen Reichsgründung und Nationalsozialismus | APuZ 22/1980 | bpb.de

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APuZ 22/1980 Heinrich Brüning und das Scheitern der konservativen Alternative Sozialdemokratisches Verfassungsverständnis zwischen Reichsgründung und Nationalsozialismus Carl von Clausewitz und die Auswirkungen seiner Theorie vom Kriege Gedanken zur 200. Wiederkehr seines Geburtstages am 1. Juni 1980

Sozialdemokratisches Verfassungsverständnis zwischen Reichsgründung und Nationalsozialismus

Peter Steinbach

/ 36 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

„Freiheit oder Sozialismus" als Wahlparole einerseits, die Diskussion über die sogenannten „Berufsverbote" andererseits oder die Debatte über den sozialistisch-kollektivistischen Charakter der nationalsozialistischen Bewegung zielen darauf ab, die deutsche Sozialdemokratie als illiberale Partei darzustellen. Dagegen ist auf die breite Rezeption liberaldemokratischer Verfassungsvorstellungen durch die sozialdemokratischen Theoretiker zu verweisen. Begriff Lassalle Verfassungsfragen noch als Machtfragen, so zeichnete sich in der Konzeption der labilen Ruhelage, wie sie Marx vertrat, bereits ein positiveres Verfassungsverständnis ab. Unter dem Eindruck der Sozialistenverfolgung unter Bismarck wird der Schutzcharakter von Verfassungsbestimmungen unterschiedlich anerkannt. Neben Engels Konzeption einer Legalstrategie finden sich reformistische Verfassungsvorstellungen, vor allem aber Bernsteins Konzeption von der Sozialdemokratie als organisatorischem Liberalismus. Die Novemberrevolution ist vor dem Hintergrund der Verfassungsdiskussionen u. a. dadurch charakterisiert, daß sozialdemokratische Verfassungsrechtler Kernauffassungen liberaler Verfassungstheorie in den Entstehungsprozeß der neuen Verfassung zu integrieren trachteten. Als Hauptspannungsmoment stellte sich in der Folgezeit der Widerspruch von Verfassungsursprung und Verfassungsentwicklung dar. Er ist sowohl in den Verfassungskonzeptionen von Hilferding als auch in denen von Fraenkel zu greifen, prägt darüber hinaus aber auch die defensive Strategie der Sozialdemokratie gegenüber dem Nationalsozialismus. Sie findet ihren deutlichsten Ausdruck in der Rede von Otto Wels vom 23. März 1933, in der er die Grundlagen des Weimarer Verfassungssystems mit dem Doppelbegriff von „Freiheit und Sozialismus" verdeutlichte.

Dieser Beitrag ist Professor Georg Kotowski zum sechzigsten Geburtstag gewidmet.

Sozialdemokratische Verfassungsvorstellungen in der Kritik

Das sozialdemokratische Verfassungsverständnis ist seit einigen Jahren zum Gegenstand heftiger politischer Kontroversen geworden. Identifizieren die einen die SPD weitgehend mit der Praxis sogenannter Berufsverbote und Überprüfungen, so sehen die anderen in der sozialdemokratischen Regierungspolitik den Ausdruck eines stillen Verfassungswandels, der eine grundlegende Änderung des Systems anzeigen soll. „Freiheit oder Sozialismus“, lautete eine der polarisierenden Wahl-parolen. Außer der aktuellen Kritik an der SPD findet sich als dritter Strang der Auseinandersetzung die Bemühung von Rechtswissenschaftlern, die Planungsproblematik in die Verfassungsdiskussion einzubeziehen. Planung im Sinne einer Beeinflussung zukünftiger Lebensverhältnisse überschreitet vertraute Vorstellungen von Verfassung und Recht, transzendiert sie doch die Gegenwart. Der Planungsgesichtspunkt wird auf lange Sicht am nachhaltigsten die moderne Verfassungsdiskussion beeinflussen ohne daß er heute im Mittelpunkt einer Auseinandersetzung stände, die sich weitgehend in den Konflikten über Berufsverbote, Datenschutz, Überwachung und schließlich — besonders auf sei-Es handelt sich um den überarbeiteten Teilabdruck eines Essays, der demnächst vom Leske & Budrich Verlag, Opladen, veröffentlicht wird. ten der Opposition — des Systemwandels erschöpft. Diese Auseinandersetzung ist vor allem deshalb interessant, weil viele Kontroversen auf historische Beispiele verweisen. So werden die Berufsverbote mit der Praxis des Kaiser-reiches mit der Sozialistenverfolgung unter Bismarck, sogar mit der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis einer „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" verglichen. Die Opposition schließlich löste durch die Gleichsetzung von Nationalsozialisten und Sozialisten als „Kollektivisten" eine heftige Debatte aus. Allen Angriffen der Kritiker sozialdemokratischen Verfassungsverständnisses ist gemeinsam, daß sie die Sozialdemokratie an klassischen, liberaldemokratischen Verfassungsvorstellungen messen und unterstellen, diese seien verlassen, verraten oder zurückgedrängt worden.

Unser Beitrag versucht, durch eine Untersuchung unterschiedlicher sozialdemokratischer Verfassungskonzeptionen die aktuellen Kontroversen zu relativieren und verschiedene Verfassungsvorstellungen zu skizzieren, die einerseits historisch-politische Erfahrungen der deutschen Arbeiterbewegung spiegeln, andererseits aber durch eine unübersehbare Linie verbunden sind: Im Laufe ihrer Geschichte hat die Sozialdemokratie liberaldemokratische Verfassungsvorstellungen akzeptiert und integriert, so daß es nicht mehr erlaubt ist, sie als kollektivistische Bewegung einzuschätzen. Vielmehr kam es den sozialdemokratischen Verfassungstheoretikern zunehmend darauf an, die liberalen Grundrechte und Staatszweckbestimmungen in sozialstaatlicher Weise zu erweitern und damit im politischen und gesellschaftlichen Lebensbereich abzusichern.

Der hier skizzierte Weg einer Einbeziehung liberaldemokratischer Verfassungsvorstellungen in das sozialdemokratische Verfassungsverständnis war lang und immer wieder ab-hängig von den tagespolitischen Ereignissen. Sie können im folgenden nicht erschöpfend behandelt werden Vielmehr soll am Beispiel der bekanntesten sozialdemokratischen Theoretiker ein erster Zugang zu einem vernachlässigten Thema gesucht werden.

Verfassungsbegriffe

Die deutsche Sozialdemokratie galt im Bismarckreich als der wohl bedrohlichste „Reichsfeind"; sie erschien in der Endphase des Kaiserreichs als letzte Möglichkeit, neben dem militärischen auch den inneren Zusammenbruch zu verhindern, wurde bereits wenige Jahre nach der Gründung der Republik als Dolchstoßpartei diffamiert und bekannte sich dennoch angesichts von Weltwirtschaftskrise, Verfassungsbruch und nationalsozialistischer ‘Machtergreifung’ als einzige größere politische Kraft zu Demokratie und republikanischer Verfassung. Im Zuge ihrer Geschichte hatte sie sich von der angeblich verfassungsund staatsfeindlichen Partei zur Staatspartei, zum Bollwerk gegen den Nationalsozialismus, zur Verfassungspartei entwickelt. In allen Entwicklungsphasen hatte sie sich mit verschiedenen Verfassungsbegriffen auseinanderzusetzen, die zugleich das Verdikt der Staats-und Verfassungsfeindschaft bedingten.

Verfassung konnte im 19. Jahrhundert u. a. bedeuten: — die Verfassungsurkunde und damit den Aufbau der politischen Ordnung;

— die Rechtsordnung als Gesamtheit der verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze; — das Regierungssystem;

— die soziostrukturelle und politisch-kulturelle Gesamtverfassung, also die gemeinhin auf den Begriff der ‘Eigentumsordnung’ gebrachte gesellschaftliche Struktur.

Die letztgenannte Definition erweist sich für eine streng -verfassungsrechtliche Untersu chung in der Regel als unbrauchbar. Dennoch prägt sie nahezu ausnahmslos die politische Kontroverse über Verfassungstreue und Verfassungsfeindschaft: Sie bedarf geradezu zwingend der Gleichsetzung von Verfassung und Gesellschaftsstruktur, um eine systemreformierende Bestrebung als „systemüberwin-dend" zu qualifizieren und damit als „verfassungsfeindlich" zu diffamieren. „Verfassung" wird auf diese Weise zum Kampfbegriff, an dem sich politische Fronten ohne Kompromißmöglichkeit scheiden.

Die Verschwommenheit des Verfassungsbegriffs wirkte sich insbesonders im 19. Jahrhundert aus, das durch seinen Übergangscharakter bestimmt war. Zwischen aufgeklärtem Absolutismus und parlamentarischer Demokratie, zwischen Kleinstaaterei und Nationalstaat, zwischen ständischer Ordnung und Industriegesellschaft angesiedelt, konnten alle vorwärtsweisenden politischen Bewegungen — die zugleich Verfassungsbewegungen waren — als verfassungsfeindlich eingestuft und entsprechend verfolgt werden. Trotz der Sozialpolitik Bismarcks erhielt die SPD als Bewegung politischer und sozialer Emanzipation weiten Zulauf und entwickelte sich zu der Hauptherausforderung der Innenpolitik des Deutschen Reiches.

Wurde die Sozialdemokratie als Hauptfeind von Staat, Gesellschaft und Verfassung gebrandmarkt, so reflektierte sie unter dem Eindruck von Diskriminierung, Verfolgung und schließlich Unterdrückung die liberale Schutzfunktion kodifizierter Verfassungsnormen. Die liberale Verfassungstheorie versuchte zwei Grundprobleme des Verhältnisses von Individuum und Staat zu lösen:

— die Abgrenzung der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten und — die Voraussetzungen, Formen und Verbindlichkeiten von Herrschaftsübertragung und politischer Unterwerfung des einzelnen. Verfassung kanalisierte und kontrollierte damit politische Herrschaft und legitimierte sie zugleich; Verfassung zog damit eine Linie zwischen dem einzelnen und seinen Rechten und bezeichnete durch die Bestimmung von Staatszwecken zugleich den staatlichen Handlungsrahmen. Liberale Verfassungstheorie versuchte überdies innergesellschaftliche Zwangs-und Konfliktverhältnisse zu mildern: Der Schwache, der sich nicht selber helfen oder verteidigen konnte, sollte unter staatlichen Schutz gestellt werden. Seit Hobbes und Locke galt Verfassungsdenken als Vertrags-denken; insbesondere der deutsche Konstitutionalismus entsprach liberalem Vertragsden-ken In der Konstitution versinnbildlichte sich der alte Traum, Herrschaft und Freiheit in Einklang zu bringen, staatliches Zusammenleben und individuelle Entfaltung zu ermöglichen.

