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Konflikte und Konfliktbewältigung in der politischen Bildung | APuZ 15/1980 | bpb.de

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APuZ 15/1980 Artikel 1 Politischer Unterricht im Sinne des Grundgesetzes Wider die rechtsverbindliche Festlegung von Lernzielen Konflikte und Konfliktbewältigung in der politischen Bildung Der Beitrag der Erdkunde zur politischen Bildung

Konflikte und Konfliktbewältigung in der politischen Bildung

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Zusammenfassung

Die zunehmende Betonung des Konfliktansatzes in der politischen Bildung führte Anfang der siebziger Jahre zu einer konservativen Gegenbewegung („Tendenzwende"). Die Thesen „Mut zur Erziehung" betonen im Gegensatz zur „Konflikt-und Emanzipationspädagogik“ eine traditionelle Gewissensbildung und Tugendlehre. Eine tiefe Verunsicherung ist durch dieses konfliktorientierte/restaurative Wechselbad bei Lehrern, Studenten und Schülern eingetreten. Im vorliegenden Aufsatz geht es um eine NeuorientierungXtei der Behandlung von Konflikten in der politischen Bildung und dem Versuch ihrer Bewältigung. Eindimensionale Konflikt- und Emanzipationskonzepte werden als ebenso realitätsfern dargestellt wie harmonisierendes und problemverharmlosendes Ordnungsdenken. Konflikte werden vielmehr im Zusammenhang mit Integrationsmechanismen gesehen; zwischen Konflikten und Integration bestehen wechselseitige Bezugsverhältnisse. Lernprozesse in der politischen Bildung sollen dazu befähigen, die vielfältigen und sich wandelnden Bezüge von Konflikten und Integration aufeinander abzustimmen. Konfliktbewältigung in der politischen Bildung schließt demnach ein, daß Konflikte nicht notwendigerweise in dem ursprünglich beabsichtigten Sinn geregelt oder gelöst werden können. Statt dessen müssen durch politisches und soziales Lernen Fähigkeiten entwickelt werden, durch Konfliktregelungsstrategien Wandlungserscheinungen in der Gesellschaft wie im persönlichen Leben so zu beeinflussen, daß bestehende Konflikte an Intensität verlieren und langfristig möglichst aufgehoben werden können. Diese Art der Konfliktbewältigung setzt die Fähigkeit zu alternativem Denken voraus, das weder in der vordergründigen Realität befangen bleibt, noch sich in perspektivlosen Utopien verliert. Es erscheint dem Autor wichtig, daß insbesondere unter den Bedingungen neuartiger und gravierender Jugendprobleme in einer rasch sich ändernden Umwelt die politische Bildung mit einem entsprechenden Konzept der Konfliktbewältigung ihren dringend erwarteten Beitrag leistet.

I. Bilanz konflikttheoretischer Ansätze in der politischen Bildung

Konflikte sind alltäglich und allgegenwärtig. Sie begegnen uns in vergleichsweise harmlosen Streitigkeiten zwischen spielenden Kindern ebenso wie in todbringenden Gewaltaktionen des Krieges. Unterschiedliche Arten der Behandlung von Konflikten in der politischen Bildung haben tiefgreifende Konflikte in der politischen Bildung selbst hervorgerufen. Es bestehen Konflikte zwischen unterschiedlichen didaktisch-politischen Konzeptionen — „Konflikt" ist zu einem Reizwort in der politischen Bildung geworden. Die damit einhergehende Verunsicherung von Lehrern, Studenten und Schülern hat ein Ausmaß angenommen, das es geboten erscheinen läßt, sich mit dieser grundlegenden Thematik zu befassen. Am Anfang steht daher eine knappe Bilanz:

Die sechziger Jahre (insbesondere deren zweite Hälfte) brachten eine zunehmende Betonung des Konfliktansatzes in der politischen Bildung. Partnerschafts-und Harmoniemodellen wurden Konflikt-und Emanzipationsmodelle entgegengestellt Sozialwissenschaftlich zugrunde gelegt wurden die liberale Konflikttheorie Ralf Dahrendorfs und die kritisch-emanzipatorische Theorie der „Frankfurter Schule“ Für Dahrendorf galt es, „in Konflikten das fruchtbare und schöpferische Prinzip zu erkennen“ Jenseits des Realitätsprinzips" erschien Herbert Marcuse „die fortge-setzte unterdrückende Organisation der Triebe weniger durch den . Kampf ums Dasein'erzwungen, als durch ein Interesse an der Verlängerung dieses Kampfes — ein Interesse der Herrschaft.“

Die meisten Auseinandersetzungen unterschiedlicher politisch-didaktischer Konzeptionen reduzierten daraufhin ihren Erkenntnis-horizont auf Konflikt-und Emanzipationskonzepte oder harmonisierendes und problemverharmlosendes Ordnungsdenken. Tatsächlich handelt es sich dabei um zwei Extremformen der Behandlung von Konflikten in der politischen Bildung Die Realität von Konfliktsituationen und ihre Behandlung im Unterricht kam dabei immer wieder zu kurz.

Die „Tendenzwende“ in der ersten Hälfte der siebziger Jahre war eine Konsequenz des zunehmenden Konfliktpotentials in der Gesellschaft Erscheinungen des Extremismus und Radikalismus, hervorgegangen aus der Protestbewegung der „Neuen Linken", lieferten Rechtfertigungsargumente für konservative Gegenmaßnahmen. Deren Initiatoren hatten ohnehin von jeher einem sozialliberalen Demokratieverständnis und einer emanzipatorischen Veränderung der Gesellschaft skeptisch bis ablehnend gegenübergestanden Die Hessischen Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre und die Richtlinien für den politischen Unterricht in Nordrhein-Westfalen führten zu einem weitreichenden politischen Tendenzumschwung, der auch in der politischen Bildung einen starken Niederschlag fand. Zum Ausdruck kam dies — in dem Protest der hessischen Elternvereine gegen die Rahmenrichtlinien;

— in einer Reihe von einseitig konservativ inspirierten Gutachten zu Rahmenrichtlinien und Schulbüchern für den politischen Unterricht; — in der verstärkten Ablehnung von Schulbüchern, die ihrem Inhalt nach die Schüler zur Kritikfähigkeit erziehen wollten;

— in einem offiziösen Gegenkonzept zu konfliktorientierten und kritischen Ansätzen in der politischen Bildung

— in den Thesen „Mut zur Erziehung" die eine Richtungsänderung im Sinne normativontologischer Gewissensbildung und Tugend-lehre anstreben.

