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Geschichte und Medium. Gedanken zum Verhältnis von Fernsehen und Geschichtsbewußtsein | APuZ 8/1980 | bpb.de

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APuZ 8/1980 Geschichte und Medium. Gedanken zum Verhältnis von Fernsehen und Geschichtsbewußtsein Henry Kissinger und die deutsche Ostpolitik. Kritische Anmerkungen zum ost-und deutschlandpolitischen Teil der Kissinger-Memoiren Zur auswärtigen Kulturpolitik

Geschichte und Medium. Gedanken zum Verhältnis von Fernsehen und Geschichtsbewußtsein

Karl Dietrich Bracher

/ 19 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen historischer Fernsehsendungen ist sowohl durch aufsehenerregende Einzelfälle (Holocaust) als auch durch die zunehmende Auseinandersetzung um Medienpolitik in letzter Zeit verschärft worden. Dabei tritt neben den allgemeinen Fragen der Vermittlung von Geschichtswissen und Geschichtsverständnis, die mit den spezifischen Bedingungen und Wirkungen einer vorwiegend optischen Behandlung historischer Probleme zu tun haben, die besondere deutsche Problematik hervor: Die Brüche und Teilkontinuitäten unserer Nationalgeschichte stellen besondere Anforderungen an die Auswahl, Darstellung und Interpretation historischer Gegenstände. In drei Fragestellungen wird diese Problematik erörtert: gebrochenes Geschichtsbild und historische Identität; sachliche Bezugspunkte und emotionale Faktoren der Fernsehdarstellung zwischen Dokumentation und Dramatisierung; enger Zusammenhang von historischen und aktuellen Sendungen. Die suggestive Wirkung des Fernsehens als Massenkommunikation durch Bild enthält Chancen und zugleich Gefahren, die in ihrer Bedeutung für die Verbreitung und Schärfung, aber auch Veränderung und Manipulation des Geschichtsbewußtseins ernst zu nehmen sind.

Die folgenden Überlegungen zum Thema Geschichte und Fernsehen gehen von einer Beobachtung aus, die wir im Verlauf der letzten zwanzig Jahre immer wieder machen mußten, die uns aber neuerlich — Stichwort: Holocaust-Debatte — wieder besonders bewegt, ob wir nun in Bildung und Wissenschaft, in der Politik oder in den Medien mit Fragen der Geschichte und des Geschichtsbewußtseins befaßt sind. Wir beobachten die große Diskrepanz zwischen Angebot und Rezeption historischen Wissens, die sich hierzulande auftut, wenn immer die politische Situation den Deutschen Geschichtsverständnis, d. h. Einsicht in den Zusammenhang von Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Und dies angesichts einer Fülle an Dokumentationen und Darstellungen, die im Verlauf der letzten 20— 30 Jahre vorgelegt wurden (vgl. Martin Broszat, Holocaust und die Geschichtswissenschaft, in:

Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 27 [1979], S. 285ff.), sowie zahlreicher, immer neuer Bemühungen von Bildungseinrichtungen und Medien.

Es stellen sich vor allem drei Fragen:

Erstens: Welche Schwierigkeiten behindern nach wie vor die unter dem Stichwort „Bewältigung der Vergangenheit" vorangetriebenen bemühungen? Wieweit handelt es sich dabei noch immer um ein spezifisch deutsches Pro-em, ein Problem unserer katastrophalen Gesshichtsbrüche? Wir denken an 1918, 1933, 45, aber auch an die früheren Unterbrechungen der Geschichtsentwicklung, die ein Ausrei en des Nationalstaats und der politischen u tur durchkreuzt haben: Konfessionsspal7g und Dreißigjähriger Krieg, territoriale «Splitterung und kleindeutsche Lösung mit vperialem Überhang. Also an das schon sehr sytere deutsche Problem, die Identitätsfrass ist des Deutschen Vaterland? tyeitens: Welche Möglichkeiten und Formen seh'ermittlung und der Rezeption von Gezaitante bestehen heute? Sind sie nicht im exl er der Kommunikations-und Bildungsgeninsion günstiger denn je? Wie werden sie dbzulit unnd welche Erfahrungen sind daraus Drittens: Welche Wirkung kommt den indirekten Akzentuierungen und Deutungen geschichtlicher Zusammenhänge im täglichen Programm der Medien zu? Zeigen sich nicht Widersprüche zwischen betont historischen Darstellungen und tagespolitischen Informationen, zwischen wissensmäßiger Vergegenwärtigung der Vergangenheit und kulturideologischen Deutungsmustern der Gegenwart, die eher zur Verunsicherung als zur Vertiefung von Geschichtsbewußtsein führen?

In kurzen Antworten sind diese schwierigen Fragen gewiß nicht abzuhandeln. Nachstehend seien aber einige Gesichtspunkte skizziert, die zur Erklärung beitragen könnten.