Das Sozialistengesetz als Bruch liberalen Verfassungsdenkens

Das gegen die Sozialdemokratie gerichtete Ausnahmegesetz des Jahres 1878 entlarvte den liberalen Anspruch einer verfassungsmäßig gesicherten Rechtsgleichheit und versinnbildlichte die Integration der ehemals liberalen Oppositionsbewegung in den deutschen Obrigkeitsstaat. Indem die Regierung vorgab, die politischen und sozialen Strukturen der Gesellschaft vor sozialdemokratischer „Begehrlichkeit", vor „rotem Terrorismus" und „Indoktrination" schützen zu wollen, setzte sie den größten Teil der sozialdemokratisch gesonnenen Bevölkerung einer staatlichen, aber auch alltäglichen Repression in Schule, Betrieb und Gemeinde aus Entlassungen von sozialdemokratischen Arbeitern, Wohnungskündigungen, Verweigerung von Armenhilfe und „schwarze Listen" der Unternehmer machten deutlich, daß die Furcht vor Revolution und „roter Gefahr" jedes Abwehrmittel zu erlauben schien. Besonders gravierend war jedoch, daß der preußisch-deutsche Obrigkeitsstaat die Sozialdemokratie als politische Bewegung in ihren einzelnen Anhängern verfolgte, indem er einzelne Grund-und Menschenrechte außer Kraft setzte. Er schien sogar die Entfesselung innergesellschaftlicher Konfliktlinien zu fördern, denn nahezu bei jeder Wahl und in jeder Reichstagsdebatte forderten seine Vertreter dazu auf, Sozialdemokraten zu verfolgen und zu unterdrücken, indem er auf ihre Gefährlichkeit für den Status quo verwies.

Viele Liberale, insbesondere auf der Rechten, vollzogen die Strategie des „inneren Kampf-kurses“ nach, überraschend ist angesichts dieser gesellschaftlichen Ächtung, daß die Sozialdemokratie nicht von liberalen Verfassungsvorstellungen abrückte, sondern sich um so mehr zu ihnen zu bekennen schien, je länger sie verfolgt wurde. Diese Entwicklung bedeutete zugleich eine Abkehr von Verfassungsvorstellungen, wie sie in einer ausgeprägt macht-und realpolitischen Färbung am Beispiel von Ferdinand Lassalle verdeutlicht werden können.

Lassalles Verfassungskonzeption

Tief verwurzelt im Zukunftsoptimismus der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts, machte sich Lassalle zum Sprachrohr sozialdemokratischen Fortschrittsglaubens. Verfassungsfragen waren für ihn „Machtfragen", die im Kampf der politischen Kräfte entschieden würden. Im Vertrauen auf die unabweisbare Demokratisierung als Folge des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts und die stetig steigende Zahl der Arbeiter meinte er, auf die verfahrensmäßige und rechtliche Absicherung der Handarbeiter verzichten zu können. Sein Fortschrittsglaube verstellte den Blick für die Notwendigkeit, die Macht des Staates zu binden. So wurde im Bekenntnis zur Freiheit versäumt, über die institutionelle Absicherung der Freiheit nachzudenken, weil die Entwicklung zur Freiheit als ein säkularer Entwicklungsprozeß erschien:

„Beschleun'gen könnt Ihr — könnt verhindern nicht, Gestalten könnt Ihr — könnt nicht unterdrükken, Nicht wenden, nicht verzögern das Notwend'ge, Das mit des Lebens Kraft zur Selbstentfaltung drängt!"

Die optimistische, im Einklang mit realpolitisch begründeten Erwartungen stehende Zukunftsgewißheit hatte kein Gespür für die Gefährdung menschlicher Freiheit durch staatliche und gesellschaftliche Übergriffe und lebte aus der Überzeugung, der demokratische Staat werde seinen Klassencharakter ablegen und versittlichend wirken. Für Lassalle war der Staat weniger eine Zwangsanstalt, sondern potentiell ein „Organ für alle" und Erziehungsinstrument des Menschengeschlechts zur Freiheit

Der Zukunftsstaat Lassalles war dennoch der Kontrast zum Obrigkeitsstaat, der als Ausdruck des Willens jeweils „herrschender Klassen in der Gesellschaft" erschien. Der Unterschied zwischen der Staatsauffassung von Marx und Lassalle scheint damit zu schwinden, denn bei beiden Theoretikern wird der Staat der Vergangenheit und Gegenwart zum Herrschaftsinstrument der ökonomisch führenden Klasse. Im Gegensatz zu Marx hat Lassalle jedoch keinen Sinn für die Schutzfunktion der Verfassung. In realpolitischer Zukunftsgewißheit legt er den weitestmöglichen Verfassungsbegriff zugrunde und macht die gesellschaftlichen Verhältnisse als letzte Begründung der Verfassungsstruktur namhaft. Das . Grundgesetz'ist für ihn kein Normgefüge, sondern „tätige Kraft, welche alle anderen Gesetze und rechtlichen Einrichtungen, die in diesem Lande erlassen werden, mit Notwendigkeit zu dem macht, was sie eben sind"

Die Verfassungsurkunde wird dabei zum Ausdruck sozialer Machtverhältnisse, im Zuge der sozialen Entwicklung unvermeidlich aber auch zum beliebig veränderbaren (oder gar zerreißbaren) „Fetzen Papier“, über welchen sich die „reale Verfassung" hinwegsetzt Der Wunsch, Verfassungsbestimmungen zu kodifizieren und zu sanktionieren, erscheint Lassalle gar als Versuch historisch untergehender Schichten, die Umsetzung realer Verfassungsentwicklungen in neue Verfassungsbestimmungen zu verhindern, damit aber ihre überholte gesellschaftliche Stellung zu zementieren. Fortschrittliche politische Bewegungen zielen hingegen nicht auf die Verfassungsurkunde, sondern auf die Beeinflussung der Exekutive und die Änderung sozialer Verhältnisse. Die Aufforderung, „sich um die Verfassung zu scharen", erscheint unter diesem Gesichtspunkt als Ausdruck soziopolitischer Status-angst

Lassalles Zukunftsoptimismus mochte in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, in der Zeit des preußischen Militär-und Verfassungskonflikts und der verbreiteten Erwartung einer Parlamentarisierung des Obrigkeitsstaates nach britischem Muster, verständlich erscheinen; bereits wenige Jahre später wurde die Leichtfertigkeit von Lassalles Argumentation jedoch deutlich. Die Ab-koppelung der Verfassungsnorm von ihrer Schutzfunktion für das Individuum wurde in der Zeit der Sozialistenverfolgung in voller Bedeutung erkannt; sie relativierte zugleich den Machtoptimismus Lassalles, der sich vor allem auf den Einfluß der . großen Zahlstützte.

Die Verfassungskonzeption von Marx

Auch Marx begriff den Gegenwartsstaat als Klasseninstrument zur Absicherung sozialer Macht und politischer Herrschaft Während Lassalle jedoch dem Zukunftsstaat eine versittlichende Qualität zuerkannte und damit zumindest tendenziell ein Gefühl für die Werthaftigkeit von Staats-und Verfassungsordnung begründete, orientierte sich Marx — und noch deutlicher die von ihm zunehmend stärker beeinflußte deutsche Sozialdemokratie — an der Utopie einer herrschaftsfreien Zukunftsgesellschaft, die keiner Verfassung bedürfe. Marx unterschied sich von Lassalle hinsichtlich der konkreten Verfassungsanalyse jedoch vor allem dadurch, daß er in Verfassungen nicht einen „Fetzen Papier“, sondern den Ausdruck einer labilen Ruhelage gleichstarker Klassenkräfte erblickte. Damit bereitete er ein „dialektisches Verfassungsverständnis“ vor, das sowohl die Gefährdung der Verfassungsordnung durch sozialdefensive Bestrebungen wie auch ihre Offenheit für vorwärtsschreitende emanzipatorische Entwicklungen berücksichtigte und in der deutschen Arbeiterbewegung vor allem in der Auflösungsphase der Weimarer Republik an Attraktivität gewann

Die Verfassungskonzeption von Marx und Engels ist bislang nicht systematisch untersucht und häufig allein im Zusammenhang der marxistischen Staatsanalyse abgehandelt worden. Am geschlossensten und unverkennbarum historisch-empirische Analyse bemüht hat Marx seinen Ansatz historisch-genetischer Verfassungsanalyse und Funktionsbestimmung in seiner Untersuchung der französischen Klassenkämpfe vorgetragen. Eine positive Bewertung liberaler Verfassungsvorstellungen findet sich dabei nicht, weil der klassenkampfbedingte Entwicklungsprozeß keiner Normierung bedurfte. Damit ähnelten sich die Verfassungskonzeptioneri von Marx und Lassalle in ihrer realpolitisch motivierten Zukunftsgewißheit Geschichte erschien als Bewegung und Folge von Klassenkämpfen, die stets die gegenwärtigen Verhältnisse veränderten und deshalb der status-quo-verpflichteten Verfassung nicht bedurften. Dennoch konnte die Kodifizierung einer Verfassung gesellschaftliche Entwicklungen — wenngleich nur für begrenzte Zeit — abschließen, auf „Ruhe“ stellen, bis ein erneuter Veränderungsprozeß einsetzte: „Verfassungen wurden früher gemacht oder angenommen, sobald der gesellschaftliche Umwälzungsprozeß an einem Ruhepunkt angelangt war, die neugebildeten Klassenverhältnisse sich gefestigt hatten und die ringenden Fraktionen der herrschenden Klasse zu einem Kompromiß flüchteten, der ihnen erlaubte, den Kampf unter sich fortzusetzen und gleichzeitig die ermattete Volksmasse von demselben auszuschließen."

