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Deutsch-amerikanische Schulbuchrevision | APuZ 28-29/1979 | bpb.de

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APuZ 28-29/1979 Wer verhalf der NSDAP zum Sieg? Neuere Forschungsergebnisse zum parteipolitischen und sozialen Hintergrund der NSDAP-Wähler 1924- 1933 Der deutsche Arbeiterwiderstand 1933— 1945 Deutsch-amerikanische Schulbuchrevision

Deutsch-amerikanische Schulbuchrevision

Alfred M.de Zayas

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Bereits in den Jahren 1952, 1955, 1960, 1961, 1963 und 1967 fanden deutsch-amerikanische Historikertreffen statt, bei denen deutsche und amerikanische Schulbücher kritisch besprochen wurden, um Vorschläge für den Abbau von Stereotypen und Mißdeutungen zu machen. Die Gespräche werden nach einer Pause von zwölf Jahren in diesem Jahr im Georg-Eckert-Institut in Braunschweig wieder aufgenommen. An den heutigen deutschen Schulbüchern wird bemängelt, daß in ihnen nicht genug über die amerikanische Kultur steht, zu wenig über den Einfluß amerikanischer Denker auf die deutschen Demokraten von 1848, hingegen zu viel über Slums, Rassendiskriminierung und Vietnam-Krieg. In den amerikanischen Schulbüchern wiederum überwiegt die Darstellung des preußischen Militarismus und der Weltkriege. Wichtige Kapitel der deutschen Geschichte wie der aufgeklärte Absolutismus (öfter als „aufgeklärter Despotismus" abgetan), die Reformen des Freiherrn vom Stein, Bismarcks liberale Gesetzgebung, der deutsche Widerstand gegen Hitler kommen zu kurz oder werden gar nicht behandelt, wie z. B. auch die Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges — eine Thematik, die von amerikanischen Historikern weitgehend unerforscht geblieben ist. Gerade weil die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinigten Staaten Verbündete sind, sollte besonders darauf geachtet werden, daß das Bild des anderen wahrheitsgetreu wiedergegeben wird. Man bedenke z. B., daß die künftigen Träger von Politik und Wirtschaft in beiden Ländern ihre erste Begegnung mit dem Partner in den jeweiligen Lehrbüchern machen werden. Bessere Lehrbücher wirken länger als das Umarmen von zwei Politikern, die der Welt zeigen wollen, daß sie Freunde sind. Freundschaft baut vor allem auf Vertrauen und Respekt. Daher muß zunächst Sorge dafür getragen werden, daß Lehrbücher dieses Vertrauen und diesen Respekt begründen, anstatt der neuen Generation alte Vorurteile einzuprägen.

Die Notwendigkeit, nationale Stereotypen abzubauen, haben viele sogar vor dem Zweiten Weltkrieg erkannt, als Gespräche zwischen französischen und deutschen Historikern stattfanden. Nach dem Krieg waren es vor allem zwei große staatliche Organisationen, die UNESCO und der Europarat, die neben ihren vielen anderen kulturellen Aufgaben erheblich dazu beitrugen, die Schulbuchverbesserung in Europa auf eine breite und solide Basis zu stellen überzeugte Träger dieser Idee in Deutschland wurden zunächst die Geschichtslehrerverbände und der erste Leiter des Ausschusses für Geschichtsunterricht, Professor Dr. Georg Eckert, der sich seit 1949 bemühte, die abgebrochenen internationalen Kontakte wieder aufzunehmen und Tagungen mit ausländischen Kollegen „in freier Diskussion und im Geist wahrer Toleranz" durchzuführen So entstanden die ersten Vereinbarungen zur Zusammenarbeit mit den Geschichtslehrerverbänden Frankreichs, Großbritanniens und Dänemarks.

In diesem Beitrag möchte ich mich aber auf die deutsch-amerikanische Schulbuchrevision beschränken, die bereits Gegenstand von sechs Historikerkonferenzen " war, und zwar 1952, 1955, 1960, 1961, 1963 und 1967.

Diese Gespräche werden nun nach einer Pause von zwölf Jahren in dem nach seinem verstorbenen Gründer benannten Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung in Braunschweig wiederaufgenommen. Eine Tagung dürfte noch in diesem Jahr unter der Leitung des neuen Institutsdirektors, Professor Dr. Karl Ernst Jeismann, stattfinden. Als Amerikaner begrüße ich die Wiederaufnahme des Dialogs. Ich bin aber der Auffassung, daß die Konferenzen nicht nur in Braunschweig stattfinden sollen. Sie müssen auch in Amerika abgehalten werden, möglichst in New York, um die Teilnahme von amerikanischen Schulbuchautoren und Schulbuchverlagen zu erleichtern.

Vorarbeiten für die neue Runde sind bereits im Gange. Die deutsche Botschaft in Washington hat sich etwa zwanzig Geschichtslehrbücher beschafft, die zur Zeit in den Schulen New Yorks, Chicagos und San Franciscos verwendet werden. Diese sind dem Georg-Eckert-Institut zur Begutachtung geschickt worden. Gleichzeitig besorgt das Institut die in den Gymnasien am häufigsten gebrauchten Schulbücher für Geschichte. Demnächst werden amerikanische Experten vom Institut gebeten, Gutachten über die deutschen Bücher zu erstellen. Deutsche Experten werden die amerikanischen Lehrbücher bewerten. Die Gutachten werden dann die Grundlage für die Diskussion in den kommenden Konferenzen bilden, wobei ich Vorschlägen möchte, ausgewählte amerikanische Bücher auch von amerikanischen Experten und deutsche Bücher auch von deutschen Experten begutachten zu lassen, denn oftmals kommt die schärfste Kritik aus den eigenen Reihen, und ich habe den Eindruck aus früheren Konferenzen, daß amerikanische Experten einige deutsche Bücher zu milde kritisiert haben, was natürlich umgekehrt auch gilt. Der Sinn dieser Diskussion besteht nicht nur darin, Empfehlungen zur Schulbuchrevision zu formulieren, sondern das Problembewußtsein der Konferenzteilnehmer auch den Schulbuch-autoren nahezubringen.

