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Grundgesetz und Wirtschaftsordnung. Probleme des wirtschaftlichen, technischen und sozialen Wandels im Verhältnis zu Wirtschaftsordnung und Verfassung | APuZ 4/1980 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 4/1980 Artikel 1 Grundgesetz und Wirtschaftsordnung. Probleme des wirtschaftlichen, technischen und sozialen Wandels im Verhältnis zu Wirtschaftsordnung und Verfassung Die Bedeutung des Marshall-Plans für die Nachkriegsentwicklung in Westdeutschland

Grundgesetz und Wirtschaftsordnung. Probleme des wirtschaftlichen, technischen und sozialen Wandels im Verhältnis zu Wirtschaftsordnung und Verfassung

Hans-Hermann Hartwich

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Zusammenfassung

„Wirtschaftsordnungen" oder „Wirtschaftssysteme" sind — wie auch Verfassungen — Ergebnisse geschichtlicher Entwicklungen, die von Auseinandersetzungen zwischen Mächten, Interessen und Ideen in je spezifischen politischen Kräftekonstellationen geprägt sind. Es ist weder wirtschaftspolitisch noch verfassungsrechtlich richtig, von der Vorstellung eines mehr oder weniger festgefügten „Systems" der Wirtschaft auszugehen. Mit dieser Grundthese will der Verfasser auf die Gefahr unhistorischen „Systemdenkens" bis hin zur „Kanonisierung", ja Dogmatisierung wirtschaftsrechtlicher und wirtschaftspolitischer Zusammenhänge, nicht zuletzt im Sozialkundeunterricht, aufmerksam machen. Die „Soziale Marktwirtschaft" entstand in der Abfolge politischer Grundentscheidungen ab 1947/48, die nicht zuletzt von außenpolitischen Kräftekonstellationen und Entwicklungen bestimmt waren. Das historische Ergebnis von 1949 kann man auch theoretisch fassen. Dann hat man das nationalökonomische „Ordnungsmodell", das in allen wesentlichen Punkten den theoretischen Forderungen Walter Euckens entsprach. Die Geltungskraft der wichtigsten Grundentscheidungen des Jahres 1948 wird durch das anschließend 1948/49 formulierte Grundgesetz nicht beeinträchtigt, eher gestärkt. Die ab 1949 bestimmenden politischen Kräfte tragen die Grundentscheidungen weiter, füllen sie mit Gesetzen aus, führen diese Art der Wirtschaftsgestaltung zu großem Erfolg. Die Dauerhaftigkeit dieses Wirtschaftssystems scheint garantiert. Dennoch ist der politische Entscheidungsprozeß über die Gestaltung der Wirtschaftsstrukturen und -abläufe bis 1979 nicht stehengeblieben. Vor allem in der Phase der „Keynesianischen Emanzipation“ ab 1963/67 werden grundlegend neue gesetzliche Entscheidungen über das Interventionsinstrumentarium des Staates und über seine Finanzplanung getroffen. In die Verfassung (Art. 109, 104 a, 91 a und b) werden volkswirtschaftliche Begriffe und (Art. 74 vor allem) zahlreiche zusätzliche Regelungsbereiche für den Gesetzgeber eingeführt. Die historischen Veränderungen seit 1949 führen dazu, daß die Wirtschaftsgestaltung, also das „System", 1979 nicht mehr als mit derjenigen von 1949 „identisch" angesehen werden kann. Das Grundgesetz erwies sich als überaus flexibel gegenüber den wechselnden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Problemlagen. Es ermöglicht die jeweils sachnotwendig erscheinende Politik, sei es im Rahmen bestehender Verfassungsbestimmungen, sei es durch die Vornahme der notwendigen Änderungen unter Wahrung der Wesensgehalte von Grundrechten und Kompetenzzuweisungen. Die entscheidende Frage ist für den Verfasser, ob die erkennbaren Tendenzen des wirtschaftlichen, technischen und sozialen Wandels, die in ihren Schwerpunkten vorgetragen und diskutiert werden, ebenfalls wie in den vergangenen dreißig Jahren bewältigt werden können. Die staatlich-politische „Realstruktur", vor allem aber die Notwendigkeiten einer „aktiv gestaltenden, vorausschauenden Politik", berechtigen eher zur Skepsis, machen Prognosen schwer. Bislang war die Politik stets eher reaktiv. Die Schwierigkeiten der Zukunftsbewältigung werden um so größer sein, je mehr wirtschaftspolitische und gesellschaftliche Neuorientierungen durch ein ideologisch motiviertes, starres „Systemdenken" in bezug auf die Möglichkeiten staatlicher Wirtschaftsgestaltung gehemmt oder blockiert werden.

I. Anmerkungen zum Verhältnis von nationalökonomischem Ordnungsdenken und historischer Analyse

„Wirtschaftsordnungen" oder „Wirtschaftssysteme" sind — wie übrigens auch alle Verfassungen — Ergebnisse geschichtlicher Entwicklungen, die von Auseinandersetzungen zwischen Mächten, Interessen und Ideen in je spezifischen politischen Kräftekonstellationen geprägt sind. Es ist weder wirtschaftspolitisch noch verfassungsrechtlich richtig, von der Vorstellung eines mehr oder weniger festgefügten „Systems" der Wirtschaft auszugehen. Zwar werden konsequente oder vielleicht „extreme" Denker in dem Prinzip kapitalistischer Kapitalverwertung auf der Basis des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln stets den Kern eines unauflösbaren ökonomischen Zusammenhangs — also ein „System" an sich — sehen; und ähnlich werden andere einen solchen Kern im Privateigentum als der Grundlage freien Wirtschaftens, in der Kosten-Nutzen-Gewinn-Rechnung sowie in dem freien Wettbewerb als der Ausdrucksform effektiven Wirtschaftens finden wollen 1). Die Analyse der Wirklichkeit zeigt jedoch, daß „Systeme" im Sinne scheinbar „notwendiger Zusammenhänge von Elementen, die für ein Ganzes unabdingbar sind", eher Produkte intellektueller Systematisierung von tatsächlichen Zusammenhängen sind denn reale Gesamtheiten, die jeweils so und nur so funktionieren. Das „Systemdenken" beflügelt unsere Erkenntnisse und Einsichten in die Zusammenhänge unseres gesellschaftlichen Lebens und seiner Prozesse. Systeme aber bleiben geistige Konstrukte, die nicht zur Ideologie werden dürfen.

Dies wäre dann der Fall, wenn im Unterricht die Vorstellung verbreitet würde, alle heutigen Elemente des ökonomischen Systems seien zugleich „systembedingt", also unabdingbar notwendig. Es wäre der Fall, wenn — wie ich es schon einmal 1966 in einem Aufsatz der „Gegenwartskunde" aufgezeigt habe — der Lehrer bei der Behandlung der Wirtschaftsordnung bewußt oder unbewußt — etwa wenn er die Kreislaufanalyse und -darstellung sowie die Bilder idealer Preisbildung unter den Bedingungen vollkommenen Wettbewerbs völlig unkritisch einsetzt — die Vorstellung bei den Schülern vermittelt, Wirtschaft sei etwas „Geordnetes", im Grunde Wohlgefügtes, das im Prinzip auch funktioniert, wenn die Abläufe nicht gestört werden, sei es durch den Staat, durch die Gewerkschaften, durch die Monopole, durch die Bürgerinitiativen.

Denn die Grundlagen, die Elemente, die bewegenden Kräfte, die Prozesse, die das ausmachen, was wir dann „Wirtschaftsordnung" nennen, sind historische Erscheinungen. Also sind sie veränderbar. Sie sind veränderbar in ihrer Bedeutung, in ihrer Konzeption, in ihren Abläufen. Heißt dies nun, daß sich empirisch alles auflöst? Gewiß nicht. Wirtschaftliche Grundlagen, Faktoren und Prozesse ändern sich erfahrungsgemäß nicht unvermittelt und kurzfristig. Was hier zu Beginn gesagt werden soll, ist: sie verändern sich. Eine Wirtschaftsordnung ist als historisches Produkt niemals sta-überarbeitete Fassung eines Vortrages im Rahmen der didaktischen Fachtagung der Bundeszentrale für politische Bildung „Verfassung und Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im Unterricht" vom 28. Mai bis 1. Juni 1979 in Bonn. tisch. Sie darf dann auch nicht als solche gelehrt werden.

Das Bundesverfassungsgericht — und das ist nun die zu Beginn genannte verfassungsrechtliche Ebene — hat für seinen Teil unlängst, am 1. März 1979, ebenfalls darauf hingewiesen, daß das Grundgesetz Grund-und Freiheitsrechte, Ansprüche und Verpflichtungen festlege, nicht aber ein „System“ der Wirtschaft oder gar eine „Ordnung“, die ihre Prägung dadurch gewinnt, daß sie im Programm einer siegreichen politischen Partei definiert wurde oder wird

Diesen Fragen soll im folgenden nachgegangen werden:

— Der empirischen, historischen Frage nach Entstehung und Ausprägung des Wirtschaftssystems der Bundesrepublik Deutschland und — der verfassungsrechtlichen Rahmenfestlegung und gleichzeitigen „Offenheit".

Danach sollen die Ergebnisse mit erkennbaren und erwarteten Wandlungsprozessen in Wirtschaft, Technik und Gesellschaft konfrontiert werden, um die Frage nach der Zukunft in die geschichtliche Betrachtung einzubeziehen.

II. Das Wirtschaftssystem als Ergebnis historischer Prozesse und Entwicklungen

a) Was gab es eigentlich im Mai 1945 für ein „System“ im Deutschen Reich also zu Beginn der Besatzungszeit? Von hier aus erfolgte doch eine am Ende unerwartet weitgehende Liberalisierung im Westen. Im Osten kam es demgegenüber, vom gleichen Ausgangspunkt aus, zu einem Anziehen und zu einer Systematisierung der schon vorhandenen kollektiven Bindungen. Kapitalismus, Marktwirtschaft, zentrale Verwaltungswirtschaft?