Verzerrungen und Überspitzungen, Eindimensionalität und Realitätsferne, die teilweise im Gefolge der „Konflikt-und Emanzipationspädagogik" auftraten, bewirkten entsprechende konservative Reaktionen.

Eine tiefe Verunsicherung ist durch dieses konfliktorientierte/restaurative Wechselbad eingetreten. Die Auswirkungen halten unvermindert an. Betroffen sind davon Lehrer, Studenten und Schüler sowie der gesamte Bereich der politischen Bildung. Lehrer fragen skeptisch:

Wieweit dürfen wir bei der Behandlung von Konflikten im Unterricht überhaupt gehen? Wie sollen wir uns im Unterricht mit dem Terrorismus auseinandersetzen, wenn wir nicht wagen, die eine oder andere uns wichtig erscheinende Quelle den Schülern zu Interpretation und Diskussion zugänglich zu machen? Wie können wir die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik behandeln, wenn Probleme der Energie-versorgung (Kernkraftwerke) und Analysen über die Folgen des weiteren quantitativen wirtschaftlichen Wachstums notwendigerweise zu einer kritischen Auseinandersetzung mit bestehenden Zuständen in der Bundesrepublik führen?

Wie sollen wir das politische System der Bundesrepublik zutreffend behandeln, wenn wir nicht wissen, wieweit wir die Rolle der Parteien, die Politik von Regierung, Opposition und Verwaltung, den Funktionsverlust der Parlamente und die Anstöße von Bürgerinitiativen kritisch und konfliktangemessen behandeln dürfen?

Wie sollen wir den Schülern Kenntnisse über den Nahost-Konflikt vermitteln, wenn wir nicht wagen, zentrale Konfliktelemente zwischen Israelis und Palästinensern offen zu diskutieren, um nicht in den Verdacht zu geraten, PLO-Sympathisanten zu sein?

Wie sollen wir die Rolle der Weltmächte USA und UdSSR im Mittelost-Konflikt (Iran, Afghanistan) realistisch darstellen, wenn wir unsicher sind über den Bonus, den wir der amerikanischen Politik als verbündeter Macht einräumen sollen, während wir die UdSSR vorwiegend in der Perspektive einer imperialistisch-aggressiven Supermacht sehen?

Wie sollen wir zutreffend das Verhältnis von Bundesrepublik und DDR bestimmen, wenn in einem Beschluß der Kultusministerkonferenz ein Vergleich der beiden deutschen Staaten gefordert wird, der die Bewertung der DDR ausschließlich dem Wertmaßstab des Grundgesetzes unterwirft?

Wie sollen wir Themen wie . Familie', . Jugend', . Erziehung'und . Bildung'behandeln, wenn alle diese Themen mit Tabus belegt sind in einer Weise, daß nicht klar ist, wieweit die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik für die Lehrfreiheit genutzt werden darf und wo möglicherweise Anschuldigungen eines nicht verfassungskonformen Verhaltens erhoben werden könnten?

Das Grundgesetz der Bundesrepublik gibt darauf ebensowenig eine rezeptartige Antwort wie die Lehrpläne in den einzelnen Bundesländern Konflikte sind somit — und dies auf pluralistisch-demokratischer Grundlage zu Recht — in den Grundnormen der Menschenwürde, der freien Entfaltung der Persön-lichkeit, des Rechtsstaats und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung selbst angelegt und sind nur am jeweiligen Einzelfall und dessen strukturell-funktionaler Einbeziehung in die Gesamtzusammenhänge zu konkretisieren. Nur so sind sie in der politischen Bildung zu veranschaulichen, zu bewerten und zu entscheiden. Die Analyse und Bewertung konkreter Konflikte auf pluralistisch-demokratischer Grundlage hilft undiskutierte und unkritische Gesinnungsvermittlung und konventionell-statische Institutionenkunde zu überwinden.

II. Konsequenzen für die Behandlung von Konflikten

Als Konsequenz dieser Bilanz kann es nicht darum gehen, in Rückzugsgefechten rechthaberisch zu behaupten, dieses oder jenes Element der Dahrendorfschen Konflikttheorie oder der Emanzipationsansätze der Frankfurter Kritischen Schule seien objektiv richtig, sie seien nur falsch verstanden oder durch die Reaktion verfälscht worden. Ebensowenig geht es darum, wichtige Denkanstöße konflikttheoretischer und kritisch-emanzipatorischer Richtung einfach über Bord zu werfen. Es sind vielmehr deren Leistungen und Schwächen unter den Bedingungen ihres wissenschaftlichen Diskussionsstandes, ihrer politisch-didaktischen Anwendung und ihrer praktischen Wirksamkeit zu überprüfen und daraus Schlußfolgerungen für Wissenschaft, Erziehung, Bildung und Politik zu ziehen.