Die Durchsetzung der Empfehlungen kann das Georg-Eckert-Institut natürlich nicht gewährleisten. Es kann und wird die Empfehlungen den Kultusministerien sowie auch den Schulbuchautoren und Verlagen in Deutschland zur Verfügung stellen. Es kann deren Anwendung aber nicht erzwingen. Die Durchsetzung in Amerika stellt sich als langwieriger dar; denn während in Deutschland elf Kultusministerien über Schulbücher zu befinden haben, spielt sich diese Auswahl der Bücher in Amerika sogar auf Gemeindeebene ab: In 50 Staaten mit tausenden von Schulsystemen wird die Wahl der Schulbücher frei getroffen. Eines muß in diesem Zusammenhang betont werden: Die internationale Schulbucharbeit steht und fällt mit dem Prin-zip der Freiwilligkeit, d. h.der Überzeugung der Geschichtslehrer. Und es ist gut so, denn Schulbuchautoren sollen unabhängig nach ihrer Überzeugung schreiben — und nicht unter Zwang.

Die Verbreitung der Empfehlungen in Amerika muß noch organisiert werden, denn eine amerikanische Institution von der Art des Georg-Eckert-Instituts fehlt.

Als Partner in den Konferenzen der fünfziger und sechziger Jahre trat die Kulturabteilung der amerikanischen Botschaft auf, nicht etwa ein Ausschuß der American Historical Association (AHA), unser Geschichtslehrerverband, wie man vielleicht hätte erwarten können. Die AHA wird diesmal die Schirmherrschaft auch nicht übernehmen, obwohl sie bereit ist, die Ergebnisse zu publizieren. Andere Organisationen kommen unter Umständen in Frage, etwa der American Council on Germany, die Conference Group on Central European History, die Western Association for German Studies, der National Council for the Social Studies und, natürlich, die amerikanische Kommission für die UNESCO. Als ich im Dezember und Januar in Amerika war, habe ich mit Vertretern aller dieser Institutionen gesprochen und bin auf grundsätzliches Interesse gestoßen. Eine Mitträgerschaft von amerikanischer Seite halte ich für unerläßlich, denn diese Arbeit der Schulbuchrevision darf nicht als deutsches Unternehmen verstanden werden. Erfreulicherweise setzt sich die amerikanische Botschaft für die Wiederaufnahme der Konferenzen ein und wird bis auf weiteres als fester Partner des Georg-Eckert-Instituts fungieren. Ferner muß die Kulturabteilung des State Department, die International Communications Agency, erwähnt werden. Dort fand bereits im Februar dieses Jahres eine organisatorische Vorkonferenz unter Beteiligung der deutschen Botschaft in Washington statt. Eine zweite Vorkonferenz fand am 9. April statt. Unter den amerikanischen Teilnehmern befanden sich Mr. Richard Straus, Senior Advisor on Academic Exchange ICA, Dr. Robert Leestma, Associate Commissioner, US Office of Education, Professor Donald S. Detwiler, Co-Chairman, Committee for History in the Classroom Southern Illinois University, Professor Gerald R. Kleinfeld, Western Association for German Studies, Arizona State University, Mr. Seymour Fersh, American Association of State Colleges and Universities, Mr. John W. Hager, Association of American Colleges, Dr. William Pierse, Executive Secretary, Council of Chief State School Officers, Dr. Owen Kiernan, Executive Director, American Association of Secondary School Principals, Mr. Benjamin Cox, President, National Council for the Social Studies, Die deutschen Teilnehmer waren:

Dr. Ulrich Littmann, Geschäftsführer der Fulbright-Commission, Staatssekretär Prof. Dr. Freiherr von Campenhausen, Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Frau Elfriede Hillers, M. A., Wiss. Mitarbeiterin des Georg-Eckert-Instituts in Braunschweig, Dr. Manfred Heid, Goethe House New York, Dr. Arnold Ebel, DAAD New York.

Die Deutsche Botschaft war durch den Kulturattache Frau Dr. Haide Russell und Herrn Legationsrat Dr. Rudolf Schmidt vertreten.

Neben den genannten Institutionen kann man mit der Kooperation von anderen Gruppen rechnen, die bereits in der Vergangenheit Schulbuchrevisionen in beschränktem Umfang durchgeführt haben. In Deutschland möchte ich auf die Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Staatl. Studienseminare hinweisen, die jahrelang in der Akademie Eichholz in Wesseling bei Köln in Zusammenarbeit mit der Kulturabteilung der Amerikanischen Botschaft Seminare über amerikanische Literatur veranstaltete. Von besonderer Bedeutung war die Konferenz im April 1970, die die Möglichkeiten der Behandlung Amerikas im Geschichts-und Gemeinschaftskunde-Unterricht zum Thema hatte Bei diesem Seminar kam es darauf an, Einblicke in den Geist Amerikas zu geben und Anregungen über die Behandlung Amerikas im Unterricht der Gymnasien zu vermitteln. Während der Diskussion wies Erwin Helms auf die Bemühungen der Gesellschaft für Amerikastudien seit Ende des Zweiten Weltkrieges hin, Amerika im deutschen Schulunterricht besser zu repräsentieren, als dies früher der Fall gewesen sei. In diesem Zusammenhang seien die Arbeiten von Helms und Erich Angermann erwähnt. Ich werde noch darauf zurückkommen.

In Amerika wurde 1962 an der Southern Illinois University eine umfangreiche Arbeit von Kurt Glaser und Stanley Kimball unter dem Titel „Germany in the Light of American History Books" verfaßt. Diese Arbeit ist ein herausfordernder Kommentar über die Behandlung Deutschlands im amerikanischen Unterricht, dargestellt anhand von zwölf Geschichtsbüchern, die ausführlich begutachtet wurden. Genau zehn Jahre später, im März 1972, fand an der Indiana University in Bloomington eine Tagung über das Thema „Wie Nachkriegsdeutschland im Unterricht in Amerika behandelt werden soll" statt. Hier wurden Referate gehalten, jedoch weder Bücher systematisch diskutiert noch konkrete Vorschläge für eine Schulbuchrevision gemacht.

