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Zur auswärtigen Kulturpolitik | APuZ 8/1980 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 8/1980 Geschichte und Medium. Gedanken zum Verhältnis von Fernsehen und Geschichtsbewußtsein Henry Kissinger und die deutsche Ostpolitik. Kritische Anmerkungen zum ost-und deutschlandpolitischen Teil der Kissinger-Memoiren Zur auswärtigen Kulturpolitik

Zur auswärtigen Kulturpolitik

Hans Arnold

/ 27 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

immer deutlicher wird in der internationalen Politik die Rolle von grundsätzlich unterschiedlichen Verhaltensweisen einzelner Staaten, Völker und Regierungen, die ihre Wurzeln in den Besonderheiten der jeweiligen Kulturen haben. In einer immer enger werdenden Welt werden die kulturellen Verschiedenheiten politisch spürbarer und bedeutsamer. Hinter dem Zuwachs an Problemen und der Entwicklung von technischen und organisatorischen Möglichkeiten zur Förderung von internationaler Verständigung bleibt der tatsächliche Fortschritt auf diesem Gebiet noch immer weit zurück, nicht zuletzt wegen des mangelhaftenVerständnisses für die Kultur des anderen. Vor diesem Hintergrund gewinnt die kulturelle Komponente internationaler Beziehungen allgemein und in der Außenpolitik jedes einzelnen Staates zunehmend an Gewicht. Für deren aktive Einbeziehung in die Außenpolitik hat sich im deutschen Sprachgebrauch die Bezeichnung „Auswärtige Kultur-politik" eingebürgert. Der Autor fragt, was das eigentlich Politische an internationalen Kulturbeziehungen ist und inwieweit die überkommenen Formen einer staatlichen Förderung dieser Beziehungen heute noch zeitgemäß sind. Er gibt für diese Politik Zielrichtungen an und weist auf bisher noch nicht vollgenutzte Möglichkeiten hin.

Vorabdruck aus dem in Kürze im Carl Hanser Verlag in München erscheinenden Buch: . Auswärtige Kulturpolitik - Ein überblick aus deutscher Sicht

Vorbemerkung

Warum auswärtige Kulturpolitik? Weil in der internationalen Politik die zwischenstaatlichen Kulturbeziehungen und darüber hinaus die Wechselbeziehungen zwischen den Kulturen und zwischen Politik und Kultur nicht ignoriert werden können.

Dabei ist von dem grundlegenden Wandel auszugehen, der in der internationalen Politik im Laufe der letzten drei Jahrzehnte durch eine Reihe von globalen Entwicklungen eingetreten ist — wie u. a. durch die Auflösung oder Verlagerung von politischen Zentren, die Zunahme der Weltbevölkerung und die Erschließung neuer technischer Dimensionen mit der nachfolgenden Erkenntnis von den Grenzen der Ressourcen. Diese Entwicklungen bringen es mit sich, daß heute immer mehr wirtschaftliche, militärische, soziale und ökologische Probleme in immer schnellerer Folge immer mehr Staaten und Völker unmittelbar und in der Gesamtheit ihrer Lebensumstände, also letzten Endes deren Grundformen des menschlichen Zusammenlebens, die Kulturen, berühren. Dies erschwert in vielen Fällen den für die Lösung solcher Probleme notwendigen internationalen Konsensus. Hinzu kommt, daß gleichzeitig mit der Vermehrung und der zunehmenden Komplexität der großen Probleme unserer Zeit sich die Zahl der Staaten seit 1945 auf das Dreifache vermehrt hat, wodurch die Erreichung eines Konsensus zusätzlich schwieriger geworden ist.

Die Interdependenz wird einerseits zwischen den Staaten und Regionen und andererseits fischen den Problemstellungen immer stärker. Und dabei ist auch das Wechselspiel zwi-

Kultur und Außenpolitik allgegenwär-sshen Es zeigt sich beispielsweise in Westeuropa tig ® eher hinderlichen, kulturell bedingten nationalen Partikularismen und regionalen utonomiebestrebungen. Es wird sich vorausSshtlich in der Europäischen Gemeinschaft eigen, wenn bei deren anstehender Erweiteung mit der Aufnahme von drei weiteren

Staaten mediterraner Kultur das in der Gemeinschaft bereits vorhandene mediterrane Element wesentlich verstärkt werden wird, was auf die politische Kultur innerhalb der Gemeinschaft, d. h. auf die Art und Weise der gemeinsamen Behandlung der gemeinsamen Probleme, sehr viel stärkere Auswirkungen haben kann, als es die Zuführung eines nordisch-angelsächsischen Elementes politischer Kultur bei der ersten Erweiterung der bis dahin zentraleuropäisch bestimmten Gemeinschaft hatte. Und es zeigt sich dies Wechselspiel zwischen Außenpolitik und Kultur z. B. innerhalb Gesamteuropas in einer die ideologischen Grenzen und Gegensätze mildernden Funktion. Besonders stark aber kann es sich in allen die sogenannte „Dritte Welt" betreffenden Entwicklungen zeigen — und hier in oft spektakulärer Form gerade auch in Konfliktsituationen. Denn die Entwicklung nuklearer Waffensysteme mit einem kaum noch vorstellbaren Zerstörungspotential hat zwar zu einer Art diffiziler Balance zwischen den Großmächten geführt, durch welche bisher eine weltweite militärische Katastrophe vermieden werden konnte. Sie hat aber nicht verhindert, daß die letzten 30 Jahre eine endlose Kette von lokalen und regionalen bewaffneten Auseinandersetzungen vor allem im Bereich der Dritten Welt gebracht hat. Und es ist ein Charakteristikum dieser Auseinandersetzungen, daß sich in ihnen die gegenseitige Unerbittlichkeit und Grausamkeit meist in dem Maße steigert, in dem im weiteren Sinne des Wortes kulturelle — darunter rassische und religiöse — Gegensätze wirksam werden. Immer deutlicher wird somit die Rolle, welche in der internationalen Politik grundsätzlich unterschiedliche Verhaltensweisen einzelner Staaten, Völker und Regierungen spielen, die ihre Wurzeln letzten Endes in unterschiedlichen Kulturen haben. In einer immer enger werdenden Welt werden die kulturellen Unterschiede politisch spürbarer und bedeutsamer. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, daß Elemente westlicher, insbesondere angloamerikanischer, Kultur, nämlich aus dieser stammende Technologien, Verhaltensweisen, Problemstellungen und Konsumgewohnheiten, an der Oberfläche weltweite Verbrei-B tung finden. Ein eindeutiger kultureller Mittelpunkt, ein Konsensus über kulturelle (und damit u. a. sittliche und moralische) Werte fehlt der Weltgesellschaft mehr denn je.

