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Entspannung und Sicherheit Konzeptionelle Überlegungen an einer kritischen Wegemarke | APuZ 11/1980 | bpb.de

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APuZ 11/1980 Artikel 1 Weltbild und Bewußtwerdung — vernachlässigte Faktoren beim Studium der Internationalen Beziehungen Entspannung und Sicherheit Konzeptionelle Überlegungen an einer kritischen Wegemarke Militärische Bündnisbeziehungen in Osteuropa und die Entspannung

Entspannung und Sicherheit Konzeptionelle Überlegungen an einer kritischen Wegemarke

Gerhard Wettig

/ 39 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Zuspitzungen im Ost-West-Verhältnis nach dem westlichen Nachrüstungsbeschluß und der sowjetischen Afghanistan-Intervention haben der Öffentlichkeit deutlich vor Augen geführt, daß Sicherheit, Entspannung und Frieden, aller bislang erreichten Fortschritte ungeachtet, nicht völlig und dauerhaft gewährleistet sind. Daher erscheinen Überlegungen darüber angebracht, wie die Länder in Ost und West die bisherigen Verbesserungen in den wechselseitigen Beziehungen sichern können und die noch nicht gelösten Probleme anpakken sollten. Dabei erweist sich, daß die gegenwärtigen Schwierigkeiten, die Fragen der wechselseitigen Sicherheit und der gemeinsamen Rüstungsdämpfung zu lösen, eine entscheidende Rolle spielen. Der Autor sucht hierfür einige grundsätzliche Lösungsoptionen zu skizzieren. Als oberstes Postulat bei der Gewährleistung von Sicherheit und Frieden für beide Seiten wird eine militärische Stabilität herausgestellt: Der bisherige Entspannungsprozeß hat zwar die krisen-und kriegsträchtigen Konflikte in Europa entschärft, aber weder die Mög-ichkeit der Krisenentstehung überhaupt beseitigt noch für den Krisenfall einen zuverlässigen wechselseitigen Anreiz zu militärischer Zurückhaltung geschaffen. Dementsprechend petrachtet es der Verfasser als notwendig, durch einvernehmliche Regelungen hinsichtlich der beiderseitigen Militärpotentiale eine Anreizstruktur zu etablieren, die den Staaten von DATO und Warschauer Pakt bei Ausbruch einer Krise gleichermaßen Zuwarten und Aus-& s 1ch statt eskalationsträchtiger militärischer Maßnahmen nahelegt. Die theoretische Lo-1 und diepraktischen Verwirklichungsmöglichkeiten eines solchen Konzepts werden er-n tert und in den Zusammenhang der gegenwärtigen Ost-West-Beziehungen eingeord-

Das Ausgangsproblem

Der Prozeß der Ost-West-Entspannung hat früher akute Konflikte eingedämmt und so zu einer zwischenstaatlichen Stabilisierung in Europa beigetragen. Zwei Bereiche blieben jedoch aus dem Fortschritt auf ein friedlicheres Zusammenleben hin ausgespart. Die politisch-militärische Zurückhaltung im Verhalten beider Seiten blieb auf die Ebene der unmittelbaren Ost-West-Beziehungen im entwickelten Norden, vor allem in Europa, beschränkt (ungelöstes Problem der „Unteilbarkeit von Entspannung"). Auf militärischem Felde änderte sich nichts am Antagonismus und am damit verknüpften wechselseitigen Aufschaukeln der Rüstungen (ungelöstes Problem einer „Entspannung im militärischen Bereich“). Beide Entspannungsdefizite können sich zu fatalen Folgewirkungen summieren, wie die Verschärfungen der Ost-West-Spannung, die nach dem NATO-Beschluß vom 12. Dezember 1979 über eine eurostrategische Nachrüstung und vor allem nach der sowjetischen Militärintervention in Afghanistan eingetreten sind, deutlich demonstriert haben. Die Warnung, die aus diesen Vorgängen resultiert, sollte um so ernster genommen werden, als der Fall Afghanistan das Ost-West-Verhältnis objektiv ungleich weniger berührt als manche anderen denkbaren Krisenfälle: Wenn die Ost-West-Entspannung sich schon da als so krisenanfällig erweist, wie kann dann eine vorstellbare Situation, welche die Sicherheit einer der Seiten oder auch beider direkt und massiv zu bedrohen scheinen würde, noch erfolgreich gemeistert werden? Offensichtlich reichen die bisherigen Vorkehrungen von Entspannung nicht aus, um ernste Ost-West-Krisen mit der daraus resultierenden Gefahr eines beide Seiten vernichtenden Krieges zuverlässig zu verhindern. Diese Tatsachenfeststellung verlangt eine Analyse dessen, worin das Krisen-und Kriegs-risiko besteht. Die Herde akuter Spannung sind an den Punkten unmittelbarer Ost-West-Berührung abgebaut worden. Sie sind jedoch im Bereich der Dritten Welt keiner kanalisierenden Konfliktregelung unterworfen worden.

Eher im Gegenteil: Die Rivalität zwischen den beiden Weltmächten und teilweise auch ihren Verbündeten hat sich — insbesondere seit Mitte der siebziger Jahre — zunehmend nach Afrika und Asien verlagert. Lokale militärische Auseinandersetzungen werden ermutigt und unterstützt; sie erhalten vielfach verschleiert die Funktion von „Stellvertreterkriegen“; militärische Positionen und Präsenzen werden angegriffen, behauptet und neu begründet mit der Folge strategischer wie wirtschaftlicher Bedrohungsängste auf Seiten des Zurückgedrängten. Die Abhängigkeit Westeuropas und teilweise auch der USA von überseeischen Zufuhren läßt die westliche Seite als überwiegend verwundbar und damit als potentiell bedroht erscheinen. Eine Krise, welche die öl-und Rohstoffversorgung der NATO-Länder und Japans gefährden würde, wäre daher geeignet, in noch ungleich größerem Ausmaße als die Ereignisse um Afghanistan Nervosität — und damit die Neigung zu angstvoll-kurzschlüssigem und für die Gegenseite nicht mehr kalkulierbarem Verhalten — hervorzurufen. Aus der Geschichte ist derartiges als die Psychologie der zum Kriege führenden Krise nur allzu wohlbekannt. In einer solchen akuten Krise kommt alles darauf an, daß sich beide Seiten zu einer de-eskalierenden Folge von Handlungen veranlaßt sehen. Ein solcher Anreiz, der herkömmlicher Krisenpsychologie entgegenwirken würde, kann nurvon einem entsprechend geregelten militärischen Kräfteverhältnis ausgehen, das beiden Seiten die Angst vor übermächtiger feindlicher Bedrohung nimmt und damit ein ungeängstigtes Bemühen um Friedenswahrung ermöglicht-Eine derartige Regelung der militärischen Relation zwischen Ost und West steht bisher noch aus.

Einen ersten Anfang hierzu hat SALT I mit der Anschlußregelung SALT II (die freilich im e folge der Ost-West-Spannungen um Afghd; stan vorerst keine Aussicht mehr auf Besta i gung durch den amerikanischen Senat hat) 8 macht: Es wurde ein Verhältnis der militn sehen Parität auf der global-strategisc 5 Ebene zwischen den beiden Weltmächten festgelegt Das löst jedoch keineswegs alle Probleme der Friedenssicherung und Rüstungszügelung. Vor allem zwei Gründe sind hierfür verantwortlich: Der qualitative Aspekt der Rüstungskonkurrenz bleibt von den Vereinbarungen weithin unberührt; die notwendige Regelung der kontinental-strategischen Kräfteverhältnisse ist, von einigen einseitigen Ansätzen abgesehen, unterblieben. Die MBFR-Verhandlungen, die einen ersten Schritt zu einem Ost-West-Einvernehmen über die Truppen-und Rüstungsstärken auf dem europäischen Schauplatz erbringen sollten, sind festgefahren. Die Fortschritte, welche die Entspannung in politischer Hinsicht gemacht hat, drohen durch die nicht beigelegten Gegensätze auf militärischem Gebiet beeinträchtigt, vielleicht sogar in Frage gestellt zu werden.

Das militärische Kräfteverhältnis hat sich nicht zuletzt darum als bisher nicht regelbar erwiesen, weil es kein einheitliches Konzept gibt, welches das angestrebte Arrangement im militärischen Bereich mit den Aufgaben der Friedenssicherung zwischen Ost und West und der Sicherheit aller beteiligten Staaten verknüpfen würde, überdies weichen die Auffassungen darüber, was militärische Parität auf den einzelnen militärischen Ebenen konkret bedeutet, auf bisher nicht miteinander zu vereinbarende Weise voneinander ab. Daher ist zu fragen: 1. Nach welchen Kriterien sollte das militärische Kräfteverhältnis auf den verschiedenen Ebenen strukturiert werden, um zum einen dem Erfordernis der wechselseitigen Zurückhaltung im Krisenfalle (Schaffung eines wechselseitigen Anreizes zu de-eskalatorischem politisch-militärischen Vorgehen) und zum anderen dem Erfordernis einer wechselseitigen Rüstungsbeschränkung im Friedensfalle (Eliminierung des Anreizes zu permanent neuen Sicherheitsvorkehrungen mittels eskalatorisch wirkenden Rüstens) gerecht zu werden? 2. Ist das hinsichtlich seiner praktischen Anwendung strittige Prinzip der militärischen Parität ein notwendiges und geeignetes Leitbild, um diesen Erfordernissen zu entsprechen? Eine Diskussion über diese Fragen könnte in der gegenwärtig kritischen Situation die Überlegungen über Wahrung und Weiterentwicklung der Entspannung voranbringen, indem sie die Defizite, welche die Entspannung insgesamt gefährden, zum Objekt kritischen Nachdenkens und politischer Erwägung macht Daraus könnte dann vielleicht auch der weithin abgebrochene Ost-West-Dialog über die Entspannung im militärischen Bereich neue Nahrung schöpfen. Als erster Versuch in dieser Richtung sind die folgenden Ausführungen gedacht.

