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Das Grundgesetz zwischen historischer Erfahrung und Zukunftserwartungen Didaktische Überlegungen zum Verhältnis von Politik und Geschichte | APuZ 45/1979 | bpb.de

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APuZ 45/1979 Artikel 1 Das schwierige Vaterland. Geschichte und Geschichtsbewußtsein als Problem der Deutschen Geschichtlichkeit und Kontinuität des Grundgesetzes Das Sprechen von der Verfassung Das Grundgesetz zwischen historischer Erfahrung und Zukunftserwartungen Didaktische Überlegungen zum Verhältnis von Politik und Geschichte

Das Grundgesetz zwischen historischer Erfahrung und Zukunftserwartungen Didaktische Überlegungen zum Verhältnis von Politik und Geschichte

Ernst-August Roloff

/ 29 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

„Weil alle Geschichte zugleich kausalen und finalen Charakter hat" (Hermann Heimpel), ist Politik auch immer von der Zukunft bestimmt Im Handeln der Menschen gerinnt Gegenwart als antizipierte Zukunft zu Geschichte. Der Verfasser vertritt die These, daß es der Gegenwart in der Bundesrepublik an Geschichtsbewußtsein mangelt, weil Zukunftsbewußtsein fehlt Im Gegensatz zu der seit 30 Jahren währenden „Gegenwart" hatten die Schöpfer des Grundgesetzes noch ein solches Zukunftsbewußtsein, weil sie mit der Verfassung einen Plan für eine noch ungewisse Zukunft entwarfen: Nie wieder eine Diktatur und „nie wieder Krieg“. Am Beispiel des Grundrechtes der Kriegsdienstverweigerung (Art. 4 Abs. 3) läßt sich nachweisen, daß die Grundrechte im Grundgesetz auch als Auftrag an die politische Bildung gemeint waren. Jedoch erwiesen sich zentrale Zukunftsvorstellungen der „Väter des Grundgesetzes" bald als unrealistisch, vor allem die Erwartung, die Bundesrepublik werde nur für eine absehbare Zeit ein „Übergang" sein, der eine neue (gesamt-) deutsche Zukunft einleite. Seitdem ist an die Stelle der Zukunftshoffnungen die Furcht getreten, die „freiheitlichste Verfassung unserer Geschichte“ könne von außen und/oder von innen bedroht werden. Einer damals durchaus nicht ausgeschlossenen Erweiterung der Teilhabe des Volkes (Prinzip der Volkssouveränität) steht die Verfassungswirklichkeit entgegen, in der selbst die Grundrechtssicherung immer restriktiver und illiberaler gehandhabt wird. Ausgangspunkt für die unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen im Grundgesetz waren u. a. unterschiedliche, z. T. gegensätzliche Auffassungen vom Wesen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, in denen sich konservative, liberale und marxistische Positionen unterschieden. Aus diesem Grunde gab es wohl Konsens über das, was in Zukunft nicht mehr sein sollte, aber Dissens über das, was Demokratie in Zukunft sein könnte. Auch die Umerziehungsvorstellungen der Amerikaner waren bestimmt durch die (un-) historische Auffassung mit der Übernahme einer liberalen Verfassung und der Prinzipien der Menschenrechte sei das Ende des Kampfes um Recht und Freiheit gekommen. Ohne Zukunftserwartung, die mehr ist als Angst vor Rückfall in unselige Vergangenheit, wird man aber von der heutigen Jugend nicht erwarten können, sich mit ihrem Staate und seinen Problemen zu identifizieren.

Geschichtsbewußtsein ist Zukunftsbewußtsein

Heute, im Jahre 1979, trennen uns von der Gründung der Bundesrepublik Deutschland genauso viele Jahre, wie damals, 1949, zwischen Bonn und Weimar lagen: 30 Jahre — ein Menschenalter, eine Generation. Dennoch: Wer 1949 30 Jahre alt war, die nationalsozialistische „Machtergreifung" und den „Zusammenbruch" bewußt erlebt hatte, dürfte das Gefühl gehabt haben, Zeuge „historischer" Ereignisse geworden zu sein, Geschichte erfahren zu haben. Wer heute — wie unser Grundgesetz und unser Staat — 30 Jahre alt ist, stellt meist nur betroffen fest, daß — und wie schnell — „die Zeit vergeht". Subjektives Geschichtsbewußtsein beruht, soweit es als „Alltagsbewußtsein" psychologische Voraussetzung für Geschichtsunterricht sein kann, vermutlich auf der Erfahrung von Veränderungen, auf Zäsuren, die eine Art Zeitmessung erlauben, eine Markierung des Weges von etwas weg zu etwas Neuem hin.

Für die große Mehrheit unserer Bürger, für alle Angehörigen der mittleren und jüngeren Generation, ist die Realität der Bundesrepublik und ihrer Verfassung „unsere Gegenwart"

im Sinne von Hermann Heimpel nicht ein Teil unserer Geschichte, weil diese Gegenwart als nicht verändert und mithin noch nicht als Vergangenheit erlebt wird.

Ich sehe hierin einen der Gründe für die unter Lehrern häufig anzutreffende Einstellung, für die Behandlung der Bundesrepublik, ihrer Verfassung und ihrer Geschichte, einschließlich ihrer „Vorgeschichte" (1945— 1949), sei nicht (mehr) der Geschichts-, sondern (schon) der Politik-bzw. Sozialkundeunterricht zuständig, bezeichnenderweise früher meist „Gegenwartskunde" genannt (wie denn auch die verbreitetste Fachzeitschrift noch heute heißt) und deutlich gegen Geschichte (= Vergangenheitskunde) abgegrenzt. Aber gehört die Zeit von 1919 bis 1949 nur deshalb zur Geschichte, weil sich zwei katastrophale Wandlungen vollzogen, die jedermann in seiner ganz persönlichen Existenz trafen? Oder fehlen nicht vielmehr im Geschichtsbild der gängigen Lehrbücher überhaupt all jene Zeiten, in denen „nichts passierte"?

Ich vermute, daß auch die Menschen, die in solchen Zeiten lebten, in denen „nichts passierte", was sie als einschneidende Veränderung ihres Lebens hätten erfahren können, im Sinne Heimpels kein Geschichtsbewußtsein hatten, weil sie sich nicht vorstellen konnten, daß ihre jeweilige Gegenwart einmal vergehen und ihre Lebensumstände sich grundlegend ändern könnten. Sofern sich die Menschen mit dieser Gegenwart als der denkbar besten zufriedengeben und sie sich keine bessere Zukunft vorstellen, beschränkt sich ihr Geschichtsbewußtsein auf den Blick in die Vergangenheit, in der alles noch nicht so war wie in der Gegenwart. Geschichte hört dann dort auf, wo die Gegenwart begann, und von der Zukunft kann man nur befürchten, daß sie Gefahren für den endlich erreichten Zustand birgt.