Nach dieser ziemlich langen Einleitung nun zur Sache: Warum überhaupt. Schulbuchrevision? Einfach deshalb, weil stereotype und Klischeevorstellungen weder Amerika noch Deutschland dienen. Und gerade weil wir Verbündete sind, sollten wir besonders darauf achten, daß das Bild des anderen wahrheitsgetreu wiedergegeben wird. Man bedenke, daß die'künftigen Träger der Industrie und der Politik in beiden Ländern ihre erste Begegnung mit dem anderen Partner in den jeweiligen Lehrbüchern machen werden, Bessere Lehrbücher . wirken länger als das Umarmen von zwei Politikern, die der Welt zeigen wollen, daß sie Freunde sind. Diese Freundschaft baut vor allem auf Vertrauen und Respekt. Daher muß zunächst Sorge dafür getragen werden, daß Lehrbücher dieses Vertrauen und diesen Respekt begründen, anstatt der neuen Generation alte Vorurteile einzuprägen. Dabei ist Kritik selbstverständlich angebracht; Schulbücher sollen nicht das beschönigen oder verniedlichen, was verwerflich war, aber sie sollen diese geschichtlichen Aspekte auch nicht überbetonen oder verallgemeinern. Hier geht es allerdings nicht nur um falsche oder tendenziöse Informationen in Schulbüchern, sondern vielmehr um die Auslassung von wichtigen Momenten, die zum Verständnis des anderen notwendig sind.

Zwar gibt es einige ausgezeichnete Bücher, deren Verbreitung nur befürwortet werden kann. Aber man soll sich nicht damit zufrieden geben, denn es gibt andere Lehrbücher, die dringend einer Korrektur bedürfen. So bemängelten amerikanische Teilnehmer in den früheren Konferenzen an deutschen Schulbüchern z. B., daß darin zuwenig über die amerikanische Kultur oder über den Einfluß amerikanischer Denker auf die deutschen Demokraten von 1848 stehe, statt dessen zu viel über Slums, Rassendiskriminierung und Vietnam-Krieg. Um ein konkretes Beispiel zu nennen, verweise ich auf das vielverwendete Buch „Grundriß der Geschichte für die Oberstufe", das mir ziemlich oberflächlich und anti-amerikanisch in der Behandlung des Vietnam-Krieges erscheint. Dies läßt sich vielleicht dadurch erklären, daß die 3. Ausgabe, die mir vorliegt, aus dem Jahre 1970 stammt, als die Weltpresse das amerikanische Engagement in Vietnam anprangerte. Neun Jahre danach sehen die Dinge etwas anders aus, vor allem in Hinblick auf die Tausende und Abertausende von vietnamesischen Flüchtlingen, die ihr Leben auf kaum seetüchtigen Booten riskieren, um das sogenannte „befreite" kommunistische Vietnam zu verlassen. Nun lesen wir, was deutsche Oberprimaner über das amerikanische Engagement in Vietnam lernen. Man verweist sie auf die amerikanischen Studentenunruhen der sechziger Jahre. Diese Unruhen, die sehr viel Gründe hatten, werden mit einem längeren Zitat vom DDR-Schriftsteller Havemann erklärt: „Dieser Krieg und alles, was in zynischer Offenheit in Presse und Fernsehen über ihn berichtet wurde, verwandelte die ganze politische Führung des Staates [also der USA] mit allen ihren salbungsvollen Reden in Heuchler und Lügner. Jedes große Wort, das diese Bosse in den Mund nahmen, Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie, Gleichberechtigung, Menschenwürde, Liebe, alles wurde zur schamlosen Lüge in ihren verlogenen Mäulern. Von dieser Frustration zum Entschluß, den revolutionären Kampf gegen das ganze System ... aufzunehmen, war nur ein Schritt."

Nun, ich war Student an der Harvard University in den unruhigen Jahren 1967— 1970. Aus vielerlei Gründen war ich mit dem Krieg nicht einverstanden. Aber unsere Verwicklung dort war nicht, wie Herr Havemann uns vorwirft, von Heuchelei und Lüge bestimmt. Die Politiker, die Amerika in den VietnamKrieg brachten, nämlich Kennedy, McNamara, Rusk und Johnson, waren keine „Bosse". Doch kam es zu Verbrechen wie My Lai und zu Korruption auf verschiedenen Ebenen. Dennoch darf man nicht alles schwarz malen. Es gab legitime Gründe, und es war auch anständig zu versuchen, die beschränkten politischen und bürgerlichen Freiheiten in Süd-vietnam zu verteidigen. Man bedenke, daß, als 1954 die Staaten getrennt wurden, eine Million Menschen vom Norden in den Süden flüchteten — und nicht umgekehrt. Als freiheitsliebender Mensch fühle ich mich diesen Flüchtlingen verpflichtet. Viele waren Katholiken, die im Süden die religiöse Freiheit suchten. Nun wissen wir, daß nach der Unterwerfung des Südens durch den Norden 1975 auch diese beschränkten Freiheiten aufgehoben wurden. Nicht ohne Grund fliehen heute noch Vietnamesen. Und auch nach dem Abzug der Amerikaner hat es leider keinen Frieden in Indochina gegeben. Das Morden geht ohne uns weiter. Was lesen wir darüber in dem sehr verbreiteten Lehrbuch „Menschen in ihrer Zeit" Es wird hier suggeriert, daß eine Großmacht bedenkenlos neue Waffen erprobte, um vor der Weltöffentlichkeit zu beweisen, daß keine andere Macht gewaltsam ihre Ziele erreichten könne; sodann werden die Friedensverhandlungen in Paris 1973 als „Zweites München" bezeichnet. Mir leuchtet der Vergleich nicht ein, vor allem nicht, wer hier die „Guten" und wer hier die „Bösen" waren. Es wird auch nichts darüber gesagt, daß sich weder Nordyietnam noch der Vietkong an das Abkommen hielten. Vier Seiten später fragt man den Schüler: „Ist imperialistischer Militarismus die Konsequenz der Gesellschaftsordnung der USA? . . . Wem nützt die Demokratie der USA? Hilft sie nur weni5 gen Familien, Banken und multinationalen Großfirmen, reich zu bleiben und weiter ausbeuten zu können? ... Wird im Ausland geheim und notfalls militärisch interveniert, wenn Rohstofflager und Absatzgebiete der Konzerne verlorenzugehen drohen? Wurde deshalb in Vietnam gekämpft?" Diese Fragen werden im Text nicht beantwortet. Ich weiß nicht, ob der deutsche Oberprimaner uns Amerikaner als Imperialisten und Ausbeuter sieht oder sehen soll. Angesichts der komplizierten geschichtlichen Lage in Indochina wäre es aber zu wünschen, daß deutsche Lehrbücher künftig ihre knappe Behandlung des Vietnamkrieges nicht nur mit den Stimmen von Kritikern schmücken, sondern auch Hintergrundstudien berücksichtigen.

