Die völkerrechtlichen Beziehungen zwischen der DDR und der Sowjetunion, die sich im Verlauf von dreißig Jahren entwickelt haben, weisen aus zwei Gründen einen besonderen Charakter auf: Erstens besitzt die Sowjetunion als eine der vier Siegermächte ein besonderes Verhältnis zu dem von ihr besetzten Teil Deutschlands (SBZ, Ost-Berlin). Eine Ände-rung in diesem Verhältnis könnte erst bei Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland eintreten. Zweitens trägt die DDR aufgrund ihrer besonderen Stellung im sowjetischen Bündnissystems, die sich aus ihrer geostrategischen Lage ergibt, wesentlich zur Geschlossenheit und verstärkten Integration des sowjetischen Hegemonialverbandes bei.
I. Die Errichtung der DDR und ihre Einbeziehung in das multilaterale Paktsystem der Sowjetunion
Stalin hat sich offenbar bereits um die Jahres-wende 1947/48 dazu entschlossen, in der sowjetisch besetzten Zone einen deutschen Teil-staat zu errichten, der zunächst so gestaltet war, daß er eine Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands nicht ausschloß -Das neue Staatsgebilde war von ihm als ein Gegengewicht gegenüber der Vereinigung der drei Westzonen, aus denen die Bundesrepublik Deutschland hervorgehen sollte, und den westeuropäischen Integrationsbestrebungen gedacht. Die „Deutsche Demokratische Republik", die im Oktober 1949 errichtet wurde, sollte darüber hinaus die Barriere bilden, welche nach dem Konflikt mit Tito-Jugoslawien ein weiteres Ausbrechen von ostmitteleuropäischen Ländern aus dem Ostblock verhinderte. Die Errichtung der Sowjetzonenrepublik machte eine Selbstbeschränkung der sowjetischen Besatzungsmacht notwendig. Der damit verbundene schrittweise Verlust an Machtbefugnissen wurde von der Sowjetunion er vorliegenden Abhandlung liegt ein Vortrag zug^unde, der vom Verfasser aufder konstituierenden ^ng der Gesellschaft für Deutschlandforschung " m lr. Februar 1979 in Berlin gehalten wurde. durch eine allmähliche Einbeziehung der DDR in ihr Bündnissystem und die dadurch bedingte Schaffung völkerrechtlicher Bindungen kompensiert Eingeleitet wurde der Abbau der besetzungsrechtlichen Stellung der Sowjetunion durch die Erklärung des Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland vom 11. November 1949, mit der die bisher von der sowjetischen Besatzungsmacht ausgeübten Verwaltungsfunktionen an die Regierung der DDR übertragen wurden. Die Umwandlung der Sowjetischen Kontrollkommission in eine Sowjetische Hohe Kommission (Mai 1953) und der Diplomatischen Mission der UdSSR in eine Botschaft (Oktober 1953) trug zusammen mit dem wirtschaftlichen Überleitungsvertrag vom 22. August 1953 zu einer äußeren Aufwertung des SED-Regimes, das seiner Entstehung keiner freien Willens-entscheidung des Volkes verdankte, bei.
Die Sowjetregierung verzichtete in dem Überleitungsvertrag auf weitere Reparationszahlungen und willigte zugleich in die Rückgabe der SAG-Betriebe (mit Ausnahme der Wismut-AG) ein. Eine begrenzte Übertragung von Hoheitsrechten an die DDR erfolgte durch die „Souveränitätserklärung" der Sowjetregierung vom 25. März 1954 In dieser „Erklärung über die Beziehungen zwischen der UdSSR und DDR“ brachte die Sowjetregierung ihre Absicht zum Ausdruck, mit der DDR „die gleichen Beziehungen ... wie mit anderen souveränen Staaten" aufzunehmen. Die DDR sollte „die Freiheit besitzen, nach eigenem Ermessen über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten einschließlich der Frage der Beziehungen zu Westdeutschland zu entscheiden". Gleichzeitig wurde die Überwachung der Staatsorgane der DDR durch den Hohen Kommissar der UdSSR aufgehoben.
Die Sowjetunion behielt sich ausdrücklich alle Funktionen vor, „die mit der Gewährleistung der Sicherheit im Zusammenhang stehen und sich aus den Verpflichtungen ergeben, die der UdSSR aus den Viermächtabkommen erwachsen".
Die DDR gehört seit dem 29. September 1950 dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe an, der erst nach dem Tode Stalins in zunehmendem Maße Bedeutung für die wirtschaftliche Integration Osteuropas gewinnen sollte
Mit den ostmitteleuropäischen Volksdemokratien war die DDR anfangs nur durch gemeinsame Deklarationen verbunden. Mit Polen hatte sie auf sowjetische Veranlassung am 6. Juni 1950 im Widerspruch zum Potsdamer Abkommen eine Vereinbarung über die Markierung der deutsch-polnischen Grenze entlang der Oder-Neiße-Linie abgeschlossen.
Die „Souveränitätserklärung" bedeutete in formeller Hinsicht eine Gleichstellung mit den anderen sowjetischen Satelliten. Sie ermöglichte in Verbindung mit der am 25. Januar 1955 erfolgten Beendigung des Kriegszustands mit Juni 1950 im Widerspruch zum Potsdamer Abkommen eine Vereinbarung über die Markierung der deutsch-polnischen Grenze entlang der Oder-Neiße-Linie abgeschlossen.
Die „Souveränitätserklärung" bedeutete in formeller Hinsicht eine Gleichstellung mit den anderen sowjetischen Satelliten. Sie ermöglichte in Verbindung mit der am 25. Januar 1955 erfolgten Beendigung des Kriegszustands mit Deutschland durch die Sowjetunion, eine weitere Bindung der DDR an den Ostblock auf einer multilateralen Grundlage herzustellen. Diese erfolgte durch die Aufnahme der DDR in den Kreis der Gründungsmitglieder des Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand, der am 14. Mai 1955 von den acht europäischen Ostblockstaaten in Warschau abgeschlossen wurde 5). Der Warschauer Pakt war nicht nur als Antwort auf den Ausbau der NATO und der Westeuropäischen Union durch die Einbeziehung der Bundesrepublik Deutschland in das westliche Bündnissystem sowie als ein mögliches Tauschobjekt bei der Errichtung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa gedacht. In erster Linie sollte er dazu dienen, die militärischen Kräfte der Ostblockländer organisatorisch zusammenzufassen, eine neue Rechtsgrundlage für die weitere Stationierung sowjetischer Truppen in einzelnen ostmitteleuropäischen Ländern zu schaffen und eine bessere Koordination der Außenpolitik im Rahmen des Bündnisses zu ermöglichen.
Durch den Warschauer Pakt wurde eine unmittelbare Beziehung der DDR zur Sowjetunion auch im militärisch-politischen Bereich hergestellt und ihre Gleichstellung mit den anderen Ostblockstaaten vertraglich fixiert 6). Der Bündnisklausel des Warschauer Paktes (Art. 4) wurde das im Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen enthaltene Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung zugrunde gelegt. Der Casus foederis bezog sich nur auf einen Angriff in Europa.
II. Die Einbeziehung der DDR in das bilaterale Paktsystem der Sowjetunion
Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland veranlaßte die Sowjetunion, ihre Vertragsbeziehun-gen zur DDR weiter auszubauen. Am 20. September 1955 wurde nach Verhandlungen mit einer DDR-Delegation in Moskau ein „Vertrag über die Beziehungen zwischen der UdSSR und der DDR" abgeschlossen, in dem die Souveränität der DDR besonders betont wurde.
