Die gemeinsame Agrarpolitik — Belastung für das Nord-Süd-Verhältnis?
Otto Matzke
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Zusammenfassung
Als enttäuschend empfinden die Entwicklungsländer auf dem Agrarsektor die Ergebnisse der im Rahmen des GATT — in der sogenannten Tokio-Runde — geführten Verhandlungen. Sie sind auch davon überzeugt, daß der Abschluß eines Internationalen Weizenabkommens vor allem an der restriktiven Haltung der EG gescheitert ist, welche das Ziel eines stabilen Binnenmarkts mit Absatzgarantien zu Hochpreisen für die eigenen Erzeuger in den Vordergrund stellt und nicht gewillt ist, zur Stabilisierung der Weltmärkte beizutragen. Die EG sieht in den Weltmärkten in erster Linie Abladeplätze für ihre Überschüsse, die mit hohen Subventionen exportiert werden. Im Rohstoff-Ausschuß der FAO und in der FAO-Konferenz Ende 1979 wurde eine besondere Animosität der Entwicklungsländer gegen die EG-Agrarpolitik deutlich. Mit einem schnellen und grundlegenden Kurswechsel in der EG-Agrarpolitik ist nicht zu rechnen. Das weitere Funktionieren der Brüsseler Agrarpolitik ist allerdings davon abhängig, ob es auch weiterhin gelingen wird, die gewaltigen finanziellen Mittel zur Aufrechterhaltung des Subventionssystems aufzubringen. Unter diesem Blickpunkt erscheint es nicht ausgeschlossen, daß Einzelmaßnahmen zur Drosselung der Agrarüberschüsse getroffen werden.
I. Die Ausgangslage
Als man in den sechziger Jahren im Rahmen der EWG mit der Entwicklung eines Marktordnungssystems für die wichtigsten Agrarprodukte begann, glaubten viele an einen Fortschritt gegenüber den nationalen Agrarsystemen der einzelnen Mitgliedsstaaten. Im Innenverhältnis war von Abschaffung aller Subventionen, Mengenregulierungen und anderer Handelshemmnisse die Rede. Nach außen zielte der Vertrag von Rom auf dem Agrargebiet auf eine weltoffene'Gemeinschaft. Keines dieser Ziele wurde bisher erreicht, insbesondere nicht im Außenverhältnis
Abbildung 5
Tabelle B
Tabelle B
Dabei waren sich alle Beteiligten bei der Ausarbeitung einer gemeinsamen Agrarpolitik der weltweiten Verantwortung bewußt und wollten eine Abkapselung vermeiden, zumal alle Mitgliedsstaaten bilaterale Handelsabkommen für Agrarprodukte mit Drittländern abgeschlossen hatten Der Artikel 110 des Vertrags von Rom enthält eine Absichtserklärung, wonach die Mitgliedsstaaten zur harmonischen Entwicklung des Welthandels, zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkun-* INHALT I. Die Ausgangslage II. Die Kosten der EG-Agrarpolitik III. Das Präferenzsystem der EG zugunsten der Entwicklungsländer IV. Scheinkonzessionen V. Der Widersinn subventionierter Treibhauskulturen VI. Die Lom-Abkommen von 1975 und 1979 VII. Marktzugang zu den EG-Ländern VIII. Verarbeitete Produkte IX. Tropische Produkte X. Schutzklausel (Importstopp)
Abbildung 6
Die Agrarlast der EG EG -Haushalt 1979 -36, 4 Mrd DM
Die Agrarlast der EG EG -Haushalt 1979 -36, 4 Mrd DM
XI. Die Entwicklungspolitische Problematik des Lom 6-„Modells“
XII. Das Zuckerproblem XIII. Ergebnisse der Tokio-Runde auf dem Agrarsektor XIV. Illiberale Außenhandelspraktiken XV. „Selbstbeschränkungs'-Protektionismus XVI. Beihilfen als zusätzlicher Außenschutz (Konservenberge?)
XVII. Die Gemeinschaft und internationale Rohstoffabkommen XVIII. Animosität gegen die EG XIX. Die Position der FAQ XX. Kurswechsel in der EG-Agrarpolitik gen im internationalen Handel und zum Abbau der Zollschranken beitragen würden. Obwohl diese Bestimmung auch für den Handel mit Agrarerzeugnissen gilt, blieb sie insofern kaum mehr als ein Lippenbekenntnis.
Auf die Europäische Gemeinschaft den größten Handelsblock, entfielen 1978 etwa
Wesentlich erweiterte und ergänzte Fassung eines Referats, gehalten im Rahmen eines Seminars („Die gemeinsame Agrarpolitik — Modell oder Ärgernis?“) der Theodor-Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung im November 1979 in Gummersbach. 40% des Welthandels. Die Gesamteinfuhren der EG hatten einen Wert von 247 Milliarden US-Dollar, von denen etwa 40% (97 Milliarden) aus der Dritten Welt kamen. Die EG läßt keine Gelegenheit aus, um herauszustellen, daß etwa ein Fünftel (ca. 51 Milliarden) aller Ein-fuhren ihrer Mitgliedsländer auf Agrarprodukte entfielen, davon die knappe Hälfte (25 Milliarden) auf die Dritte Welt. Allerdings bestanden nur etwa zwei Drittel (ca. 16 Milliarden ) dieser Agrarimporte aus Nahrungsmitteln Setzt man diese 16 Milliarden in Beziehung zu der Gesamteinfuhr, so ergibt sich ein Prozentsatz von nur 6 %.
Dieser Prozentsatz wäre noch geringer, wenn man die Importe von tropischen Produkten wie Kaffee und Tee absetzte, auf welche mindestens ein gutes Drittel der Agrarimporte aus den Entwicklungsländern entfallen.
Mit diesem Anteil der Nahrungsmitteleinfuhren ist das Potential der Dritten Welt nicht annähernd ausgeschöpft. In den Kontakten zwischen den Entwicklungsländern und der EG auf dem Gebiet der Agrarpolitik geht es um eine wesentliche Steigerung dieses bescheidenen Prozentsatzes, d. h. um eine Milderung des Hochprotektionismus der EG, welcher es den Entwicklungsländern unmöglich macht, ihre natürlichen Standortvorteile besser auszuftützen. Die internen Zielsetzungen der EG-Agrarpolitik sind letztlich für das Ausmaß des Protektionismus kausal.
Die Hauptzieleder gemeinsamen Agrarpolitik waren: Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktivität, die Sicherung eines angemessenen Lebensstandards für die Landwirte, die Stabilisierung der Märkte, die Sicherstellung einer regelmäßigen Versorgung. Diese Ziele unterscheiden sich — mit einer Ausnahme — nicht wesentlich von denen der Agrarpolitik anderer entwickelter Länder.