Zur ersten Frage: Kontinuität

Eine Neuorientierung, ja ein Bruch des Geschichtsbewußtseins in Deutschland war nach den Irrwegen und Katastrophen der jüngsten Vergangenheit nicht nur verständlich, sondern geradezu unvermeidlich. Infragestellung und Revision des Geschichtsbilds, nach der nationalen Überspannung der vorangehenden Zeit von vielen Deutschen plötzlich und radikal als Zusammenbruch empfunden, forderte ihnen Anstrengungen ab, die zu einer negativen oder gar agnostischen Haltung, zu Verdrängung statt Aufarbeitung führen konnten. Schroff standen die „Negativlektionen“ der Vergangenheit den Positivlektionen der Gegenwart und den Normallektionen einer kontinuierlichen Geschichte gegenüber. War es nicht eine betonte Erfahrung der Nachkriegszeit, daß das Vermeiden historischer Fehler, die auch in der Weimarer Republik noch nicht voll erkannt waren, die Stabilisierung der Demokratie in der Bundesrepublik ermöglichte? Ein solcher Umgang mit der Geschichte enthielt aber die Gefahr, daß die historische Kontinuität überhaupt in Frage gestellt wurde. Der Geschichtsbruch bedeutete beides: Chance und Hemmnis. Chance zur Offenheit nach vorne, Hemmnis bei der Versicherung einer positiven Aneignung von Geschichte, eines zusammenhängenden Geschichtsbilds.

Im Unterschied zu anderen Völkern und Staaten besitzen die Deutschen nach 1945 kaum selbstverständliche historische Festpunkte, Daten, historische Überzeugungen (auch der 20. Juli wurde nicht angeeignet). Das beginnt beim Politik-und Nationalverständnis, Nationalbewußtsein und gipfelt in der Frage nach der Identität der Bundesrepublik, die in vielen zweifelnden Rückblicken zum dreißigjährigen Bestehen gerade jetzt wieder aufgeworfen wurde.

Erinnern wir uns:

Inmitten der „deutschen Katastrophe" von 1945 hatte der damals wohl bedeutendste deutsche Historiker, Friedrich Meinecke, das Ende der politischen Geschichte Deutschlands diagnostiziert: Nur als Kulturnation könne es hoffen, auf absehbare Zeit fortzuexistieren. „Abschied von der bisherigen Geschichte" hieß auch das Buch des Kultursoziologen Alfred Weber von 1946. Von der Stunde Null sprachen die Publizisten, und eine staatliche Kontinuität erschien politisch wie historisch fragwürdig, mochte sie auch staatsrechtlich postuliert werden. Und als Karl Jaspers nach dem ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik, am Ende der fünfziger Jahre, in seiner streitbaren Schrift „Freiheit und Wiedervereinigung" die Westdeutschen ermahnte, ihre politische Freiheit über die nationale Einheit zu stellen, da begründete er diese kontroverse These — die auch mit unserer Verfassung in Konflikt gerät —, indem er daran erinnerte, daß das Deutsche Reich als Nationalstaat nur wenig mehr als siebzig Jahre gedauert hat, also eher eine Ausnahmeerscheinung als den Regelfall der deutschen Geschichte bedeutete.

Aber demgegenüber bleibt zu bedenken, welches historische Gewicht gerade jene Epoche besitzt und wie unmittelbar die ungelösten Probleme des gespaltenen Deutschland noch immer mit ihr Zusammenhängen. Die deutsche Diskussion darüber ist in vollem Gang geblieben: Bismarck-Zeit und Wilheiminismus, Erster Weltkrieg und Weimarer Republik, Drittes Reich und Zweiter Weltkrieg sind seit der Katastrophe von 1945 in zahllosen Deutungen und in reichhaltigen Spezialuntersuchungen behandelt worden; allein die Bibliographie könnte ein Buch füllen. Freilich ist diese deutsche Diskussion sehr oft in der eigenen Introspektion befangen; sie bleibt immer wieder in den tiefen Widersprüchen stekken, die an den kritischen Punkten und schicksalhaften Weichenstellungen jener kurzen, doch ereignisschwer verdichteten Periode des deutschen Nationalstaats aufbrechen und bis heute ungelöst sind.

Aber auch wenn wir hinter die nationalstaatliche Periode zurückgreifen, ist die Orientie-B rung schwieriger, widerspruchsvoller als i Falle der anderen europäischen Staaten. De deutschen Geschichte des Mittelalters un der Neuzeit fehlt vor dem 19. Jahrhundert de durchgehende, zur staatlichen Einheit drät gende Zug, und selbst danach bleibt die Ident tätsfindung umstritten, schwankend: zwische den Traditionen der Teilstaaten, zwische Preußen und Österreich, zwischen groß-un kleindeutscher Form, zwischen Unitarismu und Föderalismus, zwischen Kultur-un Staatsnation, zwischen traditionalem Reichs gedanken und modernem Einheitsstaat Da Vielfältige gegenüber dem Einheitlichen trit bei der Suche nach den historischen Entwick lungslinien, nach den Grundlagen von Konti nuitäten hinter und jenseits der National staatsbildung hervor, die für das heutige Ge schichtsbewußtsein (einer geteilten Natior von besonderer Bedeutung sind.