In der Schulbuchkonferenz von 1963 war der Vietnamkrieg noch kein aktuelles Thema. Andere Probleme — wie etwa die Behandlung der Revolution von 1848 — wurden besprochen. So sagte Edgar Rosen von der University of Missouri, er hielte es für sehr wichtig, daß die amerikanische Anteilnahme an der Bewegung von 1848 nicht übersehen werde. Die Rolle des amerikanischen Gesandten in Berlin, Donaldson, und die Tatsache, daß er Abschriften der amerikanischen Verfassung im März in den Straßen Berlins verteilen ließ ... solle in den Schulbüchern Erwähnung finden Ich stimme dieser Bemerkung voll zu. Auch in der Konferenz von 1955 war dieses für Deutschland und Amerika wichtige Thema diskutiert worden. Die Empfehlung besagt: „ 1848/49 spielte das amerikanische Verfassungsrecht in den Diskussionen der Frankfurter Nationalversammlung eine große Rolle. In politischen Broschüren jener Jahre finden sich zahlreiche Vorschläge, die amerikanische Verfassung ganz oder zum Teil als Vorbild für eine neue deutsche Verfassung zu benutzen. Diesem Einfluß ist es zum Teil zuzuschreiben, daß — schon vor dem März 1848 — die Konzeption eines deutschen Bundesstaates auftauchte, die sich zu einem gewissen Grade auf die Verfassung der Amerikanischen Union stützte, die mit der Verfassung des Deutschen Bundes verglichen wurde. Auf der Grundlage dieser bun-desstaatlichen Konzeption nach dem Vorbild der amerikanischen Verfassung versuchte die Paulskirchenversammlung, einen deutschen Bundesstaat zu errichten und eine Verfassung auszuarbeiten ..

In der Konferenz der Akademie Eichholz wurden 1970 andere Probleme angesprochen. So beschäftigte sich Erwin Helms mit den aufschlußreichen Abhandlungen von Peter Pistorius („Die Vereinigten Staaten von Amerika im Deutschen Schulbuch") und Otto Ernst Schüddekopf („Die Vereinigten Staaten von Amerika im deutschen Geschichtsunterricht"). Er empfahl eine eingehendere Beschäftigung mit dem amerikanischen Puritanismus und seinen Auswirkungen auf die wirtschaftsund gesellschaftspolitische Vorstellung der Amerikaner: „Da der Geschichtsunterricht dem Aufstieg der Vereinigten Staaten zur Führungsmacht der freien Welt mit Recht große Aufmerksamkeit widmen soll, erscheint es angebracht, aufzuzeigen, daß die Wurzel ihres Führungsanspruchs in dem religiösen Sendungsbewußtsein der Puritaner zu suchen ist." Das Referat von Osborn Smallwood („Der Neger in der amerikanischen Gesellschaft heute") war geeignet, die klischeehaften Vorstellungen in Deutschland über die amerikanischen Schwarzen zu beseitigen. Er stellte fest, daß man „in Deutschland übertriebene Vorstellungen von den Slums hat. Sie sind schlimm. Ich kenne sie, weil ich in Boston und New York freie juristische Beratung für die Armen gemacht habe. Doch sind arme Schwarze eine Minderheit unter den Schwarzen. Man muß immer wieder betonen, daß das Negerproblem in Amerika nicht so sehr ein Rassenproblem, sondern vielmehr ein Sozialproblem ist

Nun komme ich zur Selbstkritik, d. h. zu einem Urteil über die amerikanischen Lehrbücher. Wie werden die Deutschen in unseren Schulbüchern behandelt? In einigen Büchern sehr fair. Wenn ich das Textbuch von Shepard Clough und Otto Pflanze, European History in a World Perspective 1975, fenne, so bin ich darauf sehr stolz.

Eine anderes Buch, „The Record of Mankind"

von'Wesley Roehm und Morris Buske ver-dient dieses Prädikat nicht, obwohl es sich bemüht, objektiv zu sein. Die Ara Adenauer und das Ziel der Wiedervereinigung werden verständnisvoll behandelt; es stimmt jedoch bedenklich, daß trotz der knappen Schilderung der Bundesrepublik Deutschland Kurt Georg Kiesinger als ehemaliger Nazi vorgestellt und daß die in der Bundesrepublik vollkommen unbedeutende NPD herausgestellt wird. Andere Schulbücher verdienen schärfere Kritik, obwohl ich mit Befriedigung feststellen muß, daß — seitdem ich Geschichte in High School und College in den sechziger Jahren studierte — eine Menge Klischees inzwischen beseitigt worden sind. Hier möchte ich mich auf das Gutachten von Professor Richard Dietrich über das Buch von Joseph Strayer und Hans Gatzke „The Course of Civilization" berufen. In der Schulbuch-Konferenz von 1963 monierte er: „Was Preußen selbst betrifft, so wird Friedrich Wilhelm I. etwas zu stark als der Soldatenkönig herausgestellt." Friedrich der Große wird ein Vertreter des „aufgeklärten Despotismus" genannt. Ferner wird die Entwicklung des Militarismus in Europa nur am deutschen Beispiel illustriert In der Behandlung des Ersten Weltkrieges wird als Dokument eine Strophe aus dem „Haßgesang" Ernst Lissauers abgedruckt, der aber erst nach Ausbruch des Krieges 1914 in der Kriegsstimmung verfaßt wurde und in Deutschland selbst auf Ablehnung gestoßen ist Die Auswirkungen der Hungerblockade gegen Deutschland werden verniedlicht. Schuld an dem Hunger sei die schlechte deutsche Verteilung gewesen

Bei anderen Büchern waren Auslassungen zu kritisieren, so etwa die Reformen des Freiherrn vom Stein und die liberale Gesetzgebung Bismarcks. Bedenken wurden auch gegen die Darstellung der Geistesgeschichte in den meisten Büchern geltend gemacht. Es ist doch merkwürdig, wenn die deutsche Klassik eigentlich nur mit Goethe und Schiller „besetzt" wird, über die Bedeutung der Klassik wird praktisch nie etwas gesagt. Bei der Erörterung der Romantik fehlen ebenfalls viele Namen, z. B. Herder. Bei der Moderne tauchen nur die Namen Thomas Mann und Hes-se auf. Warum nicht auch Rilke oder Hauptmann? Diese Bemerkungen entsprechen durchaus meinen eigenen Erfahrungen mit Lehrbüchern. Auch die bereits erwähnte Studie von Glaser und Kimball deckt eine große Anzahl von Mißdeutungen und Auslassungen auf.