Wenn heute Politiker und Pädagogen über mangelndes Geschichtsbewußtsein klagen, dann ist damit meist — mindestens im konservativen Verständnis — nicht fehlendes Wissen über die letzten 30 Jahre gemeint, sondern der fehlende „Sinn für historische Kontinuität", überarbeitete Fassung eines Vortrages im Rahmen er Didaktischen Fachtagung der Bundeszentrale drpolitische Bildung „Verfassung und Geschichte er Bundesrepublik Deutschland im Unterricht“

om 28. Mai bis 1. Juni 1979 in Bonn. über den neuerlich Kurt Sontheimer geäußert hat, er lasse sich nicht „produzieren wie Automobile", und auch ein vermehrter historischer Unterricht werde nicht viel ausrichten, wenn die Motivation fehle „Sinn für historische Kontinuität“ ist aber keine geeignete Kategorie für die Erziehung zu Geschichtsbewußtsein, wenn der Blick nur rückwärts gewandt bleibt und Geschichtsunterricht sich darauf beschränkt, zu erklären und verstehen zu lehren, wie und warum die Gegenwart so und nicht anders geworden ist. Geschichtsbewußtsein heißt auch — und ich meine wie Hermann Heimpel: vor allem —, sich dessen bewußt zu sein, daß jede Gegenwart, also auch die unsere, nur ein Übergangsstadium in eine Zukunft ist, denn „Gegenwart ist von der Zukunft bedingt, weil das Bild der Gegenwart sich formt aus dem Plan, den sie in die Zukunft wirft weil alle Geschichte zugleich kausalen und finalen Charakter hat"

Was heute trivial erscheinen mag, hat Hermann Heimpel wenige Jahre nach der Konstituierung der Bundesrepublik — 1951 bei der Übernahme des Rektorats der Universität Göttingen — als Mahnung dem akademischen Nachwuchs und den verantwortlichen Politikern ins Bewußtsein zu rufen versucht, daß nämlich die Zukunft nicht von allein kommt nur weil die Zeit vergeht, sondern den Menschen in seinem Handeln durchläuft und hinter ihm zu „Geschichte“ gerinnt. Das Handeln, das Zukunft in Vergangenheit verwandelt heißt Politik, und das bedeutet: politisches Handeln holt die Zukunft in die Gegenwart hinein, indem sie diese realisieren willund damit antizipiert. Politik wird final determiniert, weil durch sie Möglichkeit in Wirklichkeit — im Sinne von Nicolai Hartmann — verwandelt wird. Sobald sie Gegenwart geworden ist, wird sie determinierend für das weitere Handeln; und darum wird Geschichte — wie Heimpel monierte: fälschlich — meist nur unter dem kausalen Aspekt gesehen und gelehrt.

Hermann Giesecke hat Politik, didaktisch verstanden, als das Noch-nicht-Entschiedene\x- zeichnet. Angewandt auf den Politikbegriff Heimpels folgt daraus, daß Geschichtsunterricht das Vergangene als das Damals-noch-nicht-Entschiedene unter finalem Aspekt rekonstruieren müßte. Wenn Geschichte ausschließlich kausal erklärt wird, bleibt ihr Bezugspunkt — die Gegenwart — als immerwährend, eine Gegenwart ohne Zukunft; darum ist Geschichtsbewußtsein immer auch Zukunftsbewußtsein und trägt nur so zur Bildung eines handlungsorientierten politischen Bewußtseins bei.

Das Grundgesetz — Planungsentwurf für die Zukunft

Es ist — dies alles vorausgesetzt — meine 1. These, daß es unserer Gegenwart deshalb an Geschichtsbewußtsein mangelt, weil das Zukunftsbewußtsein fehlt. Es ist meine 2. These, daß das Grundgesetz von 1949 ein solches Geschichtsbewußtsein im Sinne von Heimpel (noch) ausgedrückt hat, weil es einen Plan für die Zukunft entwarf, der geeignet war, die Gegenwart als Vergangenheit hinter sich zu lassen, ohne sie als (kausale) Determinante zu ignorieren. Dieser Zukunftsentwurf wurde in dem Bewußtsein gewagt, daß die Gegenwart — die Bundesrepublik Deutschland — nur ein Übergang zu dieser Zukunft, also ein Provisorium, die Zukunft aber darüber hinaus ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat sein sollte. Das Bewußtsein, am Ende einer historischen Ursachenkette gestanden zu haben, die sich aus der Weimarer Republik über die nationalsozialistische Diktatur bis zum „Zusammenbruch“ als moralische Last auf die Gewissen niedergeschlagen hatte, dürfte die „Väter" des Grundgesetzes aus allen Parteien beherrscht haben. Aber so unterschiedlich wie die „Lehren“ aus der Vergangenheit waren in den verschiedenen Lagern die Vorstellungen von der Zukunft. Dies ist meine 3. These. Wenn Kurt Sontheimer neuerlich den Didaktikern den Rat gibt, sich „intensiver als bisher mit der Geschichte der Bundesrepublik zu beschäftigen und an ihr ein eigenes historisches Bewußtsein zu entfalten” dann kann der geforderte „Sinn für historische Kontinuität“ nur geschärft werden, wenn der Nationalsozialis mus oder, wie Sontheimer die Zeit zu benennen pflegt, das „Dritte Reich" als „Kontinuum" in die gesamte Vergangenheit und Gegenwart einbezogen und nicht „wie ein erratischer Block zwischen die Gegenwart des geteilten Deutschland und seine Vergangenheit geschoben wird. Der Didaktiker aber wird sich — und hier auch Sontheimer — fragen müssen, welche Assoziationen der Begriff „Kontinuität'im Alltagsbewußtsein der Menschen überhaupt und in der heutigen Jugend im besonderen auslöst. Sind z. B. Revolutionen und andere gewaltsame Veränderungen, die — wie z. B. militärische Aggressionen — von außen aufgezwungen wurden, als „Kontinuum" oder aber als Störungen der Kontinuität zu interpretieren? Was war der Nationalsozialismus — eine von vielen gewollte und bewußt herbeigeführte Zukunft der Weimarer Gegenwart, ein Kontinuum oder eine über das Volk hereinbrechende Katastrophe, die „notwendig"

zum „Zusammenbruch" führte?

Ich habe — in einer Betrachtung zum 25. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes

— die Geschichte der Demokratie als „die Geschichte einer Revolution“ beschrieben, die noch nicht beendet ist, und die Hypothese gewagt, daß historische Erfahrungen darauf hindeuten, „daß der Besitz der Macht aus Revolutionären meist Konservative macht: Revolutionäre oder auch nur die Legitimität politischer Institutionen in Frage stellende Forderungen werden als vorbildliches Verhalten nur für die Vergangenheit anerkannt, soweit sie den jetzt bestehenden Zustand herbeizuführen geholfen haben." Angewandt auf meine 3. These heißt dies: Die meisten Mitschöpfer des Grundgesetzes fühlten sich in der Kontinuität eines Kampfes um Menschenrechte und Demokratie, der mit dem Zukunftsentwurf des Grundgesetzes in eine neue Phase getreten ist und eine neue Chance erhalten hat.

Allerdings: Die Vernichtung Deutschlands als Gesamtstaat schuf einen Zustand, den — außer Hitler, wenn wir Sebastian Haffner folgen — niemand in Deutschland gewollt und bewußt herbeigeführt hat. Hingegen ließ sich nicht bestreiten, daß der Nationalsozialismus als Verursacher des Krieges von einer großen Zahl Deutscher gewollt und dieser zumindest nicht verhindert worden war. Weder die „Machtergreifung" noch der „Zusammenbruch" vollzog sich ohne das Zutun der Menschen, die sich später als hilflose Opfer fühlten und die Ereignisse als eine Art Naturkatastrophe erlebt haben wollten, dessen zerstörerischem Walten sie ausgeliefert waren. Unter dem Aspekt des zukunftsgerichteten politischen Verhaltens gehört der Nationalsozialismus also sehr wohl in eine Kontinuität, die nicht einfach unterbrochen wurde, weder 1933 noch 1945.