So ist auch die Aufgabe der Vermittlun schwieriger, anspruchsvoller, als wenn ein einheitliche Entwicklungslinie samt einem i der modernen Nationalgeschichte gipfelnde Geschichtsmythos durchgezogen werde könnte wie bei den älteren und sogar bei de meisten neuen Nationalstaaten. Wann imme dies in Deutschland versucht -wurde, in der rc mantischen und nationalen Geschichtsschre bung und schließlich in der national-imperic len Ideologie des Nationalsozialismus — wi übrigens auch im Faschismus, dem Produk der italienischen Form einer verspäteten Na tion —, dann führte es zur Verkrampfung um Übersteigerung, zu Verfälschungen des Ge schichtsbilds.

Die besondere deutsche Situation erfordert in Blick auf diese Erfahrung, daß gerade die Viel heit und Vielfalt der vornationalstaatlichei Entwicklung bejaht, in ihrer Komplexität dar gestellt und in ihrem Reichtum auf allen Ge bieten gewürdigt wird. Aber auch das Ein heitsstreben seit den Befreiungskriegen vor 1813, der gescheiterten Revolution von 18* und selbst der Reichsgründung von 1871 dar nicht einfach als Fehlentwicklung abgetan oder dämonisiert werden. Sie bildet gera® mit ihrem ambivalenten Gehalt, ihren negat ven wie positiven Zügen der Modernisierung den unmittelbaren Erfahrungsschatz im Hin tergrund der gegenwärtigen politischen Lag« aller Deutschen — in West und Ost. Nichtnu die Katastrophen von 1933 und 1945, auchd erstaunliche Erfolgsgeschichte der Bundes« publik als einer freiheitlichen Demokratiea und freilich zugleich das Zwangsgebilde a DDR — ist mit jener Periode der Moderns rung verknüpft, beruht auf ihr.

Aber dabei gilt es freilich die Vielfalt der Poh tischen Entwicklungslinien vor und auch rend der scheinbar so definitiven Geschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert ernst zu nehmen. Es gilt jene unhistorische „Reduktion der Vielfalt zur Einfalt" (Fritz Stern) zu vermeiden, mit der Nationalisten und Nationalsozialisten, ausländische Vereinfacher und marxistische Monokausalisten in seltsamer Allianz die deutsche Geschichte zum bloßen Auftakt des deutschen Imperialismus, zur Einbahnstraße in den Faschismus verkürzen. Dies ist wichtig, wenn wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, daß das Deutschlandbild eines großen Teils der gegenwärtigen Menschheit von Adolf Hitler geschaffen wurde. Aber die deutsche Geschichte hat nicht mit Hitler begonnen und hat auch nicht mit Hitler geendet.

Zur zweiten Frage: Darstellung

Damit sind wir bei der Frage nach der Vermittlung von Geschichte und nach den besonderen deutschen Bedingungen, die als Chance und Hemmnis zugleich wirken — aber auch bei der Frage nach den Möglichkeiten, die die Medien eröffnen, und den damit verbundenen Problemen. Das beginnt mit den historischen Themen und Festpunkten, die für eine Vergegenwärtigung der Geschichte zugleich als Auswahlkriterien und als Kontrast zur Gegenwart wichtig sind, gerade auch im Hinblick auf die große Wirkung des Mediums Fernsehen. Dabei geht es natürlich auch um den alten und neuen Streit der Historiker, ob stärker biographische oder sozial-und strukturgeschichtliche Aspekte berücksichtigt werden. Aber das scheint mir hier ein eher sekundäres Pro-Mem: Sowohl die Geschichte großer Gestalten als auch die heute so viel gefragte Gesell-

Schaftsgeschichte kann das historische und politische Verständnis wecken, und das Fernsehen besitzt die Mittel, beidem gerecht zu werden.

Wichtiger ist die Auswahl der Perioden und usammenhänge, die ein Gefühl für Kontinuia vermitteln und damit historisches Selbstpständnis überhaupt ermöglichen können.