Es gab seit 1933 faktisch einen Lohnstopp-, die Löhne wurden von den „Treuhändern der Ar-

beit" fixiert. Es gab seit 1936 einen Preisstopp. Es gab das umfassende Bewirtschaftungssystem nicht nur für den Verbraucher, sondern auch für die Produzenten. Es gab ein umfassendes System von Lenkungen und Direktiven. Seit Jahren wurden auch Pläne, Wirtschaftspläne, propagiert, jedoch hatten erst die letzten Kriegsjahre eine stärkere Systematisierung der Lenkungswirtschaft in zentraler Form gebracht.

Man sieht, es ist historisch nicht leicht, jeweils ein System genau zu benennen. Existierte eigentlich noch der Kapitalismus? War er 1945 „zusammengebrochen", wie der Vorsitzende der SPD, Kurt Schumacher, öffentlich verkündete? Man wird die Fragen unterschiedlich beantworten, je nachdem, welche Kriterien man bevorzugt. Das NS-System war noch kapitalistisch, denn das private Eigentum an den Produktionsmitteln existierte nach wie vor. Von daher konnte man streiten, ob nun mit dem Zusammenbruch des Staates auch der Kapitalismus selbst als privatwirtschaftliches Eigentums-und Lenkungssystem zusammengebrochen sei. Auf der anderen Seite gab es das Argument, daß es den marktwirtschaftlichen, auf privater Verfügungsgewalt beruhenden Kapitalismus ja gar nicht mehr gäbe, vielmehr herrsche eine kollektive Bindung der Wirtschaft und die zentrale Lenkung. Von hier aus betrachtet, bestand dann das wahrhaft Neue nicht in der Schaffung des demokratischen Sozialismus, sondern viel eher in der Neugestaltung im Sinne einer Befreiung von diesen kollektiven Bindungen, in der Wiederherstellung privater Verfügungsgewalt. Es ist hier nicht die Absicht, diese Fragen zu vertiefen. Sie wurden lediglich aufgeworfen, um das Kriterienproblem, angewandt auf eine konkrete historische Situation, zu verdeutlichen. Verdeutlicht soll auch werden, daß die reine System-betrachtung vor fast unüberwindbare Schwierigkeiten gerät, wenn sie sich auf die Frage nach dem zugrunde liegenden Eigentum allein konzentriert. Es erscheint denn auch wohl verständlich und hoffentlich einsehbar, gerade für den an ökonomischen Fragen interessierten Historiker, daß es sinnvoller ist, sinnvoller sein kann, das Wirtschaftssystem der Bundes-B republik Deutschland als Ergebnis historischer Prozesse, d. h. grundlegender politischer Entscheidungen, Konstellationen und Entwicklungen, darzustellen und zunächst auf eine systematische Sicht im Sinne des Slogans „Marktwirtschaft versus Planwirtschaft" zu verzichten.

b) Welches sind nun die wesentlichen Entscheidungen, die am Ende zu der heutigen Wirtschafts-„Ordnung" führten? Diese Frage betrifft nicht nur die grundlegenden und bekannten Weichenstellungen und Entscheidungen in den Jahren 1946— 1949 Diese Frage muß auch die sogenannten non-decisions, die Nicht-Entscheidungen in eine bestimmte Richtung, die verhinderten Entscheidungen mit einschließen. Sie waren mindestens ebenso prägend für die Zukunft wie die dann sichtbaren Grundsatzfestlegungen. Zu diesen wesentlichen politischen Entscheidungen bzw. Nicht-Entscheidungen der Zeit bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes möchte ich rechnen:

— Die Auflockerung des Bewirtschaftungssystems durch das Bewirtschaftungsnotgesetz vom Herbst 1947 in Übereinstimmung aller großen Parteien;

— die Verhinderung der in den Landesverfassungen mehr oder weniger zwingend vorgeschriebenen Sozialisierungen durch die Besatzungsmächte, vor allem infolge der Dominanz der amerikanischen Besatzungsmacht und ihrer grundlegenden wirtschaftspolitischen Orientierung;

— die Nichtdurchführung anderer Struktur-entscheidungen wie Bodenreform und Selbstverwaltungsorganisation für die Wirtschaft (z. B. in Rheinland-Pfalz, dessen Verfassung ein umfassendes gemischtwirtschaftliches System vorsah);

— die Einführung der qualifizierten Mitbestimmung in dem seinerzeit beschlagnahmten Bereich der Montan-Unternehmen, bei gleichzeitiger Suspendierung von wirtschaftlicher Mitbestimmung in anderen Bereichen (am 18. April 1948 in Baden-Württemberg); — Konzernauflösungen (IG-Farben); Entflechtungsmaßnahmen und -versuche der Besatzungsmächte mit der Direktive für den Bundesgesetzgeber ab 1949, die Maßnahmen durch eigene Rechtsregelungen abzulösen; — die Art und die Durchführung der Währungsreform, insbesondere ihre Orientierung an der Schonung des Sachwertbesitzes und damit zusammenhängend die Grundentscheidungen über die Besteuerung; — die sogenannte „Leitsätze-Gesetzgebung", d. h. die Entscheidungen einer knappen Mehrheit des Wirtschaftsrates unmittelbar im Zusammenhang mit der Währungsreform über Preisfreigabe und Lenkungsverzicht; — die Notenbank-Autonomie; sie wurde mit der Schaffung der Bank Deutscher Länder am 1. März 1948 eingeführt;

— die verhinderte Gleichzeitigkeit Von Währungsreform und substanzangreifendem Lastenausgleich; die Besatzungsmächte verhinderten, daß deutschen Wünschen nach einem umfassenden Lastenausgleich im Zusammenhang mit der Währungsreform Rechnung getragen wurde; 1949 beschloß der Wirtschaftsrat ein „Soforthilfegesetz", und erst in der Bundesrepublik wurde eine umfassende und dann auch sehr segensreiche, quantitativ bedeutende Lastenausgleichsregelung getroffen. Diese Regelung basierte jedoch auf dem Grundsatz der Schonung vorhandener Vermögenssubstanzen; — die Restitution des kollektiven Arbeitsrechts (Tarifvertragsgesetz von 1949) durch den Wirtschaftsrat; — die Rückgabe der beschlagnahmten Montan-Unternehmen des Ruhrgebiets 1951 an die privaten Eigentümer durch die Alliierte Hohe Kommission; die Eingliederung des Montan-Bereichs in die Montanunion.

Dies alles sind, auch in ihren zeitlichen Abfolgen, politische Grundentscheidungen gewesen. Manche andere könnten außerdem erwähnt werden, wie etwa der Dissens und die Entscheidung zwischen Labour-Sozialismus und amerikanischem Free-Enterprise-Denken in der Besatzungspolitik sowie die Entwicklung von wirtschaftspolitischen Konzeptionen» bei den Parteien, wie dies jüngst in einer um- fassenden Untersuchung von Ambrosius geschehen ist. Dies alles ist nur zusätzlich zu dem, was hier festzustellen ist: Die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik entsteht als Ergebnis eines über mehrere Jahre und mit sich verändernden politischen Konstellationen — nicht zuletzt außenpolitischen — verlaufenden Entscheidungsprozesses. Dabei spielte auch das „Gegenbild" der sowjetischen Besatzungszone mit ihrer Entwicklung in einen Sozialismus sowjetisch-stalinistischer Provenienz eine wesentliche Rolle.

Am Ende steht im Westen Deutschlands die Wirklichkeit eines sozialpolitisch temperierten, kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Faktorenzusammenhanges, der seine Dauerhaftigkeit dadurch gewinnt, daß 1. die Verfassung nichts Gegenläufiges zwingend vorschreibt; 2. die bestimmenden politischen Kräfte der 1949 geschaffenen Bundesrepublik Deutschland die Grundentscheidungen weitertragen, sie in Gesetzen im einzelnen ausfüllen, konzeptionelle Programme auf der Basis des grundsätzlich Geschaffenen mit Erfolg (durch Wahlen und Wohlstand) vortragen; 3. wesentlich sind des weiteren die unbestreitbaren Erfolge der Wirtschaftspolitik auf der Basis der Grundentscheidungen für den einzelnen und die Gesellschaft und damit verbunden und politisch von grundlegender Bedeutung die Massenakklamation und Massenlegitimation. c) Man kann dieses historische Ergebnis nun auch theoretisch fassen; dann hat man das nationalökonomische Modell:

Walter Eucken hatte in seinen „Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" und in den sogenann-ten ORDO-Jahrbüchern eine Wirtschaftsordnung gefordert, deren Grundlagen vom Staat bestimmt und organisiert werden, deren Wirtschaftsprozesse jedoch staatsfrei ablaufen sollten. Die im politischen Prozeß bis 1949 geprägte Wirklichkeit ist diesem neoliberalen wirtschaftstheoretischen Entwurf sehr stark angenähert:

— Privateigentum, — Notenbankautonomie und stabiles Geld, — Wettbewerbspolitik über ein vom Staat erlassenes marktordnendes Gesetz mit einem Kartellamt (Kartellgesetz von 1957), — freie Preisbildung, freie Löhne, freie Geschäfts-und Arbeitsbedingungen, — konstante, auf Ordnungsfragen bezogene Wirtschaftspolitik (mit Druchbrüchen, wie etwa in Form des sog. Investitionshilfegesetzes von 1951 und der Handhabung der Haushaltsüberschüsse in Milliardenhöhe im Zuge des Bundeswehraufbaus 1954" 1957, „Juliusturm"), — marktkonforme Interventionen.

Diese, wie Eucken es nannte, „konstituierenden" und „regulierenden" Prinzipien eines Systems sinnvoller marktwirtschaftlicher Ordnung sind historisch-politisch geschaffen worden. Das Modell steht am Ende. Modell und Realität weisen eine erstaunliche Übereinstimmung auf. Der Historiker wird wissen, daß dennoch nicht die Wirklichkeit entsprechend dem Modell geprägt wurde, sondern daß erst im nachhinein historische Entwicklungen und Modelle zu einem theoretischen Gesamtbild geraten und gefügt werden, das verbunden miteinem sehr einprägsamen politischen Slogan — als „soziale Marktwirtschaft" — eine erhebliche Dauerhaftigkeit gewinnt.