Der Artikel 1 lautete: „Die Vertragschließenden Seiten bestätigen feierlich, daß die Beziehungen zwischen ihnen auf völliger Gleichberechtigung, gegenseitiger Achtung der Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten beruhen. In Überein-stimmung hiermit ist die Deutsche Demokratische Republik frei in der Entscheidung über Fragen ihrer Innenpolitik und Außenpolitik, einschließlich der Beziehungen zur Deutschen Bundesrepublik, sowie der Entwicklung der Beziehungen zu anderen Staaten."
In der Präambel wurde auf die Berücksichtigung der internationalen Abkommen, „die Deutschland als Ganzes betreffen", besonders hingewiesen. Als Hauptziel wurde von den Vertragsparteien im Artikel 5 die Herbeiführung einer Friedensregelung für ganz Deutschland bezeichnet. Sie erklärten, daß sie in Übereinstimmung hiermit „die erforderlichen Anstrengungen für eine friedensvertragliche Regelung und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf friedlicher und demokratischer Grundlage unternehmen" würden.
Von einigen sowjetischen Völkerrechtlern ist der „Souveränitätsvertrag" „dem Inhalt nach“
einem Bündnisvertrag gleichgesetzt worden.
Tatsächlich sah der Vertrag nur eine Zusammenarbeit auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem, nicht aber auf militärischem Gebiet vor. Dafür wurde in ihm die weitere Stationierung sowjetischer Truppen in der DDR vereinbart. In einem Briefwechsel wurde die Kontrolle des Verkehrs von und nach West-Berlin ausdrücklich der Sowjetunion Vorbehalten. Die Hohe Kommission der Sowjetunion in Ost-Berlin wurde am 20. September 1955 aufgelöst. Die Sowjets hatten damit die DDR in den formellen Souveränitätsrechten der Bundesrepublik Deutschland gleichgestellt, die tatsächliche Macht und damit die Möglichkeit, die Innen-und Außenpolitik der DDR maßgebend zu bestimmen, lag weiterhin in ihren Händen.
Der „Souveränitätsvertrag" bildete zwar den Ausgangspunkt für die Einbeziehung der DDR in das bilaterale Paktsystem der Sowjetunion.
n Anbetracht der gesamtdeutschen Problematik erschien jedoch die Aufnahme der DDR in das System der zweiseitigen Bündnisverträge, das seit 1943 hauptsächlich auf Initiative der Sowjetunion aufgebaut worden war, nicht möglich. Die meisten Bündnisverträge der ersten Generation die in erster Linie „Sicherheitsverträge" darstellten, waren gegen Deutschland gerichtet, das auch die DDR umfaßte. Erst nachdem das gesamte bilaterale Paktsystem nach Ablauf von zwanzig Jahren von 1963 an auf eine neue Grundlage gestellt INHALT I. Die Errichtung der DDR und ihre Einbeziehung in das multilaterale Paktsystem der Sowjetunion II. Die Einbeziehung der DDR in das bilaterale Paktsystem der Sowjetunion III. Die Stellung der DDR in der Warschauer Paktorganisation IV. Das Verhältnis von DDR und UdSSR aufgrund der zweiseitigen Bündnisverträge
1. Der Rechtscharakter der beiden Bündnisverträge 2. Die Verstärkung des sowjetischen Hegemonialanspruchs durch die Verankerung der „Breshnew-Doktrin" im neuen Bündnisvertrag 3. Die „Annäherung der Nationen" als Mittel zur beschleunigten Integration des sowjetischen Hegemonialverbandes
4. Die Relativierung der Prinzipien der KSZE-Schlußakte durch die sowjetische Koexistenz-und Internationalismuskonzeption
5. Die Koordination der Außenpolitik unter Betonung der weltrevolutionären Zielsetzung 6. Der Wandel in der deutschlandpolitischen Grundposition V. Die DDR als Bestandteil des Sowjet-blocks wurde, war der Abschluß eines zweiseitigen Bündnisvertrages mit der DDR leichter zu vollziehen Außerdem bot sich damit für Chruschtschow die Möglichkeit, von seinen weitgespannten deutschlandpolitischen Zielen abzurücken. Die Bestimmungen des Bündnisvertrages zwischen UdSSR und DDR, der am 12. Juni 1964 abgeschlossen wurde, ließen die Bereitschaft Chruschtschows erkennen, seine Offensive, die er mit dem Berlin-Ultimatum vom 10. November 1958 und dem Friedensvertragsentwurf vom 10. Januar 1959 eingeleitet hatte, abzubrechen. Insofern markierte der Vertrag die zweite Etappe des Rückzuges, den Chrus Juni 1964 10) abgeschlossen wurde, ließen die Bereitschaft Chruschtschows erkennen, seine Offensive, die er mit dem Berlin-Ultimatum vom 10. November 1958 und dem Friedensvertragsentwurf vom 10. Januar 1959 eingeleitet hatte, abzubrechen. Insofern markierte der Vertrag die zweite Etappe des Rückzuges, den Chruschtschow mit der Errichtung der Berliner Mauer am August 1961 angetreten hatte. Mit dem Bündnisvertrag wurde die Drohung eines separaten Friedensvertrages mit der DDR endgültig fallengelassen. Zugleich wurde von der Forderung nach einer „Freien Stadt" West-Berlin abgesehen. Die Deutschlandfrage wurde im Einklang mit dem Souveränitätsvertrag offengehalten 11).
Der Vertragsabschluß mit der DDR erfolgte kurz vor dem beabsichtigten Staatsbesuch Chruschtschows in Bonn, welcher der Verbesserung der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland dienen sollte. Zu diesem Besuch ist es infolge des Sturzes von Chruschtschow im Oktober 1964 nicht gekommen.
Die westliche Entspannungspolitik — verbunden mit der „neuen Ostpolitik" der Großen Koalition einerseits, die Verschärfung des Konflikts mit der Volksrepublik China andererseits — veranlaßte die Nachfolger Chruschtschows, die Erneuerung des bilateralen Paktsystems zügig voranzutreiben 12). In den neuen Bündnisverträgen kam die Anerkennung der sowjetischen Hegemonie in Osteuropa stärker zum Ausdruck. Der Bündnisvertrag mit der DDR war der erste Vertrag, in den das Prinzip des „sozialistischen Internationalismus" aufgenommen wurde. Im Verhältnis zu dem ebenfalls erwähnten Prinzip der „friedlichen Koexistenz" kam ihm unbedingter Vorrang zu. Außerdem wurde besonderer Nachdruck auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit in dem inzwischen reorganisierten Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe gelegt. Die Bündnisverträge der zweiten Generation waren damit zur Rechtsgrundlage für eine wesentlich verstärkte Zusammenarbeit sowohl auf dem Gebiete der Wirtschaft als auch auf anderen Gebieten geworden. Sie waren daher nicht nur als Sicherheitspakte, sondern auch als Integrationsverträge anzusehen 13).
Da sich die Beistandsverpflichtung — ebenso wie beim Warschauer Pakt und teilweise unter Berufung auf ihn — auf den Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen stützte, brauchten die von der Sowjetunion beanspruchten Interventionsmöglichkeiten aufgrund der Feindstaatenartikel nicht besonders betont zu werden. Dies ermöglichte den Sowjets, die DDR im vollen Umfange in das System der bilateralen Pakte einzubeziehen. Insgesamt sind von 1964 bis 1972 20 Bündnisverträge der zweiten Generation abgeschlossen worden, davon sechs Verträge durch die DDR.