Dies wird besonders einsichtig, wenn man den in den letzten Jahrzehnten erreichten hohen Stand internationaler Kommunikation berücksichtigt. Denn an sich könnten die hier technisch und organisatorisch gegebenen Möglichkeiten doch ein Mittel zur Erreichung einer größeren internationalen Solidarität auch unter einer größeren Zahl von Staaten gegenüber den diese Staaten gemeinsam betreffenden Problemen sein. Es zeigt sich aber, daß durch diese Kommunikation etwa in dem gleichen Maße, in dem sie hilft, Hindernisse abzubauen, neue Mißhelligkeiten und Antagonismen gefördert werden. Hinter dem Zuwachs an Problemen und der Entwicklung vo technischen und organisatorischen Möglich keiten zur Förderung von internationaler Ve ständigung mit dem Ziel, diese Probleme z bewältigen, bleibt der tatsächliche Fortschri in Verständigung und Verständnis der Staate und Völker untereinander, bleibt das Ve ständnis für die Kultur des anderen noch in mer weit zurück.

Vor diesem Hintergrund gewinnt die kult relle Komponente internationaler Beziehu gen allgemein und im besonderen für die Ai ßenpolitik jedes einzelnen Staates zunehmen an Gewicht. Für deren aktive Einbeziehung! die Außenpolitik hat sich im deutsche Sprachgebrauch die Bezeichnung „auswärtig Kulturpolitik" eingebürgert.

Kultur und Politik

Mit dem Begriff „auswärtige Kulturpolitik" ist die Einbeziehung der internationalen Kultur-beziehungen in die Außenpolitik bzw. eine international ausgerichtete Kulturpolitik im Interesse der Außenbeziehungen eines Staates gemeint. In der außenpolitischen Praxis verwirklicht sich eine solche Politik in erster Linie in der Förderung internationaler Kulturbeziehungen durch den Staat. Die Frage nach der auswärtigen Kulturpolitik ist die Frage, was an solcher Förderung das eigentlich Politische ist, was mit ihr politisch bezweckt werden kann und soll.

Der Begriff „auswärtige Kulturpolitik" reflektiert gleichzeitig die Schwierigkeiten, die sich stellen, wenn man den Aktionsbereich dieses Teiles einer Außenpolitik beschreiben und gegen andere Aktionsbereiche abgrenzen will. Die Begriffe „auswärtig" und „Politik" sind dabei unproblematisch. Schwieriger wird es bei der „Kultur". Man weiß, es gibt für diesen Begriff einige hundert Definitionsversuche. Ihnen soll hier nicht ein weiterer folgen. Für unsere Zwecke mag vielmehr zunächst das traditionell gefestigte Verständnis genügen, nach dem der Begriff „Kultur" im wesentlichen zwei Dinge umfaßt: einmal alle Werke, Manifestationen, Hervorbringungen geistiger, musischer, künstlerischer Natur und zum anderen deren Rezeption, Anerkennung oder Ablehnung durch mehr oder weniger große Teile der Bevölkerung. Gewiß, die Meinungen darüber, welche Werke oder Manifestationen der Kultur zuzurechnen sind und welche nicht, gehen oft auseinander. Und auch über Formen und Grenzen der Rezeption gibt es Meinungsunterschiede. Von einem Konsensus, daß beides, das Kulturprodukt und dessen Rezeption,? sammengenommen das „Kulturleben" ein Staates ausmacht, wird man allerdings ausg hen können.

Werden somit internationale Kulturbeziehu gen hier zunächst als Beziehungen zwisch dem Kulturleben eines Staates und dem and rer Staaten verstanden, so stellt sich als näc stes eben die Frage, was an diesen Bezieh« gen das eigentlich Politische sein kann, w wiederum zu der grundsätzlichen Frage na dem Verhältnis von Kultur und Politik füh Auch hier soll nicht versucht werden, a diese schon oft beantwortete Frage eine W tere Antwort zu finden. Für den Zweck uns rer Untersuchung aber kann gesagt werde Kultur bleibt zunächst immer Aufgabe u Problem des einzelnen. Künstlerisches Sch fen, wissenschaftliche Forschung und Lei und deren Rezeption, die Betätigung des M sehen in vielfältigster Form als „homo luder sein allgemeines kulturelles Verhalten u sind zunächst immer individuelle Vorgän Politische Qualität erlangt Kultur erst in d‘ Maße, in dem sie über das Individuelle hina geht, in dem das Individuelle gesellschaftli Wirkung erlangt. (Als einfachstes Beisp auch ein nicht veröffentlichtes Buch ist 1 der Kultur; gesellschaftliche und die Mögl keit politischer Wirkung erreicht es erstdui Veröffentlichung.) Für die Politik wiederum die Kultur unausweichlich eines ihrer men. Kultur und Politik begegnen sich in i jeweiligen gesellschaftlichen Wirkung in nem Kooperations-oder Spannungsverhä t zueinander. Sie sind aber nicht Gegens sondern Teile ein und desselben Vorgangs, dem Kultur politische Qualität gewinnt und Politik sich kultiviert.

Zur Möglichkeit der Kultur, auf die Politik einzuwirken, ist von dem ersten Präsidenten der Bundesrepublik, dem Schriftsteller und liberalen Politiker Theodor Heuss, aus einer Rede, die er als Abgeordneter des Deutschen Reichstags Mitte der zwanziger Jahre gehalten hatte, der seither viel zitierte Satz überliefert: „Mit Politik kann man keine Kultur machen: vielleicht kann man mit Kultur Politik machen." Ein Satz, der zweifellos richtig ist, aber auch nicht ganz ungefährlich, falls er als Berufungsinstanz dienen sollte. So wäre durch ihnz. B. das gedeckt, was einige Jahre früher der nachmalige preußische Kultusminister C. H. Becker in einem für die damalige Kulturpolitikbedeutsamen Gutachten für die Reichs-regierung geschrieben hatte: „Kulturpolitik heißt bewußte Einsetzung geistiger Werte im Dienste des Volkes und des Staates zur Festigung im Innern und zur Auseinandersetzung mit anderen Völkern nach außen." Ebenso wären durch ihn aber auch Ansichten gedeckt, wie beispielsweise eine unlängst in einem Kolloquium zu hörende Forderung, man müsse „die kulturellen Probleme bis zu einem Punkt vorantreiben, wo sie die Strukturen des Staates erschüttern". Beides kann nicht das sein, was der Liberale Th. Heuss gemeint hat, dem sicher nichts ferner lag, als auf solche Weise die Kultur der Politik verfügbar zu machen. Ihm konnte es kaum um eine Art „geistiger Waffenschmiede" oder „Systemüberwindung" gehen, sondern wohl nur um den Umstand, daß durch die Einwirkung der Kultur mit deren ganz spezifischen Wirksamkeiten auf die Politik vielleicht (bessere?) Politik gemacht werden könne.