zu kurzatmig wirkt dabei freilich das heute 0 Modische Bemühen, im Interesse einer vestigung demokratischen Bewußtseins z. B. " ettauseinanderliegende Fälle von Rebellioen isolierend zu behandeln. Das kann auf e statische Politiklektion hinauslaufen, der ra e die geschichtliche Dimension, der difMzierende Sinn für die verschiedenen gon 8zichkeiten und die vielfältigen Bedinguntg A rischer Entscheidung fehlt. Die wichShic seinandersetzung mit Revolutionsge-Där erfordert weniger eine punktuelle 5 ung der Ereignisse als vielmehr das Verständlichmachen von Voraussetzungen und Alternativen des Geschehens, das den Sinn für die Mehrdimensionalität möglicher geschichtlicher Entwicklungen erweitert und öffnet. Der Blick auf die punktuellen Bruchstellen der Geschichte leistet dagegen der bedenklichen Neigung Vorschub, ein Problem zu verabsolutieren oder zu verkürzen: so wenn z. B.der Blick auf die mißglückte Rebellion des Bauernkriegs beschränkt statt auf den großen Zusammenhang und die weltgeschichtlichen Impulse der Reformationszeit gerichtet wird. Demgegenüber wird in den letzten Jahren, nach den Überspannungen der Veränderungsund Revolutionsphilosophie auch in der Geschichtsbetrachtung, unter politisch aufgeschlossenen, nicht indoktrinierten Jugendlichen immer dringender nach der Möglichkeit gefragt, solche Gehalte, Beispiele und Perspektiven unserer Geschichte kennenzulernen, die im deutschen wie im europäischen Zusammenhang einen eigenen Standort begründen. Auch für die Begegnung und unvermeidliche Auseinandersetzung mit den Nachbarn, die das deutsche Problem im Hinterkopf haben, bedarf es mehr als der apologetischen Ausweichmanöver entweder in ferne Geschichte oder in materielle Gegenwartserfolge der Bundesrepublik. So gewiß diese mehr Würdigung verdient, als ihr eine unersättliche Selbstkritik zubilligt, so wenig genügt dies gegenüber dem Geschichtsstolz der Nachbarn, auch im eng verflochtenen Westeuropa.

Der deutschen Situation wird freilich nicht ein neuer Nationalstolz gerecht, sondern die politische Aneignung der freiheitlich-demokratischen Werte und Leistungen dieser Staatsgesellschaft; daß sie mehr ist als ein Wunder, ob Wirtschafts-oder Stabilitätswunder, wird erst durch das durchaus geschichtliche Verständnis auch der Eigenart, der Traditionen und Tugenden deutscher Geschichte lange vor und nach der Nazizeit plausibel, begründbar: nicht im Sinne chauvinistischer Abgrenzung eines Nationalcharakters, sondern einer eigenen Standortbestimmung. Warum Deutsche so sind, es so machen, im Positiven wie im Negativen, ist ein geschichtliches Resultat. Ob nun die Geographie, die Ökonomie, die Arbeitshaltung, der soziale Fortschritt oder die industrielle Kompetenz als Kriterium dienen — dahinter stehen doch Jahrhunderte der Erfahrung und Bemühung, der Beharrung und Veränderung, steht eine Kultur-und Geistesgeschichte, in welcher die bürgerlich-freiheitlichen Werte des demokratischen Rechtsstaats angelegt sind, die freilich in der politischen Entwicklung zu kurz kamen.

Das Dritte Reich war kein bloßer Betriebsunfall, aber es bildet auch nicht den einzigen Be-B zugspunkt der deutschen Geschichte. Die schonungslose Auseinandersetzung damit soll gerade frei machen für diese lebensnotwendige Geschichtsoffenheit, Geschichtsbewußtheit.

Die anfangs erwähnten großen „Negativlektionen" waren gewiß für die ältere Generation bestimmend und zugleich auch motivierend. Dasselbe trifft aber nicht für jene Mehrheit der Bevölkerung zu, die inzwischen nach Nazizeit und Kapitulation herangewachsen ist. Sie steht in einem anderen historisch-politischen Bezugssystem. Ihrem veränderten Erfahrungshorizont entspricht das natürliche Bedürfnis nach positiven Orientierungspunkten auch in einer gebrochenen Geschichte. Lassen wir sie hier im Stich, so müssen wir uns nicht wundern, wenn es zu geschichtslosen Haltungen kommt, die dann Manipulationen ausgesetzt sind, wie sie zumal in den letzten zehn bis zwölf Jahren um sich greifen konnten.

Was die für uns so besonders düstere Zeitgeschichte bis 1945 angeht, so ist hier der Tendenz einer deterministischen Geschichtsbetrachtung entgegenzuwirken, welche die Entwicklung zur Barbarei der „deutschen Diktatur" als notwendige Konsequenz unserer ganzen neueren Geschichte und Gesellschaft charakterisiert. Demgegenüber gilt es vielmehr, die konkreten Entscheidungen und die mehrspurigen Weichenstellungen zu verdeutlichen. Es geht um die Offenheit der jeweiligen geschichtlichen Situation und die Eigensubstanz der Epoche, die nicht einfach Vorgeschichte der Diktaturen und Weltkriege ist, sondern alternative Möglichkeiten aufweist, die Anknüpfungspunkte für heutige Problemstellungen bieten. Davon zeugt die kulturgeschichtliche Nostalgiewelle, aber auch das sich wandelnde Bismarck-Verständnis, das etwa einen großen Außenpolitiker wie Henry Kissinger unmittelbar beeinflußt. In der Tat kommt nicht nur der Weimarer Republik, sondern der Bismarckzeit, ihrer Vorgeschichte und Nachgeschichte eine zentrale Bedeutung zu.