Beim Bündnisvertrag von 1964 war ebenso wie bei den anderen Verträgen eine Geltungsdauer von zwanzig Jahren vorgesehen. Der Abschluß eines neuen Bündnisvertrages zwischen der UdSSR und der DDR am 7. Oktober 1975 kam daher unerwartet Unter Berücksichtigung der Änderung der DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1974 hat es den Anschein, daß die Initiative zu diesem Vertragsabschluß stärker bei der DDR als bei der Sowjetunion gelegen hat In der Verfassungsänderung war eine verstärkte Bindung der DDR an die Sowjetuni-on, verbunden mit der Abkehr vom Begriff einer einheitlichen deutschen Nation, zum Ausdruck gekommen. Die gleiche Tendenz ist auch im neuen Vertrag festzustellen.
Mehrere Faktoren haben bei dieser Entwicklung eine Rolle gespielt: Die Auswirkungen der bewaffneten Intervention in der Tschechoslowakei und ihre ideologische Begründung, die staatliche Aufwertung der DDR aufgrund der modifizierten neuen Ostpolitik der sozialliberalen Koalition, die fehlende Festlegung in der nationalen Frage im Grundlagen-vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland vom 21. Dezember 1972 und die Verfestigung des Status quo in Europa aufgrund der KSZE.
Es ist bezeichnend, daß der Bündnisvertrag von 1975 im weitgehenden Maße dem Vorbild des Bündnisvertrages zwischen der UdSSR und der ÖSSR vom 6. Mai 1970 folgte, der von der Sowjetunion nach der Besetzung der Tschechoslowakei abgeschlossen worden ist 16). Diese Übereinstimmung läßt auf ein bestimmtes sowjetisches Interesse an einer Umgestaltung des bilateralen Paktsystems im Sinne einer weiteren Stärkung der Hegemonie der Sowjetunion in Richtung eines Imperiums, d. h. einer absoluten Herrschaft, schließen.
Der Bündnisvertrag zwischen der UdSSR und der ÖSSR, der in die Zeit der Erneuerung des bilateralen Paktsystems fällt, ist als der erste Bündnisvertrag einer dritten Generation anzusehen, die sich durch eine ganze Reihe von Eigenheiten von den Verträgen der zweiten Generation unterscheidet Bisher ist es nur die DDR gewesen, die sich dieses Modell voll zu eigen gemacht hat. Auf den Bündnisvertrag mit der UdSSR von 1975 folgten in Europa die Bündnisverträge mit der Ungarischen Volksrepublik vom 24. März 1977, der Volksrepublik Polen vom 28. Mai 1977, der Volksrepublik Bulgarien vom 14. September 1977 und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik vom 3. Oktober 1977 Mit der Sozialistischen Republik Rumänien kam nur eine gemeinsame Deklaration vom 10. Juni 1977 zustande. In gewisser Weise hat die DDR damit den Vor-reiter gemacht für eine bestimmte Richtung im Kreml, die eine beschleunigte Integration der unter Führung Moskaus stehenden „sozialistischen Gemeinschaft" anstrebt.
In den Bündnisverträgen der dritten Generation kommt der Hegemonieanspruch der Sowjetunion und die stärkere Einbeziehung der einzelnen Vertragspartner in den sowjetischen Hegemonialverband sehr viel deutlicher als bisher zum Ausdruck. Zur Gewährleistung der Sicherheit und zur verstärkten Integration tritt die rechtliche Begründung für eine engere Bindung an die von der Sowjetunion geführte Staatengemeinschaft. Sie berechtigt, diese Bündnisverträge, unter Einschluß des Vertrages zwischen der UdSSR und der DDR, als „Blockverträge" zu bezeichnen
In den neuen Bündnisverträgen werden die Konturen eines neuen Sowjetblocks erkennbar, der nun einen Teil des früheren Ostblocks zu einer rechtlich fixierten Einheit zusammenfügt. Im Hinblick auf die Bündnisverträge mit der DDR ist von entscheidender Bedeutung, daß die friedensvertragliche Lösung der Deutschlandfrage, im Widerspruch zum „Souveränitätsvertrag", nicht mehr erwähnt, wird.
III. Die Stellung der DDR in der Warschauer Pakt-Organisation
Seit dem Abschluß des Warschauer Paktes am 14. Mai 1955 ist die Militärorganisation, die auf der Grundlage dieses multilateralen Vertrages geschaffen wurde, zahlreichen Veränderungen unterworfen worden Die DDR hat diese Veränderungen ungeachtet der ihr vertraglich aufgelegten Beschränkungen benutzt, um in militärischer Hinsicht eine Gleichstellung mit den anderen Gefolgsstaaten der Sowjetunion zu erreichen. Eine Sonderstellung der DDR in der Warschauer Paktorganisation ergibt sich — abgesehen von der gesamtdeutschen Problematik — aus drei Gründen: Erstens durch die deutsche Fassung des Vertragstextes, zweitens durch die Einbeziehung der gesamten Nationalen Volksarmee (NVA) in die Vereinten Streitkräfte, drittens durch die besondere Regelung im Truppenstationierungsvertrag mit der UdSSR.
Der Warschauer Pakt sieht im Artikel 4 nur eine automatische Bündnispflicht, nicht aber eine automatische Beistandsleistung der Mitglieder des Vertrages im Falle eines bewaffneten Angriffs auf einen oder mehrere Vertragspartner in Europa vor. Der Warschauer Pakt kennt ebenso wie die NATO keinen automatischen Kriegseintritt und damit den sofortigen Übergang der operativen Entscheidungsbefugnis auf die militärische Führung des Bündnisses. Die Entscheidung darüber, in welcher Weise der angegriffene Staat unterstützt werden soll, steht im Belieben des Hilfeleistenden. Die DDR bildet offenbar eine Ausnahme. Bei ihr werden aufgrund des abweichenden deutschen Urtextes des Warschauer Paktes das Ausmaß und die Richtung ihrer Hilfeleistung durch die übrigen Paktstaaten bestimmt Nach der russischen, polnischen und tschechoslowakischen Fassung erweist jeder Teilnehmerstaat dem Opfer eines Angriffs „Beistand mit allen Mitteln, die ihm erforderlich 'erscheinen". Die deutsche Formulierung verpflichtet dagegen zum sofortigen Beistand individuell und in Vereinbarung mit den anderen Teilnehmerstaaten des Vertrages mit allen Mitteln, die ihnen erforderlich erscheinen. Die Argumente, die gegen diese Auslegung der Textunterschiede von Frenzke geltend gemacht worden sind überzeugen nicht ganz. Vor allem dürfte kaum anzunehmen sein, daß beim deutschen Text ein Übersetzungsfehler vorgelegen hat. In der Praxis jedoch dürfte dem Streit über die abweichende deutsche Fassung der Beistandsklausel kaum eine große Bedeutung zukommen, da die Entscheidung über den Einsatz der Nationalen Volksarmee der im Vereinten Oberkommando dominierenden sowjetischen Hegemonialmacht zufallen dürfte.
