Welche Medien der Kommunikation haben in der Bundesrepublik Deutschland starken und nachhaltigen Einfluß auf die Meinungsbildung? Von niemandem wird bestritten, daß an erster Stelle die politisch-kulturellen Wochenblätter kraft ihrer überall täglichen Wirkung zu nennen sind: vor den vier überregionalen Tageszeitungen von Rang aus Frankfurt, Bonn und München und ebenso vor sämtlichen Rundfunk-und Fernsehsendern. Schon ein lediglich pressehistorisch durchgeführtes Recherchieren nach maßgeblichen Kommunikationsmitteln der Gegenwart zeigt sofort auf, daß die Wochenblätter frühere Monatsschriften und heutige Tagesblätter dank ihres schöpferischen Sehens der Gegenwart an inhaltlichem Reichtum übertreffen.
I. Welt der Arbeit. Wochenblatt des Deutschen Gewerkschaftsbundes Gegründet 1949, Erscheinungsort: Köln, Auflage: 186 000
Gemäß seiner hausinternen Vorgeschichte gilt dieses einflußreiche Wochenblatt als „offizielles Publikationsorgan" des DGB. Die erste Nummer erschien am 6. Januar 1950. Der Titel des während der ersten Jahre des Erscheinens im Umfang recht bescheidenen Periodikums stammt von Hans Böckler. Von Beginn an sollte es dazu dienen, die Arbeit der Gewerkschaft, ihre Leistungen und Ziele, intensiver als zuvor (dies wurde im Rückblick auf die Weimarer Republik und deren Ende ausgesprochen) in der Öffentlichkeit und vor der Öffentlichkeit zu popularisieren. Am Rande sei erwähnt, daß es von 1921 bis 1934 eine Art Vorläufer gab, die Tageszeitung „Der Deutsche". Adam Stegerwald hatte sie für die Christlichen Gewerkschaften ins Leben gerufen. Zeitweilig war der spätere Professor für Zeitungswissenschaft an der Universität Berlin, Emil Dovifat, ihr Chefredakteur.
Die „Welt der Arbeit" ist jenen Forderungen treu geblieben, die Hans Böckler ihr als Programm auf die erste Seite schrieb. Beabsichtigt war, für den Gewerkschaftsbund gleichsam »Public relations" zu treiben. Das Blatt hatte und hat dem Durchsetzen „moderner gewerk-schaftlicher Forderungen“ zu dienen. Dank seiDaß die für ihre Erforschung zuständige einstige Zeitungswissenschaft, nachmalige Publizistikwissenschaft, heutige Kommunikationswissenschaft solchen für die Meinungsbildung in Politik, Wirtschaft, Kultur und persönlicher Lebensweise maßgeblichen Blättern bisher kaum jemals die ihnen gebührende Aufmerksamkeit schenkte, das ist kaum zu begreifen. Aus diesen Gründen seien hier Skizzen über einige das politische Spektrum der Bundesrepublik widerspiegelnde Wochenblätter vorgelegt. Aus Raumgründen können diese Portraits nicht vollständig dargeboten und damit sämtliche parteipolitischen oder gar regionalen Publikationen von Gewicht berücksichtigt werden ner publizistischen Aktivitäten sollte unter den „Arbeitnehmern aller Schichten" Verständnis und Bereitschaft „zum Kampf für den sozialen Fortschritt und Aufstieg" geweckt werden. Das neue Organ werde „seine Absichten ... über die Unterschiede der Parteien und der Weltanschauung hinweg, sauber, wahrhaft und entschieden vertreten". Es sollte stets „in Treue und Wahrung menschlicher Würde, dem Recht wie der Gerechtigkeit, der Freiheit und dem Frieden dienen Rauhen Winden, die nach schweren Wirtschaftskrisen einsetzten, hielten jene papierenen Girlanden freilich nicht alleweil stand.
Hingegen orientierte man sich bis zur Gegenwart an Zielen, welche der langjährige Chefredakteur Klaus Besser, der das Blatt hach Arthur Saturnus'Ausscheiden (September 1957) zum l. März 1958 übernahm, nüchterner formulierte. Nunmehr gelte es (d. h. mit einem von ihm zuvor modernisierten, besser umbrochenen und stärker illustrierten Blatt)
„ein großes Publikum ohne Rücksicht darauf zu erfassen", ob es zur Gewerkschaft gehöre oder nicht. Das Blatt wende sich sowohl an Sympathisierende als auch an Kontrahenten, an Mitglieder wie an Indifferente
Ein wenig unvorsichtig hatte Paul Fechter während des Dritten Reiches den Satz geprägt: „In einer Zeitung muß nicht nur etwas, sondern möglichst viel zu lesen stehen, denn sonst will das Papier niemand haben." Jene These diente damals der Camouflage für seine und seiner Mitarbeiter Publikationen in der „Deutschen Rundschau", in der „Deutschen Zukunft" und im „Berliner Tageblatt". Routinier Klaus Besser mag daran gedacht haben, als er jene These zugunsten eines erfolgreichen Ankommens der „Welt der Arbeit" aufgriff. Von namhaften In-und Ausländskorrespondenten geschriebene Beiträge wenden sich ausdrücklich nicht an sogenannte Intellektuelle, sondern — wie es in eigenen Erklärungen heißt — an „die Masse der Arbeitnehmer". Um sie zu erreichen, pflegt die Redaktion eine einfache Sprache.
In seiner Studie „Das Groschen-Imperium. Gewerkschaften als Unternehmer" geht Wilfried Scharnagl, seit langem Leiter der Wirtschaftsredaktion des „Bayernkurier", nicht gerade glimpflich mit der gesamten periodischen Publizistik des mächtigen Verbandes um. Als Publizist muß er jedoch über die geschickte journalistische Gestaltung jener weitverbreiteten Organe melden, daß sie stets auf der „Suche nach der interessantesten und attraktivsten Aufmachung" seien. Um seine Auffassung abzusichern, zitiert er aus einem Geschäftsbericht der IG Metall folgende Eigenbeurteilung: „Das äußere Bild der Gewerkschaftspresse paßt sich mehr und mehr dem der Massenpresse an. Ihre Leser, die durch Boulevardblätter, Wochenzeitungen, Illustrierte und das Fernsehen an ein bestimmtes äußeres Bild und an eine bestimmte Sprache gewöhnt sind, müssen ähnliches auch in der Gewerkschaftszeitung wiederfinden, wenn ihr Interesse geweckt werden soll. Durch Aufmachung, Knappheit der Sprache, Verwendung von Illustrationen hat unsere Presse sich darum ein Gewicht gegeben, das die Chance, beachtet und gelesen zu werden, erhöht."
Die Wochenzeitung „Welt der Arbeit“ sieht derzeit folgendermaßen aus: über den Kopf ist neuerdings in roter Farbe eine werbende Zeile gesetzt. Sie lautet: „Informativ — kritisch — offensiv — die Zeitung für Arbeitnehmer, die politisch denken". Zumeist stehen zwei Leitartikel und drei Glossen an der Spitze (S. 1). Das Ressort „Politik" geht über auf die nächste Seite. Einem Rückblick auf „Die Woche im DGB, Berichte aus Betrieben" folgt eine Zitatenspalte „Gewerkschaften im Spiegel der Presse";'Karikaturen lockern das Ganze auf. „Gewerkschaftspolitik" wird interpretiert auf den Seiten 3— „Politik und Wirtschaft" ersetzen den in anderen Blättern üblichen Wirtschafts-oder Handelsteil (S. 6).
Eine Seite „Ausland" folgt (S. 7). „Spiegel der Arbeitswelt" enthält dahingehörende Nadirichten; eingefügt werden besinnliche Kommentare — „Gedanken zur Zeit" genannt. Die Seiten 9 und 10 sind jeweils ganz den Themen „Staat und Gewerkschaften" sowie „Entwicklungspolitik" gewidmet.
Naturgemäß stellt das Ressort „Kulturpolitik" die Ruhrfestspiele zur Spielzeit als gewerkschaftseigenes Theater-und Literaturbemühen in den Mittelpunkt (S. 11— 12). Das „Feuilleton" (S. 13— 15) enthält Buch-, Theater-und Musikkritiken. Hier wird anläßlich einer Schallplattenbesprechung zu Recht gefragt: Ist das „Musik fürs Volk?". Da die gute Kurzgeschichte in hochnäsigen Blättern seit langem vernachlässigt wird, sei angemerkt, daß sie in der „Welt der Arbeit" beständig kultiviert wird. Dies geschieht allerdings unter dem weniger schönen Terminus „Die Story der Woche". Zum Beschluß konferiert das „Kabarett der Woche“ mittels Feuilletons, die sich tatsächlich als solche erweisen. Amadeus Siebenpunkt erhält „Die kleine Form" am Leben. Zeitungslyrik io Sinne der Kästnerischen Gebrauchs-Poesie wechselt mit Karikaturen ab 5).
Dank solchermaßen gehandhabter redaktioneller Gestaltung entstehen allwöchentlich sechzehn Seiten, die sich sehen lassen. Auf ihnen steht im Sinne des Fechterschen Satzes „genug zu lesen". Somit hat Wilfried Scharnagl mit seiner Feststellung Recht, daß „in zunehmendem Maße Aspekte der Unterhaltung Eingang in die Gewerkschaftspresse gefunden" hätten
Eine solche Recherche sollte nicht zuletzt erkennen lassen, daß die journalistische Art der Ansprache, wie sie durch das Repräsentations-Organ des DGB erfolgt, bisher nur selten gerecht gewürdigt wurde, über derlei mangelnde Aufmerksamkeit oder oberflächliches Fehl-und Scheelsehen gibt eine 1977 veröffentlichte Broschüre Aufschluß, deren Verfasser einen Wegweiser durch die Gewerkschaftspresse vorzulegen hoffte. Darin findet man das seinem Gehalt nach führende Blatt des „DGB" schließlich unter „Sonstige Publikationen". Das ist gewiß keine geglückte Plazierungl „Zu den sonstigen Veröffentlichungen, die vorwiegend oder ausschließlich von den Gewerkschaftsmitgliedern gelesen werden, die also in erster Linie nach innen wirken, und die nicht Zentralorgan, Gruppen-, Fach-oder Funktionszeitschrift sind", rechnet Reinhart Jühne politisch wirkende Periodika, „deren Verbreitung zwar nicht auf Mitglieder beschränkt ist, die jedoch von der Öffentlichkeit weit weniger wahrgenommen werden als von Mitgliedern und insbesondere von Funktionären". Dies treffe vor allem auf die „Wochenzeitung des Deutschen Gewerkschaftsbundes", die „Welt der Arbeit" zu.
Wäre das Blatt so engherzig geformt, wie könnte es dann „eine breitere Öffentlichkeit ansprechen"? Da wußte Klaus Besser schon vor zwei Dezennien besser Bescheid! Jener Dirigent riskierte die schon seinerzeit spaßige Bemerkung, daß nur ein kleiner Teil der Auflage an die Kirche gehe. Gehört sie denn dahin? Der Großteil werde direkt an Gewerkschaftsfunktionäre geschickt. Sicherlich — und wieso eigentlich nicht? Daß das Blatt darüber hinaus versucht, „Einfluß auf Parlamente und Regierungen, auf Verbände aller Schattierungen und die Öffentlichkeit schlechthin zu nehmen", liegt das nicht auf der Hand? Nicht minder gewiß muß es sich als eine Stimme der Gewerkschaften verstehen. Daß man es als Sekundanten der demokratischen „Linken" interpretieren mag, dagegen ist nichts einzuwenden. Daß es „als publizistische Alternative zu den politischen Wochenzeitungen, die sich anderen als gewerkschaftlichen Idea-len verpflichtet fühlen", publiziert wird, versteht sich wohl von selbst
Ein Bild von gestern hat Günter Triesch aufgezeichnet, als er über die Publizistik der Gewerkschaften schrieb, sie habe sich von Beginn an gründlich „von den bürgerlichen Zeitungen" unterschieden und wäre eine Presse gewesen, die „vom Arbeiter für den Arbeiter geschrieben" wurde. Infolgedessen habe sie „manche journalistischen Mängel" aufgezeigt. Tatsächlich sind ja die Redakteure der Gewerkschaftspresse früher häufig aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen. „Durch jahrelanges Selbststudium und durch die Erfahrungen, die sie als Funktionäre sammelten, hatten sie sich in ihren Wirkungsbereich eingearbeitet. Sie wußten wenig von den Möglichkeiten der Massenbeeinflussung und der ansprechenden Gestaltung einer Tageszeitung, was damals allerdings auch für die allgemeine Presse nicht von der Bedeutung war wie heute, wo das Lesen der Schlagzeilen die Lektüre des Leitartikels weithin ersetzt." Daß sich all das inzwischen gründlich veränderte, bezeugt an anderer Stelle abermals Wilfried Scharnagl durch die Erfahrung: „Die Blätter des DGB und seiner Gewerkschaften unterscheiden sich von ihren Vorgängern aus der Frühzeit der Arbeiterbewegung nicht zuletzt auch dadurch, daß man ständig auf der Suche nach neuen Wegen und Möglichkeiten ist, um gewerkschaftliche Anliegen in optimaler Form zu repräsentieren."
Nach welchen Prinzipien wird die „Welt der Arbeit" allwöchentlich veröffentlicht? Im Grunde doch noch immer gemäß den idealistischen Vorsätzen, die einstmals Hans Böckler auf die erste Seite des Blattes schrieb. Voller Selbstbewußtsein hieß es: Wir werden „die Wahrheit sagen", wir wollen „auch im Angesicht der Mächtigen" mutig bleiben, wir wollen „geistig und politisch unabhängig" sein. Man werde Toleranz üben, „aber hart sein gegen das Unrecht und die Feinde der Demokratie ..." Manchen mag es verblüffen, daß noch gegen Mitte des 20. Jahrhunderts Publizisten darauf bestehen, das Verkünden der Wahrheit für ihr oificium nobile zu halten. In seinen Beiträgen zur Wissenschaft von der Publizistik, die anfangs der fünfziger Jahre — also gleichzeitig mit den frühen Ausgaben von Blättern wie der „Welt der Arbeit" — erschienen, hat Walter Hagemann über die Relativität des Begriffsinhaltes Wahrhaftigkeit philosophiert. Seine Einsicht lautete, daß man als einzelner „die Wahrheit" kaum jemals erfassen oder sie gar für die Presse — gleichsam mit Garantieschein versehen — formulieren könne. Dennoch gelte es, „im Berichten und erst recht beim Vorprägen der Meinungen Zweiter, Dritter und Vieler Wahrhaftigkeit anzustreben"
II. Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt
Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Kultur Gegründet 1948, Erscheinungsort: Hamburg, Auflage: 137 100
Zu den führenden deutschen Wochenblättern, welche ihre publizistischen Ziele mit unbeirrbarer Ernsthaftigkeit pflegen, zählt das 1979 im 32. Jahrgang erscheinende Hamburger „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt".