Die Drohung einer weiteren gesellschaftlichen Veränderung ließ es als wünschenswert erscheinen, die bestehende Ordnung verfassungsmäßig zu fixieren. Erschien dieser Wunsch bei Lassalle noch als Ausdruck der Schwäche, so besaß Marx aufgrund seiner eigenen politischen Erfahrungen bereits ein Gespür für die Vorteile der Verfassung, die immerhin einen Zustand beschrieb, hinter den es nicht zurückzufallen galt. Er charakterisierte die Verfassung durch ihre Doppelfunktion: „Von den einen verlangt sie, daß sie von der politischen Emanzipation nicht zur sozialen fort-, von den anderen, daß sie von der sozialen Restauration nicht zur politischen zurückgehen.“

Dem Verständnis von der in der Verfassung zum Ausdruck kommenden gesellschaftlichen Ruhelage stand jedoch die bereits im Kommunistischen Manifest sichtbare Vorstellung des Staates als Instrument, . Assekuranz" und „idealer Gesamtkapitalist“ gegenüber; dieser Staat setze sich gegenüber politischen Kräften zur Wehr, welche die bürgerliche Gesellschaft in Frage stellten und bekämpften. Gerade die dabei zum Ausdruck kommende Unterdrükkung machte jedoch die Wichtigkeit der verfassungsmäßig sanktionierten Ruhelage für die Handlungs-und Existenzbedingungen der Arbeiterbewegung deutlich.

Besonders die liberale Verfassung mit Grundrechtskatalog, Rechtsschutz und Kodifizierung des Gleichheitspostulats sicherte der Sozialdemokratie über längere Zeit vergleichsweise weitgehende Artikulationsmöglichkeiten. Aus dem Bild der labilen Ruhelage eines Verfassungssystems konnte deshalb, langfristig gesehen, ein positives Verfassungsverständnis resultieren, welches sich der Gefahren eines verfassungslosen, allein durch Machtfragen bestimmten Zustandes bewußt war.

Verfassungsverständnis unter dem Einfluß des Sozialistengesetzes Alle sozialdemokratischen Verfassungskonzeptionen der Reichsgründungszeit vernach-lässigten die liberale Schutzfunktion der Verfassung. Vom „Nachtwächterstaat" schienen keine gesellschaftlichen Zwänge ausgehen zu können; Zwänge wurden vor allem auf die Art des gesellschaftlichen Produktionsprozesses zurückgeführt Wenn sich die Arbeiterbewegung auf liberale Vorstellungen bezog, dann vor allem, um den Liberalismus anzuklagen, der sich im Konflikt zwischen Freiheit und staatlicher Einheit für den Nationalstaat entschieden und wichtige Freiheitsideale verraten habe. Mit einer positiven Rezeption liberaldemokratischer Verfassungsvorstellungen hatte die Denunzierung des Liberalismus als einer inkonsequenten Bewegung des Bürgertums jedoch nichts gemein.

Obwohl die Sozialdemokratie bereits in der Gründungsphase des Deutschen Reiches als Feind von Staat und Gesellschaft erschien, wurde es ihr nicht verwehrt, auf dem politischen Massenmarkt um Wählerstimmen zu werben. Dies war gleichbedeutend mit einer Agitation der öffentlichen Meinung. In dem neugegründeten Reich erblickten die führenden Sozialdemokraten mit Marx einen „mit parlamentarischen Formen verbrämten, mit feudalem Beisatz vermischten und zugleich schon von der Bourgeoisie beeinflußten, bürokratisch gezimmerten, polizeilich gehüteten Militärdespotismus", mithin eine Art politischer Herrschaft, die noch nicht bürgerliche Klassenherrschaft war, jedoch Herrschaft im Interesse des Bürgertums zu sein schien. Die Agitation richtete sich weniger gegen den Staat als gegen die kapitalistische Gesellschaft, die überwunden werden sollte. Aus ihrer Zerstörung sollte eine Gesellschaft entstehen, die keiner „Repressionsgewalt“, keines Staates mithin, bedürfe Die Verteidigung der von der Arbeiterbewegung angegriffenen Gesellschaft kulminierte schließlich im „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" und verdeutlichte, daß der Verfassungszustand in der Tat äußerst labil war.

Die Erfahrungen von Verfolgung und Unterdrückung führten dazu, daß die macht-und realpolitische Einschätzung der Verfassung revidiert und das politische Heil nicht mehr allein in der Vorwegnahme und Erwartung klassenloser Gesellschaftsstrukturen erblickt wurde. Die Zeit des Sozialistengesetzes wird in der wissenschaftlichen Literatur nahezu ausschließlich unter dem Gesichtspunkt einer Durchsetzung marxistischer Vorstellungen betrachtet Unbestreitbar ist, daß die Vorstellung des Staates als Herrschaftsinstrument einer Klasse eindrucksvoll illustriert wurde. Dennoch erfaßt die These, die Sozialdemokratie habe sich unter dem Einfluß des Sozialistengesetzes dem Marxismus geöffnet, nicht die volle Wirklichkeit sozialdemokratischen Selbstverständnisses. Die Zeit des Sozialisten-gesetzes scheint vielmehr in der Arbeiterbewegung das Gespür für die Notwendigkeit institutioneller Absicherung politischer Freiheit gegenüber staatlichen Institutionen und gesellschaftlichen Gegnern stärker als bisher geweckt zu haben. Damit ging eine Öffnung der Sozialdemokratie gegenüber liberalen Verfassungsvorstellungen einher und zeitigte theoretische wie praktisch-politische Konsequenzen. Nach 1878 wurde klar: Wenn Verfassungsfragen allein Machtfragen sein sollten, konnte von Seiten der Sozialdemokratie der Ausnahmegesetzgebung keine normativ begründete, von den Vertretern der liberalen Verfassungsbewegung akzeptierte Kritik entgegengestellt werden. Der Ansatz Lassalles versagte sich einer normativen Begründung politischer Rechte und Freiheiten, lieferte er doch die Minderheit der jeweils mächtigeren Mehrheit aus; hingegen bot die Vorstellung von Marx einen wichtigen Ansatzpunkt, um die Normen der Verfassung gegenüber staatlichen und gesellschaftlichen Übergriffen zu verteidigen.

In den Augen wichtiger sozialdemokratischer Theoretiker stellte die Reichsgründung einen Klassenkompromiß dar, der im Zuge der Sozialistenverfolgung zurückgenommen zu werden drohte. Mochte Marx auch in seiner Kritik des Gothaer Programms die „vulgäre Demokratie" verspotten, die in der demokratischen Republik „das Tausendjährige Reich sieht und keine Ahnung davon hat, daß gerade in dieser letzten Staatsform der bürgerlichen Gesellschaft der Klassenkampf definitiv auszufechten ist" so war doch unverkennbar, daß der Klassenkampf vor allem „von oben“ geführt wurde. Das Proletariat erschien in den achtziger Jahren in keiner Weise als Sieger, sondern als eine unterdrückte Gruppe, die allen nur denkbaren Zwängen ausgesetzt war und im Zuge eines drohenden Staatsstreiches selbst das allgemeine Wahlrecht zu verlieren drohte In dem Bewußtsein, daß das Schlechte besser als das Schlechtere sei, stellte sich die Sozialdemokratie als eine Bewegung dar, die einen Rückfall hinter den einmal erreichten Kompromiß von 1871 zu verhindern bestrebt war. Aus der Einschätzung der Verfassung als Ausdruck eines momentan auf Ruhe gestellten labilen Klassengleichgewichts wurde eine Legalstrategie abgeleitet, die auf den Begriff der „Strategie der Gesetzlichkeit“ gebracht worden ist.

Die Verfassungskonzeption von Engels

Obwohl bereits kurz nach der Verhängung des Belagerungszustandes über Berlin 1878 die Parole ausgegeben wurde, an sozialdemokratischer „Gesetzlichkeit" sollten die Parteigegner „zu Grunde gehen", das Bewußtsein der Legal-strategie also vorhanden war, muß Friedrich Engels’ Beitrag zur sozialdemokratischen Verfassungstheorie vor allem in der Begründung und Entwicklung der „Legalstrategie" gesehen werden. Sie wurde vor allem nach dem Scheitern des Sozialistengesetzes formuliert und wird nicht selten als Kern von „Engels'Vermächtnis" verstanden Engels argumentierte dabei zunächst aus taktischen Motiven: „Wir, die . Revolutionäre', die . Umstürzler’, wir gedeihen weit besser bei den gesetzlichen Mitteln als bei den ungesetzlichen und dem Umsturz." Verwies er dabei auf den außerordentlichen Zulauf, den die Sozialdemokratie seit ihrer Verfolgung erhalten hatte, so war doch die Furcht vor einer Neuauflage der Repression unverkennbar. Staatsstreich „von oben" brauchte in der Tat nicht mehr allein die Zurücknahme von Verfassungszugeständnissen zu bedeuten, sondern ließ auch, wie wir heute wissen, die Verwendung gewaltsamer, bürgerkriegsähnlicher Methoden zu. So war es keineswegs ein Zeichen der Stärke, sondern auch Ausdruck von Furcht, wenn Engels vor Putsch und Straßenkampf warnte. Was half das Bewußtsein, über die Zukunft zu verfügen, wenn der Weg durch das vernichtende Feuer ging?

Das Sozialistengesetz wirkte, insgesamt gesehen, durchaus bändigend und besiegelte das Ende anarchistischer, terroristischer Praxis, die in der Sozialdemokratie unmittelbar nach dem Erlaß des Gesetzes eine recht hohe Anhängerzahl besaß Positiv förderte das Aus-nahmegesetz die Erkenntnis, daß der Staat zwar Klasseninstrument sei, daß seine Herrschaft im Verfassungsstaat aber nicht unbeschränkt war.

