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Bürgerschaftliches Aufbegehren | APuZ 38/1979 | bpb.de

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APuZ 38/1979 Bürgerschaftliches Aufbegehren Elitenherrschaft in einer pluralistischen Demokratie? Die wissenschaftliche Beratung der Bundesministerien

Bürgerschaftliches Aufbegehren

Edzard Schmidt-Jortzig

/ 43 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die seit dem Ausgang der sechziger Jahre sich entwickelnde Bürgerinitiativbewegung ist nach wie vor in ihren Einzelheiten unübersichtlich. Für ihre Relevanz im Bereich der Verfassung zeigt sie sich jedenfalls als ein Aufbegehren gegen den allmächtigen öffentlichen Apparat und damit als Bewährungsprobe für das tagtägliche materielle und ausreichende Funktionieren von Demokratie in unserer Staatsordnung. Das Grundgesetz konstituiert für die Bundesrepublik das Prinzip der mittelbaren, repräsentativen Volksherrschaft; Elemente unmittelbarer Demokratie sind bewußt nahezu ausgeschaltet. Diese Regelung entspringt der in kritischer Reflexion der Verhältnisse in Weimar und dem Dritten Reich gewonnenen Einsicht in die . Untiefen’ plebiszitärer Herrschaftsinstrumente. Auch für die repräsentative Demokratie ist jedoch der stete Fluß von Meinungen, Wünschen und Kritikanstößen aus dem Volke zum Parlament als dem Repräsentationsorgan und die dortige Verarbeitung dieser Impulse von essentieller Wichtigkeit. Zur Förderung und Konkretion jenes Meinungsflusses hat das GG nun die politischen Parteien eingesetzt (Art. 211). Ihre Institutionalisierung als . notwendige Bestandteile des Verfassungsaufbaues’ macht sie zum eigentlichen „Hüter des Konsenses“. Bei ihrer Funktionsverwirklichung jedoch haben sich verschiedene Fehlentwicklungen eingestellt. Defizite an innerparteilicher Demokratie, immer lückenlosere Durchsetzung des staatlichen Handlungsapparates, Formen partikulärer Nutzziehung aus der politischen Macht, Schwund an Integrations-und Ausgleichskraft sowie verstärkte Polemik untereinander als Kompensation für tatsächliche Profilmängel sind hierfür vorrangige Merkmale. Die gegenwärtige Krise der repräsentativen Demokratie ist demnach eine Krise der politischen Parteien. Die Selbsthilfeinitiativen der Bürger stellen in dieser Situation den naheliegenden und bezeichnenden Notbehelf dar, der den Fluß demokratischer Konsensbildung wiederherstellen soll und Anstoß wie Chance zur Gesundung der repräsentativen Demokratie durch Regeneration der politischen Parteien bedeuten könnte.

In der öffentlichen Diskussion hierzulande spielen zunehmend Beurteilungen, ja Prämissen eine Rolle, die das bestehende Gemeinwesen, seine Ordnung und seine Voraussetzungen, für grundlegend gewandelt erachten. Der bei allen Einschätzungen mitschwingende gemeinsame Tenor ist, daß „Staat" — was immer im einzelnen darunter zu fassen wäre — nicht mehr das sei und sein könne, was er vor fünfzig, vor hundert Jahren war bzw. was dafür in der verklärten Rückschau gehalten wird. Nicht nur normativ erscheint das unbefriedigend, weil die verspürte Wirklichkeit damit hinter den Vorgaben von Verfassung und politischem oder moralischem Ansatz zurückbleibt. Attribute wie „moderner Industriestaat", „Massengesellschaft“ oder „Parteiendemokratie“ usw. kennzeichnen dann neben objektiver Sacheinordnung Vorstellungen von Undurchdringlichkeit und Entfremdung der Regierungsstrukturen.

Hinzukommen Manifestierungen bürgerlicher Unzufriedenheit wie etwa die vielfältigen publizitätswirksamen Demonstrationsaufzüge aller Art bzw. das mehr oder weniger kurzzeitige Aufblühen von Protestlisten bei Wahlen. Zu jedem Fall lassen sich bestimmte Erscheinungsweisen feststellen. Zum einen werden bei staatlichen Planungen und Entscheidungen die Gegenstellungnahmen immer kompromißloser vorgebracht; zum anderen nimmt unverkennbar eine gewisse Staatsverdrossenheit zu. Beide Haltungen entspringen dem Gefühl, unser Regierungssystem funktioniere irgendwie nicht optimal, und unterschiedlich ist nur die Reaktion darauf: Teilweise versucht man, dagegen anzugehen, teilweise zieht man sich resignierend zurück, weil gegen das, „was die da oben mit uns machen", doch nichts auszurichten sei.

Vor diesem komplexen Hintergrund ist die Bürgerinitiativbewegung ein Signal. Sie muß als Inbegriff des Aufbegehrens der Menschen gegen den öffentlichen Apparat, gegen undurchdringlich und uneinsichtig anmutende hoheitliche Entscheidungsprozesse verstanden werden Einzelheiten, insbesondere zur Größenordnung, lassen sich dabei kaum präzise ausmachen. Was die Zahl der Bürgerinitiativen angeht, schwanken die Schätzungen zwischen 000 und 50 000 3); der Mitgliederstand muß nach verschiedenen Bezifferungen auf 1, 5 — 2 Millionen Menschen veranschlagt werden und je nach Umfrage zei-gen sich potentiell 34— 59 Prozent der Bevölkerung für betreffende Aktionen ansprechbar Genaue Quantifizierungen sind wie überhaupt eine exakte Begriffsbestimmung — und da vor allem die Kriterien einer Mitgliedschaft oder der Organisationsgrad — umstritten. Aufgabe aller juristischen und soziologischen Erkenntnisbemühung ist es, hier den Ursprüngen und der Bedeutung nachzugehen. Die Entwicklung zu dieser aktuellen Erscheinung hat wohl in breiterem Maße bereits um die Mitte der sechziger Jahre eingesetzt Selbst die studentische Protestbewegung 1967/68 scheint nicht nur auf den Abbau etablierter Autoritäts-und Herrschaftsstrukturen gerichtet und zugleich Ausdruck eines durch unsere nationale Geschichte verschärften Generationenkonflikts gewesen zu sein. Sie bedeutete auch schon ein (freilich noch undifferenziertes) Aufbegehren gegen diktierte und als unangemessen empfundene staatliche Vorgaben allgemein Der Ruf nach Teilhabe an den Ordnungsgestaltungen des Staates, nach „Demokratisierung“ der eingerichteten Entscheidungsabläufe, fand dann eingangs der siebziger Jahre programmatische Form in der Forderung nach „mehr Demokratie". Zweifel-los hat der Gesetzgeber seither vieles in jene Richtung hin zu verändern versucht: vom Ausbau der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst bis hin zur jüngsten Einführung unmittelbarer Entscheidungsmöglichkeiten der Bürger auf Kommunalebene Offenbar aber ist das nicht ausreichend gewesen, oder wahrscheinlicher noch: es hat nicht den Kern des Unbehagens getroffen. Die wachsende: bürgerschaftliche Unruhe blieb davon weitgehend unberührt.

Eines ist dabei jedoch schon unverkennbar: Das Problem der Bürgerinitiativbewegung ist nicht nur nach den entstehungsgeschichtlichen Ausprägungen, sondern auch inhaltlich-systematisch vorrangig eine Frage nach der Gediegenheit, nach dem Stand tagtäglichen Funktionierens von Demokratie in unserer Staatsordnung. Die Bürger finden mit ihren Willensäußerungen auf den institutionalisierten Wegen — tatsächlich oder nur vermeintlich — kein hinreichendes Gehör mehr und greifen deshalb gewissermaßen als Überdruckventil nach Formen des öffentlichen Aufbegehrens, um auf die Geschehensabläufe Einfluß zu gewinnen.

In der allgemeinpolitischen Einschätzung dieses Phänomens mag man recht unterschiedlicher Auffassung sein. Dem einen erscheint der Sachverhalt als Zusammenbruch der Ordnung oder „Ende der Aufklärung", wie es genannt worden ist dem anderen als Sieg des mündigen Bürgers oder als Triumph der Demokratie. Ein Vorhaben indes, objektivere Einsichten zu gewinnen, findet durchaus ergiebige Ansätze. Für den Versuch einer verfassungsrechtlichen und verfassungstheoretischen Einordnung jedenfalls muß hierzu auf die Markierungen des konstitutionellen Demokratieaufbaues zurückgegangen werden.

I. Das Demokratiekonzept der Verfassung

Art 20 des GG — an anderer Stelle noch ausdrücklich als unabdingbarer Eckpfeiler der Ordnung hervorgehoben (Art. 79 Abs. 3 GG) — bestimmt in seinem Abs. 2 lapidar: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Dies Demokratiegebot ist nicht nur allgemeine Zielbestimmung, sondern zugleich grundlegendes Organisationsprinzip des Staates, auf welches als maßsetzende Verfassungsnorm alle in dieser Rechtsordnung lebenden und agierenden Personen ihre verschiedenen Interessen, Bestrebungen und Verhaltensweisen zu einem Konsens zusammenführen sollen

Wie freilich der Topos im einzelnen ausgestaltet ist, ob also vorrangig im Sinne unmittelbarer, direkter Volksherrschaft oder als ein repräsentatives, mittelbares Regierungssystem, bleibt vorerst offen. Auch der nächste Verfassungssatz (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG): „Sie (die Staatsgewalt) wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“, erlaubt noch keine endgültige Aussage über die Form der realisierten Demokratie. Zwar bedeutet die Anführung der „besonderen Organe" wohl schon eine Wendung hin zur Vermittlung der bürgerschaftlichen Einflußnahme. Aber inwieweit das Volk daneben außer durch Wahlen auch durch Abstimmungen oder in noch anderer Form direkt in die Willensbildung des Staates eingreifen können soll, ist damit noch nicht entschieden.

Das Grundgesetz enthält nur vereinzelt und bruchstückhaft Elemente plebiszitären Charakters: — Als unmittelbar handelnde Größe wird auf das Volk zunächst in Art. 146 GG und dem Präambelsatz 3 Bezug genommen. Dies als ein Stück direkter Demokratie zu werten, erscheint aber nur bedingt angängig. Daß „das deutsche Volk" dort aufgerufen ist, zu gegebener Zeit eine neue gesamtdeutsche Verfas-sung zu beschließen bedeutet eine Verweisung auf den „pouvoir constituant" und seine stete Präsenz neben wie über der bestehenden Verfassungsordnung Das Volk, oder genauer: die Nation, wird hier also als Subjekt der Verfassungsgebung angesprochen und nicht als Organ des verfaßten, der Demokratie verschriebenen Staates. — Weiter enthält das Grundgesetz in Art. 28 Abs. 1 S. 3 eine Einführung unmittelbarer Handlungskompetenz der Bürger. Dogmatisch kann in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben, daß die dort angelegten sog. „Gemeindeversammlungen" nach der kommunalen Gebietsreform keinerlei praktische Bedeutung mehr haben Wichtig als Element unmittelbarer Demokratie ist hingegen ihre spezielle Ausrichtung auf den Bereich der gemeindlichen Selbstverwaltung. Die Definition in Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG läßt deutlich erkennen, daß es dort in sachlicher Hinsicht um eine Form tätiger Selbsthilfe geht, einen Aktivitätssektor also, bei dem Aufgabenentstehung und Aufgabenbewältigung dieselbe Zurechnungsgröße haben. Die „örtliche Gemeinschaft", wie sie die Verfassung sieht, soll die Befriedigung der in ihrem Lebensbereich auftretenden Bedürfnisse selbst, „in eigener Verantwortung" bewerkstelligen. Die Eigenregelung der Angelegenheiten durch die Betroffenen ist so bereits durch einen spezifisch auf den Gedanken nachbarlicher Solidarität und damit auf genossenschaftliche Wurzeln zurückgehenden Sinngehalt vorgegeben Die Norm kann deshalb nur bedingt als Ausgestaltung eines Demokratieansatzes gelten. — Als ein Komplex unmittelbarer Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk hingegen wird vom Grundgesetz das Verfahren zur Neugliederung des Bundesgebietes geregelt (Art. 29 und 118). Hier stehen in Form von Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung echte Entscheidungskompetenzen bereit. Hinsichtlich des Demokratiebezugs sind freilich materiell gewisse Abstriche zu machen. Bereits Werner Weber hat mit dem Hinweis, man solle hier „besser von Bevölkerungsentscheid als von Volksentscheid sprechen", darauf aufmerksam gemacht, daß eben nur jeweils ein regional begrenzter Teil des Staatsvolkes zur Mitwirkung aufgerufen ist. Dennoch wird man insgesamt von einem Stück plebiszitärer Demokratie sprechen können