Die Ausnahme bezieht sich auf die Methode der (über ein kompliziertes Preisstützungssystem bewirkten) Einkommenssicherung für die Landwirte als eines der wichtigsten Ziele der EG-Agrarpolitik. Ein mit unbegrenzten Absatzgarantien verbundenes, politisch bestimmtes Preissystem — der „neuralgische Punkt — hat die Hauptfunktion, die Produzenteneinkommen abzusichern. Mit Recht ist bemerkt worden, daß die Politiker mit dieser Aufgabe überfordert sind, wenn sie „zwischen den leicht erkennbaren Einkommenseffekten der Preise und ihren langfristigen Auswirkun-gen auf das Marktgeschehen die richtige Entscheidung" finden sollen
Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese Preispolitik den Landwirten in der EG für die in das Marktforschungssystem einbezogenen Produkte nicht nur praktisch jedes Verkaufsrisiko genommen, sondern auch zu einer Stabilisierung ihrer Einkommen entscheidend beigetragen hat. Diese Politik beinhaltet freilich auch, daß die EG-Preise für die wichtigsten Nahrungsmittel wesentlich über dem Weltmarktniveau liegen, und sie erklärt auch die Produktion erheblicher Überschüsse.
Legt man (wie in den Tabellen A und B geschehen) die Statistiken der EG-Kommission zugrunde, so bewegten sich beispielsweise im Landwirtschaftsjahr 1976/77 die Preise für Weizen und Olivenöl beim Doppelten des Weltmarktniveaus und bei Butter und Trokkenmilchpulver sogar beim Vier-bzw. Fünffachen. Als Folge der Hochpreispolitik ist der Selbstversorgungsgrad der Gemeinschaft bei den meisten Grundnahrungsmitteln wesentlich gestiegen.
Die Durchschnittsangaben in der Tabelle B verdecken die zum Teil grotesken überschußlagen in einzelnen Ländern. So betrug z. B.der Selbstversorgungsgrad der Bundesrepublik Deutschland bei Butter im Jahr 1978 134, 6% und in den Niederlanden sogar 504, 8%
II. Die Kosten der EG-Agrarpolitik
Die Entwicklungsländer halten den EG-Europäern bei jeder Gelegenheit unter Hinweis auf die Überschußlage immer wieder vor, welche Kosten die sich für den Süden direkt und indirekt negativ auswirkende EG-Agrarpolitik verursacht. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Aufwendungen hingewiesen, welche allein durch die Lagerung und Verschleuderung der Überschüsse entstehen. Die Ausgaben der Mitgliedsstaaten und der Gemeinschaft für die Agrarpolitik erreichten schon 1976 rund 62 Millionen DM (17 Milliarden Rechnungseinheiten) Das entspricht etwa 24% der gesamten Produktionswerte der EG-Landwirtschaft Die Aufwendungen der Mitgliedsstaaten und der Gemeinschaft (einschl.der von den Konsumenten zu tragenden höheren Preise) allein für die Stützung der Weizen-, Milch-und Zuckermärkte im Jahr 1978 werden auf 29, 9 Milliarden US-Dollar geschätzt gegenüber 4, 3 Milliarden in den USA. Diese Summe teilt sich wie folgt auf: Weizen 4, 8 Milliarden , Milch-und Molkereiprodukte 20, 8 Milliarden, Zucker 4, 3 Milliarden
Der Agrar-Hochprotektionismus der EG, welcher in seiner Gesamtwirkung einschneidender ist als der anderer Produktionsländer und der sich seit 1974 weiter verschärft hat, konnte und kann nicht ohne Einfluß auf die Entwicklungsländer und damit den Nord-Süd-Dialog bleiben. Einerseits werden ihre Exporte in die EG-Länder wesentlich erschwert. Andererseits beeinträchtigen die hochsubventionierten Überschußexporte der EG-Länder in die Weltmärkte — welche als Dumping charakterisiert werden können — die Wettbewerbsfähigkeit anderer Lieferanten. Für die Subvention der Exporte von Überschußprodukten gibt es praktisch keine Grenze nach oben, so daß der EG-Lieferant jede Konkurrenz ausmanövrieren kann.
Mehr als auf andere Agrarexportländer paßt auf die Handelspolitik der EG ein Kommentar des früheren Generaldirektors der FAO, A. H. Boerma: „Wettbewerbsfähigkeit bei landwirtschaftlichen Exporten bedeutet mehr und mehr die Fähigkeit, sich in der Gewährung von Exportsubventionen zu übertreffen. Die Entwicklungsländer können aus finanzieller Schwäche an diesem . Wettbewerb'ebensowenig teilnehmen, wie sie sich kostspielige, interne Stützungsmaßnahmen leisten können."
Die Entwicklungsländer werfen den Industrie-ländern — und vor allem der EG — vor, daß sie doppelzüngig sprechen: Soweit es sich um den industriellen Bereich handelt, plädiert man im Prinzip für internationale Arbeitsteilung und Freihandel. Bezüglich des Agrarsektors dagegen wird eine hochprotektionistische Politik betrieben. Es entspricht nicht der tatsächlichen Lage, wenn Landwirtschaftsminister Josef Ertl auf der „Internationalen Grünen Woche" im Januar 1979 in Berlin einmal mehr die „oft gehörte Anschuldigung eines sogenannten deutschen oder EG-Agrarprotektionismus" als „absurd" zurückwies und von einer „weltoffenen und liberalen (!) Handelspolitik“ auf dem Agrarbereich sprach Solche Beschönigungsversuche tragen auch bei noch so häufiger Wiederholung nicht zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit der amtlichen Stellen und der hinter ihnen stehenden Interessentengruppen bei.
III. Das Präferenzsystem der EG zugunsten der Entwicklungsländer
Das von der EG — entsprechend den Empfehlungen der UNCTAD — seit Juli 1971 in Kraft gesetze System der sogenannten allgemeinen Präferenzen zugunsten der Entwicklungsländer beinhaltet für Agrarprodukte nur bescheidene Zollkonzessionen Anders als bei den gewerblichen Erzeugnissen wird für die präferenzierten Agrarerzeugnisse nicht grundsätzlich Zollfreiheit, sondern nur Zollermäßigung gewährt. Nur 74 von 303 Präferenzpositionen des Agrarbereichs sind für alle Entwicklungsländer zollfrei. Erst seit 1979 gilt zugunsten der am wenigsten entwickelten Länder (LLDC) für sämtliche präferenzierten Waren Zollfreiheit. Alle Waren, für die eine EG-Marktordnung besteht, sind grundsätzlich nicht in das Präferenzsystem einbezogen worden. Während auf dem gewerblichen Sektor nur die Einfuhr sogenannter „sensibler" Waren monatlich überwacht wird, fallen sämtliche Agrareinfuhren unter die monatliche Überwachungspflicht. Eine — von der EG nach freiem Ermessen anwendbare — Schutzklausel erlaubt jederzeit die Rückkehr zum normalen Zolltarif.
Die Zahl der präferenzierten Agrarprodukte stieg von 147 im Jahr 1971 (Wert 22 Millionen Rechnungseinheiten) auf 296 im Jahr 1977 (Wert 1235 Millionen Rechnungseinheiten) und auf 303 im Jahr 1978 (Wert 6 400 Millionen Rechnungseinheiten).