Reformistische Verfassungskonzeption

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Sozialistenverfolgung war die breiter werdende reformistische Praxis. Sie kam in einer unverkennbaren Bestrebung zum Ausdruck, die Existenzberechtigung unterschiedlicher, oft feindlich gesonnener, aber zuweilen auch koalitionsfähiger Klassen und Schichten anzuerkennen. Wenn mit den Worten Emst Fraenkels der Pluralismus die Theorie des Reformismus ist dann ist der Pluralismus unter dem Sozialistengesetz zunehmend mehr akzeptiert worden. Damit wurde zugleich die schutzspendende Funktion pluralistischer Verfassungsvorstellungen illustriert. Sie galten zunehmend weniger als abstraktes Postulat, sondern als Voraussetzung der sozialdemokratischen Bewegung und der menschenwürdigen Existenz ihrer Anhängerschaft. Am Ende des Sozialistengesetzesläßt sich also, so lautet meine These, eine Abkehr von der Verfassungsvorstellung Lassalles und eine Modifizierung der Marxschen Theorie des labilen Gleichgewichtes feststellen, die schließlich in eine zunächst stillschweigende, dann ausdrückliche Rezeption der liberalen Verfassungsfunktionen durch die Sozialdemokratie einmündete.

Georg von Vollmar, der profilierteste Vertreter des sozialdemokratischen Reformismus, gelangte dabei sogar zu einer Neubestimmung innergesellschaftlicher Konfliktlinien. Er strebte als Schlußfolgerung seiner Analyse der staatlichen Repression an, die verschiedenen Konfliktgruppen zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Existenzberechtigung zu veranlassen. Klassenkampf im Sinne von Marx wurde damit verworfen und der Versuch, außerhalb der Sozialdemokratie Bündnispartner zu gewinnen, deutlich ausgesprochen. Vollmar galten nicht alle Gegner als „böswillig", nicht alle gegnerischen Interessen als verwerflich, sondern in der „praktischen Tagespolitik“ zu berücksichtigen Wir wissen wenig über die aktuelle Begründung des Reformismus; es liegt jedoch die Vermutung nahe, daß neben den taktischen Erfordernissen — besonders im Hinblick auf die Reichstags-und Landtagswahlen — die Anerkennung gegnerischer Bevölkerungsgruppen Voraussetzung einer Respektierung der sozialdemokratischen Position war. Damit wurde auch die Schutzfunktion der Verfassung respektiert und in Süddeutschland schließlich sogar zu einer Richtschnur — neben anderen freilich — politischen Verhaltens gemacht. Mochte Engels die „juristische Weltanschauung“ als die „klassische Weltanschauung der Bourgeoisie" verspotten — der tagespolitische Kampf gegen Staatsstreichdrohung, Rechtsbeugung und strafrechtliche Repression bedurfte eines auch von den sozialdemokratischen Gegnern anerkannten Maßstabs.

Die Verfassungskonzeption Bernsteins

Mit Eduard Bernsteins Arbeiten kam in die sozialdemokratische Verfassungsdiskussion ein neues Argumentationsmuster infolge der offensiven und ausdrücklichen Einbeziehung liberaler Vorstellungen. Hatten Engels, und mit ihm Bebel, noch weitgehend aus der Defensive, aus der Furcht vor einer Neuauflage des Sozialistengesetzes argumentiert und war bei Vollmar die Bemühung um die gesellschaftliche Koexistenz sich feindlich gesonnener Klassen unverkennbar, so blieb es dem die englische Verfassungsentwicklung überschauenden Bernstein vorbehalten, liberale Verfassungsfunktionen in die sozialdemokratische Diskussion zu integrieren.

Bernstein löste sich zugleich von einer in der SPD verbreiteten Anklage des Liberalismus als einer inkonsequenten Verfassungsbewegung, sondern versuchte, das stets in der Arbeiterbewegung vorhandene „zwiespältige Verhältnis" zur liberalen Theorie zu klären Die klassischen liberalen Grundwerte — Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit — wurden in die Konzeption der sozialistischen Zukunftsgesellschaft übertragen. Sie galt nicht mehr allein durch die Abwesenheit von Herrschaft definiert, sondern hob in sich wesentliche Momente einer aufgeklärten Gesellschaft gleicher und mündiger Individuen auf. Auf diese Weise wurden auch die revolutionären Forderungen des 18. Jahrhunderts ernst genommen und nicht mehr allein denunziatorisch auf die Gegenwart bezogen, sondern, sofern sie erfüllt waren, als unverzichtbarer Faktor der Zukunftsgesellschaft begriffen. Bernsteins Vorstoß war zunächst eine Einzelaktion, die jedoch als die Spitze eines Eisberges, vielleicht sogar als die Initialzündung einer später breiten Rezeption liberaler Verfassungsvorstellungen anzusehen ist. Dabei verband er die von den Reformisten weniger artikulierten als praktizierten pluralistischen Grundüberzeugungen deutscher Reformisten mit der englischen pluralistischen Theorie und Praxis. Insbesondere die Äußerungen über „Demokratie und Sozialismus“ lassen ahnen, daß weite Teile der SPD nicht mehr bereit waren, Vorstellungen eines rechtlich entfesselten Klassenkampfs zu folgen, an dessen Ende eine „Verfassung der Straßenunruhen" (R. Luxemburg) stehen mußte, die keine allgemeinen Geltungsgründe beanspruchen konnte. Bernsteins Bemühung, das Verhältnis der SPD zum Staat und zu den Grundfreiheiten des Bürgers, aber auch zu einer als pluralistische Gesellschaft begriffenen Sozialstruktur zu bestimmen, wird besonders in einigen zentralen Passagen der heftig befehdeten Broschüre über die „Voraussetzungen des Sozialismus" deutlich. Er geht so weit, die Sozialdemokratie als „organisatorischen Liberalismus" zu definieren. Verwahrten sich die Vertreter des deutschen Konstitutionalismus gegen die Deutung der Demokratie als Klassenherrschaft des Proletariats, als numerisch begründete Herrschaft der großen Zahl über die Minderheit, so übersetzte Bernstein Demokratie als . Abwesenheit von Klassenherrschaft" und als Gesellschaftszustand, „wo keiner Klasse ein politisches Privilegium gegenüber der Gesamtheit zusteht". Die Mehrheitsherrschaft sollte ihre Grenze in der „Gleichberechtigung" finden. Demokratie, „gleichbedeutend mit dem höchstmöglichen Grad von Freiheit“, bot in diesem Sinne eine „fast unbedingte Sicherheit ..., daß die Mehrheit eines demokratischen Gemeinwesens kein Gesetz machen wird, das der persönlichen Freiheit dauernd Abbruch tut, da die Mehrheit von heute stets die Minderheit von morgen werden kann und jedes die Minderheiten bedrückende Gesetz die Mitglieder der zeitweiligen Mehrheit selbst bedrohen würde."

Akzeptierte man also die Vorstellung einer jeweils demokratisch legitimierten Herrschaft auf Zeit, so konnte es nicht mehr sinnvoll sein, in einer günstigen historischen Situation, der bekannten „List“ der Geschichte, die politischen Verhältnisse im Sinne einer proletarischen Diktatur zu verändern. Galt der Sozialismus dem „geistigen Gehalt" nach als „legitimer Erbe" des Liberalismus, so beinhaltete dies zugleich die Verpflichtung, die „staatsbürgerliche Freiheit" zu schützen. Keineswegs sollte sie der „Erfüllung irgendeines wirtschaftlichen Postulats" geopfert werden. Richtschnur sozialdemokratischen Handelns sollte statt dessen sein, „die Summe von Freiheit in der Gesellschaft (zu) erhöhen", mithin einem größeren Menschenkreis als bisher eine Vielzahl politischer und sozialer Freiheiten zugänglich zu machen.

Die „Mehrheitstyrannei", die Furcht der Liberalen und Konservativen des 19. Jahrhunderts, wurde auf diese Weise von der „Mehrheitsherrschaft der modernen Demokratie" unterschieden, die in den Bahnen einer allgemein akzeptierten Verfassung verlief. Im Vertrauen auf die aufklärende Wirkung sozialer Entwicklungen und politischer Agitation konnte Bernstein seine These vertreten, daß allein unter Berücksichtigung des unverfälschten Mehrheitswillens Demokratie das einzig legitime „Mittel zur Erkämpfung des Sozialismus“, aber auch die unbestrittene „Form der Verwirklichung des Sozialismus" sein könnte. Die demokratisch abgesicherte, den Grund-konsens der Gesellschaft berücksichtigende sozialdemokratische Veränderungsstrategie Bernsteins ließ sich nicht mehr unter den Begriff der proletarischen Diktatur fassen.

In der Verbindung von Demokratie und Sozialismus griff Bernstein auf klassisch-liberale Kategorien der Legitimation politischer Herrschaft und der Selbstverpflichtung der Staatsbürger zurück. Begriffen die liberalen . Theoretiker'die liberale Herrschaft nicht als Klassen-herrschaft, so betonte auch Bernstein, Demokratie sei „prinzipiell die Aufhebung der Klassenherrschaft", allerdings nicht die Nivellierung sozialer Klassenunterschiede. Politische Homogenität sollte durch die Rationalität des politischen Entscheidungsprozesses erreicht werden. Politische Ziele mußten unter Beachtung von Verfassungsbestimmungen zu realisieren sein, nicht aber durch Repression oder gar Gewalt. Eine derart praktizierte Veränderungsstrategie konnte nicht mehr als „sozialdemokratischer Terrorismus" abqualifiziert werden, sondern wurde zum Ausdruck allgemein anerkannter größter Gleichheit und höchster Freiheit. „Minderheitenschutz“, „Rechtsstaat", Individualrechte, ja selbst Regierungswechsel und Opposition wurden Gegenstand und Ziele sozialdemokratischen Verfassungsdenkens, das sich wie nie zuvor um die Frage bemühte, wie der demokratische Sozialismus unter Bewahrung liberaler Prämissen und damit einer bürgerlichen politischen Kultur verwirklicht werden könne. Wenn dabei den „staatsbürgerlichen Freiheiten" unzweideutig der Vorzug vor dogmatischen Zielverwirklichungen gegeben wurde, so drückte Bernstein eine zwar nicht unbestrittene, aber doch breite Parteimeinung aus, die in den Folgejahren in den Auseinandersetzungen mit dem linken, „revolutionären“ Parteiflügel an Schärfe gewann. Mit Bernstein nahm die deutsche Sozialdemokratie endgültig Abschied von der Vorstellung, die sozialistische Gesellschaft sei unter bestimmten Voraussetzungen und günstigen Gesamtkonstellationen gewaltsam, ohne demokratische Zustimmung, zu verwirklichen. Der Gedanke einer „Erziehungsdiktatur“ — in gewisser Weise noch in Lassalles Vorstellung einer Erziehung des Menschengeschlechts zur Freiheit nachweisbar — unterlag der Vorstellung, die Demokratie stelle die „Hochschule des Kompromisses" dar Damit tauchte in den Überlegungen zur politischen „Teilhabe am Gemeinwesen" eine weitere Fundamental-kategorie auf, die die weitere Entwicklung sozialdemokratischer Praxis entscheidend prägte.

