Zivildienst zwischen Ersatzdienst und Alternativdienst
Nikolaus Jaworsky
/ 34 Minuten zu lesen
Link kopieren
Zusammenfassung
Die Institution „Zivildienst" hat sich von bescheidenen Anfängen her im Verlauf weniger Jahre zu einem nicht unbedeutenden sozialen Faktor entwickelt. Die soziale Bedeutung steigt weiter mit der zunehmenden Zahl von Dienstleistenden, der zunehmenden Qualität der von ihnen erbrachten Dienstleistungen und ihrer besseren Ausbildung. Kapazitätsgrenzen auf dem sozialen Sektor sind noch nicht erkennbar; vielmehr bestehen gerade im individuellen Pflegebereich und im Bereich der ambulanten sozialen Dienste Bedarfsfelder, auf denen Zivildienstleistende sinnvoll (auch im Sinne der Kriterien des Bundesverfassungsgerichts) eingesetzt werden können. Bei dem erforderlichen quantitativen und qualitativen Ausbau des Dienstes ist deshalb kein ersichtlicher Grund erkennbar, den sozialen Bereich als Kernbereich der Betätigungsfelder aufzugeben. Die Einbeziehung anderer allgemeinwohl-orientierter Tätigkeitsfelder wird dadurch nicht ausgeschlossen. Zivildienst ist ein gleichwertiger, nicht ein dem Wehrdienst gleichartiger Dienst. Die in der Praxis schwierige Aufgabe besteht darin, zwei von ihren Funktionen und von ihrer Organisation her so verschiedene Einrichtungen wie Bundeswehr und Zivildienst der jeweiligen Eigenart entsprechend so auszugestalten, daß die Gleichgewichtigkeit der Belastungen für den einzelnen Dienstleistenden innerhalb des jeweiligen Dienstes, aber auch im Verhältnis der Dienste zueinander alles in allem gewährleistet ist. Die bei den Platzzahlen fast explosive Entwicklung des Zivildienstes hat zu einigen Problemen geführt, die nicht verharmlost, aber auch nicht überbewertet werden dürfen. Bei ihrer Behebung sollte die „Integrationsstrategie" des Zivildienstes, die sich bewährt hat, grundsätzlich beibehalten werden. „Abschreckung" vor der Inanspruchnahme eines Grundrechts paßt nicht in unser Grundrechtssystem und unser in 30 Jahren gewachsenes Verständnis im konstruktiven Umgang mit Minderheiten. Vielleicht würde Theodor Heuss, lebte er heute, seinen Satz vom „Massenverschleiß" des Gewissens so nicht mehr aufrechterhalten angesichts eines Zivildienstes in der derzeitigen Größenordnung, zu dem es in der westlichen Staatenwelt trotz gewisser Mängel keine Entsprechung gibt.
Die Geschichte der Kriegsdienstverweigerung in der Bundesrepublik ist streckenweise zugleich die Geschichte der Emanzipation des Zivildienstes vom ungeliebten Ersatzdienst zum sozial weitgehend anerkannten und integrierten „Alternativ" dienst für Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen. „Alternativ“ dienst bedeutet kein freies Wahlrecht zwischen den Diensten. Das Tatbestandsmerkmal „aus Gewissensgründen" in Artikel 4 Abs. 3 des Grundgesetzes beschränkt die Alternative
I. Die Entwicklung bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes
Während des Ersten Weltkrieges und noch kurz danach wurden zwar Kriegsdienstverweigererorganisationen gegründet (z. B.der Internationale Versöhnungsbund, die Internationale der Kriegsdienstgegner, der Internationale Zivildienst), gleichzeitig aber die Kriegsdienstverweigerer wegen Wehrkraftzersetzung unter Androhung der Todesstrafe verfolgt. Während des Zweiten Weltkrieges kamen insbesondere verweigernde Zeugen Jehovas zu Hunderten in Konzentrationslager. Erst das Fiasko der totalen Niederlage 1945 und die damit einhergehende Bewußtseinsänderung in der Bevölkerung und bei maßgeblichen Politikern machten den Weg frei für eine staatliche Tolerierung der Kriegsdienstverweigerung. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen zunächst Baden und Berlin in ihre Verfassungen das Recht zur Kriegsdienstverweigerung auf.
So heißt es in der Verfassung von Baden vom 22. Mai 1947: „Artikel 3: Niemand kann zur Wehrpflicht gezwungen werden. Kein badischer Staatsbürger darf zur Leistung militärischer Dienste gezwungen werden."
In Artikel 21 Abs. 2 der Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 lautet der entsprechende Passus: „Jedermann hat das Recht, Kriegsdienst zu verweigern, ohne daß ihm Nachteile entstehen dürfen." auf diejenigen, die von ihrem Gewissen zu ihrer Verweigerung motiviert und angetrieben werden. Interesse und Engagement an und in sozialen Tätigkeiten, Freude am Umgang mit alten, kranken und behinderten Menschen allein reichen deshalb für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nicht aus, so ehrenhaft und lobenswert sie im Einzelfall auch sein mögen. Beide Entwicklungslinien — Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst — sollen hier skizzenhaft verdeutlicht werden.
Auch Bayern und Württemberg erließen ähnliche Gesetze. Diese landesrechtlichen Bestimmungen vor 1949 schränkten das Recht zur Kriegsdienstverweigerung in keiner Weise ein. Erst durch das Grundgesetz vom 23. Mai 1949 erfolgte in Artikel 4 Abs. 3 eine bundeseinheitliche Regelung der Kriegsdienstverweigerung, die gegenüber den zurücktretenden Landesregelungen insofern eine Einschränkung brachte, als die Kriegsdienstverweigerung nur aus Gewissensgründen anerkannt wurde.
Die Väter unserer Verfassung waren sich zunächst über die Behandlung des Problems der Kriegsdienstverweigerung, insbesondere die Frage der Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in das Grundgesetz, nicht einig. Der vom 10. bis 26. August 1948 auf Herrenchiemsee tagende „Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen 'Besatzungszonen", der die Tätigkeit des von den Länderparlamenten gewählten Parlamentarischen Rates vorbereiten sollte, schlug seinerseits keine Bestimmung über die Kriegsdienstverweigerung vor.