Ein zweiter Komplex ist die entferntere, gleichwohl gegenwartsbedeutsame Geschichte, die erst die volle Dimension des menschlichen Daseins anschaulich macht: Diesem Komplex wäre etwa auch der Dreißigjährige Krieg mit „Wallenstein" zuzurechnen. Die Tragweite, die historischen Dramen, wohl auch dem historischen Roman zukommt, tritt dabei besonders hervor: Der Dokumentation sind hier sehr viel engere Grenzen gesetzt als in der neueren Geschichte. Und das gilt aucl für den dritten Komplex, den Bereich der anti ken Geschichte, deren Bedeutung seit je in de: exemplarischen Thematisierung menschli eher Kultur-und Herrschaftserfahrung liegt Die Frage der Dramatisierung von Geschichte in Features und Spielfilmen wirft gewif schwierige Probleme auf — für den Historikei wie für das Fernsehen. Im Zusammenhang des Holocaust-Films ist darüber ausgiebig und höchst kontrovers diskutiert worden. Das Bemühen um die Vielschichtigkeit und innere Wahrheit hinter den Fakten, um die innere Beteiligung der Zuschauer bleibt für jede fre gestaltende, Geschichte künstlerisch umset zende Bewältigung historischer Stoffe zentral wichtig. Daran ändert auch die skeptische Beobachtung nichts, „wie wenig selbst starke emotionale Eindrücke die ethische und allgemeine Lebenspraxis zu bestimmen vermögen (Dieter Stolte, Lehren aus Holocaust). Ich teile die Bedenken gegenüber der Verkürzung des historisch-politischen Rahmens und der vereinfachenden Reduzierung auf wenige Personen und Szenen, ja einer gewissen Trivialisie rung des Themas. Aber solche Bedenken müssen doch auch der Tatsache Rechnung tragen daß es in einer Geschichtsdarstellung für das große Publikum um mehr geht als um intellektuelle oder antiquarische Wissensaneignung.

Geschichte als Gedächtnis der Menschen will ausgesprochen oder nicht, die moralischen Wertfragen zur Anschauung und Entscheidung stellen, die zur Orientierung und Ortsbestimmung der Gegenwart beitragen. Und hiei besitzt die emotionelle Komponente der geschichtlichen Anschauung, das Angebot zui Identifikation mit menschlichen und politisch-gesellschaftlichen Schicksalen, eine wesentliche Bedeutung. Gerade unser zerspaltenes verunsichertes Bild der Vergangenheit verlangt danach, daß hinter den Dokumenten auch die menschliche Dimension, das menschlich Verständliche wie das Unverständliche erscheint, daß die Bedeutung nicht nur de Staates und der Gesellschaft oder der Klassen und der Nation, sondern die Empfindungen des einzelnen, der Familie, der namenlosen Durchschnittsbürger ebenso wie der geschichtlichen Figuren verständlich, nachfü bar gemacht werden. Hier liegt die Chance er Literatur und des Films, die Chance des Fern sehens zumal, das über die verschiedenen Da stellungsformen verfügt.

Hier liegt freilich auch die Notwendigkeit W scher Emotionalisierung und Akzentuierung zu steuern und natürlich sachliche Fehr , vermeiden. Ganz ohne die Begleitung du Historiker geht es nicht, wie gemischt au die Erfahrungen sein mögen, die das Medium mit diesen zuweilen eigensinnigen Fachleuten gemacht hat. Das böte auch den Vorteil, daß die sehr reiche neueste Forschung viel unmittelbarer und substantieller aufgenommen, umgesetzt, verbreitet werden könnte (als durch gelegentliche, meist dürftige TV-Buchrezensionen). Dem Anspruch auf kompetente Geschichtsvermittlung müßte die Bereitschaft entsprechen, eine laufende Beratung aller geschichtsrelevanten Projekte in regelmäßiger Folge, vielleicht in Beiratsform, zu gewährleisten. Die gelegentliche Beiziehung von Historikern zur Diskussion oder zu Statements — gekürzt, abgeschnitten zumeist — genügt nicht, weil es hier eben nicht nur um die mediengerechte Aufbereitung durch Fernsehspezialisten gehen kann, sondern mehr Gleichgewicht zwischen Machern und Forschern vonnöten scheint. Nicht nur der im allgemeinen doch wohl eher als unbefriedigend empfundene Verlauf der Diskussion im Anschluß an die Holocaust-Sendungen scheint mir dafür zu sprechen, daß auch die Frage der Moderation von ganz entscheidender Bedeutung ist — und höchste sachliche Qualifikation erfordert. Gute Spielfilme sind nun gewiß ein Glücksfall. Sie bilden aber einen unerläßlichen Bestandteil jeder Bemühung um ein film-und fernsehgewohntes Publikum. Natürlich machen sie die geduldige Beschäftigung mit der Geschichte, das weitere Nachfragen nicht überflüssig.

Im Gegenteil! Aber sie können anrühren und anregen, zur tiefergehenden persönlichen Auseinandersetzung veranlassen. Wenn es die einzige Begegnung mit dem Thema bleibt, so mag dies bedauerlich, vielleicht auch gefährlich sein — bei nationalistischer oder ideologischer Verzerrung, auch bei allzu starker Vereinfachung, bei Heroisierung oder Dämonisierung der Großen der Geschichte. Aber es ist nicht zu verkennen, daß dieser „triviale" eg für viele, vielleicht die meisten den einigen Zugang zu Geschichte überhaupt öffnet.