Ob diese karge Bilanz unmittelbar demokratischer Komponenten im Grundgesetz schon als prinzipielle Absage an diese Beteiligungsform verstanden werden muß oder lediglich als eine einfache Verschweigung, bei welcher dann weitere Einräumungen anheim gestellt blieben, läßt sich indes immer noch nicht eindeutig entscheiden. Angesichts der Unergiebigkeit des Gesetzestextes muß dafür auf andere Deduktionswege zurückgegriffen werden. Hier nun ist von Bedeutung, daß das Grundgesetz nicht nur historisch, sondern auch inhaltlich-systematisch eine stete Reflektierung zur Weimarer Reichsverfassung darstellt — sei es, daß Teile jener ersten republikanisch-demokratischen Staatsordnung Deutschlands übernommen wurden, weil sie sich bewährt haben, sei es, daß man bewußt andere Wege wählte

Was nun die Frage der Demokratieform anbetrifft, bot Weimar vielfältiges Material zu kritisch reflektierender Beurteilung und Herausbildung eigener Standpunkte. So konnte der Reichspräsident — vom Volke unmittelbar gewählt (Art. 41) — das Parlament auflösen (Art. 25) und damit die Legitimationserteilung für strittige, grundsätzliche Entscheidungen wieder an den Souverän, das Volk, zurückverweisen. Außerdem stand es ihm sowie u. U.dem Reichsrat zu (Art. 731, 74 III bzw. 76 II) Gesetze einem Referendum zu unterwerfen. Und schließlich bestand vor allem ein selbständiges „Volksgesetzgebungsverfahren“ (Art. 73 III mit Regelungsgesetz vom 27. Juni 1921) durch das sich nach erfolgreichem Volksbegehren eine Regelung am widerstreitenden Parlament vorbei per Volksentscheid durchsetzen ließ.

Gerade die Praxis dieses letzteren Weges — und hier besonders beim Volksentscheid 1929 gegen den Young-Plan, die sog. Initiative „gegen die Versklavung des deutschen Volkes" — belegt dabei für den kritischen Betrachter die Fragwürdigkeit und Mißbräuchlichkeit solcher Instrumente nachdrücklich. Und die von den Nationalsozialisten 1933 eingeführte, generelle Praktizierungsmöglichkeit einer Volksabstimmung bestätigt diese Erfahrung noch deutlicher: Es finden hier Demagogie und Ressentiment einen Entfaltungsraum und radikalen Strömungen eröffnet sich breite Wirksamkeit. Es zeigt sich, ein wie willfähriges Mittel das Plebiszit in der Hand der Herrschenden sein kann wenn die dem Volke vorgelegten Fragen nur geschickt genug abgefaßt, suggestiv gestellt bzw. mit Köderfragen gekoppelt werden oder man auch nur raffiniert genug Beharrungsneigung Fatalismus und Trägheit der Massen in Rechnung stellt.

All dies veranlaßte die Schöpfer des Grundgesetzes zu tiefgreifender Skepsis gegenüber der unmittelbaren Demokratie. In den Protokollen des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee und des Parlamentarischen Rates läßt sich das vielfach nachlesen Bündig hat damals der Abgeordnete Theodor Heuss diese Einstellung auf die Formel gebracht „Das Volksbegehren ist in der großräumigen Demokratie die Prämie für jeden Demagogen." Hinzu trat der Wunsch, das parlamentarische Regierungssystem stärker als in

Weimar abzusichern, und dabei sah man Formen unmittelbarer Volksherrschaft als Ausgangspunkt potentieller Gefährdung. Hugo Preuß, der Konzeptor der Weimarer Verfassung und seinerzeitige Innenminister, hatte schon 1919 gewarnt man möge nicht über das „Parlamentarische System das Damoklesschwert der reinen Demokratie hängen", und jetzt wurde diese Sorge noch vertieft durch die Erfahrung, daß es Ende 1928 sogar einen realen Versuch gegeben hatte, per Volksentscheid gezielt die Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen des Parlamentes zu beseitigen

Auslegungsfazit also muß sein: Das Grundgesetz ist Ausdruck einer eindeutigen Haltung gegen die unmittelbare Demokratie. Das Fehlen plebiszitärer Elemente im Ordnungsgefüge der Verfassung kann daher nur als eine prinzipielle Absage an diese Form der Volksherrschaft verstanden werden 29®); die Beteiligungsinstitute des Art. 29 GG — Art. 118 ist mittlerweile ohnehin obsolet — sind die einzig eingeräumten Ausnahmen Mochte die Weimarer Reichsverfassung unterschwellig von einem prinzipiellen „Mißtrauen gegen das Staatsbürgervolk als Staatsorgan" durchzogen sein und sich gleichwohl zu etli-eben plebiszitären Elementen bereit gefunden haben, so ist heute im Grundgesetz das Volk als oberster Souverän vorbehaltlos anerkannt, die Sorge um seinen möglichen Mißbrauch jedoch veranlaßte zu ausdrücklicher Enthaltsamkeit gegenüber Instrumenten unmittelbarer demokratischer Beteiligung. Angesichts dieses Befundes scheint es sogar nur begrenzt möglich, das Grundgesetz noch durch Verfassungsänderung oder -ergänzung mit weiteren Plebiszitärelementen anzureichern, wie es neuestens von gewichtiger Seite favorisiert wird Verfassungstheoretisch nämlich stellt sich die Frage ob bzw. wann eine solche Umgewichtung — da an die Grundlagen der politischen Gesamt-entscheidung, die „positive Verfassung" rührend — nicht dem pouvoir constituant Vorbehalten bleiben müßte. Sieht man gar die prinzipielle Absage an die unmittelbare Form der Demokratie schon in Art. 20 Abs. 2 GG ent-halten, folgte ein derartiges Veto bereits kompromißlos aus Art. 79 Abs. 3 GG.

Diese strenge plebiszitäre Enthaltsamkeit des Grundgesetzes erscheint im bestehenden Bundesstaat auch gesamtpolitisch durchaus erträglich. Gewissermaßen kompensatorisch bestehen auf Landesebene vielfache Möglichkeiten unmittelbarer Demokratieausübung Bis auf die drei norddeutschen Staaten Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen halten alle anderen Bundesländer Formen des Volksbegehrens, des Volksentscheides oder beider Arten in ihrer Verfassung bereit, unterschiedlich nur in den verfahrensmäßigen Ausgestaltungen. Und daß diese Möglichkeiten wirklich handhabbar sind, beweist etwa die Zahl von bisher allein sieben Volksbegehren in Bayern oder das jüngst erfolgreiche nordrhein-westfälische Volksbegehren gegen die Einführung der Kooperativen Schule

II. Das System der repräsentativen Demokratie im Grundgesetz

Bedeutet aber nun jene strenge Entscheidung für die mittelbare Demokratie, daß das Volk von den „besonderen Organen“ ganz aus einer realen Teilhabe an der staatlichen Willensbildung verdrängt wird und seine Meinung nur bei der Einsetzung des alles weitere repräsentativ lenkenden Parlamentes zur Geltung bringen kann? Die Bürger in der Demokratie des Grundgesetzes also quasi nur ein „Souverän auf Zeit", der sich zwischen den Wahlen regelmäßig wieder zu bescheiden hat? Eine Antwort auf diese Frage muß aus dem Gehalt der verfassungsgegebenen, normativen Verankerung demokratischer Repräsentation kommen.

Im Grundgesetz sind diese Strukturen, aufbauend auf dem Demokratiesockel des Art. 20 Abs. 2, vornehmlich in Art. 38 Abs. 1 S. 2 angelegt. Wegen der ganz konkreten Gestalt dieser Formung verbietet es sich, für eine Exegese von apriorischen Begriffsgehalten der Repräsentation auszugehen. In der Grundvorstellung immerhin beruht die Idee der Repräsentation auf der Hypothese, daß der Wille des Volkes auf die Förderung eines Gesamtinteresses, das Gemeinwohl, gerichtet sei und eben diese „volonte generale" allein durch Delegierte zutreffend und verbindlich festgestellt werden könne, die unabhängig und nur ihrem Gewissen unterworfen das objektiv Beste für die Gemeinschaft zu erreichen suchen. Die Abgeordneten bedürfen also nicht nur eines aus-drücklichen Einsetzungsaktes durch das Wahlvolk, sondern sollen auch moralisch und geistig, in Weitsicht und Verantwortungsgefühl besonders qualifiziert sein um tendenziell „besser“ als andere und vor allem das Volk selbst die Gemeinwohlerfordernisse ausmachen zu können. Vom demokratischen Blickwinkel her wird hier nicht auf eine Identität zwischen Regierten und Regierenden abgestellt, wie es in Rückgriff auf Rousseau die Theoretiker unmittelbarer Volksherrschaft für entscheidend halten sondern (in, wie ich meine, richtiger Illusionslosigkeit) der prinzipielle Unterschied beider Seiten von Herrschaft als Prämisse zugrunde gelegt. Das spezifische Demokratie-moment liegt hier in der unbedingten Legitimationsabhängigkeit der Herrschaftsorgane vom Volke. — Repräsentation in diesem nicht apriorisch ordnungsbegrifflichen, sondern mehr deskriptiven, prozeßhaften Sinne kann danach mit Ernst Fraenkel bezeichnet werden als „die rechtlich autorisierte Ausübung von Herrschaftsfunktionen durch verfassungsmäßig bestellte, im Namen des Volkes, jedoch ohne dessen bindenden Auftrag handelnde Organe eines Staates oder sonstigen Trägers öffentlicher Gewalt, die ihre Autorität mittelbar oder unmittelbar vom Volk ableiten und mit dem Anspruch legitimieren, dem Gesamtinteresse des Volkes zu dienen und dergestalt dessen wahren Willen zu vollziehen" 38).

Wesenszug der repräsentativen Demokratie auch im Grundgesetz ist deshalb neben dem ordnungsgemäßen Einsetzungsakt durch Wahl das Vorliegen eines dauernd gegenwärtigen, allgemeinen Konsenses zwischen Herr-sehenden und Beherrschten. Repräsentation im verfassungsideellen Sinne bezeichnet danach nicht einen organisatorischen Zustand, sondern einen beständigen Prozeß der getreuen Darstellung und Vergegenwärtigung des real abwesenden Volkes. Dieses wesentliche Moment — in jüngerer Zeit von der Wissenschaft wiederholt aus unterschiedlichen Perspektiven herausgestellt — wird von der gängigen Darstellung des Repräsentationsprinzips vielfach übersehen. Gewiß liegt der Grundakt demokratischer Wirksamkeit in der Einsetzung, also der Wahl des Repräsentativ-organs. Aber der Staatswille, wie er dann im Parlament verbindlich festgestellt wird, erwächst gegenständlich aus einem steten informatorischen Zusammenspiel und Kontakt mit dem Volke.