Theorie und Praxis

Bernsteins Versuch, den politischen Liberalismus mit der sozialen Demokratie zu verbinden, stand zunächst in entschiedenem Gegensatz zur politischen Realität des 19. Jahrhunderts. Die Gegner der Sozialdemokratie hielten sich nur selten an die von Bernstein beschworenen Prämissen; der Staat begriff sich in seinen Organen mehr als Ordnungsfaktor denn als Instrument einer rational diskutierten Zielverwirklichung auf soziopolitischem Gebiet Bernsteins Beschwörungen erschienen somit fast als Beteuerungen guten Willens, angesichts deren die Gegner ihrer eigenen Glaubwürdigkeit verlustig gehen sollten. überall dort, wo Sozialdemokraten reale Mitwirkungsmöglichkeiten besaßen — etwa in Kommunen, den süddeutschen Bundesstaaten oder den Selbstverwaltungseinrichtungen der Krankenkassen —, praktizierten sie die von Bernstein entfaltete Theorie der Konfliktaustragung unter Wahrung der gesetzlichen Bestimmungen und der Rechte der Minderheiten. Unter dem Eindruck der preußischen Verfassungswirklichkeit brachen jedoch immer wieder die Gegensätze zwischen den Parteiflügeln auf und wurde Bernsteins Bekenntnis mit der Realität konfrontiert. Insbesondere die Parteitage spiegelten das innerparteiliche Ringen um Verfassungsverständnis und Verfassungspolitik wider. In den Auseinandersetzungen über den Staatssozialismus, den Revisionismus, die Budgetbewilligung, über Massenstreik und Wahlrechtsfrage überschnitten sich vielfach die innerparteilichen Fronten. Übereinstimmung herrschte allerdings in dem Willen, das einmal zugestandene Verfassungsrecht zu verteidigen. Gegen die Beseitigung von Koalitions-und Wahlrecht galt stets ein politischer Streik als das angemessene Abwehrmittel. Strittig war, ob der Massenstreik offensiv gegen das preußische Dreiklassenwahlrecht eingesetzt werden sollte. Wollte Rosa Luxemburg die „Machtfrage 11 stellen — hier durchaus Lassalle nahestehend —, so wollten Parteizentrum und Gewerkschaften nur defensiv den Generalstreik proklamieren. Sie orientierten sich damit eher an der Konzeption von Marx und waren bestrebt, die labile Ruhelage der Verfassung zu stabilisieren.

Die Einbeziehung der Arbeiterbewegung in den „Burgfrieden“ schien die Taktik gegenseitiger Anerkennung zunächst zu bestätigen. Möglicherweise handelte es sich bei der Bewilligung der Kriegskredite um einen schweren Fehler; die Entscheidung fiel jedoch im Hinblick auf die Stimmung der großen Bevölkerungsmehrheit, aus Furcht vor einem neuen Verbot der Partei und sicherlich auch in der Hoffnung auf die Reform des politisch-sozialen Systems nach dem kurzfristig erwarteten Sieg. Die SPD stellte nicht die Machtfrage, die einen nicht abzusehenden Ausgang haben konnte, sondern setzte auf eine unaufhaltsame Reformtendenz, die zunächst nicht von der Hand zu weisen war. Nur die Reform schien den breiten Konsens im Wandel sichern zu können. Erst im Laufe des Krieges, der die Parteispaltung brachte, wurde eine Diskussion über Prinzipien der Neuordnung entfacht. Ihre Grundziele wurden im „Vorwärts" auf die Generalformel gebracht: . Ausmerzung" alles dessen, „was Ausnahmegesetz ist, wie ein Ausnahmegesetz wirkt oder als ein Ausnahmegesetz gehandhabt wird" Damit ging es der Mehrheitssozialdemokratie vorrangig um die Verwirklichung größtmöglicher Gleichheit, um Wahlrecht und Parlamentarisierung und damit um die Verwirklichung liberaldemokratischer Verfassungsziele.

Das in der Abwehr von Ausnahmegesetzen zum Ausdruck kommende politische Ziel beeinflußte unbestreitbar die sozialdemokratische Haltung in der revolutionären Phase der Jahre 1918/19 um so mehr, als die Unterdrükkung der russischen Sozialdemokratie durch die Bolschewisten eine ernsthafte Furcht vor der KPD begründet hatte, die wir als mentale Voraussetzung sozialdemokratischer Revolutionspraxis ernster, als bisher geschehen, zu nehmen haben. Wenn sich die Sozialdemokratie seit Bernstein und dem Ausbruch des Weltkrieges immer wieder zu liberaldemokratischen Verfassungsvorstellungen und Gleichheitsprinzipien bekannte, konnte dies nicht bedeuten, die erste Gelegenheit zu nutzen, um von den kritisch gegen die wilhelminische Verfassungswirklichkeit gewendeten Formeln abzurücken. So erlag die Sozialdemokratie möglicherweise weniger den alten Gewalten vielmehr der po als den sich aus allgemeinen -

Situation ergebenden litischen Sachzwängen und ihrem Willen, eine demokratisch-republikanische Staats-und mit der empirisch überprüfbaren Bevölkerungsmehrheit zu verwirklichen.

Damit stellte sich zugleich die Aufgabe, mit anderen republikanischen Kräften, insbesondere des Liberalismus und des politischen Katholizismus, eine gemeinsame Handlungsbasis, einen „Kompromiß" zu finden. Entschluß zur Gemeinsamkeit war in weiten Zügen gewollt, nicht Ausdruck der Stärke von Zentrum und Liberalismus (DDP), und entsprang dem Willen, die wichtigen demokratisch-republikanischen Gruppen in den politischen Entscheidungsprozeß einzubeziehen. Handlungsbestimmend für die SPD war zunächst der Demokratisierungswille, weniger die Sozialisierungskonzeption. So läßt sich die Haltung der Sozialdemokratie in der Revolution von 1918 als Versuch interpretieren, die Axiome der Selbstbestimmung und Sicherung bürgerlicher Grundfreiheiten zum Inhalt sozialdemokratischer Verfassungspraxis zu machen. Keineswegs ist sie allein auf den Begriff des willig die bürgerliche Gesellschaftsordnung verteidigenden „Bluthundes“ (Noske) zu bringen. Vielmehr zeugt es im Grunde von demokratischer Substanz, wenn sich sozialdemokratische Verfassungspolitik durch den klaren Willen auszeichnete, liberale Legitimitätsmuster zu berücksichtigen und die Differenzierung der Staatsbürgerschaft in unterschiedliche politische Bewegungen zu beachten.

Die Grundorientierung der Sozialdemokratie auf liberaldemokratische Legitimationsmuster erklärt im weiteren ihren Willen, möglichst rasch eine verfassunggebende Versammlung wählen zu lassen. Erst Abstimmung der Bevölkerung über Prinzipien der staatlichen Ordnung, dann Gestaltung nachrevolutionärer Strukturen wurde zur Leitlinie politischer Praxis bis zur Wahl der Weimarer Nationalversammlung und macht auch die Reaktion Eberts auf die Ausrufung der Republik durch Scheidemann deutlich: „Du hast kein Recht, die Republik auszurufen! Was aus Deutschland wird, ob Republik oder was sonst, das entscheidet eine Konstituante.“

Die Bewertungsgeschichte der Novemberrevolution soll hier ausgespart werden, um so mehr, als jüngst Jesse und Köhler einen kritischen Überblick dazu vorgelegt haben Es soll hier allerdings noch einmal hervorgehoben werden, daß die häufig vorgebrachte Meinung, die Sozialdemokratie sei konzeptionslos in die Revolution von 1918 hineingeglitten, so nicht haltbar ist Vielmehr haben wir zu akzeptieren, und einflußreichen bei vielen Politikern, wie vor allem dem Juristen Landsberg, die Vorstellung handlungsbestimmend war, liberaldemokratische Verfassungsvorstellungen zu berücksichtigen. Die Sozialdemokratie habe nicht jahrelang für Verfassungsrechte gekämpft, um sie in der Entstehungsphase eines Volksstaates preiszugeben, betonte er in der Auseinandersetzung mit den Vertretern der linken USPD und bekannte sich zu Prinzipien der Gewaltenteilung wie der Volkssouveränität Dies bedeutete zwangsläufig die Ablehnung rätedemokratischer Vorstellungen.

Die realisierte Verfassungsvorstellung

Bei aller Kritik an der politischen Handlungsweise der Sozialdemokratie in der Revolutionsperiode der Jahre 1918 bis 1920 trifft die Verratsthese die MSPD somit am wenigsten, kann jedoch auch die Sachzwangthese, derzufolge es auf die Sicherstellung von Versorgung und Ordnung angekommen sei, nicht überzeugen. Die Sozialdemokratie ging mit der Vorstellung, die republikanische Ordnung auf breitester Basis anerkennen zu lassen, in die Wahlkämpfe der Jahre 1919 und 1920 hinein; sie versuchte unübersehbar, zu ihrer in Jahrzehnten entwickelten Verfassungsvorstellung zu stehen. Die Geschichte der Revolution stellt sich unter diesem Gesichtspunkt als der

Versuch dar, zwischen Obrigkeitsstaat und sozialistischer Demokratie, die zunächst gesicherte Verhältnisse schafft und diese anschließend zur Wahl stellt einen dritten Weg zu finden und zu sichern. Daß dieses liberaldemokratische

Experiment mit den schlimmsten Folgen scheiterte, kann nicht allein der Sozialdemokratie angelastet werden, sondern gehört in den Verantwortungsbereich der Verfassungs-und Republikfeinde der Weimarer Zeit Eine demokratische Partei kann nicht deshalb kritisiert werden, „weil sie ihre Legitimation durch freie Wahlen anstrebt" Otto Braun, der spätere preußische Ministerpräsident und Gegenkandidat des Reichspräsidenten Hindenburg, brachte diese Überzeugung frühzeitig auf den Begriff: „Der Sozialismus kann nicht auf Bajonetten und Maschinengewehren aufgerichtet werden. Soll er Dauer und Bestand haben, muß er auf demokratischem Wege verwirklicht werden."