Erst in der 26. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates beantragte die Abgeordnete Nadig (SPD) die Behandlung eines Antrags der SPD-Fraktion auf Aufnahme folgender Bestimmung über die Kriegsdienstverweigerung: . Jedermann ist berechtigt, aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern." Der Ausschuß nahm diesen Antrag in der modifizierten Fassung Hermann von Mangoldts (CDU) und Seebohms (DP) an. In Frage gestellt wurde die neue Bestimmung in der 2. Lesung des Hauptausschusses am 18. Januar 1949 von dem späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss mit folgenden Worten: „Ich bitte, Absatz 5 zu streichen. Ich will keine große Debatte darüber entfachen, aber ein paar Dinge dazu sagen. Die Stellungnahme zu Absatz 5 dieses Artikels kann ihrer Natur nach keine Parteiangelegenheit sein. Sie ha-ben bei der ersten Abstimmung gesehen, daß innerhalb der CDU keine einheitliche Haltung vorhanden war. Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei, mit denen ich mich unterhalten habe, waren derselben Auffassung wie ich, daß der Artikel da nicht hineingehört. Ich bin mir durchaus bewußt, daß es etwas seltsam erscheinen mag, das Gespräch darüber zu führen. Nur muß man es dann auch im Plenum machen, obwohl mir daran nicht viel liegt. Ich bin mir meiner Hilflosigkeit ganz sicher, wenn wegen dieses Antrages die sogenannten Militaristen sagen werden: Gott sei Dank, da ist noch einer vom alten Schrot und Korn gewesen. Ich bin auch hilflos, wenn die sogenannten Pazifisten feststellen werden, daß sich wieder ein Reaktionär gemeldet hat. Ich habe aber an diesen Dingen die Empfindung, man muß sehen, mit sich selber im reinen zu bleiben. Ich glaube, für meine Meinung, daß dieser Absatz gestrichen werden muß, spricht so etwas wie ein historisches Stilgefühl. Wir sind nämlich jetzt dabei, ein Werk der Demokratie zu schaffen. Die allgemeine Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie, seine Wiege stand in Frankreich. Mir scheint es unmöglich zu sein, daß wir in diesem Augenblick, in welchen wir eine neue Fundamentierung des Staates vornehmen wollen — auch wenn ich mir durchaus darüber klar bin, daß wir kein Militär mehr im alten Sinne bekommen werden; ich will das auch nicht —, daß wir in dieser Situation nur mit einer solchen Deklaration kommen. Sie ist dann eine berechtigte Angelegenheit, wenn man sich entschließt, das in irgendeinem Gesetz zu machen, wie es für die Quäker, die Menoniten usw. in der angelsächsischen Welt vorliegt. Aber wenn wir jetzt hier einfach das Gewissen einsetzen, werden wir im Ernstfall einen Massenverschleiß des Gewissens verfassungsmäßig festlegen." Hierauf entgegnete der Abgeordnete Dr. Carlo Schmid (SPD):
„Ich möchte hoffen, daß sich niemand finden wird, der aus den Worten des Kollegen Dr. Heuss irgendwelches Argument für eine sogenannte . militärische Gesinnung'oder bellizistische Aspirationen zieht. Ich möchte trotzdem gegen Sie sprechen, Herr Kollege Dr. Heuss. Ich glaube, es handelt sich bei diesem Absatz nicht so sehr darum, gewissen Leuten die rechtliche Möglichkeit zu geben, sich im Falle eines Krieges vor dem Totgeschossenwerden zu bewahren. Ich glaube, daß in einem künftigen Krieg die Gefahren auf die Kombattanten und die Nichtkombattanten ziemlich gleichmäßig verteilt sein werden. Vielleicht werden die letzteren sogar noch bitterer für die Torheiten der Staatsmänner büßen müssen, die einen Krieg verschuldet haben könnten. Es handelt sich vielmehr darum, daß jemand, der es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, auch im Falle eines Krieges einen anderen zu töten — darum handelt es sich in erster Linie —, die Möglichkeit haben soll, zu sagen: Ich will in dieser Not meines Vaterlandes meinen Dienst auf andere Weise tun können als auf diese Weise. Dafür sollten wir die rechtliche Möglichkeit schaffen ... Wenn Sie glauben, daß im Falle eines Krieges wegen dieses Artikels ein billiger Verschleiß von Gewissen stattfinden würde, so bezweifele ich, ob das richtig ist. Ich glaube, es wird im Kriegsfall mehr Zivilcourage dazu gehören, zu sagen: Ich berufe mich auf diesen Artikel und nehme kein Gewehr auf die Schulter', als Courage dazu gehören wird, einem Gestellungsbefehl Folge zu leisten."
Ähnlich äußerte sich auch der Abgeordnete Dr. Eberhard (SPD):
„Ich glaube durchaus, daß man weder die Demokratie noch den Frieden unter allen Umständen einfach durch ein Bekenntnis zum Frieden oder durch ein Bekenntnis zur Kriegsdienstverweigerung verteidigen kann. Trotz-dem bin ich gerade nach diesem furchtbaren Krieg und nach dem totalitären System dafür, einen solchen Absatz hier einzufügen. Herr Dr. Heuss, Sie sprachen von dem Massenverschleiß des Gewissens, den Sie befürchten. Ich glaube, wir haben hinter uns einen Massen-schlaf des Gewissens. In diesem Massenschlaf des Gewissens haben die Deutschen zu Millionen gesagt: Befehl ist Befehl, und haben daraufhin getötet. Dieser Absatz kann eine große pädagogische Wirkung haben, und wir hoffen, er wird sie haben. Denn es wird durch ihn in die Gewissensentscheidung des einzelnen gelegt, ob er einen solchen Befehl für sich gelten lassen will oder, wie Herr Kollege Dr. Schmid sagt, in anderer Weise dem Lande dienen will. Darum glaube ich, gerade in dieser Situation nach dem Kriege und nach dem totalitären System, wo wir Schluß machen müssen mit der Auffassung: Befehl ist Befehl — wenn wir nämlich die Demokratie aufbauen wollen—, ist dieser Absatz angebracht."
II. Die Entwicklung von 1949— 1956
Abbildung 2
Tabelle 2: DieEntwicklung der Dienstplätze
Tabelle 2: DieEntwicklung der Dienstplätze
Die folgenden Jahre standen im Zeichen der großen Debatten um den Wehrbeitrag der Bundesrepublik. Schon bald nach der Kapitulation begann die Diskussion um die deutsche Wiederbewaffnung, insbesondere nach dem Schock der Berliner Blockade 1949. Sie erhielt durch den Koreakrieg 1950 weiteren Auftrieb.
Auf Drängen der Besatzungsmächte erklärte sich Bundeskanzler Adenauer gegenüber den Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs bereit, einen deutschen Beitrag zur Verteidigung Europas zu leisten, wenn dadurch die deutsche Souveränität wiederhergestellt würde. Die Bundesrepublik sollte einen Wehrbeitrag im Rahmen der „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft" leisten.. Die entsprechenden Gesetzentwürfe wurden vom zweiten Deutschen Bundestag Anfang 1954 beraten., Nachdem im Sommer 1954 die Pläne für einen Beitritt der Bundesrepublik zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft gescheitert waren, erfolgten noch im Herbst durch die Pariser Verträge die Vorarbeiten für die Aufstellung deutscher Streitkräfte. Bundeskanzler Adenauer hatte schon am 24. Januar 1952 vor der deutschen und ausländischen Presse erklärt: „Aus der Bestimmung des Artikels 4, daß niemand zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden kann, ergibt sich eindeutig, daß die Erstellung einer Wehr daß niemand zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden kann, ergibt sich eindeutig, daß die Erstellung einer Wehrmacht und die Wehrpflicht als völkerrechtliches Naturrecht eines jeden Staates vom Parlamentarischen Rat auch für die Bundesrepublik anerkannt man hätte sonst ja gar nicht darüber Wurde;
abzustimmen oder zu debattieren brauchen, ob jemand den Dienst mit der Waffe verweigern könne." 3)
In einer Reihe von Gutachten, die von den streitenden Parteien angefordert wurden, tauchten ähnliche Argumente auf. So kam zum Beispiel der Staatsrechtler Prof. Ulrich Scheuner zu dem Ergebnis, daß Artikel 4 Abs. 3 GG unleugbar schon „prima facie" ein Beweis dafür sei, daß mit der Einführung einer Wehrmacht und Wehrpflicht gerechnet werde. Nach Scheuners Vorstellung sollte die Dauer eines Ersatzdienstes zeitlich über die des normalen Wehrdienstes hinausgehen. Auch die Vergütung könnte im Hinblick auf die leichtere Form des Ersatzdienstes vom Wehrdienst abweichend geregelt werden. Organisatorisch sollte der Ersatzdienst unter zivile Leitung gestellt werden. „Die Zusammenfassung der Dienstverweigerer in Lagern zu praktischem Arbeitsdienst erscheint für Friedenszeiten richtig." 4)
Die Auffassungen Scheuners waren gerade für die damalige Zeit außerordentlich umstritten. Repräsentativerhebungen zur Frage der Remilitarisierung hatten bis zur Mitte der fünfziger Jahre ergeben, daß die Konsequenzen einer Wiederbewaffnung von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wurden. Das Sozialprestige von Berufssoldaten wurde nur gering eingeschätzt. Auf der Regierungsseite war man sich dieser Haltung der Bevöl-kerung bewußt und rechnete bei der ersten Musterung 1957 noch mit 25 Prozent Kriegsdienstverweigerern. Scheuner, der großen Einfluß auf die Argumentation der Regierung hatte, sah in dem Artikel 4 Abs. 3 GG gleichwohl lediglich einen staatlichen Akt der Toleranz und zugleich eine Sonderbestimmung zur Duldung einer Minoritätsmeinung ohne deren Billigung.