IV. Scheinkonzessionen
Auch die wiederholte Erweiterung der Liste der präferenzierten Agrarprodukte ändert nichts an der Tatsache, daß mit diesem System bisher keine ausreichende substantielle Verbesserung des Zugangs der Entwicklungsländer zu den EG-Märkten erreicht worden ist. Mit einer gewissen Berechtigung kann daher von Scheinkonzessionen gesprochen werden.
Wie es in einem vom Commonwealth Secretariat herausgegebenen Dokument treffend heißt, hat man zwar versucht, mit den unter dem Präferenzsystem gewährten Zollermäßigungen für Agrarprodukte den „bestmöglichen Eindruck der Generosität" zu machen. Aber in Wirklichkeit handele es sich um Konzessionen, welche die Belange derjenigen unberührt ließen, welche an der Aufrechterhaltung des Status quo interessiert seien. Das erwähnte Papier unterscheidet bei der Bewertung der Zollermächtigungen drei Kategorien: a) Ermäßigungen „für Produkte, welche im internationalen Handel unbedeutend sind (z. B. Froschschenkel)";
b) bei Produkten von größerer Bedeutung ist die eingeräumte Zollermäßigung äußerst gering (Beispiel: die Ermäßigung des Zollsatzes von 27 Prozent für Honig um 2 Prozentpunkte); c) die Bedeutung der Zollkonzession wird durch mengenmäßige Beschränkungen (Quoten) wesentlich eingeschränkt (Beispiele: Büchsenananas, Pulverkaffee und Kakaobutter). Es ist überraschend, daß die Entwicklungsländer in ihrer Gesamtheit die bisher im Rahmen des Präferenzsystems gewährten Möglichkeiten für den Marktzugang zu den EG-Ländern als unzureichend werten. Sie fordern eine wesentliche Erweiterung des Systems der Präferenzzölle (und zwar nicht durch Scheinkonzessionen) und ferner auch einen Abbau der bestehenden nichttarifären Handelshemmnisse.
V. Der Widersinn subventionierter Treibhauskulturen
Als Beispiel einer überspitzten protektionistischen Mentalität empfinden es die Entwicklungsländer, daß man in EG-Ländern sogar die Produktion von Obst, Gemüse und Pflanzen in Treibhäusern („Unterglasgartenbau") durch Zölle und andere nichttarifäre Maßnahmen schützt und zudem noch Subventionen für die verwendete Energie gewährt, um mit dem billigeren Sonnenschein südlicher Länder konkurrieren zu können. So kündigte der Parlamentarische Staatssekretär Gallus vom Land-wirtschaftsministerium im Mai 1979 im Bundestag an, daß dem Unterglasgartenbau „die erhöhte Mineralölsteuer für Heizöl ... im Haushaltsjahr 1979 zu 100 Prozent, im Haushaltsjahr 1980 zu 50 Prozent zurückerstattet" wird. Ferner stellte er erhöhte Zuschüsse für Investitionen „zur Energieeinsparung im Unterglasgartenbau" in Aussicht
VI. Die Lome-Abkommen von 1975 und 1979
Am 31. Oktober 1979 wurde nach schwierigen Verhandlungen in Lom, der Hauptstadt Togos, ein Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der EG mit ihren neun Mitgliedsstaaten einerseits und 58 Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im pazifischen Ozean („AKP-Staaten") andererseits unterzeichnet. Der Vertrag soll am 1. März 1980 an die Stelle des im Februar 1975 ebenfalls in Lom unterzeichneten ersten Abkommens treten („Lom I" und „Lom II") und eine Laufzeit von fünf Jahren haben Bei den Unterzeichnerstaaten handelt es sich überwiegend um frühere Kolonien Frankreichs, Großbritanniens, Italiens, Belgiens und der Niederlande.
Inhaltlich ist Lom II eine Fortschreibung von Lom I. Beide Abkommen enthalten Vereinbarungen über handelspolitische Zusammenarbeit, Exporterlösstabilisierung, Privatinvestitionen sowie industrielle, landwirtschaftliche, technische und finanzielle Hilfe Das neue Abkommen bringt einige substantielle Verbesserungen im Bereich der finanziellen Hilfe (insbesondere Erhöhung des Europäischen Entwicklungsfonds auf 14 gegenüber bisher 8, 5 Milliarden DM) und der Exporterlösstabilisierung (STABEX). Ein Kapitel betrifft die landwirtschaftliche Zusammenarbeit, wobei im wesentlichen Maßnahmen und Programme aufgeführt werden, welche der Europäische Entwicklungsfonds „schon seit Jahren im Rahmen der Vorläuferabkommen unterstützt und finanziert" z. B. landwirtschaftliche Wasser-bauvorhaben, Maßnahmen zum Schutz der Kulturen, Haltbarmachung und Lagerung der Ernten, Maßnahmen auf dem Gebiet der Viehzucht, der Fischerei, der Forschung und Ausbildung. Es handelt sich — mit anderen Worten — um einen Rahmen für die zu gewäh-rende Entwicklungshilfe. Ein neu zu schaffendes „landwirtschaftliches Zentrum" soll wissenschaftliche und technische Informationen über Agrartechnologien verbreiten und Seminare organisieren.
In dem Kapitel über landwirtschaftliche Zusammenarbeit wird ferner in einem besonderen Artikel die Absicht verkündet, die EG-Nährungsmittelhilfe künftig besser als bisher in die Ziele der landwirtschaftlichen Kooperation und die jeweiligen Vorhaben und Maßnahmen auf dem Agrargebiet einzuordnen. Die EG-Nahrungsmittelhilfe bietet zahlreiche ernste Angriffsflächen, und sie hat zum Teil mehr Schaden als Nutzen in den Empfänger-ländern verursacht
VI. Marktzugang zu den EG-Ländern
Da die AKP-Staaten im Durchschnitt wesentlich stärker agrarisch ausgerichtet sind als die übrigen Entwicklungsländer, ist für ihren Export von Agrarprodukten der Marktzugang zu den EG-Ländern von besonderer Bedeutung. Die ihnen insofern gewährten Vergünstigungen betrachten sie als völlig unzureichend. Alle AKP-Staaten sind Begünstigte des allgemeinen Präferenzsystems. Nach den Lom-Abkommen haben sie auf dem Agrargebiet u. a. folgende zusätzliche Vorteile:
— Agrarprodukte, welche (wie z. B. Kaffee, Tee, Kakao) keiner Marktordnung unterliegen, sind zollfrei. Für andere Waren (z. B. Gemüse, Früchte, Fisch, Pflanzenöle) gelten ermäßigte Zollsätze.
— Bei abschöpfungspflichtigen Produkten (z. B. Getreide, verarbeitete Früchte und Gemüse, Rindfleisch) besteht weitgehende Zoll-befreiung. Vielfach wird ferner der Abschöpfungsbetrag um einen festen Satz vermindert. Freilich droht gerade für die der Abschöpfung unterliegenden Produkte, für welche die EG-Mitgliedsländer Selbstversorger sind, im Falle einer Gefährdung der heimischen Produzenten die Anwendung der Schutzklausel.