Die Entwirkung der Politik auf die Kultur wiederum spielt sich in einer Gesellschaft in der bekannten Weise und innerhalb der bekannten Bandbreite ab. Am einen Ende steht das absolutistische Herrschaftssystem oder die Diktatur mit dem Bestreben, die Kultur in das oktroyierte politische Gesamtkonzept einzupassen und diesem dienstbar zu machen. Am anderen Ende des Spektrums steht der konsequent liberale Staat, in dem es zwar zur Aufgabe der Politik gehört, die Kultur zu erhalten und zu pflegen und ihr die Möglichkeit zur Entfaltung zu schaffen, die Kultur hierbei aber im wesentlichen sich selbst und ihren eigenen Gesetzen überlassen bleibt.

Andererseits wird allerdings auch in dem Maße, in dem sich in einem Staate liberale Demokratie und damit eine Meinungsbildung in der ganzen Breite menschlicher Ansichten, Wünsche und Ängste entwickelt, die Grenze zwischen Kultur und Politik immer fließender. Eine mit zunehmender Demokratisierung zunehmende allgemeine Politisierung kann z. B. eine Unterscheidung zwischen einem „politischen" Buch oder Bildwerk und einem „nur kulturellen" Buch oder Bildwerk immer schwieriger machen. Hier liegen im Zusammenwirken von Kultur und Politik die gesellschaftlichen Chancen und Risiken einer liberalen Demokratie.

Beginn im 19. Jahrhundert

Dies alles ist seit langem nicht mehr neu. Relativ jungen Datums hingegen ist die Erkenntnis, daß auch die kulturellen Beziehungen zwischen Staaten und Völkern politische Qualität und Wirksamkeit haben können, daß auch international die Möglichkeit gegeben ist, „mit Kultur Politik zu machen". Internationale kulturelle Beziehungen sind ebenso alt wie alle anderen Beziehungen zwischen den Völkern, re Einbeziehung in die Außenpolitik der tauten begann jedoch erst vor weniger als undert Jahren als Spätfolge der national-5 aatlichen Entwicklung in Europa.

iszum Ende des Zweiten Weltkrieges waren 58 ast ausschließlich die größeren Staaten Europas, die aus außenpolitischen Motiven intera onale Kulturbeziehungen förderten. Dabei " 60 elte es sich in erster Linie, wenn nicht erhaupt nur, um eine nationale (gelegentn auch nationalistische) Kulturwerbung bzw. -propaganda. Kultur wurde als Teil des nationalen Eigenwertes und Prestiges aufgefaßt. Kulturelle Präsentation und Repräsentation im Ausland wurden aus einem ungebrochenen und unreflektierten Gefühl von dem einmaligen und hervorragenden Wert der eigenen Kultur als unmittelbare Hilfsmittel für die Durchsetzung der jeweiligen Außenpolitik verstanden. Dafür wurden die sozusagen „bewährten kulturellen Werte" entsprechend „eingesetzt". Sie sollten nicht nur zum Verständnis der eigenen Kultur durch andere beitragen, sondern vor allem den anderen durch Teilnahme an (ausgewählten) Teilen der eigenen Kultur deren Wert und damit in subtiler Form auch die Stärke der eigenen Nation bewußt machen und so die Durchsetzung außenpolitischer Vorhaben erleichtern.

Anderes wäre wohl auch kaum möglich gewesen. Denn auch dieser Teil der Außenpolitik war unausweichlich Teil des allgemeinen Verhältnisses der Staaten untereinander, das in dieser Epoche eben durch einen betonten Nationalismus, durch Kolonialismus und Imperialismus der Staaten Europas gekennzeichnet war. Diesen Leitprinzipien wurde auch die Steuerung und Förderung internationaler Kulturbeziehungen untergeordnet, wobei der Übergang von Information und Werbung um Verständnis zu Propaganda und zu einer mehr oder weniger direkten Form der Beeinflussung im eigenen politischen Interesse immer fließend blieb. In dieser Hinsicht unterschied sich auch das Deutsche Reich in keiner Weise von den anderen Großmächten der damaligen Zeit.

Deutscher Gründlichkeit und Treuherzigkeit aber blieb es Vorbehalten, das Kind bei seinem politischen Namen zu nennen. Es scheint, daß der heute im deutschen Sprachraum übliche Begriff „auswärtige Kulturpolitik" zum ersten-mal 1912 von dem Historiker Karl Lamprecht in einem Vortrag verwendet wurde, in dem er unter Hinweis auf die kulturellen Aktivitäten anderer Staaten im Ausland ein stärkeres deutsches Engagement in dieser Richtung forderte. Wenig später heißt es in einem Brief de Reichskanzlers Bethmann Hollweg an Lar precht: „Ich bin mit Ihnen von der Wichtigkei ja der Notwendigkeit einer auswärtigen Ku turpolitik überzeugt. Ich verkenne nicht de Nutzen, den Frankreichs Politik und Wir schäft aus dieser Kulturpropaganda zieh noch die Rolle, die die britische Kulturprop ganda für den Zusammenhalt des britische Weltreichs spielt. Auch Deutschland mu wenn es Weltpolitik treiben will, diesen We gehen ... Wir sind ein junges Volk, haben™ leicht allzuviel noch den naiven Glauben a die Gewalt, unterschätzen die feineren Mitt und wissen noch nicht, daß, was die Gewalt e wirbt, die Gewalt allein niemals erhalte kann." Beginn deutscher auswärtiger Kulte politik also im Stile der Zeit. Dabei ist es nid ohne Ironie, daß als erste kulturelle Arbeit einheit im Auswärtigen Amt im Jahre 1906 ei Referat zur Betreuung des noch heute umstri tensten Teils auswärtiger Kulturpolitik eing richtet wurde: ein Schulreferat. Bald gesell! sich zum Auslandsschulwesen als zweite Schwerpunkt die seither nicht weniger stri tige Betreuung des Deutschtums im Auslan

Weimar und Nazizeit

Das Ende des Ersten Weltkriegs brachte für das Deutsche Reich auch das Ende aller Möglichkeiten, auswärtige Kulturpolitik im Stile der Vorkriegszeit als propagandistische Hilfsmittel von Machtpolitik zu verwenden. Ein Neubeginn war mühsam und wurde zusätzlich dadurch erschwert, daß die Kulturpropaganda der Vorkriegszeit in den Kriegsjahren zum Teil der Kriegspropaganda geworden war.