In der regierungsamtlichen Erläuterung zum Entwurf des neuen Wehrpflichtgesetzes wies die Regierung noch einmal darauf hin, daß das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nur Bedeutung habe, solange es eine allgemeine Wehrpflicht gebe und es ein „Ausnahmerecht" gewähre; denn in allen anderen Gesetzen verlange der Staat auch dann Gehorsam, wenn dieser Gehorsam dem einzelnen Gewissensnot bereite. Sei das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aber ein Ausnahmerecht, so müsse die allgemeine Rechtsregel, daß Ausnahmen strikt auszulegen seien, auch auf den Artikel 4 Abs. 3 Anwendung finden. Darunter sei zu verstehen, daß die angesprochene Gewissensentscheidung sich nur gegen den Waffenkriegsdienst richte. Der Entwurf lehnte daher eine Erstreckung des durch Artikel 4 Abs. 3 gewährten Schutzes über die grundsätzliche Kriegsdienstgegnerschaft hinaus auf situationsgebundene Entscheidungen ab. Das Grundgesetz beruhe auf dem Grundgedanken der repräsentativen Demokratie. Würde man dem einzelnen Staatsbürger in ausdehnender Auslegung des Artikels 4 Abs. 3 die Entscheidung darüber einräumen, ob er in bestimmten politischen Situationen oder gegenüber einem bestimmten Angreifer den Kriegsdienst mit der Waffe auf Grund seiner Gewissensentscheidung leisten wolle, so würde dies einer zusätzlichen Volksabstimmung über die Zweckmäßigkeit der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht oder die bewaffnete Durchführung der Verteidigung in einem bestimmten Falle oder gegen einen bestimmten Angreifer gleichkommen
Der Abgeordnete Merten (SPD) nahm hierzu in der 1. Lesung des Wehrpflichtgesetzes wie folgt Stellung: „Diese staatsrechtlichen Ausführungen in der Begründung des Gesetzes und vor allen Dingen die daran geknüpften Folgerungen verdienen die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses, denn aus ihnen spricht autoritäres Denken, das sich den Staat nicht anders als einen Obrigkeitsstaat vorstellen kann, gegen dessen Entscheidungen es nun einmal keinen Widerspruch geben kann, weil dann der ganze Staat in Frage gestellt würde." Merten hob dann im folgenden hervor, „daß hier wieder einmal die merkwürdige Vorstellung umhergeistert, als tue der Kriegsdienstverweigerer eigentlich etwas Unrechtes, etwas Gemeinschaftswidriges, und als müsse er die Treue gegenüber seinem Gewissen eigentlich durch ein Martyrium erkaufen. Dem kann nicht scharf genug widersprochen werden.“ Auch die enge Auslegung des Grundgesetzartikels durch den § 25 des Wehrpflichtgesetzes im Regierungsentwurf wurde von Merten angegriffen: „Gewissensentscheidungen sind eben nicht vom Religiösen oder vom Ethischen her, sondern Gewissensentscheidungen sind auch vom Politischen und von vielen anderen Grundlagen her denkbar, und sie sind nicht nur denkbar, sondern sie sind sogar erwünscht."
In ähnlicher Richtung äußerte sich auch der Abgeordnete Nellen (CDU), wenn er beklagte, „daß nur das geschützt wird, was ich einen sehr exzessiven Pazifismus nennen möchte. So, glaube ich, kann der Gesetzgeber es nicht gemeint haben ... Denn es ist durchaus möglich, ... daß ich mich allgemein zum Waffendienst oder den Möglichkeiten des Waffendienstes bekenne, daß ich aber aus der heutigen Zeitsituation, aus einer vielleicht einmaligen und konkreten Situation — die in keiner Weise insinuieren würde, daß ich etwas Politisches damit meine, sondern aus der sich ergäbe, daß ich etwas konkret Ethisches damit meine — zu der Überzeugung komme, der Kriegsdienst ist für das eine oder andere Gewissen nicht annehmbar und nicht vollziehbar." In der 3. Lesung des Wehrpflichtgesetzes am 6. Juli 1965 prallte das unterschiedliche Verständnis von Inhalt und Grenzen des Artikels 4 Abs. 3 GG noch einmal heftig aufeinander: Adolf Arndt (SPD) betonte, daß es bei diesem Problem um mehr ginge als bloß um ein Organisationsproblem der Bundeswehr und erläuterte die von der SPD vorgetragene Auffassung, daß eine gesetzgeberische Interpretation oder Legaldefinition des Grundrechts aus Artikel 4 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht zulässig sei und jedenfalls in der Sache dieses Grundrecht nicht so eingeengt werden könne und dürfe, wie dies mit § 25 der Regierungsvorlage geschehen solle „Nicht wir haben aus Anlaß dieser Gesetzesvorlage zu entscheiden, ob eine Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen anerkannt werden soll, sondern das Grundgesetz hat diese Regelung durch seinen 1. und 4. Artikel schon getroffen: Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden, bekennt Artikel 4. Wenn es dort weiter heißt: , Das Nähere regelt ein Bundesgesetz', so kann darin keine Ermächtigung liegen, zu bestimmen, was das Gewissen ist oder welches Gewissen zu Recht oder zu Unrecht schlägt; denn alle Grundrechte, auch das der Kriegsdienstverweigerung, binden nach Artikel 1 Abs. 3 des Grundgesetzes die Gesetzgebung als unmittelbar geltendes Recht...
Aber man hat allerlei Einschränkungen versucht. Erstens hat man gesagt, das Grundrecht gelte nur im Kriege, wobei man sich an den Wortlaut geklammert hat... Dieses Grundrecht ist Fundamentalsatz der Staatsstruktur, aber keine absonderliche Ausnahmebefugnis, sondern eine elementare Norm der Verfassung, die keiner weiteren Bestimmung des an sie gebundenen Gesetzgebers unterliegt. Aber auch in der Sache bestehen Bedenken, ob dieser § 25 selbst in der etwas verbesserten Ausschußfassung dem Grundrecht gerecht wird.
Denn § 25 erkennt seinem Wortlaut nach allein solche Gewissensgründe an, die jeder Waffenanwendung zwischen Staaten entgegenstehen. Diese Formulierung läßt es immerhin zweifelhaft erscheinen, ob sie wirklich den in Betracht kommenden Gewissensgründen angemessen ist... Jeder Versuch, das Gewissen gesetzlich zu normieren, mit anderen Worten, das Gewissen des einen, der sich allgemein zur Gewaltlosigkeit bekennt, als ein beachtliches Gewissen zu erklären, dagegen das Gewissen eines anderen, der es nicht auf sich nehmen kann, mit Atomwaffen zu kämpfen oder auf Soldaten aus seinem eigenen Volke zu schießen, als ein unbeachtliches Gewissen abzuwerten ... Jeder solche Versuch ist eine Überforderung des Gesetzes, kann vor dem Grundgesetz nicht bestehen und endet in Unmenschlichkeit."
III. Die Entwicklung in der Gesetzgebung bis 1971 — insbesondere des Zivildienstrechts
Ein Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, das die Ermächtigung des Artikels 12 a GG in Verbindung mit §§ 25 bis 27 des Wehrpflichtgesetzes ausschöpfte, trat erst am 20. Januar 1960 in Kraft Es lehnte sich in seinen Regelungen für die Heranziehung der Dienstpflichtigen, den Inhalt und die Beendigung des Dienstver-hältnisses, die Straf-, Disziplinar-und Bußgeldvorschriften sowie die Rechtsbehelfe eng an das Wehrrecht an. Die Anlehnung war die gewollte Konsequenz aus der in § 3 des Wehrpflichtgesetzes normierten Qualität des Dienstes der anerkannten Kriegsdienstverweigerer als eine dem Wehrdienst gleichrangige Form der Wehrpflichterfüllung.
Das erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst vom 28. Juni 1965 war mehr technischer Natur und brachte die Ausgliederung der Ersatzdienstverwaltung aus dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und die Übertragung der Durchführung des Gesetzes auf das Bundesverwaltungsamt in Köln. Durch das zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst vom 14. August 1969 wurde der § 15 a in das Gesetz eingefügt. Hiernach wird der anerkannte Kriegsdienstverweigerer nicht zum zivilen Ersatzdienst herangezogen, wenn er den Ersatzdienst aus Gewissensgründen verweigert und bereit ist, zweieinhalb Jahre in einer Krankenoder Heil-und Pflegeanstalt zu arbeiten. Diese Regelung wurde insbesondere wegen der Haltung der Zeugen Jehovas getroffen, die aus Gewissensgründen auch den Zivildienst verweigern und dafür in Kauf nehmen, wegen Dienstflucht mit Freiheitsstrafen belegt zu werden.