Aktionen sind gut, Erleben ist besser — und Jedenfalls unersetzlich, weil es über die Lern" iigen hinausgreift.

zur dritten Frage: Deutung

Einen weiteren Streitpunkt bildet schließlich sch Problematische Verhältnis zwischen Gedi ints-und Zeitsendungen. Diese Frage verfr itWie ich meine, besondere Beachtung, ist ve h auch besonders komplex, weil sie not" sndig über die bloße Betrachtung von direkbd eshichtsdarstellungen hinausführt. Wir laß dchten etwa im Gespräch mit Studenten, sch as Bemühen um die Vermittlung historier Einsichten und Maßstäbe in Geschichtssendungen ganz wesentlich tangiert wird durch die metahistorische Wirkung von tages-und weltpolitischen Sendungen. Das ist nur natürlich. Es genügt deshalb nicht, allein die Qualität konkreter Geschichtsdarstellungen zu erörtern. Zu bedenken ist auch die indirekte Mit-oder Gegenwirkung von Akzentuierungen, Wertungen und Deutungen in der aktuell-zeitgeschichtlichen, täglichen Berichterstattung, in Kommentaren und Magazinen.

Für Diktaturen, die sich der Rolle und Wirkung der Medien als gestaltender und manipulierender Kraft bei der Formung des gegenwärtigen Geschichtsbilds bewußt sind und sich im Besitz der totalen Wahrheit wähnen, ist das selbstverständlich. Anders im demokratischen Westen. Bei uns herrscht der Glaube, daß sich wohl am ehesten ein ausgewogenes, zeitgenössisches Geschichtsbild einbürgere, wenn in liberalem Vertrauen auf die Vielfalt des demokratischen Meinungsspektrums der Berichterstattung und Kommentierung ein möglichst großer Freiraum überlassen werde. Diesem laissez-faire liegt auch verständliche Furcht von irgendeiner Form von Zensur oder Dirigismus zugrunde. Aber dabei kann es zu gewollten oder ungewollten Akzentverschiebungen kommen, die man nicht steuern kann, ohne sich dem Vorwurf der Illiberalität auszusetzen. In den Jahren seit Vietnam erlebten wir eine überhitzte Berichterstattung über radikale Befreiungsbewegungen und diktatorische Revolutionen, über antikapitalistische und auch zunehmend anti-israelische Entwicklungen. Sie durchdrang Nachrichten-und Informationssendungen in unverhältnismäßiger Breite — einseitig auch, weil eine ähnlich kritische Bild-Information und Durchleuchtung der kommunistischen oder revolutionären Seite des Geschehens (und deren historisch-politischen und menschlichen Hintergründen) nicht ebenso offen geboten wurde. Die totalitäre Drohung, die Haupterfahrung unseres Jahrhunderts, verschwand auf diese Weise mehr und mehr aus dem allgemeinen Bewußtsein — oder wurde gar wieder zur „totalitären Versuchung“, um das Wort von Jean-Francois Revel zu zitieren.

Diese verdeckte, unvermeidlich oft einseitige Form der täglichen Politiklektion kann stärker auf das rudimentäre Geschichtsverständnis der Hörer und Seher durchschlagen als viele sorgfältige, doch scheinbar fernabliegende Geschichtsdarstellungen noch so guter Qualität. Die Verantwortung und Sorgfaltspflicht derer, die Information über Tagesereignisse sichten und einordnen, ihren Umfang und ihr Gewicht für Nachrichten oder Magazinsendungen bestimmen oder gar ihre Bewertung im politi-sehen — und dabei notwendig auch historischen — Zusammenhang vornehmen, wiegt hier noch schwerer als die wissenschaftliche Verantwortung eines Historikers, schon weil man es im Fernsehen nicht mit vorbereiteten, geduldigen Lesern, sondern mit einem meist unvorbereiteten, nur punktuell aufmerksamen Massenpublikum zu tun hat — und zwar gerade in den Tagessendungen.

Aber mehr noch: Die suggestive Wirkung des Fernsehens, seine Chance und zugleich seine Gefahr, liegt in der scheinbar authentischen, quasi dokumentarischen Darbietungs-oder Darstellungsform. Das Leben selber bewegt sich auf dem Schirm, das gegenwärtige und vergangene: die Wahrheit scheint handgreiflich. Das historische Buch dagegen kann nur Geschehen übersetzen, Quellen zur Vertiefung anbieten, nie die Ereignisse selbst abbilden, sie unmittelbar ins Wohnzimmer bringen Angesichts dieser Überzeugungskraft wird der Umstand vergessen oder überspielt, daß Auswahl, Gewichtung und Interpretation gerade in einem solchen Fall sehr viel schwerer wiegen und die Realität stärker zeichnen oder verzeichnen können als ein noch so einseitiges Geschichtsbuch, dem jederzeit ein anderes zur Seite oder entgegengestellt werden kann, wenn man schon beim Lesen ist. Der Begleitlektüre und auch den Programmheften zu historischen Sendungen kommt darum hohe Be-deutung zu. Aber solche Hilfestellungen und klischeehaften Wirkung auf ein lük. kenhaftes, defizientes Geschichtsverständnis des Millionenpublikums. Auch die Diskrepanz zwischen Wort und Bild oder die Überdek. kung des Mangels an authentischem Material durch bloße Illustration kann irreführende Wirkung haben.