Jede Repräsentation setzt mithin eine spezifische geistig-affektive Nähe zur repräsentierten Ebene voraus Das Gemeinwohl, dem die Parlamentsabgeordneten verpflichtet sind, gerät wesensmäßig in Gefahr, wenn der tatsächliche Volkswille (oder die fühlbar dominante Volksstimmung) von ihnen unbeachtet bleibt Schon ausgangs des 18. Jahrhun-derts sprach in diesem Sinne der englische Staatsmann Edmund Burke — einer der Ausformer der Repräsentationsidee — von der Notwendigkeit, daß es „eine Gemeinsamkeit der Interessen (gebe), ein Mitfühlen in den Empfindungen und Wünschen, zwischen denen, die im Namen des Volkes handeln, und denen, in deren Namen sie handeln" Und zutreffend hat das Bundesverfassungsgericht den politischen Vorgang der Herausbildung des Staatswillens bis zur Feststellung im Parlament als einen Konkretionsfluß vom Volke zu den Staatsorganen hin beschrieben und eine Umkehrung dieser Richtung mit dem Verfassungskonzept repräsentativer Demokratie im Grundgesetz für unvereinbar erklärt

Auch für die Konstruktion mittelbarer Volksherrschaft also ist das permanente Zur-Geltung-Drängen des Volkswillens ein Element der Verfassung — wobei unter „Volkswille" hier nicht die definitiv bekundete, organschaftliche Entscheidung zu verstehen ist, sondern das komplexe, noch unausgetragene Gesamtbild von politischen Meinungen, Argumenten, Wünschen, Befürchtungen und

Kritik aus dem Volke. In solchem Geltungsanspruch eine Aufweichung der unabhängigen Entscheidungskompetenz des Abgeordneten sehen zu wollen, wäre verfehlt. Auf dem Boden der grundlegenden Entscheidung für die Demokratie wird eben das repräsentative Herrschaftsmodell unausweichlich zur demokratischen Repräsentation. Der Abgeordnete ist exklusiv berufen — und hieran darf keinesfalls gerüttelt werden —, aus allem, was ihm als derart komplexer Volkswille von der „Basis" zufließt, eigenständig das Gemeinwohl herauszufiltern und zur Geltung zu bringen In der repräsentativen Demokratie macht nicht die juristische Verbindlichkeit jener Willenssignale aus dem Volke, sondern ihr verantwortungsbewußtes, reales Verarbeitetwerden durch den Abgeordneten die verfassungsrechtliche Wichtigkeit jenes Informationsflusses aus.

Präziser sollte daher wohl die Passage, welche in Art. 20 Abs. 2 GG die mittelbare Demokratie begründet, so gelesen werden: „Sie (die Staatsgewalt) wird vom Volke durch besondere Organe ausgeübt"; und d. h. noch pointierter eben: auch durch die „besonderen Organe" übt das Volk die Staatsgewalt aus.

III. Parteienstaatlichkeit

Der Vorgang, in welchem sich jener komplexe „Volkswille" herausformt und in den jeweiligen Phasen Ausdruck verschafft, ist überaus vielschichtig und differenziert. In ihn gehen ein — so hat das Bundesverfa-sungsgericht eine Beschreibung versucht — „die vielfältigen, sich möglicherweise widersprechenden, ergänzenden, gegenseitig beeinflussenden Wertungen, Auffassungen und Äußerungen des Einzelnen, der Gruppen, der Verbände und sonstigen gesellschaftlichen Gebilde, die ihrerseits von einer Vielzahl politisch relevanter Tatsachen, zu denen auch Entscheidungen des Staates und Äußerungen und Maßnahmen staatlicher Organe gehören, beeinflußt sind". Die Erhellung dieses Prozesses bleibt im einzelnen der Publizistik, der Soziologie und der Psychologie überlassen. Der Jurist darf hier getrost auf dortige Erkenntnisse verweisen, wobei dem summarischen Bild des Bundesverfassungsgerichts höchstens noch ein Hinweis auf die Rolle von Presse, Rundfunk und Fernsehen anzufügen wäre

Von verfassungsrechtlicher Seite indes sind noch gewisse äußere Vorgaben von Bedeutung Die heutige Gesellschaft, die sich kaum mehr aus isolierten Individuen zusammensetzt, sondern sich nach Gruppen gliedert, scheint zur funktionalen Kooperation zu drängen. Unter diesen Bedingungen im großflächigen, dicht bevölkerten Staat wäre eine unorganisierte, quasi naturhaft hervorquellende Meinungsäußerung des Volkes und ihre Verdichtung zu politisch verwertbaren Aussagen schon technisch beinahe unmöglich. Hinzu tritt die stark gewachsene Kompliziertheit der modernen Lebensverhältnisse, die eine unangeleitete Beurteilung erschwert. Bei aller grundrechtlichen und institutionellen Absicherung der Freiheitlichkeit des bürgerschaftlichen Willensbildungsprozesses muß deshalb bei ihm die Verfassung auch Vorsorge treffen für instrumental angemessene und leistungsfähige Herausformungswege.

Das Grundgesetz nun hat zu diesem Zweck die politischen Parteien als „notwendige Bestandteile des Verfassungsaufbaues" in sein Konzept aufgenommen und damit die Konsequenz aus der Einsicht gezogen, daß die Demokratie in der modernen Massengesellschaft zwangsläufig ein Parteienstaat sein müsse Den Parteien wird in Art. 21 Abs. 1 GG die ausdrückliche Aufgabe zugewiesen, „bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken". Diese förmliche Inkorporation war ohne Frage für die deutsche Verfassungsgeschichte revolutionär — selbst gegen Mitte unseres Jahrhunderts noch. Bis dahin galten die Parteien — aus dem sich emanzipierenden Bürgertum heraus im Grunde parakonstitutionell entstanden — in der geschriebenen Verfassung als geborener Gegenspieler der Gemeinwohlverwirklichung im Staate. Noch das Weimarer Verfassungsgesetz (Art. 130 Abs. 1) ist ganz von diesem Mißtrauen geprägt. Jetzt endlich erfolgte darin eine grundsätzliche Umorientierung: Die Parteien werden von der Verfassung in Pflicht genommen als organisatorische Bindeglieder für die Förderung und Umsetzung des Volkswillens.

Verständlicherweise begegnete dieser Ansatz durchaus mancher Skepsis. Wirkliche Demokratie — so wird eingewandt — sei damit blockiert, denn das Volk werde „vollständig und ausnahmslos durch die politischen Parteien mediatisiert" Nach dem Konzept des Grundgesetzes jedoch stehen solcher Einschätzung zweierlei eindeutige Markierungen entgegen. Zum einen ist dies die klare Zuweisung einer nur dienenden Funktion an die Parteien. Sie sollen, wie die Verfassungsnorm unmißverständlich formuliert, bei der politischen Willensbildung des Volkes lediglich „mitwirken“; es ist ihnen also verwehrt, jene Förderungsaufgabe zu monopolisieren oder den Volkswillen gar selbsttätig ausfül-len zu wollen Zürn anderen aber wäre es unter den soziologischen und politischen Bedingungen gerade ohne Parteien nur unzureichend möglich, daß die Bürger eine Chance fänden, ihr politisches Wollen zielgerichtet zu formulieren und zur Geltung zu bringen. Nach dem Bild der Verfassung sind es — wie der Politiker Karl-Hermann Flach einmal plastisch gesagt hat — „erst die Parteien, die , das Volk’ in der politischen Arena als real handelnde Einheit in Erscheinung treten lassen". Nicht Mediatisierung des Volkes im Sinne von Fernhaltung, interpretierender Ersetzung und Unterbindung direkter Kontakte also ist die Funktion der Parteien, sondern gerade Herbeiführung einer Immediat-Stellung, Eröffnung erst eines tatsächlichen Einwirkungsweges für das Volk.

Gewiß sind die Parteien dazu nicht auf rein technische Hilfstätigkeiten beschränkt. Sie stellen nicht nur (um ein Bild zu gebrauchen) den „Transmissionsriemen" dar, auf welchem die Meinungsimpulse des Volkes zielgerichtet in die Staatsorgane hineingetragen werden. Es kommt ihnen auch eine entscheidende Integrations-und Erziehungsfunktion zu, weil sie den Meinungsfluß beständig erhalten und anregen und die Bürger allgemein an ihre mittragende Rolle heran, d. h. zu einem staatsbürgerlichen Bewußtsein überhaupt führen sollen Nach der Verfassung also — so läßt sich hier formelhaft zusammenfassen — sind gerade die Parteien die speziellen „Hüter“ jenes demokratiezentralen Konsenses zwischen dem Volk und den Repräsentativorganen.

IV. Fehlentwicklungen bei der Verfassungsrealisation

Nach dieser Analyse des verfassungsmäßigen Demokratiesystems stellt sich erneut die Frage, ob und wo denn-hier der Bürgerinitiativbewegung ein legitimer Platz zukommen kann oder ob nicht über sie von der Verfassung im günstigsten Fall ein „Non licet", wenn nicht gar definitiv ein unnachgiebiges Verdikt gesprochen werden müsse. Zur Beantwortung gilt es indes, das Augenmerk noch auf die Wirklichkeit des normierten Ablaufes zu richten. Sollten nämlich beim bestimmungsmäßigen Gang des komplizierten Demokratiemechanismus an irgendeiner Stelle Spannungen aufgetreten sein, könnte das bürgerschaftliche Aufbegehren immerhin eine organische Folge davon, eine Reaktion darauf, eine Ausgleichserscheinung darstellen und von dorther beurteilt werden müssen

Eine solche Prüfung nun läßt in der Tat zur Feststellung gewisser Funktionsstörungen gelangen. An eben jenem so entscheidenden wie zugegebenermaßen äußerst empfindlichen Gelenkstück des Demokratieablaufes, welches die politischen Parteien auszufüllen haben, machen sich — mehr oder weniger signifikant schon — bestimmte Verschleißerscheinungen und Fehlentwicklungen bemerkbar.

Bereits vor mehr als zehn Jahren, 1966, offerierte der Philosoph Karl Jaspers in seiner Schrift „Wohin treibt die Bundesrepublik?“ den Befund, unser Regierungssytem habe sich „von der Demokratie zur Parteien-Oligarchie" gewandelt Die etablierten politischen Parteien, die tatsächlich nur eine Minderheit der Staatsbürger erfaßten, hätten sich durch vielfache Verzahnung fest in der staatlichen Macht verankert; und einerseits bewachten sie nun deren Zugang monopolartig, andererseits verwendeten sie die Position bedenkenlos zu eigenem Nutzen. Jene damals noch ebenso spektakuläre wie z. T. gewiß überzeichnete Einschätzung hat sich — mancher tatsächlich falschen Neben-sentenz entkleidet — heute in vielem bestätigt. Sie wird zudem durch einen weiteren Störungssachverhalt ergänzt. Es ist dies der offenbare Schwund an Fähigkeit bei den Parteien, sowohl die vielfältigen bürgerschaftlichen Meinungsimpulse ausreichend aufzugreifen und zu integrieren als auch zu den wirklichen, aktuellen Existenzfragen des Lebens in unserem Staate grundsätzliche, über den Augenblick hinausreichende Aussagen zu treffen.

Im einzelnen: 1. In den politischen Parteien sind derzeit lediglich rund 3 Prozent der Bevölkerung, d. h. knapp 2 Mio. Menschen mitgliedschaftlich gebunden; bei dieser Quote scheinen die Zahlen zu stagnieren So bedenklich auch dieser Sachverhalt schon absolut sein mag, so wenig reicht er freilich aus, um schlüssig Mängel in der Funktionsverwirklichung der Parteien ablesen zu müssen. Hierzu wären noch Erkenntnisse vonnöten, wonach tatsächlich Schwierigkeiten bestehen, daß Intentionen und Auffassungen der „Basis“ parteiintern verläßlich Gehör finden.

Insoweit allerdings muß heute nun als weitgehend gesichert gelten, daß die innerparteiliche Willensbildung, namentlich etwa bei der Kandidatenaufstellung unter einem deutlichen Effizienzdefizit leidet Dies be87) ruht nicht einmal vorrangig auf etwa undemokratischen Praktiken oder unzureichenden Verfahrensvorschriften. Der Grund liegt vielmehr darin, daß es — weshalb immer — erwiesenermaßen nur wieder 5— 10 Prozent der Parteimitglieder sind, die sich tatsächlich an den betreffenden Konkretionsvorgängen beteiligen. Höchstens 0, 3 Prozent der Bevölkerung also wirken realiter bei der hiesigen Meinungsabklärung mit. 2. Die großen Parteien in der Bundesrepublik halten nahezu lückenlos alle maßgebenden Posten öffentlicher Funktionswahrnehmung durch Gewährsleute besetzt.