Die Problematik im Geschichtsbewußtsein vieler Schöpfer unseres Grundgesetzes lag darin, daß der Nationalsozialismus nicht von innen und schon gar nicht durch eine revolutionäre Bewegung überwunden wurde. Vielmehr gab es nicht einmal in der Arbeiterbewegung, soweit versprengte Reste die Vernichtung überlebt hatten, die Chance oder das Bewußtsein einer revolutionären Situation. Für die Masse der Deutschen war das Jahr 1945 das Ende einer Ära, nicht der Beginn einer neuen Zukunft, denn nicht die Zukunft Deutschlands als Staat oder Nation, sondern nur ihr eigenes Überleben beherrschte ihr Interesse. Es waren nur einige herausragende Denker mit Geschichtsbewußtsein, die das — auf den ersten Blick unhistorisch erscheinende — Stereotyp von der „Stunde Null" prägten, wie Alfred Weber z. B., den ich für den Urheber dieses Wortes halte. Er verlangte den „Abschied von der bisherigen Geschichte" und versuchte dadurch, die Chance einer auf eigenem Wollen beruhenden Neuordnung in das Bewußtsein zu rücken, Zukunftsbewußtsein dadurch zu schaffen, daß man der Gegenwart als durch Handeln bereits Geschichte gewordener Vergangenheit den Rücken kehren konnte. Aber die Masse der Menschen widmete sich — verständlicherweise — ihren privaten Uberlebensinteressen und fand sich, als diese in unerwartet guter Weise realisiert schienen, mit der Gegenwart ab, ohne eine andere Zukunft zu wollen.

Mag der Einfluß der Besatzungsmächte auf das Verfassungswerk unterschiedlich eingeschätzt werden — es kann kein Zweifel daran bestehen, daß es eine, wenn auch nur relativ kleine Elite deutscher Politiker war, die aus dem „Scheitern" der Weimarer Republik Lehren zog. Darin, daß ihr der Nationalsozialismus nicht hätte folgen dürfen, waren sich alle einig, aber schon darüber, wie er hätte verhindert werden können, gingen die Meinungen auseinander. Deshalb einigten sich die „Väter" des Grundgesetzes — über die Parteiengegensätze hinweg — nur darüber, was in Zukunft nicht mehr sein sollte: keine Form von Diktatur, autoritärem Obrigkeits-und Unrechts-staat und — „nie wieder Krieg". Wenn gerade in jüngster Zeit im Rückblick auf die letzten 30 Jahre daran erinnert wurde, daß das Grundgesetz eine klare Haltung gegen Faschismus und Kommunismus eingenommen und auch von den Staatsbürgern gefordert hat, so bedarf dieser Hinweis einer Ergänzung: Das Grundgesetz ist auch ein Bekenntnis zum Frieden und erwartet von den Bürgern eine Parteinahme gegen Krieg und Militarismus. Wenn man das Grundgesetz, trotz inzwischen erfolgter semantischer Veränderungen der Begriffe, als 1. antifaschistisch, 2. antikommunistisch und 3. antimilitaristisch bezeichnen kann, so wendet es sich damit gegen wesentliche Kennzeichen der „bisherigen Geschichte", von denen es „Abschied" im Sinne Webers nehmen wollte. Die Zielrichtung fand aber nur in einer reichlich abstrakten Willenserklärung zustimmungsfähigen Ausdruck: Das Ziel sollte in Zukunft ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat sein. Aber wie konkret das Bild der Zukunft tatsächlich war, läßt sich nur anhand exemplarischer Äußerungen vermuten.

Es hat in der Tat wesentlich konkretere Zukunftsvorstellungen gegeben, als sie in den abstrakten Kompromißformeln des Grundgesetzes ihren Ausdruck fanden. Als im Parlamentarischen Rat zum Beispiel über die Gleichberechtigung von Mann und Frau diskutiert wurde, waren sich alle darüber einig, daß dieser Grundsatz selbstverständlich die Realisierung der alten Gewerkschaftsforderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" einschließt, so daß es unnötig sei, dieses Prinzip in den Grundrechtskatalog der Verfassung ausdrücklich aufzunehmen. Gleichwohl hat es sich in der sozialen Wirklichkeit noch keineswegs durchgesetzt, wobei es sich nicht nur um einen noch nicht realisierten Restbestand an Grund-rechtsnormen, sondern um ein Prinzip des Sozialstaates handelt, das aus dem abstrakten Rahmen der Grundrechtsnormen und aus der Verfassungswirklichkeit „herausgerutscht“ ist Ich deute mit diesem Beispiel an, wo ich den didaktischen Ansatz für die Behandlung der Verfassung und der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im Unterricht — sei es im Geschichts-oder im Politikunterricht — sehe, wenn man das kausale und zugleich finale Verständnis von Politik und Geschichte voraussetzt: Das Grundgesetz sollte als damaliger Planungsentwurf für die — von seinen Schöpfern stellvertretend für „das Volk" erstrebte und gewollte — Zukunft, als das Damals-noch-nicht-Entschiedene interpretiert werden. Das Zurückversetzen in die damalige Gegenwart bedeutet, die Erfahrungen nachzuvollziehen, die diesen Zukunftsentwurf entscheidend beeinflußt haben. Das Politische in diesem Ansatz liegt in dem Versuch, das Bewußtsein zu rekonstruieren und wiederzuerwecken, daß die erstrebte Zukunft aus eigenem Handeln und Wollen heraus Wirklichkeit wird und die Masse der unbeteiligt bleibenden Bürger nicht teilnahms-und bewußtlos geschehen läßt, was wenige bewirken. Was in diesem Sinne das didaktische Prinzip der Betroffenheit konkret bedeutet, will ich — aus Zeit-und guten didaktischen Gründen — exemplarisch am Beispiel des Grundrechtes auf Kriegsdienstverweigerung begründen. Es dient der Überprüfung dieser Hypothese:

Kriegsdienstverweigerung sollte eine Waffe im Kampf gegen den Militarismus sein

In dem Bewußtsein, daß man nicht unmittelbar an die Weimarer Republik anknüpfen und das Dritte Reich ignorieren könne, waren nahezu alle an der Ausarbeitung der Verfassung Beteiligten davon überzeugt, daß a) für das Gebiet der westlichen Besatzungszonen nur eine Ubergangsordnung geschaffen werde und für eine zukünftige Verfassung eines größeren deutschen Staates lediglich die uneingeschränkte Gültigkeit der Grundrechte unabdingbare Voraussetzung sein solle: b) ganz Deutschland während dieser Übergangszeit aus der Vormundschaft der Sieger-machte entlassen und dann als gleichberechtigtes Mitglied im Kreise freier, miteinander in einer weltumspannenden Union verbundener Nationen dem Frieden und der Gerechtigkeit in aller Welt dienen werde. Sozialdemokraten und Christdemokraten waren deshalb der Meinung, das Provisorium Bundesrepublik und der künftige deutsche Staat dürften von niemandem als Gefahr oder gar als militärische Bedrohung empfunden werden; deshalb sollte es keine Streitmacht geben, über deren Charakter als bestenfalls territoriale Verteidigung auch nur der Anflug des Zweifels aufkommen könne.

Daher fand sich im Parlamentarischen Rat eine große Mehrheit für den Antrag, im Grundgesetz ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu verankern. Die Antragsteller wollten den Willen bekunden, in aller Zukunft eine allgemeine Wehrpflicht auszuschließen und, wenn jemals Streitkräfte erforderlich sein sollten, den Dienst in ihnen von der Zustimmung der Dienenden abhängig zu machen.