Das „Sonntagsblatt" geht auf eine noch vor der Gründung der Bundesrepublik an den damaligen Landesbischof von Hannover, Dr. Hanns Lilje, von der britischen Militärregierung erteilten Genehmigung zur Edition einer Wochenzeitung zurück. Von der ersten Nummer an, die am 1. Februar 1948 erschien, zeichnete jene markante Persönlichkeit als Herausgeber. Als Schreibender wie als Redner war er ein begabter Publizist. Seine vielfältige Aktivität hat das Interesse der westdeutschen Öffentlichkeit rasch gefesselt Darüber hinaus verfügte er über die rare Gabe, schöpferische Journalisten, die politisches Wissen und stilistisches Können miteinander verbinden, für sein Wochenorgan zu gewinnen. Der erste Chefredakteur — bis er 1954 zur „Welt" ging — war Hans Zehrer. Ihm folgte bis 1969 Axel Seeberg. Deren Linie führt fort, variiert und bereichert seit 1969 Eberhard Maseberg.
Das „Sonntagsblatt", längst eine feste, zuverlässige, in jeglichem Betracht glaubwürdige Institution zur Anregung von Meinungsbildüng in der Bundesrepublik, verdankt seine so günstige Entwicklung jenen schon während der Weimarer Zeit in den großen Blättern seltenen und deshalb sehr gesuchten Eigenschaften, die von einem idealen „editor in chief" erwartet werden. Gewiß sollte er „schreiben" können, nicht minder erhofft man von ihm — und dies möglichst häufig — neue Wege weisende Leitartikel. Entscheidend jedoch ist und bleibt die Fähigkeit, die Ressorts des Blattes mit den „richtigen Leuten" zu besetzen und die weiteren Stühle innerhalb der Sparten wiederum an geeignete Redigieren oder Schreiber zu vergeben. Sich ein solches Ensemble zu schaffen, es bei Laune zu halten — das heißt, ein nicht leicht faßbares schöpferisches Fluidum zu schaffen. Die einen sprechen vom „Blatt-Geist", andere gar vom „Geist des Hauses". Jene Geisterbeschwörung meisterten Zehrer wie Seeberg, und Maseberg steht ihnen darin nicht nach.
Das „Sonntagsblatt" aus Hamburg liest sich Seite um Seite, Schlagzeile für Schlagzeile, von Artikel zu Artikel deshalb so gut, weil ihm der Leser anmerkt, daß in dieser Redaktion keinerlei Hang zu allzu fixer Oberflächlichkeit herrscht. Sie läßt keine unausgegorenen Zufälligkeiten in die Setzerei oder gar auf die Rotation entwischen. Wären die . Sonntagsblättler'Theaterleute, was sie natürlich nicht sind, so müßte man nach jeder Nummer, die sie vom Stapel ließen, die ganze Mannschaft an die Rampe holen, um nicht diesem oder jenem, sondern allen miteinander zu applaudieren. Zur Genealogie des Organes heißt es in einer Erklärung vom 1. Oktober 1967 über die Umbenennung in „Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt". -„Als im Februar 1948 für die neu-gegründete Wochenzeitung der einfache Name SONNTAGSBLATT gewählt wurde, da stand hinter solcher Namensgebung der Gedanke, durch überregionale, mit hohem politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Anspruch geleistete Arbeit einen oft mißverstandenen Gattungsbegriff aufwerten zu helfen. Das ist, so meinen wir heute, weitgehend gelungen. Das SONNTAGSBLATT hat sich als , das’ Sonntagsblatt ausgewiesen und im kritischen Bewußtsein der Öffentlichkeit durchgesetzt ... Wir nehmen unseren selbst-gewählten Auftrag ernst, und wir sind ihm in zwei Jahrzehnten aus protestantischer Grundhaltung gefolgt. Echo und Zustimmung ermutigen uns, ihn mit Entschlossenheit fortzuführen. Der neue Titel soll das auch äußerlich kennzeichnen."
Das Periodikum hat sich seit langem einen Redaktionsbeirat geschaffen, unter dessen Mitgliedern ein namhafter Repräsentant der Arbeitgeberverbände neben einem nicht minder prominenten Mann aus der Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu finden ist. Gesellschafterversammlung und Redaktionsbeirat gaben im Februar 1975 gegenüber der Öffentlichkeit über die Mission ihrer Wochenschrift folgende Erklärung ab: „Das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt ist eine christliche Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur. Als solche nimmt es teil an dem Bemühen, das Evangelium für die Gegenwart jeweils neu auszulegen und den christlichen Glauben in allen Lebensbereichen zur Geltung zu bringen. Dabei spiegelt es die Vielfalt sowohl der religiösen Überzeugungen, theologischen Meinungen und kirchlichen Lebensformen als auch der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräfte wider, wie sie im Protestantismus und innerhalb der Weltchristenheit vorhanden sind. Es tut dies in der Absicht, Konflikte offen aus-zutragen, falsche Alternativen zu überwinden, Gegensätze auszuschalten und so zur Versöhnung in Kirche und Gesellschaft beizutragen."
Ein Blatt solcher Qualität verdient ob seiner beispielhaften Gestaltung zumindest eine beschreibende Skizze: Neben dem Kopf rechts oben findet sich eine Inhaltsübersicht über Beiträge und Autoren. Auf der ersten Seite rahmen auf den Außenspalten sowohl links als auch rechts laufende Leitartikel meist zwei als Vierspalter aufgemachte Berichte aus dem In-und Ausland ein. Es folgen sechs oder sieben Seiten des Ressorts Politik („DSAktuell"). Auf Seite 2, innen rechts, als Besonderheit die Sparte „Mittelweg 111" — sozusagen das allwöchentliche „Idioticon", was nichts weiter als Wegweiser heißt, in eigener Sache: Warum schreiben wir was für wen? Es folgen — bei wechselndem Umfang — die Ressorts „Gott und die Welt", „Wissenschaft und Technik", „DS-Interview" (mit bekannten Zeitgenossen über zeitbekannte oder zur Zeit noch nicht genügend erörterte Themen), „Kulturmagazin", „Reise-Journal", „Leserbriefe" und endlich „DS-Report". über die inhaltliche Reichhaltigkeit der Ressorts, die Prononciertheit der ausgewählten und gegeneinander ausgewichteten Themen, die fachliche Zuständigkeit oder die Namhaftigkeit der Mitarbeiter auch nur in Andeutungen zu sprechen, das verbietet sich leider aus Raum-und Zeitgründen.
Eines der Kennzeichen eines gut redigierten Blattes ist, daß die Ressorts nicht nebeneinander her oder gar gegeneinander arbeiten, d. h. daß sie — wie in der Provinz häufig zu sehen — die gleiche Nachricht auf der politischen, auf der lokalen und womöglich obendrein unter „Verschiedenes" (Vermischtes) an eben demselben Tage dreimal buchen. Eine vom Chefdirigenten gut aufeinander abgestimmte redaktionelle Mannschaft ergänzt sich im „Sonntagsblatt" untereinander über die Spartengrenzen hinaus Mancher schätzt an und in den Wochenblättern am meisten das Feuilleton. Sie pflegen jene längst auf Abruf endgültig kündbaren Gärten der Kultur noch immer, obgleich sie in der Provinzpresse längst zu Schuttablageplätzen trivialer Meldungen aus Stadträten oder sonstiger kommunaler Institutionen verkommen sind.
Im „Sonntagsblatt" aus Hamburg geht es glücklicherweise anders zu. über die Sparte, welche den Traditionen des Feuilletons als dem klassischen Geistesressort entspricht, heißt es in sachlicher Offenherzigkeit: das „Kulturmagazin" sei auf keinen Fall als „schöngeistiges Ghetto" konzipiert. Gewiß verachte man den „Kulturbetrieb" durchaus nicht, doch unterwerfe man sich ihm keinesfalls. Man verschmähe „modische Pflichtübungen". Statt dessen bleibe das Blatt um Unterscheidungen besorgt, es bemühe sich um eigenständige, unabhängige Kritik. Gewiß fördert diese reichhaltige Kultursparte, wie es vor 1933 niemals anders sein durfte, „literarische Originaltexte". Eine der Spitzenleistungen der Kulturredakteure des „Sonnt'agsblatt" ist die durch sie fortgeführte, stets genaue, kritische Bestandsaufnahme all dessen, was in der Deutschen Demokratischen Republik auf Bühne, Buchmesse, Kunstausstellungen, Filmtreffen und anläßlich Balettabenden geschieht. Daß man sich für die „cultura" ohne — anderen Ortes häufig geübte Arroganz — jenseits der Mauer interessiert, das bezeugen auch andere bewährte Gewährsmänner des „Sonntagsblatt", wie der unermüdlich auf Entdeckungsreisen nach Talenten befindliche Walter Schmieding.
Im „Sonntagsblatt" schreiben sogar Politiker innerhalb des Feuilletons, wagen sich die hommes des lettres ins innenpolitische Glossarium. So und nicht anders sollte ein Blatt aussehen, das man einen ganzen Sonntag liest, statt es wie ein allzu bebildertes Weekend-Blättchen nach Minuten in den Papierkorb zu werfen.
Diese Wochenschrift und die Männer, die sie schaffen, leiden weder an Überheblichkeit oder Rechthaberei, wie sie bei Journalisten allzu rasch aus ein paar geglückten Prognosen entsteht. Es ist notwendig zu sagen, daß es Männern und Frauen vom „Sonntagsblatt" an jeglicher Koketterie fehlt. Als das „Sonntagsblatt" ein Vierteljahrhundert alt geworden war, bemerkte Heinz-Oskar Vetter: „Das . Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt'zeigt in sich die seltene Vereinigung zweier publizistischer Tugenden: Es ist einmal kritisch, offen und mutig; aus jeder Zeile spricht eine eigene und eigenständige Überzeugung. Das verlangt Respekt, selbt dann, wenn der Leser diese Überzeugung nicht teilt. Das Blatt hat zum zweiten ein hohes — inhaltliches und formales — Niveau. Jede geäußerte Meinung ist wohlfundiert und zwingt in ihrer Begründung zur Auseinandersetzung; Phraseologie wird nicht betrieben."
III. Deutsche Zeitung — Christ und Welt
Gegründet 1948 in Stuttgart, erscheint seit 1974 in Bonn, Auflage: 148 000
Als tragendes Bauelement der gegenwärtigen „Deutschen Zeitung", welche den älteren Kopf „Christ und Welt" seit 1969 nur noch als Untertitel führt, muß nach wie vor der an zweiter Stelle genannte Titel bezeichnet werden. Die Lizensierung von „Christ und Welt" erlangte Otto Heinrich Fleischer nach langen Auseinandersetzungen im Frühjahr 1948 von der amerikanischen Besatzungsmacht. Er zeichnete bis zu seinem Tod 1954 als Prinzipal. Die erste Ausgabe von „Christ und Welt" kam wenige Tage vor der Währungsreform im Juni 1948 heraus. Für jenes zunächst bescheiden als „Informationsblatt" bezeichnete Organ übernahm alsbald der damalige Leiter des Hilfswerks der Evangelischen Kirche, Eugen Gerstenmeier, die Verantwortung.
Seinen ersten Chefredakteur von Format erhielt das sich seinerzeit rasch ausdehnende Blatt, als es den aus Ostasien heimgekehrten Klaus Mehnert gewann. Am Rande sei vermerkt, daß die Wochenschrift „Christ und Welt" schon gegen Ende der vierziger Jahre aus dem „Evangelischen Hilfswerk" ausgegliedert wurde, ab 1951 an den Stuttgarter Verlagstrust Georg von Holtzbrink geriet, dem seit langem 85 Prozent der Anteile an dem mit der „Deutschen Zeitung" zusammengelegten Blatt gehören. Solcherlei Zusammenhänge sind bis zur jüngsten Gegenwart spürbar.
Zwischen dem Hamburger „ Sonntagsblatt''und der seit 1974, zumindest redaktionell, in Bonn angesiedelten „Deutschen Zeitung" Vergleiche anzustellen, das läge nur allzu nahe. Aber es ist nicht unproblematisch. Ein beliebtes Spiel in der Bundesrepublik, von welchem Parteien und Presse nicht lassen wollen, heißt: Wer steht rechts und wer steht links von diesem oder jenem? Riskiert man solches Fragen angesichts beider, sich ob ihrer Herkunft nahestehenden Blätter, erweisen sich klare Antworten als schwierig. Ist das norddeutsche Blatt liberaler, weil es dank einer ungewöhnlichen Verlagskonstruktion nahezu frei von finanzkräftigen Mitsprechern ist? Erweist sich das ursprünglich schwäbische Blatt in seinen Grundeinstellungen konservativer? Von Fall zu Fall angestellte Recherchen, wohin denn die „politische Linie" führt, müßten mal zu einem Ja und mal zu einem Nein führen.
Um sich nicht mit Kurt Tucholskys bewährter Formulierung abzufinden, der bemerkte, am besten sei der dran, der schlicht „Jein" sagt, seien weitere Beobachtungen erlaubt: Wer ein Blatt von Niveau erkennen will, ist gut beraten, wenn er nach dessen Chefredakteuren fragt. Ganz gewiß sind fast alle „Hauptschriftleiter" führender Organe der deutschen Nachkriegspresse aus Zeitungen oder Zeitschriften gekommen, wie sie aus der Weimarer Republik auf diese oder jene Weise ins, freilich nicht immer durchs Dritte Reich gelangten.
Geht man die Reihe der Männer durch, welche für „Christ und Welt" zeichneten, so stellt man fest, daß sie —-wie Klaus Mehnert (1949— 1953) und Giselher Wirsing (1954— 1970, früher aktiv in der „Tat", in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung", in der „Deutschen Zukunft" und in „Das Reich" — von Haus aus und lebenslänglich Konservative waren. Aus diesen und mannigfachen anderen Gründen wirkt die redaktionelle Gestaltung der „Deutschen Zeitung" letztlich dann doch so, als ob sie ein wenig mehr rechts vom „Sonntagsblatt" stünde.
Als nicht minder schwierig erweist es sich, der Geschichte der Titel-Verlagerungen und der Zusammenlegungen nachzugehen. Es sei dennoch versucht. Um möglichen Verwirrungen aus dem Wege zu gehen, sei aus einer Selbstdarstellung zitiert: „Im Jahre 1964 wurde die . Deutsche Zeitung’ mit der Düsseldorfer Wirtschaftszeitung . Handelsblatt'vereinigt. Fünf Jahre später übernahm . Christ und Weit', dessen Gesellschafter Georg von Holtzbrink am . Handelsblatt’ beteiligt ist, diesen Namen und führte ihn seither im Untertitel."