Bezüglich des Parlamentsbereiches wird man das grundsätzlich kaum beanstanden können, denn die Willensbildung des Volkes, an welcher die Parteien mitwirken sollen, findet hier nun einmal ihr verfassungsmäßiges Ziel-stadium. In dieser Zone aber wirkt sich heute die Fünf-Prozent-Wahlsperrklausel demokratiesystematisch mißlich aus. Das mit ihr verfolgte Anliegen einer Sicherung parlamentarischer Arbeitsstabilität ist zwar verfassungsrechtlich völlig legitim. Gegenwärtig jedoch scheint dies Erfordernis nahezu überholt zu sein. Angesichts dessen wandelt sich die Klausel mehr und mehr zu einem Mittel der Besitzwahrung für die gestandenen Parteien und sperrt damit praktisch neue Parteiimpulse aus Dies wiegt noch uni so schwerer, als die zum Zuge kommenden Kandidaten meist durch einen längeren parteiinternen Anpassungsprozeß gegangen sind, der politisch eigenständige Durchsetzungsbereitschaft bei ihnen vielfältig abgeschliffen hat

Hinsichtlich der zweiten Gewalt im Staate zeigt sich die Machtokkupation der Parteien in anderem Licht. Was die Regierung anbetrifft, so ist hier die parteimäßige Ausrichtung gewiß noch korrekt, denn im Parteienstaat bedeutet sie die natürliche Konsequenz des parlamentarischen Regierungssystems. Im Exekutivbereich jedoch, bei der Verwaltung, tritt die beanstandete Durchsetzung massiv hervor: Die Organwalterhierarchie wird längst bis in untere Ränge hinein konsequent mit Parteigängern besetzt in den Ministerien unterhalten die großen Parteien jeweils eigene Arbeitskreise, und es ist nachgerade erwünscht, daß jeder Beamte in einem von ihnen mitwirkt; bei Coleurwechsel in der Regierung folgt nicht nur ein weitreichender Austausch der politischen Beamten, sondern auch vielfältige Umsetzung der übrigen Chargen; im Extremfall führen partei-und koalitionspolitische Gründe dazu, daß bei der Ämterbesetzung Fragen fachlicher Qualifikation zurückstehen müssen. Die Umgangssprache hat wenig schön, aber plastisch für all dies rasch ein Schlagwort geprägt, den Begriff „Filzokratie".

Ergebnis der Verzahnung ist auf Seiten des öffentlichen Dienstes eine Abnahme an Neutralität nicht nur gegenüber der Verwaltungsleistung und ihren Adressaten In gleichem Maße schwinden auch Unvoreingenommenheit und Befolgungstreue gegenüber den anzuwendenden Normen Auf Seiten der Parteien verringert sich umgekehrt — wie vor kurzem Uwe Thaysen dargelegt hat — die Bereitschaft, der immer dichteren Knüpfung des sozialstaatlichen Vorschriften-netzes entgegenzutreten. Aus Mangel an Vertrauen in ein unnormiert systemgerechtes Verhalten der Menschen und fehlender Distanz zu Planungseuphorie und Perfektionsneigung der Verwaltung fallen damit die Parteien als Anwalt im Überlebenskampf der privaten Freiheit weitgehend aus.

Daß demgegenüber schließlich die rechtsprechende Gewalt sich parteistrategisch noch weitgehend undurchsetzt zeigt, liegt keineswegs an entsprechender Zurückhaltung der Parteien, sondern an funktionsspezifischen Gesetzmäßigkeiten, die hier erstaunliche Widerstandsfähigkeit offenbaren 3. Der verführerische Sog, einen solcherart etablierten Machtbesitz auch zu individueller Nutzziehung zu verwenden, ist naturgemäß groß. In der breiten Grauzone zwischen gemeinem und partikulärem Vorteil scheinen ihm die Parteien in den Augen der Bürger nicht immer ausreichend zu widerstehen.

Das gilt zum einen etwa für das nicht seltene . Zuschanzen'einträglicher Ämter, Pfründe und öffentlicher Aufträge an verdiente, bedürftige oder einfach „an der Reihe befindliche" Parteifreunde Zum anderen hat es Belang für die stete Emsigkeit der Parteien bei Erschließung neuer, lohnender Geldquellen. Dem insoweit wohlpräparierten Weg einer unmittelbaren Parteienfinanzierung durch den Staat hat zwar das Bundesverfassungsgericht 1966 einen Riegel vorgeschoben und kurz darauf auch eine Monopolisierung der (prinzipiell zulässigen) Wahlkampfkostener-stattung gestoppt Der Hang, sich finanzielle Privilegien zu sichern, aber wurde höchstens subtiler. Erwähnt seien nur die undurchsichtigen Duldungspraktiken der Parteien, wenn es darum geht, sich über halböffentliche Einrichtungen oder Tarnorganisationen Zuwendungen machen zu lassen, die für den dahinterstehenden Spender anonym und womöglich noch steuerfrei bleiben Und in dasselbe Bild scheint zu passen, daß erst das Bundesverfassungsgericht (1976) auch einem parteilosen Einzelbewerber den Zugang zum Erstattungstopf für Wahlkampfkosten eröffnen mußte.

Vor allem in jüngster Zeit sind hier zudem die vielfältigen Bemühungen in Sachen „Abgeordnetenentschädigung" zu vermerken. Zugegebenermaßen ist dies stets ein für die Öffentlichkeit ebenso unpopuläres wie grundsätzlich unerläßliches Regelungsgeschäft. Bei der derzeitigen Generalsanierung jedoch scheinen sich dem Betrachter die einzelnen Länderparlamente allzu geflissentlich über die Vorfrage hinwegzusetzen, ob und inwieweit denn bei ihnen das Abgeordnetenmandat tatsächlich wie im Bund eine berufsgleiche Haupttätigkeit darstelle. Daß die gern als Total-Alibi benutzte Signalentscheidung des Bundesverfassungsgerichts dies ausdrücklich offenließ gerät dabei aus dem Blick. Allzu schnell münden die Anstrengungen so in ein Ringen um erreichbare Höhen der Alimentation 4. Von allen drei großen Parteien wird heute zugegeben, daß es bei ihnen zu Leistungsmängeln in Aufnahme und Verarbeitung der bürgerschaftlichen Auffassungen komme Der Kontakt zu den wirklichen Belangen der Bürger ist vielfach verlorengegangen. Die Parteien formulieren statt dessen ihre Zielvorstellungen in abstrakter, interner Programmdiskussion und widmen sich in ihrer politischen Tätigkeit vorrangig deren Realisierung, dem Gewinn strategischer Vorteile oder dem eigenen korporativen Zustand. Leicht erscheinen dann Interessen besonders einflußreicher Gruppen als Projektionen des Gemeinwohls.

In solcher Situation geht den Parteien zwangsläufig ihre verfassungszentrale Fähigkeit zur Integration der bürgerschaftlichen Anschauungen und Wünsche verloren Immer häufiger kommt es dadurch — wie kürzlich bilanziert wurde — „zu Gesetzen, Verwaltungsmaßnahmen und Regierungsentscheidungen, deren Übereinstimmung mit dem Gemeinwohl zweifelhaft anmutet und die deshalb Widerstand in der Bevölkerung hervorrufen, z. B. auf den Gebieten der kommunalen Neugliederung, der Schul-und Hochschulverfassung, der Berufsschulausbildung, der Sozial-, Steuer-und Verkehrspoli-tik oder der Energiewirtschaft". Hier droht an der empfindlichsten Stelle des Demokratieprozesses eine Kluft aufzubrechen, durch welche „der Staat sich von der Gesellschaft ablöst" und der stete Legitimierungs-und Integrationsfluß vom Volke zu den Staatsorganen abreißt. Der Bürger kann „sich von den Abgeordneten nicht mehr hinreichend repräsentiert fühlen"

5. Die Entwicklung zu sog. „Volksparteien" hat dazu geführt, daß die tatsächlich einflußreichen Parteien nurmehr unpräzise, pauschal-allgemeine Aussagen über ihre Pläne machen können Der Zuschnitt als Massenpartei absorbiert zwangsläufig echte, konturscharfe Auffassungsprofile. Der (vermeintliche) Zwang, dem Wähler auf jeden Fall Geschlossenheit demonstrieren zu müssen, erstickt zudem nicht nur öffentlich geäußerte, sondern auch interne Problematisierung und Kritik rasch. Wegen des schon erwähnten Blockadeeffektes der Fünf-Prozent-Klausel kann diese Versteinerung des politischen Meinungsspektrums auch kaum durch neue Gruppierungen aufgebrochen werden. Folge davon ist, daß der Bürger bei den parlamentarisch vertretenen Parteien vielfach Feststellungen zu den ihn bewegenden, speziellen und vielleicht atypischen Problemen vermißt und wenig prinzipielle Aussagen zu den drängenden, grundlegenden Zukunftsfragen finden kann Die Scheu vor allein sachgetragener Argumentation ohne parteiische Rücksicht-nahmen bedingt einen Verlust an politischer Führung im Staate und läßt allzuoft als Konkretion des Gemeininteresses ausgeben, was tatsächlich nur einen ängstlichen Kompromiß zwischen den stärksten Gruppeninteressen darstellt

Der Befund wird durch einen weiteren Umstand verschärft: Die auf den unterschiedlichen Staatsebenen einander ständig ablösenden Wahlen mit ihrer Bedeutung für den jeweiligen Anteil am Machtbesitz stürzen die Parteien in permanenten Wahlkampf. Den bestehenden Mangel an Alternativen und wirklichen Sachdifferenzen ersetzen sie dabei zunehmend durch massiven Umgangsstil. Verstärkte Polemik, vielfältige Angriffe und Verdächtigungen sowie ein gegenseitiges Bestreiten des Gemeinwohlbezugs erzeugen ein dichtes Klima der Polarisierung und politischen Vergiftung Daß die Bürger sich davon abgestoßen fühlen, erscheint nur natürlich.

V. Schlußfolgerungen

Die beschriebenen Deformationen haben — das läßt sich wohl unumwunden feststellen — zu einer Krise im Parteienwesen geführt. Und da eben die politischen Parteien im repräsentativ-demokratischen Aufbau der Verfassung eine ganz zentrale Rolle innehaben, ist daraus eine allgemeine Krise der Repräsentation geworden. Anders jedoch als gegen Ende der Weimarer Republik, als Arnold Köttgen im verfassungsrechtlichen Kontext von der „Krise der Repräsentation" sprach 86), erscheint dieser Zustand heute reparabel. Mußten damals vor dem Hintergrund einer immer stärkeren, überhaupt parlaments-feindlichen Stimmung grundsätzliche Infrage-stellungen und Pressionen notiert werden, in welche die Repräsentationsträger gerieten, so handelt es sich bei den heutigen Systemstörungen um eher „äußere“, verfahrensmäßige Fehler, die den prinzipiellen Bestand vorerst nicht erschüttern.

Zwei empirische Anhaltspunkte können das vielleicht zusätzlich bestätigen:

1. Ganz offenbar registriert der Bürger jene Verschleißerscheinungen im Parteiwesen als eine Normabweichung. Jedenfalls bemerkt er die Störungen deutlich und verarbeitet sie reaktiv i seiner allgemeinen politischen Verhaltensbereitschaft. Resultat ist eine spürbare Parteienverdrossenheit, wie sie derzeit übrigens mehr oder weniger stark anscheinend in allen westlichen Demokratien verzeichnet werden muß Der Befund läßt sich sogar quantifizieren. Umfangreiche Erhebungen, die der Mannheimer Soziologe Rudolf Wildenmann 1977 anstellte, haben ergeben daß nicht nur fast 30 Prozent der Befragten die Politiker und Verwaltungsbeamten für die privilegierte Gruppe in der Bundesrepublik halten, sondern zugleich über ein Drittel der stellungbeziehenden Bürger (25, 1 Prozent der Wähler bei knapp 30 Prozent Unentschiedenen) dazu neigen, sich künftig bei Wahlen auch einmal von den etablierten Parteien abzuwenden und eine Protestliste zu unterstützen.