Walter Wallbank und Alastair Taylor sprechen in ihrer Arbeit „Civilization Past and Present" von dem 'Potsdam-„Führer" — gemeint ist Friedrich Wilhelm I. Bei Crane Brinton und John Christopher „A History of Civilization" wird Preußen als „bewaffnetes Lager" und die Armee als eine „gigantische Strafanstalt" bezeichnet. Friedrich der Große sei „kaum aufgeklärt“ gewesen und hätte „eine durchaus mittelalterliche Gesinnung über das Verhältnis zwischen den Klassen" besessen Einschätzungen bzw. Urteile dieser Art wiederholen sich in den anderen elf Büchern.

In sämtlichen untersuchten Büchern fehlt überdies eine Auseinandersetzung mit dem Minderheitenproblem zwischen den Kriegen.

Die Volksdeutschen in der Tschechoslowakei und Polen werden schlicht und pauschal als Fünfte Kolonne abserviert; kein Wort über das Selbstbestimmungsbestreben der Sudetendeutschen. Diese hätten die Kooperation mit den Tschechen verweigert, weil sie sich für besser gehalten und deshalb die liberale Prager Demokratie gesprengt hätten; kein Wort über die Sudetendeutschen Sozialdemokraten oder über den deutschen Widerstand gegen 'Hitler und den Juli 1944.

Die Darlegung des Kriegsverlaufs hingegen geschieht in den meisten Büchern korrekt, allerdings werden die Folgen des Krieges nur sehr unvollständig benannt. Man vermißt eine Schilderung über die Vertreibung der über 3 Millionen Sudetendeutschen und 9 Millionen Reichsdeutschen aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien und weiterer Millionen aus Ungarn und Südosteuropa. Diese Beobachtung von Glaser muß ich unterstreichen, denn ich habe selbst im Geschichtsunterricht nie etwas über die Vertreibung der Deutschen erfahren. Man hätte mindestens drei oder vier Absätze über dieses ungeheuerliche Geschehen schreiben können. Dieses Thema ist gewiß sehr viel wichtiger als das der Berliner Luftbrücke. Auch die neuen Geschichtsbücher, die ich im Georg-Eckert-Institut gesehen habe, vernachlässigen dieses Thema.

Erst vor wenigen Wochen erschien im Longman Verlag in London ein Lehrbuch für die Oberstufe in England unter dem Titel „Twentieth Century History". Auf dem Umschlag sehen wir das Bild einer Flüchtlingsfamilie; sehr wahrscheinlich handelt es sich um Sudetendeutsche. Der Verfasser dieses Lehrbuches, Tony Howarth, widmet der Vertreibung der Deutschen ganze sechs Seiten im Text. Ich glaube, dies ist das erste Lehrbuch im englisch sprechenden Raum, in dem überhaupt versucht wird, der historischen Bedeutung dieses Vorganges gerecht zu werden.

In einem dpa-interview über das Deutschen-bild in Amerika, das ich im Juli 1978 gab, habe ich aus einem Repetitoriumsheft für Geschichte, das heute noch verwendet wird, zitiert aus: Gerald Kurland, Monarch College Outlines, Western Civilization II. Dieses Werk gehört zu den ganz besonders fragwürdigen Lehrmitteln bei uns, aber die Hefte sind bei den College-Studenten sehr beliebt. Uber den Nationalismus im 19. Jahrhundert in Europa erfahren wir, daß der deutsche Nationalismus besonders „rassistisch" war; bei der Darstellung der deutschen Geistesgeschichte wird die von den deutschen Denkern zu Hitler führende Linie aufgezeigt: „Fichte war der erste große Philosoph, der die völkische Überlegenheit der Deutschen fundierte; diese Behauptung wurde schriller, bis sie in die Barbarei Nazi-Deutschlands überging." Auch bei der Frankfurter Nationalversammlung 1848 sei der deutsche Rassismus spürbar gewesen: „Die deutsche Erklärung sprach ausschließlich von Menschenrechten der Deutschen, statt von denen für jedermann. Dies offenbarte eine rassistische Neigung, die in den nächsten Generationen wachsen" mußte. Dem Historiker Treitschke schließlich wird mit Bezug auf den Darwinismus aachgesagt, er habe ihn „zur Verherrlichung des Krieges angesetzt und so dem deutschen Volk eine Blutgier eingegeben, die zwei Weltkriege verursachte“.

In diesem Zusammenhang möchte ich Professor Stern von der Columbia Universität zustimmen, der anläßlich der Schulbuchkonferenz von 1963 sagte: „Die Vorstellung „Von Luther bis Hitler’ ist sehr unangemessen.“ 20) Unangemessen ja — und vielleicht gerade deshalb so populär!

Diese Beispiele mögen extrem erscheinen. Aber sie sind auch nicht wegzudenken. Rechnen Sie nun, wieviele Studenten sich mit solchen Repetitoriumsheften Wissen für eine Prüfung einpauken. Oft bleibt etwas hängen; allerdings nehmen unsere kritischeren Studenten „Ahnenforschung" dieser Güte nicht für bare Münze. Die Masse aber pflegt ihre Vorurteile. Dazu veröffentlichte im August 1976 Peter Gay, Historiker an der Yale University, einen Artikel unter dem Titel „Thinking about the Germans" in dem er die antideutschen Klischees anprangerte:

„Jahrzehnte von Frieden und Wiederaufbau haben das alte Mißtrauen nicht beseitigen können. Das Gespenst des Deutschen als „Hun" (Hunne) bleibt erdrückend ... Viele Amerikaner, die keine Deutschen kennen, nie in Deutschland gewesen sind, keine Familie oder Freunde in den Lagern verloren haben, weigern sich noch, nach Deutschland zu reisen, deütsche Produkte zu kaufen und grinsen zynisch über Deutschlands Beteuerung, sich geändert zu haben."