III. Veränderungen seit 1949

Die Dauerhaftigkeit dieses „Systems" der sozialen Marktwirtschaft ist im Prinzip nicht zu bestreiten. Dennoch ist der politische Entscheidungsprozeß über die Wirtschaftsordnung nicht beim Jahre 1949 stehengeblieben.

Die Grundentscheidungen der Jahre 1948/49 sind in den vergangenen dreißig Jahren in unterschiedlichster Weise modifiziert, ergänzt und geändert worden. Die Frage erscheint nicht unberechtigt, ob nicht die Elemente des Zustandes von 1949 und eine Vielzahl wirt-Schaftsund finanzpolitischer Entscheidungen und Prozeßsteuerungen seit 1949 eine durchaus andere Form der Wirtschaftsgestaltung, Wirtschafts-„Ordnung", ergeben, als sie einmal vor dreißig Jahren mit dem Begriff der „Sozialen Marktwirtschaft" umrissen wurde.

Es handelt sich bei den wichtigsten Struktur-entscheidungen einer ersten Phase, die von 1949 bis etwa 1960/61 reicht, u. a. um:

— die extrem weit getriebenen Liberalisierungen der wirtschaftlichen Prozesse bis hin zur allgemeinen Mietenfreigabe im Jahre 1961; — das Kartellgesetz von 1957, das 1949/50 als „Grundgesetz der Marktwirtschaft" mit einem allgemeinen Kartellverbot entworfen, dann aber nach „siebenjähriger Kartellschlacht" mit einem umfassenden Katalog von Ausnahme-regelungen verabschiedet wurde und das die tatsächliche Konzentration in der Wirtschaft nur mit einigen vagen Bestimmungen über „marktbeherrschende Unternehmen" zur Kenntnis nahm;

— die stark interessengeleitete Subventionspolitik, die eigentlich nur in der Landwirtschaftspolitik Elemente einer sektoralen Strukturpolitik („Grüner Plan") aufweist; Interesseneinflüsse unterlaufen hier die neoliberale Doktrin, daß der Staat in die wirtschaftlichen Abläufe und Prozesse nicht eingreifen solle;

— die immer stärkere Benutzung der Steuerpolitik als Lenkungsmittel des Staates gegenüber der Privatwirtschaft in strukturpolitischer (z. B. „Mittelstandsförderung") und prozeßpolitischer (z. B. Investitionsförderung)

Hinsicht. Eine derartige Lenkung wurde als „marktkonform" bezeichnet und damit als -ver einbar mit der Doktrin vom Verzicht auf eine „Prozeßsteuerung" hingestellt;

— die Dynamisierung der Renten als der sozialpolitisch wichtigsten Grundentscheidung zur Verwirklichung der „Sozialen" Marktwirtschaft, hier durch Anbindung der Renteneinkommen an die steigenden Einkommen in der abhängiger Stellung Beschäftigten;

— die vollkommene Integration der westdeutschen Wirtschaft in die Weltwirtschaft durch Liberalisierungen des Handels und Konvertibilität der Währungen;

— die Schaffung der Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft (EWG) mit der allmählichen Einführung einer Zollunion der westeuropäischen Mitgliedsstaaten und der Heraus-lösung der Agrarmärkte aus der allein national bestimmten Wirtschaftspolitik.

Dieser ersten Phase folgte eine zweite, die man als Phase der „keynesianischen Emanzipation" in der Bundesrepublik bezeichnen kann. Damit soll der Umstand verdeutlicht werden, daß Labilitäten im wirtschaftlichen Wachstum mit Beginn der sechziger Jahre zunächst in Gestalt abnehmender Zuwachsraten des Sozialprodukts, schließlich in Form einer „Rezession" im zweiten Halbjahr 1966 — die alle Anzeichen für einen kumulativen Krisenprozeß in sich trug — zu dem klaren Bekenntnis auch der offiziellen Wirtschafts-und Finanzpolitik führten, daß der Staat die Pflicht habe, in die wirtschaftlichen Abläufe und Prozesse steuernd einzugreifen. Dies hatte der bekannte englische Nationalökonom John Maynard Keynes schon zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise von 1930— 1933 gefordert. Den Höhepunkt dieser Phase in der historischen Entwicklung des Wirtschaftssystems der Bundesrepublik bildet das im Gefolge der eben erwähnten Rezession von 1966/67 zustande gekommene „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" vom 8. Juni 1967 (Stabilitäts-und Wachstums-gesetz), das sogar von entsprechenden Verfassungsänderungen begleitet war. Mit der Verbindung von Stabilitätsorientierung und Wachstumsförderung wurde das ursprüngliche Konzept Ludwig Erhards zugunsten einer „Synthese" von Eucken und Keynes verlassen. Im einzelnen ragen folgende Strukturentscheidungen dieser Phase — Das Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Jahre 1963; Konjunkturanalyse, Vorausschau über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und Wachstums-wie stabilitätspolitische Programme werden damit zu der Bestandteilen Wirtschaftssteuerung. — Das Stabilitätsund Wachstumsgesetz von 1967 führt die mittelfristige „Finanzplanung" für Bund, Länder und Gemeinden ein. Hierfür wird das Grundgesetz, Art. 109, erheblich ergänzt; eine Haushaltswirtschaft, die den „Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung trägt", ist seitdem Verfassungsgebot. Der Begriff „Konjunkturausgleichsrücklagen" und das dahinter stehende (keynesianische) Konzept werden in die Verfassung aufgenommen.

— Durch das Stabilitätsund Wachstumsgesetz von 1967 werden gleichzeitig neue Institutionen (Konjunkturrat für die öffentliche Hand; heute auch noch: Finanzplanungsrat) und Steuerungsinstrumente in das weiterhin prinzipiell marktwirtschaftliche System eingeführt, wie der „Jahreswirtschaftsbericht" der Bundesregierung, ihre „Jahresprojektion", „Orientierungsdaten" für eine „Konzertierte Aktion" der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmensverbände, sowie „mehrjährige Investitionsprogramme".

Während das Stabilitätsund Wachstumsgesetz von 1967 durch die Nennung von vier übergeordneten Zielen der Wirtschafts-und Finanzpolitik des Staates deutlich von den Axiomen der neoliberalen Konzeption von 1949, die derartiges ausschlossen, abweicht (Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, stetiges und angemessenes Wachstum), nennt das wichtige „Arbeitsförderungsgesetz" vom 25. Juni 1969 allein die „Erzielung eines hohen Beschäftigungsstandes". Die mit diesem Gesetz erfolgte Verdeutlichung staatlicher Intervention in wirtschaftliche Abläufe beinhaltet ein verändertes Instrumentarium der jetzt „Bundesanstalt für Arbeit" genannten Institution. Sie soll mehr tun als Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung betreiben. Ihre Maßnahmen sollen so ausgerichtet sein, daß „die Beschäftigungsstruktur verbessert und damit das Wachstum der Wirtschaft gefördert wird". Die „vorbeugende Arbeitsmarkt-politik" ergänzt die gesamtwirtschaftlich orientierte „Globalsteuerung" des Stabilitätsund Wachstumsgesetzes.

Das Jahr 1969 kann damit aber auch schon einer dritten Phase in der historischen Entwicklung des Wirtschaftssystems der Bundesrepublik zugerechnet werden.

Ist es das hervorstechende Merkmal der „Synthese" von Eucken und Keynes, daß der Staat nunmehr seine Pflicht zur Steuerung der Wirtschaftsabläufe anerkennt, diese Steuerung jedoch allein in „globaler" Form vornehmen will, so sind die folgenden Jahre durch eine Zunahme spezieller Eingriffe und planerischer Vorsorgen geprägt. Die Stichworte „sektorale" und „regionale“ Strukturpolitik stehen ebenso dafür wie das „Zukunftsinvestitionsprogramm" der Bundesregierung vom März 1977. Zu den zahlreichen Maßnahmen und Instrumenten, die nun in die Verfassung oder in die praktische Wirtschaftspolitik des weiteren eingeführt werden, gehören u. a. so selbstverständlich gewordene Politikbereiche wie — die „Gemeinschaftsaufgaben" als Verfas-

sunginstitut (Art. 91a GG seit 1969), nach dem Bund und Länder auf den folgenden Gebieten gemeinsam planen, finanzieren und verwalten:

Ausbau und Neubau von Hochschulen, einschl. Hochschulkliniken, Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes; — die Bund-Länder-Kooperation für die Bildungsplanung nach Art. 91b GG;

— die sehr aufwendig gewordene Forschungsund Technologiepolitik, bei der es — wie die Beispiele staatlicher Förderung der Luftfahrt-und Raumtechnik und der Förderung einer international konkurrenzfähigen EDV-Industrie in der Bundesrepublik — um gezielte staatliche Interventionen in die privatwirtschaftlichen Strukturen und Abläufe geht;

— die staatliche Energiepolitik, die im Prinzip primär privatwirtschaftlich verlaufene Entwicklungen auf der Basis billigen und reichlich vorhandenen Ols jetzt unter komplizierten Umständen korrigieren muß;

— staatliche Programme zur Investitionsbelebung; — die Einführung der „Fusionskontrolle" (§ 23 und § 24 des Kartellgesetzes in der Fassung von 1974/76) und die Bildung einer „Monopolkommission" zur regelmäßigen Begutachtung der Entwicklung der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik (§ 24 b); — die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 1972;

— das Mitbestimmungsgesetz von 1976. überdenkt man alle diese Stichworte, so wird offenkundig, daß die 1949 geschaffene Wirtschaftsordnung nicht mehr mit heutigen Wirtschaftsgestaltungen identisch sein kann. Es ist dies wiederum der Hinweis darauf, daß es sinnvoller ist, ein Wirtschaftssystem als historischen Prozeß zu begreifen und sich dabei bewußtzumachen, daß nationalökonomische Ordnungsmodelle sozusagen eine Zustands-beschreibung sind, die jedoch wegen ihres historischen Charakters stets wandelbar ist.