In ihren Anfängen blieb die auswärtige Kulturpolitik der Weimarer Zeit widersprüchlich; eine Neuorientierung kam nur langsam in Gang. Immerhin findet sich aber z. B. schon in dem erwähnten Gutachten von C. H. Becker neben dem weiter oben zitierten, ganz den traditionellen Anschauungen verhafteten Postulat von der Kultur als Kampfmittel u. a.der kritische Hinweis, auswärtige Kulturpolitik sei bis dahin nur „ein Vehikel wirtschaftlichen Einflusses oder ein graziöser Schnörkel auf dem kaufmännischen Wechsel" gewesen, oder auch ein so zukunftsweisender und auch aus heutiger Sicht noch progressiver Stoßseufzer wie: „Von dem Wahn, daß mit Selbstlob und Pressepropaganda Kulturpolitik gemacht werden könnte, sind wir befreit." Langsam entwikkelte sich ein Trend zu einer Autonomie der Kultur gegenüber anderen politischen Zwekken. Durch die starke Einbeziehung des Auslandsdeutschtums in die auswärtige Kulturp litik aber entstand oft eine ungute Verbindur zwischen einer solchen Forderung nach Aut nomie der Kultur und den außenpolitis schwierigen, vor allem kulturell argumentie ten Forderungen nach einem besonderen St tus für deutsche Minderheiten in ander« Ländern. • Das eigene Gewicht auswärtiger Kulturpolit im Rahmen der Außenpolitik kam 1920 in d Gründung einer besonderen Abteilung 1'

diesen Aktionsbereich im Auswärtigen Ar zum Ausdruck — die allerdings noch die B Zeichnung „Abteilung für Deutschtum im Au land und kulturelle Angelegenheiten“ führt Zu ihren Aufgaben zählten neben der Betre ung des Auslandsdeutschtums und insbeso dere der Auslandsschulen zusätzlich der wi senschaftliche Austausch mit dem Auslar und die Förderung der deutschen Sprache i Ausland.

Etwa Mitte der zwanziger Jahre scheint dar die Illusion, auswärtige Kulturpolitik könne irgendeiner Weise als Ersatz für nicht me mögliche Machtpolitik dienen, überwund gewesen zu sein. Mehr und mehr entwickel sich aus den Notwendigkeiten, die sich aus d Stellung des Deutschen Reiches in der We ergaben, vor allem aus dem Bemühen um eine volle Wiederherstellung des Vertrauens zu Deutschland, eine Politik der Kulturwerbung und-Präsentation im besten Sinne des Wortes. Auf der Grundlage eines — vor allem in der Berliner Szene — besonders lebhaften, originellen und international interessanten Kultur-lebens in Deutschland entwickelten sich erste Ansätze einer moderneren auswärtigen Kulturpolitik. 1933 wurde diese positive Entwicklung jäh unterbrochen. Auch die auswärtige Kulturpolitik wurde von den Nazis „gleichgeschaltet". Es scheiterte zwar ein Versuch von Goebbels, die Verantwortung für sie seinem „Reichsministe-rium für Volksaufklärung und Propaganda" zu übertragen, doch wurde auch die auswärtige Kulturpolitik des Deutschen Reiches letzten Endes, wie vieles andere, zum Instrument der nazistischen Politik. Insbesondere die Betreuung der Deutschen im Ausland denaturierte zu einer Volkstumspolitik unter nazistischem Vorzeichen, deren negative Auswirkungen noch lange nach 1945 spürbar blieben. Kultur-werbung und -Präsentation im Ausland wurden nach dem bewährten Rezept aller Diktaturen dafür eingesetzt, das eigene Regime gegenüber der Welt harmlos, human und moralisch hochwertig erscheinen zu lassen. Das herausragende Beispiel bleiben die Olympischen Spiele von 1936 in Berlin.

Bundesrepublik Deutschland

Dem Zusammenbruch des Hitler-Regimes folgte ab 1945 eine längere „Stunde Null". Mit den Militärregierungen regierte Militär über ein total zerstörtes Deutschland. Das Bedürfnis der Deutschen, wieder Anschluß an die internationalen kulturellen Entwicklungen zu finden, traf sich mit dem Wunsch der Besatzungsmächte, jeweils dem in ihrer Besatzungszone lebenden Teil des deutschen Volkes ihre eigene Kultur, dazu ihre eigenen politischen und weltanschaulichen Auffassungen und Orientierungsprinzipien intensiv zu vermitteln. Nur langsam entstanden von dem, was an eigenem Kulturleben in der Nazizeit nicht zerstört oder deformiert worden war, neue deutsche Initiativen in Richtung Ausland.

Mit der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland begann dann ab 1949 erneut die staatliche Förderung der deutschen internationalen Kulturbeziehungen. Ab 1950 arbeitete die Bundesrepublik im „Rat für kulturelle Zusammenarbeit" des Europarats mit; 1951 sie Mitglied der UNESCO. Aus bescheidenen Anfängen entwickelte sich die Förderung internationaler Kulturbeziehungen durch die Bundesregierung — in den fünfziger Jahren etwas ungeordnet und sprunghaft, seither etwas stetiger — bis zu der heutigen soge-

nannten „Auswärtigen Kulturmilliarde", d. h. her Veranschlagung von über einer Milliarde Deutsche Mark für diese Zwecke im Bundeshaushalt. Hinsichtlich der außenpolitischen Motivierung und Steuerung dieser Förderung entwickelten sich drei Linien.

Zunächst war es — ähnlich wie nach dem ersten Weltkrieg, aber unter völlig anderen yoraussetzungen und mit verstärktem Erfor-

ernis — das Ziel, durch eine seriöse Kultur-" erbung das Vertrauen der Welt wieder zu gewinnen und abgerissene internationale Kontakte wiederherzustellen. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, daß das deutsche Volk dabei die besondere Unterstützung durch diejenigen seiner Angehörigen fand, die durch die Nazis verjagt worden waren: durch die deutschen Emigranten. Die Rolle, die die deutsche Emigration bei der Erhaltung des Bildes vom „anderen Deutschland" gespielt hat, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Später setzte sich das Bedürfnis nach einer Kulturwerbung aus dem Wunsche fort, daß die Bundesrepublik in der Welt nicht nur aus der Perspektive eines „Wirtschaftswunders" oder als „Volkswagen-Staat" verstanden, sondern in ihrer ganzen historischen, kulturellen und sozialen Wirklichkeit begriffen werde. Eine weitere Orientierungslinie ergab sich über lange Jahre aus dem für die damalige deutsche Außenpolitik maßgeblichen Primat einer Politik der Nichtanerkennung gegenüber der DDR. Dieser zeitlich begrenzten Zielsetzung war auch die auswärtige Kulturpolitik zugeordnet und damit in ihrer freien Entfaltung teilweise beträchtlich eingeengt.