Dieses Protestpotential von rund einem Viertel der Wählerschaft macht sich in den Stimmzahlen der Grünen Listen erst relativ eingeschränkt bemerkbar. Denn dort wird mit der rein ökologischen Problemorientierung vorerst nur eine spezielle Alternative angeboten Schon aber treten auch andere Gruppen hervor, die sich nach dem Vorbild der französischen Poujadisten oder der dänischen Glistrup-Vereinigung für künftige Wahlen rüsten: Nach langen Ankündigungen und Drohungen hat nun der Vorsitzende der Deutschen-Steuergewerkschaft, Fredersdorf, eine „Partei der Bürgerfreiheit und Gerechtigkeit, des Umweltschutzes und der Rentensicherung, der Jugendchancen sowie der Würdigung von Haus-und Mütterarbeit in Deutschland und Europa" gegründet, die alle geographischen und politischen Bereiche der Bundesrepublik abdecken soll® Anfang August 1978 wurde in Kassel eine „Partei für Renten-, Steuer-und soziale Gerechtigkeit“ ins Leben gerufen 92); und bereits im Frühling desselben Jahres hat sich in Berlin eine „Deutsche Fortschritts-Bewegung" konstituiert, die allgemein — so wörtlich — der „Großmannssucht der Politiker und der Flut von Formularen und Gesetzen" den Kampf ansagt und sich als eine umfassende „AntiParteien-Bewegung" versteht 93). Ganz deutlich zeigt sich jedoch außerdem, daß es den aufbegehrenden Bürgern (immer noch) darum geht, ihre Ansichten in den bestehenden Entscheidungsgremien und -wegen zu Gehör zu bringen. Das beweist zum einen der Eifer, mit dem sich die Exponenten als Einzelkandidaten oder auf Listen an Wahlen zu den Vertretungskörperschaften beteiligen und man eben allgemein bestrebt ist, sich als wahlfähige Partei zu organisieren. Zum anderen läßt darauf das Zielspektrum der Bürgerinitiativen schließen. So umfassend die Tätigkeitsfelder der verschiedenen Initiativgruppen auch sein mögen — ihre Aktivitäten erstrecken sich nach allen Untersuchungen vorrangig auf die Bereiche Umweltschutz, Städtebau/Verkehr und Erziehung/Bildung durchweg haben sie konkret-aktuelle Stoßrichtung (einsetzen „für etwas" bzw. „gegen etwas und entfalten sich insbesondere auf kommunaler Ebene —, so relativ geschlossen zeigen sie sich, was ihre Vorgehensweisen anbetrifft. Nur rund 2 Prozent der Initiativgruppen agieren gewaltsam Statt dessen sind Informationskam-pagnen und Versammlungen, direktes, beharrliches Ansprechen der zuständigen Entscheidungsinstanzen und -personen sowie in ganz besonderem Maße gerichtliches Vorgehen die probaten Mittel.

2. Es hat durchaus den Anschein, als zeigte das Wirken der Bürgerinitiativen bereits parteispezifische Folgen. Stimmen der Selbstkritik werden aus dem Kreis der Parteien vernehmbar und — z. T. überstürzt — man beginnt, sich von dort der bürgerschaftlich vorgebrachten Fragen neu anzunehmen — insbesondere beim Umweltschutz und der Steuerproblematik wird das momentan deutlich. Allerdings neigen die Parteien wohl vorrangig immer noch dazu, die Bürgerinitiativen zuerst einmal nach ihrer Einspannbarkeit für die eigenen Ziele zu beurteilen Eine behutsame Umorientierung ist jedoch unverkennbar.

Die aufbegehrenden Bürger andererseits scheinen diese Wirkungen ihres Eintretens zu bemerken und überwiegend als zufriedenstellend zu empfinden. Wie anders sonst könnten die freilich wohl noch unsicheren Daten gedeutet werden, welche neuestens einen Rückgang des Protestpotentials zu signalisieren scheinen? Danach soll die Zahl der protestbereiten Bürger von 1975 auf 1977 um rund 20 Prozent zurückgegangen sein Mögen dabei auch phasenweise Schwankungen in der allgemeinen Günstigkeitseinschätzung der politischen Lage und der (staatlich) eigenen Position darin eine wesentliche Rolle spielen, spürbar wird doch, wie weitgehend offenbar (noch) das Erreichen lediglicher Sachverfahrens-und Erkenntniskorrekturen die Motivation der bürgerinitiativen Kräfte erfüllt.

— Verfassungsrechtliches Resümee nach alledem ist, daß das repräsentativ-demokratische System des Grundgesetzes in seinem derzeitigen Zustand durchaus Ansätze für eine Tolerierung, ja Einbeziehung der Bürgerinitiativbewegung bietet Ihre phänotypische Wirkung als Fremdkörper verliert sich, wenn man die Funktionsstörungen des normierten Ablaufes erkennt und die Bürgerinitiativen als Reaktion darauf einordnet. Die Verfassung hat als obersten Souverän aller staatlichen Macht das Volk eingesetzt; bei Fehlentwicklungen im Institutionengefüge'muß also ihm auch das Recht zustehen, auf Abhilfe, auf Wiedererreichung verfassungsmäßiger Abläufe zu dringen.

— Verfassungstheoretisch erscheint das bürgerschaftliche Aufbegehren damit als Ausdruck eines immanenten Selbsthilfepotentials der Demokratie Solange Bürgerinitiativen die natürlichen Träger dieses Aufbegehrens bleiben und nicht wieder ihrerseits von selbständigen, bürgerfremden Interessen übernommen werden solange sie bei ihrem Vorgehen rechtsstaatliche Verhaltensregeln beachten und die eingerichteten Entscheidungswege nicht ausschalten, sondern mit den fehlenden Basisimpulsen ergänzen solange können sie als ein Mittel jenes Demokratiepotentials gelten. — Verfassungspolitisch endlich wirken die Bürgerinitiativen danach für die hier an sich als Mittler eingesetzten Parteien und ihre Mandatsträger als Anstöße zur Regeneration. Wieweit sie von dort als solche allerdings aufgenommen und genutzt werden, wird sich erst erweisen müssen. Unter den genannten Voraussetzungen darf das repräsentative Demokratiesystem der Verfassung sie jedenfalls eher als eine Chance denn als Gefahr sehen.

Der Weimarer Staatsrechtslehrer Richard Thoma hat einmal gesagt: „Die Demokratie ist ein Staat, dessen Souverän man unentwegt anschreien muß, damit er nicht ein-schläft." Daß dies in der Bundesrepublik heute offenbar anders ist und die Bürger eigene Anstöße im erlahmenden Schwung der Demokratie geben, sollte bei aller vielleicht entstehenden Unruhe im Grunde positiv bewertet werden können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Begriff stammt von Peter Cornelius Mayer-Tasch, Die Bürgerinitiativbewegung, Reinbek 1976. Trotz der Kritik, welche daran ansetzte (vgl. Uwe Thaysen, Bürgerinitiativen, Parlamente und Parteien in der Bundesrepublik, in: ZParl 1978, S. 87, 88 N. 6; ihm zustimmend Norbert Achterberg, Die parlamentarische Demokratie als Entfaltungsraum für Bürgerinitiativen, in: NJW 1978, S. 1993, 1995 sub III 1 a), möchte ich an dieser Terminologie aus den nachfolgend im Text genannten Gründen festhalten. Der Begriff „Bewegung“ setzt nur in einem ideologisch-strategisch einordnenden Sinne eine Homogenität voraus, die hier gewiß nicht vorhanden ist. In einem allgemein deskriptiven Sinne aber steht er gerade (auch) übergreifend für eine generelle, komplexe und unübersichtliche Aktivität oder Geisteshaltung. Nur als solch phänomenhafte Kennzeichnung ist der Begriff offenbar auch von Mayer-Tasch gemeint.

  2. Zur mittlerweile fast unübersehbaren, meist politikwissenschaftlichen Literatur über die Bürgerinitiativen s. stellvertretend (und m. w. Nachw.) Horst Zilleßen, Bürgerinitiativen im repräsentativen Regierungssystem, in: Aus Politik und Zeit-geschichte B 12/74 v. 23. 3. 1974, Dok. S. 3/4 N. 2; Bernt Armbruster/Rainer Leisner, Bürgerbeteiligung in der Bundesrepublik, Schriften der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel, Bd. 54, Göttingen 1975, S. 189 ff.; oder Bernd Gugenberger/Udo Kempf (Hrsg.), Bürgerinitiativen und repräsentatives System, Opladen 1978.

  3. Laut: dpa-archiv/HG 2594 v. 23. 6. 1976, S. 3. Zu letzterer Zahl auch Detlef Sprickmann-Kerkerinck in der ARD-Fernsehsendung „Blickpunkt“ v. 18. 3. 1977.

  4. Das Bundespräsidialamt schätzt die Stärke auf 1, 5 Mio.; vgl. Walter Scheel, in: BullBReg 15/1973 v. 13. 2. 1973, S. 125 f.; ebenso etwa Ulfert Herlyn am 29. 1. 1978 in Göttingen laut Göttinger Tage-blatt v. 1. 2. 1978, S. 15. Einer Infas-Repräsentativerhebung im April/Mai 1973 zufolge gaben sich etwa 3 Prozent der Bundesbevölkerung — das wären über 1, 8 Mio. Menschen — als „derzeit oder früher Mitglieder von Bürgerinitiativen" aus (infas-Report für die Presse v. 23. 7. 1973 „Mitwirkung in Bürgerinitiativen"). Rolf Zundel, in: Die Zeit 33/1977 v. 5. 8. 1977, S. 3, taxiert mehr Mitglieder der Bürgerinitiativen als in den Parteien, und das sind immerhin knapp 2 Mio.; ähnlich bezifferte schließlich BTVizePräs. Hermann Schmitt-Vockenhausen die Mitgliederzahlen der Bürgerinitiativen im Spätsommer 1977 auf „etwa 2 Mio.“ (in: Bürgerinitiativen - Wege oder Irrwege der parlamentarischen Demokratie, Schriftenreihe des deutschen Städte-und Gemeindebundes, Bd. 30, Göttingen 1978, S. 13).

  5. Infas-Erhebung, a. a. O., sowie Emnid-Informationen Nr. 11/12 1973, S. 7.

  6. Als erste (bekanntgewordene) Bürgerinitiative überhaupt darf wohl die Einwohnergemeinschaft zur Rettung des Rheinufers vor einer Schnellstraße in Eltville gelten, die 1976 nach 20jähriger Arbeit endlich ihr Ziel erreichte; s. dazu auch Emil-Peter Müller, Die Bürgerinitiativ-Bewegung als Herausforderung des sozio-politischen Systems, in: Streitsache „Bürgerinitiativen“, hrsg. v. Institut der deutschen Wirtschaft, Köln 1978, S. 7 (14 t).

  7. Damit soll beileibe den vielfältigen und wohl immer noch nicht erschöpfenden Deutungsversuchen dieses komplexen Zeitabschnittes kein neuer hinzugefügt werden. Es geht hier einzig um eine allgemeine Zuordnung.

  8. Zum Begriff: Wilhelm Hennis, Demokratisierung. Zur Problematik eines Begriffes, in: Demokratisches System und politische Praxis der Bundesrepublik. Festschrift für Theodor Eschenburg, München 1971, S. 68 ff.; oder Klaus Lange, Zur Entwicklung des Demokratisierungsgedankens (unveröffentlichtes Manuskript einer Vorlesung, Göttingen 12. 7. 1972), der Demokratisierung als „Anstrebung" bzw. „Schaffung von Mitbestimmung in den verschiedensten innerstaatlichen bzw. gesellschaftlichen Sektoren" kennzeichnet.

  9. Dazu Edzard Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, Göttingen 1979, S. 235 N. 66, 267 f.

  10. So z. B. Herbert Kremp, An diesen Parteien vorbei, in: Die Welt v. 18. 2. 1977, S. 6: „Bürgerinitiativen signalisieren das Zeitalter am Ende der Aufklärung".

  11. Zu dieser Funktion der Verfassung Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Karlsruhe 1977 1°, § 1 II (S. 5 ff.); oder Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organ.

  12. Es ist dies der eine vom GG vorgezeichnete Weg, dem „Wiedervereinigungsgebot“ (Präambel-satz 3) nachzukommen. Den anderen bezeichnet Art. 23 S. 2 GG (Beitritt der noch nicht erfaßten Teile Deutschlands zum GG).

  13. Zu dieser Unterscheidung von „pouvoir constituant" und Verfassungsgesetz (sowie der im Text nachfolgenden Differenzierung) Carl Schmitt, Verfassungslehre, 1928, 5. Neudruck Berlin 1970, S. 76 ff., 91.

  14. Bis auf Schleswig-Holstein (§ 73 GO) haben mittlerweile alle Bundesländer, die eine solche Organisationsform vorhielten, diese aufgehoben. Als gegenstandsloses Relikt insoweit nur noch Art. 72 I 4 Verf. BaWü, 44 II Hs. 2 vorl. Verf. Nds.