Von 1971 bis 1973 nahm Ulrich Frank-Planitz die Chefredaktion wahr. Er begründete die Titelumstellung damit: erstehs hätten unvorbereitete Leser „Christ und Welt — Deutsche Zeitung" für ein offizielles Organ entweder der evangelischen oder der katholischen Kirche gehalten, zweitens habe dies Abonnenten und Inserenten abgeschreckt — gewiß eine ehrliche Auskunft! Im übrigen hätte sich das Periodikum „... von einem evangelischen Informationsblatt zu einer europäischen Wochenzeitung für Deutschland" entwickelt. An eine Skizze geplanter Reformen schloß Frank-Planitz Versprechungen an, die sich bis 1979 nur selten erfüllen ließen. Die nunmehrige „DEUTSCHE ZEITUNG — Christ und Welt" werde in verstärktem Maße „die zuverlässige Nachricht, die ausgewogene Analyse" bieten. Außerdem werde sie den Mut aufbringen, „die Ereignisse dieser Welt aus christlicher Sicht zu kommentieren"
Um zu unterstreichen, daß das umgetaufte Wochen-Organ sich auf das von ihm erst nachträglich aufgefundene Traditionsblatt, • nämlich die 1847 gegründete „Deutsche Zeitung" Heidelberger Liberaler wie Georg Gottfried Gerwinus, besinnen wolle, druckte die Redaktion aus jenem in der deutschen Pressegeschichte gewichtigen Periodikum einen» Leitartikel vom 1. April 1848 ab. Jene Passagen stammten aus den unruhigen Monaten, welche dem geplanten Zusammentreten einer, wie man seinerzeit träumte, „verfassungge-(benden Nationalversammlung" vorausgingen.
Der genannte Beitrag vom Frühjahr 1848 bleibt über die Zeiten hinweg erkennbar als ein Auf-18) ruf zur Restituierung „der vaterländischen Angelegenheiten"
Bis in die jüngste Gegenwart hat sich die „Deutsche Zeitung" unter wechselnden Inhabern und deren jeweiligen Geschäftsleitungen ohne mehr oder weniger Fortune überaus häufig den von jeweils neuen Herren gebotenen Umwandlungsbeschlüssen anpassen müssen. Um die Zeit des fünfundzwanzigjährigen Jubiläums begannen abermalige Veränderungen. Faßt man sie zusammen, so ging es darum, wie jemand ironisch bemerkte, „von Stuttgart-Sillenbuch nach Bonn zu ziehen", um „politisch-hautnäher" zu werden. Seit dem l. Mai 1974 arbeitet die Redaktion in der Bundeshauptstadt, der Verlag hingegen in Düsseldorf. Hans Georg von Holtzbrink und dessen Sohn Dieter von Holtzbrink haben es geschafft, das Flaggschiff ihres Druck-und Verlagstrustes an den Rhein zu holen, sozusagen ins politische Herz der schmalbrüstigen Bundesrepublik
Im Oktober 1973 erfolgte eine Vergrößerung des Formates, eine erhebliche Verbesserung des Umbruches, eine Erweiterung des gesamten redaktionellen Stoffes und eine beachtliche Verstärkung der Redaktion. Alles in allem ist eine Verjüngung, Modernisierung, Aktualisierung gelungen Ehe all dies eintrat, war der renommierte Kulturpublizist Jost Nolte als Chefredakteur ausersehen. Wegen „inner-redaktioneller Widerstände" erfolgte jene Berufung seinerzeit jedoch nicht.
Schließt man sich hausinternen Angaben mit Vorsicht an, so bestand seit Herbst 1973 über Jahre hinweg nur „eine Redaktionsleitung, für die Ludolf Hermann geschäftsführend und verantwortlich" zeichnete. 1978 wurde er endlich als Chefredakteur nominiert.
Seit er auf der Brücke steht, steuert das Organ endlich kurssicher.
Viele Korrekturen an der Gestaltung des Blattes dienten vor allem dem Unterstreichen des Gedankens, daß Verlag wie Redaktion „eine Zeitung von liberalem Zuschnitt, die dem christlichen Gedanken von der Würde des Menschen, dem Grundgesetz und seiner Ordnung verpflichtet ist“, weiterhin auf dem Markt der Medien zu erhalten hoffen. Dies Organ will „in die verwirrende Vielfalt der Nachrichten Übersicht und Ordnung bringen." Ein gründliches Schematisieren soll Lesern die Orientierung erleichtern. Den Wunsch, sich in der Gegenwart wie in der Zukunft zu bewähren, verraten folgende Grundsätze: Die „Deutsche Zeitung" will, wie zuvor, „allen Moden der Zeit" gegenüber „eine Position der vernünftigen Mitte" bewahren und sie verteidigen. Denn, so meldet das Blatt in eigener Sache: . die Mitte darf sich nicht verstecken“. Nur zu gerne möchte es in der Bundesrepublik als „eine Stimme der Vernunft" anerkannt werden, sozusagen als Mittel-Welle, ausgestrahlt aus der Kölner Straße in Bonn.
Mancherlei Einwendungen zum Trotz kann sich das Blatt sehen lassen. In der Tat liefert es, was die redaktionelle Gesamtleistung betrifft, keinerlei Grund zu Vorurteilen. Von hervorragenden Publizisten der Gegenwart aus dem In-und Ausland allwöchentlich reich beschickt, bietet es in seinen fünf Hauptsparten Politik, Kultur, Gesellschaft, Freizeit und Reisen brauchbare Analysen des Zeitgeschehens, lesbare Kommentare zu Zeit-geschick und Zeitgeschmack. Meinungen aller Parteien, Regierungen, Konfessionen werden nicht ohne gemäßigte Offenheit verbindlich diskutiert. Daß dem so sei, dies versichert von Zeit zu Zeit in geschwisterlicher Weise „Das Handelsblatt" aus Düsseldorf.
Bei solcher Gelegenheit hieß es einmal über die „Deutsche Zeitung", in politischer Hinsicht werde sich „die Redaktion an den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft und der Rechtsstaatlichkeit orientieren”. Auf solchen Wegen hoffe man, „sich gegenüber den Wettbewerbern von links und rechts auf dem Wochenblätter-Markt klar abzugrenzen". Unter redaktioneller Anlehnung an besagtes „Handelsblatt" und an die liberale Züricher „Weltwoche" geriert sich jener Holtzbrink-B Schliff seit 1974 „als die einzige unabhängige Wochenzeitung", welche direkt aus Bonn kommt.
Im Sinne eines Hervorhebens der besonderen Anziehungskraft, welche gut gestaltete Wochenblätter auf das Publikum ausüben, seien folgende Sätze als den Kern treffend eingeschaltet: „Mehr als fünfhunderttausend Menschen in der Bundesrepublik begnügen sich nicht mit der örtlichen Tageszeitung, dem Fernseh-oder dem Hörfunkprogramm. Sie wollen mehr wissen, sich gründlicher informieren und sich besser orientieren. Deshalb ihr Entschluß, eine der großen überregionalen Publikationen der Bundesrepublik zu lesen. Dabei lebt der typische Leser solcher Periodika in Groß-und Mittelstädten. Fünfzig Prozent von ihnen wohnen in Großstädten mit über einhunderttausend Einwohnern (Bundes-durchschnitt 40 Prozent); fast 30 Prozent wohnen sogar in Metropolen mit mehr als fünf-hunderttausend Einwohnern (Bundesdurchschnitt 25, 5 Prozent). Für solche Interessenten ist die Deutsche Zeitung weder eine süddeutsche noch eine norddeutsche, sondern eben die Deutsche Zeitung, die nicht nur in München und Stuttgart, sondern auch in Köln, Frankfurt, Hamburg und überall in Deutschland zu haben ist. Entweder durch die Post oder am Kiosk."
Zu seinen Gunsten hebt das Wochenblatt hervor: „Die Leser der Deutschen Zeitung sind überdurchschnittlich an politischen Fragen, wirtschaftlichen Entwicklungen und kulturellen Problemen interessiert, 67 Prozent sagen auf Anhieb, daß sie den politischen Teil der Deutschen Zeitung besonders genau studieren; jeweils 40 Prozent beschäftigen sich vor allem mit dem Wirtschaftsteil und dem Feuilleton!" Zu Recht grenzt sich das Organ auf diese Weise von jenen Wochenend-Massenblättern ab, welche Sensationen nachjagen oder Platitüden über private Affären aus Herrschaftshäusern breittreten. Zum Schluß heißt es, daß die Leser der „Deutschen Zeitung" „extrem politische Äußerungen, ob sie nun von links oder rechts" kämen, nicht akzeptierten. Ginge es ihnen doch „um das vernünftige Gleichgewicht zwischen Bewahrung und Ausbau unserer freiheitlichen demokratischen Ordnung". Sie seien gewiß „für liberalere Formen", besäßen jedoch keinerlei Sinn für „sozialistische Experimente". Sie widmeten ihre Aufmerksamkeit „deutschen Interessen", hielten jedoch nichts von „deutschem Chauvinismus"
IV. Allgemeine Jüdische Wochenzeitung
Gegründet 1946, Erscheinungsort: Düsseldorf, Auflage: 30 000
Bereits 1946 wurde im Zuge erster Ansätze zur Wiedergutmachung die heutige „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung" gegründet. Anfangs hieß sie „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“. Ihre Auflage ist über drei Jahrzehnte hinweg auf etwa 30 000 Exemplare begrenzt geblieben. Wie das für ernst zu nehmende politische Periodika zumeist gilt, besagt die gedruckte oder verkaufte Auflage allerdings nur wenig über die Streubreite oder die Tiefenwirkung eines Blattes. Es ist selbstverständlich, daß das Organ, an dessen Spitze namhafte Persönlichkeiten des nach Deutschland zurückgekehrten Judentums stehen, für seine Äußerungen über eine erhebliche Reichweite verfügt.
Die „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung" erscheint 1979 im 24. Jahrgang. Ein Durchsehen des Blattes belehrt darüber, daß das Periodikum zwar an eine begrenzte, jedoch intensiv interessierte Leserschaft gerichtet ist. Der übliche Umfang des Periodikums beträgt zwölf Seiten: Die drei ersten Seiten sind „Politik" überschrieben, die vierte „Israel", die fünfte „Religion". Auf den Seiten 6 und 7 folgt „Kultur", Seite 8 und 9 sind „Berlin" gewidmet, Seite 10 und 11 den „Gemeinden". Auf der Schlußseite finden sich Nachrichten und Berichte aus aller Welt. Es wäre falsch, zu vermuten, daß das Periodikum lediglich Probleme des deutschen Judentums behandelte. Es verfügt über Weit-und Weitsicht und insofern über ein mondiales Echo. Seine außen-und innenpolitischen Stellungnahmen werden rund um den Erdball zitiert.
Gegründet wurde das Periodikum durch den 1966 verstorbenen, angesehenen Publizisten Karl Marx. Als Herausgeber, die beide häufig Leitartikel und Kommentare formulieren, zeichnen seit langem Heinz Galinski und Alexander Ginsburg. Ein prominenter Mitarbeiter, Josef Frenkel, hat schon vor Jahren folgende programmatischen Direktiven zugrunde gelegt. In einem Beitrag von ihm heißt es über die „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung", sie hätte von ihrer ersten Ausgabe an „einer neuen Harmonisierung christlich-jüdischen Zusammmenstehens" zu dienen versucht. Vor allem solle sie warnen, sobald „alt-neue Gefahren" auftauchten. Zu kämpfen habe sie, nach außen wie nach innen, „für moralische und politische Freiheit". Natürlich muß ein solches Periodikum, seit seinem Beginn in eine höchst differenzierte „publizistische Atmosphäre" hineingestellt, ständig gegenwärtige Mißstände kritisch attackieren, zugleich aber will es gegenüber wachsend positiv eingestimmter Besinnung „Anerkennung aussprechen". Darüber hinaus bemüht es sich, „jüdische Kulturwerte zu vermitteln", obendrein „Ideale zu stärken, das Schöne zu fördern und das Häßliche zu bekämpfen"
Manchen Beobachtern sonstiger westdeutscher Pressegestaltung mögen derart zurückhaltend formulierte Programmpunkte fast zu blaß dünken. Sie werden jedoch in der Absicht zitiert, gleichsam am Rande zu belegen, daß eine Presse, deren Herausgeber und Redakteure das Recht hätten, eine chronische Vendetta zu installieren, dies von Beginn an bewußt vermieden. Das eigentliche Anliegen der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung" lautet im Sinne von Lessings „Nathan der Weise": Toleranz. Dies verdient Respekt und nochmals Respekt. Zwangsläufig fehlt einem solchen Blatt, das von Anfang an — gegenüber Unbelehrbaren — an einer universalen Schau der Geschehnisse festgehalten hat, jene Überfülle von Berichten und Kommentaren, wie sie „Die Zeit" oder der „Spiegel" vor allem zufolge ihrer Auflagenpotenz zu schaffen vermögen. In ihren Ressorts Politik, Kultur und Wirtschaft erweist sich die „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung" gleichwohl als vorzüglicher Umschlagplatz internationaler Kontakte. Aus dergleichen, hier lediglich andeutbaren Gründen sollte das lesende Publikum der Bundesrepublik dies Blatt aufmerksamer als bisher studieren. Seine Leitartikel und Glossen sind des Beachtens und Bedenkens wert. Sie runden das Weltbild ab, das sich ein jeder ständig von neuem schaffen sollte, der da glaubt, mitsprechen zu dürfen.
Wenn Hansjürgen Koschwitz in seiner Skizze über „Die politische Wochenpresse in der Bundesrepublik" notierte, daß „die Universalität ihrer politischen Berichterstattung" gewisse Lücken aufweise, so sei ihm nicht widersprochen Für das vorgestellte Wochen-organ ist indes festzuhalten, daß es ungeachtet seiner für bundesrepublikanische Maßstäbe geringfügigen Auflagenhöhe über außen-und innenpolitische Mitarbeiter verfügt, deren Berichte und Gedanken das Spektrum wesentlich erweitern. Namhafte Korrespondenten, an international gewichtigen Zentren der Nachrichten-und Meinungsgebung plaziert, verbinden das Düsseldorfer Blatt mit den „News of the World". Außerdem verfügen seine Leser über weltweite Verbindungen, die ihm für seine Berichterstattung zusätzlich dienlich sind.
