Möglichkeiten und Grenzen seines Wirkens
In ihrer Ausgabe vom 23. Februar dieses Jahres meldete die „Süddeutsche Zeitung, CSU-Generalsekretär Edmung Stoiber habe es als „einen Skandal" 'bezeichnet, daß dem „stern" eine „Amtliche Auskunft" des Bundeskanzleramts für das Oberlandesgericht Köln über den Bundestagspräsidenten Carstens und dessen Kenntnisse von illegalen Waffen-geschäften des BND in die Hände gefallen sei. „Den Presserat forderte Stoiber auf", so berichtete die „Süddeutsche Zeitung" weiter, „sich sofort mit der Affäre zu beschäftigen und endlich klare Grenzen zwischen Pressefreiheit und Schmierentheater zu ziehen". Wenige Monate zuvor hatte der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner den Presserat wegen der Berichterstattung der „Bild am Sonntag" und anderer Blätter über den angeblichen Spionagefall Holtz/Broude-Gröger angerufen. In einem andern Fall — er liegt gut anderthalb Jahre zurück — wandte sich der CDU-Vorsitzende Kohl an den Presserat, weil der „stern" während der Entführung des Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Schleyer, das Ergebnis eines Gesprächs zwischen dem Bundeskanzler und dem Oppositionsführer veröffentlicht hatte.
Die drei Beispiele mögen genügen, um einige Thesen zu wagen: Führende Politiker in der Bundesrepublik nutzen das zur Zeit aus elf Verlegern und elf Journalisten bestehende freiwillige Selbstkontrollgremium, wenn es um Presseveröffentlichungen mit politischer Brisanz geht, durchaus als Appellationsinstanz. Die Kritik richtet sich dabei stets gegen Publikationen, die mit der eigenen Anschauung nicht konform gehen. Wichtiger als die viel später vorliegende Entscheidung erscheint den Politikern, wie sie hinter vorgehaltener Hand durchaus zugeben, die Nachricht, daß die Selbstkontollinstanz bemüht werden soll. Allein ihre Einschaltung könnte — so offensichtlich die Spekulation der Beschwerdeführer — in der Öffentlichkeit den Der Verfasser legt Wert auf die Feststellung, daß er dieses Manuskript im April 1979 abgeschlossen hat, also vor seiner Berufung zum Senatssprecher in Berlin (West). aus parteipolitischer Sicht höchst willkommenen Eindruck erwecken, die ungeliebte Zeitung oder Zeitschrift habe sich publizistisch-moralisch ins Abseits begeben. Ob der Deutsche Presserat dies nun wahrhaben will oder nicht — wenn es um politisch interessante Konflikte geht, sozusagen um die Wurst, steht er selbst mitten in der Auseinandersetzung; er wird, je nach Opportunität, als Waffe im politischen Kampf verwendet oder gemieden — eine Entwicklung, die wohl schwerlich vorauszusehen war, als 1956 fünf Verleger und fünf Journalisten den Deutschen Presserat gründeten. Eines der auslösenden Momente für diese Initiative war der -Entwurf eines Pressegesetzes der Bundesregierung im März 1952, der die Einrichtung von Landespresseausschüssen vorsah. Durch derlei staatliche Aktivitäten und Vorhaben alarmiert, verständigten sich der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und der Bundes-verband Deutscher Zeitungsverleger auf die Bildung einer Selbstkontrolleinrichtung. Sie benannten je fünf Mitglieder, nämlich die Journalisten Dr. Helmut Cron, Professor Dr.
Emil Dovifat, Dr. Alfred Frankenfeld, Dr. Rupert Gießler und Dr. Ernst Müller-Meiningen sowie die Verleger Dr. Wilhelm Batz, Emil Groß, Dr. Walter Jänecke, Franz K. Maier und Dr. Hugo Stenzel. Die Gründungsmitglieder stellten sich vier grundsätzliche Aufgaben, nämlich — die Pressefreiheit . zu schützen, den unbehinderten Zugang zu den Nachrichtenquellen zu sichern;
— Mißstände im Pressewesen festzustellen und zu beseitigen;
— die strukturelle Entwicklung der deutschen Presse zu beobachten und freiheitsgefährdende Konzern-und Monopolbildungen abzuwehren;
— die deutsche Presse gegenüber Regierung, Parlament und Öffentlichkeit zu vertreten, besonders bei Gesetzesvorlagen, die Leben und Aufgaben der Presse angehen.
Als sich der Presserat fast genau zwanzig Jahre nach seiner Gründung als Verein eintragen ließ und eine neue Satzung gab, for-mulierte er noch einmal seine Aufgaben. Sie lauteten nun:
„a) Mißstände im Pressewesen festzustellen und auf deren Beseitigung hinzuwirken;
b) Beschwerden über einzelne Zeitungen, Zeitschriften oder Pressedienste zu prüfen und in begründeten Fällen Rügen auszusprechen; c) Empfehlungen und Richtlinien für die publizistische Arbeit zu geben;
d) für den unbehinderten Zugang zu den Nachrichtenmedien einzutreten;
e) Strukturveränderungen in der Presse aufzuzeigen und Entwicklungen entgegenzutreten, die die freie Information und Meinungsbildung des Bürgers gefährden könnten-, f) in Pressefragen gegenüber Gesetzgeber, Regierung und Öffentlichkeit Vorschläge zu machen und Stellung zu nehmen, wo es der Presserat für erforderlich hält."
Vergleicht man die beiden Aufgabenkataloge miteinander, fällt auf, daß zwar grundsätzlich im Selbstverständnis kaum Wandlungen, sehr wohl aber Akzentverlagerungen eingetreten sind. Dies läßt sich vor allem aus der neu formulierten Aufgabe, Beschwerden über einzelne Zeitungen und Zeitschriften zu prüfen und in begründeten Fällen Rügen auszusprechen, ablesen.
Bei einem Rückblick auf die Tätigkeit des Selbstkontrollgremiums in den letzten 23 Jahren läßt sich — vereinfachend — feststellen: In den ersten zehn Jahren hat sich der Rat vorrangig mit gesetzgeberischen Vorhaben der Regierung, vorübergehend besonders mit der Pressekonzentration und in den letzten zehn Jahren vor allem mit Verstößen gegen die publizistische Moral auseinandergesetzt. In den folgenden Abschnitten wird zu untersuchen sein, wie der Rat seine Aufgaben erfüllt hat.