Eine Sonderregelung besteht für Rindfleisch zugunsten der Länder Botswana, Madagaskar, Swasiland und Kenia: Jahreskontingent von 30000 t; 90% Abschöpfungsfreiheit bei gleichzeitiger Erhebung einer entsprechenden Ausfuhrabgabe durch den AKP-Staat
Für Erzeugnisse der AKP-Länder, die der europäischen Landwirtschaft unmittelbar Konkurrenz machen, geht auch Lom II über die bisherige Regelung kaum hinaus. Am Beispiel von Sonderregelungen für Speisezwiebeln, Tomaten, Karotten und Spargel, welche im Lom-II-Vertrag enthalten sind, zeigt sich die Kleinlichkeit auf dem Nahrungsmittelsektor. Gewisse Zollvergünstigungen werden nur für kurze Zeiträume und bescheidene Kontingente gewährt, um sicherzustellen, daß die AKP-Staaten diese Produkte nur dann in die EG exportieren können, wenn die europäische Ernte vermarktet ist
Nur knapp 50 % der EG-Gesamteinfuhren aus AKP-Ländern entfielen 1977 auf Agrarerzeugnisse, davon jedoch weit mehr als die Hälfte auf Kaffee, Tee, Kakao und Gewürze, für welche die EG kein agrarpolitisches Schutzbedürfnis haben kann. Dem Drängen der AKP-Länder auf weitere Verbesserungen bei Olsaa-ten und pflanzlichen ölen, bei Rindfleisch sowie bei verschiedenen Obst-und Gemüsearten, für die sie ein beträchtliches Exportpotential besitzen bzw. aufbauen könnten, wurde auch in Lom II nicht nachgegeben. Angesichts der kümmerlichen Zugeständnisse auf dem Agrargebiet ist es unverständlich, wenn die Einfuhrkonzessionen an die AKP-Staaten von interessierter Seite immer wieder als außergewöhnlich hingestellt werden
VIII. Verarbeitete Produkte
Hauptsächlich sind die AKP-Länder — ebenso wie alle anderen Entwicklungsländer — an verbessertem Marktzugang für verarbeitete Produkte interessiert. Im Zuge der Entwicklung dieser Länder wird der Aufbau eigener Verarbeitungsindustrien, schon im Hinblick auf die Notwendigkeit der Schaffung von Arbeitsplätzen, immer wichtiger. Das Bemühen der Industrieländer, unter der Flagge des Agrarprotektionismus auch noch die weiterverarbeitenden Industrien zu schützen, wird als eklatanter Beweis dafür angesehen, daß es bei den „Reichen" im Grunde immer noch am politischen Willen fehle, den . Armen" eine faire Chance zum Aufbau arbeitsintensiver und devisenbringender Industrien zu geben. Die Entwicklungsländer halten das Problem für vordringlich, da sie mit zusätzlichen Schwierigkeiten anläßlich der Erweiterung der EG rechnen
IX. Tropische Produkte
Nichts beleuchtet die in der Agrarhandelspolitik der EG vorherrschende Mentalität krasser als die Tatsache, daß es angesichts des Drucks der Interessentengruppen und ihrer Lobby bisher nicht einmal im Verhältnis zu den AKP-Staaten, zu denen die ärmsten Länder der Erde gehören, gelungen ist, die immer wiederholte Forderung auf Gewährung voller Importfreiheit wenigstens für tropische Produkte in roher und verarbeiteter Form zu erfüllen. In Bonn läßt man gelegentlich zwar durchblicken, daß die Bundesrepublik schon bereit wäre, in diesem Sinne umfassende Konzessionen zu machen, sich aber in Brüssel bzw. gegenüber einzelnen Ländern der Gemeinschaft nicht durchsetzen könne, welche noch ein besonderes Interesse an ihren Ex-Kolonien haben. Es liegen aber keine Anzeichen dafür vor, daß Bonn in dieser Richtung jemals in Brüssel einen ernst gemeinten Vorstoß unternommen hat. Es hat eher den Anschein, daß man im Windschatten der EG die Belange bestimmter Gruppen (z. B.der heimischen verarbeitenden Industrien und der Treibhausproduzenten) zu decken versucht.
X. Schutzklausel (Importstopp)
Beide Lom-Abkommen enthalten eine Schutzklausel, welche es der Gemeinschaft erlaubt, die Einfuhr bestimmter Waren aus einem AKP-Staat oder mehreren AKP-Staaten zu sperren. Im Lom 6-II-Abkommen ist die Schutzklausel allerdings mit einem Konsultationsmechanismus gekoppelt, d. h. die Gemeinschaft soll Konsultationen einleiten und den betroffenen AKP-Staaten alle Auskünfte erteilen, damit diese sich von der Notwendigkeit der Sperrmaßnahmen überzeugen kön-nen. Die Konsultationen haben aber keine aufschiebende Wirkung. In „dringenden" Fällen können Schutzmaßnahmen, d. h. ein Import-stopp, auch vor der Einleitung von Konsultationen getroffen werden. Diese Regelung räumt der EG einen weiten Ermessensspielraum ein, zumal sie z. B. über die „Dringlichkeit" letzten Endes selbst entscheidet.