Seit einigen Jahren können sich unsere internationalen Kulturbeziehungen frei von solchen Einengungen und über den thematisch begrenzten Bereich einer Kulturwerbung hinaus entfalten. Damit ergibt sich die Notwendigkeit, eine neue langfristige Orientierung zu entwickeln und die für deren Verwirklichung nötigen Verfahren einzuleiten. Kurz: Es stellt sich die Frage nach der Konzeption, über sie ist in der Bundesrepublik in den letzten Jahren im Kreise der interessierten Politiker, Kulturschaffenden und anderer Fachleute eingehend diskutiert worden. Die politisch relevanten Ergebnisse haben ihren Niederschlag in dem Bemühen von Bundesregierung und Bundestag um eine Reform der auswärtigen Kulturpolitik gefunden.

Veränderte Bedingungen

Die Wiederaufnahme internationaler kultureller Kontakte durch die Bundesrepublik Deutschland fiel in eine Zeit, in der sich die Bedingungen für solche Kontakte radikal verändert hatten. Auf einige Aspekte dieser Entwicklung wurde bereits in der Vorbemerkung hingewiesen. Generell haben in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten die verstärkte internationale Interdependenz politischer und wirtschaftlicher Vorgänge, die intensivierte und beschleunigte internationale Kommunikation und die in den meisten Ländern verstärkte Teilnahme breiterer Bevölkerungsschichten an kulturellen Entwicklungen auch die kulturellen Kontakte und in ihrem Gefolge den Kulturaustausch zwischen den Staaten belebt. Damit erhielten die internationalen Kulturbeziehungen und insbesondere deren Förderung durch die Regierungen in zunehmendem Maße auch ein politisches Gewicht und letzten Endes zumindest partiell politische Funktion.

Umgekehrt verstärkte sich eben darum der unmittelbare Einfluß der Politik auf die auswärtigen Kulturbeziehungen. Die internationalen kulturellen Organisationen, allen voran die UNESCO, gewinnen in den Spannungsfeldern des Ost-West-und des Nord-Süd-Verhältnisses an außenpolitischer Bedeutung und werden gleichzeitig bei häufigen Gelegenheiten zur Szene für außenpolitische Auseinandersetzungen. In Europa zeigen die Bemühungen zunächst um die Vereinbarung und jetzt um die Verwirklichung der Grundsätze im „dritten Korb" (menschliche Begegnungen, Austausch von Informationen und Meinungen) der „Europäischen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE), welches politische Gewicht kulturelle Kontakte zwischen europäischen Staaten unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Ordnung haben. Eine neue Dimension ist auch für die kulturellen Beziehungen durch den Eintritt der jungen Staaten der Dritten Welt in die Völkergemeinschaft entstanden. Neben die Notwendigkeit einer verständnisvollen Unterstützung durch die Industriestaatei beim Aufbau von Erziehungs-und Ausbil dungssystemen tritt das zunehmende legitim Bedürfnis dieser Staaten und Völker, ihn eigene ganz spezifische kulturelle Identiti (erneut) zu entwickeln. Die in den Vereintei Nationen sich anbahnende Auseinanderset zung um eine Neuverteilung der Ressource, der Welt hat, da zu ihnen u. a. auch das „know how“ gehört, beträchtliche Auswirkunge auch auf die kulturellen Beziehungen.

Wegen einer solchen von außen auf die intei nationalen Kulturbeziehungen einwirkende Politisierung muß sich heute nolens volens s ziemlich jede Regierung in irgendeiner Fon auch um diese Beziehungen kümmern. Hinz kommt bei den meisten Staaten das verstärkt Bestreben, die eigene Kultur auf irgendein Weise in das außenpolitische Kalkül einzub ziehen. Damit ist die Förderung internati naler Kulturbeziehungen mit politischer AI sicht heute keineswegs mehr nur eine Sach von einigen wenigen großen Staaten. I scheint allerdings, daß sich die größeren Sta ten einer politischen Wertung ihrer intern tionalen Kulturbeziehungen, selbst wenn s dies wollten, kaum entziehen können.

Für die Bundesrepublik Deutschland stellt b reits intern die „Auswärtige Kulturmilliard nach der finanziellen Größenordnung für sk genommen ein Politikum dar. Vor allem ab zeigt sich aus einem internationalen Ve gleich, daß für ein Land von der Größe undw der internationalen Verflechtung der Bunde republik Deutschland internationale kult relle Beziehungen nicht nur eine Art me oder weniger schmückender Beigabe zu d im engeren Sinne außenpolitischen, Wi schaftlichen und sicherheitspolitischen Bez hungen sein können, sondern eigenes poli sches Gewicht gewinnen. Die intensive Eint Ziehung der Bundesrepublik in die Ost-We und in die Nord-Süd-Beziehungen sowie d Nebeneinander von Bundesrepublik Deuts land und DDR im Zentrum Europas und in len Teilen der Welt machen dies evident.

Kulturpolitik — Kulturwerbung

Die klassischen und bis heute unveränderten Instrumente für die Förderung internationaler Kulturbeziehungen durch die Regierungen sind zwischenstaatliche Vereinbarungen und staatliche Subventionen für die Auslandswirkung der eigenen Kultur und gelegentlich zusätzlich auch für die Präsentation ausländischer Kultur im eigenen Lande. Dabei lass sich heute bei einem Überblick über die int'nationale Szene hinsichtlich der grundsät eben politischen Bewertung kultureller A ßenbeziehungen zwei Prototypen feststell'Neben einer Politik, die diese Beziehungenein integrales und politisch wichtiges Eleme der Außenbeziehungen versteht, findet man eine Politik, für die die kulturellen Beziehungen zwar auch ein Politikum darstellen, dies aber nur im Sinne einer für die allgemeine Außenpolitik zusätzlichen, werbenden Wirkung. Vereinfacht ausgedrückt: Hier auswärtige Kultur-Politik, dort auswärtige Kultur-Werbung. Als unverfängliche Beispiele seien Frankreich und die Schweiz genannt.