Wichtig und unausweichlich ist hierbei die Feststellung, daß es — soweit geschehen — falsch war undist, Konflikte einseitig den Integrationsmechanismen einer ihren Ansprüchen nach normal funktionierenden Gesellschaft überzuordnen. Jeder historische Rückblick vermag zu verdeutlichen, daß zwar in allen Gesellschaften zu jeder Zeit Konflikte vorhanden waren, daß jedoch die normale Entwicklung durch die Integrationsfähigkeit unterschiedlicher Gruppen in einer Gesellschaft gekennzeichnet war und nur die Anomalität (Kriege, Revolutionen, Gesellschafts-und Wirtschaftskrisen) durch die Dominanz von antagonistischen Strukturkonflikten. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß ausschließlich oder überwiegend in anomalen, dysfunktionalen gesellschaftlichen und politischen Situationen Konfliktzuspitzungen stattfinden, in denen sich Herrschende und Beherrschte in unversöhnlichem Gegensatz gegenüberstehen (Bürgerkrieg, Revolution) oder Staaten sich zu Allianzen zusammenschließen, die in der Ausschließlichkeit des Freund-Feind-Denkens gegeneinander Krieg führen. Bezeichnenderweise bricht im Anschluß an jede Revolution und an jeden Krieg ein mehrdimensionaler Konflikt wieder auf, in dem sich die zuvor eindimensionale Zuspitzung des Konfliktaustrags wieder auf eine stärker gestreute Breite widerstreitender Interessen verteilt. Es sei zusätzlich an dieser Stelle vermerkt, daß derartig vehementen Totalkonflikten in der Regel Konfliktunterdrückungen und -Verdrängungen vorausgegangen sind, die zu einer derartig explosiven Lage geführt haben. Analyse und Behandlung von Konflikten haben somit für die Normalsituationen und -entwicklungen von Gesellschaften und Staaten — „normal" soll heißen: gemessen an ihren eigenen Ansprüchen und ihrem Selbstverständnis — deren Integrationsmechanismen und Integrationswirkungen zu berücksichtigen. Es sind Integrationsmechanismen, die maßgeblich Bewußtsein, Denken und Handeln der Mehrzahl der Menschen in einer Gesellschaft bestimmen — und häufig auch die Politik. Traditionen, Gewohnheiten und bestehende Strukturen — so mangelhaft sie allgemein oder unter bestimmten Wertgesichtspunkten (z. B. soziale Gerechtigkeit) sein mögen — haben auf das menschliche Zusammenleben und dessen politische Gestaltung durchweg stärkeren Einfluß als gesellschaftliche Konflikte. Dies trifft auch unter den Bedingungen tiefgreifender Strukturkonflikte zu, wie etwa zwischen Kapital und Arbeit in westlichen Industriegesellschaften oder zwischen autoritären Parteiführungen und wichtigen Teilen der Gesellschaft in einer Reihe osteuropäischer sozialistischer Staaten.

Aufgabe der Konfliktanalyse ist es, Konfliktpotentiale nachzuweisen und mit der Integrationsfähigkeit eines gesellschaftlich-politischen Systems oder mehrerer Systeme in Verbindung zu setzen. Eine derartige dialektische Methode geht davon aus, daß Konflikte ebenso selbstverständliche Bestandteile von Gesellschaften sind wie deren integrative Strukturen und Elemente. Ein Übergewicht an fntegration („Ultra-Stabilität") führt zur politi17 sehen Kastration einer Gesellschaft Nach aller bisherigen Erfahrung wird eine derartige Stabilität durch den Staat und nicht durch gesellschaftliche demokratische Prozesse garantiert. Die groteske Folge wäre für eine derart „stabile" Demokratie, daß sie sich ihrer Demokraten entledigt. Eine Überbetonung von Konflikten vermindert oder behindert demgegenüber die Steuerungsfähigkeit der politischen und gesellschaftlichen Entscheidungszentren und führt damit zur Funktionsunfähigkeit der gesamten Gesellschaft.

Weder werden auf Dauer Konflikte durch Integrationsmechanismen aus der Welt geschafft, noch beinhaltet die Eskalierung eines Konfliktpotentials notwendigerweise die berechtigte Aussicht auf die Überwindung von Schwächen und Mängeln eines Systems. Vielmehr bestehen wechselseitige Bezugsverhältnisse zwischen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen, deren Funktionen und Dysfunktionen. Konsensus-und Zwangsmodelle der Gesellschaft sind somit in der Realität in je spezifischen Mischformen anzutreffen. Jede Gesellschaft (außer in Phasen der äußersten Krise) weist Verbindungen auf von:

Stabilität und Instabilität, Statik und Dynamik, Stillstand und Wandel, Gleichgewicht und Ungleichgewicht, Funktionalität und Dysfunktionalität, Konsensus und Zwang, Integration und Konflikt.

Daraus sind für die Bestimmung der Rolle von Konflikten in der politischen Bildung Konsequenzen zu ziehen. Eine Rückkehr zu Partnerschaftserziehung, Harmonie-und Gemeinschaftsmodellen kann keine ernst zu nehmende Alternative zur Korrektur fehlerhafter Einseitigkeiten und Fehleinschätzungen sein, die im Rahmen konfliktorientierter politischer Didaktik zutage traten. Es ist vielmehr an der Zeit, durch die Überprüfung verschiedenartiger Ansätze in der politischen Bildung Maßstäbe zu gewinnen, die das Erlernen des Verhaltens in Konfliktsituationen unter realen gesellschaftlichen Bedingungen in der politischen Bildung erleichtert. Im Vordergrund stehen dabei weder abstrakte ethische Normen (Sittlichkeit, Vertrauen, Dankbarkeit) noch eindimensionale emanzipatorische Ansprüche. Beide Zielleitlinien erwiesen sich in der Vergangenheit als so realitätsfern, daß sie wenig dazu beitrugen, in der politischen Bildung dem einzelnen Hilfen anzubieten zur Bewältigung seiner alltäglichen Lebenssituationen, deren Einordnung in übergreifende gesellschaftlich-politische Zusammenhänge und für die daraus sich ergebenden Perspektiven. Der wichtige und grundlegende Auftrag der politischen Bildung, mündige Demokraten zu erziehen, wird durch ein Demokratieverständnis eingelöst, das Konflikte nicht verdrängt oder verschleiert, sondern offenlegt, analysiert und nach überprüfbaren Werteprämissen und Zielen entscheidet. So werden demokratische Prozesse in der Gesellschaft gewährleistet und der Auslaugung durch einseitiges Ordnungs-und Sicherheitsdenken mit dem einhergehenden Verlust bürgerlichen demokratischen Selbstbewußtseins und einer Tendenz zu politischer Ängstlichkeit und Passivität entgegengewirkt.