  15. Hierzu insgesamt: Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, S. 43 ff., 62 f.

  16. W. Weber, Weimarer Verfassung und Bonner Grundgesetz (1949), in: ders., Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, Berlin 1970 3, S. 9 (20 N. 15).

  17. Vgl. dazu: Niedersächsischer Volksentscheid vom 19. 1. 1975 im Verwaltungsbezirk Oldenburg und Landkreis Schaumburg-Lippe, der für beide Fälle'die notwendige Mehrheit von mehr als 25 Prozent der Landtagswahlberechtigten für eine Ablehnung der Zugehörigkeit zum Lande Niedersachsen erbrachte. Gemäß Art. 29 IV 1 mit III 2 GG a. F. wurde dann jedoch mit Bundesgesetz v. 9. 1. 1976 (BGBl. I S. 45) die betreffende Landeszugehörigkeit festgeschrieben. Zu der zumindest verfassungspolitisch unguten Perspektive dieses Beiseiteschiebens eines Volksvotums vgl. die Debatte i. d. 208. Sitzung d. 7. BT v. 10. 12. 1975 (StenB 7/14339 ff.).

  18. Ausführlich (auch zum folgenden) Friedrich Karl Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz, Tübingen 1960, insb. S. 5 ff. (9).

  19. Gewissermaßen umgekehrt war er auch entsprechend durch Referendum vorzeitig absetzbar: Art. 43 II WRV.

  20. Eine vergleichbare Kompetenz gab es als Sonderfall außerdem für eine Reichstagsminderheit plus Bürgerquorum: Art. 73 II WRV.

  21. „Gesetz über den Volksentscheid", RGBl. S. 790. — Ähnlich dem GG im übrigen: Volksabstimmung bei Gebietsänderungen (Art. 18 WRV).

  22. Mit ihr sollte eine zeitliche und materielle Festlegung der Reparationsverpflichtungen abgelehnt werden; dazu Fritz Poetzsch-Heffter, Vom Staats-leben unter der Weimarer Verfassung (III), in: JöR 21 (1933/34), S. 1 (199 ff.); Wilhelm Merk, Volksbegehren und Volksentscheid, in: AöR 19 (1930), S. 125 ff. — Außer diesem gedieh nur ein weiteres Vorhaben bis in die Phase des Volksentscheides.

  23. Gesetz über Volksabstimmung vom 14. 7. 1933 (RGBl. I S. 479). Zu den danach durchgeführten drei Abstimmungen und ihren Umständen s. Hans Schneider, Volksabstimmungen in der rechtsstaatlichen Demokratie, in: Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht. Gedächtnisschrift fü‘ Walter Jellinek, München 1955, S. 155 (160 ff.).

  24. Besonders bedrückend ist hier das Beispiel der beiden Abstimmungen zum „Anschluß“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 in einigen abgelegenen österreichischen Bauerngemeinden: Bei der von der Regierung Schuschnigg veranlaßten Abstimmung „für ein freies und deutsches, unabhängiges ... Österreich“, die in jenen Gemeinden offenbar in Unkenntnis der inzwischen eingetretenen Entwicklung am 13. 3. 1938 noch durchgeführt wurde, votierten über 95 Prozent der Stimmberechtigten für die Unabhängigkeit Österreichs; vier Wochen später, am 10. 4. 1938, stimmten sie bei der nationalsozialistischen Volksbefragung »Bist Du mit der vollzogenen Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich einverstanden?" dann in gleich überwältigender Mehrheit wieder mit „Ja" (Abstimmungsergebnis in Österreich = 99, 73 Prozent ,, Ja" -Stimmen). Zum gesamten Problembereich hier Heiko Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, Berlin 1968, insb. S. 180 ff.

  25. Daß hier generell die starke Neigung besteht, für den status-quo-bewahrenden Zustand zu stimmen, ist eine vielfach gemachte Erfahrung; vgl. etwa schon Hans Delbrück, Regierung und Volkswille, Berlin 1914, S. 30; oder Max Weber, Deutschlands künftige Staatsform (1918), in: ders., Gesammelte politische Schriften, Tübingen 1958!, S. 436 (462); H. Schneider, in: Gedächtnisschrift W. Jellinek, S. 155 (165 m. N. 32); Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, Stuttgart 1966 2, S. 296 N. 99.

  26. Angaben im einzelnen bei Fromme, Weimarer Verfassung, S. 150 f.

  27. In: Parlamentarischer Rat. (Plenum) Stenographischer Bericht [o. J. ], S. 43 (3. Sitzung v. 9. 9. 1948); ähnlich auch in: Parlamentarischer Rat. Verhandlungen des Hauptausschusses 1948/49 0. J. ], S. 264 (22. Sitzung v. 8. 12. 1948).

  28. 28. Sitzung (11. 4. 1919) des Verfassungsausschusses der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung; vgl. Verhandlungen der verfgeb. DNatVers., Bd. 336 der Vhgn.des Reichstags: Anlagen zu den StenBer. Nr. 391 (Bericht des Verf-Ausschusses), S. 308 (309 r. Sp.).

  29. Initiative des „Stahlhelm", zumindest ideell unterstützt von der DNVP; vgl. zum Vorgang Ernst Wolgast, Zum deutschen Parlamentarismus, Berlin 1929, Vorbem. S. VII und S. 3 m. Anm. 7; Poetzsch-Heffter (II), in: JöR 17 (1929), S. 1 (137).Ein Argument dafür läßt sich auch aus Art. 93 I Nr. 4 a GG entnehmen: Mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbare Individualrechte werden nur im Zusammenhang mit Wahlen (Art. 38 GG) anerkannt, nicht auch bei Abstimmungen; ähnlich BVerfG, B. v. 1. 8. 1978, E 49, 15 (22).

  30. Das Vorhaben einer Bundesvolksabstimmung in weiteren Fällen läßt sich daher jedenfalls nicht durch einfaches Gesetz verwirklichen; a. A. Ernst-Werner Fuß, Die Nichtigerklärung der Volksbefragungsgesetze von Hamburg und Bremen, in: AöR 83 (1958), S. 383 (394 N. 31); Hans Meyer, Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes, in: VVDStRL 33 (1975), S. 69 (115, These 28); und zuletzt — differenzierend — Albert Bleckmann, Die Zulässigkeit des Volksentscheides nach dem Grundgesetz, in: JZ 1978, S. 217 ff. Wenigstens ein verfassungsänderndes bzw. -ergänzendes Gesetz wäre dafür vonnöten; vgl. etwa Hermann v. Mangoldt/Friedrich Klein, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, Bd. I, Berlin/Frankfurt 1957 2, Erl. V 5 a zu Art. 20 (S. 597); Martin Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, in: VVDStRL 29 (1971), S. 46 (60 f.); oder Theodor Maunz, in: Maunz/Günter Dürig, Grundgesetz. Kommentar (Stand: 4. Aufl. München 1974 ff.), Art. 20 (Erstbearbeitung 1960), Rdn. 53; Roman Herzog, ebd. (Zweitbearbeitung 1978), Rdn. 44.

  31. So Hans Liermann, Das deutsche Volk als Rechtsbegriff im Reichsstaatsrecht der Gegenwart, Berlin 1927, S. 151.

  32. Werner Maihofer („Ein ausgewogener Einbau auch plebiszitärer Initiativen in unserer repräsentativen Demokratie, das würde ich eigentlich begrüßen") und Roman Herzog (Uberlegenswert, „ob nicht auch im Grundgesetz die plebiszitäre Komponente etwas, das unterstreiche ich allerdings, etwas gefestigt und verstärkt werden könnte") in der ZDF-Sendung „Bonner Perspektiven" v. 24. 2. 1978 (vervielfältigtes Stenogramm, hrsg. v. ZDF).

  33. Vgl. dazu Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 77.

  34. Dazu im einzelnen die Darlegungen bei Karl Fell, Plebiszitäre Einrichtungen im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, Diss. Bonn 1964, S. 56 ff., 63 ff., 74 ff., 83 ff., 89 f„ 95 ff., 103 ff., 119 f.

  35. Die Einschreibefrist für das Volksbegehren der „Bürgeraktion Volksbegehren gegen die Kooperative Schule" in NRW lief vom 16. 2. bis 2. 3. 1978. Es erbrachte insgesamt eine Eintragungsquote von 29, 9 Prozent der Eintragungsberechtigten (nach Art. 68 II Verf. NRW genügten 20 Prozent der Stimmberechtigten).

  36. Die Parlamentarier (Repräsentanten) erhalten damit die Bedeutung einer Elite, das Modell gewinnt aristokratische Züge; vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 217 ff.; oder Ulrich Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, in: Festschrift für Hans Huber, Bern 1961, S. 222 (231 m. N. 4), der insoweit einer Verwendung aber des Attributes „oligarchisch" zu Recht kritisch begegnet.

  37. Seit C. Schmitt, Verfa'ssungslehre, S. 204 ff., 234 f., wird die Identität von Herrschenden und Beherrschten nicht nur als begrifflicher Gegensatz zur Repräsentation angesehen, sondern auch von ihren Verfechtern unter (freilich verkürzender) Berufung auf Jean Jacques Rousseau (Du Contrat Social ou Principes du Droit politique, 1762 [Ausg. Bouchardy, Paris 1946], Buch III, Kap. 15, S. 159 ff.) als im Grunde einzig echte Form der Demokratie hingestellt.

  38. So vor allem etwa durch Scheuner, in: Festschrift H. Huber, S. 222, insb. 228 ff., 231 f„ der darin eine organische Fortentwicklung der mittelalterlichen Zustimmungslehre sieht. Zutreffend für die Einheitlichkeit der demokratischen Willensbildung im Staate als einem beständig von der „Basis" bis zu den Staatsorganen hineinreichenden politischen Prozeß auch z. B. Peter Häberle, Unmittelbare staatliche Parteienfinanzierung unter dem Grundgesetz, in: JuS 1967, S. 64 (66 ff.); Dimitris Tsatsos, Die Urteile des deutschen BVerfG v. 19. 7. 1966 zur Frage der Zulässigkeit staatlicher Parteienfinanzierung, in: ZaöRV 26 (1966), S. 371 (377 f.); Otto Ernst Kempen, Grundgesetz, Amtliche Öffentlichkeitsarbeit und politische Willensbildung, Berlin 1975, S. 159 ff., 174 ff.; oder Gunnar Folke Schuppert, Bürgerinitiativen als Bürgerbeteiligung an staatlichen Entscheidungen, in: AöR 102 (1977), S. 369 (395 ff. m. Nachw.): „Legitimation von Herrschaft als Prozeß“. Neuestens außerdem das BVerfG, U. v. 2. 3. 1977, E 44, 125 (139 f.).

  39. Nachdrücklich auch Gerhard Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, Berlin 1966’, S. 38: „Die Einschiebung eines Mittlers in das repräsentative Beziehungsverhältnis würde die Unmittelbarkeit der Repräsentation aufheben und damit die Möglichkeit einer solchen überhaupt ausschließen." Ihm folgend Scheuner, in: Festschrift H. Huber, S. 222 (231 zu N. 5): „In der Gefahr einer zu großen Entfernung der Staatsleitung von der legitimierenden Bestellung durch das Volk (liegt sicherlich) die spezifische Entartungsmöglichkeit eines repräsentativen Systems.“

  40. So prägnant Fraenkel, Repräsentative Komponente, S. 5 (Abs. 2 Ende), auch 7: „Zustand optimaler Kongruenz zwischen empirischem und hy-

  41. Als Kennzeichen „virtueller Repräsentation": Edmund Burke, Brief an Hercules Langrishe v. 3. 11. 1972, in: The Works of Edmund Burke, Ausgabe Rivington, London 1808, Bd. VI S. 297 (360).

  42. BVerfG, U. v. 19. 7. 1966, E 20, 56 (96 ff., insb. 99, 101 f.). Allerdings wird dort diese Darstellung dogmatisch anfechtbar aus dem Demokratieprinzip schlechthin sowie dem freiheitlichen Meinungsbildungsprozeß des Volkes, „Art. 5 I GG“ (!), abgeleitet.