Erst das dritte Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst vom 25. Juni 1973 brachte grundsätzliche Neuerungen für die Zivildienstleistenden sowie die Beschäftigungsstellen und die Verwaltung des Zivildienstes. Folgende Änderungen waren und sind für die Zivildienstleistenden besonders wichtig: 1. Der „zivile Ersatzdienst" wurde in „Zivildienst“ umbenannt. Auch wenn Artikel 12 a des Grundgesetzes noch heute von einem „Ersatzdienst" spricht und der Zivildienst sich rechtlich aus der allgemeinen Wehrpflicht ableitet, war doch die zunehmende Sozialrelevanz und Konsolidierung des Dienstes so deutlich geworden, daß diese Betonung einer gewissen Eigenständigkeit geboten erschien. 2. Die gesetzliche Verankerung der Institution des BundesbeauftragteA für den Zivildienst als des bei dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in Fragen des Zivildienstes Verantwortlichen. Die Einsetzung eines Bundesbeauftragten für den zivilen Ersatzdienst geht schon auf einen Kabinettsbeschluß vom 5. November 1969 zurück, dessen Realisierung am 16. April 1970 zur Dienstaufnahme des amtierenden Bundesbeauftragten für den Zivildienst, Hans Iven, führte. Die gesetzliche Festschreibung der neuen Institution erfolgte jedoch erst in dieser Gesetzesnovelle. 3. Die Errichtung eines Bundesamtes für den Zivildienst als selbständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Damit endete die Zuständigkeit der Abteilung IV des dem Bundesminister des Innern unterstehenden Bundesverwaltungsamtes für die Durchführung des Dienstes. 4. Die Berufung eines Beirates für den Zivildienst mit der Aufgabe der Beratung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung in Fragen des Zivildienstes. 5. Die gesetzliche Verankerung von Einführungslehrgängen (Sollvorschrift) mit finanzieller Hilfe des Bundes und durch den Bund selbst sowie von staatsbürgerlichem Unterricht für Zivildienstleistende. 6. Die Einführung von Soldgruppen. 7. Die Möglichkeit einer Umwandlung des Wehrdienstverhältnisses in ein Zivildienstverhältnis, wenn die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer während des Wehrdienstes erfolgt. 8. Die Möglichkeit der „zivildienstfachlichen“ Verwendung. 9. Die Möglichkeit, Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege Verwaltungsaufgaben zu übertragen.
Daneben brachte die Novelle eine Reihe von Verbesserungen für die Zivildienstleistenden, ohne die Grundkonzeption des bisherigen Rechtes anzutasten.
IV. Die Entwicklung bis zum April 1978 — insbesondere die Haltung der Rechtsprechung
War die 3. Zivildienstnovelle im wesentlichen noch ein wichtiges Organisationsgesetz, das den Zivildienst in seiner technischen Durchführung verbessern und bisherige Diskriminierungen der Zivildienstleistenden gegenüber den Wehrdienstleistenden abbauen wollte, so wurde in der Folgezeit der Ruf nach einer grundlegenden Reform der Komplexe Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst immer lauter. Inbesondere hatte sich die nach § 26 des Wehrpflichtgesetzes vorgesehene Prüfung der Gewissensentscheidung in der Praxis zunehmend als ein äußerst schwieriges und auch zweifelhaftes Unterfangen herausgestellt.
In ständiger Rechtsprechung ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, daß das Gewissen in einer im Inneren des Menschen vorhandenen Überzeugung von Recht und Unrecht und der sich daraus ergebenden Verpflichtung zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen bestehe. Der Kriegsdienstverweigerer müsse unter einem moralischen Zwang stehen; sein inneres Bewußtsein müsse ein bestimmtes Verhalten zwingend und unausweichlich fordern. Eine Gewissensentscheidung in diesem Sinne sei jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von „gut“ und „böse" orientierte Entscheidung, die der einzelne in einer bestimmten Lage als für sich unbedingt bindend und verpflichtend innerlich erfahre, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könne.
Eines der am meisten umstrittenen Kernprobleme des Grundrechtes der Kriegsdienstverweigerung war und ist auch heute noch die Frage nach den Anforderungen an den Nachweis einer Gewissensentscheidung. In ständiger Rechtsprechung hob das Bundesverwaltungsgericht erstinstanzliche Urteile auf, die Aufklärungsschwierigkeiten nicht zu Lasten des Kriegsdienstverweigerers gehen und es für eine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ausreichen lassen wollten, daß der Antragsteller aufgrund seines schlüssigen Vortrages als ehrlicher und glaubwürdiger Mensch erschien. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts war es vielmehr erforderlich, konkrete Anhaltspunkte zu ermitteln, die auf den Ernst und die Tiefe der behaupteten Gewissensbildung hindeuteten und die den Schluß zuließen, daß der Wehrpflichtige unter dem inneren Zwang stehe, nicht im Kriege mit der Waffe Menschen töten zu können. Das Gericht räumte zwar ein, der Gesetzgeber habe sich auch mit minderen, zum Beispiel auf die allgemeine Glaubwürdigkeit des Antragstellers abstellenden Voraussetzungen begnügen können, er habe dies aber nicht getan. Es gebe keine Kompetenz der Verwaltungsgerichte, Beweiserleichterungen im Wege der Auslegung oder richterlichen Rechtsfortbildung in das Verfahren einzuführen. Dies sei allein Sache des Gesetzgebers. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte in einem Beschluß vom 23. April 1974 diese Rechtsprechung ausdrücklich 13).
Angesichts dieser zurückhaltenden, eine gesetzliche Reform aber bewußt nicht ausschließenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zeigten sich auf der politischen Ebene schon bald Bestrebungen zur Modifizierung oder gar vollständigen Abschaffung des umstrittenen Prüfungsverfahrens. Nach einem gescheiterten gesetzgeberischen Anlauf 1976 setzte die Koalition mit dem Gesetz vom 13. Juli 1977 zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildfenstgesetzes gegen den politischen Widerstand der Opposition im Deutschen Bundestag vorübergehend eine gesetzgeberische Lösung durch, die im wesentlichen eine Suspendierung des Prüfungsverfahrens für ungediente Wehrpflichtige vorsah, die sich auf Artikel 4 Abs. 3 des Grundgesetzes beriefen, dagegen für Soldaten und Reservisten ein modifiziertes Anerkennungsverfahren beibehalten wollte Die Wirkungsdauer dieses Gesetzes war bekanntlich nur kurz. Es wurde zunächst durch eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts auf Antrag von 215 CDU/CSU-Abgeordneten und einiger Bundesländer außer Vollzug gesetzt und mit Urteil des Zwei-Wie sieht nun der derzeitige Zivildienst aus, was erwartet den sich auf Artikel 4 Abs. 3 des Grundgesetzes berufenden Wehrpflichtigen, wenn er das Anerkennungsverfahren erfolgreich abgeschlossen hat?
Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 13. April 1978 noch einmal ausdrücklich bestätigt hat, ist der Zivildienst keine Wahlalternative für den Wehrpflichtigen, die dieser nach freiem Belieben wählen kann. Eine Alternative zum Wehrdienst stellt er nur für diejenigen dar, die aus Gewissensgründen das Grundrecht für sich in Anspruch nehmen. ten Senats vom 13. April 1978 endgültig für nicht mit der Verfassung vereinbar erklärt. Damit traten das Zivildienstgesetz von 1973 und die Vorschriften des Wehrpflichtgesetzes über das Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer wieder in Kraft.
V. Der heutige Zivildienst
Nach dem Zivildienstgesetz erfüllt der Dienstleistende im Zivildienst Aufgaben, die dem Allgemeinwohl dienen, vorrangig im sozialen Bereich. Zivildienst von derzeit Monaten Dauer wird demgemäß überwiegend in Bereichen geleistet, in denen es um die Betreuung alter, kranker, behinderter und sonstiger hilfebedürftiger Menschen geht. Mitte Oktober 1979 standen über 43000 Zivildienstplätze in über 10000 16) anerkannten Beschäftigungsstellen des Zivildienstes zur Verfügung, wobei wegen des bedrückenden Mangels an verfügbaren Zivildienstleistenden etwa ein Drittel dieser Plätze nicht besetzt war. über die Hälfte der Einsatzplätze entfielen auf die Pflege-und Betreuungsdienste einschließlich des Krankentransportes und der Unfallrettungsdienste. Größte Einzelposten im Bereich der Einsatzfelder waren die Dienste in allgemeinen Krankenhäusern, im Krankentransport und in der Unfallrettung, im organisatorischen Bereich von Kreisverbänden und Geschäftsstellen der Verbände, in Altenheimen, Rehabilitationseinrichtungen, Heimen der offenen Sozialarbeit und in Kinderheimen/Kinderdörfern. Zahlreiche Einsatzplätze standen auch in Heimen für geistig und körperlich Behinderte, Blinde, Taube, Stumme, Süchtige und in Tagesstätten für körperlich Behinderte sowie in Erholungsheimen zur Verfügung. Dagegen fiel der Umweltschutz mit kaum 100 Einsatzplätzen zahlenmäßig nicht ins Gewicht. Es bestehen jedoch Bestrebungen, diesen Bereich erheblich auszuweiten.