Es mag umstritten sein, welche Schlüsse hinsichtlich der wünschenswerten Ausbildung und Qualifikation der verantwortlichen Journalisten und Redakteure daraus zu ziehen sind. Auch ist die Meinungsvielfalt gewiß eine conditio sine qua non unseres freiheitlichen Medienverständnisses. Aber mit der Bemühung um Ausgewogenheit ist es nicht getan, wenn nicht zugleich bei allen geschichtsrelevanten Zeitsendungen, wie bei Geschichtsdarstellungen selbst, zum Gebot der Objektivität auch die Möglichkeit der öffentlichen Korrektur durch Diskussion und Gegenmeinung kommt. Was sich beim gedruckten Wort in Wissenschaft und Publizistik von selbst versteht, sollte beim gehörten und bebilderten Wort nicht fehlen — auch weil dies zur Sorgfalt und Verantwortung erzieht, wie jeder Buchautor erfahren muß.

Daß Zeitsendungen auf historisches Bewußtsein stärker wirken als Geschichtssendungen, macht sie zu einer Art ständigen, wenn auch sprunghaften Geschichtsunterrichts, der zudem mit dem besonderen Anspruch authentischer Wahrheit ausgestattet ist. Um so mehr können Widersprüche zwischen historischer Darstellung und politischer Information zur Verunsicherung oder zur Verzerrung des Geschichtsverständnisses führen. Die oft beklagte Eindimensionalität der Zeitgenossen; ihr Ausweichen vor der konkreten Geschichte Politikdeutung und Geschichtswelt zu tun ein wohl unvermeidliches Dilemma notwendig objektiver sind als Informationssendungen; oft ist das Gegenteil der Fall. Es geht vielmehr um das Bereiche.

Ich kann hier nicht näher auf die Fernseh-Wir kungsforschung eingehen, darf jedoch besonders auf die neueste Studie von Reinhold Bergler hinweisen (Psychologie des Fernsehens-Bern 1979). Eines seiner relevanten Ergebnisse ist, daß die Darstellung von Gewalt zumal auf Jugendliche sich vorwiegend negativ auswirkt und nicht etwa im Sinne einer Katharsis zu sehen ist. Daß nach dieser Untersuchung der Einfluß von TV-Sendungen auf die Lernfähigkeit und Aneignung von Werten umstrittten bleibt, sollte uns aber nicht entmutigen.

Geschichte und Fernsehen ist ein Problemthema, das mitten in die Kontroversen über Sinn und Möglichkeiten politischer Bildung hineinführt. Leider ist der Wert geschichtlicher Bildung für politisches Denken und Verhalten eine Zeitlang unterschätzt und zugunsten sozialtheoretischer, auch ideologischer Ausrichtungvernachlässigt worden: Beispiele sind die Zurückdrängung des Geschichtsunterrichts und selbst die Veröffentlichungspraxis der Bundeszentrale für politische Bildung. Seit einigen Jahren hat sich das wieder geändert. Die Medien machen bemerkenswerte Anstrengungen, geeignete Formen zu finden, in denen über die spezialisierte Dokumentation hinaus mehr Verständnis für geschichtliche Entwicklung und Kontinuität in den heutigen Zeitgenossen geweckt oder genährt werden kann.

Gewiß bildet die Zeitgeschichte einen wichtigen Ausgangspunkt: In ihr kulminieren die kontroversen Meinungen und Empfindungen, mit denen die deutsche Geschichte nach den tiefen Einbrüchen von 1933 und 1945 belastet bleibt. Aber nicht zuletzt der Generationswechsel macht es nötig und möglich, daß diese Zeitgeschichte nicht für sich oder als Endpunkt, sondern im größeren Zusammenhang der deutschen und europäischen Geschichte der Neuzeit gesehen und begriffen wird. Unsere nationale Problematik, welche die Relativität nationalstaatlicher Geschichte zum Bewußtsein bringt, enthält das Gebot und die Chance einer Weltoffenheit, von der die Bundesrepublik lebt: Ihre ökonomische Stärke ist krisenanfällig, vordergründig; sie bedarf der geistigen, der historischen Dimension. Es geht um das Vermögen, die europäischen und kos““ Politischen Ansätze ebenso wie die föderaen und Selbstverwaltungstraditionen als geS ichtliche Werte aufzusuchen und zu vergegenwärtigen. Der Nationalstaat ist nicht letzte dstanziaber dies kann nicht Verzicht auf ge-

Ihichtliches Bewußtsein, Geschichtslosigkeit 6 en — im Gegenteil.