  43. Versteht man das Problem der „demokratischen Legitimität eines politischen Systems“ richtigerweise nicht ausschließlich als empirisch-soziologische, sondern mindestens auch normative Frage, ist die verbreitete Neigung, von einer „demokratischen Legitimitätskrise" der Bundesrepu-blik zu sprechen, entschieden fehl am Platze. Nicht das verfassungserrichtete Gefüge hat in irgendeiner Weise an Schlüssigkeit verloren, sondern allenfalls sind Fehlentwicklungen in seiner realen politischen Verwirklichung feststellbar. Ähnlich auch das Fazit von Kriele, Legitimitätsprobleme der Bundesrepublik, München 1977, und Peter Graf Kielmannsegg, Volkssouveränität. Eine Untersuchung der Bedingungen demokratischer Legitimität, Stuttgart 1977.

  44. Die womöglich bestehende „heimliche Furcht vor zuviel Demokratie" (Henke, in: DVB 1. 1973, S. 553) erweist sich denn auch eher als Mißtrauen gegen Unvoreingenommenheit, Integrität und Urteilsvermögen der Parlamentsmitglieder bzw. die Haltbarkeit statusmäßiger Absicherung solcher Eigenschaften.

  45. BVerfG, U. v. 30. 7. 1958, E 8, 104 (113).

  46. Hierzu nur beispielhaft Helmut Bauer, Die Presse und die öffentliche Meinung, München 1965; Klaus-Peter Gerber/Manfred Stosberg, Die Massenmedien und die Organisation politischer Interessen, in: Gesellschaft und Kommunikation, Bd. 2, Bielefeld 1969; Ralf Zoll/Eike Hennig, Massenmedien und Meinungsbildung, in: Politisches Verhalten, Bd. 4, München 1970.

  47. Die nachfolgend eher beispielhaft denn erschöpfend aufgezählten Momente werden verschiedentlich nicht nur als Gründe gegen die unmittelbare Volksherrschaft, sondern überhaupt gegen Realisierbarkeit wirklicher Demokratie in einem Staat wie der Bundesrepublik angeführt. Diese Stimmen übersehen, daß es schon theoretisch weniger um die Frage „Demokratie — ja oder nein" geht, als vielmehr darum, wie ihren realen Verwirklichungsbedingungen entsprochen werden kann. Es gibt eben nicht die eine „echte" Demokratie, sondern ihre repräsentative Form ist eine ebenso vollwertige und schlüssige Variante wie die unmittelbare. Treffend insoweit Henke, Rez., in: DOV 1977, S. 376: Es ist verfehlt, von einer •Eigentlich-Demokratie auszugehen (eigentlich dürfte es nur Volk geben), in der aller Stabilität und Führung eo ipso der Geruch der Illegitimität anhaftet, statt von einem politischen Demokratiebegriff, der von Anfang an beide Elemente und ihre Spannung in sich trägt."

  48. So die stete, nur leicht variierte Formel des BVerfG, seit U. v. 5. 4. 1952, E 1, 208 (225). Andere Formulierungen des Gerichts sprechen von den Parteien noch etwa als „verfassungsrechtlichen Institutionen" (z. B. U. v. 23. 10. 1952, E 2, 1, 73; bis B. v. 17. 1. 1978, E 47, 130, 140) oder „nicht . formierten'Verfassungsorganen“ (E 1, 208, 225; B. v. 20. 7. 1954, E 4, 27, 29), womit allerdings doch der Unterschied zu den wirklichen Staatsorganen etwas verwischt erscheint.

  49. Zur Verfestigung dieser Auffassung gegen Ende der Weimarer Republik vgl. Peter Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38 (Zweitbearb. 1966), Rdn. 14, m. w. Nachw.

  50. Werner Weber, in: Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, S. 9 (20, 22); ähnlich bereits abstrakt Fritz Fleiner, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Zürich 1923, S. 317.

  51. Anders Leibholz, Der Strukturwandel der modernen Demokratie (1952), jetzt in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, Karlsruhe 1967 3, S. 78 (93 ff.), — sehr viel versöhnlicher indes etwa bei , Staat und Verbände', in: VVDStRL 24 (1966), S. 5 (14 ff.) —, demzufolge im modernen Massenstaat den Parteien die Bildung des Volkswillens zugewiesen sei. Wie hier indes etwa Scheuner, in: Festschrift H. Huber, S. 222 (240); oder Henke, in: Bonner Kommentar, Art. 21 Rdn. 14; auch BVerfG, U. v. 19. 7. 1966, E 20, 56 (114); B. v. 9. 3. 1976, E 41, 399 (417).

  52. Flach, Bürgerinitiativen und repräsentative Demokratie, in: liberal 14 (1972), S. 245 (247/8); ähnlich auch bereits BVerfG, U. v. 23. 10. 1952, E 2, 1 (11).

  53. Zur Vermittlungs-und Ausgleichungsfunktion der Parteien speziell auch das BVerfG: etwa U. v. 19. 7. 1966, E 20, 56 (101); U. v. 2. 3. 1977, E 44, 125 (146); B. v. 17. 1. 1978, E 47, 130 (140).

  54. Zutreffend vermerkt Walter Schmidt, Bürgerinitiativen — politische Willensbildung — Staatsgewalt, in: JZ 1978, S. 293 (297), daß „das Auftreten der Bürgerinitiativen für die Verfassungspraxis die zunehmende (reale) Bedeutung der politischen Willensbildung vor der Ausübung von Staatsgewalt" signalisiere.

  55. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen — Gefahren — Chancen, München 1966, S. 128 und nachfolgend.

  56. Sie mögen hier nur angedeutet werden durch Stichworte wie „Wirtschafts-und Sozialwachstum“, „Umweltschutz", „freiheitliche Melioration der Gesellschaft“ (Dahrendorf) bzw. „Lebensqualität".

  57. Dazu neuestens mit eingehendem Zahlenmaterial Michael Bretschneider, Mitgliederzahlen von Parteien und ihre räumliche Verteilung 1977, Berlin 1978.

  58. Die wichtige demokratische Funktion der Wahlkandidatenaufstellung in den Parteien betont schon Scheuner, in: Festschrift H. Huber, S. 222 (233); vgl. auch BVerfG, B. v. 9. 3. 1976, E 41, 399 (418). Tatsächlich betreffen rund 80 Prozent des innerparteilichen Entscheidungsprozesses heute Personalfragen; vgl. Albert v. Mutius, Die repräsentative Demokratie in der kommunalen Selbstverwaltung, in: Eildienst LKT NRW 1978 Nr. 130, S. 201 (204 vor IV).

  59. Etwa: K. Kaufmann u. a., Die Auswahl der Bundestagskandidaten 1957, Köln 1961; Bodo Zeuner, Kandidatenauswahl zur Bundestagswahl 1965, Den Haag 1970; Klaus v. Beyme, Die politische Elite in der Bundesrepublik Deutschland, München 1971; Dietrich Herzog, Politische Karrieren. Selektion und Professionalisierung politischer

  60. Die „Tendenz zur Oligarchisierung" vermerkt auch der Schlußbericht der Enquete-Kommission „Verfassungsreform", BT-Drucks. 7/5924, Kap. 1 ONr. 2. 4 (S. 12).

  61. Dazu letzthin nur Erich Röper, Krise der Parlamentarier, in: ZRP 1976, S. 116 ff. Zur institutionellen Seite Schmitt Glaeser, in: VVDStRL 31 (1973), S. 179 (200 ff. m. w. Nachw.).

  62. Kürzlich besonders eindringlich demonstriert etwa durch das Tauziehen zwischen CDU/CSU und SPD um die Besetzung einer Abteilungsleiterstelle im Bundeskriminalamt. Unbefangen fragt man sich doch, was die Arbeit im Bundeskriminalamt mit einer Parteizugehörigkeit des betreffenden Beamten zu tun haben kann. — Vgl. zum Ganzen Hans-Joachim Jenke, Sachfremde Einflüsse auf Statusentscheidungen von Beamten, Diss. jur., Göttingen 1974; und neuestens Frido Wagener, Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, in: VVDStRL 37 (1979), S. 215 (234 ff.); Walter Leisner, Demokratie — Selbstzerstörung einer Staatsform? (Berlin 1979), S. 133 ff.

  63. Es kommt zu Bevorzugungen bestimmter Personen oder Anliegen und zu Gefälligkeitsleistungen; andererseits treten gezielte oder durch Passivität entstandene Verzögerungen auf.

  64. „Volle Ausschöpfung des Entscheidungsrahmens" wird die eine Seite in der Verwaltungssprache genannt, restriktive Anwendung von Bestimmungen steht gegenüber. Auch im Bereich der Exekutivkompetenz zur Prüfung der (Verfassungs-) Rechtmäßigkeit auszuführender Vorschriften (dazu Dietrich Rauschning, Die Sicherung der Beachtung von Verfassungsrecht, Bad Homburg 1969, S. 136 ff.) kommt es zu Bereitschaftsunterschieden.

  65. Thaysen, in: ZParl 9 (1978), S. 87 (91 f.).

  66. Erinnert sei nur an die weithin durchaus unverdächtig und analytisch gemeinte Herausstreichungsprogrammatik des „politischen Richters" Anfang der siebziger Jahre, die mittlerweile längst in sich zusammengefallen ist. Angeführt werden mag weiter das z. T. unschöne Tauziehen der Parteien bei der Neubesetzung von Richter-stellen im BVerfG 1971, das für die Inszenierer im Endeffekt wenig Nutzen zeigte und dann beim Revirement 1975 auch von vornherein durch einsichtige Ernsthaftigkeit und Qualitätssuche ersetzt wurde.

  67. Schlagworte wie „Ämterpatronage", „Privilegien-" und „Speziwirtschaft", „Prämie auf den Machtbesitz" o. ä. kennzeichnen diesen Bereich; auch die Chiffre von der „Filzokratie" reicht bis hier hinein.

  68. BVerfG, U. v. 19. 7. 1966, E 20, 56 ff., das den Sondermittelansatz im Haushaltsplan 1965: 38 Mio. DM „für die Aufgaben der Parteien nach Art. 21 des Grundgesetzes“ für verfassungswidrig erklärte.

  69. BVerfG, U. v. 3. 12. 1968, E 24, 300 ff.: Kassation des Vorbehaltes von Wahlkampfkostenerstattung nur für Parteien, die bei den Wahlen mindestens 2, 5 Prozent der Zweitstimmen erhielten.

  70. Vgl. einerseits in den Finanzrechenschaftsberichten der Parteien die übliche Ausweisung großer Spendenposten als von impermeablen „Staatsbürgerlichen Vereinigungen“ oder anderen Vermittlungsorganisationen getätigt, andererseits den im Juni 1978 an die Öffentlichkeit gekommen Weg, Gelder als Betriebsausgaben für (substantiell wertlose) Leistungen von Briefkastenfirmen zu zahlen, welche — oft schon organisatorisch dubios mit Parteistellen verklammert — diese dann als Spenden an die betreffende Partei gehen lassen.

  71. BVerfG, B. v. 9. 3. 1976, E 41, 399 ff.

  72. BVerfG, EndU. v. 5. 11. 1975, E 40, 296 (314). Zur meist kritischen Diskussion des dort gezeichneten Bildes vom Abgeordnetenmandat s. die Nachw. bei Joachim Henkel, Amt und Mandat, Berlin 1977, S. 7 N. 1. .

  73. In der Öffentlichkeit (Presse) wird hier unverhohlen von „Selbstbedienung" gesprochen. Auch die löblichen Selbstbeschränkungsvorsätze der Mehrheitsfraktion im Baden-Württembergischen Landtag vom Sommer 1977 (dazu „Parlamentsreform in Stuttgart“, Süddeutsche Zeitung v. 26. 8. 1977, S. 1 f.) schwanden bald dahin: dort war noch das Bekenntnis zum „niedriger bezahlten Teilzeit-Abgeordneten" enthalten, der weiterhin bis ca. 50 Prozent seiner Arbeitskraft dem praktischen Berufsleben widmen könne und solle. — Zum höchst negativen Urteil der Bürger über das Entschädigungsgebaren s. Thaysen, Repräsentative Erhebung: Unmut über die Diätenerhöhung, in: ZParl 9 (1978), S. 451.