Daß die „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung" sich seit nunmehr über drei Jahrzehnten um gegenseitiges Verstehen zwischen Judentum und Bevölkerung der Bundesrepublik bemüht, das hat sich längst herumgesprochen. über diese hauptsächliche Tendenz des Blattes unterrichtet ein Artikel aus der Feder ihres leitenden Redakteurs Heinz Galinski, der zugleich Vorsitzender der „Jüdischen Gemeinde Berlin" ist. In der Rubrik „Meinung" von „Bild am Sonntag" veröffentlichte er einen zu Versöhnlichkeit mahnenden Artikel Er nannte ihn „Leben heißt Zusammenleben": „Jeder von uns hat schon in jungen Jahren die Erfahrung gemacht, daß menschliches Leben sich nicht anders gestalten läßt als unter dem Gesichtspunkt des Zusammenlebens." Dies lese sich wie eine Selbstverständlichkeit, es sei aber „doch mit vielerlei Schwierigkeiten, Problemen und zuweilen Konflikten verbunden". — „Die wenigen von uns, die dennoch überlebt haben, und die mit ihren Nachkommen die jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland bilden, haben aus ihren schrecklichen Erfahrungen bestimmte Folgerungen gezogen. Zu ihnen gehört die Erkenntnis, daß es sehr wichtig ist, miteinander ... im Gespräch zu bleiben, weil nur so gegenseitiges Verstehen möglich ist." Das Weiterführen solcher Dialoge bezeichnet Galinski als „Voraussetzung der Existenz in einem Lande, in das wir uns in den Jahren der Weimarer Republik voll eingeordnet glaubten und in dem nichtsdestoweniger unvorstellbar Schreckliches geschehen konnte."
Auf die publizistische Aktivität der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung" treffen folgende Äußerungen Galinskis zu: „Im Laufe der Zeit ist es uns gelungen, manche Befan-genheit abzubauen und Kenntnisse über die jüdische Glaubenswelt sowie über den jüdischen Anteil an der Kultur der Menschheit zu vermitteln." Auf solchem Wege wurde es möglich, zu der „nicht-jüdischen Umwelt ein partnerschaftliches Verhältnis" herzustellen. Allmählich sei die „volle Integration der in ihrer Eigenständigkeit respektierten jüdischen Gemeinschaft in das freiheitlichste Staatswesen der deutschen Geschichte" geglückt. Freilich gebe es gerade in der jungen Generation „ein Defizit an politischer Bildung, aus dem die Ewiggestrigen unter bestimmten Umständen Nutzen ziehen" könnten. Um das zu vermeiden, solle den Nachwachsenden „ein gründliches Wissen von alledem" vermittelt werden, „was während der NS-Herrschaft geschah". Nur diejenigen, die darüber Bescheid wüßten, „was von einer Diktatur zu erwarten" sei, könnten „den unschätzbaren Wert freiheitlicher Verhältnisse wirklich ermessen". Nur sie wären dann in der Lage, „um des Schutzes der Demokratie willen ... Unbequemlichkeiten auf sich zu nehmen ... Nur wer den Belastungen einer schrecklichen Vergangenheit nicht ausweicht, ist belastbar mit dem, was morgen auf uns zukommen kann." Doch sei es mit dem Vermitteln von Kenntnissen zu geschichtlichen Tatbeständen allein nicht getan. Zu leisten sei obendrein „die Erziehung der Menschen zu Toleranz". Dies betrachte er als Quintessenz all seiner Veröffentlichungen. Damit hat Galinski die . Linie'der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung" deutlich umrissen. Er bezeichnet sein publizistisches Vorgehen als Appelle eines Menschen, „der Auschwitz überlebte und sich für diesen unseren Staat, die Bundesrepublik Deutschland, mitverantwortlich fühlt"
V. Rheinischer Merkur Gegründet 1946, Erscheinungsort: Koblenz, Auflage: 74 700
Dies Organ, das wie die meisten anderen nach dem Zweiten Weltkrieg in die publizistische Arena eintrat (am 15. März 1946 zu Koblenz), war und ist um Einfälle, welche die Öffentlichkeit aufmerken lassen, niemals verlegen. Als jüngstes Beispiel für seine ungebrochene Aktivität nehme man ein „an die Leser zur Erweiterung der Herausgeberschaft" gerichtetes Wort. Mit Sicherheit ist anzunehmen, daß es der bekannteste Anonymus des Hauses schrieb. Die Mitteilung erfolgte unter dem Haupttitel „Der Weg des . Rheinischen Merkur'" im Frühjahr 1978 innerhalb des Ressorts „Politik".
Gleiechsam als Präsent verspricht der „Rheinische Merkur" darin seinem „so treuen, so stabilen Leserstamm" den Beginn einer „neuen Etappe seiner Geschichte". „Von nun an übernehmen drei Herausgeber für den Kurs des Blattes ... die Verantwortung." Warum geschah solcherlei Erneuerung? Otto B. Roegele, dem Blatt seit dessen Anfängen aufs engste verbunden und ihm als Chefredakteur 1952 bis 1963 vorstehend, danach bis zur Gegenwart als Herausgeber (wegen Berufung auf das Ordinariat für Zeitungswissenschaft der Universität München kam es zum damaligen Wechsel der Positionen), hatte im Früh-sommer 1978 nach Helfern gesucht. Er zog zwei namhafte Persönlichkeiten heran, die zum bisherigen Bilde des „Rheinischen Merkur" durchaus passen: Neben O. B. Roegele sind Christa Meves und Hans Maier getreten; sie werden im genannten Artikel vorgestellt, über Christa Meves heißt es, daß sie sich als Mitglied der „Synode der Evangelischen Kirche" bewährt habe. Als Psychotherapeutin sei sie — dank ihrer Bücher über Erziehung, Ehe, Familie und Schulnot — Millionen Lesern und Leserinnen bekannt. In Uelzen praktizierend, stehe sie ein „für den norddeutschen Raum und für ein bekenntnistreues Christentum evangelischer Prägung". Der Dritte im neuen Rheinbunde ist Hans Maier, bayerischer Kultusminister und Professor der Politikwissenschaft zu München. Er repräsentiere „die im Zentralkomitee vereinigten gesellschaftlichen Kräfte des deutschen Katholizismus"
Durch jene Berufung beider Persönlichkeiten an die Spitze des „Rheinischen Merkur“ wird abermals verdeutlicht, daß dieses Wochenblatt zumindest eine der Aufgaben, die es sich selbst von Beginn an stellte, weiter verfolgt. Entsprechend wird erklärt, daß es „die Zukunft der Christenheit nicht durch Einebnung der Unterschiede oder Verwischung der Grenzen zwischen den Konfessionen“ sehe. Vielmehr sei es von jeher für „Zusammenarbeit der Christen im Dienste der gemeinsamen Sache" eingetreten. Wer über die ersten drei Jahrzehnte des „Rheinischen Merkur" hinweg zu seinen Anfängen zurückblickt, erkennt, daß diese Idee zu seinen Grundprinzipien gehörte und gehört.
An wen hält man sich, will man wesentliche Entwicklungslinien dieses Periodikums aufzeichnen? Nach kritischer Durchsicht einer Fülle von Material sei ein einziger Gewährsmann aufgeführt. Für seine Arbeit steht ihm das Wiederverwenden des Titels einer Sammlung der Feuilletons von Alfred Polgar zu. Solange es um den „Rheinischen Merkur" geht, kann Ludwig Zöller jederzeit sagen: „Ich bin Zeuge" Als Beleg dafür nehme man seinen pressehistorisch gewichtigen Beitrag „Rückblick auf die Anfänge"
Wer hat den neuen „Rheinischen Merkur" vom 15. März 1946 zu Koblenz ins Leben gerufen? Das war ein Mann, der den alten „Rheinischen Merkur" der Jahre 1815— 1816 und dessen Herausgeber Joseph Görres genügend kannte. Im Leitartikel der ersten Ausgabe hieß es unter der Signatur „Audax": „Es gibt keinen größeren Namen, zu dem wir greifen könnten. Mit der Ursprünglichkeit seines Denkens, mit der Kraft seiner Sprache, mit der ganzen hinreißenden Leidenschaftlichkeit seines Geistes hat Görres dem . Rheinischen Merkur'den höchsten Rang gesichert, den eine Zeitung deutscher Zunge je erreicht hat." Als Napoleon die Presse einmal eine „fünfte Großmacht" nannte, habe er den „Rheinischen Merkur" gemeint — Legende hin, Legende her, daß zwischen den publizistischen Anliegen des „Ur" -Merkur und dem des heutigen Wochenblattes nach Inhalt und Tendenz erhebliche Unterschiede bestehen, wem sollte das verborgen bleiben?
Jener Mann, der es zwischen 1945 und 1946 als seine Aufgabe ansah, ein neues Wochenblatt — und dies im Bereich der damaligen französischen Besatzungsmacht — zu installieren, besaß, was seine für die damals einmarschierten Franzosen nicht gerade bequeme Titelwahl beweist, den rechten Griff, um nach den zwölf Jahren der Unfreiheit sogleich endlich mehr Meinungsfreiheit zu fordern. In der britischen Besatzungszone hat das damals „Die Zeit" unter Richard Tüngel nicht minder couragiert verlangt
Als Franz Albert Kramer nach acht Jahren der Emigration nach Koblenz zurückkehrte,'verfügte er trotz der schwierigen Zwischenzeit noch über den Nimbus eines tonangebenden Publizisten, der für führende Blätter der Weimarer Republik Leitartikel Und gründliche Auslandsberichte geschrieben hatte, über Kriegs-und Nachkriegszeit hinweg schätzte man den hochbegabten Journalisten. Unter der Hitlerei war er zum Tode verurteilt und durch eine Intervention Berlins aus Italien verjagt worden. Kramer verwandelte die zuvor gegründete Zeitung zum 1. Januar 1946 in ein Wochenblatt. Er wünschte, sich nicht als Chefredakteur eines dem Aktuellen verpflichteten Nachrichtenorganes zu sehen; er wollte einen anderen Blatt-Typ schaffen. Von Beginn an hoffte er, zu urteilen, zu beurteilen, d. h. Meinungen zu verbreiten und dadurch zur Meinungsbildung anzureizen.
Das ist dem „Rheinischen Merkur" dank des konsequenten Innehaltens, des bereits von F. A. Kramer bestimmten Kurses seither gelungen. Knapp vier Jahre lang hat Kramer den „Rheinischen Merkur" geführt. 1900 geboren, starb er am 12. Februar 1950. Innerhalb jener kurzen Spanne schrieb er wegweisende Leitartikel. Gleichzeitig verstand er es, eine Mannschaft zusammenzurufen, die seinen Linien bis zur Gegenwart folgt. Ludwig Zöller berichtet, daß die Kombattanten, die Kramer zum „Rheinischen Merkur“ holte, „schreiben können mußten — selbst wenn sie von Beruf her noch so sehr als Außenseiter des Journalismus" gelten mochten. Da Kramer selbst ein talentierter Stilist war, ist es nicht verwunderlich, daß aus seiner Juwelierwerkstatt eine Reihe namhaft gewordener Kommentatoren des politischen und kulturellen Lebens der Bundesrepublik erwuchsen. Je unbequemer politischen Widersachern die Auslassun-gen jener Männer vom „Rheinischen Merkur" erscheinen sollten, um so sorgfältiger mußten sie ihre Thesen formulieren. Uber drei Jahrzehnte hinweg gilt vom „Rheinischen Merkur“, daß er den Ärger, den er so manchem der von ihm Angegriffenen durch seine Intransigenz bereitet, durch den Genuß versüßt, endlich und stets von neuem gutes Deutsch lesen zu dürfen.
Aus der bisherigen Entwicklung des Blattes seien folgende Wendemarken eingetragen:'1951 erfolgte die Verlegung der Redaktion in die fürs „Blatt-Machen" freiere Atmosphäre der britischen Besatzer. 1952 lag die Chef-redaktion in den Händen von Konrad Legat, seither zeichnet Dr. Erwin Gückelhorn als editor in chief
Aus der Zeit, als F. A. Kramer das Kommando über den „Rheinischen Merkur" innehatte, stammen für dessen Gestaltung drei Grundregeln. Da gab es erstens das Stichwort vom „Personalismus". Ins Allgemeinverständliche übersetzt heißt das, wer in diesem Blatt schreibt, der muß mit seiner ganzen Person, sozusagen mit Haut und Haar (und nicht nur mit dem Namen), zu jedem Satz stehen, den er drucken läßt. Zweitens installierte der „Rheinische Merkur" gleichsam als Gesetz „die Offenheit der Sprache". „Laßt alle Eitelkeiten beiseite", hieß es für die Redakteure, „nennt die Erscheinungen, über die ihr Euch äußert, so einfach als möglich beim Namen." Drittens verlangte Franz Albert Kramer von seinen Mannen, sie sollten aufgefundene Tatbestände sachlich, gründlich und ernsthaft darstellen. Während des Schreibens sollten sie sich Leser vorstellen, die nicht nach letzten Nachrichten hecheln, sondern von den Gestaltern ihres Blattes am Ende einer Woche Beratung und vor Beginn der nächsten Übersicht und Ordnung erwarten. Regieanweisungen so präziser Art hat es in keinem anderen deutschsprachigen Nachkriegsblatt von Qualität gegeben. Daß sie von verschiedenen Generationen für bekennende Publizistik Begabter befolgt wurden, das hat den „Rheinischen Merkur"trotz nach wie vor bescheidener Auflagen am Leben erhalten.
Ein Blatt solchen Ranges und solchen in weltanschaulicher Hinsicht unerbittlichen* Anspruches verdient es, auf die Hintergründe seines permanenten Erfolges bei bestimmten, ihrer eigenen geistig-seelischen Souveränität durchaus bewußten Kreisen der westdeutschen Bevölkerung befragt zu werden.
Was bestärkt diesen „Mercurius", diesen Meldegänger christlich-katholischer Botschaften aus Bonn, Köln, München und vor allem aus „Roma Aeterna" in seiner Aggressionslust gegenüber Andersdenkenden?
Es ist das Verschworensein auf die urbi et orbi untereinander festgelegte, jeglichen Zeitenwechsel überdauernde Grundeinstellung.
Gemäß häufig festgehaltenen Abmachungen lauten sie im „Rheinischen Merkur": Es geht erstens um die Dominanz des „Christlichen“
als Idee — der „Rheinische Merkur" hat sich übrigens jederzeit „für die politische Zusammenarbeit beider Kirchen" eingesetzt. An zweiter Stelle steht der mitunter doch mühselig aufgewärmte „Europäische Gedanke". An-ton Böhm, einer der Ideenträger des Blattes, hat ihn Prärogativ als die „Königsidee“ des 20. Jahrhunderts und — noch unvorsichtiger — als die Idee Konrad Adenauers bezeichnet.
Als Historiker des Zeitschriftenwesens kann man sich nicht versagen, daran zu . erinnern, daß lange vor Kramer, Roegele, Wenger und Otto von Habsburg in der exzellenten Berliner Monatsschrift „Europäische Revue" des Prinzen Anton Rohan und seines Chefredakteurs Joachim Moras Pioniere des gleichen Gedankens wie Richard Graf von Coudenhouve-Kalerghi (1894— 1972) und Hermann Graf von Keyserlingk (1880— 1946), der Schwachheit ihrer Argumente ungeachtet, als Männer von Morgen kultiviert worden sind.