Notfalls sollte lediglich eine Berufsarmee freiwillig Dienender garantieren, daß nicht die ganze Gesellschaft wieder militarisiert und das Volk gegen seinen Willen in aggressive militärische Aktionen hineingezogen würde

Wie die Debatte im Parlamentarischen Rat deutlich machte, entsprach ein Berufsarmee nicht dem traditionellen, liberalen Demokratieverständnis.

Theodor Heuss riet daher entschieden zur Ablehnung der Gewissensklausel als Grundrecht und erklärte am 18. Januar 1949 vor dem Hauptausschuß u. a.: „Wir sind jetzt dabei, ein Werk der Demokratie zu schaf-fen. Die allgemeine Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie, seine Wiege stand in Frankreich. Mir scheint es unmöglich zu sein, daß wir in diesem Augenblick, in welchem wir eine neue Fundamentierung des Staates vornehmen wollen, nun mit einer solchen Deklaration kommen."

Mit Heuss meinten die Freien Demokraten, einfache Gesetze für religiöse Minderheiten, Quäker, Mennoniten, Zeugen Jehovas usw., reichten zum Schutz der zahlenmäßig unbedeutenden Verweigerer aus. Wenn man aber jedem Staatsbürger das Recht gebe, sich auf sein Gewissen zu berufen, „werden wir im Ernstfall einen Massenverschleiß des Gewissens verfassungsmäßig festlegen“.

Für einen Liberalen wie Heuss gehörte zu einem souveränen demokratischen Staat als Wesensmerkmal die allgemeine Wehrpflicht:

Wenn die Bürger das Recht haben, im Staate mitzuregieren, dann ergibt sich daraus die selbstverständliche moralische Pflicht, ihren Staat auch selber zu verteidigen und hierfür nicht bezahlte Berufssoldaten anzustellen. Indessen wurde dieses Argument von der Mehrheit der Sozial-und Christdemokraten als durch die historischen Erfahrungen widerlegt zurückgewiesen. So erwiderte der SPD-Sprecher Dr. Eberhard: „Dr. Heuss, Sie sprechen von dem Massenverschleiß des Gewissens, den Sie befürchten. Ich glaube, wir haben hinter uns einen Massenschlaf des Gewissens. In diesem Massenschlaf des Gewissens haben die Deutschen zu Millionen gesagt: Befehl ist Befehl und haben daraufhin getötet. Dieser Absatz (im Grundgesetz, d. Verf.) kann eine große pädagogische Wirkung haben und wir hoffen, er wird sie haben ...“

Die Kontroverse, die im Sommer 1956 in der Debatte über das Wehrpflichtgesetz fortgesetzt wurde, belegt die Annahme, daß die Minderheit der Liberalen eine andere Vorstellung von der zukünftigen Demokratie und von der Funktion der Grundrechte hatte als die Mehrheit der Sozial-und Christdemokraten. Für die Liberalen waren Grundrechte nach wie vor hauptsächlich Rechte des einzelnen zum Schutze vor Übergriffen des Staates in seine persönliche Sphäre; für die Mehrheit formulierte Adolf Arndt dagegen das Selbstverständnis der Bundesrepublik so, wie es später fast wörtlich das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wiederholte: „Ich, die Bundesrepublik Deutschland, bin ein Staat, der die Gevissen nicht verletzt, weil ich das Gewissen um der Menschenwürde willen als einen absoluten Wert achte, einen Wert, der auch die Rechtswürde des Staates mitbegründet ... Darum will dieser Staat ... ein Staat sein, der sich aus der freien Gewissensentscheidung der Menschen bildet..

Die Tatsache, daß die Hoffnung ausgesprochen wurde, die Gewissensklausel werde eine große pädagogische Wirkung haben, beweist, daß das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung als Auftrag an die politische Bildung gemeint war und insofern eine Zukunftserwartung ausdrückte: Durch die Verfassung sollten die künftigen Staatsbürger zu einer Gewissensentscheidung aufgerufen werden, die sich an historischen Erfahrungen orientiert: Es solle sich künftig niemand mehr auf einen verbrecherischen Befehl als Entschuldigung für den Dienst und den Gebrauch einer Waffe in der Armee berufen können.

Es unterliegt heute kaum einem Zweifel, daß 'sich die Auffassung der Liberalen um Heuss als die realistischere erwiesen und deshalb sehr bald in der CDU und später auch in der SPD durchgesetzt hat. Allerdings täuschen alle juristischen Auslegungsversuche nicht darüber hinweg, daß die Wirklichkeit im Widerspruch zu den damaligen Zukunftsvorstellungen und -erwartungen derer steht, die sowohl damals die Verfassungsnormen als auch später die ihnen widersprechende Realität geschaffen haben. Diese Realität veränderte schon sehr bald die Zukunftsvorstellungen des Verfassungsgebers in ihren Prämissen: a) Die neue Bundesrepublik erhielt ihre Souveränität nur unter der Bedingung, daß sie einen militärischen Beitrag zum westlichen Verteidigungsbündnis leistete; b) diese „Westlösung", die von der SPD damals noch abgelehnt wurde, bedeutete die Verlängerung und schließlich die Preisgabe der Hoffnung auf die Wiedervereinigung Deutschlands in absehbarer Zeit; c) das wiederum hieß, daß die Bundesrepublik für wesentlich längere Zeit ein Provisorium, ein Übergang sein werde

Zumindest diese Zukunftserwartungen des Parlamentarischen Rates haben sich als unrealistisch erwiesen. Ich wage daher die weiterreichende Hypothese: Es hat sich keine andere Zukunftserwartung eingestellt als die Furcht, die Errungenschaften unserer Verfassung und unsere freiheitliche Ordnung könnten durch eine von ihren Bürgern nicht erkannte und gewollte Gefahr wieder bedroht werden, durch Totalitarismus von rechts oder links, durch Terrorismus, kommunistische Aggression von außen oder Revolution von innen. Das Bedürfnis nach Schutz und Bewahrung des Status quo, geschürt durch Angst vor Verlust, ist ein Zeichen für den Verlust der Dimension der Zukunft, die Flucht in eine unhistorische Endzeitstimmung verlorener oder aber bereits erfüllter Zukunftshoffnungen.

„Die freiheitlichste Verfassung unserer Geschichte

Wenn heute von den Repräsentanten unseres Staates das Grundgesetz als „die freiheitlichste Verfassung unserer Geschichte" gefeiert wird, unser Staat als der demokratischste, den wir je hatten, dann ist es keine Beckmesserei, die historische Relativität dieser Superlative ins Bewußtsein zu rufen: Welche freiheitliche Verfassung „hatten" wir Deutschen in unserer Geschichte? „Hatten" wir die Paulskirchenverfassung? Doch nur als Programm, als Zukunftsentwurf, der nicht Wirklichkeit wurde. Ist, wie es der jetzige Bundespräsident kürzlich dargelegt hat, das Bonner Grundgesetz die erfüllte Gegenwart des Zukunftsentwurfes von 1849?

Niemand wird die Bismarcksche Reichsverfassung freiheitlicher und demokratischer als die Paulskirchenverfassung nennen wollen, aber tatsächlich war sie damals die freiheitlichste und demokratischste, die Deutschland je hatte, weil es vorher weder „Deutschland" noch eine Verfassung gab.