In diesem Zusammenhang kommt dem Umstand, daß aufgrund des Beschlusses des Politischen Beratenden Ausschusses vom 28. Januar 1956 die bewaffneten Kontingente der Nationalen Volksarmee (NVA) in die Vereinten Streitkräfte einbezogen worden sind eine besondere Bedeutung zu. Sie sind damit im vollen Umfange dem Oberkommando unterstellt worden. Offenbar ist der Minister für Nationale Verteidigung der DDR weiterhin einer der Stellvertreter des Oberkommandierenden, während diese Funktion bei den anderen Paktstaaten, die sich nur mit begrenzten Kontingenten an den Vereinten Streitkräften beteiligen, seit 1969 durch stellvertretende Verteidigungsminister oder Generalstabs-chefs ihrer Länder ausgeübt wird
Die DDR ist aufgrund des Truppenstationierungsvertrages mit der UdSSR vom 12. März 1957 im Verhältnis zu den anderen Volksdemokratien, mit denen die Sowjetunion Truppenstationierungsverträge abgeschlossen hat, benachteiligt. Sie hat im Unterschied zu den anderen Ländern bei der Festlegung der Stärke und Dislozierung sowie den Bewegungen sowjetischer Truppen kein Recht auf Mitsprache, sondern nur auf Beratung. Das sowjetische Oberkommando kann nach eigenem Ermessen Maßnahmen ergreifen, wenn es die Sicherheit für die in der DDR stationierten sowjetischen Truppen als bedroht ansieht. Die Erklärung des Notstandes wird dabei nicht, wie dies beim Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und den Westmächten der Fall ist, an objektive Voraussetzungen geknüpft. Vielmehr ist für die Verhängung der Maßnahmen zur Beseitigung der drohenden Gefahr die subjektive Entscheidung des Oberkommandos der sowjetischen Streitkräfte hinreichend. Aus dieser Regelung ergibt sich eine zusätzliche Interventionsmöglichkeit für die Sowjetunion, die bei den anderen ostmitteleuropäischen Staaten nicht vorliegt. Von den anfänglichen Stationierungskosten ist die DDR 1958 befreit worden.
Die DDR hat seit ihrer Zugehörigkeit zur War-schauer Paktorganisation große Anstrengungen unternommen, um den Ausbildungs-und Ausrüstungsstand der NVA demjenigen seiner benachbarten Bündnispartner anzugleichen Der Aufbau der NVA erfolgte dabei von vornherein als ein Teil der Koalitionsstreitkräfte. Im August 1968 beteiligte sich die NVA unter sowjetischem Oberkommando an dem Einmarsch in die Tschechoslowakei.
Durch die Teilnahme an der bewaffneten In-tervention, die durch die Bestimmungen des Warschauer Paktes nicht gedeckt war sind die Verpflichtungen, welche die DDR im zweiseitigen Bündnisvertrag mit der ÖSSR 1967 übernommen hat, verletzt worden. Außerdem setzte sie sich damit in einen Widerspruch zur eigenen Verfassung vom 6. April 1968, in der es heißt, daß die DDR ihre Streitkräfte niemals „gegen die Freiheit eines anderen Volkes einsetzen" wird.
v Nach der Intervention in der Tschechoslowakei sind auf sowjetische Initiative eine Reihe von Maßnahmen getroffen worden, durch welche die Warschauer Pakt-Organisation in militärischer und politischer Hinsicht vervollkommnet worden ist Dies jst nicht nur in der Verbesserung der Waffenausstattung und der Ausbildung, sondern auch der Führungsstruktur und Organisation zum Ausdruck gekommen. Ein ständiges Komitee der Verteidigungsminister, ein Militärrat, ein Komitee zur Koordinierung der Waffentechnik und ein ständiges Komitee der Außenminister wurden errichtet, der gemeinsame Stab und das Vereinte Sekretariat reorganisiert. An den Bemühungen um eine verstärkte militärische Integration, die vor allem bei Rumänien auf Widerstand stießen, nahm die DDR aktiven Anteil. Im Rahmen der beschleunigten Aufrüstung der sowjetischen Streitkräfte seit der Mitte der sechziger Jahre ist der Wert der NVA für die Sowjetarmee weiter angewachsen.
IV. Das Verhältnis von DDR und UdSSR aufgrund der zweiseitigen Bündnisverträge
1. Der Rechtscharakter der beiden Bündnisverträge Die östliche Völkerrechtsauffassung sieht in den zweiseitigen Bündnisverträgen Regional-abkommen im Sinne des VIII. Kapitels der Satzung der Vereinten Nationen. Ein Regional-pakt gemäß der Satzung der Vereinten Nationen liegt aber nur dann vor, wenn er nicht nur Schutz gegen Angriffe außenstehender Staaten gewährt, sondern darüber hinaus der Sicherheit innerhalb des betreffenden Raumes dient. Durch das bilaterale Paktsystem wird — die kollektive Verteidigung, nicht aber die kollektive Sicherheit gewährleistet. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, daß im bilateralen Paktsystem eine friedliche Streitschlichtung nicht vorgesehen ist. Das sowjetische Paktsystem, in dem der DDR eine wichtige Rolle zufällt, stellt somit eine Allianz dar, die sich, wie noch näher zu erläutern ist, durch besonders ausgeprägte hegemonische Züge auszeichnet, aber keinen Regionalpakt im Sinne der Satzung der Vereinten Nationen darstellt
Das Kernstück der zweiseitigen Bündnisverträge bildet ebenso wie beim Warschauer Pakt die Bündnisklausel. Diese stützt sich in beiden Verträgen auf den Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen. Die unmittelbare Bezugnahme auf den Artikel 51 liegt aber nur beim Bündnisvertrag UdSSR—DDR von 1975 vor (Art. 8). Beim Vertrag UdSSR—DDR von 1964 ergibt sie sich aus der Feststellung, daß die Beistandsleistung in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Warschauer Paktes erfolgt (Art. 5). Die Beistandsleistung erfolgt damit nur aufgrund des neuen Bündnisvertrages automatisch. Sie ist außerdem regional nicht auf die Abwehr eines Angriffs in Europa beschränkt. Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen erweitert das individuelle „natürliche Recht auf Selbstverteidigung" in ein Recht auf Beistand für das Opfer eines verbotenen bewaffneten Angriffs, welches die Grundlage der „kollektiven Selbstverteidigung" bildet. Dieses geht von der juristischen Fiktion aus, daß ein Angriff auf einen anderen als ein Angriff auf sich selbst anzusehen ist. Der Begriff der „kollektiven Selbstverteidigung" bedeutet in diesem Sinne „Nothilfe" und nicht „Notwehr".
Maßnahmen, die in Ausübung des Selbstverteidigungsrechts ergriffen werden, sind gemäß Artikel 51 dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unverzüglich anzuzeigen. Im Einklang mit dieser Forderung ist in der Bündnis-klausel des Bündnisvertrages UdSSR—DDR von 1975 die Bestimmung enthalten, daß die Vertragsparteien „unverzüglich den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unterrichten und im Einklang mit den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen handeln" werden. Im alten Vertrag war darüber hinaus bestimmt worden, die ergriffenen Maßnahmen sofort einzustellen, „sobald der Sicherheitsrat die Maßnahmen ergreift, die zur Wiederherstellung und Erhaltung des Weltfriedens erforderlich sind".