Aber was blieb?
Drittens hat der „Rheinische Merkur" stets am „Prinzip des Föderalismus“ festgehalten.
Angesichts gewisser Störungen des parlamentarischen Systems sollten freilich sogar die Meinungsbildner aus dem Hause des „Rheinischen Merkur“ der Idee abschwören, daß „der Föderalismus" vor allem stets „der Sicherung der Demokratie" diene. Indes muß dem Blatt zugute gehalten werden, daß es beispielsweise gegenüber dem seinerzeit in „Christ und Welt" publizierten Kassandraruf des Heidelberger Ordinarius Georg Picht über „Die deutsche Bildungskatastrophe" sofort die Notbremse zog. Leider geschah dies zu spät. Jedoch hat Anton Böhm bemerkt, eine jede Zeitung werde „von irrtumsfähigen Menschen gemacht“, und eben deshalb erweise sich — was gerade in den Redaktionsstuben des hochgeschätzten Blattes nicht leicht-15 hin vergessen werden sollte — jeder „Unfehlbarkeitsanspruch" als lächerlich
Dies ebenso perspektivenreiche wie mitunter unbelehrbare Blatt hat 'sich über Jahrzehnte hinweg stets selbst aufrichtig darüber befragt, was es geleistet — und was es nicht vermocht hat. Eben diese Tugend müssen Leute, die in ganz anderen Lagern auf Lauer liegen, dem „Rheinischen Merkur" mehr oder minder freiwillig zugestehen. In der Tat, es ist und bleibt alles andere als ein Allerweltsblatt. Reaktionär ist es nicht, doch ganz gewiß konservativ.
Jene Persönlichkeiten, welche dies Periodikum auf Unübersehbarkeit hin redigieren oder für es schreiben, denken nach — und dies nicht nur für den oder für einen Tag. Das ist im bundesdeutschen Journalismus nur noch selten anzutreffen. Zum Beleg nehme man die Artikel aus dem ersten Heft des 25. Jahrganges des „Rheinischen Merkur", welche unter der Signatur „Perspektiven der Zukunft" erschienen, Sie sollten einen „Ausblick auf publizistische Aufgaben der kommenden Jahre" einleiten.
Paul Wilhelm Wenger stellte hier Krämers und Roegeles „Rheinischen Merkur" dar als ein selbstlos „im Dienste der europäischen Einigung" stehendes Organ; das mag angehen. Otto von Habsburg äußerte sich zum Themenkreis „Deutschland — Europa und der . Rheinische Merkur'". Derlei liest sich dann so: „Man wird in Zukunft die Geschichte des Neuaufbaus unter Adenauer nicht schreiben können, ohne nicht gleichzeitig des Werkes zu gedenken, welches der . Rheinische Merkur'und seine Mitarbeiter vollbracht haben ... Wir sind auf dem Wege nach Europa noch nicht am Ziel." Im Anschluß daran heißt es in einer gleichsam nur durch die Zeitumstände verhinderten und somit aus einem oberbayerischen Dorf entsandten Thronrede: „Diese Aufgabe ist dem . Rheinischen Merkur'in den nächsten fünfundzwanzig Jahren gestellt. Angesichts dessen, was er bereits geleistet hat, darf er die Herausforderung des letzten Drittels unseres Jahrhunderts im Glauben an Gott und im Vertrauen auf die Richtigkeit seiner Grundsätze annehmen. "
Daß ein Blatt von Rang dergleichen „public relations" druckt, ist nicht leicht zu verstehen. Als eines weiteren Zeichens des in der Redaktion herrschenden Humors erfreue man sich an den von Paul W. Wenger gesammelten „Merkur-Beschimpfungen". Durch solche Mies-Helligkeiten taten sich hervor: anfangs Kurt Schumacher, später immmerhin Adolf Arndt und natürlich über Jahrzehnte hinweg der '„Spiegel" Dergleichen Notationen erweisen sich jedoch als reiner Kindermund gegenüber den dem „Rheinischen Merkur“ aus der Deutschen Demokratischen Republik zugedachten Invektiven. Mitarbeiter Karl Wilhelm Fricke hat sie unter den Schlagzeilen „Auch . drüben’ ein Begriff" und „Im Zerrspiegel der Zone" gesammelt
Im Sinne von Hans Maier, Christa Meves und O. B. Roegele wurde die gegenwärtige Position des Blattes jüngst folgendermaßen umrissen: „Es sieht nicht besonders gut aus mit der Präsenz entschieden christlicher Kräfte in der Medienlandschaft der Bundesrepublik Deutschland. Der . Rheinische Merkur'stellt in seiner weltanschaulichen, politischen und kulturellen Charakteristik eine unverwechselbare Stimme im Konzert der . Öffentlichen Meinung'dar. Er hat einen gewissen Seltenheitswert ... ©ft und mit Recht wird die Verarmung der Meinungsvielfalt in den Massenmedien beklagt, sei es infolge des Zeitungssterbens, sei es auf Grund eines zunehmenden Konformismus unter denen, die sich öffentlich äußern. Was kann da förderungswürdiger sein als ein Blatt, das, offen für alles, was in der Welt passiert, zugleich aus seiner eigenen Stellung nie ein Hehl gemacht und seine Argumente stets deutlich artikuliert hat, komme sein Wort gelegen oder ungelegen?"
Der „Rheinische Merkur" erscheint 1979 im vierunddreißigsten Jahrgang. Sein Umfang beträgt normalerweise 32 Seiten. Der erste Teil des Blattes enthält Beiträge aus den Ressorts „Innenpolitik" und „Außenpolitik“ (S. 1— 3). Es dominieren Aufsätze der Redaktionsspitze. Als federführend erweisen sich seit langem (in alphabetischer Reihenfolge genannt) Publizisten von Rang wie Anton Böhm, Otto B. Roegele, Gerd Rössing und P. W. Wenger. Ihre Äußerungen werden durch Zusendungen bewährter Ausländskorrespondenten ergänzt.
Der zweite Teil des „Rheinischen Merkur" bringt an erster Stelle unter „Forum" Leserbriefe. Das „Thema der Woche" beinhaltet zumeist Kritik an Bonner Ereignissen und den sie verursachenden Persönlichkeiten (S. 7— 10). Den Themenbereich „Natur und Technik" behandelt Seite 11, für „Sport" genügt Seite 12. Den Redakteuren vom „Rheinischen Merkur" sei Dank für diese leider rare Genügsamkeit!
Dennoch muß ein Periodikum ersten Ranges auch modischen Belangen Genüge tun. Demgemäß recherchiert das „Echo der Zeit" vor allem die Medien Rundfunk und Fernsehen (S. 13). Das „Deutschland-Journal" blickt vorzüglich hinüber in die Deutsche Demokratische Republik (S. 14— 15). Es folgt das „Forum der Jungen" (S. 16). Innerhalb dieses Ressorts wird indes, wie es scheint, eher über die Jugend als direkt zu ihr gesprochen. Der Teil „Wirtschaft" entspricht vollauf der sonstigen Haltung des Blattes (S. 17— 21). Die Seite „Beruf, Weiterbildung, Karriere" offeriert Ratschläge (S. 22). „Reise und Erholung“ bietet feuilletonistisch gehaltene Tips (S. 23).
Außer den politischen Bestandteilen des Blattes erfreut vor allem anderen das gediegene Feuilleton, überschrieben „Aus dem Leben des Geistes", gewiß sogar Leser, die das Blatt wegen seiner konservativ-konfessionellen Haltung nicht mögen (S. 25— 28, einschließlich „Literaturblatt"). Gerade in diesem Ressort wird Aufmerksamkeit durch fesselnde Themen erreicht, welche von anerkannten Autoren behandelt werden. Eben dieser kulturellen Sparte mangelt es durchaus nicht an Weltoffenheit. Die Seiten „Dialog der Christen" und „Aus der katholischen Welt" helfen dem Blatt, seine ihm über Jahre und Jahrzehnte hinweg treue Leserschaft festzuhalten (S. 29— 31). Das Schlußlicht signalisiert „Gestern — Heute — Morgen". Es enthält geschickt aktualisierte, historische Betrachtungen (S. 37).
Ob seiner konservativ-katholischen Grundhaltung wird das gewichtige Organ häufig angegriffen. All das ist gewiß ein Zeichen dafür, daß es zur Kenntnis genommen wird. Daß es sich leicht liest, das erklärt sich durch eine inzwischen selten gewordene Sorgfalt in der Stilisierung. Solches verantwortungsbewußte Behandeln der deutschen Sprache, welche nur noch führende Blätter auszeichnet, zieht sich beim „Rheinischen Merkur“ durch sämtliche Ressorts
VI. Deutsche National-Zeitung
Gegründet 1969, Erscheinungsort: München, Auflage: 110 000
Um Material für ein Portrait der „Deutschen National-Zeitung" gebeten, antwortete Chefredakteur Gerhard Frey, weiter Verbreitung seines Blattes sicher: „Die . National-Zeitung’ erhalten Sie an jedem Kiosk und die früheren Bände in jeder bedeutenden Bibliothek. Aus unserem Archiv können wir Ihnen leider nichts zur Verfügung stellen, da ein erheblicher Teil beim letzten Sprengstoffanschlag zerstört wurde." Zeitgeschichte hin, Zeitgeschichte her, der Satz sei aufbewahrt: deute ihn ein jeder, wie er mag! über jene Sondermeldung hinaus bewies der Hauptgestalter des Blattes Humor. Teilte er doch mit: „Beigefügt finden Sie eine Ausarbeitung des DGB gegen die , National-Zeitung’, woraus Sie Auffassungen unserer Gegner im Kampfe Segen unser Blatt ersehen." In der Tat eine Antwort, die es nicht verdient, hinter dem Spiegel •— diesmal ohne Anführungszeichen — versteckt zu werden
Sieht man näher hin, so handelt es sich um eine zur kritischen Auseinandersetzung verfaßte Untersuchung von Hans Helmut Knütter: „Geistige Grundlagen und politische Richtung der . Deutschen Nationalzeitung und Soldatenzeitung', dargestellt am Jahrgang 1961" Wer allein dieser Abhandlung folgen würde und nicht selbständig recherchieren wollte, der verzichtete leichtfertig auf den Versuch, gegenüber diesem Wochenblatt so objektiv als möglich zu bleiben.
Tatsächlich ergibt sich, daß die „Deutsche National-Zeitung" von der sonstigen Presse am meisten befehdet wird. Weshalb? Es spielt nicht nur den Rechtsaußen, es kämpit auf der äußersten Rechten Seit seiner Gründung wird es wegen seiner nationalistischen Programmatik und seiner rüden Sprache unentwegt attackiert. Aus der Retrospektive verdient das Urteil des Fachkenners Heinz-Dietrich Fischer, der die zum Thema „Nationalzeitung" gehörenden Äußerungen aus der zeitgenössischen Publizistik am genauesten kennt, Zuspruch: „Am auffälligsten machte sich ... die Presse der extremen Rechten bemerkbar." Nahezu alle Blätter gleichen oder ähnlichen Zuschnittes seien quasi von Geburt an zum Gegenstand politischer Kontroversen geworden Beispielsweise wurde das offizielle NPD-Sprachrohr „Deutsche Nachrichten" (Hannover) sogleich zu einer umstrittenen Publikation. Von wachsamen Gegenspielern ist wiederholt versucht worden, die Blätter der NPD völlig zu verbieten. Das scheiterte jedoch am Grundgesetz.
Jahraus und jahrein erzielt das Wochenblatt von Gerhard Frey jenseits seines breit gestreuten Stammpublikums ein so negatives Echo in der allgemeinen Publizistik, wie das im Gefolge der Buback-und Schleyer-Ermordungen allenfalls terroristische Flugblätter errangen Abgesehen davon läßt sich für den Bereich der Bundesrepublik kein Periodikum nachweisen, das so häufig Appelle zum Verbieten auslöste wie das „freiheitliche" Frey-Organ. Aus der Fülle gleichartiger Stimmen seien lediglich drei ausgewählt. Als Beispiele sollten sie genügen.
Die erwähnte Knütter-Ausarbeitung vom Jahre 1961 veranlaßte den „Vorwärts" im Jahre 1966 zu einer warnenden Stellungnahme. Es heißt: „Radikale Nationalisten, alte Nationalsozialisten und Neofaschisten" wären zwar in der Bundesrepublik „zu einer kleinen Minderheit von geringer Bedeutung" zusammengeschrumpft. überdies hätten sich die nationalistischen Gruppen „nach jeder verlorenen Wahl" weiterhin zersplittert. Hingegen lasse die Existenz der „Deutschen National-Zeitung" (DNZ) noch immer einen möglichen „Konzentrationsprozeß nationalistischer Minderheiten" befürchten. „Rechtsradikale unterschiedlicher Herkunft" hätten sich in der so-genannten „Nationaldemokratischen Partei (NPD)" so etwas wie „eine Plattform zu gemeinsamem Handeln" präpariert. Die schlimmste Aktivität zur Schaffung einer „Sammlungsbewegung nationalistischer Gruppen" übe die „Deutsche National-Zeitung“ aus. Man sollte sie endlich und endgültig als „das gemeinsame Sprachrohr aller radikalen Nationalisten und Neofaschisten" entlarven. Besorgniserregend sei die „seit Jahren zu beobachtende Zustimmung Jugendlicher zu nationalistischen und antisemitischen Phrasen in NPD-Versammlungen und in der DNZ". Solche Beobachtungen erwiesen sich als „eine ernste Mahnung an die Politiker demokratischer Parteien und vor allem an die Erzieher". Den Rechtsradikalen und ihrer . Deutschen National-Zeitung’ solle man allerdings nicht durch Verbote, sondern durch Aufklärung" entgegentreten
Etwa ein Jahr später brachte das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt" eine gründlich angelegte Reportage. Sie stammt von Michael Bartelt und kennzeichnet die „Pilotenfische des Rechtsradikalismus". Die darunter plazierte Schlagzeile „Die schwarz-weiß-rote Presse der Bundesrepublik" erweist sich als eine nach wie vor zutreffende Signatur für eine Gattung, welche im Titelkopf statt eines Hakenkreuzes das eiserne Kreuz zwischen die Worte „National" und „Zeitung" stellt: „Die Vergangenheit will sich ihre Zukunft sichern: Eine propagandistische Hilfstruppe verfertigt seit Gründung der Bundesrepublik in mehr als zwanzig Groß-und Kleinstädten rund vierzig Zeitungen, Traktate und völkische Schulungshefte, die miteinander durch rechten Kurs und nationales Pathos verbunden sind, deren Spalten vereint unter der Angst vor Verboten, dem uneingeschränkten Respekt vor soldatischer Pflichterfüllung sowie der ungestillten Hoffnung auf ein mächtiges Reich bis an die Memel gefüllt werden."