IV. Wirtschaftssystem und Verfassung

Die politische Konstituierung des Wirtschaftssystems in der eben beschriebenen Art und seine Veränderungen im grundsätzlichen und in der Prozeßsteuerung von 1949 bis 1979 geschehen alle miteinander „im Rahmen der Verfassung".

Das Grundgesetz entsteht in der Zeit vom 1. September 1948 bis zum 8. Mai 1949. Es wird am 23. Mai 1949 verkündet und tritt in Kraft. Dies bedeutet, daß die Verfassung erst im Anschluß an die o. g. wichtigen Grundentscheidungen erarbeitet wurde. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rats waren sich darüber einig, daß auf eine genauere Festlegung sogenannter Lebensordnungen verzichtet werden sollte.

Dies bezog sich auch auf den Versuch, eine Wirtschaftsordnung verfassungsrechtlich zu formulieren. Einigkeit bestand auch darüber, daß es nach der NS-Zeit das wichtigste sei, dem künftigen Staatswesen eine unmittelbar wirkende Rechtsgrundlage dadurch zu geben, daß die klassischen Grund-und Menschenrechte von vornherein „justiziabel" gemacht werden. Dies bedeutet, daß man nur an jene Grundrechte dachte, bei denen angenommen wurde, sie würden unmittelbar geltendes Recht, unmittelbar anwendbar im Gerichtsverfahren sein können. Auch dadurch waren wirtschaftliche Grundrechte, vor allem soziale Grundrechte, ausgeschlossen.

Die Verfassung wurde im übrigen im Selbstverständnis der Verfassungsväter „offen" formuliert. Dies bedeutet, daß die beiden größten politischen Blöcke des Parlamentarischen Rates, die bürgerlichen Parteien unter der Führung der CDU/CSU einerseits und die SPD andererseits, danach trachteten, das Grundgesetz so zu formulieren, daß sie nach einer eventuell gewonnenen Bundestagswahl auch alle Möglichkeiten haben würden, ihre jeweilige Konzeption über die Gestaltung des Wirtschaftssystems und den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu verwirklichen, ohne erst Verfassungsänderungen vornehmen zu müssen. Das heißt, das Grundgesetz wurde so formuliert, daß es eine Politik der sozialen Marktwirtschaft ermöglichte, die ja nun nur noch fortzusetzen war, nachdem man damit 1948 begonnen hatte. Aber das Grundgesetz wurde auch so formuliert, daß die von der SPD offiziell gewünschte Politik zur Verwirklichung eines „demokratischen Sozialismus" ebenfalls nicht durch die Verfassung behindert würde.

Die CDU/CSU und die FDP als Hauptträger des Konzepts der Marktwirtschaft konnten sich in erster Linie auf die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) und die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) berufen sowie auf den Kontext der klassischen Menschen-und Grundrechte hinweisen, der stets eher bewahrend als revolutionär ist. Die SPD konnte bei der Sozialbindung des Eigentums anknüpfen, vor allem aber das „Einfallstor" (Abendroth) des Art. 15, der die Überführung von Wirtschaftsunternehmen in Gemeineigentum ohne weitere Verfassungsänderung ermöglicht, benutzen. Im übrigen kam in der Formulierung des „Sozialstaates" (vgl. Fußnote 5) des Art. 20 GG der von allen Seiten getragene Versuch zum Ausdruck, an sozialpolitische Traditionen wie die Sozialversicherungen und die Institutionen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts anzuknüpfen, auch der Marktwirtschaft also eine sozialpolitische Komponente zu geben. Andererseits ist in diesem Postulat — wie es Carlo Schmid am 8. Mai 1949 formulierte — ein Ausdruck des „Muts zu den sozialen Konsequenzen" zu sehen, „die sich aus dem Postulat der Demokratie ergeben". In diesem Verständnis eröffnete das Sozialstaatspostulat auch die Möglichkeit, ja Notwendigkeit, eine gesellschaftsverändernde Politik zu betreiben. Für beide Seiten gilt, daß sie in den Kompetenzzuweisungen für den Bundesgesetzgeber (Art. 73— 75 GG) eine Fülle von Interventionsmöglichkeiten vorsahen.

Es folgte dann die Zeit der „Interpretationen" des Grundgesetzes im Gefolge der erfolgreichen Politik der „Sozialen Marktwirtschaft" in den fünfziger Jahren. Das Bundesverfassungsgericht, das wegen des Investitionshilfe-gesetzes des damaligen Bundeswirtschaftsministers Erhard angerufen worden war, erklärte in seiner Entscheidung 1954 wörtlich: „Die gegenwärtige Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist eine nach dem Grundgesetz mögliche, keineswegs aber die allein mögliche Ordnung." Der Gesetzgeber könne sie jederzeit durch eine andere Wirtschaftsordnung oder auch eine andere sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik ersetzen, soweit er dabei nur die Grundrechte beachte.

Den Höhepunkt der entgegengesetzten Interpretation dieser Zeit bildet zweifellos die Überdehnung des Art. 2 GG durch den damaligen Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts, Nipperdey. Nipperdey erklärte, daß die politisch realisierte „Soziale Marktwirtschaft" die allein verfassungsmäßig mögliche Wirtschaftsordnung sei. Er berief sich dabei vor allem auf die „freie Entfaltung der Persönlichkeit" des Art. 2 GG, die alle wirtschaftsrelevanten Entfaltungen mit einschlösse. Der Staat könne deshalb nicht die ihm jeweils sachgerecht erscheinende Wirtschaftspolitik betreiben. Er müsse die Prämissen der „Sozialen Marktwirtschaft" einhalten, dürfe z. B. nur „marktkonforme" Mittel einsetzen. Allerdings könne er, weil es in der deutschen Politik Tradition sei, sozialpolitische Korrekturen vornehmen. Nipperdey war und blieb mit dieser Auffassung ein Außenseiter. Dennoch sind seine Gedanken bis heute immer wieder diskutiert worden.

Es folgen dann in den sechziger Jahren die Verfassungsänderungen im Gefolge des Stabilitäts-und Wachstumsgesetzes von 1967 und der großen Finanzreform von 1969. Man kann auch sagen, daß etwa ab 1963 der Wirtschaftsinterventionismus in der Bundesrepublik zögernd seinen Platz findet, daß es zu Kombinationen wirtschaftstheoretischer Art zwischen den Gedanken der Intervention nach Keynes und der Ordnungspolitik nach Eucken kommt. Dies findet — und das ist das hier Wichtige — seinen Niederschlag in der Verfassung selbst, in der Abänderung oder Ergänzung des Verfassungstextes. Zu nennen sind vor allem die Art. 104 a GG, Art. 109, Art. 91 a und b, Art. 74 GG. Volkswirtschaftliche Begriffe wie das oben schon erwähnte Ziel der „Wahrung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts", die „Förderung des wirtschaftlichen Wachstums", die „Sicherung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" sind heute Verfassungsbegriffe des Grundgesetzes. Sie harren allerdings immer noch einer überzeugenden Deutung durch die Juristen, was bei der Kompliziertheit und der inhaltlichen Unschärfe dieser volkswirtschaftlichen Begriffe durchaus nicht verwundern kann. Weitere Kompetenzen über jene der sechziger Jahre hinaus sind durch neue Aufgabenerschließungen hinzugetreten, bis hin zu Begriffen der Umweltpolitik (Abfallbeseitigung, Luftreinerhaltung, Lärm-bekämpfung).

Dies alles bedeutet, daß das Grundgesetz des Jahres 1979 in bezug auf wirtschaftliche Gestaltungsfragen eben nicht identisch sein kann mit jenem Grundgesetz des Jahres 1949. Die historische Komponente, die Veränderbarkeit auch der inhaltlichen Elemente von Rechtsbegriffen, ist unverkennbar. Unabhängig von dieser Frage haben wir am 1. März 1979 eine erneute verbindliche Aussage des Bundesverfassungsgerichts zur Offenheit der Wirtschaftsordnung des Grundgesetzes erhalten. Das Verfassungsgericht hat hier in seiner Entscheidung zum Mitbestimmungsgesetz von 1976 erneut und ganz eindeutig darauf hingewiesen, daß das Grundgesetz keine Festlegung eines Wirtschaftssystems enthalte, daß es vielmehr von Einzelgrundrechten ausgehe. Es sei nicht angängig, in die Verfassungsbestimmungen, Verfassungssätze und Absätze einen irgendwie gearteten wirtschaftsrechtli-chen Sinnzusammenhalt hineinzuinterpretieren, der am Ende ein bestimmtes „System" als allein verbindlich erscheinen lasse. Dies ist ein überaus wichtiges Urteil, dessen Wert über die Aussagen zur Mitbestimmung selbst hinausgeht. Es ist zugleich eine Bestätigung der Grundsatzentscheidung des Jahres 1954 (vgl. Fußnote 3).