In zunehmendem Maße sollen die individuelle Betreuung von Schwerbehinderten und rehabilitationsbedürftigen Menschen sowie die sogenannten mobilen Hilfsdienste u. a. für Aussiedler, ausländische Jugendliche, Suchtgefährdete und sonstige Randgruppen als Ein-Satzmöglichkeiten für Zivildienstleistende ausgebaut werden
Die Dienstpflichtigen leisten den Zivildienst entweder in einer eigens dafür vom Bundesamt für den Zivildienst anerkannten Beschäftigungsstelle des Zivildienstes oder in einer staatlichen Zivildienstgruppe ab. Hier liegt eine der Eigenarten des Zivildienstes, der diesen organisatorisch grundlegend vom Wehrdienst unterscheidet: Die Beschäftigungsstellen werden nicht von der staatlichen Verwaltung, sondern von den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege getragen. Die ordnungsgemäße Durchführung des Dienstes überwacht zentral das Bundesamt für den Zivildienst in Köln, das neuerdings einen Teil der mehr orts-bezogenen Verwaltungsaufgaben auf Verbände übertragen hat. Das Bundesamt besitzt nicht wie die Bundeswehr einen eigenen regionalen Unterbau. Allerdings betreiben so-genannte Regionalbetreuer als Bedienstete des Bundesamtes „vor Ort" Zivildienstverwaltung und sollen in den Regionen die Dienststellen und die Zivildienstleistenden in Fragen des Zivildienstes unterstützen und beraten. Dieser relativ schwach ausgestattete Ansatz einer dezentralen staatlichen Organisation (es gab am 30. Juni 1979 56 Regionalbetreuer, 15 Gruppenleiter [+ 19 Vertreter] und sechs Außendienstmitarbeiter für politische Bildung, außerdem vier staatliche Zivildienst-schulen sowie ein Zivildienstzentrum in Castrop-Rauxel mit staatlichem Personal) würde im Falle eines erheblichen quantitativen Ausbaus des Zivildienstes nicht ausreichen, um eine einheitliche ortsnahe und effektive staatliche Verwaltung sicherzustellen. Es gab daher immer wieder Bestrebungen, die auf einen regionalen Unterbau der Zivildienstverwaltung hinausliefen und eine orts-und „bürger" -nähere Verwaltung gewährleisten sollten.
Der Zivildienst in seiner gegenwärtigen faktischen Ausprägung ist funktional unter verschiedenen Perspektiven zu betrachten, die im einzelnen hier nur kurz angedeutet werden können:
Von der rechtlichen Konstruktion her ist Zivildienst der Dienst, den Wehrpflichtige aufgrund des Artikels 12 a Abs. 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 25 des Wehrpflichtgesetzes anstelle des Wehrdienstes zu leisten haben, wenn sie sich auf Artikel 4 Abs. 3 GG erfolgreich berufen haben, d. h. in einem förmlichen Anerkennungsverfahren ihre Berechtigung, den Dienst mit der Waffe zu verweigern, festgestellt worden ist. Artikel 12 a GG spricht von „Ersatzdienst". Die Ableitung des Zivil-dienstes aus der allgemeinen Wehrpflicht wird durch die Umformulierung des früheren „zivilen Ersatzdienstes“ in „Zivildienst" nicht berührt. Es wäre jedoch abwegig, aus dieser rechtlichen Konstruktion eine mindere Wertigkeit des Zivildienstes gegenüber dem Wehrdienst konstruieren zu wollen. Dies ist wohl auch nicht die Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes. Der Zivildienst stellt vielmehr trotz seiner juristischen Ableitung aus der allgemeinen Wehrpflicht grundsätzlich einen gleichwertigen Dienst dar, der zwar an die Voraussetzung einer Gewissensentscheidung gebunden ist, mit dem der den Dienst mit der Waffe verweigernde Wehrpflichtige aber seine der Gemeinschaft gegenüber obliegende Pflicht ebenso erfüllt wie der Wehrdienstleistende.
Neben der Ausgleichsfunktion des Dienstes als Ersatz für nicht geleisteten Wehrdienst sind deshalb seine sozialen Komponenten und seine sozialpolitischen Möglichkeiten als Instrument sozialpolitischen Handelns in die Betrachtung einzubeziehen. Dies um so mehr, als sich gerade hier in den letzten Jahren Entwicklungstendenzen ankündigten, die dem Zivildienst unbeschadet seines juristischen Ersatzcharakters eine eigenständige und wichtige Funktion im Netz der sozialen Versorgung gerade auch auf den bisher nur unzulänglich versorgten Gebieten der personalen Dienstleistungen zuweisen. Bei dem angestrebten Ausbau des Dienstes bis auf 60000 Plätze kommt es darauf an, das zur Verfügung stehende und noch wachsende Dienstleistungspotential der Zivildienstleistenden im sozialen Sektor so sinnvoll einzusetzen, daß der Dienst mithelfen kann, soziale Lücken zu schließen und Bevölkerungsgruppen mit personalen Dienstleistungen zu versorgen, die hier bislang zu kurz gekommen sind. Wegen der beschränkten Kompetenz des Bundes auf sozialpolitischen Gebieten kann dies nur in enger Zusammenarbeit mit den Ländern, Kommunen und Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege geschehen. Insbesondere auf dem Gebiet der „ambulanten Dienste" treffen sich die Interessen vieler Länder/Kommunen und Wohlfahrtsverbände an einem Ausbau ihrer sozialen Dienstleistungsangebote mit dem staatlichen Interesse an einem sinnvollen und an den einzelnen Dienstleistenden hohe Anforderungen stellenden Zivildienst.
Nicht außer Betracht bleiben sollte die „integrative" Komponente des Dienstes. Hier geht es darum, Kriegsdienstverweigerer als Minderheit durch einen als sinnvoll erfahrbaren und von der Bevölkerung als sinnvoll verstandenen Dienst aus ihrer vielfach noch bestehenden gesellschaftlichen Außenseiterposition herauszuholen. Damit verbunden ist ein Abbau der teilweise noch bestehenden gesellschaftlichen Diskriminierung von Kriegsdienstverweigerern. Hier ist im Bewußtsein der Bevölkerung in den letzten Jahren sicher einiges im positiven Sinne in Bewegung gekommen. Die Entscheidung gegen den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen ist zwar grundsätzlich keine freiwillige Entscheidung fürden Zivildienst. Die Verpflichtung, Zivildienst abzuleisten, ist vielmehr eine Folge dieser Entscheidung. Trotzdem zeigen die Ergebnisse von Motivationsuntersuchungen und andere Indizien, daß die Entscheidung des einzelnen Kriegsdienstverweigerers häufig neben ihrer Ablehnungsfunktion gegenüber dem Waffendienst positiv auch ein erhebliches soziales Engagement beinhaltet. Dieses Engagement kann und sollte während der Dauer des Zivildienstes, somit für eine begrenzte Zeit, in gesellschaftlichen Rand-und Außenbezirken zum Tragen kommen, in Bereichen also, die üblicherweise in unserer Gesellschaft häufig an den Rand des Bewußtseins gedrängt werden Nicht zuletzt durch die zunehmende Arbeitsteilung existieren Barrieren zwischen Gesunden und Kranken, Berufstätigen und Rentnern, sozial Starken und sozial Schwa-chen. Diese Schranken zu durchbrechen ist sehr schwierig für diejenigen, die beruflich — sei es als Pfleger, Ärzte, Fürsorger, sei es im Organisationsbereich — mit den entsprechenden Gruppen zu tun haben. Hier bietet der Zivildienst für die betroffenen Menschen, aber auch für die Zivildienstleistenden selbst, eine Chance. Zivildienstleistende sind nur vorübergehend in diesen Bereichen tätig. Dadurch können sie relativ zwanglos eine Mittlerposition zwischen der Gesellschaft und ihren Randgruppen einnehmen. Sie zeigen zudem nach neueren vergleichenden Untersuchungen vielfach Einstellungs-und Verhaltensmuster, die im Bereich „Hilfsbereitschaft“ signifikanter ausgeprägt sind als in Vergleichsgruppen Was liegt näher, als diesen „altruisti-sehen Elan" in gesellschaftlich produktive Bahnen zu lenken!