Andererseits gehörte es zu den historischen Erfahrungen, die die Väter des Grundgesetzes bedacht haben, daß die Weimarer Verfassung zu freiheitlich gewesen ist, weil sie auch den erklärten Gegnern der parlamentarischen Republik Agitations-und Aktionsfreiheit gewährte. Sie war aber auch „demokratischer“ als das Grundgesetz, indem sie durch Volksbegehren und Volksentscheid sowie die Wahl des Staatsoberhauptes durch das Volk der Masse der Staatsbürger größeren Anteil an Entscheidungen gewährt hat. Für dieses Ausmaß an Volkssouveränität erwies sich aber die Masse der Staatsbürger als unfähig und unreif; ihre Option für die Diktatur Hitlers war die freiwillige Preisgabe der Freiheit als Ausdruck demokratischen Mehrheitswillens

So weitgehend sollten Freiheit und Demokratie nach dem Willen des Grundgesetzgebers niemals wieder verfaßt werden, daß ihre gegenseitige Aufhebung oder Zerstörung durch die Verfassung geduldet werden könnte. Deshalb sollte die Verfassung von 1949 — noch — nicht dem Urteil und der letzten Entscheidung des gesamten Volkes überantwortet werden.

Das Grundgesetz, das kein Plebiszit kennt, sollte nur provisorisch bis zu dem Tage gelten, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“ (Art. 146). Daraus ist der folgende Schluß zu ziehen: Der Verfassungsgeber drückte die Hoffnung aus, daß die — historisch tatsächlich bis heute einzigartige — Verankerung der Grundrechte in der Verfassung eine pädagogische Wirkung haben werde: Die Staatsbürger sollten unter dem Schutz der garantierten Grundrechte lernen, ihre Rechte gegen Willkür zu verteidigen und die daraus erwachsenden staatsbürgerlichen Pflichten freiwillig und ohne Angst zu erfüllen. Grundrechtsmündige Staatsbürger würden zunehmend lernen, Staatsgewalt zu kontrollieren und schließlich auch selbst auszuüben. Deshalb erhielt 1949 das Prinzip der Grundrechtssicherung Vorrang vor dem Prinzip der in dem eben zitierten Aufsatz -nm. 13): „Inwieweit haben die Erscheinungen des revolutionären, auf Systemüberwindung zielenden fotestes die Funktion, Leere auszufüllen, Hunger nach Größe, Bedarf an Sensation, Verlangen nach zündenden Ideen zu befriedigen?" aller Bürger, die Mitglied in einer Partei sind, nur mühsam 5 % erreicht, die Parteien also von der großen Masse der Bürger nicht als Partizipationsmöglichkeit wahrgenommen werden. Hohe Wahlbeteiligungen und die Bevorzugung der etablierten Parteien durch die überwältigende Mehrheit sollten nicht zu dem — gleichwohl an jedem Wahlabend stereotyp wiederholten — Schluß verleiten, in der Bundesrepublik stehe die Demokratie auf einem so sicheren Fundament im Wählerbewußtsein, daß Extremisten von rechts und links keine Chance hätten. Wenn bereits einige Hunderttausend „Grün" -Wähler die großen Parteien verstören, weil davon Regierungsmehrheiten von meist nur wenigen Prozentanteilen abhängen, dann ist das ein Indiz dafür, daß die stabilen Mehrheiten, die Grund-und Wahlgesetz nach den Erfahrungen von Weimar sichern wollten, durch partizipationsentschlossene Minderheiten jederzeit verändert werden können, selbst mitten in einer Legislaturperiode. Auch die Tatsache, daß mitunter ein einziger Abgeordneter einen Regierungswechsel bewirken kann, hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, das Vertrauen in die etablierten Parteien zu mipdern und den Ruf nach Alternativen zu verstärken.

Die Verfassungswirklichkeit ist aber so stark durch das Parteienprivileg fixiert, daß andere Formen der Partizipation kaum eine dauerhafte Chance haben. Vielmehr sind außerparlamentarische Aktionen, wie z. B. Bürgerinitiativen, oft dem Risiko der Diskriminierung ausgesetzt, obwohl derartige Aktivitäten und Formen der Willensbildung in anderen Demokratien — besonders in den USA und England — selbstverständlich sind.

Solche Fixierung auf das Parlament als alleinigen Entscheidungsträger, die auch bei uns längst nicht mehr der Realität entspricht, drückt sich auch in dem Verhältnis zur Politik der Gewerkschaften aus, das die politische Kultur in der Bundesrepublik von anderen Staaten unterscheidet Bei uns ist es ein verfassungsrechtliches Problem, ob die paritätische Mitbestimmung durchsetzbar oder ob die Aussperrung ein legitimes Kampfmittel ist; in anderen Demokratien, mit denen die Bundesrepublik z. B. in der Europäischen Gemeinschaft zusammenarbeitet, ist es ein politisches, d. h. eine Frage der Macht. Wohlgemerkt: Ich stelle nur die Frage, ob diese weitgehende Verrechtlichung politischer Entscheidungen, die für die Weiterentwicklung einer demokratischen und sozialen Ordnung in die Zukunft hinein zentral sind, wirklich der für alle Demokratien erstrebenswerte Idealzustand ist. Für die politische Bildung, insbesondere den Unterricht in der Schule, halte ich es deshalb für problematisch, die normativen Orientierungen nur auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts oder gar deren Begründungen auszurichten und etwa ein „Menschenbild des Grundgesetzes" (Bernhard Sutor) daraus zu konstruieren.

Ich wiederhole: wie, konkret, in der Zukunft ein gesamtdeutscher demokratischer und sozialer Rechtsstaat aussehen sollte, hat das Grundgesetz in entscheidenden Dimensionen offengelassen. Weder bedeutet „Sozialstaat" die Zielperspektive „Sozialismus", welche Form auch immer darunter verstanden werden mag, noch die Festschreibung unbeschränkter Verfügung über Eigentum im Sinne liberaler Interventionsfreiheit. Das Grundgesetz als zeitlich begrenzte Übergangsverfassung hat deshalb — im Gegensatz zum Rechtsstaatsprinzip — das Sozialstaatsprinzip nicht in Form von sozialen Grundrechten normativ verankert, weil es — im Gegensatz zur Weimarer Verfassung — nur einklagbare Rechte, keine unverbindlichen «Programmsätze" aufnehmen wollte. Trotzdem sind einige Normen, z. B. die Gleichstellung von Mann und Frau oder von nichtehelichen Kindern, bis heute unrealisierte Programm-sätze geblieben, weil juristisch darüber entschieden wird, welche gesetzgeberischen Maßnahmen als Erfüllung oder Verletzung der Normen angesehen werden. Das Grundgesetz hat, wie sich an einzelnen Grundrechtsbestimmungen anhand ihrer Entstehung nachweisen läßt, eine große Zahl möglicher, auf Wandel angelegte Konflikte offen-und diese den politischen Entscheidungen in der Zukunft überlassen. Daraus folgt: Wo die Verfassung schweigt, sind zuerst und letztlich die politischen Kräfte legitimiert, zu entscheiden.

Das Grundgesetz — Zukunftsperspektive mittlerer Reichweite?

Jede Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beendet einen politischen Konflikt und engt den Entscheidungsraum des Gesetzgebers für die nächste Zukunft, theoretisch sogar für die Dauer der Gültigkeit des Grundgesetzes, nicht unerheblich ein. Solange das Grundgesetz als Provisorium empfunden wurde, bedeutete die Möglichkeit juristischer Entscheidung in politischen Konflikten kein Verzicht auf eine langfristige Zukunftsperspektive. So stimmten viele Sozialdemokraten z. B.dem Grundgesetz in der Hoffnung zu, daß Art. 15 den Weg in eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft auf lange Sicht nicht versperrt, auch wenn Art. 14 für eine Übergangszeit die Realisierungschancen mindert.