Ein weiterer Gedanke soll hier noch diskutiert werden. Häberle hat im Archiv des öffentlichen Rechts anläßlich einer größeren Rezension meines Sozialstaatsbuches ausgeführt, daß auch eine sogenannte „offene Norm“ durch die praktische Politik, insbesondere durch Gesetze, allmählich „gefüllt" werden könne. Ich halte ein Vorstellungsbild für falsch und unhistorisch, das die Möglichkeit einer „Normfüllung" und damit einer abschließenden Regelung für denkbar hält. Es geht, gerade historisch betrachtet, niemals um ein „Füllen", bis eben nichts Neues mehr hinzukommen kann. Aber es ist zweifellos richtig, daß die Verfassungsentscheidungen über Grundrechte und Interventionsnormen durch Gesetzesentscheidungen häufig in detailliertester Art ergänzt werden. Diese aber müssen und sie können auch notfalls korrigiert werden. Dies ist auch in der Vergangenheit geschehen — mühsam oft, aber es ist geschehen. Solche allmählichen Änderungen von Gesetzesinhalten, ihre allmähliche Verdrängung durch größere Gesetzesmaterien anderer Art sind in aller Regel begründet gewesen, und sie sind noch immer weitgehend dadurch begründet, daß neue Problemlagen auftreten, die offenkundig die Dinge bewegen, neue inhaltliche Festlegungen des Wirtschaftsund Gesellschaftssystems nach sich ziehen. Problemlagen sind es, weniger politische Programme. Dies ergibt immer erneut das Studium und die Analyse der Geschichte des Wirtschaftssystems der Bundesrepublik. Hier taucht nun die Frage auf, ob der Staat sozusagen erst im nachhinein die notwendigen Änderungen seines Wirtschaftsverfassungsrechts, seiner Wirtschaftsgestaltung, vollziehen kann oder ob es nicht auch und eher denkbar ist, daß ihm die Verfassung einen ständigen Auftrag mitgegeben hat, entsprechend den Bedürfnissen der Zeit, entsprechend den erkennbaren sozialen Wandlungsprozessen, auch die Ausgestaltung des Wirtschaftssystems vorweg zu bedenken und vorweg zu ordnen. Alle Erfahrungen, die wir bisher sammeln konnten, zeigen, daß dieses Vorwegdenken zum entscheidenden Dilemma der staatlich-demokratischen Ordnung gehört; in der Regel sind Gestaltungsvorgänge nachträgliche Korrektur-und Ergänzungsvorgänge. Die Frage ist, ob dies so bleiben muß.

V. Erkennbare Tendenzen des wirtschaftlichen, technischen und sozialen Wandels

Es ist nicht so, daß wir nicht abschätzen könnten, welchen Problemlagen wir entgegengehen und entgegensehen müßten. Daran liegt es offensichtlich nicht, wenn über die Nachträglichkeit der Gestaltungsvorgänge im wirtschaftsrechtlichen Bereich wird. Der geklagt Staat hat sehr häufig selbst durch entsprechende Gutachten mehr Übersichtlichkeit in die Fülle der herannahenden Probleme hineingebracht. Allerdings sind derartige Gutachten nicht immer veröffentlicht und in der Öffentlichkeit — nicht zuletzt wegen ihres umfassenden Charakters — häufig nicht genügend beachtet worden. Dies gilt vor allem für das jetzt seit drei Jahren vorliegende Gutachten zum wirtschaftlichen und sozialen Wandel der Bundesrepublik, ein Gutachten, das im

Auftrag der Bundesregierung von Wissenschaftlern sowie Vertretern der Arbeitgeber und der Gewerkschaften erstellt wurde

Folgende Punkte dieses Gutachtens erscheinen besonders relevant, wenn man über die künftige Gestaltung des Wirtschaftssystems der Bundesrepublik Deutschland nachdenkt: a) Perspektiven des wirtschaftlichen Wandels Hier kann heute ein anhaltender Wandel zwischen den Wirtschaftssektoren (primärer, sekundärer, tertiärer Sektor) sowie auch innerhalb des sekundären (Industrie-) Sektors durch das immer stärkere Hervortreten dominanter Branchen beobachtet werden. Hierher gehört die Veränderung der Unternehmensgrößen, die Verdrängung der kleinen, die Bildung immer größerer, kapitalmäßig zusammengefaßter produzierender Einheiten. Zum wirtschaftlichen Wandel gehören die Veränderungen zwischen den Industriewirtschaften im Weltmaßstab und der Wandel ihres Verhältnisses zu den Staaten der Dritten Welt. Stets stellt sich dabei für die Bundesrepublik das Problem, ob und wie lange noch der Exportüberschuß in der bisherigen Form gehalten werden kann, ob die Bundesrepublik konkurrenzfähig bleiben kann, sowohl gegenüber den anderen Industriewirtschaften, wie etwa derjenigen Japans, als auch gegenüber den langsam industrialisierten Ländern der Dritten Welt, die vor allem im Bereich der Produktion von Massengütern häufig sehr viel billiger als die Bundesrepublik sein können. Wie werden Anpassungsprozesse an die weltwirtschaftlichen Entwicklungen innerhalb der Bundesrepublik verlaufen, wer steuert sie? Der „Markt"? Der Staat? Man lese hierzu das hochinteressante Buch von Volker Hauff und Fritz Scharpf über die „Modernisierung der Volkswirtschaft"

Zu den Problemen und Perspektiven des wirtschaftlichen Wandels gehören immer offenkundiger an erster Stelle die Energie-und die Rohstoffversorgung. Was kann an die Stelle des ehedem so billigen Öls treten? Muß der Staat die Erschließung neuer Energiequellen nicht nur finanziell fördern, sondern selbst in irgendeiner geeigneten Form forcieren? Ist nicht das Vertrauen auf die Kräfte des „Marktes" gerade in diesem Punkt ein unannehmbares Risiko für die gesamte Bundesrepublik?

über die Weltrohstoffe, ihre Preise, ihre Verteilung und ihre Sicherung wird seit Jahren international gestritten. Gerade die Bundesrepublik als rohstoffarmes und exportorientiertes Land hat ein elementares Interesse an einer langfristigen Sicherung der Rohstoffversorgung. Auch hierbei stellt sich wieder die Frage, ob nicht der Staat stärker als bisher seine Sicherungsfunktion wahrnehmen muß.

Zu den Perspektiven des wirtschaftlichen Wandels gehört schließlich nicht zuletzt die Frage, wie denn eigentlich die 1966/67 so erfolgreiche Politik der Krisenüberwindung durch eine forcierte global-quantitative Wachstumspolitik heute noch durchgehalten werden kann. In bezug auf die Energie lautet die konkrete Frage, wie schnellstmöglich der fatale Gleichschritt zwischen Sozialprodukt-wachstum und Wachstum des Energieverbrauchs unterbrochen werden kann. Wie aber erzwingt man diese Unterbrechung? Auch die Schäden für die Umwelt aufgrund wirtschaftlicher Aktivitäten können heute nicht mehr ignoriert werden. Zwar erhöhen auch jene Leistungen, die im Anschluß an Schädigungen für die Beseitigung der Schäden (z. B. Abfallbeseitigung) erbracht werden, das nominale Sozialprodukt. Jedoch ist dies natürlich kein vertretbares Wachstumskonzept. Die Beeinträchtigungen der Luft, des Bodens und des Wassers durch die industrielle Produktion müssen beseitigt oder doch wenigstens minimiert werden. Dafür sind effiziente Konzepte und Instrumente erforderlich, die bis heute noch nicht gefunden und durchgesetzt wurden. b) Perspektiven des technischen Wandels Hierher gehören alle Probleme der technologischen Revolution in manchen Industriezweigen und in zahlreichen Produktionsverfahren, aber auch in fast allen Dienstleistungsbereichen, vom Handel bis zu Versicherungen, Büros und Verwaltungen. Auch wenn man davon ausgeht, daß technischer Fortschritt den Menschen nützt, kann man aber die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß die Technik Menschen als Produzenten verdrängt, daß es technologisch bedingte Arbeitslosigkeit gibt. Dies ist — wegen der damit verbundenen „Dequalifizierungen" der Arbeitnehmer — gleichzeitig ein Problem des sozialen Wandels. Nützlich und notwendig kann der technische Fortschritt vor allem dann sein, wenn er nicht nur billigere Produktion und Verfahren ermöglicht, sondern zugleich Chancen schafft für humanere Arbeitsvollzüge und Arbeitsbe-B dingungen. Derartige Chancen zu nutzen, ist gewiß nicht allein, ja nicht einmal vordringlich Aufgabe der staatlichen Verwaltung, sondern in erster Linie der Tarifparteien. Kollektiv-rechtliche Regelungen werden sich gewiß nicht immer so ausschließlich wie in der Vergangenheit allein auf die Lohnhöhe beziehen.

Betriebsräte und Arbeitgeber, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind stärker denn je aufgerufen, die Folgen der technologischen Entwicklung für die arbeitenden Menschen im Sinne humanerer Ausgestaltung der Arbeits-und Lebensbedingungen abzufangen.

Zu den Problemen des technischen Wandels gehören aber auch weniger bekannte Fragen wie die, ob die große Zahl der Erfindungen denn jeweils in einer sinnvollen Weise in so-genannten Basisinnovationen umgesetzt wird, ob wirtschaftliche Macht'und die willkürliche Ausnutzung von Patenten und Rechten nicht eine sinnvolle Nutzung volkswirtschaftlicher Ressourcen erschweren

Stets sieht man sich vor der Frage, wie und durch wen die künftigen Probleme bewältigt werden sollen. Damit ist die Frage angeschnitten, wie denn das Verhältnis zwischen Staat und den Technologen bestellt sein soll. Es ist nicht zuletzt ein Problem der Politikberatung.

Die Berater, die Technologen, sind ja häufig zugleich die Vertreter bestimmter technischer Entwicklungen und bestimmter Investoren. So besteht dann die Gefahr der Fehlleitung öffentlicher Ressourcen zur Stützung des technischen Fortschritts infolge unzulänglichen technologischen Wissens der den Staat und seine Verwaltung lenkenden Personen und Gruppen. Aus diesem Wissen und der Beherrschung von Technologien erwächst Macht, die kontrolliert und sinnvoll im Sinne gesellschaftlichen Fortschritts genutzt werden muß.

Damit sind einige jener Grundfragen ange-* schnitten, mit denen sich heute und morgen die „TA-Forschung" (Technikfolgen-Abschätzung)

zu befassen hat. c) Perspektiven des sozialen Wandels Hier stehen Fragen der Arbeit und der Arbeitsgestaltung, des Wohnens und der Um-Weitgestaltungsowie von Bildung und Freizeit im Mittelpunkt des Interesses, wie und durch wen das Wirtschaftsund Gesellschaftssystem künftige Entwicklungen auf diesen Gebieten meistern kann und soll.