Insbesondere die Kirchen tendieren dazu, an diesen Aspekt anzuknüpfen und diese Möglichkeiten des Zivildienstes mit Begriffen wie „sozialer Friedensdienst'' zu umschreiben. Da das Merkmal der „Freiwilligkeit" für einen echten „Friedensdienst" von den Friedensforschern meist in den Vordergrund gerückt wird und dieses Kriterium bei einer staatlichen In-pflichtnahme nicht unbedingt vorliegt, erscheint mir bei Begriffen wie „Friedensdienst“ und „sozialer Friedensdienst" eine gewisse Zurückhaltung angebracht. Damit soll die soziale Friedensrelevanz von Tätigkeiten im Zivildienst — etwa im Bereich der Randgruppenbetreuung — jedoch keineswegs geleugnet werden. Allerdings versteht sich auch die Bundeswehr als Element der Sicherung des Friedens und könnte — von ihrem Selbstverständnis her — eine einseitige Inanspruchnahme des Begriffs „Friedensdienst“ für den Zivildienst nicht hinnehmen. Die etwas plakative — von den Kirchen zuerst geprägte — Formulierung vom Friedensdienst „mit" und „ohne"
Waffen scheint mir deshalb auch aus staatlicher Sicht einen tauglicheren „Arbeitsbegriff"
darzustellen, der keinen der beiden Dienste diskriminiert, gleichwohl demjenigen einen Sinnbezug vermittelt, der nach dem „Sinn“ des jeweiligen Dienstes fragt und sich über das staatlicherseits zu fordernde Maß hinaus engagieren möchte.
Bei einer Beschreibung des Zivildienstes muß nicht zuletzt der arbeitsmarktpolitische Aspekt erwähnt werden. Der Zivildienst steht grundsätzlich unter dem strikten Gebot arbeitsmarktpolitischer Neutralität. In der gegenwärtigen Situation des Arbeitsmarktes hat dieses Gebot eher noch höhere Bedeutung als in Zeiten der Vollbeschäftigung. Zivildienstleistende müssen volkswirtschaftlich sinnvoll und dort eingesetzt werden, wo Gruppen der Gesellschaft besonderer Unterstützung bedürfen und diese mit Mitteln des Arbeitsmarktes grundsätzlich nicht gewährt werden kann. Bisherige Erfahrungen haben gezeigt, daß besonders im Bereich der betreuerischen Hilfstätigkeiten außerhalb des engeren medizinischen und sozialpflegerischen Bereiches ein erheblicher Bedarf an Dienstleistungen besteht, die durch Zivildienstleistende optimal abgedeckt werden können, ohne bestehende Arbeitsplätze zu gefährden. Wichtig für den Zivildienst sind somit auch unter diesem Blickwinkel neue Einsatzfelder etwa im Bereich der ambulanten sozialen Dienste, die ohne Dienst-leistende nicht oder nicht so intensiv ausgebaut werden könnten. Das oft polemisch eingesetzte Argument von den „Zivildienstleistenden als billigen Arbeitskräften“ trifft ins Leere, wenn es um sozialpolitisches Neuland geht, das mit Markt-und Arbeitsmarktmechanismen kostenmäßig nicht in den Griff zu bekommen ist.
VI. Kritik am gegenwärtigen Zivildienst
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 13. April 1978 seine Kritik an dem gegenwärtigen Zivildienst in dem Leitsatz 9 wie folgt zusammengefaßt: „Angesichts des Mißverhältnisses zwischen der Zahl der verfügbaren Ersatzdienstpflichtigen und der Zahl der vorhandenen und besetzbaren Einsatz-plätze im Zivildienst sowie im Hinblick darauf, daß der Gesetzgeber den ihm von Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 und 3 GG für die rechtliche Ausgestaltung des Zivildienstes gezogenen Rahmen bislang nicht ausgeschöpft hat, kann die Ersatzdienstpflicht gegenwärtig rticht als eine im Verhältnis zur Wehrdienstpflicht auch nur gleichermaßen aktuelle gleichbelastende Pflicht angesehen werden."
Kritisiert wird insbesondere im Hinblick auf das für verfassungswidrig erklärte Gesetz: a) Die zu geringe Kapazität an Zivildienstplätzen; b) die nach Meinung der Richter zu geringe Belastung der Dienstleistenden (Zivildienst zu wenig „lästig" im Verhältnis zum Wehrdienst): „Auch kommen die Art der im Zivildienst zu erbringenden Tätigkeiten und die konkrete Ausgestaltung des Zivildienstverhältnisses gegenwärtig den besonderen Wünschen und Neigungen vieler Wehrpflichtiger weit mehr entgegen als der kasernierte, uniformierte und naturgemäß strengerer Disziplin unterworfene Waffendienst in der Bundeswehr. Dementsprechend ist § 25 a Abs. 1 WpflG n. F. schon lange vor seiner endgültigen Verabschiedung als Gewährung eines freien Wahlrechts zwischen Wehrdienst und Zivildienst aufgefaßt und begrüßt worden. Gerade ein solches Wahlrecht, dessen Ausübung nur noch der Form nach auf die nach Art. 12 a Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 GG geschützte Gewissensentscheidung Bezug nimmt, läßt das Grundgesetz aber nach dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Verhältnis zwischen Wehrdienst und Ersatzdienst nicht zu ...
Diese Kritik ist zwar im Kontext mit der Suspendierung oder einer weitgehenden Liberalisierung des Prüfungsverfahrens zu sehen und insofern — von der derzeitigen Rechtslage her — zu relativieren. Trotzdem sollte und muß sie im Sinne eines konstruktiven Infragesteliens ernst genommen werden. (Der Begriff „lästig” in der Diktion des Bundesverfassungsgerichtes kann nur im Sinne von Lastengleichheit im Verhältnis zum Wehrdienst interpretiert werden, nicht aber im Sinne der Erzeugung einer Gegenmotivation bei der Inanspruchnahme des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3.)
Das wirkliche Problem heißt somit nicht „Abschreckung", auch nicht Angleichung des Zivildienstes an den Wehrdienst um jeden Preis, sondern Pflichtengleichheit als besondere Ausformung des Gleichheitsprinzips bei der Auferlegung von Dienstpflichten.
Zivildienst „abschreckend" ausgestalten zu wollen, wäre verfassungswidrig, sozialpolitisch verfehlt (da motivationszerstörend) und sicherheitspolitisch kurzsichtig (da von den Betroffenen als diskriminierend empfunden und verdrossene Staatsbürger erzeugend). Die erforderliche Pflichtenbalance setzt eine vergleichende Gesamtbetrachtung der Vor-und Nachteile, Eingriffsintensitäten in die persönliche Freiheitssphäre oder auch Bildungs-und Ausbildungschancen bei den Diensten voraus. Bisher flossen hier häufig noch Vorurteile in die Diskussion ein. Das Argument etwa, den Soldat treffe schließlich im Kriegsfall ein besonderes Risiko an Leib und Leben — und das sei grundsätzlich höher zu bewerten als der Dienst etwa im Krankenhaus — erscheint angesichts der Schreckensvision eines modernen Krieges mit seinen Opfern gerade in der Zivilbevölkerung nicht überzeugend! Andererseits dürften die Notwendigkeit größerer Disziplinierung in der Truppe und stärkerer Einschränkungen in der individuellen Bewegungsfreiheit — etwa durch Kasernierung — geeignet sein, auf der Waagschale der Pflichtenbelastungen Soldaten schwerer zu belasten als Zivildienstleistende, denen wiederum zum Beispiel weniger Ausbildungschancen geboten werden.