Das alles erfordert nicht nur umfassendere, 5 er zurückgreifende Darstellungen und Diskussionen. Die Vergegenwärtigung der Geschichte und die auch emotionale, persönliche Anregung zur Wissensvertiefung lebt von dem Anknüpfen an vorhandene, sichtbare Denkmäler, an regionales und lokales Geschichtsinteresse, an das Interesse für die konkreten Lebensumstände früherer Zeiten und Generationen („Nostalgiewelle"), an soziale Veränderungen und kulturelle Werte, gültige und überholte, um so das Bewußtsein dafür zu schärfen, wie vieles, was in vergangenen Jahrhunderten erstrebt und ersehnt wurde — von der Freiheit zur sozialen Gerechtigkeit und zur materiellen Verbesserung —, heute der Verwirklichung näher gerückt ist. Freilich: unter welch furchtbaren Opfern und mit welchen Einbußen an Menschlichkeit, die auch gerade die moderne Zivilisation fordert!

Zu beidem bietet die Geschichte das Anschauungsmaterial, das auch ältere Perioden näher auf die Gegenwart bezieht, wenn sie auf die Grundprobleme der Menschen hin befragt werden. Dafür wird immer wieder zitiert, was vor hundert Jahren Friedrich Nietzsche über den Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben geschrieben hat. Noch lieber halte ich mich an meinen Landsmann Friedrich Schiller, der gerade als Dichter leidenschaftliche Geschichte betrieben und vermittelt hat und den man heute als Drehbuchautor und Berater wohl brauchen könnte. In seiner berühmten Antrittsvorlesung von 1789 über das Studium der Universalgeschichte sagt er: „Fruchtbar und weit umfassend ist das Gebiet der Geschichte; in ihrem Kreise liegt die ganze moralische Welt. Durch alle Zustände, die der Mensch erlebte, durch alle abwechselnde Gestalten der Meinung, durch seine Torheit und seine Weisheit, seine Verschlimmerung und seine Veredlung, begleitet sie ihn, von allem, was er sich nahm und gab, muß sie Rechenschaft ablegen. Es ist keiner unter Ihnen allen [zum Publikum], dem Geschichte nicht etwas Wichtiges zu sagen hätte; alle noch so verschiedene Bahnen Ihrer künftigen Bestimmung verknüpfen sich irgendwo mit derselben; aber eine Bestimmung teilen sie alle auf gleiche Weise miteinander, diejenige, welche Sie auf die Welt mitbrachten — sich als Menschen auszubilden — und zu dem Menschen eben redet die Geschichte." (Schillers Werke, Insel Verlag, 1966, Bd. 4, S. 421)

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. K. D. Bracher, Zwei deutsche Vergangenheiten, in: Die politische Meinung 187 (Dez. 1979), S. 8 ff.

  2. Ein jüngstes Beispiel ist der dreiteilige Schweizer Fernsehfilm „Wach auf, Schweizervolk", zu dessen Darstellung der NS-Zeit in der Deutschschweiz ein informativ kritischer Artikel der Neuen Zürcher Zeitung (Nr. 24 vom 31. 1. 1980, S. 42) treffend bemerkt: „Gerade unter solchen Gesichtspunkten stellt sich schließlich die Frage nach den Grenzen der Darstellungsmöglichkeiten des Fernsehens. Die Television ist ein bestimmtes Mittel der Massen-kommunikation; sie hat, wie jedes Medium, Vorzüge und Schwächen. Die Serie „Wach auf, Schweizervolk!“ hat Mängel und Verzeichnungsmöglichkeiten des Fernsehens deutlich demonstriert. Das den Gestaltern zur Verfügung stehende dokumentarische Material, vor allem alte Filme, Wochen-schauen usw. war nur in recht unterschiedlicher und zufälliger Auswahl vorhanden. Für einige Bereiche gibt es kaum Brauchbares. Existiert aber irgendwo etwas, beispielsweise ein Film über einen Frontaufmarsch oder ein antikommunistisches Pamphlet, so muß dieses Material fast zwangsweise übernommen werden. Ereignisse, die sich damals am Rand des öffentlichen Geschehens abgespielt haben, erhalten damit in der neuen Optik ein Gewicht, das sie in Tat und Wahrheit niemals hatten.

Weitere Inhalte

Karl Dietrich Bracher, Prof., Dr. phil., Dr. h. c., geb. 1922 in Stuttgart, Ordinarius für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte an der Universität Bonn. Veröffentlichungen u. a.: Die Auflösung der Weimarer Republik, 1955 (6. Auf 1. 1978); Die nationalsozialistische Machtergreifung, 1960 (3. Aufl. 1974); Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur, 1964; Die deutsche Diktatur, 1969 (6. Aufl. 1979); Das deutsche Dilemma, 1971; Schlüsselwörter in der Geschichte, 1978; Die Krise Europas 1917— 1975 (Propyläen Geschichte), 1976, Neuausgabe u. d. T. Europa in der Krise. Innengeschichte und Weltpolitik seit 1917 (1979).