Die Problematik der Schutzklausel wird nicht dadurch abgeschwächt, daß es in den einschlägigen Bestimmungen heißt, Schutzmaßnahmen der EG könnten durch besondere Vereinbarungen (z. B. „Selbstbeschränkungs" -AbV. om. -men) ersetzt werden. Der „Selbstbeschränkungs" -Protektionismus gehört zu den übelsten Spielarten illiberaler Handelspraktiken
XI. Die entwicklungspolitische Problematik des Lome-„Modells“
Es kann nicht geleugnet werden, daß die von der EG mit den Lom-Abkommen verfolgte Strategie eine wohl einzigartige, umfassende völkerrechtliche Kooperationspolitik zwischen Industrie-und Entwicklungsländern beinhaltet. Die EG ist sich freilich selbst der Tatsache bewußt, daß das Lom 6-„Modell", welches die AKP-Staaten ohne Begeisterung, ja mit Kritik aufgenommen haben als ein System der regionalen Präferenzdifferenzierung von den nicht assoziierten Entwicklungsländern eindeutig negativ beurteilt wird. Die Nicht-Assoziierten waren zwar bereit, die Beseitigung der Handelsschranken zwischen den Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft als legitimen Teil ihrer Gründung hinzunehmen. Aber die anschließenden Vereinbarungen präferentieller Handelsabmachungen mit ehemaligen Kolonialgebieten wird von ihnen, da sie nicht in das regionale Präferenzsystem einbezogen sind, als diskriminierend empfunden
Die EG ist bemüht, die sich aus der Sonderbehandlung der AKP-Staaten ergebenden Spannungen mit den nicht assoziierten Ländern durch ein kompliziertes Netz von unterschiedlichen Handels-bzw. Kooperationsabkommen mit zwölf asiatischen und vier lateinamerikanischen Ländern sowie vor allem durch Abkommen mit den Entwicklungsländern am Mittelmeer zu mildern. Diese Abkommen enthalten auch gewisse Konzessionen auf landwirtschaftlichem Gebiet. Aber die Kritik und das Mißtrauen der nicht in das Lom-System einbezogenen Entwicklungsländer (vor allem in Lateinamerika und Süd-Ostasien) ist dadurch allenfalls minimal abgeschwächt worden
Alles in allem ist das Lomd-System ein fragwürdiges Instrument der Entwicklungspolitik. Es basiert auf einer nicht an Standortvorteilen orientierten Präferenzpolitik, welche welt-wirtschaftliche Wettbewerbsverzerrungen und damit die Um-und Fehlleitung von Handels-und Kapitalströmen beinhaltet
Ein wirkliches entwicklungspolitisches Modell wären die Lom-Abkommen nur dann, wenn sie — wenn auch nur schrittweise — auf alle Entwicklungsländer erstreckt werden könnten, statt vorwiegend nur auf frühere Kolonien europäischer Länder. Das System wird aller Voraussicht nach „noch lange einmalig bleiben, wie es auch in seiner Entstehung aus kolonialer Vergangenheit einmalig ist"
XII. Das Zuckerproblem
Eine der unerfreulichsten Belastungen für das Nord-Süd-Verhältnis stellt das Zuckerproblem dar. Die EG, welche ursprünglich ein Befürworter von internationalen Rohstoffabkommen zur Regulierung der Weltmärkte war, hat sich selbst in eine Lage manövriert, die ihr den Beitritt zum Internationalen Zuckerabkommen unmöglich macht
Zucker ist ein Erzeugnis, für das tropische Länder ein idealer Produktionsstandort sind Anläßlich des Beitritts Großbritanniens geriet die EG in eine Zwangslage. Sie mußte auf unbestimmte Zeit, mindestens aber bis März 1982, die Verpflichtungen Großbritanniens zur Abnahme von Mindestzuckermengen aus Commonwealth-Ländern übernehmen. Die Abnahmeverpflichtung der EG wurde auf 1, 5 Mio. Tonnen Rohzucker festgelegt, d. h. etwa 60% der Zuckerausfuhren der begünstigten Länder. (Großbritannien ist in der Gemeinschaft der wichtigste Netto-Zukkerimporteur. Es importierte 1973 1, 6 und 1974 1, 4 Mio. Tonnen.) Die Gemeinschaft räumte den AKP-Staaten einen Garantiepreis ein, der erheblich über dem Weltmarktpreis liegt Trotz dieser Verpflichtungen erhöhte die Gemeinschaft die Inlandspreise mehrfach mit der Folge, daß dank der Hochprotektion ihre Produktion von Jahr zu Jahr wesentlich stieg In den drei Zucker-Wirtschaftsjahren 1975/76, 1976/77 und 1977/78 fielen Überschüsse in Höhe von 1, 6, 1, 9 und 2, 9 Mio. Tonnen an. Die Überschüsse wurden mit Subventionen auf den Weltmärkten abdisponiert. Dort drücken diese Ausfuhren auf die Preise und beeinträchtigen damit die Erlöse der zuckerexportierenden Entwicklungsländer. In den USA wurden wegen der EG-Subventionen Dumpingverfahren eingeleitet. Es verdient Zustimmung, wenn Tangermann, welcher im allgemeinen die EG-Agrarpolitik eher milde beurteilt, die Zuckerpolitik der EG als „Skandal" bezeichnet und eine schnelle Änderung fordert, „wenn die gemeinsame Agrarpolitik ein Minimum von moralischer Glaubwürdigkeit behalten soll"
Nach fachlichen Schätzungen ist die EG mit einer (subventionierten) Jahresausfuhr von etwa 3 Millionen Tonnen der größte Einzelanbieter auf dem etwa 18 Millionen Tonnen aufnehmenden gesamten freien Weltmarkt Die Kosten der Zuckerverschleuderungspolitik beliefen sich 1978 auf etwa 800 Millionen US-Dollar (gegenüber 414 Millionen US-Dollar im Jahr 1977).
XIII. Ergebnisse der Tokio-Runde auf dem Agrarsektor
Die in den vergangenen sechs Jahren im Rahmen des Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommens (GATT) — in der sogenannten Tokio-Verhandlungsrunde — erzielten und im April 1979 von den Industrieländern paraphierten Ergebnisse tarifärer und nichttarifärer Art werden von den Entwicklungsländern als bescheiden empfunden, insbesondere soweit es sich um den Agrarsektor handelt.
Eine auf der letzten FAO-Vollkonferenz (10. — 29. 11. 1979) mit der Stimmenmacht der Entwicklungsländer angenommene Resolution gab bezüglich der Ergebnisse der Tokio-Runde der „tiefen Sorge Ausdruck, daß diese Verhandlungen keine nennenswerten Konzessionen auf Gebieten enthalten, welche für den Agrarhandel, besonders den der Entwicklungsländer, von großer Bedeutung sind". Bei der gleichen Gelegenheit präzisierte die „Gruppe der 77“ ihre Position dahin gehend, daß die Ergebnisse der Tokio-Runde „erst dann als endgültig angesehen werden können, wenn die wesentlichen Bedenken der Entwicklungsländer bei dem Endergebnis der Verhandlungen volle Berücksichtigung finden". Mit Ausnahme Argentiniens haben die Entwicklungsländer das Schlußpaket der Tokio-Runde bisher nicht unterzeichnet.
Die Beurteilung der Handelsergebnisse durch die Entwicklungsländer steht in krassem Gegensatz zu den Kommentaren der meisten Industrieländer, insbesondere auch der euphori-sehen amtlichen deutschen Meinung Als befremdend mutet es die Entwicklungsländer an, wenn z. B.deutscherseits die Auffassung vertreten wird, „daß die . Alternative'zu einem positiven Abschluß der Tokio-Runde mit größter Sicherheit ein protektionistischer Einbruch größten Ausmaßes sein würde", welcher „für die Entwicklungsländer geradezu verderblich" wäre
Viele Zugeständnisse werden von den Entwicklungsländern als kleinlich empfunden Andere werden durch „kompensierende Maßnahmen" der EG wieder neutralisiert und für tropische Produkte sind die Forderungen der Entwicklungsländer nur teilweise erfüllt worden
Über den während der Tokio-Runde gemachten Vorschlag, zur Vertiefung der internationalen Zusammenarbeit bezüglich des Agrar-handels einen internationalen Rat als Konsultationsorgan zu schaffen, kam es zu keiner abschließenden Regelung, da man sich über seine Aufgabe nicht einigen konnte. Es wurde nur eine Empfehlung verabschiedet, wonach die GATT-Vertragsparteien die „aktive Zusammenarbeit auf dem Agrarsektor in einem geeigneten Konsultationsrahmen (appropriate consultative framework') weiterentwikkein sollen". Dieser Rahmen soll so schnell wie möglich geschaffen werden.