Bezüglich der Arbeitsbedingungen wurde schon etwas gesagt. Besonders wichtig erscheint daneben die Frage, ob nicht technischer Fortschritt und wachsender Wohlstand weitere Arbeitszeitverkürzungen ermöglichen, ja — wegen der technologisch bedingten Arbeitslosigkeit — auch erzwingen. In dieser Hinsicht muß auch die Frage der Verkürzung der Lebensarbeitszeit durch späteren Beginn des Erwerbslebens und weiterer Herabsetzung der Altersgrenze entschieden werden. Es liegt auf der Hand, daß das eine mit dem Ausbildungssystem, das andere mit der Finanzierung des „Rentenalters" zu tun hat. Zu den Perspektiven des sozialen Wandels gehört aber noch mehr: Spätetens mit weiteren Herabsetzungen der Altersgrenze muß intensiver als bisher über sinnvolle Nutzung von Freizeit, hier vor allem im Sinne der Freiheit von Erwerbszwang, nachgedacht werden. Es ist nicht einzusehen, daß ein gesamtes Menschenleben allein unter der Perspektive seiner „Berufstätigkeit" gesehen und beurteilt wird. Wachsender gesellschaftlicher und individueller Wohlstand ermöglichen und erzwingen „Gestaltungen" des Lebens außerhalb der in der Regel abhängigen Beschäftigung; schöpferisches Tun, ja ein hoher Grad an „Selbstverwirklichung" durch handwerkliche, pflegerische oder intellektuelle Betätigungen erscheinen gerade nach „aktiver“ Erwerbstätigkeit möglich. Um-wertungen dieser Art aber kommen nicht von selbst.

Mit gutem Grund widmet das Gutachten der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel der Wohn-Umwelt im weitesten Sinne besondere Aufmerksamkeit. Hiermit ist das Stadt-Land-Verhältnis ebenso berührt wie die Gestaltung der Verhältnisse in sogenannten Ballungsräumen sowie die auch im Grundgesetz angesprochene Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen in den verschiedenen Regionen des Bundesgebietes. Damit sind Fragen der Industrieansiedlung erneut ebenso angeschnitten wie die Gestaltung und Planung der Verkehrsverbindungen — lokal, regional und überregional. Konzepte der Raumentwicklung und der Verkehrsplanung gibt es genug. Sie haben Verbesserungen gebracht. Dennoch sind erhebliche Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit aller Konzepte gerade in diesem Problembereich angebracht. Wirtschaftliche Interessen und föderalistische Kompetenzen sind es vor allem, die diese Zweifel begründen. Die Entwicklung der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland in quantitativer und in struktureller Hinsicht (Geburtenrate, Alters-pyramide, Erwerbstätigkeit und Familien-struktur) ist langfristig schwer, kurz-und mittelfristig jedoch durchaus genauer einzuschätzen. In der Zurückhaltung der Bundesländer bei der Einstellung von Lehrern kommt ein Verhalten zum Ausdruck, das scheinbar der künftigen Entwicklung des Altersaufbaus in der Bundesrepublik (weniger Schüler) Rechnung trägt und doch häufig nur schwer die bewußt ausgelassenen Chancen einer Verbesserung der Ausbildungssituation kaschieren kann. Die hier vorliegenden Zusammenhänge, bis hin zur Finanzierung der Alterssicherung der etwa ab 1995 im Ruhestand befindlichen Personen, müssen deutlicher in Gesamtkonzepte eingehen, d. h.den heute erkennbaren Perspektiven Rechnung tragen und dennoch Gegenwartsgestaltung im Sinne einer Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse beinhalten. Dies zielt auf die verschiedenen „Sozialisationsagenturen". Aber gemeint ist auch das Verhältnis zwischen dem morgen nötigen Qualifikationssystem und den erwarteten Veränderungen im Beschäftigungssystem.

Alle Anmerkungen zum wirtschaftlichen, technischen und sozialen Wandel machen deutlich, daß neue und z. T. ganz andersartige Anforderungen an das Wirtschaftssystem bevorstehen. In unserem Zusammenhang interessieren jetzt die Fragen, die aus den erkennbaren Perspektiven und ihrem detaillierteren Aufweis für die künftige Wirtschaftsordnung und für die Verfassung erwachsen.

VI. Konsequenzen des absehbaren Wandels für das Wirtschaftssystem und die Verfassung der Bundesrepublik

Alle Überlegungen zur Bewährungsfähigkeit des Wirtschaftssystems sollten die Entwicklung der staatlich-politischen „Realstruktur" nüchtern in Rechnung stellen. Für das Thema wichtig erscheinen hierbei vor allem folgende Entwicklungen:

— Der parlamentarische Prozeß wird wesentlich von der Ministerialbürokratie bestimmt. Wirtschaftspolitik und Finanzplanung sind keine zentralen Entscheidungsgegenstände des Parlaments.

— Politik hat wie in anderen westlichen Ländern einen Grad an „Professionalisierung" angenommen, der große und „befreiende" Durchbrüche neuer Konzepte, getragen durch Massenzustimmung, kaum noch zuläßt. Dies hat auch eine „Problem-Ferne" der staatlichen Institutionen zur Folge. — Die politischen Kompetenzen des Länder-parlamentarismus haben abgenommen, das Mitspracherecht der Landesregierungen im Bund über den Bundesrat hat aber infolge der parteipolitischen Polarisierung erheblich an Bedeutung für gesamtgesellschaftliche und gesamtwirtschaftliche Gestaltungen gewonnen. — Die „Politikverflechtung" (Scharpf u. a.) d. h. die enge und exklusive Kooperation der Ressorts von Bund, Ländern und z. T.der Gemeinden unter Einschluß der großen Interessengruppen des jeweiligen Politikbereichs, hat zu einer vertikalen Politikorientierung geführt, die Ressortplanungen im Bereich der Verwaltungen (z. B. Verkehr, Bildung, Wissenschaft, Soziales) erleichtert, aber wegen der damit verbundenen „Fragmentierung" der Gesamtpolitik die gesamtplanerische Willensbildung und Entscheidung der dafür verfassungsmäßig zuständigen Regierungen von Bund und Ländern erschwert. Vor allem wenn zukunftsgestaltende Konzepte eine Umverteilung finanzieller Ressourcen voraussetzen, erweist sich die Fragmentierung der Politik in ressort-mäßig eng kooperierenden Verwaltungen und Interessenverbände als außerordentlich erschwerend.

Neben diesen Grundproblemen der Wirtschaftsgestaltung, die in der staatlich-politischen Struktur der Bundesrepublik angesiedelt sind, sollen hier vor allem folgende Probleme, die sich aus den Perspektiven des sozialen Wandels ergeben, diskutiert werden: a) Steuerungsfragen Das Grundproblem ist die Entwicklung und die Durchsetzung mittel-und langfristiger Strategien zur Steuerung und Sicherung des Wirtschaftswachstums quantitativer und qualitativer Art. Die Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel faßt dies noch weiter und sieht als die zentrale Aufgabe den „Ausbau aktiv gestaltender, längerfristig orientierter Politik" an. Der technische, wirtschaftliche und soziale Wandel müsse „gestaltet" werden. Dieser Grundsatz gilt der Kommission gleichermaßen für die Wachstums-und Strukturpolitik, die Stabilisierungspolitik, die Forschungsund Technologiepolitik, die Räumordnungspolitik, die Umweltpolitik, die Wettbewerbspolitik, die Verbraucher-, Arbeitsmarkt-und Sozialpolitik. „In der Bundesrepublik Deutschland wie in anderen hochindustrialisierten Gesellschaften gewinnen jene Probleme und Aufgaben eine immer größere Bedeutung, die nicht mehr momentan regierend, sondern nur vorausschauend und aktiv gestaltend bewältigt werden können." Deshalb müsse die aktiv gestaltende und längerfristig orientierte Politik systematisch ausgebaut werden. „Diese Politik hat sich an den vom Grundgesetz vorgegebenen Maßstäben zu orientieren und darf nicht zur Einengung und Beschneidung von Freiheitsrechten führen.

Die Frage, die sich hier stellt, lautet: „Ist diese Forderung mit den bisherigen Auffassungen und Konzepten, den bisherigen Mitteln und Instrumenten der Wirtschaftspolitik, mit den bisherigen Prämissen der Wirtschaftsgestaltung erfüllbar?" über ihre Berechtigung wird hier nicht gestritten. Sie erscheint als eine notwendige Konsequenz aus allen Studien über die weitere Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft der Bundesrepublik, nicht zuletzt im internationalen Kontext.

Die Erfahrungen der vergangenen dreißig Jahre beweisen, daß es eine echte Blockade für die Vornahme notwendig gewordener Eingriffe in die privatwirtschaftlichen Prozesse bisher nicht gegeben hat. Zwar gab es und gibt es immer wieder politische und theoretische Auseinandersetzungen über die Zulässigkeit bestimmter Steuerungsmaßnahmen und Staatsinterventionen. Dies hat aber, empirisch betrachtet, die Verwaltung und die Regierungen bisher noch nicht davon abgehalten, auf wirtschaftliche Problemlagen so zu reagieren, wie man es gerade politisch noch durchsetzen konnte. Die Stärke der Problemlage und die politische Konstellation entschieden über den Grad der Intervention, nicht irgendwelche Dogmen und Definitionen über das Wirtschafts„system". Dies gilt auch für den Neoliberalen Ludwig Erhard, als er mit dem Investitionshilfegesetz eine Zwangsanleihe für Industrieunternehmen anordnete und dieses Gesetz 1954 sogar vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hatte. Es gilt für die Finanz-und Wirtschaftspolitik der sechziger Jahre — hier wurde letztlich die Verfassung an Interventionsstrukturen (siehe z. B. „Gemeinschaftsaufgaben") angepaßt. In den Jahren 1955 bis 1958 wurde eine antizyklische Haushaltspolitik im Zusammenhang mit dem sogenannten „Juli-usturm" (der jahrelangen Thesaurierung von Haushaltsmitteln aus nicht verausgabten Posten des Verteidigungshaushaltes) — trotz Ludwig Erhard und Konrad Adenauer — unter Finanzminister Fritz Schaeffer im Höhepunkt neoliberaler Wirtschaftsdoktrin faktisch betrieben. Auch das Haushaltsstrukturgesetz von 1974, mit dem die Bundesregierung z. T. drastische Ausgabenbeschränkungen aufgrund der Finanzlage und der Einnahmenentwicklung vornahm, kann als eine sehr unorthodoxe Intervention ohne nennenswerte Skrupel bezüglich des Wirtschaftssystems angesehen werden.