Kriterien des Friedens und der Sicherheit

as überragende Interesse der Staaten in Ost und West geht dahin, einen Krieg gegeneinander zu vermeiden. Eine derartige militärische Auseinandersetzung wäre durch das unge-heure Ausmaß an Zerstörung, das vor allem pn dem dann zu erwartenden Einsatz nu-kearer Kampfmittel zu erwarten wäre, auch ur die beiden Supermächte objektiv unan-dshnbar. Darüber hinaus ist es das lagebe-dingte Interesse der kleineren europäischen -nder, daß es auch nicht zu geographisch 0 er waffenmäßig beschränkten Militäraktioke in Europa kommt. Soweit das Risiko der segführung mit dem Risiko eines nuklearen v tgabtauschs zwischen den Supermächten ytnupft erscheint, sehen die europäischen ii I e und Kleinstaaten eine objektiv verläßg 6grundlage für die Wahrung des Friedens all^e en Zugleich bemühen sie sich darum, 6 in Europa präsenten Mächte — vor allem aber die beiden Weltmächte — auf eine Politik der ausnahmslosen und unbedingten Kriegs-vermeidung festzulegen. Die Bundesrepublik Deutschland gehört aufgrund ihrer exponierten Lage zu denjenigen Ländern, die das Prinzip der Kriegsabstinenz am entschiedensten und konsequentesten verfechten.

Dementsprechend haben die Länder in Ost und West dem Grundsatz des Gewaltverzichts in ihren Verträgen und in der KSZE-Schlußakte einen zentralen Platz eingeräumt.

Die Staaten begeben sich demnach des Rechts, militärische Gewalt gegeneinander anzuwenden, anzudrohen und zu manifestieren. Die allseitige Akzeptierung dieser Verhaltensregel kann als ein wichtiger völkerrechtlicher Fortschritt auf eine Friedensordnung in Europa hin gelten. Das Bekenntnis zum Gewaltverzicht bedeutet freilich noch nicht, daß die Kriegsverhütung auch praktisch gewährleistet wäre. Es genügt nicht, das Recht auf Gewalt-gebrauch durch feierliche Erklärungen und Verpflichtungen abzuschaffen. Mindestens ebenso wichtig ist, daß in den zwischenstaatlichen Beziehungen die Anreize für einen Gewaltgebrauch entfallen. Mehr noch: Es sollte darüber hinaus Anreize geben, die den Mächten unter allen denkbaren Umständen die Vermeidung jeden Gewaltgebrauchs nahelegen.

Ein häufig gebrauchtes Argument lautet, daß die Entspannung den Frieden sicherer gemacht habe. Das ist richtig, gilt aber nur für einen Teil der Probleme. Eine der großen Errungenschaften des bisherigen Entspannungsprozesses besteht darin, krisen-und kriegsträchtige Spannungsherde (wie beispielsweise die Berlin-Frage) eingegrenzt, geregelt und damit entschärft zu haben. Auch wenn es dabei nicht gelungen ist, die bestehenden Konflikte durch ein völliges Einvernehmen zu lösen, so haben sich doch die streitenden Seiten zumindest auf Verfahrensweisen geeinigt, wie sie die Konflikte künftig so handhaben wollen, daß sie den Frieden und das Auskommen zwischen Ost und West nicht gefährden. Auf diese Weise ist ein dauerhafter Modus vivendi entstanden, der die Funktion einer vorbeugenden Konfliktentschärfung hat und so dem Frieden in Europa ebenso dient wie der Sicherheit der beteiligten Staaten vor Unruhe und Gewalt in ihrem wechselseitigen Verhältnis.

Diese Fortschritte, die uns die Entspannung gebracht hat, gewährleisten jedoch den Frieden und die Sicherheit nicht unter allen Umständen. Das Entstehen von Krisen läßt sich unter den gegenwärtig herrschenden Bedingungen nicht mit hundertprozentiger Zuverlässigkeit ausschließen. Wer etwa die Ost-West-Auseinandersetzungen in Berlin seit Inkrafttreten des Vier-Mächte-Abkommens verfolgt hat, weiß nur zu gut, wie kontrovers viele der wechselseitigen Standpunkte in Theorie und Praxis sind und daß es schon wiederholt Ansätze zu einer Eskalation der Gegensätze gegeben hat. Es besteht keine völlige Gewißheit, daß die Beteiligten stets, wie es bisher die Regel war, bei kritischen Zuspitzungen wieder zur Vernunft der Mäßigung zurückfinden werden. Weitere Krisengefahr könnte bei unglücklicher Verknüpfung der Umstände von der Auseinandersetzung in und um soge-nannte „Grauzonen" zwischen NATO und Warschauer Pakt ausgehen, in denen die beiden Bündnisse ihre Interessen und Verantwortlichkeiten nicht klar gegeneinander abgeB grenzt haben. Als wahrscheinlichstes Friedensrisiko muß freilich die Möglichkeit gelten, daß eine Krise von der Dritten Welt, in der die Regeln wechselseitiger Zurückhaltung von Ost und West bisher noch keine Geltung erlangt haben, auf Europa übergreift. Solange und soweit die Sowjetunion mit ihren Verbündeten im Nahen Osten, in Afrika und in Südostasien die bewaffnete Austragung lokaler Konflikte ermutigt, unterstützt und machtpolitisch ausnutzt, besteht die Gefahr einer ernstlichen Bedrohung vitaler westlicher Interessen und damit die Gefahr der Transformation in einen direkten Ost-West-Konflikt.

Das alles bedeutet: Der sachliche Umfang und die geographische Reichweite der Entspannung sind bislang beschränkt geblieben, viele der grundlegenden Gegensätze zwischen Ost und West konnten noch nicht ausgeräumt werden — und daher bleibt, ungeachtet des gegenteiligen Bemühens beider Seiten, der Ausbruch von Krisen eine Möglichkeit im Ost-West-Verhältnis, auf die man gefaßt sein muß, um notfalls deren Transformation in eine Kriegssituation verhüten zu können. Gerade wenn man eine bewaffnete Konfrontation stets zuverlässig vermeiden will, kann man den Eventualfall eines Krieges nicht ignorieren, sondern muß Vorkehrungen für friedliche Regelungen treffen.

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines militärischen Kräfteverhältnisses, das den beteiligten Mächten bzw. Bündnissen im Falle einer akuten Krise die Wahl des Friedens — und nicht etwa die des Krieges — nahelegt Das militärische Kräfteverhältnis muß so beschaffen sein, daß beide Konfliktparteien unter allen Umständen ein überwiegendes Interesse an der Wahrung des Friedens und an der Vermeidung des Krieges haben. Auf diese Weise würde der Gewaltgebrauch in den zwischenstaatlichen Beziehungen, der aufgrund des allseits beschworenen Prinzips des Gewaltverzichts keine rechtliche Basis mehr besitzt, auch in seiner praktischen Möglichkeit eingeengt. Um dies zu erreichen, müßte das militärische Kräfteverhältnis unter dem Gesichtspunkt der Stabilität strukturiert werden. Stabilität ist nicht mit Parität gleichbedeutend. Als entscheidendes Erfordernis gilt vielmehr, daß diejenige Seite, die sich im Krisenfalle zurückhält und auf die Initiative des militär sehen Erstschlages verzichtet, davon keinen Nachteil haben darf. Mit anderen Worten. Wer sich zu einem ausschließlich defensiven und abwartenden Verhalten entschließt, dar wenn es dann trotzdem zum Kriege kommen sollte, deswegen nicht schlechter dastehen als der Angreifer.

Die Überlegung dabei ist, der Logik der De-eskalation den Vorrang gegenüber der Logik der Eskalation einzuräumen. Wer sich nicht in die militärische Konfrontation drängen läßt, soll auch für den Fall, daß er trotzdem in einen Krieg verwickelt werden sollte, keinen Nachteil zu befürchten haben. Das würde zugleich bedeuten, daß er für den Fall, daß seine abwartende Haltung zur Kriegsverhütung führt, den Bonus des bewahrten Friedens einstreichen kann. Das Streben nach Kriegsverhütung ist dann also nicht mit dem Risiko eines Nachteils im Kriegsfälle belastet. Diese Logik muß für beide Seiten gelten, die dann vernünftigerweise die Optionen der militärischen Zurückhaltung gegenüber denen der kriegerischen Initiative bevorzugen werden. Wenn beide Seiten von dieser ihrer Interessenlage wissen, werden sie daraus überdies die Zuversicht schöpfen, daß auch der Gegner sein Verhalten gleichermaßen auf Kriegsverhütung abstellen wird.

Bei instabilen Lagen dagegen droht sich eine gefährliche, eskalatorische Eigendynamik zu entwickeln, die sich selbst gegen den grundsätzlichen Friedenswillen beider Seiten durchsetzen kann. Staatsführungen, deren Lebensinteressen während einer Krise hart aufeinanderstoßen, haben die ebenso natürliche wie fatale Neigung, ihre Lage als maximal bedrohlich anzusehen und vom Gegner das schlimmstmögliche Verhalten zu erwarten. Die eigene Situation erscheint dann extrem gefährdet. Daher gelten dann äußerste Sicherheitsvorkehrungen als geboten, damit man der Bedrohung, so wie man sie zu erkennen glaubt, überhaupt noch mit Aussicht auf Erfolg entgegenwirken kann. Diese Vorkehrungen jedoch signalisieren der anderen Seite, daß die — such von ihr befürchtete — äußerste Bedroung Gestalt annimmt. Dementsprechend er-

egteine entsprechende Reaktion, die zwar 9 wehrend gemeint ist, aber auf der anderen eite wieder als aggressiv aufgefaßt wird. Auf lese Weise eskalieren die Beziehungen im-er weiter von militärischer Reaktion zu miliirischer Gegenreaktion, bis schließlich eine ihn d den Krieg für unausweichlich hält und aher anfängt, um sich wenigstens den moti des Überraschungseffekts zunutze zu nit enj Unter diesen Umständen muß es das die" endige Bestreben der anderen Seite sein, durm 2u erwartenden Ereignis rechtzeitig m einen eigenen Erstschlag zuvorzukomer Ausbruch des Ersten Weltkrieges kann als traurige Illustration dafür dienen, wie die Logik der kriegerischen Eskalation Regierungen in ihren Bann schlagen kann, die eigentlich viel lieber den Krieg vermieden hätten.