Der Deutsche Presserat Aufgaben — Organisation — Mitglieder Der Deutsche Presserat ist ein Zusammenschluß gleichberechtigter, unabhängiger und an Weisungen nicht gebundener Persönlichkeiten der Presse in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West). Er hat sich die Aufgabe gestellt, die Pressefreiheit zu schützen und das Ansehen der deutschen Presse zu wahren. Das Selbstkontrollorgan verfügt über keine Sanktionsmittel, übt keine Zensur aus und kann keine Berufsverbote aussprechen. Es ist also auf die freiwillige Anerkennung durch die Presse angewiesen Seine Mitglieder — zur Zeit 22 — werden vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger, dem Deutschen Journalisten-Verband und der Industriegewerkschaft Druck und Papier (Deutsche Journalisten-Union) gewählt bzw. berufen. Der normalerweise vier-bis fünfmal im Jahr tagende Presserat und sein doppelt so häufig beratender Beschwerdeausschuß werden aus Mitteln der oben erwähnten Trägerverbände und dem Haushalt des Deutschen Bundestages bezahlt Beschwerden über Verstöße gegen die „Publizistischen Grundsätze“ können von jedermann bei der Geschäftsstelle des Deutschen Presserates, Wurzerstraße 43, 5300 Bonn 2, vorgebracht werden. Nach dem Stand vom 31. 1. 1979 gehören dem Presserat folgende Mitglieder an: Verleger Otto Wolfgang Bechtle, „Eßlinger Zeitung”, Eßlingen; Verlagsdirektor Hans Detlev Becker, „Spiegel" -Verlag, Hamburg; Verlagsdifektor Ulrich Fortmann, Jahreszeiten-Verlag, Hamburg; Prof. Dr. Hauß, Vizepräsident des Bundesgerichtshofes a. D. (als unabhängiger Vorsitzender des Beschwerdeausschusses kooptiert); Redakteur Dr. Detlef Hensche, „die feder", „druck und papier“, Stuttgart; Chefredakteur Werner Hill, „Speyerer Tagespost", Speyer; Verleger Dr. Werner Hippe, Asgard Verlag, St. Augustin; Redakteur Wolfgang Lintl, Radio Bremen; Helmut Lölhöffel, „Süddeutsche Zeitung“, Büro Ost-Berlin; Verleger Gustav Lübbe, Bastei Verlag, Gustav-Lübbe-Verlag, Bergisch-Gladbach; Redakteurin Dr. Erika Martens, „Die Zeit“, Hamburg; Chefredakteur Eberhard Maseberg, „Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt", Hamburg; Chefredakteur Dr. Hermann Meyn, „journalist", Bonn; Chefredakteur Friedrich F. Sackenheim, Hessischer Rundfunk, Frankfurt; Verlagsdirektor Wilhelm Schmitz, Einhard Verlag, Aachen; Geschäftsführender Redakteur Georg Schwinghammer, „Wetzlarer Neue Zeitung“, Wetzlar; Chefredakteur Helmut Sethe, „Husumer Nachrichten", Husum; Eckart Spoo, „Frankfurter Rundschau", Büro Hannover; Direktor Adam Vollhardt, Axel Springer Verlag AG, Hamburg; Verleger Jürgen Wessel, „Lübecker Nachichten", Lübeck; Velegerin Dr. Brigitte Weyl, „Südkurier“, Konstanz; Verleger Hans Wilhelmi, „Gießener Anzeiger", Gießen; Chefredakteur und Mitherausgeber Hans-Dieter Wolfinger, „Evangelische Kirchenzeitung für Baden: Aufbruch“, Karlsruhe.
I. Äußere Pressefreiheit
Der anfangs aus zehn, später unter Beteiligung des Vereins Deutscher Zeitschriftenverleger und der Deutschen Journalisten-Union in der Industriegewerkschaft Druck und Papier aus 20 „unabhängigen und an Weisungen nicht gebundenen Persönlichkeiten der deutschen Presse" bestehende Rat hatte zunächst alle Hände voll zu tun, um Bedrohungen der Pressefreiheit durch staatliche Initiativen abzuwehren. Er machte 1956 Front gegen die in Bayern zum Nachteil der Presse beabsichtigte Änderung der Beschlagnahme, zu der nicht mehr der Richter allein, sondern auch die Polizei berechtigt sein sollte. 1957 kritisierte der Rat den Ausschluß der Pressefotografen aus dem Bundestag vor der Bundestagswahl und die Beschlagnahme einer Reihe von Zeitungen wegen der Veröffentlichung eines Wahlinserats. 1958/1959 richtete sich der Hauptstoß gegen Bestrebungen, den Ehrenschütz für ausländische Staatsoberhäupter zu verstärken („lex Soraya"). Ein entsprechender Entwurf der Bundesregierung war nach Meinung des Presserates „gekennzeichnet durch die Bestimmung, daß eine Beweis-erhebung über die Wahrheit einer , herabwürdigenden Behauptung'unzulässig sein soll, die das Privat-oder Familienleben eines ausländischen Staatsoberhauptes oder eines seiner Angehörigen betrifft" Mit dieser Bestimmung werde, so urteilte der Rat, „ein in der demokratischen Rechtsgeschichte Deutschlands beispielloser Einbruch in das Gurndrecht der freien Meinungsäußerung versucht, dessen Folgen für die Freiheit der Presse unabsehbar wären“ Das Thema „lex Soraya“ brachten die Presseratsmitglieder auch in einem Gespräch mit Bundeskanzler Adenauer am 15. Juli 1958 zur Sprache, der sein Vorhaben verteidigte und die Kritiker mit der Erklärung zu beschwichtigen suchte:
»Aber, meine Herren, wo denken Sie hin?
Nichts liegt uns ferner, als der politischen Meinungsfreiheit Zügel anzulegen. Sie ist nötig, und sie bleibt absolut gesichert.“
Schon kurze Zeit später, nämlich im Oktober 1958, kamen dem Rat erneut Zweifel daran, ob das Verständnis der Regierung von der Freiheit der Presse mit seinen Vorstellungen vereinbar sei. Als „Haupteinwand" gegen einen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des zivilrechtlichen Persönlichkeits-und Ehrenschutzes bezeichnete der Rat am 7. Oktober 1978 die Tatsache, „daß das Grundrecht der Pressefreiheit gegenüber dem an sich durchaus anerkennenswerten Persönlichkeitsrecht teilweise kein, teilweise eine höchst unbefriedigende Berücksichtigung gefunden hat" Weiter hieß es in der Stellungnahme: „Der Entwurf übersieht völlig die öffentliche Aufgabe der Presse im Sinne der öffentlichen Kontrolle. Würde der Entwurf in der vorgeschlagenen Fassung Gesetz, so würde dies eine schwere Beeinträchtigung der Pressefreiheit bedeuten, ja, die Frage der Verfassungswidrigkeit aufwerfen." Markige Worte, fürwahr, die jedoch auch belegen, mit welcher Vehemenz und Geschlossenheit der Rat die Pläne der Bundesregierung ablehnte. Die sich in solchen Vorhaben decouvrierende Einstellung zur Pressefreiheit beschränkte sich zu jener Zeit nach Meinung des Presserates jedoch nicht allein auf die Regierenden. Kritisch merkte der Sprecher des Presserates, Franz Karl Maier, im Tätigkeitsbericht 1960 an: „über die Rangordnung der Pressefreiheit, über das funktionelle Wesen einer freien Presse im demokratischen Staat, über die konkrete Bedeutung des Grundrechts der Pressefreiheit, wie es unsere Verfassung normiert, stößt man häufig genug auf unklare oder seltsame Vorstellungen, die der Historiker vermutlich als Überreste obrigkeitsstaatlichen Denkens diagnostizieren würde. Der Druck der Presse auf die Parlamentarier, so hört man ebenso führende wie pressefreundliche Politiker mit echter Besorgnis klagen, sei oft unerträglich. Die Freiheit der Presse sei gut und schön; aber wo bleibe die Freiheit des Abgeordneten von der Furcht vor der Presse? Die eindrucksvolle Frage verkennt die Funktion der Presse als eines Kondensators in jenem vielfältigen Kräfte-feld, das der Begriff . öffentliche Meinung'umschließt. Es gehört zum Wesen der parlamentarischen Demokratie, daß der Abgeordnete nach seiner Wahl durch das Volk unter der Kontrolle der öffentlichen Meinung bleibt. Sein politisches Wollen und Handeln 5 im Parlament muß dem Fegefeuer, als das er die Erörterungen darüber in der Presse empfinden mag, standhalten können. Tut es das nicht, so zeugt das gegen die vom Abgeordneten vertretene Sache oder gegen ihn selbst, aber nicht gegen die Presse."