Gerhard Frey sei es gelungen, einen Trust rechtsradikaler Periodik aufzubauen. Bereits 1959 habe er die „NDSZ" übernommen, als sie noch unter „Deutsche Soldaten-Zeitung" firmierte und nach dem plötzlichen Subventionsstopp des Bundespresseamtes auf Grund gelaufen war. Bald darauf habe er sich beteiligt an der „Monatszeitschrift . Nation Europa’, die in Coburg mit einer Auflage von rund 9 000 Exemplaren vom ehemaligen SS-Sturmbannführer Arthur Ehrhardt herausgegeben wird“. Ihr fleißigster Mitarbeiter sei jedoch der frühere „stellvertretende Reichs-pressechef" Helmut Sündermann, ehemals Träger des „Goldenen NSDAP-Parteiabzeichens".
Daß Gerhard Frey alles andere als ein weltfremder Querulant sei, das bewiesen seine Zugriffe auf eine von außen her gesehen eher harmlose Presse: „Um den rechten Kurs gleichfalls bei den Vertriebenen steuern zu können, gibt Frey noch die . Schlesische Rundschau’ (Auflage 3 400) und . Der Sudetendeutsche’ (Auflage 4 500) mit dem Untertitel . Landesausgabe der Deutschen NationalZeitung und Soldaten-Zeitung’ heraus. Außerdem ist er Verleger des . Teplitz-Schönauer-Anzeigers’." Läßt sich mit vier Blättern, die annähernd 135 000 Auflage aufweisen, kein Einfluß nehmen? Gewiß — das sind nicht nur, wie ein Pressereferent des Verteidigungsministeriums einmal leichtsinnig meinte, „Unbelehrbare und Gamaschenköppe“, welche mit dem Kauf eines solchen Periodikums „im Kampf um Deutschland" (Werbeslogan) dabei sein wollen. Was als bedenklich zur Kenntnis genommen werden müßte, ist die Erfahrung, daß sich anläßlich einer Analyse der Leserzuschriften ein ungewöhnlich hoher Anteil von zwanzig-bis dreißigjährigen Lesern ergeben habe. Daraus resultiere, daß Freys nationalistischen „Freiheits-Verkündigungen" Altersgrenzen längst keine Schranken mehr setzen
Der dankenswerte Exkurs Bartelts zu den „rechtsradikalen Pilotfischen" enthält viele aufschlußreiche Nennungen ähnlich tendierender Organe. Daß jene rechtsradikale Wochenpresse ständig Unruhe im Inland erzeugt und daß sie ein permanentes Abwerten „der Deutschen" im Ausland hervorruft, dies erweist eine Reportage von Günter Geschke über „Streichers Fuß-Stapfen". Die Berliner CDU-Abgeordnete Lieselotte Berger hatte als Vorsitzende des Petitionsausschusses die Bundesregierung gefragt: „Ist die Bundesregierung bereit, ein weiteres Erscheinen dieser Zeitung — deren nationalistische, antisemitische und rassistische Veröffentlichungen im In-und Ausland immer wieder Anstoß erregen — durch Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 18 des Grundgesetzes beim Bundesverfassungsgericht zu verhindern?" Auf Originalzitate begründet, formulierte sie weiter, daß das Blatt in einer kaum verhüllten Form ein positives Andenken an den Nationalsozialismus fördere.
In seinem Versuch zu einer „Wiederaufnahme des Verfahrens" schildert der „Sonntagsblatt" -Redakteur Bartelt das Ausweichen der angesprochenen Institutionen. Er vermutet, daß die Bundesregierung es habe vermeiden wollen, „durch einen mit Sicherheit langwierigen Prozeß das rechtsradikale Blatt in seiner Bedeutung aufzuwerten" und ihm damit sogar „die Chance zu geben, sich als Märtyrer der Pressefreiheit" zu gebärden. In einem Gespräch mit dem „Sonntagsblatt" erklärte Frau Berger, daß sie ihren Kampf gegen die „Deutsche National-Zeitung" nicht aufgeben werde: „Nunmehr sind die Bundesregierung, insbesondere das Bundespresse-und Informationsamt, gefordert. Auch das Innen-, Finanz-und Justizministerium sind aufgerufen, sich mit diesem Phänomen zu befassen. Daß in der Weimarer Republik in einem liberalistischen Schlendrian schon einmal die Demokratie verlorengegangen ist, steht mahnend vor unseren Augen... Ich beharre auf der Feststellung, daß die . Nationalzeitung', wie immer geschickt sie dies auch kaschieren mag, den Antisemitismus fördert und den Nationalsozialismus verherrlicht. Damit schadet sie der Bundesrepublik nach außen und nach innen."
Für das Erreichen ihres Zieles fände die Vorkämpferin einer unbelasteten demokratischen Entwicklung der Bundesrepublik Argumente genug in der zuvor genannten Studie von Hans-Helmuth Knütter. In der Einleitung zu seiner Schrift über die „Deutsche NationalZeitung" machte er darauf aufmerksam, daß das Blatt seinen Einfluß fort und fort erweitere. Ja, es erfreue sich „einer wachsenden Beachtung und Auflage“. Nicht nur nach seiner damaligen Einschätzung hat es den Anschein, als ob die „Deutsche National-Zeitung", die sich seinerzeit gar als das „Unabhängige Blatt für Ehre, Recht und Freiheit — Europäische Sicherheit und Kameradschaft" benannte, noch immer als „Kristallisationspunkt und Sprachrohr aller Rechtsradikalisten in der Bundesrepublik" zu kennzeichnen bleibt *
VII. Vorwärts
Gegründet 1876, Erscheinungsort: Bonn, Auflage: 71 700
Anläßlich seines hundertjährigen Bestehens hat der „Vorwärts" abermals ein neues Gesicht bekommen. Die jahrzehntelang geführte Unterzeile „Sozialdemokratische Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur" entfiel. Statt dessen heißt es unter dem Haupttitel: „Gegründet 1878 von Wilhelm Lieb-knecht und Walter Hasenclever". Demnach will die gegenwärtige Redaktion auf hauseigene Tradition hinweisen. Seit seiner inhaltlichen Verjüngung und äußeren Modernisierung, d. h. durch Straffung, ist er jedoch in weltanschaulicher Hinsicht nicht bequemer geworden.
Zur Einführung in die Problematik eines Periodikums, das über fast ein Jahrhundert hinweg eine Parteizeitung strenger Observanz zu sein hatte, dies indes nicht länger sein solle, seien drei aktuelle Exempel angeführt:
In der Tageszeitung „Die Welt" findet sich folgende Gegendarstellung: „Unter der Rubrik . Zitat'auf Seite 6 der Weit'vom 24. Januar 1978 bezeichnen Sie die Wochenzeitung . Vorwärts'als . das offizielle SPD-Organ’. Diese Behauptung ist falsch. Der . Vorwärts'ist kein offizielles Organ der SPD. Die im . Vorwärts’ erscheinenden redaktionellen Beiträge sind keine offiziellen Verlautbarungen der SPD, sondern unterliegen ausschließlich der Verantwortung der unabhängig und weisungs-ungebunden arbeitenden Redaktion und ihrer Autoren. — Bonn-Bad Godesberg, den 25. Januar 1978, Friedhelm Merz, Chef-Redakteur der sozialdemokratischen Wochenzeitung . Vorwärts'."
Zweitens sei eine Nachricht aus den „dpa-Informationen" verlautbart. In deren Sparte „massenmedien — medienpolitik" hieß es: „Auf Antrag der SPD-Wochenzeitung . Vorwärts'hat das Bonner Landgericht am 21. Februar eine . Einstweilige Verfügung'gegen das . Deutschland Magazin’ der Deutschland-Stiftung e. V. in München erlassen. Wie . Vorwärts'-Chefradakteur Friedhelm Merz mitteilte, wurde dem Magazin bei Androhung eines Ordnungsgeldes von 500 000, — Mark oder Ordnungshaft bis zu zwei Jahren untersagt, . Vorwärts’ als . Roten Stürmer’ zu bezeichnen. Merz teilte ferner mit, er habe den Deutschen Presserat über den Vorgang unterrichtet und beantragt, das . Deutschland Magazin’ zu rügen."
Als drittes Beispiel in dieser Runde nehme man einen von Georg Polikeit verfaßten Beitrag des Titels „Der . Vorwärts’, Rosa Luxem bürg und der DKP-Programmentwurf", der die kommunistische „Unsere Zeit“ am 1. Mär; 1978 abdruckte. Propagiert wird darin die The se von einer im Interesse der „Arbeiterklasse'dringend notwendigen Aussöhnung zwischei SPD und KPD.
Reden und Widerreden angeführter Art leger die Frage nahe, wohin der umgewandelti „Vorwärts" tendiert? Zugleich im Namen sei ner Mannschaft antwortete der neue Chefre dakteur darauf klar und deutlich: Ihm um seinen Journalisten gehe es nicht um partei politische Rechthaberei. Sie würden ja fü Farbenblinde gehalten, hätten sie nicht einge sehen, daß die der SPD verbundene oder ih nur nahestehende Presse seit 1945 immer we niger gekauft und noch weniger gelesen wüi de. Doktrinäre Presse — das hätte von jehe nichts als Langeweile bedeutet. Für dere Verbreitung müsse man nicht dadurch soi gen, daß man sie auch noch drucke! De Blattgestaltern vom erneuerten „Vorwärts liege daran, Öffentlichkeit zurückzugewir nen. Als einen Beitrag dazu — zumindest fü Pressehistoriker, Zeitgeschichtler und Polite lögen — könnte die repräsentative Publike tion „. Vorwärts'1876— 1976, ein Querschni in Faksimile" dienen Darin wird über di Geschichte des Blattes berichtet, welche in schwieriger Zeit Friedrich Stampfer vo 1916 bis zum 1933 erfolgten Verbot leitete dann die Wiedergeburt, die am 11. Septembe 1948 „unter Lizenz Nr. 1 der Niedersächs sehen Staatsregierung" zu Hannover erfolgt Am Rande heißt es, daß sich die allzu parte dogmatische Gestaltung des ehemalige „Zentralorgans“ längst überlebt habe. I Vorwort begründet Friedhelm Merz seine AI sage an die frühere, häufig als „kleinkarier empfundene Parteipresse. Sie hätte sic längst und wohl endgültig überlebt. Nebenb sei gefragt, ob nicht die Leserpassivität we ter Teile der Bevölkerung gegenüber jegl chen Partei-und Propagandaorganen durdie Monotonie des „Völkischen Beobachter und sämtlicher sonstiger NS-Organe erzeu worden ist? Ehrlich genug heißt es in jenem Geleitwort, oft gehe das Desinteresse sogar so weit, daß geklärt werden müsse: „Braucht die SPD überhaupt noch eine sozialdemokratische Presse? Gibt es ein diese Presse in wirtschaftlicher Hinsicht tragendes Interesse in der Mitgliedschaft und darüber hinaus in der Bevölkerung?"
Da sich die gesamte Situation der Parteipresse (oder, wie Emil Dovifat einstmals formulierte, der „Gesinnungspresse") gewandelt hat, ist endlich sogar den sprichwörtlich ungeschickten Pressegestaltern der Sozialdemokratie ein Licht aufgegangen. Spät genug erkannten sie, daß man die Menschen anders als früher ansprechen müsse. Zu diesem Problem meldet sich ein Kronzeuge wie Helmut Cron in seinem Beitrag „Aufstieg und Niedergang der Parteipresse": Uneinsichtigkeit in sinnvolles publizistisches Vorgehen habe für jede Art von Parteipresse „den Abgesang" herbeigeführt. „Schuld daran war ... das Unverständnis für die gewaltige gesellschaftliche Umwälzung, die mit dem Ersten Weltkrieg hereingebrochen war. Doch weiß jeder, der es miterlebt hat, daß alle Parteizeitungen vorher an feste Grenzen bestimmter sozialer Schichten gebunden waren. Uber diese Grenzen kamen sie nie hinaus. In den zwanziger Jahren wendete sich das Blatt, die Grenzen fielen nicht sofort, aber begannen doch abzubröckeln und einem ganz anderen als dem Typ der Partei-Zeitung Platz zu machen. Nur die Parteien merkten nichts davon, ja sie wollten auch nichts davon wissen, obwohl die Leser unverkennbar sich immer mehr von den parteigefilterten Informationen distanzierten und unabhängige Unterrichtung wünschten. Die Parteien waren für diese Abkehr der Leserschaft so blind, daß sie auch nach 1945 in der britischen und französischen Zone versuchten, die längst davongeschwommenen Felle noch einmal einzuholen. Umsonst."
Daß solche Erkenntnisse in Verlag und Redaktion des . Vorwärts'endlich genutzt wurden, das zeigen die Ausführungen von Merz: „Die Verwirklichung des Sozialismus als einer sittlichen Forderung ist weniger in der Obhut der geschrumpften sozialdemokratischen Presse gegeben, als tägliche Aufgabe der praktischen Politik geworden, die von Sozialdemokraten verantwortet wird. Die sozialdemokratische Presse, einst im Zentrum sozialdemokratischer Politik und eines ihrer Hautpinstrumente, ist an den Rand gerückt. Die Nachkriegsentwicklung hat ihr den Charakter der Kampfpresse genommen und ihr einen Platz zugewiesen, der jeder halbamtlichen Exklusivität entbehrt und sie wie andere den Risiken des Zeitungsmarktes aussetzt." Der abermals reformierte „Vorwärts", wie er nach gründlicher Vorbereitung ab 1. Oktober 1976 erschien, müsse von den Zwängen, denen ein Parteiorgan unterliegt, befreit werden. Andernfalls könne er nie zu wirtschaftlichem Erfolg aufsteigen. Deshalb solle er künftig „alle Anklänge an das frühere Zentralorgan" vermeiden. „Totale Unverbindlichkeit" werde damit allerdings nicht angestrebt. Merz vertritt die — freilich zu überprüfende — Auffassung, daß „ein eindeutiges sozialdemokratisches Profil" dennoch „Voraussetzung des Markterfolges" sein könne. Statt „Verkündigungs-Langeweile" solle eine „neue Aktualität" herrschen. Man wünscht, daß es dem „Vorwärts" gelinge, „Woche für Woche das zu bündeln und widerzuspiegeln, was in Partei und Gesellschaft kontrovers diskutiert wird“. Man erhofft sich, daß das Blatt „zum Konsens zwischen den Vorstellungen und Bedürfnissen der Bevölkerung einerseits und den programmatischen und praktisch-politischen Zielen der Partei andererseits" beitragen werde.