Derartige Instabilität beruht auf der Voraussetzung, daß das bestehende militärische Kräfteverhältnis derjenigen Seite, die den militärischen Erstschlag führt, einen wesentlichen Kriegführungsvorteil einräumt. Das konfrontiert die konfligierenden Seiten im Krisenfall mit der mißlichen Wahl zwischen einem Verhalten der militärischen Zurückhaltung, das zwar mit größerer Wahrscheinlichkeit die angestrebte Kriegsvermeidung nach sich zieht, aber zugleich bei einem Scheitern der Kriegsvermeidungspolitik mit ernstlichen Risiken für die Sicherheit des eigenen Landes belastet ist, und einem Verhalten des militärischen Draufsattelns, das zwar die Friedenswahrung gefährdet, aber im Kriegsfälle vorteilhaft ist. Je wahrscheinlicher der Krieg nach Ansicht der Entscheidungsträger ist, desto mehr wächst deren Neigung, für den Kriegsfall vorzusorgen und dementsprechend den Erfordernissen der Kriegsvermeidung entgegenzuhandeln. Es verschärft die Situation, wenn ein Gefühl eigener militärischer Schwäche gegenüber der anderen Seite vorhanden ist: Eine beim Gegner angenommene Überlegenheit nährt die Meinung, daß dieser sich Siegesaussichten ausrechne und daher vielleicht nur wenig gegen den Ausbruch eines Krieges habe.

Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt auch die Forderung nach einer Ausgewogenheit des militärischen Kräfteverhältnisses einen Stellenwert. Keine der Seiten, so ist die Logik, soll sich im Kriegsfälle Hoffnungen auf einen Sieg machen können, der sie möglicherweise in erheblichem Umfang für die drohenden Zerstörungen „entschädigen" oder ihr den Eindruck eines relativ geringeren Kriegsrisikos vermitteln könnte. Stabilität beruht demnach auf zwei Faktoren. In einer Krisenlage dürfen militärische Vorkehrungen und militärisches Dem-anderen-Zuvorkommen keine Prämie abwerfen; ein akuter Spannungszustand pendelt sich daher wieder in die Ruhelage allseitiger militärischer Zurückhaltung ein. Zugleich muß die Kriegsaussicht für beide Seiten gleichermaßen — und das heißt auch ohne jeden „Trost" schließlichen Oberhandgewinnens für einen der Beteiligten — mit der Folge unerträglichen Schadens verknüpft sein, damit das Interesse an der De-eskalation eines drohenden militärischen Konflikts allseits unge-mischt ist. Unter solchen Bedingungen werden die konfligierenden Seiten auch im Fall einer akuten Krise alle Möglichkeiten der Kriegs-vermeidung auszuschöpfen suchen: Einen zusätzlichen Schaden hat keine Seite, wenn der Krieg trotzdem ausbrechen sollte; dagegen erlangen alle Beteiligten einen unschätzbaren Vorteil, wenn der Friede gewahrt werden kann. Eine derartige Versicherung gegen die Kriegsgefahr bedeutet für alle Staaten eine gleich gute Sicherheit.

Die Logik der Stabilität gilt auf weniger dramatische Weise auch in der Situation des Wettrüstens, die uns leider so vertraut ist. Die Rüstungsdynamik in beiden Bündnissen nährt sich heute glücklicherweise nicht mehr durch die akute Erwartung, daß die jeweils andere Seite einen Angriff vorbereitet, den man akut abschrecken und notfalls abwehren müsse. Aber darum fühlt sich noch keine Seite sicher. Ost und West sind nach wie vor durch vielfältige machtpolitische und ideologische Konflikte voneinander getrennt, deren friedliche Austragung nicht automatisch gewährleistet ist. Der Ost-West-Krieg stellt daher eine zwar nicht gewollte, wohl aber mögliche Eventualität dar. Im Blick darauf treffen die Staaten militärische Vorsorge: Sie rüsten, um sich im Falle eines zwar nicht gewollten, aber für möglich gehaltenen Krieges behaupten zu können. Dabei verhalten sie sich grundsätzlich genau so wie in einer Krise: Sie tendieren dazu, die militärischen Fähigkeiten des anderen zu übertreiben und entsprechend große Gegen-anstrengungen für erforderlich zu halten — und das wiederum fordert auf der Gegenseite in dem Gefühl latenten Bedrohtseins zu weiterer Rüstung heraus.

Dieses wechselseitige Hinaufschaukeln hat keinen Endpunkt. Keine der Seiten kann allein von sich aus anhalten, weil sie fürchten muß, daß sich der Gegner erst bei einer eindeutigen militärischen Überlegenheit hinreichend „sicher" fühlen wird. Kein Staat oder Staatenverband jedoch wird bereit sein, generell und langfristig seine militärische Unterlegenheit zu akzeptieren. Relative militärische Ohnmacht ist in einer Welt, in der Kriege geführt werden können, ein untragbares Risiko — und zwar auch dann, wenn es nicht zu einem militärischen Konflikt kommt. Wer im Gegensatz zum anderen die Option der Krieg-führung besitzt, kann unter bestimmten Umständen von Konfliktgegnern Anpassung oder sogar Unterwerfung verlangen. Das Erfordernis politischer Selbstbehauptung setzt'daher den direkten oder indirekten Rückgriff auf ausreichende militärische Macht voraus. Daher kann die Situation des Wettrüstens genau wie eine akute Krise in den zwischenstaatlichen Beziehungen nur gemeinschaftlich von allen Beteiligten gemeistert werden.

Der Festlegung eines stabilitätswahrenden militärischen Kräfteverhältnisses kommt dabei die entscheidende Bedeutung zu. Wäre dies erst einmal erreicht, dann wäre die Senkung des Rüstungsniveaus kein größeres Problem mehr. Wenn erst einmal der Umfang der militärischen Kapazitäten im Verhältnis zu den potentiellen Gegnern so festgelegt wäre, daß die Sorgen um die eigene Sicherheit entfallen könnten, dann besäße jede Seite das natürliche Interesse, daß die festgelegte Relation der Kräfte mit möglichst wenig Aufwand hergestellt werden würde. Unter solchen Voraussetzungen erschiene es denkbar, zu einer kooperativen Sicherheitswahrung zu gelangen, bei der die Logik des militärischen Antagonismus — die Logik des „Wer besiegt im Kriegs-fälle wen?" — überwunden werden würde.

Modelle des Friedens und der Sicherheit

In der öffentlichen Diskussion ist immer wieder von Modellen der Wahrung von Frieden und Sicherheit die Rede, die auf anderen Überlegungen als denen der Stabilität beruhen. Eine Vorstellung geht dahin, daß die Verwirklichung einer allgemeinen und vollständigen Abrüstung die Probleme lösen könnte. Alle Staaten, so heißt es, sollten sich in ihrem wechselseitigen Verhältnis total ihrer militärischen Bedrohungsfähigkeiten begeben. Meistens wird dann erläuternd hinzugefügt, bewaffnete Kräfte sollten nur noch zwecks Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in den einzelnen Ländern bereit stehen. Mangels militärischer Bedrohungskapazitäten würde dann die Staaten genötigt sein, ihre Konfit mit anderen — nämlich mit friedlichen — • 1 teln auszutragen.

Das klingt plausibel und verführerisch 2 gleich. Bei genauerer Betrachtung jedoch tre ten die Schwächen dieses Denkansatzes her vor. Wo liegen denn die Grenzen zwischen dem Umfang an bewaffneter Macht, die zu Wahrung der innerstaatlichen Ordnung er er derlich ist, und derjenigen militärischer • ke, die darüber hinausgeht und die daher für den Gebrauch nach außen hin frei ist? überzeugende Kriterien dafür lassen sich nicht finden, und es läßt sich unschwer voraussehen, daß die einzelnen Staaten hierfür höchst unterschiedliche Größenordnungen in Ansatz bringen werden. Wie läßt sich gewährleisten, daß bewaffnete Macht, die für innenpolitische Zwecke bereitgestellt ist, nicht auch zu außen-politischen Pressionen und Aktionen Verwendung findet? Auch wenn die Bewaffnung auf das für polizeiliche Zwecke Geeignete beschränkt würde, böte dies keine ausreichende Garantie, weil in einer sonst entwaffneten Welt diese heutzutage militärisch bedeutungslosen Kampfmittel eine entscheidende Bedeutung erlangen würden.