Wie in den Vorjahren lag auch 1960 das Schwergewicht der Arbeit in der Verteidigung des Freiheitsspielraums der Presse, den staatlichen Aktivitäten beschneiden wollten. Dies gilt vor allem für die Regierungsvorlage eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (Notstandsgesetz), dessen § 1 Abs. 4 die Bundesregierung für die Dauer des Ausnahmezustandes ermächtigen sollte, gesetzes-vertretende Verordnungen zu erlassen und darin für die Dauer des Ausnahmezustandes auch das Grundrecht aus Artikel 5 des Grundgesetzes einzuschränken. Einstimmig beschloß der Rat dazu: „Der Deutsche Presserat hält die Aufhebung oder Beschränkung der in Artikel 5 des Grundgesetzes verbürgten Pressefreiheit bei einem Notstand weder für zulässig noch für notwendig oder zweckmäßig. Er ist der Auffassung, daß das Grundrecht der Pressefreiheit in seinem Wesensgehalt nicht angetastet werden darf. Der Gesetz-entwurf läßt eine Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Notstand vermissen. Für die Überwindung eines inneren Notstandes ist gerade die Wirkung der freien Presse unentbehrlich."
Das Thema Notstandsgesetzgebung beschäftigte die Selbstkontrollinstanz in der Folgezeit noch häufiger. So wurde im Dezember 1962 aus den vorgeschlagenen Bestimmungen für die Notstandsverfassung für den Rat „ersichtlich, daß man die Presse primär als lästige, gefährliche und des Vertrauens nicht würdige Einrichtung betrachtet, gegen die im Falle der äußeren und inneren Gefahr, ja sogar schon im Katastrophenzustand, weitestgehende gesetzgeberische und verwaltungsmäßige Beschränkungsmöglichkeiten geschaffei werden sollen. Der Entwurf setzt sich darübe: hinweg, daß die freie Presse ein wesentli eher Bestandteil eben jener demokratischer Grundordnung ist, die es in Notzeiten zt verteidigen gilt."
In der Auseinandersetzung über die Not Standsgesetzgebung beschränkte sich dei Presserat nicht auf Veto-Positionen; er legte auch von sich aus „Leitsätze für die Neufassung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung von Pressekommissionen für den Zustand der äußeren Gefahr" vor. Im zehnten Jahr seines Wirkens, also 1966, konnte der Rat schließlich mit „Genugtuung" zur Kenntnis nehmen, „daß in dem neuen Entwurf einer Notstandsverfassung, wie er gegenwärtig im Bundestag vorliegt, keinerlei Einschränkung der Grundrechte aus Artikel 5 GG vorgesehen und damit der Gesetz-entwurf über die Errichtung einer Bundespressekommission im Falle der äußeren Gefahr hinfällig geworden ist"
Ob es dem Wirken des Presserates zu verdanken ist, daß die Bundesregierung zurückstecken mußte, bleibt selbstverständlich un-beweisbar. Festzuhalten ist jedoch, daß die Mitglieder des Gremiums nicht nur in der Frage der Pressefreiheitsbeschränkungen im Zusammenhang mit der Notstandsgesetzgebung, sondern auch in allen anderen Fällen, in denen das Grundrecht des Artikels 5 zugunsten anderer Rechte durch Maßnahmen der Legislative und Exekutive beschnitten werden sollte, an einem Strang zogen und ihre Ablehnung in zahlreichen Resolutionen kompromißlos zum Ausdruck brachten. Dies geschah auch — abgesehen von den bereits erwähnten Fällen — in der Kritik an der Aktion gegen den „Spiegel" in der Nacht vom 26. zum 27. Oktober 1962 und mit der Forderung nach einer Reform des Zeugnisverweigerungsrechts.
II. Die Pressekonzentration
Ende der sechziger Jahre rückte, nicht zuletzt dank des stürmischen Protests der Außerparla-* mentarischen Opposition gegen den Springer-Verlag, das Problem der Pressekonzentration in den Mittelpunkt der medienpolitischen Diskussion — ein Thema, das der Presserat gleich zu Beginn seiner Arbeit als Aufgabe erkannte und in seiner Satzung festschrieb, ausführlich aber erst 1965 erörterte. Vorgänge im Bereich der Tagespresse und Zusammenschlüsse großer Publikumszeitschriften veranlaßten die Selbstkontrolleure am 27. September 1965 zu einer Entschließung: „Der Deutsche Presserat beobachtet Konzentrationserscheinungen in der deutschen Presse, die zu einer Gefährdung der Pressefreiheit in der Bundesrepublik führen können. Das Grundrecht der Pressefreiheit wird durch eine vielgestaltige und umfassende Information der Allgemeinheit und durch eine Vielfalt unabhängiger Publikationsmittel gewahrt. Die Öffentlichkeit und der Gesetzgeber haben die Aufgabe, den Gefahren entgegenzuwirken, die durch eine Konzentration im Pressewesen für die Informations-und Meinungsfreiheit entstehen können. Dabei ist zwischen den Grundrechten der Gewerbefreiheit und der freien Berufswahl einerseits und der Pressefreiheit andererseits sorgfältig abzuwägen. Der Deutsche Presserat wird sich in der nächsten Zukunft mit diesem Problem eingehend beschäftigen und hat hierfür eine besondere Kommission eingesetzt."
Anders als in den oben geschilderten Fällen staatlicher Bedrohung der Pressefreiheit hielt sich der Presserat mit dieser Resolution bei der Beurteilung der Pressekonzentration zunächst also nobel zurück. Im Tätigkeitsbericht für 1965 begründete Ratssprecher Focko Lüpsen, warum keine konkrete aktuelle Meinung zu konkreten aktuellen Vorkommnissen möglich war: „Eine schnelle Stellungnahme zu diesen vielschichtigen Fragen, wie sie vielleicht von manchem erwartet worden ist, wäre der Arbeitsweise des Presserats nicht angemessen. Frei von Emotionen und der Suggestion gewisser Schlagworte wird die von ihm gebildete Kommission das zur Urteilsbildung notwendige Material zusammentragen ... Erst nach Sammlung und Auswertung dieses Materials sieht sich der Presserat in der Lage, eine grundsätzliche Stellungnahme zur Konzentrationsbewegung im deutschen Pressewesen abzugeben."
Daß die Problematik der Pressekonzentration vielschichtig ist, hat sich in der Tat inzwischen herumgesprochen: Es gibt Pressekon-zentration aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, es gibt Not-und Lustfusionen, es gibt die Beteiligung pressefremden Kapitals, und es gibt schließlich handfeste Rationalisierungsgründe — nicht nur in der Herstellung, sondern auch beim Vertrieb. Der Rat war also gut beraten, die komplexe Konzentrationsfrage gründlich untersuchen zu lassen.