XIV. Illiberale Außenhandelspraktiken
Die von der EG auf dem Agrargebiet im allgemeinen Präferenzsystem und in den Lom-Abkommen gewährten Präferenzen präsentieren sich bei oberflächlicher Betrachtung der Texte weniger restriktiv, als sie es in der tatsächlichen Anwendung sind. Die Praktiker des Außenhandels sprechen dagegen von „ Verwilderung" und illiberalen Außenhandelsmethoden. Der versteckte Protektionismus beginnt schon damit, daß ein Agrarimporteur pro Jahr etwa 3 000 EG-Verordnungen und Entschließungen beachten muß, wenn er nicht mit dem EG-Recht in Konflikt geraten will. Hier handelt es sich schon um die Abart einer nichttarifären Handelsschranke. Nur große Firmen mit Rechtsabteilungen können wettbewerbsfähig bleiben
Der „Sündenkatalog" der Brüsseler Agrarbürokratie, welche den Importeuren durch diese unübersichtliche Lage und durch kurzfristig vorgenommene, rigorose Eingriffe die Dispositionen erschwert, umfaßt u. a. folgende Maßnahmen — Schutzmaßnahmen gegen Warenlieferungen, die fest kontrahiert wurden (z. B. Äpfel aus der südlichen Hemisphäre);
— Aufrechterhaltung von Schutzmaßnahmen in Marktsituationen, in denen eine Störung nicht durch Einfuhren, sondern durch überproportionale Ausweitung der EG-Produktion verursacht wird;
— Versuche, dem Außenhandel den Import zu verbieten, indem Einfuhrkontingente nur an die Verarbeitungsindustrie vergeben werden (Rindfleisch);
— unzureichender Schutz abgeschlossener Kontrakte vor Eingriffen in Form von Änderungen des Grenzausgleichs;
— Verkürzung der Gültigkeitsdauer von Einfuhrdokumenten. Es ist den Importeuren nicht zu widersprechen, wenn sie in diesem Zusammenhang von einem „übersteigerten" Schutz der innergemeinschaftlichen Erzeugung" sprechen In ihrer Sicht werden die — schon an sich mageren — Präferenzen häufig durch Kontingente (mengenmäßige Beschränkungen), Lieferkalender, Selbstbeschränkungsregeln, Mindestpreisfestsetzungen und andere Handels-hemmnisse (z. B. solche lebensmittelrechtlicher Art) dann umgangen, wenn eine (vielleicht vorher nicht erwartete) Lieferbereitschaft und Lieferfähigkeit in Entwicklungsländern besteht.
XV. „Selbstbeschränkungs“ -Protektionismus
Zu den unerfreulichsten illiberalen Außenhandelspraktiken — um nicht zu sagen Tricks — gehört der „Selbstbeschränkungs" -Protektionismus, d. h.der Abschluß sogenannter Exportselbstbeschränkungsabkommen mit Lieferländern. Wenn die EG an der Begrenzung der Einfuhr bestimmter Produkte interessiert ist, könnte sie an sich auf die in ihrem allgemeinen Präferenzsystem und im Lom-Abkommen vorgesehenen Schutzklauseln zurückgreifen. Da man aber die damit verbundenen negativen optischen Effekte möglichst vermeiden möchte, schließt man mit den Lieferländern „freiwillige" Exportselbstbeschrän-kungsabkommen ab. Für die betroffenen Länder — insbesondere wenn für sie der Export lebensnotwendig ist — pflegt ein solches „freiwilliges" Abkommen das geringere Übel gegenüber einem vollständigen Importstopp darzustellen, und sie geben daher der Einschüchterungstaktik nach.
Die Kontingente in solchen Abkommen (denn nichts anderes sind die Beschränkungsmengen) werden oft so festgesetzt, daß Lieferungen unwirtschaftlich werden, zumal bei den Lieferungen die spezifischen lebensmittel-und verpackungsrechtlichen Vorschriften der EG zu beachten sind
Manche Exportselbstbeschränkung wird — ohne formelles Abkommen — durch „Gentlemens Agreement" arrangiert (z. B. Apfellieferungen aus Ländern der südlichen Hemisphäre). Den betroffenen Ländern wird in solchen Fällen unmißverständlich erklärt, daß eine Überschreitung der „freiwillig" beschränkten Mengen den Erlaß von Schutzmaßnahmen zur Folge haben würde.
XVI. Beihilfen als zusätzlicher Außen-schutz (Konservenberge?)
Bezeichnend für die Auswucherungen des Protektionismus ist ein seit Mitte 1978 eingeführtes sogenanntes Beihilfe-System. Danach kommt die EG-Produktion von (zunächst) fünf Produkten für die südliche Länder Standortvorteile haben, in den Genuß von Subventionen. Die Beihilfe soll den Unterschied zwischen den Preisen für EG-Erzeugnisse und denen von Drittländern ausgleichen. Sie fließt demjenigen EG-Weiterverarbeiter zu, der mit EG-Erzeugern Lieferverträge für die Rohware abschließt und einen Teil der Beihilfe an die Erzeuger in Form von Mindestankaufspreisen für die Rohware weitergibt Die EG setzt jährlich die Beihilfe und die Mindestankaufspreise fest.