Anzuknüpfen ist an bestehenden unterschiedlichen Denkstrukturen und Verhaltensweisen als den Ergebnissen unterschiedlicher Sozialisationsprozesse in einer demokratischen Gesellschaft Hierzu erbrachten empirische Untersuchungen immer wieder Hinweise auf ein politisch überwiegend konfliktscheues Verhalten in der Bundesrepublik Es darf allerdings keine Verharmlosung von Konflikten geben, nur weil ein Teil der davon Betroffenen nicht über ein entsprechendes Problem-und Konfliktbewußtsein verfügt. Beispiele hierfür beziehen sich auf Probleme des technologischen „Fortschritts" (Gift, Schmutz, Lärm), Konflikte im Zusammenhang mit einer Fortsetzung des quantitativen wirtschaftlichen Wachstums (Kernenergie, Energiesparen, alternative Energiegewinnung, Sicherung des wirtschaftlichen Wohlstandes und der Arbeitsplätze), Dilemmata zwischen Anforderungen der inneren Sicherheit (Verfassungsschutz, polizeiliche Computerkontrolle, Extremistenabwehr) und legitimen persönlichen Freiheitsrechten, Ursachen und Wirkungen täglicher inhumaner Lebensverhältnisse durch „Wohnmaschinen" sowie die psychische und physische Gesundheit gefährdenden Arbeitsplatzverhältnisse. Konflikt-und Entscheidungsfähigkeit zu vermitteln unter den Bedingungen einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaftsstruktur ist eine schwierige Aufgabenstellung für die politische Bildung. Geht es etwa um das „Ja" oder „Nein" zum Bau von Kernkraftwerken, so vertritt ein Ingenieur, der an der Herstellung von Kernkraftwerken mitwirkt, legitimerweise eine andere Auffassung als ein davon betroffener Landwirt oder Winzer. Deren Einstellungen können auch ihre Kinder beeinflussen, so daß das pluralistische Meinungs-und Interessenspektrum der Gesellschaft in Schulklassen reproduziert wird. Es entsteht so ein Entscheidungskonflikt zwischen vielfältigen Dimensionen — nicht nur „der gesellschaftlichen Dimension" oder „der Dimension der Betroffenen", sondern vielfältigen gesellschaftliche Dimensionen und den Dimensionen vieler Betroffener. Zu berücksichtigen sind hierbei differenzierte bestehende Macht-und Interessenverhältnisse, vor allem im Bereich — des Staates auf der Grundlage von dessen zentraler Entscheidungskompetenz und dessen erwarteter Fähigkeit, diese auch exekutiv durchzusetzen, dabei allerdings die Gesamtzahl gesellschaftlicher Interessen soweit wie möglich zu berücksichtigen;

— der Wirtschaft auf der Grundlage des technologischen Wissens, des dadurch bedingten Informationsvorsprungs sowie damit verbundener verbesserter Durchsetzungsmöglichkeiten für eigene Interessen;

— der Gesellschaft auf der Grundlage gruppenspezifischer Pluralität und entsprechender Vielfalt der Meinungs-und Willensbildungsprozesse sowie deren sich gegenseitig teilweise ausschließenden Realisierungsmöglichkeiten; — der legitimen Grundlagen der Verfassung. Die Vielfalt dieser Macht-und Interessenverhältnisse zeigt sich in der Rolle von Parteien und Verbänden, Bundestag und Landtagen, Bundesregierung und Landesregierung, Regierungen und Oppositionen, Bürgerinitiativen und Gerichtsentscheidungen. Gerade der Konflikt um den Bau von Kernkraftwerken vermag zu verdeutlichen, daß es sich hierbei nicht um einen simplen Strukturkonflikt zwischen Kapital und Arbeit handelt, sondern um ein äußerst differenziertes, mehrdimensionales Konfliktpotential. So sprachen sich etwa Gewerkschaftsvorsitzende nach teilweisem Widerstand und unschlüssigem Zögern mit Einschränkungen für den weiteren Bau von Kernkraftwerken aus Ein gutes Beispiel ist weiterhin die äußerst vielfältige Ökologie-Bewegung in der Bundesrepublik (Grüne, Bunte, Kernkraftgegner, Alternative, biologische Landwirte). Traditionelle orthodoxe Raster der Gesellschaftseinteilung (Klassen, Intelligenz, Progressive) versagen, wenn sie dazu herhalten sollen, die an diesem Konfliktpotential Beteiligten schubladenförmig einzuteilen.

Das erhöhte und vielfältige Konfliktpotential in den entwickelten westlich-demokratischen Industriegesellschaften bringt es mit sich, daß es immer schwieriger wird, einen die jeweilige Gesellschaft integrierenden Konsens im je konkreten Einzelfall kurzfristig herzustellen. Derartige Konsense setzen voraus, daß Konfliktregelungen erreicht werden, die — mehrheitsfähig, — integrationsfähig und — kompromißfähig sind. Die Vielzahl häufig widersprüchlicher Grundsatz-und Einzelentscheidungen verhindert die Realisierung umfassender gesellschaftlicher und politischer Konsensbildungen. Die Konsequenz daraus ist, daß die Menschen in den westlichen demokratischen Industriegesellschaften mehr denn je dazu befähigt sein müssen, in Konflikten zu leben, dennoch jedoch nicht zu resignieren, sondern Konfliktregelungsstrategien zu entwerfen, die ihnen die Wahrnehmung eigener Interessen erlauben. Dies alles hat sich auf dem Boden eines demokratisch-pluralistischen Grundkonsenses zu vollziehen.