Wie soll sichergestellt sein, daß keiner der rund 150 Staaten unseres Erdballs heimlich Waffen und Kämpfer zurückbehält bzw. hervorbringt, die über die vereinbarten quantitativen und qualitativen Begrenzungen hinausgehen? Das Beispiel der Weimarer Republik, die als Staatswesen mit einem hohen Grad an Demokratie, Pluralität und Transparenz und als ein gezielter ausländischer Kontrolle aus-gesetzes Gebiet denkbar günstige Voraussetzungen für eine wirksame Überwachung bot, gibt da zu wenig Optimismus Anlaß. Wer hätte schließlich den Willen und die Macht, Vertragsbrüchige Staaten zur Einhaltung der übernommenen Verpflichtungen zu zwingen? Internationale Organisationen einschließlich Völkerbund und UNO haben in solchen Fragen bisher selten einmütige Geschlossenheit produziert; sie sind überdies durch den fehlenden Willen ihrer Mitgliedsstaaten, ihnen ein exekutives Mandat zu übertragen, im Zweifel jeder Durchsetzungsfähigkeit beraubt. Zu all dem kommt schließlich noch der Umstand, daß Länder, die einmal das für militärische Organisation und militärische Technik erforderliche Können erworben haben, dieses auch nach dnger Zeit im Bedarfsfall sehr schnell wieder Praktizieren können. Je niedriger der allge-

meine Rüstungsstand ist, desto leichter und schneller läßt sich dies bewerkstelligen. Die ersuche der Siegermächte von 1945, den eutschen durch eine totale „industrielle Ent-

walfnung" (bis hin zu einer Reagrarisierung : orgenthauscher Prägung) dauerhaft jede ob-e tive Fähigkeit zu militärischer Machtent-

mzung zu nehmen, machen die innere Un-

° 8 ichkeit solchen Beginnens deutlich, sinanderes Modell, das allseits Frieden und lektit et gewährleisten soll, ist das eines kol-

en Sicherheitssystems. Demnach hat jeder Teilnehmerstaat, der Opfer eines Angriffs werden sollte, das Recht auf den Beistand aller übrigen. Auf diese Weise soll die angegriffene Seite immer die überwältigende Mehrheit aller Länder und folglich auch eine überlegene militärische Stärke für sich beanspruchen können. Das würde darauf hinauslaufen, daß der potentielle Angreifer keinen Erfolg zu erwarten hat und daher von vornherein von einer Ausführung seiner Absichten abgeschreckt wird.

Das Funktionieren eines solchen Systems hängt davon ab, daß die nicht-betroffenen Staaten im Krisen-und Kriegsfall augenblicklich die Zusammenhänge erkennen können und nach dieser Einsicht unter Einsatz ihrer gesamten Existenz zu handeln bereit sind. Gerade dies aber ist nach allen historischen Erfahrungen — beispielsweise mit der Untätigkeit des Völkerbundes gegenüber den Aggressoren Mussolini und Hitler — nicht anzunehmen. In einer Krise ist die Schuldsituation oft genug unklar, und dort, wo sie eigentlich klar sein könnte, ziehen es die Staaten nur zu gerne vor, sich der angebotenen Vernebelungen als Ausreden zu bedienen, um ausschließlich nach ihren jeweiligen Interessen handeln zu können — nicht selten bis hin zur Unterstützung des Angreifers. Ein kollektives Sicherheitssystem wird daher seinem Anspruch nicht gerecht und bietet seinen Teilnehmerstaaten nichts weniger als die Gewähr einer Sicherheit vor militärischem Gewaltgebrauch. Ein jahrhundertealtes Modell der Wahrung von Frieden und Sicherheit beruht auf dem Gedanken der gewährleisteten Verteidigungsfähigkeit. Gegenüber einem möglichen gegnerischen Angriff erscheint die Verfügung über militärische Kapazitäten notwendig, die den Erfolg von Abwehr und Vergeltung garantieren. Die eigene Stärke soll den Angriff des Gegners, der drohen könnte, zunichte machen. Die Maxime lautet: „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.“ Dieses Konzept läßt ein gewisses Ausmaß an militärischer Überlegenheit gegenüber dem potentiellen Angreifer geboten erscheinen. Nur wenn man als Verteidiger dem anderen, der als der zu zügelnde Aggressor gilt, ein hinreichendes Kriegsrisiko — nämlich nicht nur die Zurückweisung seines Angriffs, sondern auch eine nachfolgende Niederlage — glaubhaft machen kann, hat er die militärische Auseinandersetzung wirklich zu fürchten und wird daher von ihr unbedingt Abstand nehmen. Die Problematik dieser Form von Kriegsverhütung liegt darin, daß die Logik einer wechselseitigen Eskalation obwaltet. Die Tendenz geht dahin, daß beide Seiten einander als Bedroher ansehen und dementsprechend um militärische Überlegenheit konkurrieren. Krisenhafte Konfrontationen und Wettläufe im Rüstungsbereich sind damit vorprogrammiert.

Einen Ausweg bietet das Modell der wechselseitigen Fähigkeit zur „Bestrafung". Mit der Metapher der Strafandrohung wird hier die Aussicht bezeichnet, die der einen wie der anderen Seite winkt, falls sie in einen Krieg eintreten sollte. Wenn beide Seiten jeweils die andere vernichtend treffen können und diese Fähigkeit nicht wesentlich davon beeinflußt wird, inwieweit sie selbst bereits zuvor angeschlagen worden sind, dann kann militärische Macht im Krisen-und Kriegsfall, nicht mehr dazu gebraucht werden, um befürchteten Schaden vom eigenen Land abzuwenden und die andere Seite in eine relativ unterlegene Position zu versetzen. Der Ausbruch eines Krieges bedeutet dann für die Beteiligten nur noch das Eintreten katastrophaler Folgen, die auch dadurch nicht verringert werden können, daß man selbst losschlägt. Unter diesen Umständen können die Gegner auch in einer Situation akuter Krise vernünftigerweise nur ein Maximum an Abwarten und Zurückhaltung zeigen, um auch die kleinste Chance der Kriegsverhütung zu nutzen. Dies aber gibt beiden Seiten die bestmögliche Gewißheit, daß der Konfliktgegner an einer Kriegsinitiative gehindert ist. Die wechselseitige Fähigkeit zur „Bestrafung" unabhängig von den Modalitäten der Kriegseinleitung führt dazu, daß man wechselseitig den Willen bekundet und demonstriert, vom Gebrauch militärischer Gewalt Abstand zu nehmen. In der französischen Sprache gibt es für diesen Prozeß die treffende Bezeichnung „dissuasion", d. h. Vorgang des überzeugens, etwas (nämlich die Initiierung eines Krieges) zu unterlassen.

Die Verwirklichung eines solchen Konzepts würde auch das Problem des Rüstungswettlaufs lösen. Es geht dann nicht mehr darum, die andere Seite durch das Vorweisen überlegener Abwehr-und Vergeltungskapazitäten vom Krieg abzuschrecken. Vielmehr besitztjeder — gemäß dem Prinzip der gleich guten Sicherheit für die Beteiligten — ausschließlich die Fähigkeit, dem anderen die Eventualität des Krieges zu einem Fall unabgeschwächter Vernichtung zu machen und ihn damit von der uneingeschränkten Unannehmbarkeit dieser Eventualität zu überzeugen. Dabei wird dem anderen eine gleichartige Fähigkeit zur „Bestrafung" der eigenen Seite zugestanden, falls man den Krieg beginnen sollte. Die in Aussicht gestellte „Bestrafung" bedeutet aber für niemanden eine Drohung, weil sie nur dazu bestimmt ist, wechselseitig einen unwiderstehlichen Anreiz zur Kriegsverhütung zu schaffen. Dabei ist die „Strafandrohung“ so gewaltig und so zuverlässig, daß mit ihrer Ausführung nicht gerechnet zu werden braucht Solange die wechselseitige Fähigkeit zur „Bestrafung" (vor allem durch die Waffen des weitreichenden nuklearen Zweitschlags) gewährleistet ist, können beide Seiten auf militärische Überlegenheit gegeneinander verzichten und sich mit einem Mindestmaß an Rüstung begnügen: Es geht nicht mehr um Sieg oder Niederlage im Kriegsfall, sondern allein noch um die Verhütung des Krieges. Damit ist die Logik des Antagonismus überwunden. Auf dieser Basis wird kooperative Sicherheitswahrung zur konkreten Möglichkeit.

Das Kräfteverhältnis zwischen Ost und West im Lichte der vorgetragenen Überlegungen

Das militärische Kräfteverhältnis zwischen NATO und Warschauer Pakt hat mehrere verschiedene Ebenen. Da ist zunächst die global-strategische Ebene, zu der die interkontinentalen Trägerwaffen der beiden Weltmächte zählen. Darunter liegen die kontinental-strategischen Ebenen mit den sogenannten Mittelstreckensystemen, die sich in den Händen der UdSSR, der USA Großbritanniens, Frankreichs und Chinas befinden. Für das Ost-West-Verhältnis in Europa ist speziell die euro-strategische Ebene wichtig. Als unterster Bereich ist die Gefechtsfeldebene mit ihren nuklearen und konventionellen Komponenten anzusehen.

Die Situation der beiden Bündnisse im Verhältnis zu diesen drei militärischen Ebenen ist ungleichartig. Die östliche Seite bildet 7 im Gegensatz zu den NATO-Staaten elne geopolitische Einheit. Daher erscheint es von vornherein undenkbar, daß das Gebiet, dasut ter dem Schutz exklusiv sowjetischer Walfensysteme steht, nicht die kleineren War-schauer-Pakt-Länder als das unmittelbar 6 Vorfeld der UdSSR mit umfassen könnte Demgegenüber wäre es im westlichen Bündnis theoretisch vorstellbar, daß die amerikanische Führungsmacht sich nur für Belange der nationalen Sicherheit einsetzt. Daher müssen spezielle Vorkehrungen — die Stationierung amerikanischer Truppen und auch Nuklearwaffen auf europäischem NATO-Territorium -gewährleisten, daß die Sicherheit Westeuropas mit derjenigen der USA zuverlässig gekoppelt ist Dieser Umstand konvergiert mit den Erfordernissen des Konzepts wechselseitiger „Bestrafung": Der Zusammenhang der unteren Ebenen mit der obersten Ebene ist demnach notwendig, weil nur „oben" ein unannehmbarer Schaden für die beiden Supermächte entstehen kann.