Aufbauend auf der Tradition einer für jeden Franzosen unumstrittenen Überzeugung von der völligen Identität von Staat, Nation, Volk und Kultur (der „Civilisation Francaise") und einer ebenfalls langen Tradition einer „mission civilicatrice" Frankreichs vertritt man dort von allen Staaten am längsten die Auffassung, daß, wie es in einem der letzten Jahresberichte der Kulturabteilung des französischen Außenministeriums heißt, „die kulturellen, wissenschaftlichen und technischen Beziehungen mit anderen Staaten integraler Teil der Außenpolitik Frankreichs“ sind. Für die Durchführung dieser Politik, die ihre Schwerpunkte in der Förderung des schulischen und akademischen Unterrichts und der französischen Sprache im Ausland hat, stehen allein dem Außenministerium jährlich rund 700 Mio. DM zur Verfügung.

In der Schweiz ist die Betreuung der internationalen Kulturbeziehungen der zwar von der Regierung finanzierten, ansonsten aber von ihrunabhängigen Stiftung „Pro Helvetia" übertragen. Neben einigen innerschweizerischen Obliegenheiten ist die Aufgabe dieser Stiftung nach ihrer Satzung: „die Pflege der kulturellen Beziehungen mit dem Ausland, insbesondere durch Werbung um das Verständnis für das schweizerische Gedanken-und Kulturgut“. Pro Helvetia“ erfüllt diese Aufgabe als Mitglied einer „Koordinationskommission für die Präsenz der Schweiz im Ausland", in der neben Regierungsvertretern noch die Zentralen für Handelsförderung, Verkehr und Außenhandelskammern, der Verein der Schweizer Pres-S! die Luftlinie „Swissair" usw. Mitglied sind.

Die politische Bedeutung internationaler Kul-urbeziehungen wird somit auch hier erkannt, 0 _ werden diese Beziehungen eher als ein zusätzliches Element der außenpolitischen erbung begriffen. Für diese Zwecke stehen „Pro Helvetia“ jährlich rund 3, 2 Mio. DM zur Verfügung.

Die Übergänge zwischen den beiden Grundlinien „Politik" und „Werbung", für welche auch Frankreich und die Schweiz nur cum grano salis als Beispiele gelten können, sind immer fließend. Beides kann neben-und miteinandern existieren, wie gerade das Beispiel Frankreichs zeigt, das mit Talleyrands Weisung an die ausreisenden französischen Botschafter „Faites aimer la France" vielleicht sogar als das Ursprungsland politisch motivierter Kulturwerbung im Ausland betrachtet werden kann.

Zusätzlich von Interesse ist an den beiden Beispielen noch der interne Unterschied in den Verfahren. Frankreich als Beispiel für das Konzentrationsprinzip, nach dem Planung, Durchführung und Kontrolle aller von der Regierung geförderten internationalen Kulturbeziehungen ganz oder fast ganz in den Händen der Regierung (hier: des französischen Außenministeriums) liegen. Die Schweiz als Beispiel für das Delegationsprinzip, nach dem Planung, Durchführung und Kontrolle ganz oder weitgehend delegiert werden.

Die Art des Verfahrens sagt allerdings noch nicht unbedingt etwas über die politische Beurteilung aus. Für Großbritannien z. B. stellt die Förderung internationaler Kulturbeziehungen trotz deren Delegierung an das „British Council" zweifellos einen wesentlichen Teil der Außenpolitik dar. In manchen kleineren Staaten wiederum, vor allem in Staaten der Dritten Welt, liegt die Förderung dieser Beziehungen zwar in den Händen der Regierung selbst, beschränkt sich aber im wesentlichen auf Kulturwerbung. Worauf es entscheidend ankommt, ist vielmehr das politische Verständnis, aus dem heraus die jeweilige Regierung sich für die eine oder andere grundsätzliche Auffassung von der Pflege internationaler Kulturbeziehungen entscheidet. Doch scheint es, daß die Staaten in dem Maße, in dem sie nach Größe und internationaler Verflechtung außenpolitisches Gewicht haben, auch bei der Pflege ihrer auswärtigen Kultur-beziehungen über eine allgemeine Kultur-Werbung hinaus ebenso mehr und mehr zu einer differenzierten Kultur-Politik kommen.

Kultur und Macht

ird die Förderung internationaler Kulturbe-w ungen so zu auswärtiger Kulturpolitik, so na sie Teil der Außenpolitik, die wiederum ac wie vor im wesentlichen Machtpolitik ist.

Damit stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Kultur zur Macht und insonderheit die Frage, was in dieser Hinsicht das Ziel deutscher auswärtiger Kulturpolitik sein kann. Der Leiter eines nicht ganz unbekannten deutschen Universitätsinstituts, das sich auf die Untersuchung internationaler Kulturbeziehungen spezialisiert hat, sah vor einigen Jahren die Möglichkeit noch so: „Einem zunehmenden Verzicht auf den Einsatz bewaffneter Macht steht z. B. die kontinuierlich verstärkte Inanspruchnahme kulturpolitischer Mittel zur Durchsetzung außenpolitischer Vorstellungen in unserer Zeit gegenüber." Solche Ansicht könnte als verspäteter zweiter Aufguß der weiter oben zitierten Mutmaßungen von Bethmann Hollweg über die Möglichkeiten und den Wert einer auswärtigen Kulturpolitik aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beiseite gelassen werden. Doch lassen sich vielleicht gerade aus solchem Mißverständnis Chancen, Möglichkeiten und Grenzen einer auswärtigen Kulturpolitik in unserer Zeit gut verdeutlichen. Sicher ist auswärtige Kulturpolitik, wie auch jeder andere Teil jeder Außenpolitik, Interessenpolitik. Und es ist und bleibt das legitime Bestreben auswärtiger Kulturpolitik, die eigene Kultur im Interesse des eigenen Staates international wirksam werden zu lassen. Falsch wäre es jedoch, auswärtige Kulturpolitik in Anlehnung an machtpolitische Kriterien betreiben zu wollen. Sicher ist Außenpolitik immer eben auch Machtpolitik. Daran ändert sich auch nichts, wenn Außenpolitik in erster Linie als Friedens-und Entspannungspolitik betrieben wird und damit an Stelle einer Machtauseinandersetzung eine Entschärfung von Machtgegensätzen und ein Machtausgleich angestrebt werden. Unstreitig ist auch, daß die Kultur der anerkanntermaßen „Mächtigen“ unter den Staaten auf Grund ihre Macht mehr Gewicht bekommen oder vondie sen — ä la 19. Jahrhundert — für Zweckede: eigenen Machtpolitik eingesetzt werden kann Kultur ist aber an sich kein Machtfaktor. Die wird deutlich im Blick auf die kleineren Staa ten. Für Island z. B. ist seine geographisch! Lage ein Machtfaktor bei seiner Mitglied schäft in der NATO. Einem ansonsten macht losen Land der Dritten Welt kann durch Roh stoffvorkommen auf seinem Territoriun Macht zuwachsen. Man hat aber noch nie ge hört, daß beispielsweise Holland aus seinen unumstritten gewichtigen kulturellen Erb oder aus seinem ebenso unumstrittenen le bendigen heutigen kulturellen Leben zusätzli ehe Macht für die unmittelbare Vertretun seiner außenpolitischen Interessen zugewach sen wäre.