III. Mehrdimensionale Konfliktfähigkeit

Konsensbildung durch „optimale Objektivierung" oder „in Wahrheit" ist in einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft wegen deren legitimer Komplexität und wegen des sozioökonomischen Wandels mit der entsprechenden Vielfalt und Widersprüchlichkeit politisch-gesellschaftlicher Meinungs-und Willensbildungsprozesse nicht möglich. Individuelle Entscheidungsfähigkeit („Herr über das eigene Leben") tritt an die Stelle des ehemals einheitlichen und für jeden verbindlichen Volks-und Nationsgedankens („Für Gott, Volk und Vaterland!“). Unterschiedlich bestimmbare Standorte und Werteprämissen sowie die Einbeziehung und Auswahl vielfältiger Dimensionen ersetzen autoritär-uniforme Gesinnungsbildung. Dies ist die geschichtlich neue Situation, die enorme Konflikte auf vielen Ebenen beinhaltet. Deren Bewältigung setzt neue Fähigkeiten der Lebensgestaltung der Menschen in diesen Gesellschaften voraus. Entsprechende Lernprozesse sind in der politischen Bildung zu vermitteln. Welcher Art ist die damit verbundene Konfliktfähigkeit, die jedem einzelnen helfen soll, sich in seiner konfliktreichen Umwelt selbstbewußt zu bewegen, sich zu entwickeln und die Erfüllung von Zielen zu realisieren?

Hierzu gehört zunächst die Fähigkeit zur Einsicht in die Selbstverständlichkeit von Konflikten im Rahmen des menschlichen Zusammenlebens, in Gruppen und Gesellschaften sowie deren spezifische Ausprägungen unter den Bedingungen einer modernen demokratischen Industriegesellschaft. Es gehört weiterhin dazu die Fähigkeit zur Einsicht, daß Konflikte weder Selbstzweck, noch Zufall oder Schicksal im Leben des einzelnen Menschen, menschlicher Gruppen oder Gesellschaften sind. Daraus resultiert die Erkenntnis zur Befähigung zu alternativem Denken und Handeln unter den Bedingungen komplexer und widersprüchlicher Gesellschaftsstrukturen. Traditionen, Gewohnheiten, Institutionen und Zwänge wirken dabei ebenso mit wie berechtigte eigene Interessen, die darauf gerichtet sind, das eigene Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.

Prämissen und Ziele gesellschaftlichen und politischen Denkens und Handelns sind durch die Vermittlung entsprechender Lernprozesse in der politischen Bildung in ihrer Multidimensionalität zu bestimmen, offenzulegen, zu diskutieren und immer wieder auf neue Erscheinungen und Wandlungsprozesse gesellschaftlicher Entwicklungen zu beziehen. Partnerschafts-und Harmonisierungskonzeptionen sind hierbei in ihrem Leistungsvermögen ebenso begrenzt wie eindimensional konzipierte oder interpretierte konfliktdidaktische Ansätze. Statt dessen ist es erforderlich, daß durch politische Bildung — die Zusammenhänge des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens vermittelt werden;

— ihre wichtigen integrativen Elemente erkannt und beurteilt werden können;

— die damit in Verbindung stehenden Dysfunktionen und Konflikte einschätzbar und bewertbar gemacht werden;

— in einem dialektischen Denk-und Handlungsprozeß die Multidimensionalität der gesellschaftlichen und politischen Realität sowie der eigenen Interessen und Bedürfnisse im Sinne legitimer Selbstverwirklichung (Grundrechte) miteinander in Bezug gesetzt werden. Für die politische Bildung in der Bundesrepublik ist hierbei das Grundgesetz prinzipielle Bezugsbasis und gültiger Bezugsrahmen.

Dieses politisch-didaktische Konzept des Lernens von Konfliktfähigkeit beinhaltet gleichzeitig die Absage an eine scheinbar neutrale und objektive politische Bildung, die sich damit begnügt, Fakten aufzuzeigen oder allgemeine „konsensfähige" Ziele zu formulieren. Gefordert ist statt dessen eine politische Bildung, die mit der Fähigkeit des Lernens für Konfliktsituationen die Fähigkeit zur Entscheidung verbindet. Komplexität und Wandel der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse verlangen weiterhin, daß diese Entscheidungen weder dogmatisch noch „auf ewig" gefällt werden. Sie unterliegen vielmehr selbst dem sozialen Wandel, sind gegebenenfalls zu revidieren und begründet neu herbeizuführen.

IV. Konfliktbewältigung

Aus dem bisher Dargelegten ergibt sich, daß es in der vorliegenden Konzeption für die politische Bildung nicht um ein Lernen von Konfliktfähigkeit geht mit dem eindimensionalen Ziel der Eskalation von Konflikten. Vielmehr beinhaltet sie die Vermittlungund das Lernen der Einschätzung von Konflikten unter den Bedingungen objektiver, realer gesellschaftlicher und politischer Zustände und Entwicklungen sowie subjektiver Betroffenheit, Interessen, Ziele und Wertvorstellungen Dies setzt die Fähigkeit zur Kalkulation von Konflikten voraus. Konfliktkalkulation ist ohne die Fähigkeit, Konflikte zu erkennen, zu analysieren und zu bewerten nicht möglich. Dies wiederum befähigt zur Konfliktbewältigung. Sie ist nur möglich, wenn Konflikte offengelegt werden als Voraussetzung für die Regelung sowohl alltäglicher Lebenssituationen als auch politischer Entscheidungsprozesse. Die Aufrechterhaltung der Integration einer Gesellschaft, die Regelung oder gar Lösung ihrer Konflikte, setzt mithin die Offenlegung von Konflikten, Konfliktanalyse, Konfliktfähigkeit und Konfliktbewältigung in dem beschriebenen dialektischen Verhältnis voraus. Wertedimensionen in diesem Prozeß sind Solidarität, Frieden, Freiheit, soziale Gerechtigkeit, Selbst-und Mitbestimmung.