Neue Problemlagen und zusätzliche Steuerungsbedürfnisse werden somit eine Veränderung und Vertiefung des Steuerungsinstrumentariums erforderlich machen, und es ist nicht zu erwarten, daß derartige Entwicklungen an irgendwelchen „System" grenzen scheitern werden. Der damit häufig zusammenhängende „stille Verfassungswandel", also die Subsumierung neuerer Sachverhalte unter beste-15 hende Verfassungsbestimmungen, wird — wenn nötig — durch eine Anpassung des Grundgesetzes legalisiert. Diese Einschätzung ergibt sich zwingend, wenn man die Ergebnisse dieser kleinen Studie auf die Zukunft anwendet. Dennoch bleiben natürlich zusätzliche Probleme, die sehr skeptisch stimmen: 1. Wenn Problemlagen in erster Linie Veränderungen der Politik bewirken, dann heißt dies, daß die Politik, die Steuerung der Wirtschaft, die Staatsintervention reaktiv ist und bleibt. Dann aber wird ein entscheidender Gesichtspunkt der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel nicht eingehalten und verwirklicht: die „längerfristig orientierte Politik". 2. Die Einführung neuer Konzepte und Instrumentarien zur angemessenen Steuerung der Wirtschaftsprozesse entsprechend neuer Entwicklungen war immer zunächst durch ideologische Auseinandersetzungen, den Parteienstreit, vorübergehend blockiert. Das beste Beispiel ist die Entwicklung in den sechziger Jahren, als die SPD als Oppositionspartei beharrlich die Einführung des Instrumentariums ä la Keynes forderte und die CDU als Regierungspartei dies als unvereinbar mit dem „Wirtschaftssystem" zurückwies — solange Ludwig Erhard Wirtschaftsminister und später Regierungschef war. Nach seinem Sturz, im Zeichen der neuen parteipolitischen Konstellation durch die „Große Koalition", gab es keine Hindernisse mehr für durchgreifende Maßnahmen, auch gesetzlicher Art (Stabilitätsgesetz). Es mag auch in Zukunft lange dauern, bis die ökonomischen Problemlagen parteipolitische Konstellationen hervorbringen, die grundlegendere Veränderungen des Instrumentariums zu angemessenerer Reaktion auf Problemlagen ermöglichen. Unter Umständen kann dies einmal auch zu spät sein, so daß z. B. Massenarbeitslosigkeit nicht mehr behebbar, Energieeinsparungen nicht mehr genug sind. 3. Die Verfassung ist mit ihren Grundfreiheiten und Kompetenzordnungen von zentraler Bedeutung für die weitere Ausgestaltung des Wirtschaftssystems. Sie kann und wird „angepaßt" an neuere Entwicklungen. Es gibt aber vor allem zwei Punkte, in denen dies gar nicht oder nur eingeschränkt möglich ist. Und genau hier könnten dann Blockaden dafür liegen, das Nötige rechtzeitig zu tun und zu planen. a) Die Grundfreiheiten dürfen in ihrem Kern nicht angetastet werden. Keineswegs muß etwa Art. 2 GG stets so extensiv wie zeitweilig in den fünfziger Jahren im Sinne eines allumfassenden Entfaltungsrechts ausgelegt werden. Aber der Kernbereich menschlicher Entfaltungsfreiheit muß unangetastet bleiben. Hier könnten eines Tages die Verfassungsrichter vor der überaus schwierigen Frage stehen, ob und wann eine für die Gesamtwirtschaft und Gesamtgesellschaft dringend notwendige dirigistische Maßnahme noch mit der Wahrung dieses Kernbereichs vereinbar ist. b) Die nach Art. 79 Abs. 3 GG unaufhebbare föderalistische Grundstruktur der staatlichen Willensbildung in der Bundesrepublik, die Mitwirkung der Länder an der Bundespolitik, kann und — man möchte fast sagen — wird sich als Hemmschuh für die sowieso schon überaus komplizierte gesamtstaatlich orientierte Wirtschaftspolitik im Sinne „aktiv gestaltender, längerfristig orientierter Politik" erweisen. Die 1976 dem Bundestag vorgelegte Enquete zur Verfassungsreform (Verfassungs-enquete) hat versucht, für die gesamtstaatliche Entwicklungsplanung formal angemessenere und durchsetzungsfähig erscheinende Lösungen zu finden. Sie erkennt die Probleme und Herausforderungen des sozialen Wandels, den — wie sie es nennt — „Aufstieg mancher Probleme zu überregionaler Bedeutung". Bei der Gesetzgebung soll es deshalb zwar bei der Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder bleiben, für die Bundeszuständigkeit soll aber eine „Bedürfnisklausel" gelten. Der Bund soll Bedürfnissen (Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, Rechtseinheit, Wirtschaftseinheit, geordnete Entwicklung des Bundesgebietes) gesetzgeberisch Rechnung tragen können. Für eine integrierte Planung des Bundes und Länder wird eine „Generalklausel" (neuer Art. 28 a) vorgeschlagen. Der Bundestag hat diese Fragen bis heute nicht diskutiert. Dies ist ein wenig ermutigendes Zeichen für die hier angesprochene Frage nach der Steuerungsfähigkeit in der Zukunft. b) Verteilungsfragen Die Kompetenzen des Staates sind auf wichtigen Gebieten nicht unbestritten, vor allem bei der Festsetzung der Lohn-und Arbeitsbedin-gungen. Der Staat kann in diesem Punkt kaum Neugestaltungen vornehmen, ohne dabei fundamentale, auch historisch gewachsene Prinzipien zu verletzen, d. h., er soll und muß die Autonomie der Tarifparteien respektieren. Dies bedeutet natürlich eine erhebliche Verantwortung dieser Tarifparteien in der Nutzung ihrer Autonomie. Auch sie müssen sich den Herausforderungen des sozialen Wandels stellen, die Zukunft auf ihren Handlungsgebieten „gestalten". Auch hierbei sollte man sich keine Illusionen machen. Denn erfahrungsgemäß bedeutet hier die Wahrnehmung einer verantwortlichen Position eine nicht unproblematische Zwitterstellung der Agierenden zwischen der Kompromißbereitschaft gegenüber der anderen Tarifpartei und der Wahrung der Integrationsfähigkeit gegenüber den jeweiligen Mitgliedern.

Eine weitere wichtige Verteilungsfrage der Zukunft scheint zu sein, was bei geringerem Wachstum oder gar einer Art „Null-Wachstum" sozialpolitisch, gesellschaftspolitisch geschieht. Kommt es zu schweren Verteilungskämpfen? Kann die Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung derartige Kämpfe durchhalten, ohne dem Druck zu massiver Intervention, die an die Grundlagen geht, nachzugeben c) Gesellschaftliche Neuorientierungen Dies alles führt immer wieder zu der Frage, ob die gesamtstaatlichen Verantwortlichkeiten gegenüber gesellschaftlichen Vorgängen nicht stärker im Bewußtsein der Bevölkerung verankert werden müßten. Es geschieht wenig oder nichts, um die Bevölkerung auf derartige Probleme der Steuerung und der Wachstumseingrenzungen und die damit möglicherweise verbundenen sozialen Folgen vorzubereiten.

Läßt sich aber ein „Umdenken" mit den bisherigen Mitteln bewirken? Die gegenwärtige Energiedebatte ist ein gutes Beispiel für die Ingangsetzung und Entwicklung eines solchen Umdenkungsprozesses, ohne daß schon Wertungen möglich erscheinen. Gemeint ist hier aber auch das sogenannte „Anspruchsdenken" überhaupt, das eine logische und menschliche verständliche Folge der wirtschaftlichen Erfolge der Vergangenheit ist. Es wird aber in der Zukunft immer problematischer sein, da die Ansprüche nicht mehr wie früher befriedigt werden können. Wer vermag Einsichten in diese Zusammenhänge bei der Bevölkerung zu erzeugen? Wer: der Staat, „die Wirtschaft", gesellschaftliche Großorganisationen, die Kirchen? Wer soll hierfür „zuständig" sein?

Fazit

Es kommen offensichtlich neue und grundsätzliche Probleme auf die gegenwärtige Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik zu. Wenn wir Glück haben, ist dies ein Prozeß, der die Verhältnisse unmerklicher verändert als wir , es befürchten müssen. Am schwierigsten sind sprunghaft auftretende Problemlagen, wie es die Ölkrise des Jahres 1973 war, eine Massenarbeitslosigkeit im Winter sein könnte.

enkbare akute Krisen sind des weiteren Rohstoffkrisen, Exportrückgänge durch Sperrungen politischer Art, Kernkraftkatastrophen.