Der Integrationscharakter ist beim neuen Bündnisvertrag (Art. 2, 3) sehr viel ausgeprägter als beim alten Vertrag (Art. 8). Es ist nicht nur von der „sozialistischen ökonomischen Integration" und einem „immer engeren Zusammenwirken der nationalen Wirtschaften beider Staaten" die Rede, sondern auch vom Willen der Vertragsparteien, „die Anstrengungen zur effektiven Nutzung der materiellen und geistigen Potenzen ihrer Völker und Staaten für die Errichtung der sozialistischen und kommunistischen Gesellschaft und die Festigung der sozialistischen Gemeinschaft zu vereinen". Bereits in dieser Formulierung wird das Bestreben, eine ökonomische Blockbildung herbeizuführen, erkennbar. Im politischen Bereich wird der Blockcharakter des Bündnisvertrages UdSSR—DDR von 1975 in der Auslegung des Prinzips „proletarisch-sozialistischen Internationalismus" im Sinne der „Breshnew-Doktrin" und in der These von der „Annährung der sozialistischen Nationen" besonders deutlich. 2. Die Verstärkung des sowjetischen Hegemonieanspruchs durch die Verankerung der „Breshnew-Doktrin“ im neuen Bündnisvertrag Das Prinzip des „sozialistischen Internationalismus" und die mit ihm verbundenen Grundsätze sind bereits im alten Bündnisvertrag UdSSR—DDR von 1964 aufgeführt worden (Art. 1). In dem Vertrag UdSSR—DDR von 1975 wird der Internationalismus-Begriff häufiger erwähnt. Dabei ist es bemerkenswert, daß nicht nur vom „sozialistischen Internationalismus" (Präambel, Art. 1), sondern auch von der Lehre des Marxismus-Leninismus (Präambel) die Rede ist.
Das Prinzip des „sozialistischen Internationalismus" bedeutete in seiner ursprünglichen Fassung nichts anderes als die ideologische Umschreibung der sowjetischen Hegemonie in Osteuropa, die unter bestimmten Umständen eine bewaffnete Intervention unter Zugrundelegung des Grundsatzes der kameradschaftlichen oder brüderlichen Hilfe rechtfertigt. Durch die „Breshnew-Doktrin", die zur ideologischen Begründung der sowjetischen Intervention in der Tschechoslowakei diente, ist eine wesentliche Ausweitung des Anwendungsbereichs dieses Grundsatzes und eine Verstärkung des interventionistischen Gehalts des „sozialistischen Internationalismus erfolgt Verbietet doch die „Breshnew-Dok-trin" nicht nur das Ausscheiden eines sozialistischen Staates aus dem „sozialistischen Weltsystem" und der engeren „sozialistischen Gemeinschaft", sondern auch jede wesentliche strukturelle Abweichung im Innern eines solchen Landes vom sowjetischen Modell des Staatssozialismus.
Ausdrucksform der „Breshnew-Doktrin“, soweit sie im sowjetischen Vertragssystem Eingang gefunden hat, ist einerseits die „Preßburger Formel" andererseits der Grundsatz der „Einheit und Geschlossenheit“ des sowjetischen Hegemonialverbandes.
In der Preßburger Erklärung vom 3. August 1968 wurde die „gemeinsame internationale Pflicht aller sozialistischer Länder" betont, die «(sozialistischen) Errungenschaften ... zu unterstützen, zu festigen und zu verteidigen". Im Einklang mit dieser Formel wurde in der Präambel des Bündnisvertrages UdSSR— SSR von 1970 „die Festigung und Verteidigung der ... sozialistischen Errungenschaften" als „die gemeinsame internationale Pflicht der sozialistischen Länder" charakterisiert. Übereinstimmend heißt es in der Präambel des Bündnis-vertrages UdSSR—DDR von 1975, „daß die Unterstützung, die Festigung und der Schutz der sozialistischen Errungenschaften ... gemeinsame internationalistische Pflicht der sozialistischen Länder sind". Die gleiche Formulierung findet sich in den Verträgen der DDR mit Ungarn, Bulgarien und der CSSR. Im Vertrag DDR—Polen wird „die Festigung und die entschlossene Verteidigung der Errungenschaften des Sozialismus" unter Auslassung des Wortes „gemeinsam“ als „die internationalistische Pflicht der sozialistischen Staaten" bezeichnet Im Artikel 5 des Vertrages UdSSR—ÖSSR von 1970 ist von den „erforderlichen Maßnahmen"
die Rede, welche die Vertragspartner „zum Schutz der sozialistischen Errungenschaften der Völker" ergreifen werden. Im Artikel 4 des Vertrages UdSSR—DDR von 1975 erklären die Vertragspartner ihre Bereitschaft, „die notwendigen Maßnahmen zum Schutz und der Verteidigung der historischen Errungenschaften des Sozialismus ... zu treffen". Eine entsprechende Formulierung findet sich in den Verträgen der DDR mit Bulgarien (Art. 4) und derÖSSR(Art. 5).
Etwas zurückhaltender ist Art. 7 des Vertrages DDR—Polen formuliert, wonach die Vertrags-
Partner „zum Schutz ihrer historischen Errungenschaften beim Aufbau des Sozialismus ... beitragen“ werden.
Bis zur sowjetischen Intervention in der Tschechoslowakei sind drei Grundsätze als konstitutive Elemente des „sozialistischen Internationalismus“ besonders hervorgehoben worden: „brüderliche oder dauerhafte Freundschaft", „enge oder allseitige Zusammenarbeit" und die bereits erwähnte „kameradschaftliche oder brüderliche Hilfe", die den militärischen Beistand einschließt Diese drei Grundsätze finden sich auch in den neuen Verträgen im Artikel 1, nur, daß jetzt in den Verträgen der DDR nicht nur von einer „unverbrüchlichen", sondern auch von einer „ewigen" Freundschaft gesprochen wird. Außerdem ist von der „Einheit und Geschlossenheit" im Hinblick auf die „sozialistische Gemeinschaft" die Rede. Die Formel von der „Einheit und Geschlossenheit aller Länder der sozialistischen Gemeinschaft“ findet sich jetzt in den Präambeln sämtlicher neuer Verträge.
Obgleich die „Einheit und Geschlossenheit" nicht unmittelbar mit dem Internationalismus-begriff verknüpft ist, wird sie von den sowjetischen Völkerrechtlern seit der Intervention als ein Grundsatz und damit als ein konstitutives Element des „sozialistischen Internationalismus" ansehen Ihm wird teilweise die zentrale Bedeutung zugewiesen, die in den früheren sowjetischen Aussagen dem Grundsatz der Zusammenarbeit oder dem der gegenseitigen Hilfe (beziehungsweise des gegenseitigen Beistandes) zukam. Im sechsten Band des Lehrgangs des Völkerrechts, der den Beziehungen zwischen den „sozialistischen Staaten“ gewidmet ist, wird die „Einheit und Geschlossenheit“ als „konkreter Ausdruck des Prinzips des sozialistischen, proletarischen Internationalismus" noch vor der „uneigennützigen, brüderlichen Hilfe" an erster Stelle genannt
Die Ausführungen der. sowjetischen Völkerrechtler lassen erkennen, daß mit dieser Formel vor allem die Forderungen erfaßt werden, die mit der „Breshnew-Doktrin“ verbunden sind. Das gilt nicht nur für die „gemeinsame Verteidigung der sozialistischen Errungenschaften", sondern auch für die Unterordnung der Einzelinteressen der sozialistischen Länder unter die gemeinsamen Interessen der „sozialistischen Gemeinschaft", die von der Sowjetunion als Führungsmacht festgelegt wer-den. In diesem Sinne bedeutet der „sozialistische Internationalismus“ als völkerrechtliches Prinzip nach D. B. Lewin „die Verpflichtung aller sozialistischen Staaten .. ihre nationalen Interessen den internationalen Interessen der ganzen sozialistischen Gemeinschaft und ihrem gemeinsamen Ziel — dem Aufbau der kommunistischen Gesellschaft — unterzuordnen" 3. Die „Annäherung der Nationen" als Mittel zur beschleunigten Integration des sowjetischenHegemonialverbandes
Der Vertrag UdSSR—DDR von 1975 und die anderen neuen Verträge sehen eine wesentliche Ausweitung der Kooperation auf allen Gebieten und zugleich eine beschleunigte Integration der „sozialistischen Gemeinschaft" zwecks Verstärkung der Einheit und Geschlossenheit des sowjetischen Hegemonialverbandes vor. Bemerkenswert ist, daß der Begriff der Integration, der früher abgelehnt wurde, mit der Formel „sozialistische ökonomische Integration“ jetzt auch Eingang in die neuen Verträge gefunden hat. Das mit ihrer Hilfe verfolgte Ziel ist nicht nur eine föderale Staatenverbindung auf der Grundlage einer engen Wirtschaftsgemeinschaft. Angestrebt wird auch eine verstärkte Angleichung der Länder der „sozialistischen Gemeinschaft", verbunden mit einer allmählichen Verschmelzung der beteiligten Nationen In den Verträgen mit Ungarn und der ÖSSR wird die „weitere Annäherung der sozialistischen Länder und Nationen" sogar als „gesetzmäßiger Prozeß" bezeichnet, dagegen ist eine solche Formulierung in den Bündnisverträgen, die bis 1972 abgeschlossen wurden, einschließlich des Vertrages mit der ÖSSR von 1970, nicht enthalten gewesen.