Eine weitere Differenz betrifft die Vorbereitungen für den Kriegsfall. Die sowjetische Praxis geht dahin, daß eine kriegerische Auseinandersetzung mit dem Westen auch allein auf unteren Ebenen ausgetragen werden kann, auch wenn ein solcher Fall als wenig wahrscheinlich gilt. Die NATO-Strategie dagegen beruht auf der Einschätzung, daß die Verteidigungsfähigkeit in Europa auf allein den unteren Ebenen nur bedingt vorhanden ist und daß daher auf längere Dauer wahrscheinlich ein Ausgleich durch den Rückgriff auf höhere Ebenen notwendig werden würde. Der Unterschied führt dazu, daß die UdSSR auch im Falle eines langdauernden Krieges nicht notwendigerweise nukleare Gefechtsfeldwaffen, kontinental-strategische Systeme oder gar Interkontinentalraketen einzusetzen braucht, während sich im westlichen Lager voraussichtlich bald die Frage nach dem Gebrauch zumindest von taktischen Kernwaffen stellen würde. Das vitale Interesse der Westeuropäer daran, daß die beiden Supermächte jedweden Krieg auf dem europäischen Schauplatz für nicht führar erachten, verstärkt darüber hinaus die Neigung auf Seiten der NATO, das qualitative und geographische Ausweitungsrisiko eines so chen Krieges hervorzuheben.

Auf der global-strategischen Ebene lassen sich as Postulat der Stabilität und das Modell der wsshselseitigen Fähigkeit zur „Bestrafung" am feinsten darstellen und verwirklichen — mit-e s des Konzepts der wechselseitig gewähr-pssteten t SA uZndweditschlagsfähigkeit. D ie UdSSR können miatsihbreesnagint-: seil ontinentalen Trägern die politische, ge-tio sdhaftliche und wirtschaftliche Organisa-da res anderen Landes jeweils zerstören, und schsaamacht es keinen wesentlichen Unter-n ! e ob die Träger vor oder nach einem geglsc en Erstschlag auf den Weg gebracht werden. Dies ist möglich, wenn die Trägermittel einen feindlichen Angriff weitgehend un-beeinträchtigt überdauern können, weil sie entweder nicht mit hinreichender Genauigkeit getroffen oder aber nur in allzu geringer Zahl geortet werden können.

Die Sorge vieler Amerikaner im Zusammenhang mit SALT II geht dahin, daß qualitatives Nachziehen zusammen mit vorhandenen quantitativen Überlegenheitsmomenten der UdSSR in den achtziger Jahren eine Erstschlagsfähigkeit verschaffen könnte, d. h., daß dann ein sowjetischer Raketenangriff den amerikanischen Vergeltungsschlag wesentlich abschwächen würde. Betrachtet man die Situation aus der sowjetischen Perspektive, dann lassen sich gleichartige Befürchtungen hinsichtlich eines möglichen amerikanischen Erstschlages formulieren. Wenn beide Thesen richtig sind, dann bildet sich eine Lage wechselseitiger Erstschlagsfähigkeit mit dem Resultat wechselseitig gefährdeter Zweitschlagsfähigkeit heraus — also Instabilität auf der Grundlage von Parität. Allerdings läßt sich bezweifeln, ob angesichts der katastrophalen Wirkungen auch eines abgeschwächten Zweitschlages die — theoretisch vorhandene — Instabilität praktisch durchschlägt. Es erscheint schwer vorstellbar, daß für die eine oder andere Seite der Umstand einer zwar ungeheuerlichen, aber im Vergleich zum Gegner reduzierten Verwüstung im eigenen Land den nuklearen Erstschlag attraktiver machen könnte.

Auf der euro-strategischen Ebene bilden die nuklearen Träger der USA, Großbritanniens und Frankreichs in und um Westeuropa nach den Erkenntnissen der amerikanischen Satellitenaufklärung kein ausreichendes Gegengewicht gegen die sowjetischen Mittelstrecken-systeme. Die Situation erscheint noch zusätzlich verschärft durch den Qualitätsvorsprung, den sich die UdSSR mit der SS-20 verschafft. Vor allem die fortschreitende Dislozierung dieser Rakete läßt der NATO eine Abhilfe durch eigene Nachrüstung immer dringlicher erscheinen. Die euro-strategische Stabilität gilt als bedroht, weil vermutet wird, die sowjetischen Raketen könnten in absehbarer Zeit einen so vernichtenden Erstschlag gegen westeuropäische Ziele führen, daß ein nachfolgendes Eingreifen der in den USA stationierten strategischen Träger sinnlos werden würde. Von sowjetischer Seite wird dieser Einschätzung des euro-strategischen Kräfteverhältnisses nachdrücklich widersprochen: Es bestehe, so heißt es, eine mit großer Mühe schließlich erreichte „annähernde Parität". Anders als die westlichen Angaben wird diese Aussage nicht näher spezifiziert, so daß sie sich der Diskussion und Nachprüfung entzieht. Nach sowjetischen Andeutungen zu urteilen, spielen bei der unterschiedlichen Situationsbewertung differierende Kriterien eine wesentliche Rolle.

Seit den Anfängen von SALT I kommt die sowjetische Seite immer wieder auf das Problem der sogenannten „vorne stationierten Systeme" in Europa zu sprechen. Welche Waffen unter diesen Begriff fallen sollen, ist nie eindeutig abgegrenzt worden. Erläutert wird freilich, daß es sich um alle Kernwaffen handele, mit denen die Amerikaner und ihre Verbündeten sowjetisches Territorium erreichen könnten. Nach sowjetischer Ansicht ist die strategische Gleichung so zu definieren, daß die Waffen, die sich gegen sowjetische Ziele richten, gegen die die USA bedrohenden Interkontinentalsysteme der UdSSR aufgerechnet werden. Die Frage der Reichweiten sei dabei unerheblich, denn schließlich komme es nicht auf die Art des Transports, sondern auf die im Endergebnis hervorrufbare Wirkung an. Die Amerikaner erscheinen, solange sie die Einbeziehung ihrer entsprechenden weniger weitreichenden Träger (bis hin zu denen taktischer Art) verweigern, der Inanspruchnahme exklusiver Sondervorteile im Kräfte-verhältnis zwischen den beiden Supermächten verdächtig.

Die sowjetische Argumentation klingt überzeugend, solange man einen entscheidenden Gesichtspunkt außer Betracht läßt. Ginge es nur um die strategische Relation zwischen USA und UdSSR dann ließe sich gegen die sowjetischen Darlegungen nichts einwenden. In den sowjetischen Thesen kommt Westeuropa nur als Stationierungsbasis amerikanischer Kernwaffen vor — ganz so, als ob sich damit seine Funktion in den Ost-West-Beziehungen erschöpfe und als ob es ansonsten eine unbewohnte Region ohne eigene Rechtsansprüche wäre. In Wirklichkeit jedoch besitzt Westeuropa ein erhebliches politisches und wirtschaftliches Gewicht mit allen daraus resultierenden Sicherheitsbedürfnissen. Wenn man dies berücksichtigt, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Die „vorne stationierten Systeme" auf dem europäischen NATO-Territorium haben primär und wesentlich die Funktion, die gegen dieses gerichteten sowjetischen Mittelstrekkenwaffen zu konterkarieren, d. h. für den Schutz Westeuropas da zu sein. Gäbe es sie nicht oder würden sie gegen die sowjetischen Interkontinentalraketen aufgerechnet, s würde jedes Gegengewicht gegen die au Westeuropa zielenden sowjetischen Mittel Streckenraketen entfallen.

Daher erscheint es sinnvoll, die Träger glei eher Reichweite in eine Beziehung zueinande zu setzen: die Interkontinentalwaffen als dü das militärische Verhältnis zwischen beider Supermächten bestimmenden Faktoren um die Mittelstreckenwaffen als die für die strate gische Kräfterelation in Europa (zu dem j schließlich auch die UdSSR gehört) maßgebli chen Elemente. Es geht nicht an, den Westen ropäem gegenüber der kontinental-strategi sehen Bedrohung seitens der Sowjetunion ent weder jedes Gegengewicht zu verweigen oder aber dieses durch Doppelzählung in glo bal-strategischem wie in kontinental-strategi schem Kontext illusorisch zu machen. De Grundsatz der gleich guten Sicherheit für all Seiten besitzt auch im Blick auf Westeurop Gültigkeit.

Auf der Ebene des europäischen Gefechtsfeld bestehen nach den Erkenntnissen der NATO Aufklärung starke Unausgewogenheiten, wel ehe die Stabilität gefährden. QuantitativeVor teile, die der Warschauer Pakt seit jeher beses sen hat, sind demnach seit Ende der sechzige Jahre weiter ausgebaut und durch qualitativ« Verbesserungen ergänzt worden. Besonder« Sorge rief im Westen hervor, daß vor allem di« Mittel des Angriffs ausgebaut wurden — zu mal es zu den sowjetischen Einsatzprinzipis gehört, im Kriegsfälle offensiv an der europäi sehen NATO-Front vorzugehen. Einer derart) gen Einschätzung des Kräfteverhältnisse wird von östlicher Seite widersprochen. Auel für die Gefechtsfeld-Ebene wird die Existen einer „annähernden Parität" behauptet. Sei 1976 liegen auch östliche Zahlen auf den Tisch, welche diese Version erhärten sollet Es hat sich jedoch noch nicht klären lasser wie die Differenz zu den Feststellungen de NATO zu erklären ist.

Daher bestehen die Sorgen in den westeu päischen Ländern unvermindert fort Die 5 fürchtungen gehen vor allem dahin, daß 1 östliche Seite in baldiger Zukunft die °Pt eines überraschenden Angriffs — d. h. 1 Möglichkeit, ohne klar erkennbare Vorber tungen die NATO-Verteidigungslinien an greifen und dabei die Chance eines rase e Durchbruchserfolgs zu haben — erlang könnte. Der UdSSR eine derartige Fähigkein Mitteleuropa zu verwehren, kann als vernu tiges Ziel bei den MBFR-Verhandlungen 85 ten. Da die NATO in der Rolle des Ver ei gers grundsätzlich nicht ganz so starke Kräfte benötigt wie ein hypothetischer Angreifer, braucht sie im Sinne eines solchen Stabilitätskonzepts nicht auf voller militärischer Parität zu bestehen. Tatsächlich bedeutet die geforderte Gleichheit der Personalstärken in der Praxis, daß sich das westliche Bündnis mit weniger Verbänden und mit weniger Feuerkraft zufrieden gibt, als sie dem Warschauer Pakt zugestanden werden. Das Resultat einer solchen Übereinkunft» wäre lediglich eine Einschränkung des östlichen Übergewichts an der Nahtstelle von Ost und West.