Im Dezember 1967 lagen die Ergebnisse der Erhebung über die Struktur der Tagespresse in der Bundesrepublik einschließlich West-Berlins vor. Kurze Zeit später, im Februar 1968, äußerte sich das Selbstkontrollgremium dann, ausgehend von der Bestandsaufnahme, zu den Konzentrationsvorgängen und zum Wettbewerb in der deutschen Presse. Einleitend heißt es, der Rat beobachte „mit Sorge, daß die Konzentration im deutschen Pressewesen fortschreitet, die Zahl der Vollredaktionen sich verringert und die Zahl der Stadt-und Landkreise, in denen nur noch eine Zeitung erscheint, zunimmt" In dem Vorschlag, den Auflagenanteil von Großverlagen an der Gesamtauflage der Tagespresse zu begrenzen, sah die Mehrheit des Presserats „kein adäquates Mittel, die Pressefreiheit und die Informationsfreiheit des Bürgers zu sichern" Gleichzeitig sprach sich das Gremium für eine Neufassung des geltenden Kartellrechts und die Offenlegung der Besitz-verhältnisse in der Presse aus und empfahl „zu prüfen, ob und in welcher Form eine Genehmigungspflicht für Zusammenschlüsse und Verkäufe in Erwägung zu ziehen ist"
Damit blieb die Mehrheit des Presserates hinter den Vorschlägen zurück, die eine von der Bundesregierung einberufene Pressekommission, die sogenannte Günther-Kommission, gemacht hatte. Immerhin erklärte wenigstens eine Minderheit von fünf der 14 anwesenden Presseratsmitglieder im September 1968 bei der Stellungnahme zum Schlußbericht der Pressekommission, sie halte den Vorschlag, Marktanteilsbegrenzungen einzuführen, „nicht für eine ideale Lösung, betrachte diesen Vorschlag jedoch im Hinblick auf die bedrohliche Entwicklung als eine diskutable Verhandlungsgrundlage". Diese Minderheit würde es, wie sie betonte, „bedauern, wenn der Gesetzgeber gegenüber der Entwicklung in Passivität verharren würde"
Wie bekannt, hat sich der Gesetzgeber — abgesehen von einigen Reförmchen wie dem Pressestatistikgesetz und der Pressefusionskontrolle — auf dem Sektor Pressekonzentration nicht gerade durch einen besonderen Aktivismus ausgezeichnet. Er verharrte mehr oder weniger, was eine Presseratsminderheit schon vor zehn Jahren vorausschauend bedauerte, in Passivität. Dies zu erwähnen erscheint angebracht, wenn man die Position des Presserats kritisch analysiert. In der Tat war von einem Gremium, das zur Hälfte aus Verlegern besteht, in Sachen Pressekonzentration bis auf Kosmetik nichts Durchgreifendes zu erwarten. Wie sollten sich beispielsweise der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, Dr. Johannes Binkowski, als Presseratsmitglied — und wenn er auch noch so viel auf die in der Satzung verankerte Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit seiner Persönlichkeit verwiesen hätte — für Marktanteilsbegrenzungen aussprechen, nachdem der von Großverlagen in seiner Politik maßgeblich gesteuerte Verband solche Pläne vehement bekämpft hatte! Und als Verbandsmitglieder handelten in diesem Falle wohl auch andere Presseratsmitglieder aus dem Verleger-Lager solidarisch mit Dr. Binkowski — ob aus Einsicht, Eigennutz oder Verbandsdruck mag dahingestellt bleiben; aber eine These bietet sich bereits an dieser Stelle an: Wenn es um handfeste ökonomische Interessen geht, ist nicht zu erwarten, daß die Verleger im Presserat ihren Interessenstandpunkt vor der Sitzungstür an der Garderobe abgeben. Die Journalisten-Bank hat dies, so scheint es jedenfalls, längere Zeit nicht so klar erkannt. Erst in den siebziger Jahren gestanden sich Verleger und Journalisten der Selbstkontrollinstanz ein, daß die Ansichten zur Pressekonzentration, sofern sie über allgemeine Beileidsbekundungen hinausgehen und zu konkreten Maßnahmen vorstoßen sollten, nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen waren Die Folge: Eine ursprünglich vom Rat eigens geschaffene Kom-mission für Fragen der Konzentration im deut sehen Pressewesen stellte ihre Tätigkeit prak tisch sang-und klanglos ein.
Als ein Mittel, Pressekonzentration wenig sten erträglich zu machen, gilt nun seit lan gern die redaktionelle Mitbestimmung. Sie könnte, so wird argumentiert, den Freiraum garantieret!, der durch Ballung publizisti scher Macht in der Hand weniger weiter ein geschnürt zu werden droht. Der Presserat hat diesen Zusammenhang durchaus gesehen unc sich in den Debatten über die Pressekonzentration auch zur Regelung des Verhältnisses zwischen Verlag und Redaktion geäußert, aus naheliegenden Gründen allerdings stets wachsweich, ohne je erkennen zu lassen, daß bestimmte Rechte von der Verleger-auf die Journalisten-Seite transportiert werden müßten, wenn eine Regelung überhaupt Sinn und Verstand haben sollte. So heißt es beispielsweise in der Resolution vom /20. September 1968 ausweichend, die vorliegenden Entwürfe der Berufsverbände der Zeitungsverleger und der Journalisten zur Frage der beiderseitigen Funktionen, „die eine weitgehende Übereinstimmung erkennen lassen, entsprechen in ihrer Grundtendenz den Vorstellungen des Deutschen Presserates. Danach hat der Redakteur im Rahmen der vom Verleger festgelegten Richtlinien für die grundsätzliche Haltung der Zeitung und im Rahmen der Redaktionsordnung Freiheit bei der Gestaltung des redaktionellen Teils im einzelnen. Der Redakteur darf nicht veranlaßt werden, gegen seine Überzeugung zu handeln. Der Presserat spricht die Erwartung aus, daß zwischen den Berufsverbänden der Journalisten und der Verleger alsbald eine Einigung in diesem Sinne zustande kommt." 19)
Geeinigt haben sich beide bekanntlich bis heute nicht, und der Gesetzgeber wird sich hüten, vor Wahlen mit einem Entwurf zur Sicherung der inneren Pressefreiheit herauszukommen; aber wann sind in der Bundesrepublik keine Wahlen? So gesehen wäre es unfair, es ausgerechnet dem Presserat anzulasten, daß er in dieser Frage keine klare Position bezogen hat. Das tun schließlich auch andere nicht, und dies trotz recht eindeutig lautender Parteitagsbeschlüsse. Dennoch bleibt festzuhalten, daß der Presserat in seiner Erklärung nur Selbstverständlichkeiten und ohnehin Unstrittiges verkündet hat. Mehr-ist von einer Instanz, der Verleger und Journalisten angehören, realistischerweise nicht zu erwarten. Zu fragen ist allerdings, warum sich der Presserat angesichts der durchaus bekannten Interessen-und Macht-konstellation überhaupt einem Thema zuwandte, das in seiner Kernsubstanz von Verlegern anders gesehen wird als von Journalisten. Erst Mitte der siebziger Jahre wuchs die Einsicht, daß sich der Rat aus medienpolitischen Kontroversen seiner Trägerverbände, also des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger und des Verbandes Deutscher Zeitschriften-verleger auf der einen und des Deutschen Journalisten-Verbandes sowie der Deutschen Journalisten-Union in der Industriegewerkschaft Druck und Papier auf der anderen Seite, tunlichst heraushalten sollte. Seither übt der Rat in medienpolitischen Fragen weiterhin Abstinenz und konzentriert sich auf jene Probleme, die ihn zwar von Anfang an beschäftigt haben, gelegentlich jedoch in den Hintergrund gedrängt wurden: auf die Probleme der publizistischen Moral der deutschen Presse.