Die Formel von der „Annäherung der Nationen", der in der sowjetischen Nationstheorie eine besondere Bedeutung zukommt, muß im
Zusammenhang mit dem Begriff des einheitlichen Sowjetvolkes (sovetskij narod) gesehen werden, der jetzt auch in der neuen Bundesverfassung der UdSSR seinen Eingang gefunden hat Entsprechend der These, die von Breshnew auf dem XXIV. Parteitag der KPdSU 1971 aufgestellt worden ist, stellt das Sowjetvolk aufgrund seines einheitlichen Charakters eine historisch neue und qualitativ höhere Stufe der Menschengemeinschaft dar. Gemeint ist mit dem Sowjetvolk das Ergebnis des bisherigen Assimilationsprozesses im sowjetischen Vielvölkerstaat, der mit der Formel von der „Annährung der Nationen" umschrieben wird. Im Verlauf der weiteren Entwicklungen sollen die einzelnen Nationen, Völkerschaften und Volksgruppen, die integrale Bestandteile des Sowjetvolkes bilden, zu einer einheitlichen Sowjetnation mit russischer Sprache verschmolzen werden.
In der sowjetischen Nationstheorie wird im verstärkten Maße die Auffassung vertreten, daß dieser Prozeß, der als „Internationalisierung" bezeichnet wird, über die Sowjetunion hinausführt. Nach der Sowjetunion soll auch in der „sozialistischen Gemeinschaft" ein bestimmter Grad von Verschmelzung erreicht werden. Die sowjetischen Nationstheoretiker erklären, daß das Beispiel des Sowjetvolkes „die Gesetzmäßigkeiten und Wege des allmählichen Verwischens der nationalen Unterschiede" sichtbar gemacht habe. „In diesem Sinne ist das Sowjetvolk eine der zwischennationalen Ubergangsgemeinschaften der Menschen auf dem Wege von den nationalen Gemeinschaften der Menschen zur künftigen Weltgemeinschaft der gesamten Menschheit unter den Bedingungen des Sieges des Kommunismus in der ganzen Welt." In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, daß sich „dieses Entwicklungsgesetz der Nation im Sozialismus nicht nur im Rahmen eines einzelnen multinationalen Staates, sondern im gesamten sozialistischen Weltsystem auswirkt" Der Intemationalisierungsprozeß und die damit verbundene Russifizierung geht somit gemäß dieser ideologischen Perspektive nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch im sowjetischen Hegemonialverband, dem die DDR angehört, vor sich. Die „Breshnew-Doktrin" ist dazu bestimmt, diesen Assimilationsprozeß zu fördern. 4. Die Relativierung der Prinzipien der KSZE-Schlußakte durch die sowjetische Koexistenz-und Internationalismuskonzeption In beiden Bündnisverträgen gehen die Sowjetunion und die DDR davon aus, daß der „friedlichen Koexistenz" in ihren auswärtigen Beziehungen eine besondere Bedeutung zukommt. In dem Bündnisvertrag UdSSR—DDR von 1964 wird von der festen Absicht gesprochen, «unbeirrt eine Politik der friedlichen Koexistenz von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung zu befolgen" (Präambel). Im Bündnisvertrag UdSSR—DDR von 1975 ist von „einer konsequenten Verwirklichung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung zur Erweiterung und Vertiefung des Entspannungsprozesses in den internationalen Beziehungen" die Rede (Art. 5).
Im Unterschied zum alten Bündnisvertrag spricht der neue Vertrag von „kollektiv ausgearbeiteten Prinzipien" (Präambel). Mit dieser Formulierung sind die zehn Prinzipien gemeint, die in der Schlußakte der KSZE vom 1. August 1975 enthalten sind, die von sowjetischer Seite als Grundsätze der friedlichen Koexistenz angesehen werden Ausdrücklich wird die Schlußakte nur im neuen Bündnisvertrag zwischen der DDR und ÖSSR erwähnt. Im Widerspruch zur KSZE-Schlußakte wird von den beiden Vertragsparteien davon ausgegangen, daß die in der Prinzipienerklärung der KSZE enthaltenen völkerrechtlichen Grundsätze in den von der sowjetischen Koexistenz-konzeption gesetzten Grenzen nur für die intersystemaren Staatenbeziehungen gelten. Infolgedessen sind für den sowjetischen Hegemonialbereich die Grundsätze des „sozialistischen Internationalismus" maßgebend, denen die Grundsätze der „friedlichen Koexistenz"
untergeordnet sind. In diesem Sinne werden die Achtung der staatlichen Souveränität, die Gleichberechtigung und die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten im neuen Bündnisvertrag im Unterschied zum alten Vertrag erst nach den Grundsätzen des „sozia-listischen Internationalismus" aufgeführt (Art. 1).
Die äußere Souveränität wird durch das bereits früher erwähnte Verbot eines Austritts aus der „sozialistischen Gemeinschaft" beschränkt. Obgleich die östliche Staatenverbindung zur Zeit nicht einmal den Charakter eines Staatenbundes aufweist, wird damit den sozialistischen Staaten, die dem engeren sowjetischen Hegemonialverband angehören, ein Recht vorenthalten, das selbst die Unionsrepubliken im sowjetischen Bundesstaat aufgrund der Bestimmungen der neuen Bundesverfassung der UdSSR-(Art. 72) weiterhin besitzen. Die innere Souveränität wird gleichzeitig durch die gewaltsame Verhinderung einer friedlichen Veränderung des politischen Systems und eines spontanen sozialen Wandels beschänkt.