Bei der künftigen Ausgestaltung der Dienste sollten den Eigenarten des jeweiligen Dienstes entsprechend, sachgerechte Lösungen gefunden werden. So betrachtet wäre „Kasernierung" im Zivildienst nicht sachgerecht, da die Betreuung alter, kranker und behinderter Menschen dies nicht erfordert. Gegen den Ausbau von dienstlichen Unterkünften am Einsatzort wäre jedoch nichts einzuwenden. Dienstliche Unterkunft sollte die Regel, die so-genannte Heimschlaferlaubnis als Privilegierung die Ausnahme sein. Wenig belastende, sogenannte „Sonnenscheinplätze" müßten abgebaut werden, weil sie gegenüber schwerer belastenden Einsatzplätzen Ungleichbehandlung und letzten Endes Staatsverdrossenheit produzieren. Zivildienst ist kein Nebenjob! Hier scheint der Zeitpunkt gekommen, insbesondere bei der Gewinnung neuer Zivildienst-plätze strengere Maßstäbe anzulegen als bisher und feste Anforderungskriterien bei der Anerkennung von Einsatzmöglichkeiten als Zivildienstplätze zu schaffen. Ein hohes Anforderungsprofil kommt im übrigen auch dem Ansehen des Zivildienstes zugute, wie die bisherigen Erfahrungen mit dem Einsatz von Dienstleistenden bei Schwer-und Schwerstbehinderten gezeigt haben. Allerdings dürfen die Zivildienstleistenden auch nicht überfordert werden. Für manche Tätigkeiten im Pflegebereich sind sie nicht genügend ausgebildet, vielleicht altersbedingt zum Teil auch noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um aus sol chen anforderungsvollen Tätigkeiten einen Standard für die Anerkennung von Zivildienstplätzen herzuleiten. Vergleichsmaßstab muß grundsätzlich die durchschnittliche Belastung der Wehrpflichtigen sein. Zivildienstleistende sind keine „Heiligen", die ihre Daseinsberechtigung durch ein Übermaß an „caritas" nachweisen müßten. Sie sind normale Staatsbürger, die einen dem Wehrdienst gleichwertigen — nicht gleichartigen — Dienst verrichten.
Die konstruktive Antwort auf die Kritik am gegenwärtigen Zivildienst, soweit berechtigt und nicht von Denkpositionen einer „Abschreckungsideologie" überzogen, erfordert einen dosierten Ausbau des Zivildienstes. Or-, ganisatorisch müßten das regionale Element, aber auch die Aufsichtsmöglichkeiten der staatlichen Hand und die Ausbildungs-(Einführungs-) Kapazitäten für die Dienstleistenden verstärkt werden.
VII. Die Vorstellungen für eine Neuregelung des Zivildienstes
1. Ausgangsüberlegungen Das Bundesverfassungsgericht hat den Lösungsversuch der sozialliberalen Koalition in Richtung auf eine Liberalisierung, ja sogar einen Wegfall des Anerkennungsverfahrens für ungediente Kriegsdienstverweigerer, nicht generell verworfen, sondern eine solche Lösung vom Bestehen gewisser Rahmenbedingungen des Zivildienstes abhängig gemacht. Damit rückte die Frage der künftigen Ausgestaltung des Zivildienstes in den Mittelpunkt der politischen Diskussion. Nach Auffassung des Gerichts ist das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung an eine Gewissensentscheidung gebunden, die zur Überzeugung der zuständigen Behörden hinreichend sicher erkennbar werden muß; diese Überzeugung kann jedoch, so der erkennende Senat, nicht nur durch eine förmliche Prüfung der Gewissensentscheidung in einem Verfahren bisheriger Art festgestellt werden, sondern auch ohne Gewissensprüfung, jedoch dann durch entsprechend „straffe" Ausgestaltung des Zivildienstes als einzige Probe auf die Gewissensentscheidung. Entschließt sich der Gesetzgeber zu dieser letzteren Alternative, so gibt ihm das Gericht einige konkrete Anregungen, wie aus seiner Sicht eine verfassungskonforme Regelung beschaffen sein müsse, die die Ausgestaltung des Zivildienstes als einzige Probe auf die Gewissensentscheidung vorsieht.
Insbesondere gehören hierzu nach Auffassung des Gerichtes — die Gewißheit für den Kriegsdienstverweigerer, Zivildienst leisten zu müssen; — die Dauer des Dienstes, die das Bundesverfassungsgericht bis zu 24 Monaten als verfassungsrechtlich unbedenklich ansieht;
— die tatsächliche und rechtliche Ausgestaltung des Zivildienstes im Verhältnis zum Wehrdienst, die vom Grundsatz der Pflichten-gleichheit mit dem Wehrdienst bestimmt sein muß.
Je „strenger" und je „aktueller" der Zivildienst danach gehandhabt wird, desto geringer können die Anforderungen an ein besonderes Prüfungsverfahren sein; erst wenn der Zivildienst so „streng" und so „aktuell" ausgestaltet ist, daß das Aufsichnehmen dieses Dienstes „typischerweise" als Indiz für eine Gewissens-entscheidung gedeutet werden kann, besteht nach Meinung des Senats die Möglichkeit eines völligen Fortfalls des Anerkennungsverfahrens
Der Gesetzgeber steht nach diesen richterlichen Überlegungen — auch wenn sie zum Teil als obiter dicta nicht den verbindlichen Charakter tragender Entscheidungsgründe genießen — vor der schwierigen Frage einer Novellierung des bestehenden Rechts, die Sowohl dem Richterspruch als auch dem ursprünglichen Reformanliegen der Koalition (und den damit geweckten Erwartungsvorstellungen), nicht zuletzt auch den sicherheitspolitischen Vorstellungen der Opposition und den Interessen der Länder genüge tun soll, ohne die primär Betroffenen — insbesondere KDVer und Verbände — vor den Kopf zu stoßen. Damit wird dem neuen Gesetzgeber ein äußerst schwieriger Balanceakt abverlangt (wie streng muß etwa bei einer Liberalisierung des Anerkennungsverfahrens der Zivildienst ausgestaltet sein, um nicht aufgrund einer echten oder angenommenen Attraktivität von sich aus junge Leute anzuziehen und damit dem alten Drückebergervorurteil Vorschub zu leisten, wie streng darfer allenfalls ausgestaltet sein, um nicht dem Vorwurf der Aushöhlung eines Grundrechtes durch Abschreckung vor seiner Inanspruchnahme ausgesetzt zu sein?).
Das Ergebnis der Arbeit einer interfraktionellen Arbeitsgruppe aus Abgeordneten der Koalitions-und der Oppositionsfraktionen konnte angesichts dieser schwer lösbaren Interessenkollisionen nur ein Kompromiß sein, der weit von den Ausgangspositionen der Reformer abweicht, gemessen am Status quo jedoch einige Fortschritte bringen könnte (etwa im Bildungsbereich). Wegen der geplanten Durchführung des Zivildienstes durch die Länder in Bundesauftragsverwaltung bedeutet dieser Entwurf, sofern er die parlamentarischen Hürden nimmt, auf jeden Fall aber eine völlige Abkehr von der bisherigen Organisation des Zivildienstes. wenn er zu seiner Überzeugung hinreichend sicher aus dem Inhalt der ihm vorliegenden Akten entnehmen kann, daß die Verweigerung auf einer durch Artikel 4 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes geschützten Gewissens-entscheidung beruht.
Die Ausschüsse werden in der Qualifikation ihrer Mitglieder aufgewertet. Die Vorsitzenden werden künftig von den Innenministern (Senatoren des Innern) der Länder bestimmt und müssen zum Richteramt befähigt sein, das 32. Lebensjahr vollendet haben und über Erfahrungen als Richter verfügen. Die zwei ehrenamtlichen Beisitzer müssen das 32. Lebensjahr vollendet haben, die Voraussetzungen der Berufung zum Amt eines Jugend-schöffen erfüllen und über die erforderliche Lebenserfahrung und Menschenkenntnis verfügen. Das Verfahren vor den Ausschüssen ist nicht öffentlich und wird gestrafft. Der Antrag soll — ebenso wie die Klage vor dem Verwaltungsgericht nach evtl. Ablehnung des Antrages — aufschiebende Wirkung haben, d. h.der Antragsteller wird bis zur Entscheidung über den Antrag bzw. über seine Klage nicht zum Wehrdienst einberufen. 2. Die Koalitionsvorlage Der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Entwurf sieht im einzelnen folgende Regelungen vor
Prüfungsverfahren
Ein modifiziertes schriftliches Prüfungsverfahren wird beibehalten. Die Gewissens-gründe müssen einem Ausschuß, bestehend aus drei stimmberechtigten Mitgliedern, in schriftlicher Form dargelegt werden. Dem Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer soll in Zukunft eine ausführliche Begründung der Gewissensentscheidung und ein ausführlicher Lebenslauf beigefügt werden. Außerdem können Stellungnahmen Dritter eingereicht und Personen benannt werden, die über den Antragsteller Auskunft geben können. Der Ausschuß kann den Antragsteller ohne persönliche Anhörung anerkennen,
Organisation des Prüfungsverfahrens und des Zivildienstes
Hier liegt der eigentliche Schwerpunkt der Veränderungen. Die Ausschüsse werden nämlich nach dem Gesetzentwurf bei den Mittelbehörden der allgemeinen inneren Verwaltung der Länder errichtet. Ebenso wird der Zivildienst künftig, soweit im Gesetz nichts anderes bestimmt ist, von den Ländern im Auftrag des Bundes durchgeführt; zuständig sind die Mittelbehörden der allgemeinen inneren Verwaltung als Zivildienstämter. Daneben bleibt zwar das Bundesamt für den Zivildienst als selbständige, dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung unterstehende Bundesoberbehörde bestehen. Seine bisher recht umfassenden Aufgaben werden aber ganz erheblich reduziert. Auch der künftige obligatorische Einführungsdienst in Lehrgängen von mindestens vier Wochen Dauer (Unterrichtung über Wesen und Aufgaben des Zivildienstes sowie über ihre Rechte und Pflichten als Dienstleistende, angemessene Einführung in die künftigen Tätigkeiten, für die sie vorgesehen sind, sowie staatsbürgerlicher Unterricht) wird danach von den Ländern im Auftrag des Bundes durchgeführt.