De facto beweist der gegenwärtige „Vorwärts“ Ausgabe um Ausgabe, daß die 1976 erfolgte vollständige Umstellung des Blattes zumindest nach aßen hin geglückt ist. In jedem Fall wirkt das Blatt so leserlich wie nie zuvor. Daß sich dies Organ, ungeachtet seiner erstaunlichen Lebensdauer, zwischen 1876 bis zur Gegenwart niemals von innerparteilichen Querelen wirklich frei halten konnte, wird aus den Schilderungen des Bochumer Publizistik-Historikers Heinz-Dietrich Fischer sowie von Volker Schulze unübersehbar deutlich
Wie seit eh und je greift das wiedergeborene Blatt von Fall zu Fall hart an, und in der Folge wird es um so inständiger attackiert. Mit Fug hielt sich aus solcherlei Querelen Johannes Binkowski heraus, als er dem Periodikum zu seinem hundertjährigen Jubiläum für den „Verband der deutschen Zeitungsverleger“ gratulierte. Nicht die hundert Jahre seien zu bewerten, „sondern die Bestimmung, der sich eine Zeitung verpflichtet hat, und die Art, in der sie diese erfüllt". Der „Vorwärts" drücke exemplarisch genau das aus, „was den Kern jeder Zeitung, die ihren Namen verdient, ausmacht. Einer Partei verbunden, besitzt der . Vorwärts’ doch die Freiheit der Meinung und der Kritik, was bewußt kämpferische Haltung einschließt." Die Grundhaltung des Blattes entstamme „der Verpflichtung auf ein Parteiprogramm". Periodika, die lediglich das Sprachrohr ihrer Partei seien, verfehlten die Funktion der Zeitung, denn sie „wenden sich nicht an Leser, die das . Zeitgespräch der Gesellschaft'suchen, sondern an Gläubige, die ständig auf eine Bestätigung ihrer Überzeugung aus sind". Der „Vorwärts" hingegen habe seit langem den Dialog mit allen Richtungen gesucht. Er verfalle nicht „der Monotonie des bloßen Ja-Sagens"; vielmehr wolle er „den kritischen Leser ansprechen". In seiner Rede erinnerte Binkowski an das Programm, das Kurt Schumacher 1948 dem damals unter der Bezeichnung „Neuer Vorwärts" abermals erschienenen Blatt auf den Weg gegeben hatte: Es solle „die gesellschaftlich bewegenden Kräfte mit dem guten Willen erkennen, die Augen nicht zu schließen, sondern sich öffnen zu wollen und dabei aufrichtig und redlich zu sein"
Wie sieht das erneuerte Profil des Blattes aus, das sich erst kürzlich vornahm, „Nachrichten, Fakten, Informationen in neue Zusammenhänge" zu stellen? Einschränkend heißt es in einer in eigener Sache edierten Druckschrift, daß gewiß jede Zeitung und gerade jedes politische Wochenblatt und ganz besonders ein sozialdemokratisches Wochenorgan mit Vorurteilen zu kämpfen habe. Man wehrt sich gegen die Unterstellung, daß „Der Vorwärts" eine Parteizeitung sei. Dies gelte nicht, auch dann nicht, wenn das Blatt für die Sozialdemokratische Partei defensiv werde. Wenn manche Leute ferner meinten, daß der „Vorwärts" das Sprachrohr der Regierung sei, so stimme auch das nicht. Im Gegenteil: Mitunter ziehe er sich Arger zu, „weil sich die Regierung und einige ihrer Minister" über das Blatt mokierten.
Das Verhältnis zur eigenen Partei wird folgendermaßen geschildert: „Wir kommentieren den Zustand dieser Partei. Doch haben wir als Wochenpapier den Vorteil, nicht jeder hektischen Berichterstattung der Tagespresse über Vorgänge innerhalb der SPD hin-terherlaufen zu müssen. Wir können das distanzierter, kühler betrachten. Damit grundsätzlicher, niveauvoller." Durchaus selbstbewußt meldet man über die neue redaktionelle Konzeption: Man habe inzwischen gelernt, den Lesern auf spezifische Weise beizukommen. Diese wären nämlich „an einem Punkt angelangt, an dem sie es immer schwerer haben, sich trotz einer Vielzahl von Informationen und Nachrichten gut informiert zu fühlen. Wo es schwieriger wird, den eigenen Meinungsstandort zu bestimmen. Nach der Lektüre von den Tageszeitungen bis zu den Fachzeitschriften. Von den kurzen Nachrichten im Autoradio bis hin zu den Magazinsendungen im Fernsehen."
Auf jeden Fall sei festgehalten, daß das Blatt dank seiner Formatänderung handlicher geworden ist. Zu seiner wesentlich verbesserten Lesbarkeit trägt ein von der ersten bis zur letzten Seite übersichtlich gestalteter Umbruch bei: Unter dem Kopf auf der ersten Seite folgen drei Vornotizen zu größeren, alsbald im Blatt dargebotenen Beiträgen. Die linke Außenspalte bringt eine Glosse zu einem aktuellen Problem. „Blickpunkt des Titel-blattes soll", so heißt es, „die politische Zeichnung" sein. Die Redaktion pflegt auf diese neuartige Weise einen Stil, der über die traditionelle Karikatur hinausgeht; denn gleichzeitig sollen damit gesellschaftliche Hintergrundbereiche durch begleitende Text-Kommentare erfaßt werden.
Für das Ressort Politik bleiben jeweils zehn Seiten offen. Innerhalb des weiträumigen Referates treten für einen Augenblick lang Politiker zum längst üblich gewordenen Hick-Hack kurzfristig aus den Kulissen. Pagina zwei ist „Personen und Konflikte" überschrieben. Seite drei beginnt mit zusammenfassenden Berichten aus dem In-und Ausland. Verbindlich, „to whom it may concern“, heißt es dazu: „. Vorwärts’ nutzt den Standort Bonn..."
Mehrere Seiten sind ausschließlich dem Thema „Deutschland" gewidmet. Es folgen Seiten über „Parteien und Programme". Jede Ausgabe enthält ein sogenanntes , Vorwärts-Thema'. Dies wird mittels einer Gründlichkeit ohnegleichen von allen Seiten her ausgeleuchtet. Die Seite „Echo" bringt sozusagen „the sound and the fury" — es sind die Stimmen der lieben oder verärgerten Leser. Auf den Seiten „Arbeit und Kapital" wird die Wirtschaft — natürlich mit den Augen der Arbeitnehmer — unter die Lupe genommen. Sechs Seiten „Kultur" schließen sich an. Sind sie wirklich anders durchformt als das Feuil-B leton konkurrierender Blätter? Die Leute aus der bei etage des Hauses meinen dazu: „Es gibt Möglichkeiten, die Kultur im Zusammenwirken mit dem Bürger stärker als bisher in unserer Gesellschaft zu verankern. Das aber bedeutet, nicht nur die Perlen herauszusuchen und vorzuzeigen, sondern regelmäßig auch über den Alltag des Kulturmarktes, über Trends und Moden in Theater, Literatur, Kunst, Film ... zu berichten." Den Kulturseiten folgt zumeist eine Sparte „Zeitgeschichte". Fast alle führenden Tageszeitungen offerieren seit Jahren ferner eine Rubrik, die dem Fernsehen gewidmet ist. Neben Vor-und Rückschauen geben Wochenblätter kritische Kommentare. Da sie allesamt innerhalb dieses Sektors mehr als andere Periodika bieten wollen, räumen sie dem Betrachter konkurrierender Medien wesentlich mehr Platz als früher ein.
Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, daß der „Vorwärts" sich bevorzugt mit sämtlichen Kommunikationsmitteln der Gegenwart kritisch auseinandersetzt. Wegen des chronischen Gezänkes der Parteien um ihren längst überzogenen Einfluß auf die Massenmedien bleibt das Betreiben eines solchen Ressorts allen Wochenblättern als notwendige Ergänzung ihrer Feuilletionseiten dringend zu wünschen. Aus dem permanenten Streiten aller gegen alle, von Jahr zu Jahr von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen oder Konfessionen kultiviert, hat sich längst die Einsicht ergeben, daß ein Fernsehen, welches immer mehr gezungen wird, sich aus der Kritik an der Politik zurückzuziehen, abgeschaltet wird. Aus Beobachtungen der Programmgestaltung fragen „Vorwärts" -Redakteure: „Wer entscheidet über welche Sendungen; welche Personen sind es, welche parteipolitischen Gruppierungen üben Einfluß oder Druck aus?"
Im Berlin der ersten Jahre des Wiederaufbaus lautete die geglückte Werbezeile eines dortigen Boulevardblattes: „Das Beste am Tag ist Der Abend'". Blättert man den renovierten „Vorwärts“ vollends durch, so entdeckt man, daß ein einfallsreicher Journalist die letzte Seite „Rückwärts" taufte. Dieser gescheite Mann wußte darüber Bescheid, daß zahlreiche Leser ihre Zeitungen und Zeitschriften aus lieber Gewohnheit und möglicherweise aus Selbstschutz „von hinten" zu lesen beginnen. Wie angenehm berührt es demgemäß, daß im genannten Blatt nicht, wie sonst allenthalben, auf der letzten Seite für Tabakwaren, Schnäpse oder Unterwäsche geworben wird. Bravourös heißt es statt dessen: „. Vorwärts 1 bietet auf der Seite . Rückwärts’ politische Satire an, die sich in Zeichnungen und Texten mit Vorgängen in Politik und Gesellschaft befaßt.“ Nach wie vor ein begrüßens-und nachahmenswertes Novum innerhalb des westdeutschen Pressewaldes.
VIII. Die Zeit. Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Handel und Kultur
Gegründet 1946, Erscheinungsort: Hamburg, Auflage: 370 000 „Parmi les hebdomadaires: Die Zeit (Hambourg) incontestablement le meilleur de sa categorie dans l’ensemble de la presse occidentale, y compris les Etats-Unis“, urteilte bereits vor einem Dezennium Jacques Nebecourt vom Stabe des Pariser Weltblattes „Le Monde“. Wie wurde solches Lob in einer Epoche verdient, während der die deutsche Presse, seit sie die Reichshauptstadt als publizistisches Zentrum verlor, im Auslande — als zu Provinzalität abgesunken — übergangen wurde? Auskunft darüber, wie das zustande kam, sei aus dem Verlagshause eingeholt. Zum Problem der Unabhängigkeit heißt es lapidar: „Wir ... redigierten , Die Zeit'so, wie wir wollten.“ Dies sei von Beginn an „das Prinzip des Verlegers“ gewesen, welches er nie verleugnete. „Wenn alle ... Chefredakteure" gleiches von ihren Verlegern sagen könnten, dann würde „die Sorge um das Prinzip der die Demokratie erhaltenden Pressefreiheit die Gemüter nicht" aufregen.
Die Anfangsauflage des in schwierigen Besatzungszeiten, d. h. noch unter englischer Zenzur gestarteten und von seiner ersten Edition an ein ungewöhnliches Maß Zivilcourage verratenden Blattes, lag bei 40 000 Stück. Längst haben sich die früheren Jahrzehnte unermüdlichen Weiterschaffens gelohnt. Josef Müller-Marein, aus dem Berliner Journalismus stammend, bemerkte, als der die Chef-redaktion Ende Mai 1968 (auf eigenes Verlangen) an Marion Gräfin Dönhoff abgab, daß die Auflagenhöhe so gut wie „nichts über die Qualität" eines Wochenblattes aussage. Aus der Sicht der Geschichtsschreibung, wie sie für das deutsche Zeitschriftenwesen allmäh23 lieh entsteht, ist dem nichts entgegenzuhalten. Die Redaktion der „Zeit" sei, meldete J. M. -M. (alias Jan Molitor), zur gleichen Zeit Zeuge dafür, daß die Chefredaktion während harter Jahre, in deren Verlauf das Blatt „den Verlag viel Geld kostete", die Redakteure sämtlicher Ressorts stets gemahnt habe, sie sollten sich „vor dem bloß äußeren Erfolg" hüten, sie sollten niemals Rücksicht nehmen auf Leute, die das Blatt „manipulieren wollen"
Jene Persönlichkeiten, die „nach Jahren verlogener Propaganda ... wieder eine freie liberale Presse in Deutschland" aufzubauen versuchten hätten ihr Wochenblatt in der Überzeugung veröffentlicht, daß auf seinen Seiten ein „jeder mit Freiheit und mit Rücksicht, mit Leidenschaft und sogar Humor" mitwirken sollte Solche Äußerungen veranlassen die Marginalie, daß, wer als liberaler Publizist im Sinne eines Robert Prutz oder eines Theodor Heuss gelten will, gewiß nicht ohne Humor durch die Welt — weder am Sonntag noch im Alltag — kommt. Der solchen Männern — und Frauen — aufgrund ihres Presseausweises zugestandene Freiplatz befindet sich stets zwischen den Stühlen. Daß dem von jeher so war, stets so ist und sein wird, davon zeugt Erich Kästners Buchtitel vom Jahre 1932: „Gesang zwischen den Stühlen". Diesen um 1946 anzustimmen, eben das kennzeichnet die „Zeit“.
Ihre erste Ausgabe erschien am 21. Februar 1946. Unter dem beizeiten eingeführten und festgehaltenen Zeitungskopf, geschmückt mit dem Hamburger Wappen, stand für geraume Zeit die Pflichtzeile: „Veröffentlicht durch Zulassung Nr. 6 der Militärregierung". Solcherlei längst als Kuriosa wahrgenommene Koinzidenzien sollten die Phantasie der Nachgekommenen von neuem beflügeln! Dazu regt der Innenteil zusätzlich an: eine Zeichnung des unvergeßlichen M. Swewczuk. Sie zeigt jeweils einen Soldaten der vier Besatzungsmächte: der Franzose, der Engländer, der Amerikaner und der Russe; ein jeder von ihnen hält das von seiner Armee (oder Nation) besetzte Teilstück des zerrissenen Reiches so fest wie möglich unter dem Arm.
Den Leitartikel Nr. 1 des Blattes schrieb der auslandserfahrene Ernst Samhaber unter dem Titel „Die erste Probe". Zwei Sätze seien festgehalten: „Der Friede ist unteilbar, weil er auf dem unteilbaren Rechtsgedanken beruhen muß. Jede Einschränkung, etwa, daß ein bestimmtes Gebiet, ein besonderes Volk ausgenommen sein sollen, berührt den Frieden überhaupt." Auf so mutige Weise meldete „Die Zeit" Protest gegen neues Unrecht an. Neben jener kühnen Publikation erschien ein schlicht „Parteien“ überschriebener Leitartikel aus der Feder von Gerd Bucerius. Die Prognose jenes homo novus von damals darüber, wie sich die seinerzeit soeben per Reglement abermals oder neu entstehenden politischen Gruppierungen möglicherweise zu entwickeln vermöchten, jene ebenso bejahende wie skeptische Erwartungssicht zeichnet sich drei Jahrzehnte später noch immer durch verblüffende Treffsicherheit aus.