Eine solche Auffassung „sozialistischer Souveränität" steht in einem klaren Gegensatz zum Souveränitätsbegriff des allgemeinen Völker-rechts, wie er auch von der sowjetischen Völkerrechtslehre in Verbindung mit der „friedliche Koexistenz" vertreten wird Aufgrund der Auslegung des „sozialistischen Internationalismus" im Sinne der „Breshnew-Doktrin“ nimmt die Sowjetunion für sich faktisch eine absolute Souveränität in Anspruch. Dagegen wird allen anderen sozialistischen Staaten, darunter auch der DDR, nur eine in so hohem Maße beschränkte Souveränität zugestanden, daß sie einem Vasallitätsverhältnis gleichkommt. Außer der Souveränität, die bei den beiden Vertragspartnern so große Unterschiede aufweist, soll durch den Bündnisvertrag auch die territoriale Integrität „gegen jegliche Anschläge" geschützt werden (Präambel). Dem Schutz der Grenzen wird dabei eine besondere Bedeutung zugemessen. Mit der Gewährleistung der territorialen Integrität hängt die Unverletzlichkeit der Grenzen, die sich aus dem allgemeinen Gewaltverbot ergibt, unmittelbar zusammen. Die Sowjetunion hat in Helsinki erreicht, daß die „Unverletzlichkeit der Grenzen" als ein selbständiger Grundsatz in die Prinzipienerklärung der KSZE aufgenommen worden ist. Durch Gebrauch des Begriffs „Unantastbarkeit" ist die sowjetische Seite bestrebt, diesen Grundsatz als „Unveränderlich-keit" der in Europa bestehenden Grenzen aus-zulegen In diesem Sinne ist im Bündnisvertrag UdSSR—DDR von 1975 nicht nur von der Unverletzlichkeit, sondern auch von der Unantastbarkeit der Grenzen der Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes, einschließlich der Grenzen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, die Rede, die zusammen mit allen Warschauer Paktstaaten gewährleistet werden soll (Art. 6).
Unantastbarkeit bedeutet vom Standpunkt des allgemeinen Völkerrechts keine Unveränderlichkeit. In der Prinzipienerklärung der KSZE, der die Sowjetunion und die DDR zugestimmt haben, wird ausdrücklich festgestellt, daß die Grenzen, „in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht, durch friedliche Mittel und durch Vereinbarung verändert werden können".
5. Die Koordination der Außenpolitik unter Betonung der weltrevolutionären Zielsetzung
Um eine einheitliche Willensbildung und zugleich eine Aufgabenverteilung auf außenpolitischem Gebiet zu erreichen, wird von der Sowjetunion besonderer Nachdruck auf eine planmäßige Koordination der Außenpolitik innerhalb ihres Hegemonialverbandes gelegt Das geschieht sowohl in multilateraler Form im Rahmen der Warschauer Paktorganisation als auch in bilateraler Form aufgrund der zweiseitigen Bündnisverträge. Die außenpolitische Koordination vollzieht sich dabei in Anbetracht der dualistischen Struktur der kommunistischen Einparteistaaten nicht nur auf der Ebene des Staates, sondern auch der Partei und der anderen gesellschaftlichen Organisationen. Daher sieht der Bündnisvertrag UdSSR—DDR von 1975 eine „Zusammenarbeit zwischen den Organen der Staatsmacht und den gesellschaftlichen Organisationen" vor (Art. 3), die sich auch auf das außenpolitische Gebiet erstreckt. Die Koordination der Außenpolitik soll aufgrund des neuen Bündnisvertrages durch eine qualifizierte Konsultation (Art. 9) erreicht werden, die im alten Vertrag nicht vorgesehen war. Die beiden Vertragsparteien sollen sich nicht nur in allen wichtigen internationalen Fragen informieren, sondern auch nach Festlegung einer gemeinsamen Position entsprechend handeln. Diese Regelung ist im Hinblick auf das bisherige Verhältnis der beiden Vertragsparteien als eine deutliche Aufwertung der DDR anzusehen.
Richtschnur der gemeinsamen Außenpolitik, auf deren einzelne weltpolitische Ziele im Artikel 5 des Bündnisvertrages UdSSR—DDR von 1975 näher eingegangen wird, bildet gemäß der Präambel die strikte Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Warschauer Pakt und die Gemeinsamkeit der Endziele. Neben dem Schutz des engeren sowjetischen Hegemonialverbandes wird damit die weltrevolutionäre Zielsetzung der gemeinsamen Außenpolitik besonders betont. Handelt es sich doch bei diesen „Endzielen“ vom ideologischen Standpunkt einerseits um das Endziel der „klassenlosen kommunistischen Gesellschaft", die von einer Verschmelzung aller Völker zu einem Menschheitskollektiv ausgeht, andererseits um das vorgeschaltete Fernziel eines „sozialistischen Weltstaates", der nach dem Vorbild der Sowjetunion föderativ organisiert werden soll Die Strategie der „friedlichen Koexistenz“, welche die Gewaltanwendung unterhalb der Schwelle internationaler Kriege nicht ausschließt, wird dabei als das beste Mittel angesehen, um den weltrevolutionären Prozeß, gestützt auf die Macht der Sowjetunion und ihrer Gefolgsstaaten, voranzutreiben. Die Kennzeichnung der langfristigen Koexistenz von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung, die den Kern des sowjetischen Entspannungsbegriffs bildet als „friedlich", bedeutet somit lediglich, daß die von den beiden Vertragsparteien angestrebte Ausbreitung des Kommunismus in seiner orthodoxen Ausprägung nach Möglichkeit mit nichtkriegerischen Mitteln erfolgen und damit einen möglichst „schmerzlosen" Übergang zum „Sozialismus" herbeiführen soll.
In diesem Sinne spricht die Präambel des Bündnisvertrages von dem gemeinsamen Streben, „gemäß den Grundsätzen und Zielen der sowjetischen Außenpolitik die günstigsten internationalen Bedingungen für die Errichtung des Sozialismus und Kommunismus zu gewährleisten". Diese Formulierung läßt deutlich erkennen, daß mit dem neuen Bündnis-vertrag in keinem Fall gedacht ist, auf dem Wege einer „weiteren Festigung des Friedens und der Sicherheit in Europa und der Welt“ den bestehenden Status quo auf Dauer festzuschreiben. 6. Der Wandel in der deutschland-politischen Grundposition In dem Bündnisvertrag UdSSR—DDR von 1964 wird eine Regelung der Deutschland-frage im Sinne des „Souveränitätsvertrages" von 1955, der in der Präambel besonders erwähnt wird, offen gelassen. Es wird betont, daß die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands „nur durch gleichberechtigte Verhandlungen und eine Verständigung zwischen beiden souveränen Staaten erreicht werden kann". Die Gültigkeit des Potsdamer Abkommens, das Chruschtschow annullieren wollte, und der anderen internationalen Abkommen, die sich auf Deutschland beziehen, wird nicht bestritten. Der Abschluß des angestrebten „deutschen Friedensvertrages" mit einer gesamtdeutschen Regierung im Einklang mit dem Potsdamer Abkommen wird nicht ausgeschlossen (Art. 2, Abs. 1). Die Weitergeltung der Viermächte-Rechte und Verantwortung gegenüber Deutschland bis zum Abschluß des Friedensvertrages wird bestätigt (Art. 2, Abs. 2). Eine Überprüfung des Bündnis-vertrages im Falle der Wiedervereinigung oder beim Abschluß des Friedensvertrages wird in Aussicht gestellt (Bindungsklausel im Art. 10).