Auswärtige Kulturpolitik unterscheidet siel somit hinsichtlich ihres Verhältnisses zurpoli tischen Macht ganz wesentlich von allen an deren Teilen einer Außenpolitik. Sie muß da her nach Weg und Ziel vernünftigerweise los gelöst von machtpolitischen Überlegungeni Einklang mit ihren realen Möglichkeiten unmit den realen Verhältnissen betrieben wer den. Will man also im Bereich der Außenpoli tik im Sinne von Theodor Heuss „mit Kultu Politik machen", so kann dies in einer Zeit, ii der es ohnehin immer weniger gelingen kant anderen die eigene Kultur zu oktroyieren, fü die Bundesrepublik Deutschland nur bedeu ten, die Wirksamkeit der eigenen Kultur in Ausland nach Grundsätzen zu fördern, die a ner liberalen Kulturpolitik im eigenen Land entsprechen.

Kultur und Staat

Damit ist die Frage aufgeworfen, wie in einer liberalen Demokratie im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik das Verhältnis zwischen Staat und Kultur geordnet werden kann, also die Frage der Organisation. Die organisatorischen Formen für die Durchführung auswärtiger Kulturpolitik einerseits und andererseits die letzten Endes natürlich wesentlich wichtigeren sachlichen Inhalte internationaler kultureller Beziehungen sind selbstredend zwei grundsätzlich voneinander zu unterscheidende Problembereiche. Es wäre ein Irrtum zu glauben, man könne durch Maßnahmen im einen Bereich Probleme im anderen Bereich auf einfache Weise lösen. Gleichwohl ist beides voneinander abhängig und bedingt sich gegenseitig. Die Frage nach der Organisation auswärtiger Kulturpolitik stellt sich in zweifacher Hinsicht: einmal auf der staatlichen Seit zum anderen auf der Seite der nicht-staatl chen Träger auswärtiger Kulturpolitik. Un schließlich hat das Verhältnis der beiden Se ten zueinander Bedeutung.

In der Bundesrepublik Deutschland ist da'0 auszugehen, daß die Kulturhoheit, d. h. diet ständigkeit für Kulturpolitik innerhalb d Bundesrepublik, bei den Bundesländern lieg Für die Außenbeziehung und damit für du wärtige Kulturpolitik ist hingegen die Bunds regierung zuständig. Da bei dieser Zustäna keitsverteilung unsere Verfassungswirki keit einen Bundeskultusminister nicht kenn fehlt ein entsprechender natürlicher Sch"; punkt innerhalb der Bundesregierung; ‘ auswärtige Kulturpolitik ist bisher noch 5 einzige Sachbereich unserer Außenbeziehungen, für den es — im Gegensatz zu allen anderen Sachbereichen (Wirtschaft, Finanzen, Verteidigung, Entwicklungspolitik usw.) — neben dem für alle Außenbeziehungen politisch grundsätzlich zuständigen Auswärtigen Amt keinen speziell auf den Sachbereich bezogenen Schwerpunkt innerhalb der Bundesregierung in Form eines Ministeriums gibt. Das Auswärtige Amt erfüllt innerhalb der auswärtigen Kulturpolitik zwar eine wichtige, aber letzten Endes doch nur eine Teilfunktion. Z. B. wird die „auswärtige Kulturmilliarde" zwar zu einem Drittel vom Auswärtigen Amt, im übrigen aber von etwa zehn anderen Bundesministerien bewirtschaftet. Der Frage der Mittel-bewirtschaftung kommt insofern besondere Bedeutung zu, als die politische Gestaltung internationaler Kulturbeziehungen zum guten, wenn nicht größten Teil eben nur über die Subventionierung mit öffentlichen Mitteln möglich ist.

Da die bei uns auf viele Ministerien verstreuten kulturellen Aktivitäten dort oft nur Teile, manchmal Anhängsel“ anderer Schwerpunkt-bereiche sind, mindert eine solche Diffusion der Zuständigkeiten nicht nur die Möglichkeiten für die Durchführung einer auswärtigen Kultur-Politik, sondern bereits auch die Möglichkeiten für Konzeption und Planung. Desgleichen besteht außerhalb der Bundesregierung kein Schwerpunkt, der etwa dem „British Council" in Großbritannien oder der Stiftung Pro Helvetia" in der Schweiz vergleichbar wäre. Mehrere sogenannte „Mittlerorganisationen für die auswärtige Kulturpolitik" und eine Reihe anderer Organisationen teilen sich bei uns mit zahlreichen Überschneidungen und Unklarheiten in die Aufgaben, die in Großbritannien und in der Schweiz jeweils eine einzige Trägerorganisation erfüllt.

Es werden somit in der Bundesrepublik die internationalen Kulturbeziehungen politisch weder nach dem Konzentrationsprinzip noch nach einem einheitlichen Delegationsprinzip betreut. Es besteht vielmehr eine Art Mischform, bei der einerseits mehrere Ministerien und andererseits mehrere Organisationen planen, durchführen und kontrollieren, bei der also in gewisser Weise die Nachteile beider Prinzipien in Kauf genommen werden. Entsprechend verteilt sind die politischen Zuständigkeiten auch im Bundestag über mehrere Ausschüsse, ganz zu schweigen von der Rolle der Bundesländer, deren aus ihrer internen Kulturhoheit abgeleitete Kulturpolitik nicht immer voll mit den Notwendigkeiten der deutschen auswärtigen Kulturpolitik in Einklang zu bringen ist.

Dies alles engt die Wirkungsmöglichkeiten deutscher auswärtiger Kulturpolitik ein und macht die Bundesrepublik gelegentlich zu einem nicht ganz einfachen Partner in den internationalen Kulturbeziehungen. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß der Föderalismus in der Bundesrepublik ein starkes Element politischer Stabilität bildet. Er und das System der Arbeitsteilung zwischen Bundesregierung und Mittlerorganisationen geben im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik die Sicherheit, daß das Verhältnis zwischen Kultur und Politik ausgewogen und diese Ausgewogenheit demokratisch kontrolliert bleibt.