Auf diese Weise, so ist die Überlegung, würde immitteleuropäischen Raum eine gewisse Stabilität entstehen: Im Krisenfall würde auch der östlichen Seite nicht die Hoffnung winken, durch rasches militärisches Handeln den Gegner vielleicht überrumpeln zu können und so einen Ost-West-Krieg (der sich den Entscheidungsträgern in Moskau bei einer Krise möglicherweise als unausweichlich darstellen könnte) mittels Prävention gleich zu Anfang durch einen raschen Sieg in Europa günstig zu eröffnen. Niemand weiß natürlich, ob die sowjetische Führung unter einem Eindruck, daß westliche Krisenvorkehrungen den Krieg wahrscheinlich machten, die Nerven verlieren und ein entsprechendes Vorgehen beschließen würde. Es würde jedoch im Krisenfall die Nervosität in den NATO-Ländern wesentlich reduzieren, wenn die objektiven Voraussetzungen für derartige Befürchtungen durch ein geeignetes Ost-West-Arrangement beseitigt wären.

Eine beruhigende psychologische Wirkung wäre auch zu erwarten, wenn die sowjetische Seite mit dem Doppelstandard, den ihre Außen-und Sicherheitspolitik vielfach erkennen it Schluß machen würde. Im direkten Ostest-Verhältnis gelten demnach die Spielregeln der „friedlichen Koexistenz“, insbesonere auch das Gebot des Gewaltverzichts. Bei Sen Konflikten in der Dritten Welt dagegen " ird der „nationale Befreiungskrieg" als Handungsnorm proklamiert und bei Bedarf auch Praktiziert. Die Sowjetunion geht mit der Un-wrstrtzung einiger ihrer Verbündeten daran, 0 likte außerhalb Europas zu verschärfen p einer gewaltsamen Regelung zuzuführen, as steht in diametralem Gegensatz zu allem, as der Warschauer Pakt als Entspannung ! c en Ost und West postuliert und im eu-whsch-atlantischen Rahmen realisiert sehen

Pe. militärische Intervention der UdSSR in 8 anistan hat in diesem Zusammenhang eine besonders ominöse Bedeutung. In einem Land, das zu den neutralen und nicht-gebundenen Staaten zählt, hat die Sowjetunion direkt mit starker Waffengewalt eingegriffen, um ein ihr mißliebig werdendes Regime politisch und physisch auszuschalten, eine von ihr abhängige Regierung einzusetzen und einen Bürgerkrieg in ihrem Sinne zu entscheiden. Die sowjetische Macht, die bis dahin bereits durch zahlreiche Zivil-und Militärberater fast überall in Afghanistan präsent war, nahm die Form einer regelrechten Besatzungsherrschaft an. Damit wurde eine Expansion mittels gewaltsamer Satellisierung zum Abschluß gebracht. Das läßt sich in keiner Weise mit den Erfordernissen der Entspannung und Friedenswahrung in Einklang bringen und unterstreicht, daß eine Entspannungspolitik ohne eine gleichzeitige Sicherung der globalen wie regionalen Stabilität (die in Mittelost seit dem Ende der amerikanisch-iranischen Zusammenarbeit und seit der innenpolitischen Auflösung des Iran nicht mehr besteht) nicht möglich ist. Gelegentliche Argumentationen, die darauf hinauslaufen, eine ausschließlich auf Europa bzw. auf das direkte Ost-West-Verhältnis beschränkte Entspannung zu befürworten, mißachten nicht nur die Unabhängigkeits-, Friedens-und Entwicklungsinteressen der neutralen und nicht-gebundenen Staaten, sondern verkennen auch die potentielle Ost-West-Explosivität von militärischen Konflikten in der Dritten Welt, an denen sich eine Seite beteiligt und an denen dann auch die andere Seite im Gefühl der machtpolitischen Konkurrenz — wenn nicht gar aus direktem vitalen Betroffensein heraus — ein Interesse nimmt.

Der Widerspruch zwischen sowjetischer Entspannungspolitik in Europa und sowjetischem Spannungs-und Konfrontationsverhalten in anderen Teilen der Welt liegt nicht nur darin, daß in dem einen Fall der Gewaltverzicht und in dem anderen der Gewaltgebrauch zur Maxime erhoben wird. Inkonsequent ist auch, daß in den Ost-West-Konflikten hier die Lebensinteressen der anderen Seite in gewissem Umfange respektiert werden, während sie dort vielfach wenig zurückhaltend behandelt werden. Ist denn, so muß man fragen, die Ost-West-Entspannung teilbar? Daraus resultieren zwei Gefahren: Die Bedrohung westlicher Lebensinteressen auf indirektem Wege kann unter bestimmten Voraussetzungen zu krisenhaften Lagen führen, die auch das direkte Ost-West-Verhältnis berühren. Zugleich wird das Bild, das Regierungen und Öffentlichkeit der westlichen Länder von der östlichen Politik gewinnen, durch die Aktivitäten in der Dritten Welt wesentlich mitgeprägt, so daß an dieser Stelle über das Klima des Vertrauens oder Mißtrauens in Europa mitentschieden wird.

Eine überall geübte Politik der Kriegsverhü. tung wäre ein hervorragendes Mittel, denArgwohn, der noch zwischen Ost und West besteht, fortschreitend abzubauen.

Ausblick auf künftige Ost-West-Verhandlungen

Auf vielerlei Ebenen stehen Staaten der beiden Bündnisse in Verhandlungen über Sicherheitsprobleme bzw. scheinen auf solche zuzugehen. Das Interesse daran, zu einem Einvernehmen über immer weitere Fragen zu gelangen, ist wechselseitig vorhanden.

Die Auffassungen sind jedoch noch unendlich weit voneinander entfernt. Nach Ansicht der NATO-Staaten kommt einer Wiederherstellung des verlorenen militärischen Gleichgewichts auf den beiden europäischen Ebenen vorrangige Bedeutung zu. Das sowjetische Streben ist demgegenüber darauf gerichtet, das bestehende Kräfteverhältnis möglichst weitgehend vertraglich abzusichern. Diese Politik ist dem westlichen Verdacht ausgesetzt, daß zwar nicht dem Namen, wohl aber der Sache nach Momente einer starken östlichen Überlegenheit festgeschrieben werden sollen. Dem steht der östliche Vorwurf gegenüber, die NATO-Staaten wollten unter der Parole einer Parität erneut militärische Übergewichte zu ihren Gunsten etablieren. Dieser Kontroverse gemäß tendieren die westlichen Verbündeten dazu, der Entschlossenheit zum Nachrüsten zeitliche Priorität einzuräumen und Verhandlungen über ein ausgewogenes Kräfteverhältnis vielleicht erst zu einem späteren Zeitpunkt zu beginnen. Die sowjetische Führung dringt demgegenüber darauf, daß die westlichen Rüstungspläne bedingungslos aufgegeben werden und daß es dann auf dieser Grundlage zu sicherheitspolitischen Ost-West-Verhandlungen kommt Hinsichtlich des global-strategischen Kräfte-verhältnisses haben die USA und die UdSSR mit dem SALT-II-Vertrag (dessen Ratifizierung und Inkrafttreten freilich noch ausstehen) ein Einvernehmen erzielt, das grundsätzlich auf dem Grundsatz der Parität basiert. Damit ist jedoch erst ein Anfang gemacht. Dringliche Aufgaben harren noch der Lösung bei SALT III. Die Rüstungsbegrenzung in qualitativer Hinsicht ist bislang dürftiges Stückwerk geblieben; daraus resultiert ein Wettlauf nach verbesserten Waffensystemen. Zusammen mit den unzureichenden qualitativen Beschränkungen sorgt die Höhe des vereinbarten global-strategischen Rüstungsniveaus beider Seiten dafür, daß die Parität nicht mit Stabilität einhergeht: SALT schließt keineswegs aus, daß sich ein überraschender Erstschlag künftig vorteilhaft für den Initiator auswirken könnte (so relativ der dadurch erzielte Gewinn auch sein mag). Dies ist eines der wesentlichen Bedenken, das in den USA gegen den SALT-II-Vertrag geltend gemacht wird.

Noch weitaus problematischer ist die Lage auf der euro-strategischen Ebene. Dort gibt es bislang keinerlei vereinbarte Rüstungsbegrenzung, und die Ansichten darüber, wie eine derartige Übereinkunft aussehen müßte, gehen prinzipiell auseinander. Soll der bestehende Zustand als ein paritätisches Kräfteverhältnis auf wechselseitig reduziertem Niveau festgeschrieben werden (wie die UdSSR verlangt) oder muß dieser Zustand als eine zunehmend ungleichgewichtige Relation zunächst durch einseitigen Abbau bzw. durch Nachrüstung auf der anderen Seite korrigiert werden, ehe wechselseitig gleichmäßige Verringerungen erfolgen können (wie es die NATO für notwendig hält)?

Die NATO-Staaten können — angesichts ihrer sorgenvollen Einschätzung der Lage -nicht davon abgehen, daß sie sich die Option des Nachrüstens schaffen müssen. Sie haben sich daher auf ein Modernisierungs-und Ausbauprogramm im Mittelstreckenbereich festgelegt. Da dessen Verwirklichung jedoch viele Jahre in Anspruch nehmen wird, steht einer gleichzeitigen Aufnahme von Verhandlungen mit der östlichen Seite nichts entgegen. In dem Maße, wie die diplomatischen Ost-West-Gespräche dann zu einem befriedigenden Ergebnis führen, könnte dabei von vornherein ein Verzicht auf beschlossene Modernisierungs-und Ausbaumaßnahmen vorgesehen werden. Dieses Verfahren würde erfordern daß die sowjetische Seite das von ihr angestrebte Resultat, den Verzicht der NATO 4 eine Ausweitung ihrer militärischen Kapazi ten, nicht vor Beginn, sondern erst bei A Schluß der Verhandlungen zu erreichen sucht.