III. Verstöße gegen die publizistische Moral
Fragt man vorab pauschal, ob es der Selbstkontrollinstitution der deutschen Presse gelungen ist, schlechte Sitten und Gebräuche in den Redaktionen zu verbessern, gerät man bei einer konkreten Antwort selbstverständlich gewaltig ins Schwimmen. Wissenschaftlich exakt meßbar ist derlei sicherlich nicht. Seit einigen Jahren steht schwarz auf weiß im so-genannten Pressekodex geschrieben, was unter publizistischer Moral zu verstehen ist. Der Kodex wurde vom Deutschen Presserat in Zusammenarbeit mit den Presseverbänden beschlossen, dem damaligen. Bundespräsidenten Gustav Heinemann am 12. Dezember 1973 überreicht und zur Richtschnur für die Arbeit des Rates. Die „Publizistischen Grundsätze" und die sie ergänzenden „Richtlinien für die redaktionelle Arbeit" sind sozusagen das Grundgesetz des Deutschen Presserates; sie dienen, wie sie ausdrücklich von sich selbst behaupten, „der Wahrung der Berufsethik", wiewohl sie natürlich keine rechtlichen Haftungsgründe darstellen. Sie sollten jedoch, was freilich der Praxis kraß widerspricht, jedem Journalisten in Fleisch und Blut übergegangen, jedem Volontär als erstes Papier nach dem Ausbildungsvertrag ausgehändigt worden sein.
Der Pressekodex umfaßt 15 Punkte. Der erste betrifft die „Achtung vor der Wahrheit" und die „wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit", die als „oberstes Gebot der Presse" bezeichnet wird. Konkreter heißt es in Punkt 2: »Zur Veröffentlichung bestimmte Nachrichten und Informationen in Wort und Bild sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden." Konsequent ausgelegt sind wohl gerade bei der Boulevardpresse fast täglich Verstöße gegen diesen Grundsatz zu beobachten. „Bild" und andere Blätter, die sich durch Schlagzeilen verkäuflich machen, hat der Presserat in der Tat wegen ihrer verfälschenden Überschriften schon häufiger gerügt. Kann man im Ernst darauf hoffen, daß diese Kritik die Macher beeindruckt und sie davon abhält, in der reißerischen Verkündung mehr zu versprechen, als der Text hergibt? Man mag dies bedauern, ändern wird man es nicht. Vor die Wahl gestellt, Punkt 2 des Pressekodexes strikt einzuhalten oder mit einer auf den Nervenkitzel von Millionen richtig spekulierenden Balkenüberschrift haarscharf an der Wahrheit vorbeizuformulieren, wird sich der Boulevardjournalismus aus Gründen der besseren Verkäuflichkeit seiner Produkte fast immer für das letztere entscheiden.
Der dritte Punkt der „Publizistischen Grundsätze" lautet: „Veröffentlichte Nachrichten oder Behauptungen, die sich nachträglich als falsch erweisen, hat das Publikationsorgan, das sie gebracht hat, unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtigzustellen." Jeder, der einmal versucht hat, eine Gegendarstellung in einer Zeitung oder Zeitschrift ünterzubringen, weiß ein Lied davon zu singen, wie gern die Redaktionen in solchen Fällen auf den Leserbrief-Teil verweisen. Gewöhnlich kommt nur der zum Ziel, der hartnäckig bleibt oder Profi ist, und er muß sich dann normalerweise auch noch vor der Gegendarstellung den Hinweis der Redaktion gefallen lassen, sie sei ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt nach dem Landespressegesetz zum Abdruck verpflichtet. Und um ja zu beweisen, wie recht man trotz Gegendarstellung hat, neigt dann so manche Redaktion auch noch dazu, in einem redaktionellen Zusatz ihre Position zu dokumentieren. Wer — wie der Deutsche Presserat in seinem Presse-kodex — angesichts solcher Praktiken verlangt, daß falsche Nachrichten von Publikationsorganen „von sich aus" richtiggestellt werden, hat sich in der Tat ein ganz schönes Stück von der Realität entfernt, was natürlich nicht heißen kann, daß das hohe Ziel nicht auch weiterhin angestrebt werden sollte. Nur: Würde der Presserat konsequent darauf bestehen, daß die im Punkt drei niedergelegten Grundsätze auch tatsächlich eingehalten werden, müßte er eigentlich Tag für Tag tätig werden.
Dies gilt mit Sicherheit nicht für den vierten Punkt des Pressekodex, der da lautet: „Bei der Beschaffung von Nachrichten, Informationsmaterial und Bildern dürfen keine unlauteren Methoden angewandt werden." Verstöße gegen diesen Grundsatz kommen selten vor, haben den Presserat auch nur in zwei Fällen beschäftigt. Einmal war im Zusammenhang mit dem Bundestagsabgeordneten Julius Steiner, der 1972 beim Mißtrauensvotum gegen den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt eine wichtige Rolle gespielt haben will, die Illustrierte „Quick" betroffen, deren Informationsbeschaffung in einer Resolution des Rates so kommentiert wurde: „Exklusivverträge und abschirmende Maßnahmen dürfen nicht dazu führen, daß durch ein angestrebtes Informationsmonopol die Unterrichtung der Öffentlichkeit über Vorgänge oder Ereignisse, die nach Bedeutung, Gewicht und Tragweite von allgemeinem Interesse und für die politische Meinungs-und Willensbildung wesentlich sind,'eingeschränkt oder verhindert und die übrige Presse von der Beschaffung von Nachrichten dieser Bedeutung ausgeschlossen sind." Ein zweiter Fall beschäftigte 1979 die Selbstkontrollinstitution, als Mitarbeiter der „Bild" -Redaktion Frankfurt in die verschlossene Wohnung eines Frankfurters eingedrungen waren, der unter dem Verdacht des Drogenmißbrauchs vorübergehend festgenommen worden war. Der Rat stellte in einer Entschließung fest: „Der Einbruch in die verschlossene Wohnung des Festgenom-menen zum Zweck der Beschaffung von Bildern und Informationen stellt einen eindeutigen Verstoß gegen die Ziffern 4 und 8 (, Es widerspricht journalistischem Anstand, unbegründete Beschuldigungen, insbesondere ehrverletzender Natur, zu veröffentlichen’, die Red.) des Pressekodex dar. Solche Arbeitsmethoden schädigen das Ansehen der gesamten Presse."
Punkt 5 der „Publizistischen Grundsätze“
spricht eine Frage an, die in Journalisten-kreisen eigentlich keiner weiteren Erwähnung bedarf: „Jede in der Presse tätige Person", so heißt es da, „wahrt das Berufsgeheimnis, macht vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und gibt Informanten ohne deren ausdrückliche Zustimmung nicht preis." Der Appell an die in der Presse Tätigen ist, wenn man sich die journalistische Praxis ansieht, wohl kaum nötig gewesen. Fälle, in denen Journalisten ihre Informanten preisgegeben haben, sind jedenfalls nicht bekannt geworden. Andererseits hat der Gesetzgeber häufiger Anläufe gemacht, das Zeugnisverweigerungsrecht einzuschränken — Versuche, die beim Presserat stets und einmütig bei den Journalisten und Verlegern auf Ablehnung gestoßen sind. Dies ist übrigens nicht weiter verwunderlich, denn schließlich liegt beiden daran, daß durch das Zeugnisverweigerungsrecht alle Informations: quellen verdeckt und neue erschlossen werden können. Mit der gegenwärtig geltenden bundesrechtlichen Regelung dieser Materie vom Juli 1975 ist der Rat allerdings nicht zufrieden. Er sieht darin gegenüber den früheren landespresserechtlichen Normierungen, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungskonform gehalten hat, da den Ländern nach Ansicht des Gerichts die Kompetenz zur Gesetzgebung dieses Problemkreises fehlte, einen Rückschritt. In einer umfassenden Stellungnahme hat der Rat im Dezember 1978 verlangt, das Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25. Juli 1975 zu novellieren. Nach der jetzigen Fassung des § 97 der Strafprozeßordnung gelten beispielsweise die Beschränkungen der Beschlagnahme nicht, „wenn die zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten einer Teilnahme oder eine Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtigt sind, oder wenn es sich um Gegenstände handelt, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zur Begehung einer Straftat gebraucht oder bestimmt sind oder die aus einer Straftat herrühren". Dazu hat der Presserat kritisch angemerkt, daß der Schutz der Informationsquellen allzu leicht umgangen werden könnte, wenn die Strafverfolgungsbehörden das Recht hätten, die Person des Informanten im Wege der Beschlagnahme oder der Durchsuchung von Redaktionsräumen, von Verlagshäusern und Rundfunkanstalten festzustellen. Diese ergänzende Sicherung, so betonte der Rat, sei vom Bundesgesetzgeber durch die Einführung der so-genannten Strafverstrickung eingeschränkt worden. Gerade Journalisten seien aber, insbesondere bei Veröffentlichungen strafbaren Inhalts, zwangsläufig dem Verdacht der Mittäterschaft oder der Begünstigung ausgesetzt. In solchen Fällen ist die Durchsuchung und Beschlagnahme bei Presse und Rundfunk zulässig — eine Regelung, die nach Meinung des Presserats dem „Sinn und Zweck des Zeugnisverweigerungsrechts widerspricht" Bedenken meldete die Selbstkontrollinstanz auch hinsichtlich der Beschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts und der Ausweitung des Beschlagnahmerechts an. Die Möglichkeit der Beschlagnahme von selbsterarbeitetem Material, insbesondere von Pressefotos, mache die Journalisten in den Augen der Öffentlichkeit, speziell bei Demonstrationen, zu Hilfsorganen der Strafverfolgungsbehörden.