  74. Vgl. Egon Bahr, Bundesgeschäftsführer der SPD, auf der energiepolitischen Fachtagung der SPD am 28729. 4. 1977 in Köln (nachgew. bei E. P. Müller, in: Streitsache „Bürgerinitiativen" [a. a. O. N. 6], S. 7, 20): Bundesfachausschuß Innenpolitik der CDU v. 7. 10. 1977 in: Zum Thema Bürgerinitiativen als Problem von Staat und Gesellschaft, hrsg. v. d. CDU-Bundesgeschäftsstelle, Bonn o. J., S. 7; Günter Verheugen, Bundesgeschäftsführer der FDP auf deren Kieler Parteitag 1977 (laut Süddeutsche Zeitung v. 8. 11. 1977, S. 3).

  75. Insofern würde ich auch der Kritik Wilhelm Hennis’ zustimmen (W. H., Organisierter Sozialismus. Zum „strategischen“ Staats-und Politikverständnis der Sozialdemokratie, Stuttgart 1977, S. 8), verhängnisvoll sei die Entwicklung zu „Programmparteien“, die „die Reinheit der Lehre" über eine Beteiligung an der Regierungsmacht stellten; ihm folgend außerdem Hans H. Klein, Rez. in: Der Staat 17 (1978), S. 129 (132).

  76. Bisher auch in der öffentlichen Diskussion am nachhaltigsten geäußerter Kritikpunkt.

  77. Wilfried Berg, Verbände in der parlamentarischen Demokratie, in: VwArch 11 (1978), S. 71 (72).

  78. Konrad Hesse, Bemerkungen zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: DGV 1975, S. 437 (439 nach N. 32).

  79. BVerfGPräs. Ernst Benda am 21. 4. 1978 in Berlin (zit. nach Süddeutsche Zeitung v. 22. /23. 4. 1978, S. 7).

  80. So schon 1972 Flach, in: liberal 14, S. 245 (250).

  81. Dazu auch BTVizePräs. Annemarie Renger (SPD) i. d. 73. Sitzung d. 8. BT v. 17. 2. 1978, StenB 8/5764 A; oder CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, laut Süddeutscher Zeitung v. 6. 7. 1978, S. 4 Sp. 1.

  82. Ähnlich Michael Klöpfer, Übergangsgerechtigkeit bei Gesetzesänderungen und Stichtagsregelungen, in: DOV 1978, S. 225 (226 1. Sp.).

  83. Dazu Kurt Sontheimer, Zur neueren Kritik an der pluralistischen Demokratie (1964), in: Fraenkel/Sontheimer/Crick, Beiträge zur Theorie und Kritik der pluralistischen Demokratie, Schriften der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1970’, S. 25 (30); sowie Zilleßen, in: Aus Politik und Zeit-geschichte, B 12/74, S. 5.

  84. In gleicher Richtung etwa die Kritik sowohl von Hans Roser (CSU) in seinem bekannten offenen Brief an den Parteivorsitzenden nach dem CSU-Parteitag 1977 als auch Erhard Eppler (SPD) am 31. 1. 1978 in München laut Süddeutsche Zeitung v. 1. 2. 1978, S. 14 Sp. 3/4; konzedierend auch BTPräs. Karl Carstens in der Podiumsdiskussion „Die Zukunft der Demokratie" der Evangelischen Akademie Tutzing v. 1. 10. 1978, s. Dokumentation in: Süddeutsche Zeitung v. 5. 10. 1978, S. 10 Sp. 2. Vgl. außerdem Manfred Linz, Noch miteinander reden, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt v. 2. 4. 1978, S. 15; oder als neutrale Auslandsstimme Hansmartin Schmid, Bedenkliches „großes Feldgeschrei", in: Der Bund (Bern) v. 26. 4. 1978, S. 1. — Bemerkenswerterweise sind es im übrigen vielfach dieselben Vorreiter, die dann mit großem Crescendo die „Gemeinsamkeit der Demokraten" beschwören.

  85. So etwa Alfred Grosser am 20. 8. 1978 im Südwestfunk. Speziell für Schweden etwa (mit weiteren interessanten Befunden) Gunnar Heckscher, Förtroendet för demokratin avtar, in: Svenska Dagbladet (Stockholm) v. 27. 8. 1978, S. 3. Für die Bundesrepublik registrierte bereits 1972 Flach eine „grundsätzliche Parteienmüdigkeit" (in: liberal 14, S. 245, 250).

  86. Veröffentlicht in: Capital. Das deutsche Wirtschaftsmagazin 16. Jg. (1977), einerseits „Wie unzufrieden die Deutschen sind", Heft 10, S. 217 (220), andererseits „Wie die Deutschen wählen würden", Heft 9, S. 111 (120).

  87. Werner Kaltefleiter bezifferte es am 2. 5. 1978 im Süddeutschen Rundfunk auf 20 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung.

  88. Eine reale, mehrheitsfähige Partei bedarf eines umfassenden Aussagespektrums; für sie wird Bündelung, nicht Isolierung der Interessen verlangt. Der Übergang von thematischer Einseitigkeit zur thematischen Vielseitigkeit kennzeichnet die essentielle Wandlungsschwelle von der Bürgerinitiative zur Partei; ähnlich offenbar Thomas Ellwein/Eckehard Lippert/Ralf Zoll, Politische Beteiligung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Schriften der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel, Bd. 89, Göttingen 1975, S. 149 f.; oder Achterberg, in: NJW 1978, S. 1993 (1997 vor V). Zur Aussagetotalität der Parteien jüngst auch Friedrich Schäfer i. d. 73. Sitzung d. 8. BT v. 17. 2. 1978, StenB 8/5781 D— 5782 A; sowie BGH, U. v. 5. 10. 1978 (II ZR 177/76), AU S. 6. ff.: weshalb zwischen der Mitgliedschaft in einer politischen Partei und der Unterstützung einer Bürgerinitiative keine absolute Unvereinbarkeit angenommen werden könne.

  89. Hierzu etwa „In Fredersdorfs Partei ist für viele Platz", in: Hannoversche Allgemeine v. 7. 12. 1978, S. 2.

  90. Vgl. im einzelnen Bayerisches Staatsministerium des Innern, Pressemitteilung v. 14. 8. 1973 über das Ergebnis einer Untersuchung „Bürgerinitiativen in Bayern", S. 5 f.; Bericht einer Forschungsgruppe an der FU Berlin (hrsg. v. Rolf-Peter Lange), in: ZParl 4 (1973), S. 247 (262); Bürgerinitiativen im Ruhrgebiet (Schriftenreihe des Siedlungsverbandes Ruhrkohlebezirk, Heft 35, Essen 1973) = (gekürzt) Barbara Borsdorf-Ruhl, in: PVS-Sonderheft 6/1975, S. 343 (349); Paul v. Kodolitsch, Gemeindeverwaltungen und Bürgerinitiativen (Erhebung des Deutschen Instituts für Urbanistik), in: AfK 1975, S. 264 (274).

  91. So etwa Bayer. Ministerium des Innern (a. a. O.) und die Ruhrgebiet-Untersuchung (a. a. O„ Tabelle 111).

  92. Vgl. v. Kodolitsch (a. a. O.); StS Günter Hart-kopf, in: Bürgerinitiativen — Wege oder Irrwege der parlamentarischen Demokratie? (a. a. O., oben N. 4) S. 24: 60 Prozent auf der kommunaler, 30 Prozent auf Landes-, 10 Prozent auf Bundesebene;, oder Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, S. 265 f.

  93. Vgl. U. Herlyn, a. a. O. (oben N. 4). Anders offenbar die Einschätzung von Klaus Peter Kabelitz/Horst P. Sander, Bürgerbeteiligung im Umweltschutz, in: Streitsache „Bürgerinitiativen" (a. a. O. oben N. 6), S. 39 (46 ff.). Dazu, daß wirkliche Konfliktstrategien empirisch kaum ins Gewicht fallen und nur wegen ihres publizistischen und überregionalen Echos leicht stärker eingeschätzt wer-

  94. Vgl. außer den oben N. 75 Genannten etwa auch den stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Richard v. Weizsäkker am 11. 7. 1978 auf der 25. Jahrestagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing (laut Süddeutsche Zeitung v. 12. 7. 1978, S. 2 Sp. 4); sowie jüngst vorsichtig auch Bundespräsident Walter Scheel und Bundeskanzler Helmut Schmidt auf der Diskussionsveranstaltung „Die Zukunft der Demokratie" v. 1. 10. 1978, Dokumentation (a. a. O. oben N. 85) S. 10, Sp. 2 bzw. Sp. 3.

  95. So auch die Einschätzung von E. P. Müller, in: Streitsache „Bürgerinitiativen" (a. a. O. oben N. 6), S. 8 (23, 26/7).

  96. Laut Umfragen der „Forschungsgruppe Wahlen e. V." (Institut für Wahlanalysen und Gesellschaftsbeobachtung) in Mannheim antworteten im Oktober 1975 auf die Frage: „Können Sie sich vorstellen, daß Sie sich an ... Bürgerprotesten beteiligen, haben Sie sich schon einmal beteiligt oder wären Sie grundsätzlich dagegen?“, noch 48 Prozent der Befragten mit „Würde mich beteiligen“ (32 Prozent „Wäre dagegen“), Februar 1977 immerhin 43 Prozent (30 Prozent), August 1977 hingegen nurmehr 26 Prozent (47 Prozent). Auf diese Ergebnisse verwies auch die „Blickpunkt" -Sendung der ARD v. 18. 3. 1977. Unzutreffend insoweit die Angaben bei Thaysen, in: ZParl 9 (1978), S. 87 (100 m. N. 33).

  97. Aus gänzlich anderer, parlamentaristisch-verfahrensmäßiger Perspektive i. Erg. auch Achter-berg, in: NJW 1978, S. 1993 (1996 f. sub IV).

  98. Ich sehe in ihnen mithin auch nicht organische Ersatzwege für die Wahrung bzw. Wiederherstellung demokratischer Staatslegitimation, wie es Thaysen (ZParl 1978, S. 87, 92 f.) unter Bezugnahme auf Walter Schmitt Glaeser als „die ver-fassungsrechtliche Einschätzung" hinstellt. Schmitt Glaeser, in: VVDStRL 31 (1973), S. 179 (200 ff., 214 ff., 260), hatte lediglich die verwirklichten Einzelformen von Partizipation im Auge, keineswegs aber die vorgelagerte, generelle Erscheinung der Bürgerinitiativen, und katalogisierte selbst dort im übrigen nicht so wie behauptet. Ich verstehe die Bürgerinitiativen vielmehr als Indikatoren einer eingetretenen Störung im Legitimationsfluß und damit Veranlasser, nicht Mittel zur Rückgewinnung des verfassungssystematischen Zielzustandes.

  99. Dieser Gefahr sind alle Bürgerinitiativen, Vereinigungen und Verbände spezifisch ausgesetzt. Ihr zu erliegen bedeutete, daß (erneut) das Demokratiegebot in seiner Substanz „ausmanövriert" und — verfahrensmäßig gesprochen — eine Individualrechte verkürzende, „selbst beigelegte Rechtswahrerschaft" errichtet würde; vgl. Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: VVDStRL 34 (1976), S. 221 (250); und Richard Pfaff, Die Gemeinden als legitime und legale Repräsentanten von Bürgerinteressen, in: VwArch 70 (1979), S. 1 (7 m. N. 39).

  100. Auf diese Umkippschwelle weist insb. auch hin v. Mutius, in: Bürgerinitiativen — Wege oder Irrwege der parlamentarischen Demokratie?, a. a. O., S. 43.

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Edzard Schmidt-Jortzig, Prof. Dr. jur., 37 Jahre; Studium der Rechts-und Staatswissenschaften in Bonn, Lausanne/CH und Kiel; nach den beiden Juristischen Staatsexamina Assessor in der Kommunalverwaltung; Ende 1970 Wissensch. Assistent an der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen; 1975/1976 Habilitationsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft; seit 1977 Professor für Öffentliches Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Veröffentlichungen u. a.: Die Pflicht zur Geschlossenheit der kpllegialen Regierung. Regierungszwang, Stuttgart 1973; Zur Verfassungsmäßigkeit von Kreisumlagesätzen, Göttingen 1977; Kommunale Organisationshoheit. Staatliche Organisationsgewalt und körperschaftliche Selbstverwaltung, Göttingen 1979; Die Einrichtungsgarantien der Verfassung, Göttingen 1979.