Die Weimarer Reichsverfassung verwirklichte einen großen Teil sozialdemokratischer Pro-grammatik und Verfassungskonzeption. So wurde ein Grundrechtskatalog aufgenommen, der die liberale Vorstellung erweiterte und soziale Grundrechte aufführte. Die Verfassung spiegelte nicht nur Probleme staatlicher Organisation, sondern gab durch die Anerkennung der wichtigen sozialen Gruppierungen und Schichten dem von den Reformisten praktizierten sozialen Pluralismus deutlichen Ausdruck. Für Arbeiter, Beamte, Mittelstand waren Schutz-und Zielbestimmungen vorgesehen, die nicht nur Ausdruck des sozialen Charakters der „Kompromißverfassung" waren, sondern einen langfristig auf gesetzlichem Wege zu realisierenden Verfassungsauftrag formulierten.

Wegweisend war die Formulierung von Staatszielen. Sie integrierten in die Verfassung Aufgaben zukünftiger Gesetzgebung und staatlicher Ausgestaltung. Erschienen sie in der Situation des Jahres 1919 nur als Deklamation, so wurden sie später teilweise Realität und blieben auf verfassungsmäßige „Grundwerte" wie „Gerechtigkeit", „Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins" und die „wirtschaftliche Freiheit des einzelnen“ bezogen. Es war die Tragik der Weimarer Verfassung, daß die verfassungsimmanenten Grundwerte nicht zu einem Grundkonsens verdichtet wurden, sondern außerverfassungsmäßigen Wertvorstellungen, wie „Volk", „Rasse“, „Klasse" unterlagen. Die Republik entkam nicht den Belastungen, die sich vor allem auf der politischen antidemokratischen Rechten als pauschal diffamierende Schlagworte wiederfanden. Begriffe wie „Diktatfrieden“, „Dolchstoß", . Judenrepublik" und schließlich „Novemberverbrecher“ brachten die Vorbehalte auf eine polemische Ebene und bewirkten, daß die liberaldemokratische Republik zunehmend an der rückwärtsgewandten „Utopie“ des monarchischen Obrigkeitsstaates gemessen wurde. In einer Periode zunächst schamhafter, dann offener und zunehmend aggressiver werdenden Distanzierung von der Republik konnte sich ein fester „Willen zur Verfassung" nicht ausbilden. Die realisierte Verfassungsvorstellung wurde selbst auf Seiten der Sozialdemokratie zum Problem, hielt sie doch die Spannung zwischen Konzeption und Realität nicht aus und machte damit auf gravierende Defizite aufmerksam, die sich nicht zuletzt aus der 1919 noch möglichen weitgehenden Staatszielbestimmung ergaben.

Weimarer Verfassung zwischen Kritik und Verteidigung

Die Sozialdemokratie wurde mit der Weimarer Verfassung identifiziert, und sie mochte sich selber zuweilen schlechthin als „Staatspartei“ empfinden. Es war dabei jedoch ein Dilemma der demokratischen Arbeiterbewegung, zwischen der kommunistischen und der nationalistisch-aggressiven Verfassungskritik einen Handlungsspielraum zu schaffen, der die Verfassung zu verteidigen und zu kritisieren gestattete. Empfanden sich nicht wenige Parteimitglieder am Ziel einer Entwicklung zu republikanischer Demokratie und formaler Partizipation, so hegten andere erhebliche und berechtigte Wünsche hinsichtlich einer sozialstaatlichen Ausgestaltung der Republik. Insbesondere galt es, das in der Verfassung angelegte Spannungsverhältnis zwischen Eigentumsordnung und Sozialisierung zu bewältigen und die zentralen Verfassungsbestimmungen des Grundrechtsteils nicht allein als ein „Sammelsurium unvereinbarer politischer Wertentscheidungen" sondern als den wesentlichen Verfassungskern zu begreifen. Fast tragisch war jedoch die Überzeugung, die sozialdemokratischen Gegner seien auf eine verfassungstreue Position fixiert. Täuschte sich die Partei hier, so analysierte sie die Ursachen der verbreiteten Distanz zur Republik nur unzureichend. Bemerkenswert an der sozialdemokratischen Verfassungspolitik blieb, daß sie sich auf Prinzipien politischer Ordnung, nicht aber allein auf die Verfassung in ihrer konkret-gegenwärtigen Gestalt bezog. Immer wieder wurde auf die Entstehung der Verfassung, auf den Willen des Verfassungsgebers verwiesen. Indem die Verfassung an der historisch-politischen Entwicklung seit 1919 gemessen wurde, erschien die Verfassungsentwicklung durch die Entfernung von den Ursprüngen bestimmt. Angesichts der Erstarkung verfassungsfeindlicher und -distanzierter Kräfte mußte damit notwendig das Gespür für die Marxsche Vorstellung des labilen Verfassungsgleichgewichtes wachsen. Insbesondere bei sozialdemokratischen Arbeits-und Verfassungsrechtlern wuchs die Bereitschaft, die labile Ruhelage als eine werthafte Verfassungsordnung zu verteidigen. Zum Träger eines positiven Verfassungsverständnisses wurde vor allem das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold". Seit seiner Gründung hatte dieser Kampfbund Demokratisierung undRepublikanisierung gefordert und sich damit von einer allein auf den Status quo fixierten Verfassungstreue abgesetzt. So schwierig es ist, die Geschichte der Weimarer Republik nicht von ihrem Ende her zu interpretieren, so unbestreitbar ist es, daß in der Sozialdemokratie die Republik 1928 als konsolidiert galt. Die großen politischen Krisen waren überstanden, die bevorstehende Weltwirtschaftskrise noch nicht im ganzen Ausmaß überschaubar. Am 10. Jahrestag der Verfassung schrieb Otto Sinzheimer befriedigt: „Von denen, die damals in harter, pflichtbewußter Arbeit die Verfassung schufen, glaubten nur wenige, daß in verhältnismäßig so kurzer Zeit ein solcher Aufstieg möglich sei.“ Innerhalb der Sozialdemokratie war nicht einmal das Bekenntnis zur „Formaldemokratie" strittig. Formaldemokratische Gesichtspunkte hatten bereits die Konzeption von Bernstein bestimmt, drückten sich aber auch in den Debatten der Revolutionszeit aus. Sie standen für das sozialdemokratische Vertrauen in die Rationalität der Bevölkerung Freilich unterschieden vor allem linke Sozialdemokraten bewußt zwischen „Form" und „Inhalt" und spielten damit auf die Entwicklungsperspektive politischer Praxis an. „Weimar, und was dann?", fragten Jungsozialisten wie Kirchheimer und versuchten, den Blick nach vorn zu richten.

Auch Hilferding bemühte sich, Vorstellungen des Staatsrechtlers H. Heller vom Staat als einer „organisierten politischen Wirkungs-und Entscheidungseinheit" aufnehmend, um die Weiterentwicklung der sozialdemokratischen Verfassungskonzeption. Seine Vorstellungen bewegten sich um die Integration des Planungsproblems, welches die Struktur der Weimarer Reichsverfassung nahelegte, zugleich aber auch darum, Verfassungskritik und Verfassungsentwicklung unter gleichzeitiger Bewahrung des erreichten Zustandes zu ermöglichen. Damit verband er die auf der sozialdemokratischen Linken entwickelten Perspektiven mit der im Reichsbanner gepflegten Fixierung auf den Verfassungsursprung.

Hilferdings Verfassungskonzeption

„Die offizielle Politik der Sozialdemokratie in der Weimarer Republik war staatsbejahend, weil demokratiebejahend; sie wollte diesen Staat nutzen, als ihren Staat betrachten und schrittweise verwandeln.“ Was aber war der „Staat"? In seiner Kieler Parteitagsrede versuchte Hilferding eine Antwort zu geben, indem er ein Bild des Reformismus als der „Dialektik von politischer und sozialer Demokratie“ entwarf. Staat erschien hier nicht als Unterdrückungs-, sondern als Gestaltungsinstrument, als Möglichkeit einer „bewußten Einwirkung der Gesellschaft" Die wechselseitige Durchdringung von Wirtschaft und Staatsorganisation machte Hilferding zufolge die politische Beeinflussung sozioökonomischer Bereiche durch einen in seinem „sozialen Gehalt" gegenüber dem 19. Jahrhundert grundlegend veränderten Staat möglich.. Die Aktivitäten des Staates würden maßgeblich durch den als Klassenauseinandersetzung definierten Konflikt zwischen politischen Bewegungen bestimmt, ständen seit der Novemberrevolution allerdings unter dem Einfluß weitgehender Demokratisierung, die ein Ende politischer und sozialer Vorrechte bedeute. Mit Fundamentalsätzen der „bürgerlichen Demokratie“ solle dabei nicht gebrochen werden; vielmehr müsse sich der Kampf um den sozialen Gehalt der Republik in formaldemokratischen Bah-nen vollziehen, um so mehr, als die „Bildung des Staatswillens nichts anderes als die Komponente aus dem politischen Willen der einzelnen" sei

Stand Hilferding damit uneingeschränkt zu den Verfassungsvorstellungen Bernsteins, so befürwortete er andererseits und allein auf der Grundlage demokratischer und politisch-liberaler Mehrheitsbildung die gesellschaftsgestaltende Verfassungsfunktion, den Planungsauftrag einer werthaften, normativen Verfassungsordnung. In formaldemokratischem Wettbewerb habe die Arbeiterbewegung dabei aus dem Staat, der in der Folgezeit durch den Zwang zur staatlichen . Globalsteuerung'bis dahin ungeahnte Kompetenzen erhalten sollte, zum „besten politischen Instrument“ zu machen. In der hier niedergelegten Gestaltungsfunktion war zugleich die Verteidigung der republikanischen Verfassung aufgehoben. Sie wurde zum Symbol des Walls gegenüber republikfeindlichen Kräften.