Aus den genannten kritischen Einwänden läßt sich folgern: Im Konflikt zwischen den Interessen der Strafverfolgungsbehörden und der Presse steht der Rat ganz eindeutig auf der Seite der Presse.
Längst nicht so eindeutig ist freilich seine Position, wenn es um die Umsetzung von Punkt 6 der „Publizistischen Grundsätze" in die Praxis geht; zwar spricht der Pressekodex davon, daß es die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebiete, «daß redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter beeinflußt werden", und er stellt auch kategorisch fest, daß Verleger und Redakteur derartige Versuche abwehrten und „auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken" achteten. Die Wirklichkeit sieht jedoch, wie jedermann weiß, anders aus. Auf den Auto-und-Motor-, den Reise-und-Mode-und den Haus-und-Garten-Seiten, um nur einige zu nennen, sind der redaktionelle und der Anzeigenteil längst eine innige Verbindung eingegangen. Anders gesagt: Der redaktionelle Teil hat die Funktion übernommen, die Anzeigenplantagen ein wenig aufzulokkern; da kann von einer klaren Trennung weiß Gott nicht die Rede sein. Der Rat hat sich nur in wenigen Fällen mit diesem Problem befaßt; es scheint so, als ob er diesen Teil seines Kodexes selber nicht ganz ernst nimmt.
Bei Punkt 7 der „Publizistischen Grundsätze“ geht es um das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen: „Berührt das private Verhalten eines Menschen öffentliche Interessen, so kann es auch in der Presse erörtert werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden." Nähere Ausführungen hierzu enthält eine Resolution des Rates vom 2. /3. Dezember 1975, in der beispielsweise empfohlen wird, „bei der Berichterstattung über den Freitod Zurückhaltung zu wahren. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände. Eine Ausnahme ist dann zu rechtfertigen, wenn es sich um einen Vorfall der Zeitgeschichte handelt und ein öffentliches Interesse an einer Berichterstattung besteht." Freilich enthält auch diese, die „Publizistischen Grundsätze" am Beispiel der Freitod-Berichterstattung konkretisierende Erklärung viele allgemeine Wendungen, die es dem einzelnen Journalisten im konkreten Fall nicht leicht machen, sich für oder gegen eine Veröffentlichung zu entscheiden und dabei mit den Vorstellungen des Presserates konform zu gehen. Abwägungen, ob es sich um einen Vorfall der Zeitgeschicht handelt und ein öffentliches Interesse an der Berichterstattung besteht oder nicht", kann der Presserat, ähnlich wie die Gerichte, nicht dem einzelnen Journalisten abnehmen. Es kommt auf den Einzelfall an, und jeder Fall liegt normalerweise ein wenig anders.
Der Presserat ist, was an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich unterstrichen werden soll, keine gerichtliche Instanz. Er fällt keine Urteile darüber, ob etwas recht-oder unrechtmäßig geschehen ist. Auch wenn sein Ver-fahren, beispielsweise die Einvernahme der Angeschuldigten, gelegentlich an ein Gericht erinnert — der Rat befindet nur darüber, ob gegen den Pressekodex verstoßen wurde oder nicht.
Diesem Kodex zufolge widerspricht es, wie es in Punkt 8 heißt, „journalistischem Anstand, unbegründete Beschuldigungen, insbesondere ehrverletzender Natur, zu veröffentlichen". Damit sind vor allem Verdächtigungen gemeint (Überschriften mit Fragezeichen), zu denen gerne dann Zuflucht genommen wird, wenn sich etwas nicht beweisen läßt. Natürlich hat der Betroffene die Möglichkeit, gegen falsche Tatsachenbehauptungen vorzugehen und eine Gegendarstellung zu erwirken. Der Pressekodex möchte jedoch die Journalisten dazu anhalten, noch vor der juristischen Grenzlinie haltzumachen und mit Beschuldigungen vorsichtig umzugehen, denn Gegendarstellungen hin, Gegendarstellungen her, Fragezeichen hin, Fragezeichen her — wer etwa verdächtigt wird, ein Spion zu sein, wird lange Zeit mit einem Makel behaftet sein.
Fragen des Anstands sind jenseits des Justitiablem naturgemäß häufig Geschmacksfragen; dieser Komplex wird mit Bezug auf das sittliche und religiöse Empfinden von Personengruppen in Punkt 9 des Pressekodexes angesprochen: „Veröffentlichungen in Wort und Bild, die das sittliche und religiöse Empfinden einer Personengruppe nach Form und Inhalt wesentlich verletzen können, sind mit der Verantwortung der Presse nicht zu vereinbaren." Eine solche Unvereinbarkeit stellte der Rat 1977 fest. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" veröffentlichte damals als Titelbild eine Nacktfotografie der Tochter einer französischen Bildjournalistin. „Im Interesse der Jugend mißbilligte es der Beschwerde-Ausschuß, daß ein Kind in derart plakativer Form als Sexualobjekt abgebildet wurde."