Ich interpretiere das Grundgesetz daher (und ich empfehle diese Betrachtungsweise auch als didaktisches Konzept) als den — aus damaliger Perspektive prinzipiell gelungenen — Versuch, einerseits auf Grund historischer Erfahrungen Normen zu stabilisieren, andererseits der Einsicht Rechnung zu tragen, daß sich Staat und Gesellschaft in eine weitere Zukunft hinein entwickeln und notwendig verändern werden. Unveränderlich, auch über die Gültigkeit der provisorischen Verfassung hinaus, sollten lediglich jene Grundrechtsnormen sein, die als historische Konkretisierung des Zentralwertes „Würde des Menschen" angesehen wurden. Deshalb sollten sie substantiell auch nicht vom Verfassungsgeber geändert oder beseitigt werden dürfen.

In der Normenhierarchie folgen dann die aus den Grundrechtsnormen abgeleiteten Verfas- sungsnormen, die vor allem der Sicherung der Grundrechtsnormen dienen sollen. Verfassungsnormen sind veränderbar, wenn auch schwer, da sie der qualifizierten Mehrheit des Verfassungsgebers bedürfen. Das Fundament der Normenhierarchie bilden die RechtsnoT- men, die der Gesetzgeber durch politische Entscheidungen setzt. Grundrechts-, Verfassungs-und Rechtsnormen stehen in einem Wechselverhältnis der gegenseitigen Stabilisierung und Veränderung zu den Verhaltensnormen, Konventionen und Sitten in der Gesellschaft, indem diese durch geltendes Recht kodifiziert und konserviert werden, andererseits aber auch durch Wandel Änderungen von Recht und Gesetz notwendig machen.

In diesem Verhältnis der Normenebenen zeichnet sich unter den Kategorien . Stabilität'und . Wandel’ ihre unterschiedliche „Reichweite" als Zukunftsdimension ab: Der Wandel der Rechtsnormen kann (aber muß nicht) relativ kurzfristigen Änderungen Rechnung tragen, indem sie unerwünschte Entwicklungen zu bremsen oder erwünschte zu antizipieren bzw. beschleunigen versuchen. Dies vorausgesetzt, liegt die Hypothese nahe, daß übergeordnete Normen auf größere Reichweite für die Zukunft hin angelegt und nach oben hin offener werden. Im Schema ist das etwa so vorzustellen:

Unveränderlich: Zentral wert „Würde des Menschen", Grundrechtsnormen langfristig veränderbar: Verfassungsnormen mittelfristig veränderbar: Rechtsnormen kurzfristig veränderbar: gesellschaftliche Normen Als Beispiel für die didaktische Relevanz der Hypothese, daß im Grundgesetz eine Zukunftsperspektive mittlerer Reichweite vorherrscht, eignet sich das Thema „Ehe und Familie" unter dem Aspekt des Art. 6 GG.

Die Begriffe Ehe und Familie bezeichnen zunächst einen Wert, noch keine Norm. Manche Theoretiker, insbesondere normativ-ontologisch orientierte, leiten ihn unmittelbar aus dem Zentralwert „Würde des Menschen" ab und folgern daraus, daß sie sich erst durch das Leben in Ehe und Familie realisiert, andere Formen des Zusammenlebens daher unwürdig sind. Empirische Soziologen sehen die Entwicklung umgekehrt: Aus historisch-kulturell bedingten Formen des Zuammenlebens wurden Rechtsnormen, die erst durch Herrschaftsinteressen (Ideologien) den Charakter von absoluten Werten erhalten haben.

Art. 6 GG stellt „Ehe und Familie" unter den besonderen Schutz des Staates, also der geltenden Rechts-und Verfassungsordnung, macht sie also zu einer Institution des Staates, nicht nur der Gesellschaft. Die einzelnen gesetzgeberischen Regelungen und die geltende Rechtsprechung wirken stabilisierend auf das tatsächliche Verhalten des einzelnen, ohne daß unaufhaltsame Wandlungen in den Formen und in der Einstellung ignoriert werden können. Obwohl Ehe und Familie als Institutionen die erwünschte und besonders geförderte Form bleiben — gemessen an Alternativen —, zwingen Wandlungen mittelfristig zu anderen als traditionellen Auslegungen der Grundrechtsnormen.

Als Beispiel für die Rolle politischer Institutionen sei in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Parteien verwiesen. Obwohl sie in der Verfassung erwähnt werden, sind sie kein Verfassungsorgan, sondern eine Institution, die der Gesetzgebung unterliegt. Der Vergleich mit der Institution „Ehe und Familie" könnte — überspitzt formuliert — zu dem Schluß führen, daß in der Zukunftsperspektive des Grundgesetzes eher ein Staat ohne Parteien als eine Gesellschaft ohne Ehe und Familie denkbar gewesen ist.

Es ist unschwer nachzuweisen, daß diese Betonung des Wertes der Familie den Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur Rechnung trägt. Der Staat sollte niemals wieder den Eltern die Kinder wegnehmen oder entfremden, die Familie ideologisieren und die Ehe willkürlichen Parteidoktrinen unterwerfen dürfen. Die Auseinandersetzungen um Art. 6 im Parlamentarischen Rat sind ein eindeutiger Beleg für die Hypothese, daß die unterschiedlichen politischen Positionen zu einem erheblichen Teil auf einer unterschiedlichen Bewertung des Nationalsozialismus bzw. Faschismus beruhen. Die christlich-konservativen Gruppen forderten mit starker Unterstützung durch die Kirchen am nachdrücklichsten die Aufnahme des späteren Artikels 6 in den Grundrechtsteil; im Bewußtsein der Anknüpfung an die Artikel 119 bis 122 der Weimarer Verfassung, deren Begrifflichkeit ihre konservativ-christliche Tradition klar erkennen läßt. Aus dieser Perspektive erscheint der Nationalsozialismus primär als eine antichristliche Bewegung, als eine geistig-moralische Fehlentwicklung, die ihren Ursprung im Rationalismus der Aufklärung, im Liberalismus und in der Französischen Revolution hat. Ihre Zukunftsvorstellung war daher bestimmt von dem Willen, die Grundlagen christlicher Moral auch als Prinzip für die Ausübung von Staatsgewalt wiederherzustellen und das „Sittengesetz" zum Bestandteil der Verfassungs. Ordnung zu machen.

Ich habe an anderer Stelle ausführlicher dar. gelegt, daß und weshalb sich die im Parlamentarischen Rat vertretenen politischen Positionen durch z. T. gegensätzliche Auffassungen vom Wesen des Nationalsozialismus unterschieden • Ich setze daher die dort begründete Hypothese voraus, daß sich die Mehrheit des Parlamentarischen Rates zunehmend den liberalen Positionen näherte, die im Nationalsozialismus zunächst einmal einen totalitären Unrechtsstaat sahen, von Menschen gewollt, geführt und geduldet, von wenigen bekämpft eine Folge von menschlicher Schuld und persönlichem Versagen. „Unrecht" und „Schuld" aber sind ethische Kategorien, keine ökonomischen, wie sie etwa den marxistischen Faschismustheorien zugrunde liegen, und diese moralische Einstellung traf sich mit den Vorstellungen der damaligen re-education-Politik der USA

Mindestens eine Generation lang müsse das deutsche Volk umerzogen werden, um die autoritären Erziehungs-und Verhaltensmuster, die sie in der deutschen Tradition zu erkennen meinten, in demokratische, partnerschaftliche, tolerante, friedliebende, Vorurteils-und aggressionsfreie Persönlichkeiten zu verwandeln. Politische Wissenschaften und politische Bildung sollten dabei die wichtigsten Hilfen leisten. Man geht sicher nicht ganz fehl in der Annahme, daß die Zukunftsperspektive der Mehrheit des Parlamentarischen Rates eine „Übergangszeit" von etwa 30 Jahren im Auge hatte, die dann in die Zukunft einer demokratischen und sozialen Rechtsordnung hineinführen würde. »

Statt Zukunftserwartung liberale Endzeitstimmung?