Konfliktbewältigung schließt ein, daß Konflikte nicht zwangsläufig in dem ursprünglich beabsichtigten Sinne geregelt oder gelöst werden können. Konfliktbewältigung meint in einem derartigen Fall die subjektive Fähigkeit, unter den Bedingungen eines Konflikts leben und ihn aushalten zu können in der Erkenntnis, daß Konfliktregelung unmittelbar und kurzfristig nicht möglich ist, daß allerdings Konfliktregelungsstrategien entwickelt werden können, die erwarten lassen, daß ein bestehender Konflikt durch die Einleitung von Entwicklungsprozessen so gemindert werden kann, daß er mittel-oder langfristig an negativer Wirksamkeit verliert. Gleiches gilt für die Regelung von Konflikten durch alternatives Lernen und Handeln, neue Schwerpunktsetzungen, neue Perspektiven und die dadurch bedingte Verlagerung und Abschwächung von Konflikten mit der daraus resultierenden Möglichkeit der Konfliktbewältigung Derartig alternatives Denken bleibt weder in vordergründiger Realität befangen, noch verliert es sich in perspektivlosen Utopien.

Die Auffassung, Konflikte könnten kurzfristig durch radikale Strukturveränderungen der Gesellschaft aus der Welt geschafft werden, sind realitätsfern, schaffen — insbesondere bei Jugendlichen — falsche Wunschträume und führen letztlich (da sie sich nicht realisieren lassen) zu Resignation, Unsicherheit, Verzweiflung und Ängsten und damit zum Gegenteil dessen, was politische Bildung in einer Demokratie bewirken soll: Die Entwicklung selbständiger und verantwortungsbewußt denkender und handelnder Persönlichkeiten.

Folgende Fähigkeiten soll politische Bildung zur Bewältigung von Konflikten vermitteln:

— Die Fähigkeit, bestehende Zustände und daraus sich ergebende Entwicklungen mehrdimensional (d. h. unter verschiedenartigen Aspekten, unter den Gesichtspunkten verschiedenartiger Betroffener) zu analysieren. Hierzu bedarf es der Anwendung empirisch-analytischer Verfahren, der Einbeziehung historischer, vor allem zeitgeschichtlicher Erkenntnisprozesse sowie eines struktur-funktionalen Rastermodells in das die systemimmanent gewonnenen Erkenntnisse einge-ordnet und miteinander verbunden werden können. Entsprechende Grundlagenqualifikationen der Konfliktbewältigung können allen Lernenden in der politischen Bildung vermittelt werden, sofern eine politische Didaktik entsprechend konzipiert ist; — die Fähigkeit, unter den Bedingungen mehrdimensional wirksamer Ereignisse die eigenen Interessen zu erkennen und unter den gegebenen realen Zuständen und Entwicklungen wahrzunehmen (kritisch-dialektische Theorien und Methoden; struktur-funktionale Theorien und Methoden); — die Fähigkeit, die sich wandelnde und weiterentwickelnde Realität und die eigenen Interessen in ein begründetes gesellschaftsbezogenes und politikorientiertes Handeln umzusetzen (politische Wahlentscheidungen, Eintritt in eine politische Partei und/oder Verbände, Mitbeteiligung und Mitbestimmung in verschiedenen Bereichen, private und öffentliche Diskussionen, Meinungs-und Willensbildungsprozesse, Solidalisierung mit Betroffenen, Petitionen, Aktivitäten im Rahmen von Parteien und Verbänden, Mobilisierung der Öffentlichkeit, Nutzung von Medien, Demonstrationen, Bürgerinitiativen, Streik, Gerichts-entscheidungen, legales Widerstandsrecht).

In jedem Einzelfall geht es um die Fähigkeit — die allgemeine Einschätzung und die Besonderheit des Einzelfalles aufeinander abzustimmen; — Vorteile und Nachteile der gegebenen Situation und ihre Entwicklung abzuwägen und in gesellschaftliche und politische Dimensionen einordnen zu können;

— die eigenen Interessen zu reflektieren und diese unter mehrdimensional abgeschätzten Gesichtspunkten zu kalkulieren;

— sich nicht von Vorurteilen, Haß, Feindbildern, ideologisch-dogmatischen und irrational bedingten Verzerrungen leiten zu lassen;

— Gruppenprozesse einzuschätzen und soviel Selbstbewußtsein zu entwickeln, daß die Selbständigkeit der eigenen Entscheidung auch im Rahmen der Gruppensolidarität und möglicher oligarchischer Führungstendenzen gewahrt bleibt;

— zu überlegen, inwieweit nicht durch die Vermeidung des Aufbrechens von Konfliktpotentialen auf andere Weise Einfluß auf gesellschaftliche Prozesse und deren alternative Entwicklungsmöglichkeiten genommen werden kann; — Ziele und geeignete Mittel zur Zielerreichung zu kennen und unter Beachtung dieser Ziel-Mittel-Relation Entscheidungen zu treffen; — die gewählten Mittel zum Austragen oder zur Vermeidung von Konflikten überlegt und angemessen einzusetzen;

— mögliche Erfolge bzw. Mißerfolge der angewandten Konfliktregelungsstrategie sowie deren Auswirkungen zu überprüfen und daraus zu lernen.