Das Grundgesetz ist nach meiner Ansicht erwiesenermaßen mehr als ein „Schön-WetterSchiff", wie man in Abwandlung eines Wortes des Ökonomen Ohm zur sozialen Marktwirtschaft sagen könnte. Es kann aber nur Bestand haben, — wenn es in bezug auf die gegenwärtige Wirtschaftsordnung so gesehen wird, wie es das Bundesverfassungsgericht wieder im Jahre 1979 bestätigt hat. Die Verfassung bedeutet Bewahrung eines Kernbereichs menschlicher Grundfreiheiten, verlangt Respekt vor individuellen Abwehr-und Anspruchsrechten, aber sie kennt kein verfassungsmäßig ein für allemal verankertes „System";

— wenn die Interpreten der Verfassung, zu denen die Politiker mit den Gesetzen, die sie machen, und ihrem politischen Stil ebenso gehören wie die Richter und die Juristen, mit den künftigen Aufgaben und Herausforderungen fertig werden und damit auch neue Wege zu gehen bereit sind. Dann vermag sicher diese Verfassung Bestand zu haben. Jeder, der die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland studiert und analysiert, wird eine Fülle von unerwarteten Flexibilitäten und Fähigkeiten in der Politik der Bundesrepublik konstatieren können. Auf der anderen Seite gibt es jedoch erheblichen Anlaß, unsicher zu sein, ob die bisherigen Denkstile und Denkrichtungen, die doch häufig sehr am „Systemdenken" orientiert sind, überwunden werden können. Wie oft hört man, dies sei doch gerade noch „marktwirtschaftlich vertretbar" und jenes sei es eigentlich nicht mehr. Immer sind es politische Gründe oder ideologische, die derartige Redewendungen bedingen. Solche Einstellungen und Verhaltensweisen erzeugen ein verstelltes Verhältnis zu den tatsächlichen Problemen und zu den Lösungsmöglichkeiten, für deren Entwicklung das Grundgesetz ausreichende Chancen eröffnet, sei es im Rahmen der gegenwärtig bestehenden Verfassungsbestimmungen, sei es durch die Vornahme der notwendigen Änderungen unter Wahrung der Wesensgehalte von Grundrechten und Kompetenzzuweisungen. Dies herauszuarbeiten, war Aufgabe und Zielsetzung des Beitrages.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Nach wie vor am deutlichsten in der Alternative: K. Paul Hensel, Grundformen der Wirtschaftsordnung. Marktwirtsthaft — Zentralverwaltungswirtschaft, München 1972, und Werner Hofmann, Grundelemente der Wirtschaftsgesellschaft. Ein Leitfaden für Lehrende, Reinbek 1969 ff.

  2. Vgl. ORDO-Modell und Konfliktgesellschaft. Zur Problematik der Lehre von der „Wirtschaftsordnung" der Bundesrepublik Deutschland, in: Gegenwartskunde Heft 4/1966.

  3. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorn 1. 3. 1979, AZ 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78. Vgl. hierzu u. a. Norbert Reich, Die wirtschaftsverfassungsrechtliche Offenheit und Neutralität des Grundgesetzes, in: Gegenwartskunde Sonderheit 1/1979, sowie in: Verfassungsgericht und Politik. Kritische Beiträge zu problematischen Urteilen, hrsg: von Wolfgang Däubler und Gudrun Küsel, Reinbek 1979; ebda. auch: U. Mückenberger, Mitbestimmung und . Funktionsfähigkeit'der Unternehmen. Zum Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgerichts.

  4. Vgl. hierzu etwa Wolfram Fischer, Deutsche Wirtschaftspolitik 1918— 1945, Opladen 1968 ff.

  5. Hierzu Hans-Hermann Hartwich, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Status quo, Opladen, 1970, 2. Aufl. 1977. Zum Sozialstaatspostulat kritisch in gewisser Fortführung: ders., Sozialstaatspostulat und sozialer Wandel. Eine historisch-politische Bilanz 1949— 1979, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Heft 12/1979, S. 733 ff. Zur Diskussion u. a. noch: Sozialstaatspostulat und Wirtschaftordnung, hrsg. von Otto Ernst Kempen, Frankfurt/M. 1976.

  6. Wie stark die Entstehung wirtschaftspolitischer Konzeptionen und damit die Definition dessen, was anschließend „Wirtschaftssystem" genannt wird, von politischen Konstellationen und Auseinandersetzungen abhängt, zeigt besonders eindringlich: Gerold Ambrosius, Die Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft in Westdeutschland 1945— 1949, Stuttgart 1977.

  7. Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, hrsg. von E. Eucken und P. Hensel, Bern u. Tübingen 1952. Vgl» im übrigen die „ORDO-Jahrbücher“: ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Godesberg, Düsseldorf usw. 1948 ff.

  8. Vgl. zur Einführung am besten das Stichwort „Keynesianismus" in: Wörterbuch der politischen Ökonomie, hrsg. von G. v. Eynern, Opladen 1973; dann: Bernhard Gahlen u. a„ Volkswirtschaftslehre. Eine problemorientierte Einführung, München 1971 ff.; sowie: Jahresgutachten 1965 ff.des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Stuttgart 1966 ff.

  9. Vgl. hierzu neuerdings: Hans-Hermann Hartwich und Friedrich-Wilhelm Dörge, Strukturpolitik — Aufgabe der achtziger Jahre. Fachwissenschaftliche Analysen und didaktische Planungen, Opladen 1980.

  10. BVerfGE 4, 7 (17f.), in: NJW 1954, S. 1235ff. Zur Diskussion über die Urteile von 1954 und 1979 in bezug auf die hier aufgeworfenen Fragen s. a.: Martin Kriele, Recht und Politik in der Verfassungsrechtsprechung (dort der Abschnitt über die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes), sowie ders., Wirtschaftsfreiheit und Grundgesetz, beides in: Martin Kriele (Hrsg.), Legitimitätsprobleme der Bundesrepublik, München 1977. Hier sollte auch besonders einbezogen werden: Norbert Reich, Möglichkeiten zu einer alternativen Wirtschaftspolitik nach dem Mitbestimmungsurteil?, in: Däubler/Küsei (Hrsg.), Verfassungsgericht und Politik, a. a. O., S. 79 ff.

  11. Hans Carl Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 1961.

  12. Archiv des öffentlichen Rechts (AÖR), 100. Band 2/1975, S. 335 ff.

  13. Wirtschaftlicher und sozialer Wandel in der Bundesrepublik. Gutachten der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel, Göttingen 1977. Zu diesem Gesamtgutachten gibt es 140 Einzelbände, Forschungsaufträge, die von der Kommission vergeben worden waren. Zur Diskussion über sozialen Wandel noch: Wolfgang Zapf (Hrsg.), Lebensbedingungen in der Bundesrepublik. Sozialer Wandel und Wohlfahrtsentwicklung, Frankfurt/M. New York 19782, und Joachim Matthes (Hrsg.), Sozialer Wandel in Westeuropa. Verhandlungen des 19. Deutschen Soziologentages in Berlin 1979, Frankfurt/M., New York 1979.

  14. Volker Hauff und Fritz W. Scharpf, Modernisierung der Volkswirtschaft. Technologiepolitik als Strukturpolitik, Frankfurt/M. 1975. Interessant nach wie vor hierzu, vor allem für Lehrer: Gerald Braun, Politische Ökonomie für den Sozialkundeunterricht, Hamburg 1976, sowie Hermann Adam, Brauchen wir eine neue Wirtschaftspolitik, Köln 1977.

  15. Vgl. hierzu u. a. Gerhard Mensch, Das technologische Patt. Innovationen überwinden die Depression, Frankfurt/M. 1977. Auch: Gutachten der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel, a. a. O.

  16. Vgl. z. B. U. Thaysen, Parlamentarisches Regierungssystem in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1976 ff. In einer zu positiven Darstellung: Herbert Schneider, Länderparlamentarismus in der Bundesrepublik, Opladen 1979. Neuerdings, kritisch, auch mit „sektoralen Analysen“ (Agrarpolitik, Gesundheitspolitik) sowie „Daten zur politischen und sozioökonomischen Entwicklung der Bundesrepublik: Wolf-Dieter Narr und Dietricht Thränhardt (Hrsg.), Die Bundesrepublik Deutschland. Entstehung, Entwicklung, Struktur, Königstein/Ts 1979.

  17. Fritz W. Scharpf/Bernd Reisser/Fritz Schnabel, Politikverflechtung: Theorie und Empirie des kooperativen Föderalismus in der Bundesreptblik, Kronberg/Ts. 1976, sowie Joachim Jens Hesse (Hrsg.), Politikverflechtung im föderativen Staat. Studien zum Planungs-und Finanzierungsverbund zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, Baden-Baden 1978.

  18. Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, Drucksache 7/5924 vom 9. 12. 1976: Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform.

  19. Siehe auch zur Sachlage und zu „Strategien der Verteilungspolitik ohne Gefährdung des Wachstums" (Christof Helberger): Hans-Jürgen Krupp (Hrsg.), Umverteilung im Sozialstaat. Empirische Einkommensanalysen für die Bundesrepublik, Frankfurt/M., New York 1978. Zur möglichen Rolle der selbstverwalteten Sozialversicherungen in bezug auf die Anpassungen der Sozialmedizin an veränderte Problemlagen u. ä. Fragen: Sozialpolitik und Selbstverwaltung. Zur Demokratisierung des Sozialstaates, hrsg. vom WSI, Köln 1977.

Weitere Inhalte

Hans-Hermann Hartwich, Dr. rer. pol., geb. 1928, Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Arbeitsmarkt, Verbände und Staat 1918— 1933, Berlin 1967; Politik im 20. Jahrhundert (Hrsg. u. Autor), Braunschweig 1964 (7. Auflage 1977); Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Status quo, Opladen 1970 (2. Auflage 1977); Wirtschaftsdemokratie und Theorie vom sozialen Rechtsstaat (PVS), 1971; Organisationsmacht gegen Kapitalmacht — Die Gewerkschaften in der Interessenstruktur der Bundesrepublik (Vetter-Festschrift), 1977; Grundgesetz und sozialer Wandel (Hrsg. u. Autor), 1979; Sozialstaatspostulat und sozialer Wandel (GWU), 1979; Strukturpolitik — Aufgabe der achtziger Jahre (Autor und Hrsg. zus. mit Friedrich-Wilhelm Dörge), Opladen 1980.