Auch die „unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt und Brutalität", die der zehnte Punkt der „Publizistischen Grundsätze" behandelt, beschäftigte wiederholt den Presserat. Daß es dabei mehr als einmal um „Bild“ ging, wird niemanden verwundern. Blätter, die auf den Verkauf am Kiosk getrimmt und entsprechend sensationell in der Aufmachung sind, ecken naturgemäß an dieser Stelle des Pressekodexes besonders schnell an. Freilich hat auch die Debatte über „Gewalt im Fernsehen" gezeigt, auf wie schwankendem wissenschaftlichem Boden die Aussagen über die Wirkungen brutaler Darstellungen auf die Konsumenten stehen. Lange Zeit fiel es dem Presserat wesentlich leichter, dem elften Punkt des Pressekodexes zur Geltung zu verhelfen, der ursprünglich bestimmte, daß niemand wegen seiner Zugehörigkeit zu einer rassischen, religiösen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden darf. 1978 fühlten sich viele Frauen durch „stern" -Titelfotos so diskriminiert, daß sie den Presserat anriefen. Der appellierte in einer allgemeinen Resolution an die Presse, dem heutigen Selbstverständnis der Frau in der Gesellschaft deutlicher Rechnung zu tragen und ergänzte seine „Grundsätze" durch den Zusatz, daß auch niemand „wegen seines Geschlechts" diskriminiert werden dürfe. Besonders umstritten und deshalb auch häufig vom Presserat zu behandeln ist hingegen der Punkt 12 der „Publizistischen Grundsätze", der verlangt: „Die Berichterstattung über schwebende Ermittlüngs-und Gerichtsverfahren muß frei von Vorurteilen erfolgen. Die Presse vermeidet deshalb vor Beginn und während der Dauer eines solchen Verfahrens in Darstellung und Überschrift jede einseitige oder präjudizierende Stellungnahme. Ein Verdächtiger darf vor einem gerichtlichen Urteil nicht als Schuldiger hingestellt werden." Ein Blick in die Tagespresse zeigt: Vorverurteilungen sind sozusagen an der Tagesordnung, nicht nur bei Spionen und Terroristen, auch bei Mördern und Gangstern.
Punkt 13 des Pressekodex geht auf die Berichte über medizinische Themen ein, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser wecken könnten, und Punkt 14 auf die Annahme und Gewährung von Vorteilen, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit von Verlag und Redaktion zu beeinträchtigen — zwei Themen, die zur Zeit nicht sonderlich aktuell sind. Dagegen führt der letzte Punkt der „Grundsätze“ zur Kernfrage, zur Frage nach der Beachtung und Wirkung des Presserates. „Es entspricht fairer Berichterstattung", so lautet Punkt 15, „vom Deutschen Presserat öffentlich ausgesprochene Rügen abzudrukken, insbesondere in den betroffenen Publikationsorganen". Um gleich beim zuletzt Erwähnten zu beginnen: Die Betroffenen verschweigen so gut wie immer, daß der Presserat in einer öffentlichen Erklärung ihr Verhalten getadelt und den Verstoß gegen die „Publizistischen Grundsätze" öffentlich gerügt hat. Und wenn schon einmal eine Rüge publiziert wird, dann in der Regel möglichst klein und verschämt, so gut wie nie jeden-falls in einer typographischen Aufmachung, die mit der Meldung oder dem Bericht gleichzusetzen wäre, die Anlaß für eine Rüge waren.
IV. Die Wirksamkeit des Presserates
Das Echo, das gerade die Rügen des Presserates in der Öffentlichkeit finden, kann durchaus als Maßstab für seine Wirksamkeit auf dem publizistisch-moralischen Sektor gelten. Daß die Gerügten selbst ihre Fauxpas der Leserschaft vorenthalten, mag noch verständlich sein, signalisiert jedoch ein Selbstverständnis, das zu denken gibt: Ausgerechnet jene, die laut Verfassungs-und Gesetzesauftrag berufen sind, Kritik zu üben, sind selbst offensichtlich überaus kritikempfindlich und nicht bereit, ihr eigenes Verhalten im eigenen Blatt anprangern zu lassen.
über Verfahren, dies zu ändern, ist schon häufiger inner-und außerhalb des Selbstkontrollgremiums nachgedacht worden. 1974 verpflichteten sich die Vorsitzenden bzw. Präsidenten der Presseorganisationen, „darauf hinzuwirken, daß öffentliche Rügen des Deutschen Presserates oder seines Beschwerde-Ausschusses in den betroffenen Publikationen abgedruckt werden. Darüber hinaus empfehlen die Verbände allen Tageszeitungen, die öffentlichen Rügen des Presserates abzudrucken. Die Verbände verpflichten sich zum Abdruck in ihren Verbandsorganen , ZV+ZV, der Journalist', , die feder' 25).
Die Verpflichtung wird eingehalten, soweit sie sich auf die Verbandszeitschriften bezieht, aber deren Inhalt wird, wenn überhaupt, nur von einer zahlenmäßig recht kleinen Leserschaft zur Kenntnis genommen. Die breite Öffentlichkeit erfährt nach wie vor nur in Ausnahmefällen etwas von den Rügen des Rates. Der Tip, dann solle doch der Presserat dies in Pressekonferenzen gebührend herausstellen, liegt zwar nahe, ist aber nicht gut, denn was soll man von einem Gremium halten, das nur immerfort seine Macht-und Hilflosigkeit bejammert? Ob es einen Ausweg gibt, wird später noch zu erörtern sein. Bemerkenswert aber erscheint, daß der Rat selbst seine Position gar nicht so bedauernswert findet. Im ersten Tätigkeitsbericht, der 1959 erschien, konnte der Rat Kritikern gegenüber in der Tat noch überzeugend argumentieren: „Wenn manchen Beobachtern die unmittelbare Wirkung der Arbeit des Deutschen Presserates zunächst noch nicht genügend sichtbar erscheint, so mögen sie bedenken, daß drei Jahre Tätigkeit eine kurze Zeit ist für eine freiwillige, ohne staatliche Mithilfe und Vollmachten arbeitende Institution, die von keiner anderen Autorität gestützt ist als von der durch die eigene Arbeit erworbenen. Es ist schon viel, daß es gelang, in diesen drei Jahren sich bei der Presse und im öffentlichen Bewußtsein zu legitimieren als ein notwendiges und nützliches Organ der Eigenverantwortung der Presse, das der Wahrung und Verteidigung der Pressefreiheit und ebenso der Abwehr von Mißständen oder Mißbräuchen der Freiheit in der Presse selbst dient. Die Arbeit des Presserates ist — von aktuellen Einzelfällen, die rasche Entscheidungen fordern, abgesehen — eine Arbeit auf weite Sicht... Es bedarf der Geduld, bis die Wirkung des Deutschen Presserates sich ganz erweisen kann und dauerhafte Erfolge zu erkennen sind." Ganz so geduldig wie der erste Sprecher des Rates, Dr. Rupert Gießler, von dem dieses Zitat stammt, war sein Nachfolger Franz Karl Maier offenbar nicht. Betrübt stellte er 1960 im Tätigkeitsbericht fest: „Wendet sich der Presserat gegen einen gesetzgeberischen Plan, gegen eine Haltung der Exekutive, so ist ihm genügend Publizität sicher. Enthält aber eine Entschließung Kritik an Erscheinungen in der Presse, dann herrscht weithin Schweigen im Blätterwald. Eine natürliche Scheu, eigene Mängel nicht an die große Glocke zu hängen? Es ist eher falsch verstandene Solidarität, die zu einer Minderung der Wirksamkeit des Deut-sehen Presserats auch dort führt, wo es um die Abwehr von Angriffen auf die Pressefreiheit geht.“