Peter Gay ist ein emigrierter deutscher Jude, der sich selbst über Jahre weigerte, die deutsche Sprache zu lesen oder Deutschland wieder zu betreten. Mit Sorge beobachtete er die Nachkriegsentwicklung Deutschlands. Heute lehrt er: „Unglaublich, wie manche Liberale und Demokraten die Idee auch finden mögen: die Bundesrepublik strebt an, was wir anstreben; ihre Wertskala ist unsere." Von seinen Diskussionen mit Studenten über die Deutschlandfrage berichtet er: „... die Skepsis über die Bundesrepublik ist weit verbreitet, ausgeprägt ... und nicht angemessen.“

Vor dem Hintergrund mangelhafter Kenntnisse über die deutsche Geschichte soll jetzt die Wirkung eines Schwerpunktunterrichts über die Ausrottung der Juden beurteilt werden. Bereits im September 1977 wurden in allen Schulen Philadelphias Pflichtkurse über den „Holocaust" eingeführt. Mittlerweile sind es mehr als 150 Schulsysteme, die das Thema „Holocaust" zum Pflichtfach gemacht haben. Die Aufklärung über dieses Kapitel der Geschichte ist unbestreitbar ein wichtiges Erfordernis, aber es wäre doch zu fragen, ob Schüler in der 9. und 10. Klasse mit ihren 14 oder 15 Jahren nicht überfordert werden, wenn sie einem so komplexen Thema gegenüberstehen, ohne vorher ausreichende Geschichtskenntnisse gesammelt und ihr Urteilsvermögen angemessen entwickelt zu haben. Obwohl einige „prep Schools" ihren Schülern einen ausgezeichneten Geschichtsunterricht bieten, haben amerikanische Pädagogen festgestellt, daß Grundkenntnisse in Geschichte in den meisten High Schools nur unzureichend vermittelt werden. Als Beispiel für den Holocaust-Unterricht kann das „Teacher Resource" Buch, das gegenwärtig an den Schulen Philadelphias verwendet wird, gelten. Dazu ist zunächst festzustellen, daß der Text das Thema nicht differenzierend genug behandelt und auf andere Völkermorde nicht eingegangen wird: Man vermißt die Auseinandersetzung mit den Massakern an Armeniern, Ukrainern, Kulaken und (nicht zuletzt) vertriebenen Deutschen. Es wird vor allem der Bezug zur Gegenwart nicht herausgearbeitet, einer Gegenwart, in der Hunderttausende von Menschen ermordert werden. Die Haupt-mängel des Philadelphia-Buches lassen sich in vier Punkten zusammenfassen: 1. Es wird unterstellt, daß die gesamte deutsche Bevölkerung über die Ausrottung der Juden informiert war und diese Ausrottung sogar befürwortete. So fragt man die Schüler: „Wie war es möglich, daß eine Gesellschaft, die man zu den kultiviertesten Europas rechnet, so verwandelt wurde, daß Völkermord dem staatsbürgerlichen Verantwortungsbewußtsein entsprach?" Diese Unterstellung taucht mehrfach im Buche auf. 2. Die Nichtbehandlung des deutschen Widerstandes gegen Hitler könnte zu der Annahme führen, alle Deutschen seien aktive oder sogar fanatische Nazis gewesen. Die Schwierigkeiten und Risiken des Widerstandes in einem totalitären Staat, das Opfer von Tausenden deutscher Hitlergegner, die Tatsache, daß deutsche Sozialdemokraten zu den ersten KZ-Insassen gehörten — alle diese relevanten Gesichtspunkte dringen nicht ins Bewußtsein des Schülers. Eine Chronologie stellt lediglich fest, „Nazi-Offiziere“ hätten am 20. Juli 1944 ein Attentat auf Hitler unternommen. Daraus könnte man nun folgern, daß die Attentäter ehrgeizige nationalsozialistische Putschisten gewesen seien, die nur gegen Hitler, aber nicht gegen die NS-Ideologie eingestellt waren. 3. Die Bestrafung der NS-Verbrecher durch die Bundesrepublik Deutschland wird nicht gewürdigt. Man liest, daß NS-Prozesse bis 1963 durchgeführt worden seien.

4. Der nachhaltige Eindruck von KZ-Filmen, die im Rahmen des Pflichtkurses gezeigt werden, die merkwürdige Schulaufgabe, Gedichte über die Ausrottung der Juden zu schreiben — all dies bedeutet eine starke emotionale Belastung für Vierzehn-und Fünfzehnjährige. Es liegt auf der Hand, daß solche Pflichtkurse über die Ausrottung der Juden langfristige Konsequenzen haben werden, wobei hinzukommt, daß die Schüler die Überzeugung gewinnen könnten, Völkermord sei ein „teutonisches Phänomen". Ich habe den Eindruck, daß die Schulen mit „Holocaust" ziemlich überstürzt gehandelt haben. Zwar bin ich grundsätzlich damit einverstanden, daß darüber gelehrt wird. Dieses ungeheure Ereignis darf nicht unter den Teppich gekehrt werden. Aber der Lehrer muß den richtigen Rahmen suchen und darauf achten, daß seine Schüler keine falschen Schlußfolgerungen ziehen. Im Hinblick auf die Komplexität der Materie wäre deren Behandlung im College vielleicht eher angebracht als in der High School, wenn dort eine vorherige gründliche Beschäftigung mit der Geschichte nicht stattfindet. Bereits über 700 Colleges bieten Kurse über den Holocaust an

Die Liga gegen Diffamierung — Anti-Defamation league of B'nai B‘ rith — hat sich mit Erfolg für die Aufnahme von „Holocaust" in Schul-und College-Programmen eingesetzt. Sie hat auch sehr gutes Lehrmaterial zusammengestellt und bietet zum Verleih Spielfilme und Dokumentarfilme wie „Nacht und Nebel" und das „Hakenkreuz" und auch Dia-Vorträge für den Klassenunterricht an. Ferner werden mehrere didaktische Abhandlungen und Empfehlungen zur Verfügung gestellt. Mir scheint aber gerade hier der pädagogische Auftrag verfehlt, denn man hat sich nicht genügend Gedanken darüber gemacht, welche Wirkung diese Materialien auf die Adressaten haben können. Ich vermisse die Einsicht, daß sich aus diesen Kursen anti-deutsche Ressentiments entwickeln könnten; unterschwellige, latente Spannungen könnten durch die Holocaust-Kurse, so wie sie jetzt sind, belebt werden.