Schon die ersten Erfahrungen lassen erkennen, daß die Gemeinschaftsproduktion mit dem System einen Schutz erhält, der noch über die Beihilfe im eigentlichen Sinne hinausgeht Eine weitere Erhöhung der Beihilfe ergibt sich daraus, daß die EG bei ihrer Festsetzung nicht die tatsächlichen Erzeugerkosten in der EG zugrunde legt, sondern unkontrollierte, von den Erzeugern unterbreitete Daten, die weit über den eigentlichen Herstellungskosten liegen
Die überhöhten Beihilfesätze und das Fehlen jeder mengenmäßigen Beschränkung für die Produktion muß zur Überproduktion der subventionierten Erzeugnisse in der EG führen. Trotzdem hat der EG-Rat beschlossen, ab 1980 auch andere als Mittelmeerprodukte in die Beihilferegelung einzubeziehen. Damit droht die Gefahr, daß die eingeleitete Fehlentwicklung weiter um sich greift Bereits Ende 1979 haben die Subventionen für die Pfirsich-und Tomatenkonservenhersteller die Milliarden-DM-Grenze überschritten. Zu den Milch-, Butter-und Fleischbergen dürfte nun auch noch ein Konservenberg kommen
XVII. Die Gemeinschaft und internationale Rohstoffabkommen
Daß die Gemeinschaft sich durch ihre eigene Zuckerpolitik den Beitritt zum internationalen Zuckerabkommen unmöglich macht, wurde bereits erwähnt. Die Grundprinzipien der EG-Agrarpolitik haben wesentlich zum Nichtzustandekommen eines Internationalen Weizenabkommens beigetragen. Der eigentliche Grund für die Haltung der EG zu den beiden Abkommen liegt darin, daß die Gemeinsame Agrarpolitik, wie sie heute konzipiert ist, keine Mengenkontrolle der Produktion erlaubt und auch eine Lagerhaltung zumindest sehr erschwert. Aber internationale Rohstoff-abkommen ohne Mengenkontrolle und die Bereitschaft, Überschüsse aus dem Markt, d. h. auf Lager zu nehmen, können nicht funktionieren. Die Brüsseler Agrarpolitik mit ihrer Abblokkung gegenüber dem Welthandel stellt das Ziel eines stabilen Binnenmarktes mit Absatz-garantien zu Hochpreisen für die eigenen Erzeuger in den Vordergrund. Sie trägt nicht zur Stabilisierung der Weltmärkte bei, wie es z. B. die USA durch Flächenstillegungen und Förderung der Lagerhaltung tun. In Brüssel sieht man in den Weltmärkten in erster Linie Ventile— um nicht zu sagen: Abladeplätze — für ihre Überschüsse, wobei für diese Abfuhren noch hohe Subventionen aufgewendet werden. Trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse werden dabei Störungen auf den Weltmärkten hingenommen
Die skizzierte Haltung der EG steht in krassem Widerspruch zu ihren Proklamationen über eine Stabilisierung der Weltmärkte durch Rohstoffabkommen. Die Entwicklungsländer registrieren den — erfolgreichen, wenn auch egoistischen — Dirigismus der europäischen Landwirtschaft („Festung Europa“), und sie hätten es am liebsten, wenn man ihnen weltweit dabei helfen könnte, ein entsprechend dirigistisches System aufzubauen. Dabei sollen internationale Abkommen und nach oben „stabilisierte“ Preise eine wichtige Rolle spielen.
Nur wer diese Zusammenhänge ignoriert, kann sich wundern, wenn die Entwicklungsländer — trotz der von den meisten Industrie-ländern angemeldeten Vorbehalte — in das „Aktionsprogramm" der Weltkonferenz über Agrarreform und Ländliche Entwicklung im Juli 1979 die Aufnahme eines bemerkenswerten Punktes durchgesetzt haben. Danach sollen Methoden entwickelt werden, um „internationale Finanz-und andere Hilfe" zu benutzen, um „die Einkommen der kleinen Landwirte und der landwirtschaftlichen Arbeiter gegen extreme internationale Preisschwankungen zu schützen, z. B. durch die Errichtung nationaler Fonds zur Preis-und Einkommensstabilisierung und die Einführung von Stützpreisen“
Von deutscher Seite wurde diese Empfehlung als „nicht realisierbar" bezeichnet, ohne daß freilich dargelegt wurde weshalb. Der Grundgedanke des Konzepts hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem der EG-Agrarpolitik.
XVIII. Animosität gegen die EG
Als es im Rohstoffausschuß der FAO im Oktober 1979 zu einer Diskussion über die Milderung des Agrarprotektionismus kam, ließen die Entwicklungsländer eine besondere Animosität gegen die EG erkennen. Der Sprecher der „Gruppe der 77" weigerte sich, die EG als eine „Realität", d. h. als handlungsfähige Einheit, zu akzeptieren. Der Sprecher der EG hatte zuvor jede Sachdiskussion über einen von der „Gruppe der 77" eingebrachten Resolutionsentwurf gegen den Agrarprotektionismus abgelehnt und auf die Notwendigkeit verwiesen, von Brüssel bzw.den Hauptstädten der Neun Weisung einholen zu müssen. Diese primitive Ausweichtaktik gegenüber seit Jahren bekannten Forderungen der Entwicklungsländer muß diese natürlich verbittern.
XIX. Die Position der FAO
Die Obstruktionstaktik der EG und anderer Industrieländer konnte nicht verhindern, daß der FAO-Rohstoffausschuß den Resolutionsentwurf an die Vollkonferenz der FAO zur Verabschiedung weiterleitete (November 1979). Die Konferenz billigte nach langer — teilweise in erregter Atmosphäre geführter — Debatte einen etwas modifizierten Resolutionstext: „Rohstoffhandel, Protektionismus und landwirtschaftliche Anpassung". Wie bereits erwähnt, bezeichnet die Resolution die Ergebnisse der Tokio-Runde auf dem Agrarsektor als unzureichend (s. oben XIII) und betont die Notwendigkeit der landwirtschaftlichen Anpassung in allen Ländern, vor allem denjenigen mit hohen Stützpreisen und Einfuhrschranken. Sie fordert ferner insbesondere: Unterlassung der Errichtung neuer tarifärer und nichttarifärer Einfuhrschranken für Agrarerzeugnisse (vor allem für tropische Produkte), Verbesserung des Marktzugangs, systematische Überprüfung der Auswirkungen der Tokio-Runde auf den Agrarhandel durch den Rohstoffausschuß der FAO und laufende Beobachtung des Agrarprotektionismus durch den gleichen Ausschuß.
Die neun EG-Länder — nicht die EG als solche — verwahrten sich in einer interpretierenden Erklärung gegen eine Auslegung der Resolution im Sinne einer Forderung auf Änderung der Gemeinsamen Agrarpolitik. Auch lehnten sie eine Wiederaufnahme der Tokio-Runde ausdrücklich ab.
Auch Kanada und Japan bezeichnete die Tokio-Runde als „definitiv abgeschlossen". Kanada und die USA würdigten aber den „Ernst der Bedenken" der Entwicklungsländer und erkannten an, daß „weitere Fortschritte in Richtung auf eine Handelsliberalisierung erforderlich" seien. In diesem Sinne müßten sich alle Länder aktiv am GATT beteiligen. Finnland, Norwegen, Österreich, Schweden und die Schweiz verwahrten sich gegen eine Auslegung der Resolution dahin, daß sie die Notwendigkeit anerkennen, „wesentliche Änderungen in ihrer gegenwärtigen nationalen Agrarpolitik vorzunehmen".
Besonders bemerkenswert ist eine — in den Schlußbericht der Konferenz aufgenommene — Erklärung der „Gruppe der 77", wonach die „ 77" zwar ein „gewisses Verständnis für die Agrarhandelspolitik entwickelter Länder mit einem relativ niedrigen Selbstversorgungsniveau“ haben, aber „die Agrarhandelspolitik derjenigen entwickelten Industrieländer verurteilen, welche trotz ihres hohen und weiter steigenden Selbstversorgungsniveaus eine hochprotektionistische Politik betreiben". Die Spitze gegen die Gemeinsame Agrarpolitik der EG ist unverkennbar.
Wenn die Resolution auch kein Jota an der bestehenden Lage ändert, so hat sie doch ein ernstes Problem, für welches Lösungsmöglichkeiten bisher kaum erkennbar sind, in seinem kontroversen Charakter noch transparenter gemacht.