Ab 1962 aber ging’s, schenkt man den Vorworten der jeweiligen Sprecher des Rates in den Tätigkeitsberichten Glauben, unablässig bergan. Sprecher Focko Lüpsen sprach 1962 vom „stetigen Wachstum einer auf Freiwilligkeit gegründeten Institution“, die „an Resonanz gewonnen und ihre Autorität gefestigt hat" Im folgenden Jahr ist von der „Anerkennung" die Rede, die sich der Rat verschafft hat 1964 heißt es, in der Presse setze sich „mehr und mehr ... ein Verständnis für die wohlabgewogenen Urteile des Presserats durch" Und viele Jahre später, nämlich im Jahrbuch 1978, bescheinigte sich der Rat erneut: „Mehr denn je wurden Entscheidungen und Stellungnahmen in der öffentlichen Wertung reflektiert." Einschränkend fügte jedoch der damalige Presseratssprecher Werner Hill hinzu, man sei „weit davon entfernt, daß ... Rügen von den Gerügten in aller Öffentlichkeit veröffentlicht werden" Optimistisch fragte Hill sodann: „Aber warum sollte dies nicht verpflichtende Übung werden können? Wo wir uns doch heute schon daran gewöhnt haben, der pluralistischen Gesellschaft und einer wachsenden Mündigkeit des informierten Bürgers Rechnung tragend, auch Leserbriefe mit sehr kritischem Inhalt zur eigenen Zeitung, Richtig-stellungen und Gegendarstellungen, und dies oft ohne richterlichen Zwang, unserem Leser-publikum voraussetzen." Nach den bisherigen Erfahrungen scheint eher Skepsis am Platze. Ein Mittel, den Rügen tatsächlich zu Wirksamkeit zu verhelfen, wäre eigentlich nur die Aufnahme einer gesetzlich fixierten Verpflichtung zum Abdruck. Seit Jahr und Tag werden gegen diesen Vorschlag verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht. Solche Bedenkenträger sitzen bekanntlich zu Dutzenden in allen Ministerien und — das hehre Schild der Pressefreiheit vor sich her tragend — finden sich auch immer dann in den Reihen der Verleger, wenn es ihnen gerade in den Kram paßt, über derlei Einwände sollten sich politisch Progressive einmal mutig hinwegsetzen — Karlsruhe wird schon bremsen, falls die Verfassung Schaden nimmt. Denn es ist eine seltsame Logik, daß ein Blatt zwar eine Gegendarstellung bringen muß, wenn es eine falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt hat, aber nicht zur Berichterstattung verpflichtet ist, wenn das Selbstkontrollgremium der bundesdeutschen Presse kritisiert, daß die Reporter des Blattes sich Informationen durch Einbruch beschaffen. Danach gefragt, ob sie eine Rügenabdruck-Verpflichtung für richtig hielten, haben übrigens 1973 drei Viertel der Verleger und Journalisten erklärt, dies sei ein guter Vorschlag
Man kann die Wirksamkeit des Presserates sicherlich nicht losgelöst von seiner Bekanntheit sehen. In einer Sendung des ZDF hat ein eingefleischter Gegner der Selbstkontrollinstanz, „Stern" -Chefredakteur Henri Nannen, gesagt, der einzige Vorteil des Presserates sei, „daß er nicht sehr bekannt ist" Was Nannen als Vorteil sieht, betrachte ich als Nachteil — ansonsten aber hat er völlig recht. Eine Repräsentativbefragung würde mit Sicherheit ergeben, daß weniger als fünf Prozent der Bevölkerung mit dem Wort „Presserat" etwas anzufangen wissen. Selbst in Journalistenkreisen stößt man immer wieder im Zusammenhang mit dieser Institution auf blanke Unkenntnis. Mit anderen Worten: Es ist eine kleine Schar von Profis in den Medien, den Parteispitzen und den gesellschaftlich relevanten Großorganisationen, die sich unter „Presserat" etwas vorstellen können und ihn zuweilen auch als Instrument für ihre Ziele einzusetzen versuchen.
V. Lösungsvorschläge
Um eine bürgerferne Einrichtung zu einer bürgernahen zu machen, die tatsächlich von jedermann in Anspruch genommen wird, käme es zunächst einmal darauf an, den Presserat, seine Wirkungsgrenzen und Chancen, einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Denn wenn sich jedermann über Verstöße gegen die „Publizistischen Grundsätze" beschweren können soll, muß er vor allem diese Grundsätze kennen. Es bedarf einer groß angelegten und länger währenden Aufklärungskampagne. Vielleicht würden dann aus einigen Hundert Beschwerden im Jahr mehrere Tausend im Monat — eine Entwicklung, die durchaus wünschenswert wäre, denn bei den jetzt eingehenden Beschwerden drängt sich immer wieder der Eindruck auf, daß es sich um Zufallsprodukte handelt. An die Stelle der unsystematischen müßte eine systematische Beobachtung der Presse durch die Leser treten. Das Ziel sollte eine aufgeklärte bundesdeutsche Leserschaft sein, die für Verstöße der Redaktionen gegen die „Publizistischen Grundsätze" sensibilisiert ist. Dies hat, um Einwänden oder bösen Mißverständnissen gleich vorzubeugen, nichts mit einem engmaschigen Kontrollnetz zu tun, sehr wohl aber mit dem Bestreben, die publizistische Moral der Presse zu verbessern.
Die neue, dann vielleicht zu erwartende Beschwerdeflut würde natürlich den Presserat in seiner augenblicklichen Struktur gründlich verändern, und dies wäre auch gar nicht schlimm. Statt eines Presserates und eines Beschwerdeausschusses sollte es eli Presseräte und elf Beschwerdeausschüsse geben, also für jedes Land einen. Diese Regionalisierung drängt sich nicht nur aus arbeitsökonomischen Gründen auf. Zu bedenken ist auch, daß die regionalen Räte vor Ort sehr viel besser über die regionalen Probleme informiert sind. Sie könnten zudem schneller zusammenkommen; ihre Entscheidungen wären mithin aktueller als die des Deutschen Presserates. Die Berufung der Mitglieder dieser Gremien könnte übrigens analog der gegenwärtigen Prozedur erfolgen: An die Stelle der Bundesorganisationen der Presseverbände würden dann die Landesorganisationen als Wahl-und Berufungsinstanzen treten.
Bleibt als Fazit: Der Deutsche Presserat hat sich in den ersten Jahren seiner Existenz bewährt als eine Institution zur Abwehr von staatlichen Versuchen zur Einschränkung der Pressefreiheit Er ist auf Grund seiner Struktur unfähig, zur Lösung medienpolitischer Probleme beizutragen, und sollte dieses Feld ganz zugunsten seiner Trägerverbände räumen. Notwendig ist er als eine Instanz, die über die Beachtung der „Publizistischen Grundsätze" wacht. Sie bedürfen allerdings einer gründlichen Durchforstung, weil sie viele Maximen enthalten, die nicht mehr wirklichkeitsnah genug sind. Der reformierte und gestraffte Pressekodex aber sollte Gemeingut aller Bürger werden. Dies setzt großzügige Öffentlichkeitsarbeit voraus, die möglicherweise zur Folge hätte, daß der Presserat mit Beschwerden überschwemmt würde — eine Entwicklung, die mit einer Regionalisierung des Rates beantwortet werden sollte.
Wer soll, so wird mit Recht gefragt, das alles bezahlen? Zur Zeit wird der Beschwerdeausschuß aus Etatmitteln des Bundestages finanziert, der Presserat selbst durch Beiträge der Trägerverbände. Diese Finanzierung ließe sich durchaus auf Länderbasis umstellen. In Novellen zu den Landespressegesetzen könnte dann sowohl die Subventionierung regionaler Räte wie die Verpflichtung zum Abdruck von Rügen geregelt werden.
Staatliche Mittel müssen nicht zur Abhängigkeit von politischen Mehrheiten und Instanzen führen; daß dies auf juristisch saubere Weise gesichert werden kann, beweist das 1976 von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages beschlossene Gesetz zur Gewährleistung der Unabhängigkeit des vom Deutschen Presserat eingesetzten Beschwerdeausschusses", das allein dem Bundesrechnungshof ein Recht zur Prüfung der Verwendung der Zuschüsse (1976: 80 000 DM) einräumt