Der NATO-Beschluß vom 12. Dezember 1979 der eine euro-strategische Nachrüstung v° sieht, aber zugleich für die bis zu dessen Verwirklichungverbleibende Drei-bis Vierjahresfrist Verhandlungen mit der UdSSR über eine ausgewogene wechselseitige Reduzierung der eurostrategischen Systeme anbietet, wurde bislang in Moskau mit Ablehnung quittiert Das liegt teilweise in objektiven Schwierigkeiten, zum Teil aber auch in Einseitigkeiten des sowjetischen Standpunktes begründet.

Ungeachtet Carters moralisch-politischem Engagement für die Sache der Rüstungskontrolle, zweifelt die sowjetische Führung an der grundsätzlichen amerikanischen Bereitschaft zur Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen. Das ist zum Teil auf die Person des Präsidenten selbst zurückzuführen, der in der Vergangenheit durch ein konfrontativ wirkendes Hoch-spielen der Menschenrechtsproblematik im Osten, durch inkonsistentes Vorgehen in Fragen einer zu vereinbarenden oder nicht zu vereinbarenden Rüstungsbeschränkung und schließlich durch sein Eingehen auf massiv geltend gemachte Forderungen der politischen Öffentlichkeit seines Landes nach vermehrten global-strategischen Rüstungsmaßnahmen Argwohn in Moskau erregt hat. Unbehagen bereitet der sowjetischen Seite zugleich ein zunehmender Trend in den USA das seit Nixon und Kissinger verfolgte Konzept einer wechselseitigen amerikanisch-sowjetischen Zurückhaltung in politischen und militärischen Angelegenheiten für endgültig gescheitert zu erklären und dafür das Gewicht immer stärker auf den Gesichtspunkt der Verteidigung, also auf eine Sicherheitsgewährleistung durch Stärkung der eigenen Militärkapazitäten, zu legen. Dabei rückt augenscheinlich nicht ins sowjetische Blickfeld, daß diese Ten-

denzen durch eine vielfach einseitige Hochrüstungspolitik der UdSSR, durch die Etabliejung sowjetischer Militärpräsenzen in vielen ändern Afrikas und Asiens, durch die Unterstützung der gewaltsamen Expansion Viet-

pms und durch sowjetisches Vorgehen im Mittheren Osten entscheidend gefördert — wenn nicht gar teilweise überhaupt erst her-

yogerufen — worden sind. Die sowjetischen ttfe hinsichtlich der amerikanischen Ablc ten haben unter anderem Pate gestanden handem sowjetischen Wunsch, bei den Verungen über die eurostrategischen 8 eme nicht allein den Amerikanern gegenyosrzusitzen, sondern zugleich auch die — für wndigungsfreundlicher gehaltenen _ In d-

europäer unmittelbar am Tisch zu sehen. Mteser Hinsicht hat der NATO-Beschluß in dan au enttäuscht: Die Westeuropäer sollen d nur mittelbar — über einen Mechanismus der ständigen Vorauskonsultation mit den Amerikanern — an den Verhandlungen beteiligt werden.

Den sowjetischen Wünschen widerspricht auch die Einordnung der Verhandlungen in den SALT-Rahmen. Moskau kann hierfür plausible Gründe geltend machen. Die Ratifizierung des SALT-II-Vertrages, die einer weiteren SALT-Runde vorausgehen muß, ist in Washington fraglich geworden — woran negative weltpolitische Entwicklungen, insbesondere im Mittleren Osten (Iran und Afghanistan), einen entscheidenden Anteil haben. Im günstigsten Falle kann der Vertrag nach einer langen Verzögerung ratifiziert werden, wie es der amerikanische Präsident nach wie vor erhofft, nachdem er die Prozedur, um eine sicher erscheinende Ablehnung des Vertrages zu vermeiden, auf unbestimmte Zeit verschoben hat Vor Frühjahr bis Sommer 1981 wird mit Sicherheit nichts passieren.

Das aber kann fatal werden für Verhandlungen, die unter einem doppelten Zeitdruck stehen: dem Druck durch die laufende Vermehrung der SS-20 (laut Weißbuch 1979 ca. 100 im Frühjahr 1979 bei Installierung eines weiteren Systems in jeder Woche) und des „Backfire" (nach der gleichen Quelle 80 im Frühjahr 1979 bei einer jährlichen Produktionsrate von 30) gegenüber Westeuropa auf sowjetischer Seite und dem Druck der etwa ab 1983 zur Dislozierung gelangenden „Pershing IT und Marschflugkörper auf Seiten der NATO. Daher hat die sowjetische Diplomatie schon vor dem NATO-Beschluß auf eine Entkopplung von SALT-Prozeß und Mittelstrecken-Verhandlungen gedrungen. Wenn sich die westliche Seite trotzdem auf eine Erörterung bei SALT III festgelegt hat, dann liegt dies an den außerordentlichen Komplikationen, die ein ausgedehnter Entscheidungsvorgang von zugleich innerund zwischenstaatlichem Charakter notwendigerweise mit sich bringt: Eine einmal getroffene Entscheidung hat die Tendenz, einfach deswegen unumstößlich zu werden, weil der geleistete Aufwand an Willen, Mühe und Zeit in seiner Gesamtheit vom Anfang an bis zum Ende kaum nochmals aufzubringen wäre oder aber doch zumindest zu einem für unannehmbar erachteten zeitlichen Verlust an Handlungsfähigkeit führen würde.

Der sowjetische Widerstand gegen eine Anbahnung von Verhandlungen auf der Basis des NATO-Beschlusses ist zugleich in Überlegungen begründet, die einen einseitigen Vorteil für die UdSSR postulieren und die daher für die westlichen Staaten grundsätzlich nicht ak-zeptabel sind. Die sowjetische Führung hat sich bislang in einer begünstigten Verhandlungsposition befunden: Ihre potentiellen Verhandlungspartner standen im Gegensatz zu ihr unter dem Druck, rasch zu Ergebnissen zu gelangen. Denn die westliche Seite hat ein dringliches Interesse daran, der fortlaufend erfolgenden Vermehrung der gegen Westeuropa gerichteten SS-20-Raketen und „Backfire" -Bomber ein Ende zu setzen und muß daher der Sowjetunion in der Rolle des Bittstellers gegenübertreten. Der politische Sinn des NATO-Beschlusses besteht darin, diese Asymmetrie der Verhandlungssituation durch eine symmetrische Lage zu ersetzen: Demnach entstehen künftig aufgrund eines gefaßten Beschlusses westliche Gegensysteme, die, soweit die Notwendigkeit nicht durch sowjetische SS-20-und „Backfire" -Verzichte entfällt, ab ungefähr 1983 in einer bereits feststehenden Weise installiert werden.

Dies heißt, daß nicht nur die westliche, sondern auch die östliche Seite ein spezifisches Verlangen hat, das sie beim Verhandlungspartner befriedigen möchte. Damit wird ein wechselseitiges Geben und Nehmen möglich. Wenn sich die sowjetische Seite gegenüber dem westlichen Ansinnen taub stellt, muß sie nunmehr selbst Konsequenzen in Form nicht befriedigter eigener Wünsche tragen (was vor dem NATO-Beschluß nicht der Fall gewesen wäre). Es mag verständlich sein, daß die sowjetische Führung über diese Schwächung ihrer Verhandlungstrümpfe nicht begeistert ist. Für die NATO jedoch liegt hier eine unerläßliche Gewähr dafür, daß sie sich nicht von vornherein in einer politisch unterlegenen Position befindet.

Das ist objektiv und notwendig, wenn eine ausgewogene, die Sicherheit beider Seiten gleichermaßen gewährleistende Regelung zustande kommen soll. Die sowjetische Führung hätte die Möglichkeit gehabt, die westlichen Staaten von dem Zwang zu einem Nachrüstungsbeschluß vor dem Beginn von Verhandlungen zu befreien — indem sie nämlich die Dislozierung ihrer neuartigen euro-strategischen Systeme, insbesondere der SS-20, gestoppt hätte. Dann wären die NATO-Länder nicht mehr mit der Aussicht konfrontiert gewesen, unter dem Druck eines einseitig zunehmenden militärischen Gewichts der UdSSR zu verhandeln. Bundeskanzler Schmidt hat am 17. November 1979 in einem Brief an Generalsekretär Breshnev darauf hingewiesen. Die Männer im Kreml vermochten sich jedoch zu diesem Schritt nicht zu entschließen.

An diesem Punkt kommt die Unterschiedlic keit ins Spiel, mit der beide Seiten offizielld euro-strategische Kräfteverhältnis einsch zen. Nach sowjetischer Darstellung hat d UdSSR bislang allenfalls mit Mühe durch ih. laufenden Anstrengungen ein Gleichgewic herstellen können. Westliches Rüsten wün diesen Zustand zugunsten einer durch west ehe Überlegenheit bestimmten Relation ai heben. Dagegen stehen die NATO-Staaten« dem Standpunkt, daß sie bereits seit einig Zeit durch die Stagnation ihrer Bemühung gegenüber der sowjetischen Dynamik insHi tertreffen geraten seien und daß die best hende Überlegenheit der UdSSR allmähli ein drohendes Ausmaß anzunehmen begim und führen detaillierte Zahlen und Qualität merkmale an, die diese These stützen. Sow von sowjetischer Seite bisher überhaupt gendwelche Angaben gemacht worden sir bieten sie keine plausible Basis für die östlic Version, auch wenn die in ihnen zum Ai druck kommende Andersartigkeit der Bei teilungskriterien zugrunde gelegt wird.