Das liberale Bild der Zukunft, die mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes Gegenwart werden sollte, war bestimmt von der Vorstellung, daß damit der historische Kampf des Bürgertums um Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie für diesen Teil Deutschlands seinen Abschluß findet. Es gibt, wie Manfred Hättich zum 25. Jahrestag des Grundgesetzes diese Auffassung formuliert hat, „keine prinzipielle Alternative in der Grundstruktur der Ordnung ..., will man nicht hinter das erreichte Maß an Freiheit zurück“. Was der nachfolgenden, also unserer Generation nach der Schöpfung des Grundgesetzes zu tun übrig bleibt, ist, diese Ordnung „in mühevoller Kleinarbeit auszubauen, zu verbessern, im Detail zu korrigieren“

Weiterentwicklung, Verbesserung und Reformen sind danach die bleibenden Aufgaben; wer aber das System in seinen Prinzipien verändern will, muß sich von Politologen wie Hättich und Sontheimer fragen lassen, ob er damit ein persönliches, psychologisches Problem kompensiere oder rationalisiere

Solche liberale Endzeitstimmung entspringt dem Bewußtsein, das Ziel der Menschheitsgeschichte erreicht zu haben — den demokratischen und sozialen Rechtsstaat —, wenn in unserem Falle auch ohne eigenes Zutun und Verdienst, denn wir verdanken unsere Chance letztlich dem militärischen Sieg der demokratischen Besatzungsmächte. Die Vergangenheit ist in unserer Gegenwart aufgegangen, auf die früheres Handeln und Ringen, revolutionäres Bewußtsein, einst zielten. Heute kann revolutionäres Bewußtsein nur ein utopisches, ein irregeführtes, ein ideologisches Bewußtsein sein. Ewige Gegenwart, die keine andere Zukunft als die Verewigung der Gegenwart kennt, heißt Verzicht auf Geschichte, weil diese immer nur Vor-Geschichte der Gegenwart, die Gegenwart aber nicht Vor-Geschichte der Zukunft ist. Ohne Zukunftserwartung, die mehr ist als Angst vor Rückfall in unselige Vergangenheit, wird man schwerlich von der Jugend erwarten können, sich mit diesem Staate zu identifizieren, sich für ihn zu engagieren und sich seine Verfassung zu eigen zu machen. Die heute bereits von kürzlich noch „progressiven“ liberalen Politikern und Politologen als Utopie disqualifizierte Zukunftsorientiertheit war aber als Grundform politischen Denkens stets bewegendes Prinzip der Politik und darf auch im Geschichtsbewußtsein der Jugend nicht fehlen.

Man sollte nicht jede Zukunftsvision als irrational und ideologisch verurteilen, nur weil man sich nicht vorstellen kann, daß sie etwas anderes sein könnte als marxistische Dogmen und Mythen, und man vergessen hat, daß auch liberale Ideen einmal revolutionär waren und als utopisch verurteilt wurden. Wer sich — mit Recht — darüber lustig macht, daß die Machthaber in kommunistischen Staaten den Eintritt in das Endstadium des Kommunismus mit immer neuen Begründungen immer wieder in eine absehbare oder ferne Zukunft verschieben und den „Übergang" prolongieren, der sollte nicht vergessen, daß dies ein Mittel ist, um — besonders die jungen — Menschen in ihrem Glauben an eine Zukunft zu festigen, die nur erreicht wird, wenn sie gewollt wird. Die Zukunftserwartung spornt sie zur Arbeit an und befähigt sie, Entbehrungen zu ertragen und auf die Partei als Führungsmacht zu vertrauen. Wenn aber eine Generation, die selbst nicht mehr die Revolution gemacht hat, seit über 30, in der Sowjetunion seit über 60 Jahren keine Veränderung des Übergangs erfährt, wird es auch dort immer schwerer, den Glauben an eine bessere Zukunft zu bewahren, ohne an einem Feindbild festzuhalten.

Wer in den Himmel strebt, muß den Teufel besiegen — ohne Kampf kein Sieg. Für die Kom35 munisten sind die Imperialisten draußen und die Konterrevolutionäre drinnen die noch immer nicht besiegten Teufel. Umgekehrt, im Spiegelbild-Effekt, dient dieses Feindbild der Kommunisten der Rechtfertigung unseres politischen Engagements: Wenn wir den Idealzustand der Demokratie noch nicht ganz erreicht haben, dann liegt das daran, das wir von außen durch den Kommunismus und von innen durch utopische, extremistische Systemveränderer bedroht sind. Fast könnte man sagen: Was für die Kommunisten dort die Diktatur des Proletariats, d. h. die Vor-Macht-Stellung der allein führenden Partei ist, ist für uns der durch das Grundgesetz geschaffene „Übergang" zur Endform der gesellschaftlichen Ordnung. Welchen Glauben, welche Zukunft haben wir unserer Jugend zu bieten, wenn wir unsererseits auf wirkungslos werdende Feindbilder verzichten?

Ist die Zukunftsperspektive wirklich unrealistisch, wenn man sich eine Demokratie vorstellt, in der man die Freiheit nicht durch Beschränkungen der Freiheiten zu sichern sucht, sondern sie auf das Selbstbewußtsein, die Rationalität und den freien Willen der Mehrheit der Staatsbürger gründet, so wie es sich die Schöpfer des Grundgesetzes vorgestellt haben? Sind Frieden und Freiheit auf Dauer wirklich nur in militärischen Blöcken und durch irrsinniges Wettrüsten zu erhalten? Ist nicht eine Politik denkbar, die heute schon vorweg denkt, was in der Zukunft sein könnte, eine Welt ohne NATO und Warschauer Pakt, in der die Grenze zwischen zwei deutschen Staaten von ähnlicher Art ist wie die zwischen der Bundesrepublik und Österreich oder zwischen Italien und Jugoslawien heute, eine Welt, in der Palästinenser und Israelis friedlich miteinander leben? Oder bleiben Kants Ideen zum ewigen Frieden eine ewige Utopie, eine ideologische Irreführung?

Hierzu eine abschließende Bemerkung zum Grundgesetz als Provisorium: Mit dem hier kodifizierten Katalog der Grundrechte sind keineswegs alle denkbaren Menschenrechte, nicht einmal alle Programmpunkte und Leitvorstellungen des Liberalismus, geschweige des Sozialismus ausgeschöpft. Deshalb ist auch im Grundgesetz der Zentralwert „Würde des Menschen“ durch sie nicht ein für allemal abschließend und verbindlich definiert Vielleicht hält man in gar nicht so ferner Zukunft z. B. ein Recht auf Arbeit durchaus für ein kodifizierbares Merkmal von „Würde des Menschen“, obwohl es als Grundrecht nicht mit den klassischen liberalen Prinzipien vereinbar ist Nach liberaler Auffassung würde ein solches Recht des einzelnen zugleich für den Staat die Pflicht bedeuten, ihm Arbeit zu geben, und damit die Gefahr heraufbeschwören, daß eine allgemeine Arbeitspflicht eingeführt wird. Andererseits ist es zweifellos eine grobe, vielleicht sogar seelisch tötende Verletzung der Menschenwürde, zur Arbeitslosigkeit verdammt zu sein.