Hilferdings Verfassungsvorstellung bezeichnet einen Abschluß sozialdemokratischen Verfassungsdenkens und integrierte alle bisher entwickelten Konzeptionen. Die Verteidigung einer gesellschaftlichen Ruhelage, die gegenüber der Vergangenheit einen unübersehbaren Fortschritt darstellte, aber auch ihre positive Überschreitung unter Formulierung der auf liberaldemokratischer Grundlage zu beantwortenden . Machtfrage', nicht zuletzt aber die legalstrategische Beachtung der politischen Verfassungsordnung lassen sich in dem für die moderne sozialdemokratische Verfassungsdiskussion zentralen Kieler Parteitagsreferat von Hilferding greifen.

Realität gegen Theorie

Hilferdings Handlungsperspektive erschien nach wenigen Monaten bereits als Vision in einer Phase politischer und sozialer Stabilität, die uns heute gar als eine „Inkubationszeit der Revolution von rechts“ erscheinen mag. Politisch bereitete die Rede Hilferdings den Regierungseintritt der SPD vor. Der beschworene Kompromißcharakter von Verfassung und Koalitionsvereinbarung grenzte jedoch die sozialdemokratischen Pläne ein und führte rasch dazu, daß sich Partei und Fraktion in der Oppositionsrolle wiederfanden. Aktive Verfassungspolitik als Gesellschaftsveränderung wurde damit unmöglich. Die SPD fand sich vielmehr in einer deutlichen Verteidigungsstellung gegenüber präsidialautokratischen Verfassungstendenzen. Der Zeitraum 1928/1930 markiert so den Umschlag sozialdemokratischer Verfassungspolitik. Erst seitdem wurde die aus der Marxschen Analyse zu ziehende Anweisung der rigorosen Verteidigung der Verfassung gegen eine Neuauflage des Sozialistengesetzes oder den Faschismus drängend. Aber hatte nicht die Betonung des Übergangscharakters der Verfassung den Sinn für die grundlegende Konsens-und Schutzfunktion der Reichsverfassung geschwächt? Oder reichte die formal strikte Verfassungsfixierung, die Legalstrategie um fast jeden Preis, nicht aus, um ein streitbares Verfassungsgefühl zu entwickeln?

Unbestreitbar ist, daß die Sozialdemokratie trotz ihres Antifaschismus'streng gesetzeskonform zu bleiben bemüht war. Sie besaß Theoretiker, die pluralistische und humanistische Wertgehalte der Weimarer Verfassungsordnung beschworen und auf diese Weise positive Verfassungsziele und -Vorstellungen formulierten. „Sozialer Rechtsstaat“, „kollektive Demokratie", Pluralismus und „Wehrhaftigkeit“ als Voraussetzung einer streitbaren Demokratie wurden zu Begriffen, welche die Stellung einer verfassungsbewußten Arbeiterbewegung zu ihrer Republik markieren sollten und gleichzeitig an den nahezu verlorenen Konsens appellierten.

Dennoch konnte der Untergang der Republik nicht aufgehalten werden. Die Mehrheit der Bevölkerung vermochte den Wert einer demokratischen Ordnung nicht mehr zu erkennen und orientierte sich an Ersatzwerten, die von den Republikfeinden definiert wurden. Sozialdemokratische Verfassungsvorstellungen zerbrachen an der sozialen Wirklichkeit.

Fraenkels Verfassungskonzeption

Besonders deutlich wird die Bedeutung einer ausgewogenen und offenen Verfassungsvorstellung in Fraenkels Konzeption der „dialektischen Demokratie" Sie sollte die „Verschiedenheit in der Klassenlage der Staatsangehörigen“ berücksichtigen, ohne sie zu „vertuschen". Wenn Politik dabei als Pendel gedacht wurde, bedeutete dies, gewisse Ausschläge und Abweichungen von einer Mittelli-nie hinzunehmen. Es kam nicht darauf an, Gegensätze aufzuheben, sondern es galt, sie durch einen rationalen politischen Diskussionsprozeß zu klären und abzuschwächen. Dabei kam der Vorstellung eines unstrittigen politischen Sektors große Bedeutung zu. Begriff Marx die liberaldemokratische Verfassung als labiles Gleichgewicht, so beschrieb Fraenkel sie durch ihre Tendenz, dem Pendel stabile Ruhelage anzustreben. eine mittlere Zugleich erblickte er im extremen Pendelausschlag der „autoritativen Demokratie" eine erhebliche Einengung des „unstrittigen" Verfassungsbereichs. Sie reduziere den „sozialen Kitt" der Verfassung infolge der Unterdrückung von Klassenauseinandersetzungen aus dem Glauben heraus, Klassengegensätze seien nicht nur verboten existent, wenn sie Insofern sollte würden. nach Fraenkel die autoritative Demokratie den Umschlag der Verfassungsordnung in eine Klassendiktatur anzeigen. Sie galt als un-wie antiparlamentarische und antipluralistische Staatsform.

Knapp drei Monate vor dem Umschlag der autoritativen Demokratie in die unverhüllte, totalitäre Diktatur bestimmte Fraenkel die Freiheitsrechte der Verfassung als unabdingbare Existenzvoraussetzung sozialdemokratischer Arbeiterbewegung, als Prämisse ihrer Praxis, und bekannte sich nachdrücklich dazu, den Wertehorizont der Verfassungsurkunde nicht preiszugeben. Eine über den juristischen Verfassungsschutz hinausgehende Verfassungspolitik war aber zu jener Zeit kaum mehr möglich. Die aktive Verteidigung von Verfassung, Demokratie und Republik fand bald eine Grenze in den realen Machtverhältnissen, die auch durch die Bekräftigung legalstrategischer Bekenntnisse mehr beschworen als in Frage gestellt wurden.

Untergang und Neuanfang

Am deutlichsten drückte Otto Wels das Verhältnis der Sozialdemokratie zur diffamierten und schließlich beseitigten republikanischen Verfassung aus. Er bekannte sich gegen die überwältigende Mehrheit der Reichstagsabgeordneten zu den in der Reichsverfassung angelegten Prinzipien von „Freiheit und Sozialismus" 43). Sie bildeten für die Weimarer Sozialdemokratie keinen Gegensatz undmachten in der über die Grenzen der Gegenwart hinaus-weisenden Zukunftsperspektive den Kern verfassungspolitischer Konstanz in einerfast ein-hundertjährigen Entwicklung aus. Die Rezep-

tion liberal-demokratischer Vorstellungen im Kaiserreich hatte sich in der Weimarer Republik zu einer insgesamt werthaft begründeten Verteidigung der Verfassungsordnung gewandelt, die zunehmend transitorische Vorstellungen, wie die Relativierung der Verfassung als „Meilenstein auf dem Weg zum Sozialismus", in den Hintergrund drängte

Insgesamt gesehen, ist nicht zu bestreiten, daß sich sozialdemokratische Verfassungsvorstellungen durch eine deutlich liberale Kontinuität auszeichneten, welche die Antithese von Freiheit und Sozialismus in bezug auf die Sozialdemokratie mehr als problematisch macht.

und Bernsteins Verarbeitung Überwindung von Iassalleanischen und marxistischen historisch-politischen und Verfassungsanalysen ihre Verbindung mit den aus der Kritik von Verfolgung und Ausnahmegesetz entwickelten Elementen liberaler Schutzfunktionen der Verfassung erweist, daß die Sozialdemokratie ihre im Kaiserreich entwickelten Funktionsbestimmungen von Staat und Verfassung in der Phase der Novemberrevolution kontrolliert umsetzte und als Weimarer „Reichsgründungspartei“ ihre Schöpfung verteidigte. Die Verschiedenheit sozialdemokratischer Ansätze einer Verfassungsbewertung trat zunehmend gegenüber dem „Willen zur Verfassung" zurück, die Verfahren festlegte, Schutz spendete und Freiheit garantieren sollte, aber auch die Gesetzlichkeit des Verhaltens forderte. Es war innerhalb der sozialdemokratischen Emigration ein schwieriger Klärungsprozeß, von der ursprünglichen Selbstkritik an dem Verhalten während der Novemberrevolution zu einer Bekräftigung des pluralistischen Verfassungsverständnisses zu gelangen, welches sich dann in der Kriegszeit auch in Programm-und Verfassungsentwürfen niederschlug. Dabei ging es der sozialdemokratischen Verfassungstheorie in der Regel um die Fortsetzung und Verwirklichung liberaler Ansätze.

Der Planungsgesichtspunkt, der in der Weimarer Republik die Bemühungen von Hilferding und Hermann Heller beeinflußt hat, rückte im Zuge der sozialdemokratischen Regierungsverantwortung unvermeidlich stärker in den Vordergrund. Vor allem Horst Ehmke knüpfte dabei an die liberaldemokratisch beeinflußte Staats-und Verfassungstheorie der Weimarer Sozialdemokratie an. Mit ihr wird Staat nicht mehr als ein eigenständiges oder gruppenabhängiges Herrschaftsinstrument begriffen, sondern als ein verfassungsmäßig „strukturierter menschlicher Verband", der ein Teil einer umfassenden politisch-bürgerlichen Gesellschaft ist

Wenn Ehmke betont, es gelte, die „bürgerlichen Grund-und Freiheitsrechte unserer Verfassung für die breiten Schichten unseres Volkes überhaupt erst soziale Wirklichkeit werden zu lassen", so akzeptiert er die Aufgabe, im Rahmen einer formaldemokratisch zu sichernden pluralen Ordnung eine „materiale Demokratietheorie" ernst zu nehmen — dies allein unter Beachtung liberaldemokratischer Zielvorstellungen, denen die Sozialdemokratie einen wesentlichen Teil ihrer historischen und theoretischen Kontinuität verdankt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. So heißt es im Zwischenbericht der Enqute-Kommission des Deutschen Bundestages („Fragen der Verfassungsreform", in: Zur Sache 1/73, Bonn 1973, S. 76): „Planung staatlicher Aufgaben ist nicht etwas an sich Neues ... Sie hat jedoch, bedingt durch die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung, insbesondere durch den Übergang zum Sozialstaat, eine erhebliche Ausdehnung sowohl nach ihren Gegenständen wie nach ihrer Intensität und wechselen Einwirkung aufeinander erfahren und da-eine neue Dimension angenommen. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, daß die Planung nicht mehr nur eine Vorbereitung politischer Entscheidungen darstellt, sondern den Charakter einer Vor-Verfügung (Hervorh. v. Verf.) über politische Entscheidungen ... gewinnt. Die Entscheidungsstationen verlagern sich, sie gehen — stufenweise — in den Planungsprozeß selbst ein.“

  2. Besonders bekannt ist das Berufsverbot für den Berliner Privatdozenten Leo Arons, das die Gestalt eines Ausnahmegesetzes, der Lex Arons, annahm.