Als Aufgaben für die Zivildienstverwaltung des Bundes (Bundesamt für den Zivildienst) verbleiben damit im wesentlichen noch: — Erlaß von Verwaltungsvorschriften (soweit nicht bei dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung); — Mitwirkung beim überregionalen Ausgleich zwischen den Ländern;
— allgemeine Aufsicht über die Durchführung des Gesetzes durch die Länder (soweit nicht bei dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung); — Absprachen mit den Ländern über die Ein-berufungen zum obligatorischen Einführungsdienst (soweit nicht bei dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung); — Statistik und zentrales Informationssystem. Als Vorteil dieser Regelung muß angesehen werden: Die Mitverantwortung der Länder für die Durchführung des Zivildienstes, die dem föderativen Prinzip des Grundgesetzes entgegenkommt, wäre gewährleistet. Ohnehin haben die Länder auf dem sozialen Sektor, dem Haupteinsatzfeld für Zivildienstleistende, die wichtigsten Kompetenzen. Als gravierende Nachteile sind anzusehen, daß kein direkter Zugriff des Bundes auf die Verwaltung der Länder besteht und deshalb eine einheitliche Durchführung des Zivildienstes im gesamten Bundesgebiet nur schwer zu gewährleisten sein dürfte. Voraussichtlich wäre ist die Länderverwaltung auch kostenungünstiger, da ein Verwaltungsapparat in allen Ländern aufgebaut werden müßte. Der allmähliche Abbau des mit viel Aufwand errichteten, teilweise überforderten, aber durchaus leistungsfähigen Bundesamtes für den Zivildienst wäre die kaum zu vermeidende Folge. (Ein eigener regionaler Unterbau des Bundesamtes hätte die Leistungskraft des Bundesamtes erheblich verbessert und wäre eigentlich die konsequente Weiterführung der bisherigen Organisationsstruktur gewesen.) Schließlich ist die verfassungsrechtlich schwerwiegende poten-
tielle Gefahr nicht von der Hand zu weisen, wenn die Länder auch die Zuständigkeit für die Prüfungsausschüsse erhalten, die Anforderungen an die Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern tendenziell durch den jeweiligen Bedarf eines Landes an verfügbaren Zivildienstleistenden und damit auch von „Opportunitätsgesichtspunkten" her gesteuert würde. Diese aufgezeigten Gefahren erscheinen allerdings nicht unüberwindbar, zumal der Bund ja Steuerungsinstrumente beibehält.
Anerkennung von Beschäftigungsstellen Hier wird der bisher in § 1 des Zivildienstgesetzes verankerte Vorrang des sozialen Bereiches etwas abgeschwächt. Künftig kann eine Beschäftigungsstelle auf ihren Antrag anerkannt werden, wenn sie insbesondere Aufgaben im sozialen Bereich, im Bereich des Zivil-schutzes oderim Bereich des Umweltschutzes, des Naturschutzes und der Landschaftspflege durchführt; überwiegend sollen Beschäftigungsstellen des sozialen Bereiches anerkannt werden. Außerdem müssen die Beschäftigungsstellen Gewähr dafür bieten, daß Beschäftigung, Leitung und Betreuung der Dienstleistenden dem Wesen des Zivildienstes entsprechen. Auch die Kontrolle der Beschäftigungsstellen durch Beauftragte des Innenministers (Senators des Innern) des jeweiligen Landes und der Zivildienstämter sowie des Bundesrechnungshofes soll erleichtert werden. Der hier vorprogrammierte Konflikt mit den durch die bisherige Regelung begünstigten Trägern der Freien Wohlfahrtspflege wäre bei vernünftigen Absprachen sicher überwindbar.
Der bisherige Vorrang des sozialen Bereiches im Zivildienst, der sich bewährt hat, bleibt auch in der etwas abgeschwächten Formulierung im neuen Gesetz erhalten. Die Möglichkeiten, auch andere allgemeinwohl-orientierte Aufgaben in den Bereich der Betätigungsfelder des Zivildienstes einzubeziehen, werden allerdings erheblich erweitert. Angesichts der angestrebten zahlenmäßigen Auf-stockung des Zivildienstes würden die sozialen Trägerverbände jedoch voraussichtlich ihren Bedarf an Zivildienstleistenden für den engeren sozialen Bereich decken können. Ohnehin erscheint es schwierig, etwa den Umweltschutz aus dem sozialen Bereich auszuklammern; die Verbesserung der Umweltqualität und die Eindämmung von Umweltschä35 den könnte auch als ein Stück Sozialpolitik angesehen werden.
Dauer des Zivildienstes
Sie soll nach dem Koalitionsentwurf der durchschnittlichen zeitlichen Belastung wehrdienstleistenderWehrpflichtiger entsprechen. Das sind nach Auffassung der Koalition derzeit 16 Monate. 3. Der Gegenvorschlag der CDU/CSU-Fraktion Da der Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU mit wenigen Ausnahmen wortgleich dem Koalitionsentwurf entspricht, sollen hier nur die zwei wesentlichen Abweichungen dargestellt werden Im Gegensatz zum Koalitionsentwurf sollen die Ausschüsse grundsätzlich nach persönlicher Anhörung des Antragstellers entscheiden. Die Opposition ist der Auffassung, daß die Ausschüsse sich in der Re-gelvon der Glaubwürdigkeit eines Antragstellers und von der Ernsthaftigkeit und Unausweichlichkeit seiner Gewissensentscheidung einen unmittelbaren Eindruck auf Grund einer persönlichen Anhörung verschaffen müssen. Lediglich im Ausnahmefall kann der Ausschuß den Antragsteller hiernach ohne persönliche Anhörung anerkennen.
Die Opposition ist ferner der Meinung, daß die durchschnittliche zeitliche Belastung wehrdienstleistender Wehrpflichtiger gegenwärtig 18 Monate beträgt. Sie schlägt deshalb einen 18monatigen Zivildienst im Gegensatz zu den 16 Monaten des Koalitionsentwurfes vor
Die Frage, ob noch in dieser Legislaturperiode eine gesetzliche Lösung zustande kommt, muß derzeit als offen angesehen werden. Einige der geplanten Regelungen, wie der Ausbau des Bildungsbereiches im Zivildienst, könnten bereits auf der Rechtsgrundlage des geltenden Zivildienstgesetzes in Angriff genommen werden.
Eine faire und vorausschauende gesetzliche Lösung wird im Blickfeld behalten, daß die Art, wie der Staat mit seinen Minderheiten umgeht, wichtig und prägend für unser aller Demokratieverständnis und das Staatsbewußtsein der heranwachsenden Generation ist.
Nikolaus Jaworsky, geb. 1940 in Berlin; Studium der Rechts-und Staatswissenschaften in Berlin, Bonn und Köln; von 1972 bis Juli 1979 im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, zuletzt bei dem Bundesbeauftragten für den Zivildienst (Bildungsbereich sowie Öffentlichkeitsarbeit u. a.); seit 1. August 1979 Professor an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in den Disziplinen Verwaltungsrecht/Verwaltungsorganisation/Soziale Sicherung/Staatsrecht. Veröffentlichungen insbesondere über Fragen des Wehrrechts, des Zivildienstes und des allgemeinen Verwaltungsrechtes.
Ihre Meinung ist uns wichtig!
Wir laden Sie zu einer kurzen Befragung zu unserem Internetauftritt ein. Bitte nehmen Sie sich 5 Minuten Zeit, um uns bei der Verbesserung unserer Website zu helfen. Ihre Angaben sind anonym.