In der politischen Bildung ist Konfliktbewältigung nötig in den vielfältigen Fällen der unmittelbaren und mittelbaren Betroffenheit Dies gilt für Schüler der Primarstufe im Zusammenhang mit Spielkonflikten, Konflikten auf Grund von Lebensverhältnissen (z. B. Familie, Wohnung), Konflikten in der Schule u. a. Immer geht es darum, diese Konflikte nicht als leicht aufhebbar hinzustellen, wenn nur diese oder jene Grundstruktur verändert würde. Vielmehr ist auf ein Leben in Konflikten vorzubereiten, in dem derjenige mit Konfliktsituationen am besten fertig wird, der in der Lage ist, sie zu erkennen, zu beurteilen und sein Leben entsprechend zu gestalten. Eine Erziehung zum Opportunismus ist damit so lange nicht verbunden, als der Grundrechtekatalog des Grundgesetzes die verbindliche Normen-setzung für die politische Bildung in der Bundesrepublik und die durch sie zu vermittelnden Lernprozesse und Fähigkeiten darstellt (etwas anderes wäre in der Tat verfassungswidrig). In prinzipiell gleicher Weise sind Jugendliche in der Sekundarstufe I und II von Konflikten betroffen: Konflikte in der Freizeit (Freundschaften, Sexualprobleme), Generationenkonflikt, Konflikte im Zusammenhang mit abweichendem Verhalten (psychosoziale Störungen, Alkohol-und Drogenkonsum, Jugendkriminalität, Selbstmordversuche). Das Ziel, Fähigkeiten zur Konfliktbewältigung in der politischen Bildung zu vermitteln, besteht konkret nicht darin, Familienkonflikte oder andere Konflikte in einer, Weise für die Schüler und Jugendlichen manifest zu machen, daß daraus tiefgreifende persönliche und private Auseinandersetzungen entstehen. Wohl aber kann an konkreten Beispielen, die die Betroffenheit der Jugendlichen einbeziehen, die räumliche und zeitliche Dimension der Entstehung und Auswirkung von Konflikten gezeigt werden, Möglichkeiten ihrer Vermeidung und Bewältigung, Intensität und Regelbarkeit sowie die Einschätzbarkeit von Größenordnungen latenter und manifester Konfliktpotentiale und Konflikte. Prinzipiell gleiches gilt für die Konfliktbewältigung im Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern oder für Lehrlinge in ihrem Ausbildungsbetrieb. Konflikte, die eskalieren, ohne daß sich Chancen für ihre sinnvolle Regelung zeigen oder abschätzen lassen, deuten auf mangelnde Fähigkeit zur Konfliktbewältigung bei den Beteiligten hin. Auch diese wichtige Erkenntnis hat die politische Bildung zu vermitteln. Anknüpfungspunkte für mittelbare Konflikt-betroffenheit liefern aktuelle und die Schüler interessierende Berichte und Nachrichten in den Medien sowie durch Familienangehörige, Freunde, Mitschüler u. a. Im Rahmen derartiger sozialer Interaktionen sind auch Motivationen für das Interesse an politischen und gesellschaftlichen Themen in der politischen Bildung zu erwarten. Gegenwärtig schließt dies etwa Probleme um die Energieversorgung, die starke Anhebung der Ol-und Benzinpreise in Verbindung mit allgemeiner Preissteigerung, die Auseinandersetzungen um die Kernenergie, Menschenrechtsfragen in Ost und West, Probleme der Überwachungspraxis des Verfassungsschutzes, wirtschaftliche Prozesse und Entwicklungen des Arbeitsmarktes, Widersprüche zwischen Konsum-/Freizeitmöglichkeiten und Arbeitsverhältnissen ein. Auch in den Fällen mittelbarer Betroffenheit beinhaltet Konfliktbewältigung nicht die Hin-lenkung auf die Ausweitung von Konfliktpotentialen und die unmittelbar damit verbundene spontane und wenig reflektierte politische Aktion. Vielmehr ergibt sich eine umfangreiche Skala von Verhaltensmöglichkeiten als Folge der Einschätzung von Konflikten und ihrer weiteren Entwicklung. Die Handlungsformen reichen hierbei von persönlichen Meinungsäußerungen im kleinen Kreis über verschiedene Stufen der Meinungsbildung in formalen und informellen Gruppen (Parteien, Verbände, mitbestimmte Gremien, Selbstverwaltungsorgane, kommunale Planung, Bürgerinitiativen, Demonstrationen) bis hin zu der ultima ratio des grundgesetzlich gebotenen Widerstandsrechts gegen Gefahren der Beseitigung von Demokratie, Rechtsstaat und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland (Art. 20, Abs. 4 Grundgesetz).

Didaktische Entscheidungen zugunsten einer derartigen Konfliktbewältigung in der politischen Bildung sind von sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen her gerechtfertigt. Was fehlt, ist eine Bildungspolitik zur Umsetzung dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse und Ergebnisse für die Praxis der politischen Bildung. Parteien, Parlamente, Regierungen, Verbände, Eltern, Lehrer, Schüler und Bürgerinitiativen haben hierbei auf pluralistisch-demokratischer Grundlage — und damit im legitimen Konflikt unterschiedlicher Interessen — versucht, ihre jeweiligen Auffassungen gegenüber Widerständen anderer Seiten durchzusetzen. Was dabei herauskam, war bisher allerdings immer wieder wenig ermutigend. Die in vielen Untersuchungen konstatierte Unwirksamkeit der politischen Bildung und damit die wenig gelungene Erfüllung des Auftrages einer Erziehung zu mündigen Demokraten durch die Schule und andere Bildungsinstitutionen stellen drängend die Frage nach einer Neuorientierung. Diese kann allerdings nur vollzogen werden, wenn die berechtigte Abwehr politischer Extremisten nicht gleichgesetzt wird mit der Vermeidung und Unterdrückung von Konflikten, die in der Gesellschaft objektiv vorhanden sind. Vielmehr müssen Konflikte Gegenstand politischer Bildung sein. Die Aufgabe der politischen Bildung besteht darin, Hinweise und Hilfestellungen zur Konfliktbewältigung zu geben.

Moderne Industriegesellschaften sind weitgehend durch die Anonymität ihrer Konfliktursachen und auch deren Folgen gekennzeichnet. Wer ist für welche Ursachen und Folgen verantwortlich? Jeder Umweltskandal (z. B.der jüngste Munitions-und Giftgasskandal in Hamburg) zeigt erneut, wie schwierig diese Frage in der Praxis zu beantworten ist. Gleiches gilt für eine Vielzahl von täglichen Konfliktfällen in der Öffentlichkeit, die sich tief im Leben des einzelnen niederschlagen. Identitätskrisen und Desorientierung einer erschreckend zunehmenden Anzahl von Jugendlichen zeigen die Unfähigkeit dieser Jugendlichen und der mit ihnen Verantwortlichen, in den Konflikten dieser Gesellschaft und der sich wandelnden Umwelt zu leben und sie zu bewältigen. Dies sollte für die politische Bildung Herausforderung genug sein, ihren dringend erwarteten Beitrag zur Konfliktbewältigung zu leisten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Friedrich Oetinger, Partnerschaft. Die Aufgabe der politischen Erziehung, Stuttgart 1953.