  3. Ich verweise hier auf eine geplante Untersuchung sozialdemokratischen Verfassungsverständnisses und vor allem der Verfassungspolitik der SPD-, P. Steinbach, Sozialdemokratie und Verfassungsordnung: Eine Replik auf eine griffige Wahlkampfparole, in: Recht und Politik 4/79, S. 196ff.; ders., Freiheit oder Sozialismus? Zur Rezeption liberaler Verfassungsvorstellungen durch die Sozialdemokratie (demnächst.)

  4. Vgl. zum Verfassungsbegriff des 19. Jahrhunderts in Theorie und Realität: E. W. Böckenförde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert, Berlin 1961; ders. (Hg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte 1815— 1918, Köln 1972, bes. S. 13ff. Sehr instruktiv ferner M. Friedrich (Hg.), Verfassung: Beiträge zur Verfassungstheorie, Darmstadt 1978; P. Häberle (Hg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, Darmstadt 1976.

  5. VgL allg. H. Brandt, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz, Neuwied u. Berlin 1968; H. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, Düsseldorf 1975.

  6. P. Kampffmeyer und B. Altmann, Vor dem Sozialistengesetz: Krisenjahre des Obrigkeitsstaates, Berlin 1928; P. Kampffmeyer, Unter dem Sozialistengesetz, Berlin 1928.

  7. F. Lassalle, Franz von Sickingen, in: Gesammelte Reden und Schriften Bd. 2, Berlin 1919, S. 242.

  8. F. Lassalle, Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen, in: ders., Reden und Schriften, hg. v. F. Jenaczek, München 1970, S. 346.

  9. F. Lassalle, über Verfassungswesen, in: ebd., S. 65.

  10. „... so oft Sie, gleichviel wo und wann, sehen, daß eine Partei auftritt, welche zu ihrem Feldgeschrei den Angstruf macht, sich um die Verfassung zu scharenf, was werden Sie hieraus schließen können? ... Sie werden sich, ohne Propheten zu sein, in einem solchen Falle immer mit größter Sicherheit sagen können: diese Verfassung liegt in ihren letzten Zügen; sie ist schon so gut wie tot“ Ebd., S. 85f.

  11. Vgl. E. Fraenkel, Um die Verfassung, 1932, jetzt gut zugänglich in W. Luthardt (Hg.), Sozialdemokratische Arbeiterbewegung und Weimarer Republik, Bd. 2, Frankfurt/M. 1978, S. 41 ff.

  12. K Marx, Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850, in: Marx-Engels Werke (= MEW) 7, Berlin (O) 1971, S. 41.

  13. Ebd., S. 43.

  14. A Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Berlin (O) 1964, S. 482. Bebel bezog sich in seiner Zukunftsvision wörtlich auf Engels Auseinandersetzung mit Eugen Dühmig.

  15. Vgl. zum Forschungsstand H. -J. Steinberg, Sozialismus und deutsche Sozialdemokratie, Bonn-Bad Godesberg 19722.

  16. K. Marx, Kritik des Gothaer Programms, in: MEW 19, Berlin (O) 1972, S. 29.

  17. M. Stürmer, Staatsstreichgedanken im Bismarck-reich, in: Historische Zeitschrift (= HZ) 209, 1969, S. 566— 615.

  18. F. Engels, Einleitung zu Karl Marx’ „Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850" (1895), in MEW 39, S. 509ff.

  19. Dies zeigt sichvor allem in der Unsicherheit hinsichtlich des Wahlausgangs im Jahre 1881. Vereinzelt schätzten sozialdemokratische Politiker den Anteil der Sympathisanten des Anarchismus auf etwa ein Drittel der Anhängerschaft.

  20. E. Fraenkel, Anstatt einer Vorrede, in: ders., Reformismus und Pluralismus, Hamburg 1973, S. 13.

  21. G. v. Vollmar, Rede, gehalten in der Rechenschaftsversammlung des Wahlvereins am 6. Juli 1891 im Eldorado zu München, zit nach P. Friede-mann (Hg.), Materialien zum politischen Richtungsstreit in der deutschen Sozialdemokratie 1890-— 1917, Bd. l, Frankfurt/M. 1977, S. 83f.

  22. F. Engels, Juristen-Sozialismus, in: MEW 21, S. 492f.

  23. Th. Meyer, Grundwerte und Wissenschaft im Demokratischen Sozialismus, Berlin—Bonn 1978,S. 24.

  24. E. Bernstein, Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie, Reinbek 1969, S. 147ff.

  25. Ebda., S. 153.

  26. Ebda., S. 155.

  27. Ph. Scheidemann, Zur Neuorientierung der inneren Politik, in: F. Thimme u. C. Legien (Hg.), Die Arbeiterschaft im neuen Deutschland, Leipzig 1915, S. 60.

  28. G. Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Bd. 2, Dresden 1928, S. 313 f.

  29. E. Jesse u. H. Köhler, Die deutsche Revolution 1918/19 im Wandel der historischen Forschung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 45/78, S. 3— 23. Vgl. aber bereits die Untersuchungen von G. A Ritter, zuletzt: G. A Ritter, Die sozialistischen Parteien in Deutschland zwischen Kaiserreich und Republik, in: W. Pöls (Hg.), Staat und Gesellschaft im politischen Wandel. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt, Stuttgart 1979, S. 100— 155, besonders S. 104 f.

  30. Vgl. jetzt den vorzüglichen Überblick bei S. Miller, Die Bürde der Macht: Die deutsche Sozialdemokratie 1918— 1920, Düsseldorf 1978.

  31. Dies war vor allem die Vorstellung einiger Vertreter der USPD.

  32. G. Kotowski (Hg.), Historisches Lesebuch, Bd. 3: 1914— 1933, Frankfurt/M. 1968, S. 17.

  33. Vorwärts 46 v. 15. 2. 1918.

  34. K. Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, in: Friedrich (Hg.), Verfassung (Anm. 4), S. 86.

  35. F. L. Neumann, Die soziale Bedeutung der Grundrechte in der Weimarer Verfassung (1930), in: ders., Wirtschaft, Staat, Demokratie: Aufsätze 1930 bis 1954, Frankfurt/M. 1978, S. 57.

  36. H. Sinzheimer u. E. Fraenkel, Die Justiz in der Weimarer Republik: Eine Chronik, hg. v. Th. Ramm, Neuwied-Berlin 1968, S. 187.

  37. „Diese Formaldemokratie gibt der Masse des Volkes ... die politische Gewalt in dje Hand in Gemeinde, Staat und Reich, vorausgesetzt, daß diese arbeitende Masse in sich einig ist, daß sie politisch erzogen ist, daß sie das Instrument richtig benutzt, was sie in die Hand bekommen hat.“ David, in: Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Weimar 1919, Berlin 1919, S. 375.

  38. R. Löwenthal, Sozialdemokratie und Staat, in: Recht und Politik 14, 1978, H. 3, S. 115.

  39. R. Hilferding, Die Aufgaben der Sozialdemokratie in der Republik (1927), jetzt leicht zugänglich in Luthardt (Hg.), Sozialdemokratische Arbeiterbewegung (Anm. 11), Bd. 1, S. 369— 393.

  40. Hier wird die Beziehung zwischen der Verfassungsanalyse der Weimarer SPD und der Pluralismustheorie E. Fraenkels sehr deutlich. Vgl. zum Gesamtzusammenhang die umfassende Darstellung von H. Kremendahl, Pluralismustheorie in Deutschland, Wuppertal 1977.

  41. K. Rohe, Das Reichsbanner Schwarz Rot Gold, Düsseldorf 1966, S. 325ff. u. ö. Vgl. ferner H. -P. Ehni, Bollwerk Preußen? Preußen-Regierung, Reich-Länder-Problem und Sozialdemokratie 1928— 1932, Bonn-Bad Godesberg, 1975.

  42. Fraenkel, Um die Verfassung (Anm. 11), S. 46 ff.

  43. R. Aris, Krisis der Verfassung (1932), zit. n. Luthardt, Sozialdemokratische Arbeiterbewegung (Anm. 11), Bd. 2, S. 17. Zum Gesamtzusammenhang jetzt W. Luthardt, Sozialdemokratie und Legalstrategie: Überlegungen zu ihrem Verhältnis in der Weimarer Republik, in: J. Bergmann, K. Megerle u. P. Steinbach (Hgg), Geschichte als Politische Wissenschaft, Stuttgart 1979, S. 142ff.

  44. Dieser Begriff stammt von dem linksliberalen Publizisten Th. Wolff. Vgl. aber auch die Bemerkung von Koch-Weser, die Sozialdemokraten „von heute“ seien „die Nationalliberalen von 1871" (21. 2. 1919), zit. n. H. Schulze, Otto Braun und Preußens demokratische Sendung, Berlin 1977, S. 239.

  45. H. Ehmke, Demokratischer Sozialismus und demokratischer Staat, in: G. Lührs (Hg.), Beiträge zur Theoriediskussion Bd. 2, Berlin—Bonn 1974, S. 87ff. Zu Heller vgl.dessen . Gesammelte Schriften’, hg. v. M. Draht u. a., Leiden 1971.

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Peter Steinbach, Dr. phil, geb. 16. 4. 1948. Studium der Geschichte, Politikwissenschaft, Philosophie und Pädagogik in Marburg; Promotion 1973 in Geschichte, Habilitation 1978/79 an der FU Berlin; Privatdozent für Neuere Geschichte und Politikwissenschaft, Assistenzprofessor am Fachbereich Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin, z. Zt Lehrstuhlvertretung von Prof. Dr. Otto Büsch/Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Industrialisierung und Sozialsystem im Fürstentum Lippe, Berlin 1976; Herausgeber von W. H. Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft, Frankfurt/M. u. a. 1976 (Ullstein-Taschenbuch); Mitverfasser von . Probleme der Modernisierung in Deutschland', Opladen 1978; Mitherausgeber von . Geschichte als Politische Wissenschaft’, Stuttgart 1979, demn. Wahlen und Wahlkämpfe im deutschen Kaiserreich 1865— 1881 (Habil. -Schr.).