Anläßlich des Jahrestreffens der American Historical Association in San Francisco im Dezember 1978 wurde ein Nachmittag den didaktischen Aspekten von Holocaust gewidmet. Doch kam kein Referent auf die Idee, daß Kurse wie die oben beschriebenen negativ besetzte Stereotypen von den Deutschen hervorrufen könnten. Als ich darauf einging, hatte ich den Eindruck, daß keiner der Anwesenden sich mit diesem Problem beschäftigt hatte. Um einer Klischeebildung vorzubeugen, muß im Pflichtfach Holocaust immer wieder darauf hingewiesen werden, daß die Deutschen von heute nicht identisch mit den Nazis sind, daß auch damals nicht alle Deutschen Nazis waren, daß es eine Widerstandsbewegung gab. Zur Frage, ob und in welchem Umfang die deutsche Bevölkerung eigentlich von der Vernichtung der Juden wußte, muß darauf hingewiesen werden, daß die Funktionsträger in Staat und Partei alles getan haben, um die Ausrottung geheimzuhalten. Deshalb wurden auch alle sechs Vernichtungslager: Auschwitz-Birkenau, Lublin-Majdanek, Treblinka, Sobibor, Belzec und Chelmo außerhalb des Reichs in besetzten Gebieten gebaut. Deshalb auch die Notwendigkeit einer Tarnsprache. So liest man in den Dokumenten von Evakuierung anstatt von Ausrottung, von Sonderbehandlung anstatt von Erschießung. Deshalb auch der Führerbefehl Nr. 1 über die Geheimhaltung: ...... niemand soll Kenntnis haben von geheimen Dingen, die nicht in seinen eigentlichen Aufgabenbereich gehören. Niemand soll mehr erfahren, als er zur Erfüllung der ihm gestellten Aufgabe wissen muß. Niemand soll früher Kenntnis erhalten, als für die ihm gestellten Obliegenheiten notwendig ist. Niemand darf mehr oder früher geheimzuhaltende Aufträge an nachgeordnete Stellen weitergeben, als dies zur Erreichung des Zwecks unvermeidlich ist."

Wir wissen natürlich, daß Gerüchte über die Ausrottung vielfach durchgesickert sind. Zumeist wurden sie aber als Übertreibungen oder Feindpropaganda abgetan. Man konnte aber ohnehin keine Gewißheit über die Ausrottungen erlangen, da eine an die zuständigen Stellen gerichtete Nachfrage durch den Führerbefehl Nr. 1 ausgeschlossen war. Und wenn man auch Gewißheit über die Massenmorde gehabt hätte — was dann? Widerstand gegen die Regierung? Dies ist eine Frage, die sich jeder in einem totalitären Staat stellen muß. Gerade dies sollte ein Hauptanliegen des Holocaust-Unterrichts sein, nämlich zu zeigen, welche seelische Spannungen der mo23) ralisch denkende Mensch in einem totalitären Staat zu ertragen hat. Wie soll sich z. B.der durchschnittliche Sowjetbürger verhalten, der weiß, daß Dissidenten in psychiatrischen Anstalten verschwinden oder verbannt werden? Die meisten verdrängen das Problem; sie wollen nichts davon wissen, ob ein Menschenrechtler umkommt. Jeder will seine Ruhe haben. Ist es aber anders bei uns im Westen? Wladimir Bukowski, der selbst zwölf Jahre in sowjetischen Lagern und psychiatrischen Anstalten verbrachte, wies unlängst darauf hin, daß der Westen desinformiert bleiben wolle, obwohl die Hälfte der sowjetischen Dissidenten in Haft sitze und die Repression gegen Andersdenkende trotz der Helsinki-vereinbarungen ständig zunehme Dies ist die aktuelle Frage zu Holocaust. Sie sollte von Lehrern in der Bundesrepublik und in Amerika ausgearbeitet werden, denn unsere Schüler sollen auch die Gegenwart in der Perspektive unserer Geschichte betrachten lernen.

Ich hoffe, mit dieser Darstellung den Sinn von deutsch-amerikanischen Schulbuchgesprächen verdeutlicht zu haben. Für beide Seiten werden sie vorteilhaft sein, denn wir wollen unsere Freundschaft festigen und nicht durch Mißdeutungen der Geschichte trüben lassen. Unsere Schulbücher werden also qualitativ und quantitativ überprüft. Für die vorgebrachte Kritik sind wir in Amerika besonders dankbar, weil bei uns Schulbücher weder in der American Historical Review noch in einer anderen ernsthaften Zeitschrift besprochen werden. Wir sind also gern bereit, begründete Kritik von amerikanischen und auch von deutschen Historikern zu hören. Gutachten, die für die deutsch-amerikanischen Schulbuchkonferenzen erstellt werden, gehen natürlich den Schulbuchautoren zu. So erwiderte 1952 Fremont Wirth in einem Brief an Georg Eckert: „Ich halte Ihre Arbeit für sehr wichtig. Ich lege Wert darauf, meine Bücher möglichst genau im Detail zu halten und werde sie nach sorgfältigem Studium entsprechend verbessern." Ähnlich äußerte sich Howard Wilson: „Ich schätze Ihre scharfsinnige Analyse und positive Kritik sehr; ich werde sie im Auge behalten, wenn die nächste Ausgabe überarbeitet wird. Ich hoffe, daß ein System entwickelt werden kann, um solche Gutachten, wie Sie sie geschrieben haben, zwischen Historikern und Schulbuchautoren zu tauschen. Dies würde zur internationalen Völkerverständigung beitragen."

Jetzt stellt sich die Frage, wer an den kommenden Konferenzen teilnehmen wird. Während der sechs Tagungen der fünfziger und sechziger Jahre waren auf deutscher Seite ganz hervorragende Historiker vertreten wie Hans Rothfels, Walter Hubatsch und Helmut Krausnick, auf amerikanischer Seite Andreas Dorpalen, Robert Waite und der jetzige Präsident der American Historical Association, John Hope Franklin, der als ganz junger Professor 1955 auch nach Braunschweig kam.

Zu bedauern ist die Tatsache, daß die amerikanische Teilnahme im Verhältnis zur deutschen stets zu gering war; so setzte sich z. B. in der letzten Konferenz 1967 die Gelehrten-gruppe aus 15 deutschen und nur fünf amerikanischen Teilnehmern zusammen. Dies war typisch. Bei der ersten Konferenz 1952 waren es sechs Amerikaner, 1955 waren es fünf, 1960 nur vier, 1961 waren es acht, 1963 wieder nur fünf. Vertreter von amerikanischen Verlagen waren nie bei Konferenzen anwesend, wohl aber Vertreter namhafter deutscher Verlagshäuser.