Generell tut im übrigen auch der Kultur, ähnlich wie der Wirtschaft, innerhalb der internationalen Beziehungen ein gewisser Abstand zur Politik gut, Wie sich dies nicht zuletzt in der heute positiven Auswirkung der kulturellen Beziehungen zeigt, die von der Bundesrepublik Deutschland mit Spanien trotz Franco, mit Portugal trotz Salazar und mit Griechenland trotz des Obristenregimes unterhalten wurden. Die ungestörte Fortführung der kulturellen Beziehungen mit einer Reihe arabischer Staaten in den Jahren, in denen die diplomatischen Beziehungen zu ihnen unterbrochen waren, wäre ein weiteres Beispiel.

Mittler

Kaum daß die Pflege der internationalen Kuleziehungen als ein Mittel der Außenpolientdeckt worden war, entstanden im Ge& 6 dieser Entwicklung besondere Organisa-unden. Welche als Mittler zwischen Inland , . usland die eigentliche Auslandskultur“ eit übernahmen. 1889 wurde in Italien die win 6 Alighieri Gesellschaft" gegründet, der ‘g später im Jahre 1893 die Gründung der domanee Franaise" in Frankreich folgte. Seit rsten Weltkrieg nimmt dann die Zahl solcher Institutionen beträchtlich zu. Es entstehen 1925 in der UdSSR die „Allunionsgesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland" (VOKS), 1935 in Großbritannien der „British Council", 1938 in der Schweiz „Pro Helvetia", 1943 in Schweden das „Schwedische Institut für kulturellen Austausch mit dem Ausland", nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA die „United States Information Agency" (USIA) usw.

In Deutschland entstanden in der Zeit der Weimarer Republik die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland als sogenannte „Mittlerorganisationen für die auswärtige Kulturpolitik" fortgeführten bzw. wiedergegründeten Organisationen: für die wissenschaftlichen Beziehungen der „Deutsche Akademische Austauschdienst" (DAAD), die , Alexander-von-Humboldt-Stiftung" (AvH) und die „Deutsche Forschungsgemeinschaft" (DFG — hervorgegangen aus der früheren „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“), für die allgemein kulturellen Beziehungen das „Goethe-Institut zur Förderung der deutschen Sprache und Kultur im Ausland" (Gl) und das „Institut für Auslandsbeziehungen" (IfA). 1952 wurde ferner „Inter Nationes" (IN) für die politische Öffentlichkeitsarbeit und die kulturelle Informationsarbeit gegründet. Einige weitere Organisationen kamen später hinzu.

Alle diese Organisationen werden ganz oder fast ganz von den Regierungen ihrer Staaten aus Steuergeldern finanziert. Sie sind das sichtbare Ergebnis der Erkenntnis, daß die zunehmende politische Bedeutung der internationalen kulturellen Beziehungen deren verbesserte Pflege erforderlich macht. Sie dienen in unterschiedlicher, der jeweiligen grundsätzlichen innen-und außenpolitischen Lage ihres Staates angepaßter Form als Instrumente für eine aus politischen Gründen für notwendig gehaltene auswärtige Kulturpolitik.

In der Bundesrepublik Deutschland wurden in den letzten rund zehn Jahren die Mittlerorganisationen für die auswärtige Kulturpolitik durch die wachsende politische Bedeutung, die verstärkte Differenzierung und den zunehmenden Umfang der internationalen kulturellen Beziehungen der Bundesrepublik in erhöhtem Maße gefordert. Entsprechend nahmen auch ihre Probleme zu. Sie haben ihren Ursprung bereits in den jeweiligen Gründungen bzw. Neugründungen der fünfziger Jahre und dem anschließenden Auf-und Ausbau dieser Organisationen, die sich je nach Bedarfslage oder unter anderen, heute nicht mehr alle im einzelnen nachprüfbaren Gesichtspunkten, aber sicher nicht nach einem von vorneherein auf die Bedürfnisse des Ganzen gerichteten, ordnenden Plan vollzogen. So ist heute und bleibt wohl noch für geraume Zeit an und in den einzelnen Mittlerorganisa tionen, aber auch am System dieser Organise tionen in seiner Gesamtheit noch manches verbesserungsfähig.

Die Bedeutung und manche Probleme der Existenz und der Arbeit dieser Organisationen sind letzten Endes auf die Tatsache zurückzuführen, daß die Mittlerorganisationen für die auswärtige Kulturpolitik in der Bundesrepublik eine Stellung zwischen der staatlichen Gewalt und dem von dieser unabhängigen Kulturleben einnehmen. Der Leitgedanke ist daß die außenpolitischen Entscheidungenund Planungen sowie Globalsteuerung im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik Sache der Bundesregierung sind, während die Verwaltung und die Durchführung der eigentlichen Kulturarbeit im Ausland Sache der Mittlerorganisationen sein soll. Nun ist aber bereits die Kulturverwaltung eine an die Mittlerorganisationen quasi delegierte staatliche Aufgabe. Und sicher können die Organisationen als solche und deren fest angestellte Mitarbeiter bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht in demselben Maße wie etwa ein freischaffender Künstle: die verfassungsrechtlich garantierten kulturellen Freiheiten für sich in Anspruch neh men. Andererseits ist für sie ein hohes Maßar kultureller Autonomie nicht nur wünschens wert, sondern unerläßlich. Der beträchtlich« Freiraum, der hier den Mittlerorganisatione: bewußt eingeräumt ist, liegt somit zwischet einer vollkommenen Konformität mit Staa und Regierung und einem den Staat und di Regierung völlig negierenden Freiheitsan spruch. Ersteres müßte zu einer kulturelle: Sterilität führen, letzteres die Arbeit der Orga nisationen und die Erreichung der Ziele aus wärtiger Kulturpolitik beeinträchtigen. Folg lieh besteht auch in der Zusammenarbeit zwi sehen staatlichen Organen und den Mittlerer ganisationen unvermeidlich eine beträchtli ehe Grauzone, in der nur durch pragmatisch Vernunft beider Partner Mißhelligkeiten vor gebeugt werden kann. Kein Wunder auch, da gerade diese Grauzone das besondere Inte: esse der in Dingen der Freiheit der Kultur uw der Meinungsäußerung sensibilisierten Teil 1 der deutschen Öffentlichkeit findet.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Hans Arnold, geb. 1923 in München; Studium der Psychologie, Volkskunde und Germanistik; seit 1951 im Auswärtigen Dienst; arbeitete im Auswärtigen Amt in den für Europa-, Deutschland-und Sicherheitspolitik zuständigen Abteilungen und als Leiter des Ministerbüros und war im Ausland in Paris und Washington tätig; von 1968 bis 1972 Botschafter in Den Haag; von 1972 bis 1977 Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt; seit 1977 Botschafter in Rom (Quirinal). Veröffentlichung u. a.: Kulturexport als Politik, 1976.