Es gibt im übrigen Hinweise darauf, daß dies wjetische Führung die offizielle Paritätsthe im euro-strategischen Bereich nicht uneing schränkt aufrechterhält. Sie hat, als sie Vt Handlungen über eine Rüstungsbegrenzu: bei den Mittelstreckensystemen in Europa a bot, ausdrücklich eine Verringerungihrer ei sprechenden Träger in Aussicht gestellt Ga sicher aber war sie nicht willens, dabei wei ger als Parität zu akzeptieren! Die sowjetis Argumentation, daß es für die NATO nurdas global-strategische Gleichgewicht an. kommen brauche und daß sich die westeu päischen Länder daher keine unnötigen S gen um die Wahrung eines besonderen eu. strategischen Gleichgewichts machen sollt erlaubt den Rückschluß auf das Wissen 1 Momente des strategischen Übergewichts Europa: Die europäische Relation soll de nach nicht auf ihre Ausgewogenheit unt sucht, sondern als unwichtig abgetan werd'Würde man so argumentieren, wenn sich c Beweis führen ließe, daß in euro-strategis Hinsicht eher die UdSSR als die NATO Rückstand sei und daß demzufolge die wes ehe Seite keinerlei Anlaß zu Nachrüstu habe?

Die zunehmende propagandistische Aus tung des sowjetischen „Kampfes um die A stung" in Europa (der mehr und mehr anStelle des Versuchs zur praktischen An fung von Verhandlungen mit den west 1d Regierungen zu treten scheint) hat in westlichen Ländern ebenso Zweifel geweckt an der Ernsthaftigkeit der sowjetischen Absichten wie die lautstarke Polemik, die gelegentlich gegen verantwortliche westliche Staatsmänner — insbesondere gegen die nachdrücklich für einen sicherheitspolitischen Dialog plädierenden Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland wie Außenminister Genscher und Bundeskanzler Schmidt — entfacht worden ist. Es ist der Verdacht entstanden, die sowjetische Führung wolle ausschließlich zu ihren eigenen Bedingungen mit dem Westen kontrahieren und daher durch Pressionen eine disparitätische Regelung durchsetzen. Für eine derartige Politik fehlen alle Voraussetzungen, und die sowjetischen Führer mit ihrem gut entwickelten Realitätssinn werden sich keinen derartigen Träumereien hingeben. Es schadet freilich der Sache eines einvernehmlich auszuhandelnden Sicherheitsarrangements, wenn bestimmte Phänomene einen solchen Eindruck hervorrufen. Wichtig erscheint, daß die diplomatischen Erörterungen sich nicht auf die differierenden Einzelstandpunkte beschränken. Es ist vielmehr dringend erforderlich, daß bei den Verhandlungen die übergeordneten Leitgesichtspunkte gegenwärtig bleiben. Da es das beiderseitige Ziel ist, die Zuverlässigkeit der Kriegs-verhütung in Europa zu verbessern, bietet sich der Stabilitätsgesichtspunkt als oberste Leitlinie an. Was dient, so wäre demnach immer wieder zu fragen, der Realisierung eines stabilen Ost-West-Verhältnisses? In diesem Zusammenhang kommt der Diskussion eines Vertrages über den Nicht-Ersteinsatz von nu-

klearen und konventionellen Kampfmitteln, den Generalsekretär Breshnev am 2. März 1979 erstmals vorgeschlagen hat, eine wesentliche Rolle zu: Der Nicht-Gebrauch von militärischer Gewalt wird am besten unter den Be-

dingungen der Stabilität gewährleistet. Diese kann freilich nicht einfach deklamatorisch in einem Vertrag über bloßen Gewaltverzicht festgelegt werden. Vielmehr muß sie zugleich duch in den konkreten Einzelheiten des mililärischen Kräfteverhältnisses auf den verschiedenen Ebenen zum Ausdruck kommen.

Dabei führt an der Klärung der Datenfragen sein Weg vorbei.

Der Abzug von 20000 Mann und 1000 Panzern 4us der DDR, den Breshnev am 6. Oktober 1979 angekündigt hat und der seither begonnenworden ist, kann als richtiger Schritt in die richtige Richtung gelten. Erstmalig und grundsätzlich hat die sowjetische Seite eine einseitige militärische Reduzierung ins Auge gefaßt. Das ist von der Bundesregierung unwidersprochen als ein Beitrag zur Herstellung eines ausgewogeneren militärischen Kräfteverhältnisses in Mitteleuropa gewertet worden, die bei MBFR zur Diskussion steht. Um den politischen Signalcharakter des Schrittes deutlich zu würdigen, haben sich die NATO-Staaten am 12. Dezember 1979 dazu entschlossen, einseitig 1 000 amerikanische Kernsprengköpfe aus Mitteleuropa herauszunehmen und damit den sowjetischen Wünschen nach einer Verringerung der „vorne stationierten Systeme" entgegenzukommen. Die Sprengköpfe für die ab 1983 zu dislozierenden euro-strategischen Systeme sollen aus dem danach noch verbleibenden Zahlenbestand kommen.

Am 19. Dezember 1979 haben die westlichen Delegationen darüber hinaus bei den MBFR-Verhandlungen einen neuen Vorschlag vorgelegt, der im Vorgriff auf eine spätere umfassende Paritätsregelung ein amerikanisch-sowjetisches Interimsabkommen und eine Übereinkunft über reduzierungsbegleitende Maßnahmen der Verifikation und der Zurückhaltung vorsieht. Diese Maßnahmen sollen nicht nur im Ost-West-Verhältnis Hemmungen für einen eventuellen Entschluß zum Gewaltgebrauch schaffen, sondern auch unbeteiligten europäischen Drittstaaten eine Gewähr gegen plötzliche und unvorhergesehene militärische Aktionen bieten. In ähnlichem Sinne sollen nach den Vorstellungen der westlichen Länder auch auf einer Konferenz über Abrüstung in Europa, die auf dem Ende 1980 beginnenden Madrider KSZE-Folgetreffen beschlossen und mit einem präzis-detaillierten Auftrag versehen werden soll, umfangreiche vertrauensbildende Maßnahmen im militärischen Bereich zur Erörterung stehen. Die Warschauer-Pakt-Staaten haben am 6. Dezember 1979 ihre grundsätzliche Bereitschaft bekundet, über Fragen dieser Art mit sich reden lassen.

Es wäre wünschenswert, wenn in diesem Zusammenhang auch über „vertrauensbildende Maßnahmen" allgemein-politischer Art gesprochen würde. Einem wechselseitigen Kennen und Verstehen der sicherheitspolitischen Vorstellungen, Sorgen und Überlegungen könnte es dienen, wenn Ost und West sich konzeptionell über Möglichkeiten und Erfordernisse gemeinsamer Kriegsverhütung und Stabilitätswahrung unterhielten und, soweit es dabei zu Einvernehmen käme, die Verpflichtung zu entsprechenden praktischen Konsequenzen übernähmen. Eine Vereinbarung über die vorherige Ankündigung von Rü31 stungsvorhaben in einem festzulegenden Stadium könnte dazu beitragen, die jeweils andere Seite über den Sinn der eigenen militärischen Vorhaben zu informieren und vielleicht über die dann erfolgende Rückmeldung unerkannte Friedens-und Stabilitätsrisiken transparent machen. Schließlich würde eine Übereinkunft über den Abbau von Feindbildern den immer wieder zu beobachtenden Versuchen entgegenwirken, nationale oder ideologische Feindbilder künftig aufrechtzuerhalten und wiederzubeleben.

Die Maßnahmen, die Breshnev am 6. Oktober 1979 in Ost-Berlin angekündigt bzw. in Aussicht gestellt hat, können als richtige Schritte in die richtige Richtung gelten. Damit ist erstmalig von sowjetischer Seite eine einseitige militärische Reduzierung auf der Gefechts-feld-Ebene ins Auge gefaßt worden; zugleich scheint sich die Möglichkeit zu eröffnen, daß ein ausgewogeneres Verhältnis auf der euro-strategischen Ebene durch den Abbau sowjetischer Überkapazitäten (statt durch westliches Nachrüsten) erreicht wird. Skeptiker können zu Recht einwenden, daß sich derartige Vermutungen keineswegs zwingend aufdrängen, weil die Ausführungen des sowjetischen Generalsekretärs im Blick auf die konkreten Einzelheiten keine Klarheit böten und daher einer restriktiven Auslegung bis in die Nähe des Nullwertes offenstünden. Dieser Einwand verkennt freilich den politischen Signalcharakter der Breshnev-Rede und läßt es um so dringender erscheinen, daß das Ausmal an sowjetischer Kompromißbereitschaft, das ihr zugrunde liegen könnte, durch Verhandlungen geklärt wird. Aller gegenteiligen östlichen Pressepropaganda zum Trotz, wird dabei die sowjetische Führung realistischerweise kaum davon ausgehen, daß ihr das hauptsächlich angestrebte Ergebnis, der westliche Verzicht auf die Modernisierung und den Ausbau im Mittelstreckenbereich, als Geschenk vor Beginn der diplomatischen Erörterungen präsentiert werden wird.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Gerhard Wettig, Dr. phil., geboren 1934; Wissenschaftlicher Referent und stellv. Leiter des Forschungsbereichs Außenpolitik am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln. Veröffentlichungen u. a.: Die Rolle der russischen Armee im revolutionären Machtkampf 1917 (= Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 12) Berlin 1967; Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung in Deutschland 1943— 1955. Internationale Auseinandersetzungen um die Rolle der Deutschen in Europa, München 1967; Politik im Rampenlicht, Frankfurt 1967; [zus. mit Ernst Deuerlein, Alexander Fischer und Eberhard Menzel: ] Potsdam und die deutsche Frage, Köln 1970; Europäische Sicherheit. Das europäische Staatensystem in der sowjetischen Außenpolitik 1966— 1972, Düsseldorf 1972; Frieden und Sicherheit in Europa. KSZE und MBFR, Stuttgart 1975; Die Sowjetunion, die DDR und die Deutschland-Frage 1965— 1976, Stuttgart 1977 2, Der Kampf um die freie Nachricht, Zürich 1977; Broadcasting and Ddtente, London 1977.