Der Bündnisvertrag UdSSR—DDR von 1975 enthält dagegen keinen Hinweis auf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland. Auf der DDR-Seite entspricht dies der Tendenz, die in der Verfassungsänderung vom 7. Oktober 1974 zum Ausdruck gekommen ist. In ihr ist sowohl das Bekenntnis zu einer einheitlichen deutschen Nation als auch das angestrebte Ziel ei-
ner Vereinigung beider deutschen Staaten auf der Grundlage der „Demokratie und des Sozialismus" weggefallen. Auch die Rechte und Verantwortlichkeiten der vier Mächte werden nicht erwähnt. Andererseits kann aufgrund der Unberührtheitsklausel des Artikels 10, die °nne besondere Konkretisierung auf die wei23 ter gültigen zwei-und mehrseitigen Abkommen der beiden Vertragsparteien abstellt, von einem Fortbestand der früheren Verpflichtungen im Hinblick auf Deutschland ausgegangen werden -Dies gilt auch für das Potsdamer Abkommen und die anderen Viermächtevereinbarungen. Die frühere Formulierung von der selbständigen Einheit West-Berlin wird im Bündnisvertrag UdSSR—DDR von 1975 nicht mehr gebraucht. Es wird aber der Eindruck erweckt, als ob die Sowjetunion und die DDR aufgrund des Viermächteabkommens über Berlin vom 3. September 1971 besonders legitimiert wären, völkerrechtliche Verbindungen mit West-Berlin zu unterhalten und zu entwickeln (Art. 7). Auf diese Weise wird der Versuch unternommen, das im Viermächteabkommen festgehaltene Recht der Bundesrepublik Deutschland, die bestehenden Bindungen mit West-Berlin aufrechtzuerhalten und zu entwickeln, zu unterlaufen und sie mit rein völkerrechtlichen Beziehungen gleichzusetzen. Bei der Feststellung, daß West-Berlin „kein Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland ist und auch weiterhin nicht von ihr regiert wird", entfällt der im Berlin-Abkommen enthaltene Zusatz „kein (konstitutiver) Bestandteil", der nicht nur die außenpolitische Vertretung West-Berlins durch die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch eine entsprechende Bundespräsenz zuläßt.
Beim Abschluß des Bündnisvertrages UdSSR—DDR von 1975, bei dem eine Vertragsdauer von fünfundzwanzig Jahren vorgesehen ist, war der Bündnisvertrag UdSSR— DDR von 1964, der auf zwanzig Jahre abgeschlossen wurde, noch nicht ausgelaufen. Aus dem neuen Bündnisvertrag ist über das Schicksal der alten Verträge nichts zu entnehmen. Im Zusammenhang mit der „Unberührtheitsklausel" stellt sich damit die Frage, ob die zweiseitigen Verträge von 1955 und 1964 weiter gelten und in welchem Umfange dies vor allem für die deutschlandpolitischen Bestimmungen zutrifft. In der DDR hat sich dazu vorläufig nur Herbert Kroeger geäußert, der behauptet, daß der neue Bündnisvertrag von 1975 den alten Vertrag von 1964 ersetzt habe Auch wenn dies im Falle des zeitlich befristeten Bündnisvertrages von 1964 zutreffen sollte, wäre damit die Frage nach der wei-teren Geltung des „Souveränitätsvertrages" von 1955 nicht geklärt. In diesem wird ausdrücklich festgestellt, daß er gemäß Artikel 6 „bis zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands als friedliebender und demokratischer Staat oder bis die Vertragschließenden Seiten zu einem Übereinkommen über die Änderung oder Außerkraftsetzung dieses Vertrages gelangen, Gültigkeit haben" wird. Ein solches Übereinkommen liegt nicht vor. Da die Vertragsbeendigungsabsicht auch beim Bündnisvertrag von 1964 nicht erkennbar ist, hat Th. Schweisfurth die Auffassung vertreten, daß die alten Verträge nur suspendiert seien Diese Absicht geht zwar ebenfalls nicht eindeutig hervor, doch läßt sie sich aus der Verankerung der „Breshnew-Doktrin" im Bündnisvertrag von 1975, der eine besondere Lage geschaffen hat, ableiten. Bei einer solchen Konstruktion ergibt sich der Schluß, daß sich die Vertragsparteien damit die Möglichkeit aufrechterhalten haben, eine Politik der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf einer friedensvertraglichen Grundlage wieder aufzunehmen, sobald es ihnen aus politischen Gründen opportun erscheinen sollte Eine solche Rückkehr zur ursprünglichen deutschlandpolitischen Grundposition würde allerdings die Preisgabe der „BreshnewDoktrin" und eine stärkere Berücksichtigung der nationalen deutschen Interessen voraussetzen, die nur bei einem tiefgehenden inneren Wandel in der Sowjetunion erwartet werden können.
V. Die DDR als Bestandteil des Sowjetblocks
Von sowjetischer Seite sind die Beziehungen zwischen den „sozialistischen Staaten" seit Chruschtschow als „Beziehungen neuen Typs" bezeichnet worden. Dabei wurde das Prinzip des „sozialistischen Internationalismus", dessen Kern der „proletarische Internationalismus" bildet, als die politisch-ideologische und zugleich völkerrechtliche Grundlage dieser Beziehungen besonders hervorgehoben. Durch die „Breshnew-Doktrin" ist die Tendenz zu einer festen Blockbildung verstärkt worden. Unter Breshnew ist es üblich geworden, von einem „Bündnis neuen Typs" zu sprechen. Da der russische Ausdruck „sojus“ auch mit Union übersetzt werden kann, deutet sich damit eine Perspektive an, die über den bisherigen Zustand der Blockbildung noch hinausführt. In diesem Sinne bezeichnet sich die DDR aufgrund der Verfassungsänderung vom 7. Oktober 1974 als „untrennbarer Bestandteil der sozialistischen Staatengemeinschaft" und erklärt, daß sie „für immer und unwiderruflich mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verbündet“ sei.
Trotz der verstärkten Blockbildung ist die „sozialistische Gemeinschaft“ weiterhin als eine hegemonische Staatenverbindung anzusehen, die durch abgestufte Abhängigkeitsverhältnisse bestimmt ist. Diese Abhängigkeit von der sowjetischen Hegemonialmacht ist bei der DDR aus zwei Gründen besonders ausgeprägt:
Erstens durch die Massierung sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der DDR, zweitens durch das Fehlen nationaler Identität. Dagegen hat sich auf wirtschaftlichem Gebiet in begrenztem Maße eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen beiden Staaten entwickelt. Auch der militärische Beitrag der DDR hat für die Sowjetunion ständig an Bedeutung gewonnen. Nicht zu unterschätzen ist auch das Vertrauen, das die SED-Führung durch die Stetigkeit ihrer Politik beim Kreml gewonnen hat.
Die schrittweise Einbeziehung der DDR in das sowjetische Bündnissystem und der damit verbundene Integrationsprozeß hat somit im Verlauf von dreißig Jahren ihre Abhängigkeit von der sowjetischen Hegemonialmacht verfestigt, zugleich aber ihr politisches Gewicht und im begrenzten Maße ihre Eigenständigkeit vergrößert. Aus dem Satelliten ist ein selbstbewußter Vasall geworden, über den sich die Hegemonialmacht nicht ohne weiteres hinwegsetzen kann.
Hegemonie ist ein Übergangszustand, der von langer Dauer sein kann Je mehr sich eine Hegemonie in Richtung einer absoluten Herrschaft, eines Imperiums, entwickelt, um so mehr werden die staatsrechtlichen Elemente zunehmen, die vorläufig im Sowjetblock nur in Ansätzen vorliegen. So lange der gegenwärtige Zustand erhalten bleibt, ist der sowjetische Hegemonialverband als eine völkerrechtliche Staatenverbindung anzusehen, die noch keinen föderalen Charakter aufweist. Diese Feststellung berechtigt, auch das enge Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der DDR als ein vorwiegend völkerrechtliches zu bezeichnen