Jede Zeitschrift, der es gelingt, zu erscheinen, sagt eingangs, was sie vorhat. Die Paten der „Zeit" äußerten sich damals auf wohltuend bescheidene Art. Man befrage dazu den article en miniature, der schlichtweg heißt: „Unsere Aufgabe". Daraus ein paar Zeilen wiederzugeben, genüge: Gehe es doch lediglich darum, „ungeschminkt die Wahrheit zu sagen". Denn „nur in der Atmosphäre unbestechlicher Wahrheit" erwachse Vertrauen. Allzuoft versprochen, doch ausnahmsweise gehalten, hieß es: „Wir werden niemandem nach dem Munde reden, und daß es nicht allen recht zu machen ist, ist eine alte Weisheit." Als seinerzeit ein englischer Brigadier namens Armytage die Lizenz zum Gründen der „Zeit" übergab, sprach er die Hoffnung aus, daß „Die Zeit" ihre Namensschwester in England nachahmen werde. Sollte sie doch „die dringende Nachfrage nach einer Zeitung von umfassender Sicht, nüchternen Kommentaren und kulturellem Hintergrund sättigen"
Trotz wirtschaftlicher Behinderung, ungeachtet politischer Drohungen von Seiten sämtlicher, sich dafür befugt Haltender und trotz personeller, innerredaktioneller Auseinandersetzungen hat sich das Blatt von Jahr zu Jahnzehnt vorwärtsentwickelt. Es kennzeichnet den Humor des Verlegers Gerd Bucerius, welcher der „Zeit“ — als-seinem sozusagen liebsten Kinde — mehr als nur das Laufen beibrachte, daß er nachträglich notierte: „Zuweilen war die aufregendste Spalte in dieser Zeitung das Impressum." In jenem Rückblick notiert er alle Daten und sämtliche Namen aus der Spanne von „Unruhe und frühem Leid". Gedacht sei der damaligen Leitartikel und Glossen Richard Tüngels, Ernst Friedländers und Ernst Samhabers. „Kein Journalist in Deutschland und kein Politiker hat so viel riskiert, wie er (Richard Tüngel). Seine Artikel in der Zeit’ erklangen lange als die einzige Stimme des Protestes in den vier Besatzungszonen."
Kaum war das verhängnisvolle Wort „Der eiserne Vorhang" geboren, benannte Richard Tüngel, seinen kritischen Blick hinter die mittels kultureller Kulissen aufgezogene Fassade der französischen Besatzungsmacht werfend, einen Leitartikel über die unter de Gaulle einmarschierten Gallier: „Der seidene Vorhang". Tüngel? Wer war das noch? Er war der Mann, der während des Januar 1945 fast auf die Stunde genau im engsten Kreise nächtlicher Bunkerinsassen vorausgesagt hatte, der Krieg ist im Mai aus; also laßt uns eine neue Zeitung vorbereiten!
Ein jeder, der sich über politische Zielsetzung der „Zeit" orientieren will, wende sich der publizistischen Leistung von Marion Gräfin Dönhoff zu. Bereits 1946 kam sie zum Blatt. Es verdankt ihr, wie Immanuel Birnbaum in der „Süddeutschen Zeitung" anerkennend formulierte, „einen guten Teil seiner Wirkung" wie auch „seines Aufstiegs" Bereits 1955 wurde ihr das Ressort . Politik'anvertraut. Im Sommer 1968 übernahm sie die Chefredaktion. Man muß schon sagen, daß sich infolge jener Veränderung die Hamburger Wochenschrift abermals deutlicher profilierte, über die Dönhoffsche Linienführung höre man sie selbst: Dem Hamburger Wochenblatt gehe es um weltoffene Liberalität. Seit nunmehr Jahrzehnten laute seine Lehre . Toleranz'. Wer nach wie vor „an die Wichtigkeit des einzelnen" glaube, der betreibe weder Sündenbocksuche noch Hexen-jagd. Die eigentliche publizistische Methode der „Zeit" heiße Diskussion, das bedeute, man streite für Aufklärung und Transparenz, über ihre und des Blattes Haltung äußerte sie: »• •. wer stark genug ist, den gelegentlichen Vorwurf der Linken: „Ihr Reaktionäre!'zu er-tragen und (ebensowenig) vor den Rechten, die uns zuweilen als Anarchisten bezeichnen, in die Knie geht", der brauche sich vor der Zukunft nicht zu fürchten. All dies gelte immer auch dann, wenn der Liberalismus von irgendeiner Seite zum tausendsten Male totgesagt werde. Gewiß sei es inzwischen modisch geworden, „den Liberalen als einen Wischi-Waschi-Bürger abzuwerten, als einen, der seinen Sowohl-Als-auch-Standpunkt in klugen Reden zu verteidigen weiß, der aber eben nur redet und nie handelt. Diese von den Radikalen rechter und linker Prägung gebastelte liberale Vogelscheuche dient der Heroisierung unreflektierter Taten; jener Taten, die um des grandiosen Zieles willen ohne Bedacht, ohne Zögern, ohne Rücksicht auf irgendwen und irgendwas getan werden."
Von jeher hat der überzeugte Liberale, das lehrte die „freisinnige Publizistik zwischen 1830 und 1933, jeglichen Radikalismus aus Prinzip abgelehnt". Daran hält sich die Schreiberin, wenn sie zu bedenken gibt: „Wer den Menschen von der Herrschaft des Menschen befreien will, wer Jahrtausende alte Probleme in einem Arbeitsgang zu bewältigen gedenkt, der wünscht natürlich, von der Welt mit eigenem Maß gemessen zu werden; verglichen mit ihm sind die Liberalen, die sich nur vorgenommen haben, Herrschaft erträglich zu machen, sie politisch zu kontrollieren, armselige Wichte, die an der Wirklichkeit nur herumdoktern, anstatt sie von Grund auf zu verändern. Der beglückende Endzustand, den sie, die Radikalen, jene Propheten der Tat, zu schaffen verheißen, rechtfertigt nach ihrer Meinung manche Grausamkeit und Ungerechtigkeit, die begangen wird, wenn es darum geht, Hindernisse auf dem Wege zum Paradies zu beseitigen." In diesem Sinne äußerte sie in respektabler Gelassenheit: „ ... politische Romantiker, die nach den Sternen greifen, haben die Welt stets unbewohnbar gemacht ...“ Deshalb, so folgert sie, blieben und bleiben „die Liberalen als Gegengewicht unentbehrlich"
Zu solcherlei Einstellung kann man sich keinen gescheiteren Kommentar wünschen, als ihn Alfred Grosser über die Frage „Was heißt Liberalismus heute?" gab. Wie denn und überhaupt: kann eine liberale Grundeinstellung auf dem Umweg über die Kommunikationsmittel verwirklicht werden? „Um ... weltverändernd zu wirken, das heißt, um auf den Leser einzuwirken, dem man die fremden Welten darstellt, muß man jedoch auch Intoleranz zeigen. Anders ausgedrückt, wenn man durch geistigen Einfluß die gesellschaftliche und politische Entwicklung beeinflussen will, und sei es nur durch ein Auflockern der Vorurteile, so muß man sich doppelt verantwortlich fühlen." Eben diese Einsicht sollten vor allem Publizisten und Pädagogen auf sich beziehen. Ihr Einfluß dürfe weder „Gewalt ausüben" noch „manipulieren", sondern er müsse Gegenseitigkeit einschließen
Wer bei Bucerius redigierte und kommentierte, sah sich in seiner Freiheit als Publizist niemals beschnitten. Dafür sei auf zwei Zeugnisse verwiesen. Das eine stammt von Josef Müller-Marein. Er spricht von Freundschaft, die zwischen Verlegern und Journalisten längst zur Rarität wurde: ich will sagen, um wen es sich vor allem handelt: um Gerd Bucerius, mit dem ich politisch fast stets einig ging und menschlich immer. Ja, es ist mehr als ungewiß, ob ich so lange Journalist geblieben wäre, wie ich's war, wäre er nicht unser Verleger gewesen." Zusätzlich überliefert Marion Dönhoff: „Gerd Bucerius ist wahrscheinlich der einzige Verleger, der bei den üblichen Kontroversen zwischen Verlag und Redaktion grundsätzlich für die Redaktion Stellung nimmt, auch wenn dies den geschäftlichen Interessen zuwiderlaufen sollte. Seine Beziehung zur Redaktion ist ... durch eine Art Partnerschaft gekennzeichnet."
Daß es jenem Wochenblatt, wie es sich aus striktem Zusammenhalten zwischen Verlag und Redaktion zu Weltgeltung erheben konnte, an Feinden, vor allem an Neidern nicht fehlt, versteht sich. Als Beispiel für solche Einstellung genüge ein Pamphlet, welches unter dem Titel „Die Zeit — Ideologie oder Objektivität und kulturkulinarische Anpassung" Hermann Piwitt für „Konkret" verfaßte. Einige Passagen der gewiß gehässigen, indes attraktiv geschriebenen Polemik seien — zugleich als Paradigma des Stiles von „Konkret" — eingeflochten:
Dem Anschein nach vermeide es „Die Zeit", „Partei zu ergreifen; sie ist Partei und hat es nicht nötig, das zu erkennen zu geben. Sie dient der bestehenden Ungerechtigkeit, indem si das bestehende Ungleichgewicht zwischen den Herrschenden und den Abhängigen, zwi schen den traditionell Armen und den traditionell Reichen unangetastet läßt." Einer sol chen Nutznießung diene die „Zeit", solange sie glaube, „in einer Klassengesellschaft sei Platz für Objektivität". Wer gemäß „den Maß stäben einer ungerechten Gesellschaft objektiv" zu sein vorgebe, der verewige die Ungerechtigkeit. Zwar spiele „Die Zeit" sich als ehrlicher Makler auf. In Wahrheit bedeute dies jedoch, daß zuvor „die Interessen des Wolfs mit denen der Schafe" übereinstimmen müßten. Das alleinige Interesse des Wolfs gebiete jedoch, „die Schafe zu fressen, während die Schafe in der Mehrheit ihr Interesse nicht einmal kennen“. Deshalb habe der Wolf, namens „Die Zeit“ dafür gesorgt, daß sie sich für Opfer des Schicksals hielten: „Das Ergebnis solcherart . unabhängig'waltender Objektivität ist die Einebnung der gesellschaftlichen Widersprüche im Bewußtsein des qualifizierten Lesers aus der gehobenen Dienst-klasse und dem gebildeten Mittelstand." Sein Stillhalten sei eine der Voraussetzungen „für die bewußtlose Produktivität der abhängigen Massen, die immer höhere Gewinne immer weniger Unternehmern, immer mehr politische Macht immer weniger Menschen in die Hände wirtschaften"
Innerhalb einer kapitalistisch orientierten Presse liefere „Die Zeit" immerhin „das demokratische Alibi“. Piwitt weiß nicht, soll er die Redakteure der „Zeit“ als Dummköpfe oder als Schädlinge (an der Zukunft) ansehen? Diese hielten sich für objektiv, überparteilich und sachlich. Er macht ihnen jedoch die Bandbreite ihres demokratischen Besonders-Seins zum Vorwurf. Aus der Fülle seiner sonstigen Beobachtungen sei indessen als zutreffend hervorgehoben, daß Periodika wie „Die Zeit" mit der Zeit ein so intensives Selbstbewußtsein annehmen, daß sie gelegentlich die Nase um ein Weniges zu hoch tragen. Davon sind schon früher weder das „Berliner Tageblatt" noch die alte „Frankfurter Zeitung“ frei geblieben. Einem Publizisten von internationalem Rang wie Alfred Grosser ist das ebensowenig wie dem Witzbold Hermann Piwitt entgangen. In seiner Frankfurter Rede vor den deutschen Buchhändlern zitierte'Alfred Grosser aus seinem Buche „Deutschlandbilanz": „Die . Zeit'ist die beste europäische Wochenzeitung traditionellen Typs. Sie spielt eine politische Rolle sowohl durch ihre Information wie durch ihre Stellungnahmen. Sie ist gemäßigt links angesiedelt — und gegen sie werden mitunter dieselben Vorwürfe erhoben wie gegen Le Monde'(übrigens meine Zeitung) in Frankreich." Er gibt zu bedenken, daß sein Blatt ein wenig zu selbstbewußt und von seinem Wert überzeugt sei, daß es Menschen und Machtgruppen zu sehr von oben herab beurteile und daß sein Bestreben, die intellektuelle Avantgarde zu begreifen, ein wenig mit Gefallsucht verquickt sei. Seinerzeit hätte „Die Zeit" den protestierdenden Studenten zu-viel Sympathie entgegengebracht, aber dann erst viel Sympathie entgegengebracht, aber alsbald die ständige Gewaltanwendung verurteilt; „demzufolge wurde sie selbst von der Gegenseite als Teil des Establishments angeprangert". Grosser fragt, ob das zuträfe. Natürlich stimmt das: „Sobald man sich anhaltend Gehör verschafft hat und gewissermaßen zur Institution geworden ist, wird man Teil des . Establishment.'Bedenklich wird es, wenn man, weil man etabliert ist, andere daran hindert, ihre Stimme dauerhaft, das heißt auch in der Form eines Wochenblattes, ertönen zu lassen." Wie kommt es dazu? „Leider ist das notwendigerweise der Fall. Nicht aus Absicht. Noch nicht einmal durch direkte Schuld. Aber deshalb, weil die Pressefreiheit in der Bundesrepublik wie in Frankreich zugleich gegeben und begrenzt ist, zugleich echt und wirklich nur , formell'“. „Die Zeit" zu lesen, das kostet Zeit, aber es lohnt die Zeit, die man daran gibt. Man ist gleichwohl in der glücklichen Lage, Rundfunk und Fernsehen abzuschalten und sogenannte Bestseller nicht länger ins Haus zu lassen. Das alles erledigt „Die Zeit" frei Haus. Ernsthaft gesprochen, wer will, kann sich mittels der „Zeit“ ein gediegenes Rundumbild von der Zeit bilden, in der er lebt Gewiß: Der geborene , Zeit'-Leser wird dabei freilich keinen Augenblick lang die Brille des Skeptikers von seiner Nase lassen.
Zeit hin, Zeit her, wer „Die Zeit" endlich weglegt, der nimmt vorm Schlaf auf den Montag Wilhelm Busch zur Hand. Und da liest er dann, was ihn in seiner Lese-Ausdauer bekräftigt: „Sag', wie wär es, alter Schrägen, wenn Du Deine Brille putztest, um ein wenig nachzuschlagen: wie Du Deine , Zeit'benutztest?"