  2. Paradigmatisch hierfür Hermann Giesecke, Didaktik der politischen Bildung, München 1965 sowie die Neuauflage 1972.

  3. Vgl. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit. Zur soziologischen Analyse der Gegenwart, München 1965, insbes. „Elemente einer Theorie des sozialen Konflikts“, S. 197— 235. Dort auch die allgemeine Definition von „Konflikt" und Typisierungen von Konflikten in dem hier gebrauchten Sinn (S. 201 ff., 206).

  4. Vgl. hierzu unter der Vielzahl von öffentlichkeitswirksamen Arbeiten eine der einflußreichsten: Herbert Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, Frankfurt/Main 1971, zuerst erschienen unter dem Titel „Eros und Kultur“ 1957.

  5. Dahrendorf, S. 227.

  6. Marcuse, S. 129.

  7. Vgl. hierzu zuletzt die Kontroverse zwischen Kurt Gerhard Fischer und Klaus Hornung (K. G. Fischer, Wo steht die Politische Bildung heute? Versuch einer Standortbestimmung, der durchaus nicht frei von Unmut versucht wird, in: Materialien zur Politischen Bildung 1/1979, S. 67— 73; K. Hornung, Gründe der Krise politischer Bildung. Bemerkungen zur Misere der fundamentaldemokratischen und emanzipatorischen Didaktik und zur Standortbestimmung Kurt Gerhard Fischers in der letzten Ausgabe der „Materialien“, in: Materialien zur Politischen Bildung 2/1979, S. 84— 88); K. G. Fischer, Die Attraktivität des Grundgesetzes muß erhalten bleiben!, in: Materialien zur Politischen Bildung 3/1979, S. 74— 77),

  8. Vgl. hierzu einzelne Beiträge in: Heiner Geißler (Hrsg.), Der Weg in die Gewalt. Geistige und gesellschaftliche Ursachen des Terrorismus und seine Folgen, München/Wien 1978. Der Band beinhaltet 16 Referate einer fachwissenschaftlichen Tagung der CDU in Bonn am 29. /30. 11. 1977.

  9. Dieter Grosser/Manfred Hättich/Heinrich Oberreuter/Bernhard Sutor, Politische Bildung. Grundlagen und Zielprojektionen für den Unterricht an Schulen, Stuttgart 1976 (hrsg. von W. Braun, W. Hahn, H. Maier u. a.).

  10. Abgedruckt mit der Stellungnahme der „Tübinger Erklärung“, in: betrifft: erziehung 5/1978,

  11. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland: Die Deutsche Frage — Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 23. 11. 1978, Bonn 1978, S. 15f.

  12. Vgl. Lutz-Rainer Reuter, Die normativen Grundlagen des Politischen Unterrichts, Opladen 1979.

  13. Vgl. Dahrendorf, S. 207 ff. Dahrendorf stellt Konsensus-und Zwangsmodell unverbunden gegeneinander.

  14. Vgl. hierzu Wolfgang Behr, Strukturprobleme der politischen Bildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 5/1973, S. 39 ff.

  15. Martin und Sylvia Greiffenhagen, Ein schwieriges Vaterland. Zur Politischen Kultur Deutschlands, München 1979, S. 122 ff.

  16. DGB-Vorsitzender Vetter warnte z. B. auf dem 11. Kongreß der IG Bergbau und Energie 1976 vor Gefahren, die von der Behinderung des geplanten Baus von Kernkraftwerken ausgingen. Das „Wohl und Wehe“ von Arbeitnehmern könne nicht von dem begrenzten Interessenblickwinkel der Bürgerinitiativen abhängig gemacht werden (Frankfurter Rundschau 25. 11. 1976).

  17. Samuel B. Robinsohn, Erziehung ats Wissenschaft (hrsg. von F. Braun u. a.), Stuttgart 1973.

  18. Vgl. Thesen „Mut zur Erziehung", a. a. O.

  19. Vgl. hierzu auch Friedrich Bilzer, Konfliktlernen. Informationsbedingungen und kommunikative Voraussetzungen von Konfliktbewußtsein, Konfliktfänigkeit und Konfliktbewältigung, Frankfurt/Main 1978, S. 68ff. Bilzer betont einerseits zu Recht Informationsbedinungen, „(meta-) kommunikative Kompetenz“ (S. 89 ff., 93 ff.) und Sprechakte (s. 91 ff.) als objektive Voraussetzungen zur Bewältigung von Konflikten, vernachlässigt allerdings andererseits — wie auch andere Autoren vor ihm, z. B. Sigrist, Watzlawick, Jackson, Baacke, Grönemeyer, Bahr — den im vorliegenden Beitrag politisch-didaktisch akzentuierten Aspekt der subjektiven Fähigkeit und Bereitschaft der an Konflikten Beteiligten, Konflikte ‘n sich selbst und mit anderen dialektisch zu bewältigen.

  20. Dies erscheint als wichtiges Konzept zur Bewältigung der Problem-und Konfliktsituationen Jugendlicher, z. B.der Jugendarbeitslosigkeit. Vgl. hierzu Walter Heidrich, Henning Schierholz, Rudi Swoboda, Alternatives Lernen mit dem Ziel ganzheitlicher Persönlichkeitsentwicklung, in: Materialien zur Politischen Bildung, Sonderheft 1979, S. 19— 23.

  21. Vgl. als Beispiel Wolfgang Behr, Gesellschaft und Politik. Ein sozialwissenschaftliches Systemmodell für den Politikunterricht, in: Wolfgang W. Mikkel, Politikunterricht im Zusammenhang mit seinen Nachbarfächern, München 1979, S. 52— 67. Vgl. weiter das Kapitel „Der Systemvergleich Bundesrepublik Deutschland — DDR in der politischen Bildung" in: W. Behr, Bundesrepublik Deutschland — Deutsche Demokratische Republik. Systemvergleich Politik — Wirtschaft — Gesellschaft, Stuttgart—Berlin—Köln—Mainz 1979, S. 179— 187.

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