XX. Kurswechsel in der EG-Agrarpolitik?
Die Aussichten auf einen Kurswechsel in der EG-Agrarpolitik sind gering. Allerdings steht es seit Monaten fest, daß schon für 1980 die Finanzierung des EG-Haushalts, aus dem die Masse der Subventionen gespeist wird, nicht mehr gesichert ist. Das weitere Funktionieren der Gemeinsamen Agrarpolitik hängt daher davon ab, ob es gelingt, entweder die Ausgaben substantiell zu senken oder die Einnahmen zu erhöhen. Bisher haben die Agrarminister alle Vorschläge der Kommission zur Ausgabensenkung zurückgewiesen und damit eine weitere Ausgabensteigerung bewirkt. Manche Anzeichen deuten nunmehr allerdings darauf hin, daß sich die nationalen Regierungen und Parlamente in einigen Mitgliedsländern gegen die weitere Flucht in die Ausgabensteigerung stemmen werden: „Damit wird endlich das erreicht, was viele kluge Gutachten der letzten 10 bis 15 Jahre nicht geschafft haben: eine Neuorientierung, vielleicht gar eine Reform der Agrarpolitik in der EG einzuleiten u. a. mit dem Ziel eines vernünftigeren, effizienteren und sozial gerechteren Einsatzes von jährlich rd. 25 Mrd. DM Bundeslandwirtschaftsminister Ertl lehnt „agrarpolitische Systemänderungen " entschieden ab. Das Finanzierungsproblem will er mit den vorhandenen „Instrumenten" der EG lösen. In diesem Zusammenhang denkt er u. a. an eine „Mitverantwortungsabgabe" und „Aufgabeprämie" bei Milch, eine Quotenregelung bei Zucker, eine Anbauregelung bei Wein, an Selbstbeschränkungsabkommen bei Getreide-substituten und an die Beendigung der permanenten Intervention bei Rindfleisch. Bei den Preisen muß man — so Ertl — „sehr vorsichtig" sein, zumal kein Agrarminister nominale Preissenkungen akzeptieren kann
Nach Ertl ist es nicht möglich, an die Stelle einer „angemessenen" Preispolitik direkte Einkommensübertragungen zu setzen, welche allenfalls gezielt brauchbar seien (gutes Beispiel in seiner Sicht: die Ausgleichszulage in Bergbauerngebieten)
In der Bundesrepublik Deutschland wird Entscheidendes davon abhängen, ob es gelingt, den Deutschen Bauernverband für substantielle Änderungen zu gewinnen. Schon die erwähnten Vorschläge Ertls werden auf starken Widerstand in diesem Verband stoßen, da sie mehr als rein kosmetischer Natur sind.
Die starre Haltung der organisierten Landwirte wurde besonders deutlich auf dem Entwicklungspolitischen Kongreß der Kirchen im Januar 1979 in Bad Godesberg. Dort warnte Constantin Freiherr Heereman, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, vor einer Unterschätzung des politischen Risikos einer internationalen Arbeitsteilung Die auf dem Gebiet der Nahrungsversorgung bestehende „potentielle Unabhängigkeit" dürfe nicht „leichtfertig aufs Spiel" gesetzt werden. Damit wird das — von kaum jemandem angefochtene — Konzept der Sicherung eines gewissen Selbstversorgungsgrades mit Grundnahrungsmitteln hochgespielt und die Möglichkeit einer offenen Konfrontation im Nord-Süd-Konflikt erwähnt. Im Hinblick auf eine solche — nicht zu leugnende — Gefahr meint Heereman dann: „Von einer Position der Stärke zu verhandeln, ist immer besser als umgekehrt." Heereman erweckt den Eindruck, als ob irgend jemand die „schrankenlose Liberalisierung" des Agrarhandels fordere und bezeichnet gegenüber diesem — als Schreckgespenst hingestellten — Petitum die „ausreichende Berücksichtigung der zwingenden Nebenbedingungen, der . politischen Unsicherheit’ und der . faktischen Verhältnisse'" als unerläßlich. „Pragmatische, auf die konkrete Situation zugeschnittene Lösungen" seien erforderlich. Freilich sagt Heereman nicht einmal andeutungsweise, wo etwaige Kompromißmöglichkeiten liegen könnten.
Der Bauernverband ist sich natürlich der Tatsache bewußt, daß der Agrarprotektionismus in seinem gegenwärtigen Ausmaß nicht den Interessen der Gesamtgesellschaft und den Forderungen der Entwicklungsländer entspricht und damit immer unhaltbarer wird. Allenfalls denkt man aber beim Bauernverband an eine „Politik der kleinen Schritte", da mehr bei den Landwirten nicht durchzusetzen sei. Dazu Heereman wörtlich: „Kein Verband, auch nicht der Deutsche Bauernverband, kann eine Politik betreiben, die nicht von den Mitgliedern getragen wird. Ich spreche das hier ganz offen aus, um keine Illusionen zu wecken." Das ist deutlich gesagt, und es wäre unrealistisch, von den Landwirten in absehbarer Zeit eine Zustimmung zu einem substantiellen Kurswechsel zu erwarten. Aber können die anderen Gruppen der Gesamtgesellschaft — und vor allem diejenigen, welche die Hilfe an die Dritte Welt bejahen — eine solche, auf Zeitgewinn ausgerichtete Taktik noch jahrelang hinnehmen?
Es geht nicht um eine „schrankenlose Liberalisierung des Agrarhandels", vor der Heereman warnt, sondern um substantielle, entwick-lungspolitisch wichtige Teilzugeständnisse. Die Gesamtgesellschaft muß diese — nötigenfalls gegen partikularistische Interessen — durchsetzen. Es ist freilich eine spannende Frage: „Was muß noch geschehen, damit in der Agrarpolitik etwas geschieht?"
Otto Matzke, Dr. jur., Dipl. -Volkswirt; von 1962 bis Anfang 1974 Stellvertretender Direktor bzw. Direktor der Project Management Division im UN/FAO World Food Programme, Rom; vorher im Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland; gegenwärtig ständiger Mitarbeiter der Neuen Zürcher Zeitung, insbesondere für Probleme der Welternährung und -landwirtschaft sowie für die damit verbundenen entwicklungspolitischen und institutioneilen Fragen. Veröffentlichungen u. a.: Hunger und Überschuß, Bonn 1969; Die Dritte Welt und die Agrarpolitik der EG-Länder, Frankfurt 1974; Der Hunger wartet nicht — Die Probleme der Welternährungskonferenz 1974, Bonn 1974; Rohstoff-Fonds — Utopie und Wirklichkeit, Bonn 1977; Nahrung als weltpolitisches Machtinstrument, in: Umstrittene Weltwirtschaftsordnung (Hrsg. Daniel Frei), Zürich 1977; Institutionelle Proliferation in der internationalen Ernährungsadministration, in: Bürokratie — Motor oder Bremse der Entwicklung?, Bern 1977; Institutionelle Probleme des Wirtschafts-und Sozialbereichs des UN-Systems, in: Beiträge zur Konfliktforschung 1978/4.
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