Ich ziehe aus dieser Zwischenbemerkung einen ergänzenden didaktischen Schluß: Wenn ich als didaktisches Prinzip einleitend „das Zurückversetzen in die damalige Gegenwart" im Sinne der Betroffenheit empfohlen habe, so heißt das methodisch, die Frage zu stellen, was im Grundgesetz nicht kodifiziert ist und trotzdem legitimes Ziel politischen Strebens ist oder sein kann. Wenn, zur Genugtuung der regierenden Koalition, die paritätische Mitbestimmung nicht als verfassungswidrig verworfen wurde, so wird man z. B. nicht mit derselben Sicherheit sagen dürfen, daß ein weitergehendes Modell der Arbeiterselbstverwaltung in einer marktwirtschaftlichen Ordnung als grundgesetzkonform durchsetzbar wäre. Was aber, wenn die Verfassung der Bundesrepublik tatsächlich historisch nur ein Übergang zu einer europäischen föderativen Verfassung ist? Die Bundesrepublik Deutschland ist im Begriff, in einer zukünftigen Verfassung für die Europäische Gemeinschaft ihre historischen Erfahrungen, aber auch ihre Zukunftserwartungen durch unmittelbar gewählte Repräsentanten einzubringen. In diesem über-nationalen Parlament werden sie auf Realitäten und Zielvorstellungen treffen, die über die Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik hinausweisen. In einigen EG-Staaten z. B. ist das Streikrecht zwar nicht durch ein Grundrecht garantiert, wohl aber die Aussperrung de facto verboten; Kommunisten, bei uns „Verfassungsfeinde", sind in starken Parteien organisiert und wirken bei der Gestaltung des Gemeinwesens aktiv mit; das „Recht auf Bildung" wird teils extensiver, teils auch restriktiver verwirklicht als bei uns; ähnliches gilt für Pressefreiheit und Zensur, Ehe-und Familien-recht einschließlich Kriminalisierung von Abtreibung, Homosexualität oder Ehebruch, für Rechte der Kinder, Frauen, Alten und anderen Majoritäten wie die Emanzipation von Minderheiten. Vieles von dem, was in anderen politischen Kulturen als „Würde des Menschen" und Menschenrechte noch Zukunftserwartung für Europa ist, mag in der Bundesrepublik schon zu den Errungenschaften ihrer Geschichte gehören, obwohl es noch nicht im Katalog der Werte und Ideale des liberalen Bürgertums stand. Aber wir sollten uns vor der überheblichen Selbsttäuschung hüten, unsere Verfassung, unsere Grundrechtsgarantien und unsere Demokratie seien in jeder Hinsicht ein Vor-Bild für die Zukunft Europas oder gar der Welt im 21. Jahrhundert.

Fussnoten

Fußnoten

  1. H. Heimpel, Der Mensch in seiner Gegenwart, Göttingen 1954, S. 9 ff.

  2. K. Sontheimer, Die verunsicherte Republik. Die Bundesrepublik nach'30 Jahren, München 1979, S. 141 f.

  3. Heimpel, a. a. O., S. 11.

  4. Sontheimer, a. a. O„ S. 141.

  5. Grundgesetz und Geschichtlichkeit, in: Aus Poli-tik und Zeitgeschichte, B 22/74, S. 25.

  6. Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler, München 1978, S. 199.

  7. Die folgende Darstellung stützt sich auf Analysen und Untersuchungen, über die ich u. a. in folgenden Publikationen Rechenschaft abgelegt habe: Staats-anspruch und Gewissen. Literaturkritischer Rückblick auf die Erörterung des Rechtes der Kriegsdienstverweigerung, in: Politische Vierteljahres-schrift, H. 3/1965, S. 354— 374; Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Eine exemplarische Erörte-rung der Gewissensfreiheit und ihrer Bedeutung für den liberalen Freiheitsbegriff, in: Die demokratische Grundordnung, Politische Bildung, H. 1/1969, 1. 65— 80, sowie dort im Anhang: Gewissensfreiheit und Kriegsdienstverweigerung (Quellen-und Literaturauszüge); Stichwort Bundeswehr — Kriegsdienstverweigerung und Sicherheitspolitik, in:

  8. Daß es sehr wohl Alternativen auch zu Adenauers Sicherheitspolitik gegeben hätte, beweist u. a. Heinz Brill, Das Problem einer wehrpolitischen Alternative für Deutschland. Die Auseinandersetzung um die wehrpolitischen Alternativvorschläge des Obersten Bogislaw von Bonin (1952— 1955). Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Bundeswehr, Diss. Göttingen 1977 (erscheint 1980 in der Reihe „Göttinger Politikwissenschaftliche Forschungen); sowie ders. (Hrsg.), Bogislaw von Bonin: Opposition gegen Adenauers Sicherheitspolitik. Eine Dokumentation, Hamburg 1976.

  9. VgL dazu meinen Beitrag anläßlich des 25jähri-& en Bestehens der Bundesrepublik Deutschland:

  10. U. a. in meinem Aufsatz „Die Dimension der Zukunft in der Geschichte. Thesen und Hypothesen zur politischen Geschichtsschreibung und zu einer historischen Politikwissenschaft", in: Rolf Schörken (Hrsg.), Zur Zusammenarbeit von Geschichts-und Politikunterricht, Stuttgart 1978, S. 211— 232.

  11. Vgl. Jutta B. Lange-Quassowski, Neuordnung oder Restauration? Das Demokratiekonzept der amerikanischen Besatzungsmacht und die PolS sehe Sozialisation der Westdeutschen, Opladen 1979.

  12. Manfred Hättich, Geschichtsbild und Demokratieverständnis, in: Richard Löwenthal u. Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland — Eine Bilanz, Stuttgart 1974, S. 921.

  13. Sontheimer diagnostiziert (in: Die verunsicherte Republik, S. 86 ff.) „bei einer großen Zahl von Intellektuellen — darunter vielen Universitätslehrern“ - die mangelnde „Fähigkeit zu einem abgewogenen Verständnis unserer Wirklichkeit“ als „akute Störungen unseres Bewußtseins". Ihre „Unsicherheit and Flatterhaftigkeit" könne ihre Ursache nicht in einem schlechten Zustand der Institutionen haben, da diese gut funktionieren, folglich nur im schlech-ten Bewußtseinszustand ihrer Kritiker. Manfred Hättich fragt in dem eben zitierten Aufsatz -nm. 13): „Inwieweit haben die Erscheinungen des revolutionären, auf Systemüberwindung zielenden fotestes die Funktion, Leere auszufüllen, Hunger nach Größe, Bedarf an Sensation, Verlangen nach zündenden Ideen zu befriedigen?"

Weitere Inhalte

Ernst-August Roloff, Dr. phil., Dipl. -Psych., geb. 1926, Professor für Politikwissenschaft und Didaktik der Sozialwissenschaften an der Universität Göttingen. Veröffentlichungen u. a.: Bürgertum und Nationalsozialismus 1930— 1933, Hannover 1961; Braunschweig und der Staat von Weimar, Braunschweig 1964; Was ist und wie studiert man Politikwissenschaft?, Mainz 1969-, Exkommunisten. Ihr Leben und ihr Bruch mit der Partei in Selbstdarstellungen, Mainz 1969; Psychologie der Politik. Eine Einführung, Stuttgart 1976; Erziehung zur Politik. Eine Einführung in die politische Didaktik, 3 Bände, Göttingen 1972/74/79; Schule in der Demokratie — Demokratie in der Schule? (Hrsg.), Stuttgart 1979; Mitherausgeber der Zeitschrift Politische Didaktik.