Ein wichtiges Ziel muß es diesmal sein, künftige Tagungen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Amerika abzuhalten, um dadurch eine größere Zahl amerikanischer Teilnehmer und vor allem Schulbuchautoren und Verlage zu erreichen. Ich korrespondiere mit einer Reihe amerikanischer Professoren, die sehr an einer deutsch-amerikanischen Schulbuchrevision interessiert sind.

Ich denke, daß eine Einigung über die besprochenen Probleme erreicht werden wird, wenn bundesdeutsche und amerikanische Historiker zusammenkommen. Zwischen uns liegt kein ideologischer Graben, wir gehen meist von den gleichen Prämissen aus und bekennen uns zu einer demokratischen Rechtsordnung. Das Problem wird vielmehr darin liegen, die Empfehlungen bekannt zu machen und in die Praxis umzusetzen. Meist sind Schulbuchverleger nicht daran interessiert, ein ausgewogenes Geschichtsbild anzubieten. Sie entscheiden sich für „problem oriented" Schulbücher, die provokante Thesen aufstellen.

Vielleicht werden durch diesen Beitrag Vertreter von Schulbuchverlagen angesprochen. 28 Wenn ja, kann ich nur darum bitten, die Empfehlungen der alten deutsch-amerikanischen Konferenzen zu berücksichtigen. Sie waren in der Tat sehr gut übrigens besitzen wir keinen Überblick darüber, wieweit die alten Empfehlungen tatsächlich von Schulbuchautoren berücksichtigt worden sind. Zur Zeit wird diese Frage im Institut untersucht.

Aber auch wenn wir die angestrebte Verbesserung der Schulbücher erreichen, werden wir nur einen Teilerfolg verbuchen können, denn nach Umfragen formen sowohl die deut-sehenwie die amerikanischen Schüler ihr Amerika-bzw. Deutschlandbild nicht nur aus Schulbüchern, sondern auch aus Zeitungen, Unterhaltungsheften und vor allem aus dem Fernsehen, wo Verallgemeinerungen und Stereotypen nicht selten sind.

Als nur einem Unterrichtsmittel unter mehreren sind dem Schulbuch Grenzen gezogen. Es wäre unbillig, von ihm eine universale Funktion zu fordern Dennoch haben wir eine würdige Aufgabe vor uns, die wir mit Über-zeugung und Optimismus angehen müssen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Otto Ernst Schüddekopf, Zwanzig Jahre Schulbuchrevision in Westeuropa 1945— 1965, Braunschweig 1966, S. 19.

  2. Ebd. S. 25. überarbeitete Fassung eines Vortrages vor dem Rhein-Ruhr-Klub e. V. am 29. März 1979 in Düsseldorf.

  3. Möglichkeiten der Behandlung Amerikas im Geschichts-und Gemeinschaftskunde-Unterricht, hrsg. von der Akademie Eichholz, Wesseling bei Köln, April 1970.

  4. Louis Helbig und Eberhard Reichmann (Hrsg.), Teaching Postwar Germany in America, Bloomington 1972.

  5. J. Dittrich und E. Dittrich-Galimeister, Grundriß der Geschichte für die Oberstufe, II. Die moderne Welt, Stuttgart 1970, S. 313.

  6. F. Lucas, H. Bodensieck, E. Rumpf, Menschen in ihrer Zeit, Bd. 6., S. 158 ff.

  7. Etwa M. Conley, The Communist Insurgent Infrastructure in South Vietnam, Washington 1967, oder Henry Kissinger, Amerikanische Außenpolitik, Düsseldorf 1969.

  8. Elemente eines atlantischen Geschichtsbildes. Gutachten, Diskussionen und Empfehlungen der 5. amerikanisch-deutschen Historiker-Tagung in Braunschweig, November 1963, hrsg. von Georg Eckert, Braunschweig.

  9. Deutschland und Vereinigten Staaten. Empfehlungen der zweiten amerikanisch-deutschen Historiker-Konferenz Braunschweig (23. — 31. Au-gust 1955), in: Intern. Jahrbuch für Geschichtsunterricht, Braunschweig 1956, S. 9.

  10. Möglichkeiten ..., a. a. O„ S. 6.

  11. Ebd. S. 48.

  12. Elemente eines Atlantischen Geschichtsbildes, a. a. O., S. 62.

  13. Ebd. S. 54.

  14. Ebd. S. 63.

  15. Ebd. S. 64.

  16. Ebd. S. 65.

  17. Glaser, Germany in the Light of American History Books, Alton Illinois 1962, S. 18 (als Manuskript abgedruckt).

  18. Ebd. S. 22.

  19. Ebd.

  20. Elemente ..., a. a.'O., S. 98.

  21. New York Times, 3. August 1976, S. 29; 4. August 1976, S. 33.

  22. The Chronicle of Higher Education, 1. 5. 78, S. 1.

  23. IMT Bd. 8, S. 263.

  24. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. 3. 1979, S. 4.

  25. Jahre. f. Geschichtsunterricht, Bd. 2, 1953, S. 252 f.

  26. Ebd. S. 257.

  27. Der vollständige Satz der Konferenzprotokolle und Empfehlungen ist beim Georg-Eckert-Institut erhältlich.

  28. Vgl. dazu Peter Pistorius, Die Vereinigten Staaten von Amerika im deutschen Schulbuch, Köln 1969, S. 7 (als Manuskript gedruckt).

Weitere Inhalte

Alfred M.de Zayas, Dr. phil., Jur. Dr. (USA); geb. 1947; 1970— 1973 Rechtsanwalt in New York; 1974— 1979 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen. Veröffentlichung u. a.: Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen, München 19783; Nemesis at Potsdam, London und Boston 19792; zahlreiche Aufsätze zu historischen und völkerrechtlichen Themen in Harvard International Law Journal, Comparative Juridical Review, East European Quarterly, Kulturpolitische Korrespondenz, Geschichte in Wissenschaft und Unterricht; Beiträge in Th. Veiter (Hrsg.), 25 Jahre Flüchtlingsforschung, Wien 1975; Th. Veiter (Hrsg.), Entwurzelung und Integration, Wien 1979; H. J. von Merkatz (Hrsg.), Aus Trümmern wurden Fundamente, Düsseldorf 1979.